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Peter Züllig
Wein-plus (Internationales Weinmagazin)
Schiller
Kolumne von Peter Züllig
07. Juli 2008
Eigentlich war ich sicher: Friedrich Schiller wurde Mitte des 18. Jahrhunderts im württembergischen Städtchen Marbach geboren; der Wein mit gleichem Namen hingegen stammt aus Chur, dem Hauptort des Bergkantons Graubünden. Ich weiss dies genau. Den Dichter kenne ich, weil ich mich in der Schule mit seiner „Glocke” herumschlagen musste: nicht „Old Shatterhand” spielen, auswendig lernen: „ und drinnen waltet die züchtige Hausfrau, die Mutter der Kinder - und
herrschetweise, im häuslichen Kreise - und lehret die Mädchen und wehret den Knaben .” Dies ist mir bis heute geblieben, damals war es ein Alptraum. Bedeutend besser konnte ich mich - Jahrzehnte später - mit dem „Schiller aus Chur” anfreunden , einem ganz speziellen Wein aus Trauben, die ich im „Waisen-haus-Wingert” oder im „Lochert” in Chur Jahr für Jahr miternte
Schiller, den Wein, den gibt es aber nicht nur in Chur, sondern auch dort, wo Schiller, der Dichter, geboren wurde. In Württemberg. Im Forum von Wein-Plus wurde ich schon vor einiger Zeit belehrt, dass das mit der Exklusivität von Chur ein Irrtum sei. Württemberg beanspruche genauso das Recht, den Schiller-Wein als Spezialität zu hegen und pflegen, nicht nur den Trollinger. Schiller, ein roséfarbener Wein, den man aus einem Gemisch von weißen und roten Trauben herstellt, die noch vor der Maische vermengt und die aus der selben Parzelle (Weinberg) geerntet werden. Doch der Name „Schiller” - für einen Wein - ist so exklusiv auch wieder nicht. Die im Weingebiet von Württemberg naheliegende hübsche Verbindung zum Dichter Friedrich Schiller ist nicht belegt und unwahrscheinlich. Der Name wird viel eher - wie man mich belehrt hat - vom althochdeutschen Wort schihlen abgeleitet, das sowohl „schielen”, als auch „in mehreren Farben schillern” bedeutet. Jede Illusion wurde mir damit genommen. „Wohl perlet im Glase der purpurne Wein, wohl glänzen die Augen der Gäste, es zeigt sich der Sänger, er tritt herein, zu dem Guten bringt er das Beste, denn ohne die Leier im himmlischen Saal, ist die Freude gemein auch beim Nektarmahl.”
Den Namen des Weins hingegen darf Chur, das heute noch Bischofssitz ist, für sich in Anspruch nehmen. Die Chorherren des Churer Stifts sollen - wenn die Überlieferung stimmt - diesen edlen Tropfen jeweils nach dem Abendgebet, dem Completorium, genossen haben. So wurde daraus der Completer.
Als mich kürzlich zwei bekannte Winzer im württembergischen Bönnigheim und Fellbach ihre „württembergische Spezialität” mit Namen Schiller degustieren ließen, da musste ich klein beigeben. Auch in Württemberg gibt es den Schiller, nicht nur den Dichter, auch den Wein. Das schweizerische Chur hat da keine Chance. Ihm bleibt als weltweite Exklusivität nur noch der weiße Completer, gewonnen aus der ältesten Rebsorte Graubündens, auch „Malanser” genannt. Eigentlich stammt auch sie nicht aus Chur, sondern aus Malans, einer Gemeinde rund 17 Kilometer rheinabwärts. Die Traube des Completers wurde nämlich im Jahr 926 in Malans zum ersten Mal urkundlich erwähnt. Dort wird sie auch heute noch angebaut und zu einem speziellen Weisswein verarbeitet, zu einem leicht nussigen Süsswein, der an Quitten und Orangenblüten erinnert und eine ganz spezielle, ja eigenartige Säure aufweist. Wie (fast) alles Exklusive, wird diese autochthone Rebe inzwischen auch in den Kantonen Zürich und im Tessin angebaut, insgesamt aber nicht viel mehr als 2 Hektaren in der ganzen Schweiz, davon ca. 1,7 im Kanton Graubünden.
Doch der Name „Schiller” - für einen Wein - ist so exklusiv auch wieder nicht. Die im Weingebiet von Württemberg naheliegende hübsche Verbindung zum Dichter Friedrich Schiller ist nicht belegt und unwahrschein-lich. Der Name wird viel eher - wie man mich belehrt hat - vom althochdeutschen Wort schihlen abgeleitet, das sowohl „schielen”, als auch „in mehreren Farben schillern” bedeutet. Jede Illusion wurde mir damit genommen. „Wohl perlet im Glase der purpurne Wein, wohl glänzen die Augen der Gäste, es zeigt sich der Sänger, er tritt herein, zu dem Guten bringt er das Beste, denn ohne die Leier im himmlischen Saal, ist die Freude gemein auch beim Nektarmahl.”
Was ich so gerne Friedrich Schiller, dem Autor dieser Verse, zugedacht hätte, ist einfach ein lachsrot schillernder Wein, der in Österreich im „Schilcher” einen weiteren Verwandten hat. „Schiller” ist eben ein „Rotling” (wie prosaisch!), der nicht nur in der Schweiz und in Württemberg, inzwischen auch in Baden, in Sachsen und was weiss ich noch wo gekeltert wird.
Dies beflügelt schon eher meine Phantasie. Zwei Flaschen stehen auf dem Tisch. Es ist sommerlich warm, ich habe soeben meinen Garten gepflegt, schwitzend, körperlich müde, und ich träume von einem frischen, fruchtigen Tropfen. Meine Wahl: zwei Schiller-Weine, der eine aus Chur, der andere aus Württemberg. Beide sind das, was man gemeinhin „süffig” nennt, leicht adstringierend, mit schöner Beeren-Nase. Der Deutsche beeriger als der Schweizer: Quitten, Himbeeren, Erdbeeren. Aber auch viel, viel süsser. Die fehlende Säure macht ihn „lampig”, auch etwas beliebig. Doch der feine Duft meines Gartens scheint in die flüchtigen Aromen des Weins eingekehrt zu sein. Der Schweizer ist kräftiger, muskulöser, 14 Prozent Alkohol-Volumen, warm im Abgang, im Vergleich zu Rosés aber saftiger, mit einem intensiven Holundergelee-Aroma, deutlich weniger Restsüße als der Württemberger. Er kann sich auch im Gaumen behaupten, steht weit über der Aromatik eines leichten Roten, vor allem, weil er seine Eigenständigkeit bewahrt.
Mit einem Mal verliert der Name an Bedeutung und Herkunftskram wird unwichtig. Auch der „Schiller” im Glas kann ein Fürst sein, ein Weinfürst, stolz, spendabel, weder üppig noch streng, aber dem Genuss zugetan. Meine Weinfreunde rümpfen die Nase: eben nur ein Rosé, den brauchen wir nicht! Weiss oder rot soll er sein, nicht rötlich. Der Ruf des kleinen Fürsten verfällt, sein Reich ist klein, schmal, in der Weinwelt unbedeutend. Ich aber höre seine rein klingenden, schmeichelnden Töne, Botschaften der Natur. Nicht aufgedunsen wie so mancher Rote, nicht zugeschliffen wie viele Weiße. Eigentlich ein Zufallsprodukt, aus einer Zeit, als im Weinberg noch häufig rote und weiße Trauben zusammen aufgezogen und zusammen gekeltert wurden. Fürsten sind eben noch keine Könige oder Kaiser. Doch sie sind weit näher bei ihrem Volk.
Herzlich Ihr/Euer
Peter (Züllig)
27.10.2014
„Scheiden tut weh“, sagt man. Mann oder Frau haben gar nicht so unrecht. Jede Veränderung enthält beides, das Alte, das abstirbt, weggeht, meist auch bald in der Vergessenheit versinkt. Und das Neue, das man zuerst erfahren, kennenlernen muss, an das man sich wohl auch rasch gewöhnt. Warum soll es mir und dieser – meiner – Kolumne anders ergehen? Es ist die letzte, die ich bei Wein-Plus schreibe, schreiben kann, schreiben darf. Das Magazin – so wie es sich heute präsentiert – wird verschlankt, abgespeckt, aufs Kerngeschäft getrimmt.
13. Oktober .2014
„Scheiden tut weh“, sagt man. Mann oder Frau haben gar nicht so unrecht. Jede Veränderung enthält beides, das Alte, das abstirbt, weggeht, meist auch bald in der Vergessenheit versinkt.
Und das Neue, das man zuerst erfahren, kennenlernen muss, an das man sich wohl auch rasch gewöhnt. Warum soll es mir und dieser – meiner – Kolumne anders ergehen? Es ist die letzte, die
ich bei Wein-Plus schreibe, schreiben kann, schreiben darf. Das Magazin – so wie es sich heute präsentiert – wird verschlankt, abgespeckt, aufs Kerngeschäft getrimmt. Vor nahezu neun
Jahren – am 6. Dezember 2005 – habe ich die erste Kolumne geschrieben und von da an alle 14 Tage ein neues Thema aufgegriffen. 226 sind es geworden. Alle subjektiv, sehr subjektiv, aus
der Sicht eines Weinliebhabers, eines Sammlers, eines Umtriebigen in Sachen Wein.
13. Oktober .2014
29. Oktober .2014
Da saß ich in einem kleinen, gepflegten Restaurant in einem Fremdenverkehrsort im südfranzösischen Weingebiet. Ich war allein und wollte am Mittag einen kleinen Imbiss einnehmen. Die Speisekarte: vielfältig, gebietsspezifisch, attraktiv; die Weinkarte beschränkt auf wenige „offene Weine“, Hausweine sozusagen. Gerade richtig zum kleinen Mahl: „Un quart de rouge en pichet“ (was so viel bedeutet wie: ein „Viertele“, bitte). Das „Viertele“ wurde aufgetischt, doch – der Wein war so gut wie ungenießbar. Nicht nur, dass er ein nichtssagender, billiger Massenwein war, er wurde auch viel zu kalt (offensichtlich direkt aus dem Kühlschrank) serviert, und war bereits oxidiert. Das soll ein „Hauswein“ sein? Normalerweise folgt da ein Disput mit der Wirtin oder dem Wirt. Diesmal aber bin ich tief ins Grübeln versunken, verärgert, deprimiert, ohne jegliches Verständnis, denn das gleiche passierte mir schon öfters, auch an Orten, wo Wein zur zentralen Gastro-Kultur gehört.
15. September .2014
Es ist nicht ganz leicht, das Einfache gut zu finden, das ganz Gewöhnliche, das Alltägliche, und erst noch glücklich zu sein, wenn wir es gefunden zu haben. Wir haben es längst aus unserem Leben verbannt, suchen das Außerordentliche, das Einmalige, das Besondere und merken nicht, dass das Besondere inzwischen auch alltäglich, zumindest gewöhnlich geworden ist. Diese Lebenserfahrung – sie mag noch so altklug anmuten – trifft auch bei der Suche nach den besten, den außerordentlichsten Weinen zu. Da sitze ich bei herrlichstem Herbstwetter auf der Terrasse eines Schlosses, das längst zum Museum geworden ist. Vor mir steht ein Glas Wein, weiter unten liegt ein kleiner Schlossrebberg, der in den letzten Jahren wieder angelegt wurde. Kein Renditegarten, vielmehr eine Reminiszenz an die Zeiten, in der Wein in die Gegend gekommen ist. Doch alles wird dominiert von einer offenen Landschaft, in der sich Dörfer und Weiler dicht aneinander schmiegen und waldige Hügel den Horizont begrenzen. Darüber der blaue, leicht in Dunst getauchte Himmel. Wieder kommt mir in den Sinn: „Wein trinken an schönen Orten“, und ich ergänze spontan: „guten Wein trinken an schönen Orten“.
Es ist bei weitem nicht die einzige Weinstraße in der guten „alten Weinwelt“. Es gibt sie fast überall, wo Reben wachsen, Winzer wohnen und ihre Weine anbieten. Doch kaum eine andere Weinstraße ist so kompakt und einheitlich, so faszinierend und ursprünglich wie der fast 170 Kilometer lange Zickzack-Parcours durch das Elsass. Es ist eine Welt für sich: „Awer d Elsasser sìn stolz ìwer ìhra Region un gann sìch zwàr Miahj fer ìmmer prima Frànzeesch z'reda“, historisch hin und her gerissen zwischen Deutschland und Frankreich, voll von Traditionen, vielen kleinen Weinstädtchen und Weindörfern und mehr als hundert Weinbaugemeinden. In den engen Gassen zwischen den Fachwerkhäusern wähnt man sich oft im Mittelalter, wäre da nicht der Touristenstrom, der sich wie eine Lawine über so manche Orte ergießt und vieles, das eigentlich Kultur oder Kulturgeschichte wäre, rasch und gründlich in ein Disneyland wandelt. Selbst Käthe Wohlfahrt, die „Rothenburger Weihnachtswerkstatt“, hat sich hier eingenistet.
Die benediktinischen Regeln wurden vor bald 1.500 Jahren im Kloster Montecassino von Abt Benedikt von Nursia geschrieben. Es sind 73 Kapitel, die das Leben der Mönche zur Zeit der auslaufenden Spätantike bis ins Detail bestimmen. Das Werk wurde im Laufe der Jahrhunderte im gesamten Abendland zur maßgebenden Mönchsregel, nach der sich die meisten Orden ausgerichtet haben, bis heute. Oft und gern zitiert wird das Kapitel 40, das unter anderem festhält: „...jeder Mensch hat seine Gnadengabe von Gott, der eine so, der andere so... mit Rücksicht auf die Bedürfnisse der Schwachen meinen wir, dass für jeden unserer Gemeinschaft täglich eine Hemina Wein genügt.“ Es taucht natürlich die Frage auf: Wie groß ist denn eine „Hemina“? Das zuverlässige Glossar von Wein-Plus.eu definiert: „Hemina = 0,274 Liter, altes Rom, Bechermenge.“ Doch das Maß der Hemina hat sich immer wieder verändert, vor allem dort, wo sie bis heute zur Tischtradition gehört, in vielen Klöstern.
04. August .2014
Es gibt immer mehr Wein in der Welt, und es wird – laut Statistik – in vielen Ländern immer weniger Wein getrunken. Allein in der Schweiz ist der Weinkonsum seit der Jahrtausendwende von knapp 45 auf 34 Liter pro Kopf der Bevölkerung zurückgegangen, das sind immerhin rund 20 Prozent in 14 Jahren. Dabei liegt die Schweiz in Bezug auf das Weintrinken noch „gut im Rennen“, an dritter oder vierter Stelle (berücksichtigt man den Vatikan mit 70 Litern und Island mit 53 Litern pro Kopf in der Statistik nicht). Selbst das Weinland Frankreich jammert. Jährlich geht hier der Weinkonsum um zwei bis drei Prozent zurück, das aber auf höchstem Level (etwa 50 Liter pro Kopf der Bevölkerung). Deutschland liegt – mit knapp 25 Litern Pro-Kopf-Verbrauch – weit zurück. Sogar weltweit geht der Weinkonsum – trotz Boom in Schwellenländern und im Fernen Osten – jährlich um rund zwei Prozent zurück. Der Weinhandel kann also kein blühendes Wachstumsfeld sein.
Sie haben es nicht geschafft bei der Fußball-Weltmeisterschaft, nur Vizeweltmeister, nur Silber. Was ist das schon, wo doch ausschließlich Gold zählt? Argentinien todtraurig, Deutschland
himmelhochjauchzend. So ist der Sport. Für mich – als mäßiger bis rarer Sportkonsument – hat die Welt der Sportemotionen eine andere Ebene, eine vorherrschende Ebene. Weil ich zu jedem Spiel ein
gutes Glas Wein trinke – sonst schlafe ich in der Regel ein – versuche ich, passende Weine aufzutreiben, meist etwas aus dem Land der im Augenblick agierenden Spieler. Das war einst noch einfach:
Frankreich, Italien, Spanien, Portugal... Bei dieser Weltmeisterschaft sind sie aber schon früh ausgestiegen. So blieben mir für das Finale nur der Riesling und argentinische Weine.
Einmal im Jahr verliert der Wein – jedenfalls für mich – jede Sinnlichkeit, nämlich dann, wenn das statistische Amt seine Zahlen, Vergleiche, Tabellen und Kreuztabellierungen zum Wein veröffentlicht. Da wird auch meine gute Flasche zur rein statistischen Größe, zum winzigen Anteil an den 273 Millionen Litern Wein, die in der Schweiz jährlich getrunken werden; statistisch ist also meine Flasche zu vernachlässigen. Ich selber (als Weintrinker) mutiere zum anonymen Konsumenten, der im Jahr (durchschnittlich) 353 Gläser Wein trinkt. In solchen Momenten bedauere ich, all meine getrunkenen Gläser nicht gezählt zu haben, dann wüsste ich jetzt wenigstens, ob ich ein durchschnittlicher, ein überdurchschnittlicher oder gar ein unterdurchschnittlicher Weinkonsument bin. Ich vermute, in diesem speziellen Fall bin ich wohl überdurchschnittlich. Allein heute Abend, jetzt, wo ich diese Kolumne schreibe, werden es wohl zwei, drei Gläser sein. In einem Jahr schreibe ich etwa 25 Kolumnen, dies macht also 75 Gläser, da ist schon fast ein Viertel meines statistischen Wein-Guthabens aufgebraucht, denn der Schweizer (und natürlich auch die Schweizerin) trinkt im Jahr – statistisch – durchschnittlich 34 Liter..
Flugzeug in Zürich gelandet, „Fasten your seat belts“ erlischt, Grabschen nach dem Gepäck, Gemurmel, Gedränge, da richtet sich – über zwei, drei Sitzreihen hinweg – eine Frage an mich: „Wo haben Sie dieses T-Shirt gekauft?“ Zuerst verstehe ich nicht, was der Fremde – er spricht Englisch – meint. Dann: Natürlich, ich trage ja noch das T-Shirt mit der Aufschrift „Cederberg, wines with altitude 1036“, gekauft auf einem Weingut in Südafrika, das auf einer Höhe von rund 1.000 Meter über Meer liegt. Bisher hatte mich noch niemand auf das T-Shirt bzw. auf seinen Aufdruck angesprochen. In Südafrika kennt man das Weingut, weiß von der Einmaligkeit in Bezug auf die Lage, als auch auf seine Weine. Wenn ich überlege, was auf mich auf meiner Südafrika-Reise, die über Südafrika hinaus bis ins Okavango-Delta und an die Victoriafälle führte, am meisten Eindruck gemacht hat, dann sind es die berühmten Wasserfälle in Simbabwe und die Zederberge (englisch: Cederberg; afrikaans: Cedarberg) in Südafrika, ein Naturschutzgebiet rund 200 Kilometer nördlich von Kapstadt. Da wird – man glaubt es kaum – auch Wein gemacht, inmitten von bizarren Steinformationen. Und: auch noch ausgezeichneter Wein!
10.06.2014
Für uns liegt es wirklich in weiter Ferne: etwa 10.000 Kilometer entfernt, das Weinland ganz im Süden Afrikas, wo die Seefahrer einst Halt gemacht haben, auf ihrem langen Schiffsweg nach und von Indien. Hier haben sie sich nicht nur mit Proviant eingedeckt, auch mit Wasser und noch viel lieber mit Wein. Wein, der seit dem 17. Jahrhundert auch hier gekeltert wird, eingeführt vom Schiffsarzt, Kaufmann und Expeditionsleiter Jan van Riebeeck, der die ersten Reben aus Frankreich kommen ließ und 1659 hier den ersten Wein kelterte. Doch das ist Historie, 355 Jahre alte Geschichte, die nachzuschlagen ist, in jedem guten Weinlexikon. Viel interessanter ist hingegen der Stellenwert, welchen die Weine aus Südafrika – nach vielem Auf und Ab – heute haben. Meist werden sie zur „neuen“ Weinwelt gezählt, was stilistisch durchaus stimmen mag, historisch gesehen aber falsch ist.
26. Mai.2014
Wenn bei einer Weinveranstaltung im deutschsprachigen Zürich nur Französisch gesprochen wird, dann ist mit einiger Sicherheit Bordeaux zu Besuch. Denn nur die Repräsentanten der „berühmtesten Weinregion der Welt“ können es sich leisten, – dort, wo viel Geld zu Hause ist – die eigene Sprache zu sprechen, allenfalls – gnädigst – ins Business-Englisch zu wechseln. Es klingt dann etwa so: „70% Merlot, 10% Cabernet Sauvignon, 10% Cabernet Franc, 10% Petit Verdot“ – soweit ist das in allen Sprachen zu verstehen – und dann, fast litaneiähnlich: „...The palate is medium-bodied with mulberry and dark plum fruit intermingling with Chinese tea and a touch of cloves...“ Jetzt aber unbedingt eine ernste Miene aufsetzen, ja nicht widersprechen (oder gar neue Aromen herausspüren); viel besser ist es, das allerbeste Schulfranzösisch hervorzukratzen, tief ins Glas zu schauen und andächtig zu nicken, sonst wird man mit einem Schwall „Français“ überschüttet. So geht es von Tisch zu Tisch, von Château zu Château. Ein Ritual eben…
12.05.2014
Das Pilgern von Weingut zu Weingut ist zum Sport vieler Weinliebhaber geworden. Man möchte schließlich wissen, wo die Lieblinge herkommen, die man im Keller lagert; man möchte das Gelände kennenlernen, wo sie aufgewachsen sind, ihr Mutterhaus besuchen. Ich rede da nicht von den Kontakt- und Einkaufstouren der Weinhändler und -vermittler, für sie gehören Winzerbesuche zum Geschäft, zum Beruf. Ich rede auch nicht vom Verkauf der Weine direkt ab Hof, der vor allem für kleinere Weingüter (ohne großes eigenes Vertriebssystem) wichtig, ja, notwendig ist, um leben (oft auch überleben) zu können. Ich denke da an die ritualisierten Prozessionen zu den bekanntesten Namen und Größen in allen prestigeträchtigen Weinregionen. Bordeaux mit seinen repräsentativen Châteaux dient wohl als Vorbild. Da gehört – seit Jahrhunderten – das Zeigen von Erfolg und Wohlstand zum Geschäft mit dem Wein. Dagegen ist eigentlich nichts einzuwenden. Auch der Wein darf ein prunkvolles, ein historisch interessantes, ein schönes, oft auch ein ruhmreiches Zuhause haben.
Beim Rundgang durch das Weingut Groot Constantia in Kapstadt taucht die naheliegende Frage erstmals auf: Warum besuche ich gerade dieses Weingut zuerst? Natürlich, es liegt in Stadtnähe, ist mit dem Touristenbus einfach zu erreichen, bietet täglich Verkostungen an, hat einen guten Namen und, und, und… Es gibt sicher viele Gründe, zumal der Wein vom südafrikanischen Weinguru John Platter auch ordentlich gelobt wird. Doch die beiden Nachbargüter Klein Constantia und Buitenverwachting sind genauso berühmt, zwar weit kleiner (und einst aus Groot Constantia hervorgegangen), aber sie produzieren genau so gute Weine, mitunter sogar bessere. Stellenbosch, wo es mindestens zwanzig, dreißig Weingüter von Weltklasse gibt, liegt nicht weit entfernt (ca. 30 Kilometer) und ist ebenfalls gut zu erreichen. Doch Groot Constantia hat etwas, was viele Weingüter nicht haben: eine Jahrhunderte alte Geschichte. Es war das erste Weingut in Südafrika.
31. März 2014
Noch nie habe ich – in den sieben Jahren meiner Kolumne – über den Korken und seine Probleme geschrieben. Nicht, weil ich das leidige Problem nicht kenne, es verschweigen oder gar negieren möchte. Doch der verbissene, ja, leidenschaftliche Kampf, der emotionale Feldzug gegen den Naturkorken hat mich über Jahre genervt. Da wollte ich etwas über einen Wein wissen und musste mir zuerst lange Tiraden anhören, wie schädlich der Korken für einen Wein sein kann. Ich las in Weinforen bald mehr über den Bösewicht Kork als über die Güte des Weins. Als dann eine von mir geschätzte Weinzeitschrift bei einer Bordeaux-Verkostung „Zehn Jahre danach“ unendlich viel über die Korken und nur ganz wenig über den Wein schrieb, da bin ich in die „innere Emigration“ gegangen. Ich habe mich zwar geärgert, wenn bei mir ein Korkschmecker auftauchte und ich einen Wein dem Ausguss überlassen musste. Doch ich habe es – vor allem bei alten Weinen – unter „pp = persönliches Pech“ (so die Bezeichnung in einem Forum) abgebucht.
17. März 2014
Dekantieren, Karaffieren, Präsentieren, Dekorieren – Begriffe, die Weinliebhaber mitunter in Rage bringen. Dabei geht es auch – aber nicht nur – um den richtigen Umgang mit dem Wein. Soll er in der Flasche auf den Tisch kommen oder in einer Karaffe (die auch ein Dekanter sein kann)? Zumindest das Dekantieren und Karaffieren wird mit der richtigen Weinpflege begründet und endet nicht selten in einem unversöhnlichen „Glaubenskrieg“. Die eine Frage: „Wie viel Luft braucht der Wein?“ Dazu gesellen sich die guten, besonders aber auch die unguten Erfahrungen: Ein Wein hat sich – an der Luft – wunderbar entfaltet, oder – weit häufiger in Erinnerung – er ist in kürzester Zeit zusammengebrochen, hat sich aufgelöst in eine braune, oxydierte, untrinkbare Sauce. Die andere Frage: „Muss ein allfälliger Bodensatz überhaupt vom Wein getrennt, das heißt dekantiert werden?“ Gibt es den Bodensatz (und allfällige Schwebstoffe) bei modernen, meist jung getrunkenen Weinen noch? Braucht es die rituelle Kerze, die beim Dekantieren den Wein durchleuchtet?
Man spricht oft und gern von den Traumpaaren bei den Promis in der Glitzerwelt. Berühmt müssen sie sein und strahlend schön. Gefunden haben sie sich meist im Scheinwerferlicht, das die Berühmtheiten ja ständig begleitet, kommen sie aus Film, Sport, Mode, Kunst, Theater, Fernsehen und, und, und... Superstar liiert sich mit Superstar: Wenn das kein Stoff für eine ans Herz greifende Lovestory ist. Dann aber so oft und rasch wieder das Aus. Eine Trennung nach ein paar Monaten, wenn es gut geht, nach ein paar Jahren. „Sie haben sich auseinander gelebt, sind eigene Wege gegangen“, vermelden die People-Magazine. Wenn es ganz dick kommt, beginnt dann sogar ein Rosenkrieg, wer hat wen betrogen, wer profitiert wie viel von einer Verbindung, die in Brüche gegangen ist?
Auch beim Genuss gibt es offensichtlich Traumpaare. Eines davon: Wein und Schokolade, oder Schokolade und Wein. „In Kombination mit Schokolade wird Wein zum Sinne anregenden Erlebnis“, titelt ein Konsumentenmagazin. Es mag wohl „ein Erlebnis“ sein, aber noch lange keine Hochzeit oder gar langandauernde, gut funktionierende Ehe.
17. Februar 2014
Sieg oder Niederlage:
Das Momentum
Es ist Olympiade, eine kurze Zeit der Sportdominanz. Das Fernsehprogramm läuft auch bei mir auf Hochtouren, und das, obwohl ich mich nicht als Sportfan bezeichnen würde. Jedenfalls hält sich meine Beschäftigung mit dem Sport und die Begeisterung dafür in engen Grenzen. Vor allem die Dauerberieselung mit Superlativen bereitet mir Mühe, gerade bei der Olympia-Berichterstattung. Doch dann – in ganz bestimmten Momenten – brechen auch bei mir die Dämme: Ich freue mich, ich ärgere mich, da kann ich die (Sport-)Welt gut verstehen oder nicht mehr verstehen, und – in ganz emotionalen Augenblicken – bin ich sogar versucht, Ratschläge und Anleitungen zu geben, als ob ich es besser machen könnte. „Emotionen“, sagt soeben der Sportkommentator, „sind das, was der Sport uns geben kann!“ Und immer wieder fällt der Begriff „Momentum“. Ja, das Momentum – so scheint mir – entscheidet an einer Olympiade, an der so viel Können, Erfahrung, Übung, Einsatz, Leistung, Ehrgeiz zusammen kommen, letztlich über Sieg und Niederlage. Dies erinnert mich unglaublich stark – man verzeihe mir den Vergleich – an Situationen in der Weinszene. Zum Beispiel: Nur Weine, die Emotionen auslösen, sind wirklich gut. Oder: Wer erhält die begehrten hundert Punkte der Jury (meist selbsternannt und oft nur aus einer Person bestehend), und wer gar ist unter den Hundertpunktern der Beste?
Noch nie habe ich in so kurzer Zeit so viele mit Gold und Silber bekränzte Weine getrunken. Dabei war ich während zwei, drei Wochen „nur“ auf der Suche nach einfachen, aber guten Alltagsweinen; Weinen, die um 7 bis 10 Euro kosten. Es ist das obere Segment des durchschnittlichen Weintrinkers, der seine Weine meist im Shop oder gar beim Discounter kauft. Mein Ausflug führte mich also nicht zu jenen Weinhandlungen, in denen die prestigeträchtigsten Weinregionen vertreten sind, wo man längst nicht mehr von Gold und Silber spricht, viel eher von den (zu) hohen Preisen. Die Weine brauchen da keine Silber- und Goldbestätigungen, sie sind selber preislich längst versilbert und vergoldet. Doch das alte Volks- und Studentenlied „Gold und Silber lieb ich sehr…“ ist gar nicht so unrealistisch, jedenfalls so, wie es weiter geht: „…könnt ich gut gebrauchen, hätt ich doch ein ganzes Meer, mich hinein zu tauchen…“ Inzwischen bin ich der Überzeugung: Dieses Meer von Gold und Silber gibt es längst, auch in der Weinszene. Anders ist es nicht möglich, dass zwei von drei Weinen, die ich auf meiner Suche nach weniger bekannten Namen, Weingütern und Weinen gesucht und getrunken habe, zumindest Silber, oft sogar Gold vorzuweisen hatten.
„Sind Sie ratlos, was Sie Ihren Lieben schenken wollen? Für alle ideenlosen Wei(h)nachtsmänner und -frauen hat XY ein paar originelle Wein-Geschenke gesucht und gefunden.“ Die Festtage sind wieder vorbei, das rituelle Weihnachtsschenken ist überstanden, der Geschenkemarathon abgeschlossen. Die Weine, die wir erhalten haben, sind bereits getrunken, im Keller versorgt oder sie stehen (schon fast verloren) irgendwo herum. Schenken ist Glückssache, denken viele und verzichten (zumindest an Weihnachten) darauf. Andere ereifern sich in verschiedenen Foren über den Sinn des Schenkens und die Unmöglichkeit, den Geschmack eines andern zu erraten. Immer wieder taucht da auch die Frage auf: „Eignet sich eine Flasche Wein als Geschenk?“ Ganz bestimmt sogar, behaupten natürlich die Weinhändler und liefern gleich eine Begründung: „Mit einem sehr guten Wein kann man Weinliebhabern und Kennern Freude bereiten.“ Anders das Urteil in einem Blog: „Schenken Sie nie Wein an Weihnachten, der eignet sich zum Trinken, aber nicht zum Schenken.“
Immer, wenn wir ins Dorf durften, gingen wir daran vorbei: an den „Drei Königen“, der altehrwürdigen Wirtschaft im kleinen Hauptort des Kantons, wo unsere Schule – ein Internat – gestanden hat. Beides gibt es so nicht mehr: weder das Internat, aus dem eine staatliche Schule geworden ist, noch die „Drei Könige“, wo die Gastronomie längst aufgegeben wurde. Unrentabel. Nur die Bushaltestelle, unmittelbar vor dem Haus, hat den Namen behalten: „Drei Könige“. Im „Engel“, in der Wirtschaft schräg vis-à-vis, trifft man sich jetzt, zum Früh- oder Spätschoppen oder auch zwischendurch. Die „Drei Könige“ haben – nicht nur hier – ihre Anziehungskraft verloren. „Engel“ mögen vielleicht noch locken, verlocken, aber „Drei Könige“ sind hoffnungslos veraltet, verstaubt, haben abgewirtschaftet. Da ziehen schon eher „Aura“, „Blue Monkey“, „Bohemia“, „Cheyenne“, „Coco Grill“, „Clouds“ etc. die Kundschaft an. Dabei waren es „Die drei Könige“, die mich – unter anderem – zum Wein gebracht haben. Ob sie je heilig waren, weiß ich nicht, für mich jedenfalls waren sie etwas Besonderes.
Morgen also ist Heiliger Abend. Weihnachten sozusagen. Als Kind hat man mich vertröstet: „Nur noch einmal schlafen, dann...“ Ja, dann kommt der Weihnachtsmann. Nein, zu meiner Zeit war er noch ein Kind, das „Christkind“, das unter den Weihnachtsbaum seine Geschenke gelegt hat. Rasch habe ich festgestellt, es war nie genau das, was ich mir gewünscht, mit wackligen Buchstaben aufgeschrieben und vors Fenster gelegt habe. Meine Erfahrung: Der Weihnachtsmann, das Christkind oder wer auch immer, sie können nicht gut lesen oder sie verstehen die kindlichen Wünsche nicht. Diese sozusagen „Urerfahrung“ ist bis heute geblieben. Ich möchte einen guten Wein, der zu mir und zum Weihnachtsfest – wie ich es begehe – passt.
Nein, früher war nicht alles besser. Im Gegenteil: Die Weine aus dem Bordelais waren sehr oft gar nicht bordeauxwürdig, auch von Jahr zu Jahr recht unterschiedlich, nicht nur im Preis, auch in der Qualität. Heute überrollt uns Bordeaux mit konstant guten, hochwertigen und oft nach wenigen Jahren schon trinkbaren Weinen, bei denen man den Jahrgangsunterschied nur schwer feststellen kann, zumindest bei den Fassproben. Bordeaux zu subskribieren hat seinen Lotto-Charakter verloren. Man weiß recht gut, was man hat und was man bekommt. Überraschungen sind selten. Für die kleinen Player und Spekulierer ist Bordeaux uninteressant geworden. Was früher für jeden (noch so kleinen) Bordeaux-Keller notwendig und interessant war, nämlich die richtige Auswahl, der Kauf zur richtigen Zeit, eine gute Nase für sich gut entwickelnde Weine, das alles ist nur noch im Höchstsegment gefragt. Und auch da sind es die Namen und nicht die Weine, die das Geschäft dominieren.
Es sind Tage der Besinnung, im grauen, nebligen Spätherbst. Sie regen an, nach innen zu schauen, vielleicht auch in die Seele eines Weinliebhabers. Nicht umsonst gibt es eine Reihe von herrlichen
Herbstgedichten – Lyrik, so ihre literarische Kategorie –, in denen der Wein einen wichtigen Platz einnimmt, als Sinnbild für den Abschied, für das Werden und Vergehen, aber auch für die Reife
und Vollendung in der Frucht. Rainer Maria Rilke – ich stand kürzlich wieder an seinem Grab an der Südseite der Kirche, hoch oben in Raron (Wallis) mit Blick weit über das Tal – kann nicht mehr
sehen, was er einst gesehen hat. Aber die Lebenden können es sehen, ihnen begegnet er noch heute in dem, was er wundervoll geformt und gereimt hat.
Zweihundertmal habe ich bisher in dieser Kolumne meine Gedanken über Wein festgehalten und dabei kaum ein Thema ausgelassen, das (auch nur im Entferntesten) mit Wein zu tun hat. Dabei gibt es ein Wort, das ich wohl am häufigsten verwendet, aber noch nie zum zentralen Thema gemacht habe: der Genuss und all die Begriffe, die mit dem Genießen zusammenhängen. „Genießen ist etwas Positives. Schließt man die Augen und denkt an etwas Schönes, Genussvolles, fängt die Seele an zu schwingen,“ sagt der Psychologe und Genussforscher Rainer Lutz (Universität Marburg). Wie beschreibt man aber eine „schwingende Seele“? Ich weiß es nicht. Wohl deshalb habe ich es bisher dabei bewenden lassen, immer wieder vom Genussgefühl zu reden, und stillschweigend vorausgesetzt, dass alle Kolumnen-Leserinnen und -Leser wissen, was mit Genießen gemeint ist. Wissen sie es wirklich? Besser noch: Weiß denn ich es überhaupt? Oder ist es ein gefühltes Wohlergehen, das sich nur erleben, nicht aber (oder kaum) beschreiben lässt?
Ein riesiger Stapel von Artikeln, Meldungen, Statistiken, Reportagen und Bewertungen, gesammelt während der letzten zehn Jahre, wartet in einer staubig gewordenen Ecke meines Büros auf den Tag seiner Wiederbeachtung. Niemand darf darin wühlen, ja nicht einmal sich ihm nähern, zu groß ist die Gefahr, dass etwas daraus verschwinden könnte. Jedenfalls behaupte ich das immer dann, wenn sich ihm auch nur ein Staublappen – geschweige denn jemand aus der Familie – nähert. Eine typische Journalistenallüre – geboren in einer Zeit, in der es kein Internet gab und googeln ein sinnloser Begriff war. Ab und zu (immer seltener) stolpere ich doch über den Stapel, zum Beispiel heute, als ich just über den Zeitungen – hoch oben im Gestell – nach einem Buch greifen wollte. Das ging nur, wenn ich den Stapel zuerst wegräumte. Dabei bin ich zufällig auf einen Artikel gestoßen – er lag wohl zuoberst – der verkündet: „VINUM kürt die Aufsteigertrauben – Kulturrevolution“. Revolution, ein Signaleffekt, ich lese weiter: „Cabernet Sauvignon, Pinot Noir, Chardonnay... Ist Ihnen auch so langweilig?“ Tatsächlich, mir ist sehr oft langweilig ob der immer gleichen Diskussionen über die bekannten Edelsorten unter den Reben. Anlass genug, im Stapel weiter zu wühlen.
14. Oktober 2013
Ab und zu muss man zurückkehren zu seinen eigenen Wurzeln, vielleicht auch um sich selber zu beweisen, dass man nicht immer nur ein Getriebener ist, sondern durchaus auch treiben kann. Meine beruflichen Wurzeln liegen nicht beim Wein, sondern in der Kommunikation, genauer gesagt, in der audio-visuellen Vermittlung von journalistischen Inhalten. Liest sich etwas kompliziert, ist aber nichts anderes als das, was man bisher mit Fernsehschaffen bezeichnet hat. Ich war ein Berufsleben lang Fernsehjournalist, später zusätzlich Dozent an der Universität für Bild- und Tongestaltung. Kein Wunder, dass mich Fernsehsendungen über Weine und Winzer ganz besonders interessieren. Wein und Fernsehen, zwei Bereiche, die in einem ganz entscheidenden Punkt verwandt sind: in ihrem emotionalen Gehalt. Wein ist nicht einfach ein Getränk, das mehr oder weniger schmeckt, und in Bild und Ton können nicht nur Informationen verbreitet werden, immer werden auch – ob beim Wein oder beim Fernsehen – Emotionen geweckt, ob man will oder nicht.
30. September 2013
Die Schweiz zählt knapp acht Millionen Einwohner, davon 6,5 Millionen Menschen im weintrinkenden Alter (ab 18 Jahren), und (gemäß Verbandsstatistik) gut 300 Weinhändler. Es mögen auch einige mehr sein. Man sagt sogar, die Schweiz sei das weinhändlerreichste Land der Welt, dazu habe ich aber keine verlässlichen Zahlen gefunden. Bleiben wir bei den Fakten: Auf 20.000 Menschen kommt – statistisch gesehen – ein Weinhändler, eine Weinhändlerin. Gehen wir davon aus, das nur ein Viertel davon (mehr als gelegentlich) Wein trinkt, dann gibt es für 5.000 Menschen eine Weinhandlung. Ziehen wir nun noch in Betracht, dass ein großer Teil (Schätzungen sprechen gar von 60 Prozent) des Weins von Grossisten, Lebensmittelgeschäften und Discountern sowie (eine neue Entwicklung) im Internet-Versandhandel abgesetzt wird, dann bleibt für den Weinhandel „alter Schule“ nur noch wenig übrig. Oft zu wenig, um zu überleben. Mich ergreift schon fast das Erbarmen.
16. September 2013
Die Schweiz zählt knapp acht Millionen Einwohner, davon 6,5 Millionen Menschen im weintrinkenden Alter (ab 18 Jahren), und (gemäß Verbandsstatistik) gut 300 Weinhändler. Es mögen auch einige mehr sein. Man sagt sogar, die Schweiz sei das weinhändlerreichste Land der Welt, dazu habe ich aber keine verlässlichen Zahlen gefunden. Bleiben wir bei den Fakten: Auf 20.000 Menschen kommt – statistisch gesehen – ein Weinhändler, eine Weinhändlerin. Gehen wir davon aus, das nur ein Viertel davon (mehr als gelegentlich) Wein trinkt, dann gibt es für 5.000 Menschen eine Weinhandlung. Ziehen wir nun noch in Betracht, dass ein großer Teil (Schätzungen sprechen gar von 60 Prozent) des Weins von Grossisten, Lebensmittelgeschäften und Discountern sowie (eine neue Entwicklung) im Internet-Versandhandel abgesetzt wird, dann bleibt für den Weinhandel „alter Schule“ nur noch wenig übrig. Oft zu wenig, um zu überleben. Mich ergreift schon fast das Erbarmen.
02. September 2013
Zugegeben, man fährt nicht wegen des Weins in die Auvergne. Da locken schon eher kulinarisch die ganz speziellen Käse, die feinen Schinken, die frischen Gemüse und natürlich all die Spezialitäten wie Truffade, Aligot, Lentilles aux saucisses fumées oder die Clafoutis und süßen Piquenchagnes. Aber Weine? Bisher habe ich noch nie einen Wein aus der Auvergne getrunken, kenne weder Weingüter noch ihre Namen. Dabei wurden die Weine einst am königlichen Hof serviert, von Päpsten hoch geschätzt, ja, sie gehörten zu den angesehensten Weinen Frankreichs. Auch hier beginnt die Wein-Historie – wie in fast allen Weingebieten Europas – mit den alten Römern, die einst den Wein in die Auvergne brachten, begünstigt durch die schiffbaren Flüsse und die Hanglagen der längst erloschenen Vulkane. Noch vor hundert Jahren standen hier drei-, fünf-, ja, zehnmal so viele Reben wie heute. Heute muss man sie schon fast suchen.
Es gibt viele Gründe, sich ernsthaft mit österreichischen Weinen zu befassen: ihr wiedererlangter guter Ruf, die hohe Qualität, die verlockenden Preise. Für mich ist es nicht zuletzt auch der Umstand, dass meine Frau den Blauen Zweigelt liebt, und der ist nun mal ein Österreicher. Einige Versuche der Annäherung liegen hinter mir, doch immer wieder habe ich sie abgebrochen, bin auf halbem Weg stehen geblieben und „weiß (jetzt), dass ich (noch) nichts weiß“. Ein Geständnis, dass mir zwar schwer fällt, denn in der Welt der Weine darf man – so meine Erfahrung – nicht „nichtwissen“, sofern man seine eigene Weinkompetenz nicht aufs Spiel setzen will. So ganz total ist mein Nichtwissen allerdings auch wieder nicht. Koal, ein österreichisches Urgestein in Sachen Weinkompetenz, hat mich während gut vier Stunden auf der ProWein durch die Wunderwelt der österreichischen Weine geführt, mit Halt nur bei den Besten der Besten. Nach gut zehn Weingütern und dreißig Weinen war ich vom österreichischen Wein überzeugt, aber gleichzeitig auch so müde, dass die Überzeugung in mir keine Wurzeln schlagen konnte. Doch seither weiß ich, dass der geballte Marktauftritt der österreichischen Weinwirtschaft bewundernswert ist. Davon können wir Schweizer nur träumen. Viel mehr als diese Erkenntnis und ein paar klingende Namen sind bei mir (in Sachen österreichische Weine) nicht hängen geblieben. (weiterlesen mit Mitgliedschaft)
05. August 2013
Genossenschaften
Seit frühester Kindheit hat sich in mir ein Bild festgesetzt: ein zusammengeschnürtes Bündel Holz, in der Mitte eine Axt – das Wappen des Kantons, in dem ich aufgewachsen bin. Symbolträchtig wie Wappenzeichen oft sind: Vereint ist man stark. ln der Schule ging es mit ähnlichen Symbolen und Botschaften weiter: die drei Mannen, die auf dem Rütli geschworen haben, sich beizustehen in Not und Gefahr und so die Eidgenossenschaft gegründet haben: „Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern!“ Doch schon bald hat sich das Bild verändert, nicht nur im Geschichtsunterricht. Der Held tauchte auf, der Einzelgänger, der das Leben meistert, dessen Taten bewundert werden. Er setzt Maßstäbe und ersetzt die Gemeinschaft. Der Gedanke des Zusammenschlusses in so vielen Bereichen des Lebens – eigentlich der Genossenschaftsgedanke – gerät immer mehr in Misskredit. Besonders deutlich zu erleben in der Landwirtschaft, auch im Weinbau. Da haben Genossenschaften – zumindest in den letzten Jahrzehnten – den Ruf der gemeinsamen Größe und Kraft verloren. Der Held ist jetzt der Winzer, das Weingut, das den besten Wein macht. (weiterlesen mit Mitgliedschaft)
Wenn Plinius der Ältere für einen Beweis herhalten muss, läuten bei mir alle Alarmglocken: Wo immer man nicht ganz sicher ist und über Zeiten rätselt, die 2000 und mehr Jahre zurückliegen, wird der Gelehrte, Feldherr und Verwaltungsbeamte aus der Zeit um Christi Geburt – oder zu Beginn unserer Zeitrechnung – zitiert. So soll auch er die ersten Hinweise auf besonders gute Weine aus dem Gebiet des heutigen Piemont geliefert haben. Nun – wer so viel über damaliges Weinwissen im umfassenden Werk „Naturalis Historia“ zusammengetragen hat, hat sicher auch zum Wein aus dem Piemont, dem Nebbiolo, etwas beizutragen. Und zitatfähig ist Plinius alleweil, hat er doch (wenn es stimmt) auch das Lieblingszitat vieler Weinliebhaber geprägt: „In Vino veritas“ („Im Wein liegt die Wahrheit“). Schon lange wollte ich aber wissen, ob ich die „Wahrheit“ eines guten Weins auch im Nebbiolo finden kann.
10. Juni 2013
27. Mai 2013
Gefunden auf dem Flohmarkt oder in der Brockenstube (im Gebrauchtwarenladen): ein schmuckes blaues Einsteckalbum, wie neu, ohne Fotos, dafür bestückt mit Weinetiketten. Ein Freund hat es aufgestöbert und mir mitgebracht, „weil ich mich ja für Weine interessiere“, sagt er. Meine Frau motzt: „Nein, das nicht auch noch, du hast genug Sammlungen!“ Tatsächlich, auf das Ablösen von Weinetiketten habe ich verzichtet. Keinen neuen Ballast mehr, das Haus ist bereits gefüllt mit Sammelgut: Bücher, Kunstkataloge, Kugelschreiber, Weihnachtskrippen... und natürlich Weine. Ich stelle mir vor, das alles landet einmal auch im Brockenhaus, die Weine natürlich nicht, sie werden getrunken – von mir – und nach mir wohl verkauft. Der Rest ist aber so gut wie unverkäuflich. Sammelgut eben.
13. Mai 2013
„Eine Weinmesse ist eine Weinmesse ist eine Weinmesse“ (und natürlich keine Rose, wie Gertrude Stein es einst formulierte). Es gibt sie zwar, auch die Weinmesse, in Hunderten von Variationen; doch im Wesen ist sie immer gleich: Da präsentieren sich Winzer, werden Weine verkostet, Gespräche geführt, ein buntes Publikum zieht vorbei, an den Ständen, den Slogans, den Objekten, die allein dazu da sind, Aufmerksamkeit zu erregen. Die Badische Weinmesse ist nur eine von ihnen, eine verhältnismäßig kleine, doch längst nicht die kleinste. „Probieren, Entdecken, Genießen, Vergleichen“, postuliert der Präsident des Badischen Weinbauverbands. Ein utopisches Ziel, angesichts der zwei Messetage, der vielen Besucher, der meist dicht belagerten Stände?
29. April 2013
Süss, süsser, am süssesten:
Süssweine
Süßweine kommen auch beim Weinliebhaber nur selten ins Glas und wenn, dann meist am Schluss einer üppigen Mahlzeit; wenn es darum geht, dem Käse standzuhalten oder dem „Bleu“ (Blauschimmelkäse) eine ideale Weinbegleitung zu geben. Dabei sind sie weltberühmt und werden hochgelobt, die Süßen: edelsüße Rieslinge, Eisweine, Sauternes, Monbazillac, Vin Santo, Recioto, Tokajer... bis hin zu den Portweinen und Sherrys. Dessertweine eben, sozusagen eine Nachspeise. Es sei denn – dies ist längst kein Geheimtipp mehr – man sucht den idealen Wein-Begleiter zu Foie Gras, zur Stopfleber. Doch wer will sich diese Delikatesse heute noch häufig leisten? Moralische und finanzielle Gründe sprechen dagegen. Und die weit verbreitete Meinung, zur süßen Nachspeise gehöre auch ein süßer Wein, ist als nützliche Legende längst entlarvt.
Der Titel ist eine Provokation, ich weiß es, doch er stimmt. Wer von den Weinen des Bordelais spricht, denkt an die zwei-, dreihundert Châteaux, die Bordeaux „zum Himmel des Weins“ (Mahagoni-Magazin) gemacht haben, wo „Weinkenner schnell ins Schwärmen geraten“ und – so ist zu befürchten – auch rasch den Verstand verlieren. Eine einzige Flasche Wein, die hundert, ja tausend und mehr Euro kostet, muss ja ein Göttertrunk sein. Das suggeriert die gängige Wirtschaftsordnung unserer Welt.
02. April 2013
„Es gibt sehr wenige Weine, die ich nicht mag, und nur einen, von dem ich immer gesagt habe, dass ich ihn hasse.“ Dies schreibt Lettie Teaque auf der wöchentlichen Seite „Eating and Drinking“ im amerikanischen „Wall Street Journal“. Bis heute wagte ich es nicht, in aller Öffentlichkeit zu erklären, dass ich den Pinotage – ganz im Gegensatz zur amerikanischen Fachfrau – richtig gern habe, ja, liebe. Ich habe mich vor dem vernichtenden Urteil der Weinliebhaber gefürchtet: Banause. Bin ich wirklich ein Wein-Banause, nur weil ich den schlechten Ruf eines Weins nicht weiterplappere, ja, sogar gestehe, dass ich richtig Spaß habe an einem Wein, der nach „Sprühfarben und angebrannten Reifen“ duften soll und der nach Jancis Robinson (Oxford Weinlexikon) einen bananenähnlichen Geruch verströmt (flüchtige Ester)?
18. März 2013
Wine, der kein Wein ist:
Das Besondere
Eigentlich ist alles klar: „Nur ein Getränk, das von Früchten der Weinrebe stammt, darf die Handelsbezeichnung Wein (ohne weitere Erklärung) tragen.“ Und doch gibt es viele spezielle Weine , die gemäß dieser Definition keine Weine sein dürfen und doch fast immer als „Wein“ bezeichnet werden. Für uns wohl am geläufigsten ist der Apfelwein, in China habe ich den Reiswein kennengelernt und jetzt in Kambodscha den Palmwein. Er ist sogar Kambodschas „inoffizielles“ Nationalgetränk und wird mit aller Selbstverständlichkeit als „Wein“ bezeichnet, Fruchtwein eben, um genau zu sein. In Vietnam – wo Reben wachsen – sind es vor allem die Maulbeeren, die in den Wein „geraten“. Und das steht in den meisten Fällen nicht einmal auf der Flasche oder nur im Kleingedruckten.
Der Begriff Indochina darf kaum mehr verwendet werden. Gemeint ist das einstige Kolonialreich Frankreichs: Laos, Vietnam und Kambodscha. Das sind heute drei selbständige Staaten, jedes Jahr bereist von Millionen Touristen. Auch ich war dort – bin soeben zurückgekehrt, den Jetlag noch in den Knochen. Und schon werde ich gefragt: Wie ist es denn mit dem Wein? Da kommt mir ein Witz in den Sinn, der seit Jahren zirkuliert, der sich aber auf ein ganz anderes Land bezieht: „Reisen Sie ruhig nach Polen, Ihr Auto ist schon dort!“ So habe ich – weinmäßig – Vietnam und Kambodscha erlebt. Weine aus Weinländern sind längst schon da, in jedem Restaurant, auf allen Getränkekarten, in allen Regalen, wo Lebensmittel verkauft werden. Die drei Länder haben weinmäßig aufgerüstet, sie sind es den Touristen schuldig. Auf unserem Schiff – sieben Tage auf dem Mekong – wurde bei jedem Essen Wein ausgeschenkt, à la discrétion, im Preis inbegriffen, ein roter und ein weißer, aus der Karaffe. Es sei ein einheimischer Wein, sagte man mir. Doch ich glaubte das nicht. Die Etiketten durfte ich nie sehen. Bei meinen Recherchen drang ich nicht bis zur beschrifteten Quelle vor. Doch ich bin überzeugt, es musste irgendein Händlerwein (aus einem Stahlfass oder einer Box) sein, importiert aus Australien oder Chile.
18. März 2013
Virtuelle Weinwelt:
Eine reale Reise
Das Internet schafft Nähe, es schafft aber auch Distanz; Distanz zu der Wirklichkeit. Worte, Bilder, Gedanken durchpflügen die Welt, als wäre diese geschrumpft zu einem Tennisball oder noch weit
weniger. Zwar hat die Entwicklung schon vor gut 150 Jahren begonnen, mit dem Telegrafen, gefolgt von Telefon, Rundfunk, Fernsehen und eben Internet. Man hat gelernt, miteinander virtuell zu
kommunizieren. Schritt für Schritt sind sie gefallen, die Grenzen von Raum und Zeit. Das Motto heute: Immer sichtbar, immer erreichbar, immer präsent sein, aber möglichst nicht real! Eigentlich
eine Horrorvorstellung, doch sie ist bereits Alltag und (Hand aufs Herz) bequem. Wir haben uns längst gewöhnt an die fast unbeschränkte Mobilität von Wort und Bild. Sie ersetzen nur allzu oft
jede physische Wirklichkeit. Doch plötzlich tauchen wieder Grenzen wieder auf, spätestens, wenn es darum geht, Materie zu verschieben. Zum Beispiel einen Wein – vom Produzenten in das Glas
des Konsumenten, in mein Glas zum Beispiel.
Das ist nicht etwa Chinesisch, vielmehr ein mundartliches Idiom im schweizerischen Walliser-Deutsch, das etwa für „Unheimlich gut!“ steht. In Zusammenhang mit Wein hat es der Begriff sogar bis in die Schlagzeilen der Boulevardpresse gebracht. „Hüeru güet – Walliser Tropfen schaffts in die Weinbibel“. Tatsächlich wurde zum ersten Mal ein Wein aus dem Kanton Wallis in Parkers “The Wine Advocate” aufgenommen. Also höchste Zeit, diese Kolumne, die ich längst geschrieben, aber nie weggeschickt habe, zu veröffentlichen. Doch ich schicke sie auch heute nicht so weg, wie ich sie vor gut sieben Jahren in meinem Archiv – mit der futuristischen Nummer 201 – begraben habe. Damals war ich gerade bei Kolumne Nummer drei angelangt, heute ist es die 179ste.
21. Januar 2013
Wenn es im Glas funkelt, von Purpur bis Granatrot, von Zitronen- bis Goldgelb, dann öffnet sich – leider nicht immer – ein Weinhimmel, mit einem Firmament voll von nahen und fernen Sternen. Es sind oft Miniplaneten, die man so gerne erkunden würde. Jedenfalls geht es mir immer wieder so. Beschreibungen des Weins, Punkte, Namen des Winzers, des Weinguts, der Rebsorte – all dies genügt mir nicht (immer). Ich würde so gerne die Mikrowelt kennen lernen, in der gute Weine entstehen. Nicht einfach eine Region kennen lernen, eine Appellation, ein Gebiet, wo eben viele Reben wachsen, vielmehr die Landschaft, die Dörfer und Weiler, die Menschen mit ihrem Alltag, ihrer Kultur und Geschichte.
22. Dezember 2012
Adventwein:
"Heisse Rebe"
„Man nehme Nelken und zerstosse sie im Mörser. Giesse schwarzen Tee darüber und lasse ihn ziehen. Rotwein in einem Topf erhitzen. Zitrone und Orange auspressen und dazugeben. Fruchtfleisch mitverwenden. Tee dazu geben und fast zum Kochen bringen. Mit Honig süssen.“ Ein Rezept, das ich immer hervorhole, wenn es kalt wird draussen und die Nacht schon früh den Tag besiegt, Zeit der kommenden Festtage, Zeit vor Weihnachten. Es ist nur eines von mehr als 500 Rezepten, die ich auf Anhieb im Internet gefunden habe. Sie gleichen sich zwar, setzen aber immer wieder andere, neue Akzente. Da gibt es zum Beispiel Kirschsaft, Holunderbeeren, Zimtstangen, Anissterne, Vanilleschoten, Kardamom gemahlen und, und, und auch Wein. Es ist fast nicht zu glauben, was da alles zugefügt werden kann und darf.
10. Dezember 2012
Nur der Begriff ist importiert, nicht die Sache an sich. Food Pairing, wörtlich ins Deutsche übersetzt: Essenspaarung. Mit wem paart sich das Essen wohl? Natürlich – Weinliebhaber wissen oder ahnen es – mit Wein. In vielen Wein-Beschreibungen wird etwa angefügt: „... passt zu Trüffel, großen Fleischgerichten, Wild und gereiftem Käse“, oder „... zu Tapas, Gemüsegerichten, Fisch, hellem Fleisch, kalten Platten“ usw. Varianten gibt es (fast) so viele, wie es Weine gibt. Allerdings ist die Palette von Gerichten viel, viel kleiner als jene der Weine. Deshalb wiederholen sich die Empfehlungen so oft: „zu Fleisch vom Grill, Rind- und Lammfleischgerichten, Halbhart- und Hartkäse“ – „zu gebratenem Fleisch wie Steaks, Grilladen oder Rindsbraten, auch zu Käse“ – „zu Wildbret, Ente, Fleischgerichten und Käse“ – „hervorragend als perfekter Begleiter zu Eintöpfen und herzhaften Wildgerichten“. Irgendwie – ich gebe es zu – ist mir das alles suspekt. Wer oder was passt zu wem? Kann es da wirklich so pauschale Empfehlungen geben? Werden dadurch nicht einfach Gewohnheiten zementiert?
Sogar Superdiscounter Aldi hat es erkannt: „Wein ist Genuss- und Lebensmittel, Alltags- und Luxusgetränk. Wein ist so unterschiedlich wie die Menschen, die ihn machen, wie die Böden, auf denen er wächst, und wie die Rebsorten, aus denen er produziert wird...“ Eigentlich keine neue Erkenntnis – nur ein Werbespruch? Oder doch mehr? Weintrinkerinnen und Weintrinker haben eine Erfahrung längst gemacht: „Jeder Wein ist individuell und hat seinen eigenen Charakter.“ (Aldi-Zitat) Und jeder „wahre“ Weinliebhaber schwört auf bestimmte Anbaugebiete, Länder, Rebsorten, Winzer... Da gibt es Fraktionen: die Syrah-Liebhaber, die Pinot-Noiristen, die Bordeauxaner, die Vernarrten in Riesling, die Südafrikaner, Kalifornier, Barossaner und, und, und...
Von Trüffeln zum Wein
Anlass: zwei Reisen ins Périgord. Wir waren im Sommer dort, unsere Freunde jetzt, und sie sind soeben zurückgekehrt. Gelockt hat uns alle Bruno, Chef de Police, die Romanfigur des schottischen Schriftstellers Martin Walker, der seit Jahren im Tal der Vézère zu Hause ist. Seine vier Kriminalromane – im Diogenes-Verlag erschienen – kreisen immer wieder um die Lustbarkeiten des Essens und Trinkens: Trüffel, Foie gras, Monbazillac, Pécharmant... Delikatessen eben. Wenn uns schon Bruno Courrèges – oder Martin Walker – verführt hat, seine Romanwelt zu suchen, dann muss das, was wir gefunden haben, auch zu Hause ausgebreitet werden. Es sind nicht nur Erinnerungen, Eindrücke, Erlebnisse – es sind auch Delikatessen. So entwickelt sich ein Abend von angeregten Gesprächen über das Essen zum Wein, von Saint-Denis (Fantasieort des Autors) bis Saint-Émilion. Alles war da, was Bruno charakterisiert und den Büchern von Walker die Titel gab: „Grand Cru“, „Schwarze Diamanten“, „Delikatessen“, ja, selbst „Bruno, Chef de Police“, war dabei – zumindest die gefundenen Spuren.
29. Oktober 2012
Saale-Unstrut:
Vor 25 Jahren war noch alles ganz anders
Niemand sagt es, jeder denkt es, im Kopf ist sie aber noch da, die Grenze zu Ostdeutschland. Zwar werden die drei in Ungnade gefallenen Buchstaben DDR – wo immer möglich – vermieden und damit alles, was einst damit verbunden war, verdrängt. Selbst auf einem geführten Stadtrundgang durch Naumburg schrumpfen die Jahre zwischen 1945 und 1989 zusammen, fast schon zum Nichts. Nur Hinterhöfe, Baulücken und leer stehende Häuser deuten an, dass hier vor kurzer Zeit vieles noch ganz anders war. Das gilt auch für den Weinbau, dem es zwar heute nicht schlecht geht, der aber – im Vergleich zu deutschen Vorzeige-Weingebieten wie die Mosel, Pfalz, Rheingau etc. und ihren Starwinzern – abseits stehen muss, zumindest in den Köpfen vieler deutscher Weinliebhaber, ja, eigentlich in der deutschen Weinszene noch nicht richtig angekommen ist. Schade!
15. Oktober 2012
Wein ist zum Trinken da, aber auch zum Lagern, zum Besitzen, sogar zum Spekulieren. Denn nicht nur der Wein kann sich verändern, auch seine Preise tun es – sie steigen und fallen und steigen und fallen… Vor allem bei jenen Weinen, die gelagert werden können, ja, sogar müssen, vor allem weil sie – im besten Fall – sich über die Jahre entwickeln, reifen, immer besser werden. Selbst wenn sie ihren Höhepunkt überschritten haben, bleiben sie oft Monumente der Weinkultur, nicht selten auch Prestigeobjekte, die zu besitzen für viele eine Ehre und daher erstrebenswert ist. Ein gut angelegter, gepflegter Weinkeller kann ein Tresor sein, eine Schatzkammer, in der Kapital in Form von Flaschen eingelagert ist.
„Ein Pfirsich ist nicht ein Pfirsich, ist nicht ein Pfirsich“:
Ja, es gibt so etwas wie eine „Weinsprache“, das ist unbestritten. Doch gibt es auch eine einheitliche Sprache, eine „Lehrmeinung“ dazu? Da beginnen meine ernsthaften Zweifel. Nach Durchsicht von Hunderten von Weinbesprechungen – von den vielleicht zehn bekanntesten (und anerkanntesten) Weinkritikern – muss ich feststellen: Es gibt sie nur zum Teil, vielleicht zur Hälfte. „Eine Fachsprache im Bereich Wein gibt es schon seit über 150 Jahren. Vielleicht liest du halt auch mal den Peynaud, das wäre förderlich“, belehrt mich ein guter Freund und Weinfachmann, den ich sehr schätze, gerade weil er mir viel über Wein beigebracht hat. „Die Hohe Schule für Weinkenner“ von Emile Peynaud steht schon lange in meinem Bücherregal, ob der Inhalt auch in meinem Kopf angekommen ist, müssen andere beurteilen. Ich glaube schon!
Weinstraßen:
Rund um Bergerac
Weinstraßen sind Pilgerwege der Weinliebhaber. Anders als die Sankt-Jakobswege führen sie nicht zu einem bestimmten Ziel und nur selten zu einem genau definierten Pilgerort. Das Lebensmotto so vieler orientierungsloser Zeitgenossen – „der Weg ist das Ziel“ – wird hier für einmal konkret formuliert, nicht spirituell ausgedeutet, wie es (spätestens) seit Konfuzius bei so vielen Heilsbringern üblich ist. Der Weg, das sind hier die Rebberge, Landschaften, Weingüter, die historischen Zeugen, Reben, der Boden, der Wein. Der „Pilgerweg“, den ich „ohne Erbsen in den Schuhen“ kürzlich gegangen bin, führt durchs Périgord.
Foie gras, Trüffel und Wein:
Es ist Bruno, der Chef de Police, der mich ins Périgord lockt. Nach Saint-Denis, eine ländliche Gemeinde an der Vézère, mit knapp 3.000 Einwohnern, kurz vor der Einmündung des Flusses in die weit größere Dordogne. Hier lebt Bruno Courrèges, Landpolizist, dem Bürgermeister direkt unterstellt, verantwortlich für das friedliche Zusammenleben im Dorf: Verkehrsregelung, Kontrollen auf dem Markt, Organisation von Gedenkfeiern und anderen meist patriotischen Anlässen; er achtet auf das Einhalten der Parkordnung, kämpft mal gegen einen kleineren Brand, bringt verlorene Hunde zurück und registriert Geburten und Todesfälle. Kurzum: Bruno ist eine Respektsperson, zugleich aber auch echter „Freund und Helfer“.
20. August 2012
Bordeaux 2011:
Katerstimmung
Man spricht nicht gern von ihr, möchte sie nicht wahrhaben, versucht sie zu verstecken: die Katerstimmung am Tag danach. Und trotzdem: Es gibt sie, nach fast jedem Übermaß, auch im Bereich des Weins. „Erste Hilfe bei Katerstimmung“ wird mir da angeboten, man glaubt es nicht, ausgerechnet von der österreichischen Website „kirchenweb.at“. Ich lese unter vielen guten Ratschlägen: „Manchmal hilft es, schon am Abend vor dem Schlafengehen präventiv ein Kopfschmerzmittel zu nehmen.“ Bisher hat mir die Kirche immer nur empfohlen, jedem Übermass mit der „Tugend der Bescheidenheit“ zu begegnen. Doch diese Tugend wurde längst verbannt, wo immer es um Konsum geht. Da bestimmt weiterhin das Übermaß den Kurs.
Hülle und Fülle:
Flasche leer
Es sind vier Jahre her, seit Giovanni Trapattoni – der erfolgreiche italienische Fußballtrainer – der „leeren Flasche“ zum Kultstatus verholfen hat: „Was erlauben Strunz, ... ware’ schwach wie eine Flasche leer... ich habe fertig!“ Seither wird die „leere Flasche“ in allen möglichen (und unmöglichen) Situationen als Zitat verwendet. Dabei ist beim Wein die Hülle – in der Regel ist es eben eine Flasche – von tragender Bedeutung. Sie prägt das Image des Weins, ist aufgrund des unerlässlichen Verschlusses Anlass zu den hitzigsten Diskussionen, ja, zu eigentlichen Glaubenskriegen, und schließlich ist sie – versehen mit einem Etikett – auch Statussymbol.
Tradition und Moderne:
Begegnung im Languedoc
Bourdic, ein kleines, südfranzösisches Dorf. Etwas verschlafen, abseits des Touristenstroms. Es liegt nicht einmal im Kerngebiet des Weins, auch da etwas abseits der bekannten Appellationen, im Département Gard, zehn Kilometer südöstlich von Uzès, dem mittelalterlichen Städtchen mit seinem Herzogenpalais, der pittoresken Altstadt und seinen Herrenhäusern aus der Renaissance. Bourdic hat etwa 300 Einwohner, zwar noch einen Bahnhof, doch da fahren seit 72 Jahren keine Züge mehr.
09. Juli 2012
Fröhlich, leicht, beschwingt:
Sommerwein
Die Zeit, in der selbst standhafte Rotweintrinker zum Äußersten schreiten und zum Weißen greifen, ist da, lange schon angekündigt durch massive Werbung: „Der ideale Sommerwein“ oder „So schmeckt der Sommer“ oder – immer häufiger – in englischer Sprache: „Summer in the City“.
Link zum besprochenen Lied "Sommerwein" (Original)
An der Überschrift ist so ziemlich alles falsch: Es ist nicht „mein“ Weinberg, es sind nur die Reben, die ich seit fast fünf Jahren in mein Herz geschlossen habe, weil sie am Wegrand
liegen, nahe bei meinem Zuhause in Südfrankreich. Oft fahre ich da vorbei, halte an und beobachte, wie sie sich entwickeln.
07. Juni 2012
Heimat in der grossen Weinwelt:
Authentizität
Es ist mir aufgefallen, dass ich in meiner Kolumne und bei Weinbeschreibungen in der letzten Zeit immer wieder den Begriff „authentisch“ verwendet habe und zwar in allen nur denkbaren Umschreibungen und Varianten: glaubwürdig, sicher, untrüglich, echt, verlässlich, zuverlässig, verbürgt, unverfälscht, ungekünstelt, charakteristisch, eigentlich, natürlich, nicht imitiert, originell… Warum wohl?
Auf was habe ich mich da eingelassen? Auf einen Begriff, der so schwammig ist wie Pfifferlinge (die in Österreich auch „Schwammerl“ heißen) und die trotzdem genussvoll sind. Wenn wir schon von Begriffen und ihrer Bedeutung reden – auch der Wert des Pfifferlings wird missachtet, wenn man etwa sagt: „Das ist keinen Pfifferling wert!“ Kehren wir zurück zu unserem Begriff, dem Naturwein. Auch er ist für viele „keinen Pfifferling wert“ und trotzdem etwas, das Gemüter bewegt, das zu Diskussionen Anlass gibt, das Wein-Glaubenskriege auslösen kann.
Es ist eine Reise in die Vergangenheit, gut hundert Jahre zurück, in die Zeit der „Belle Époque“, in die Zeit des Übergangs zum 20. Jahrhundert. Man war stolz auf neue Bahnhöfe, die aus Eisen gebaut wurden und oft aussahen wie riesige Kathedralen. Zugfahren gehörte noch zum Luxus. „Sie (Katherine) kehrte in ihren eigenen Wagen zurück. Fünf Minuten später verlangsamte der Zug sein Tempo. Man hörte das lange, klagende Zischen der Westinghousebremse. Gleich darauf fuhr der Zug in den Lyoner Hauptbahnhof ein“, so eine Schlüsselstelle im Kriminalroman „The Mistery of the Blue Train“ von Agatha Christie, geschrieben 1928. Und gleich wird der legendäre Hercule Poirot zum Einsatz kommen.
28. Februar 2012
Weine, die zum Winter passen:
Gefühlsweine
Nun hat der Winter Europa doch noch fest in den Griff genommen: Kälte, Eis und Schnee bis in die Niederungen. Nicht nur warme Stuben, auch warme Getränke sind gefragt, mit und ohne Alkohol: Grog, Tee, Punsch, ja, selbst der Glühwein hat die Weihnachtstage überlebt. Wärme wird gesucht. Auch beim Wein? Tatsächlich stellt sich die Frage: Was trinkt der Weinliebhaber im Winter, wenn es draußen kalt ist und der Schnee liegen bleibt? Wein ist ein Kind der Sonne und nicht der Kälte.
06.02.2012
Zwei deutsche in der Schweiz:
Riesling, Pinot Noir & Co.
Natürlich waren es mehr als zwei; etwa 60 oder gar 80 waren es, Winzerinnen und Winzer, die ihre Weine in Zürich vorgestellt haben, allen voran ihre Rieslinge. Da dürfen sie
stolz sein und sie wissen auch, dass es in der Schweiz Vergleichbares nicht gibt, zumindest nicht Rieslinge in dieser Vielfalt und Qualität. Hier dominiert der Chasselas (aus der Westschweiz). Er
bestimmt weitgehend die Vorstellung, wie ein Weißer zu sein hat. Rieslinge sind hier Fremde, zumal in der Ostschweiz bei den weißen Rebsorten der Müller-Thurgau dominiert.
Es gibt kaum einen andern Begriff, der so populär und gleichzeitig so ideologisch belastet ist wie das Wort „Heimat“. Man versucht deshalb auch immer wieder wenigstens das belastete Wort zu ersetzen, zum Beispiel durch „Lebenswelten“ oder „Zuhausesein“. Viele haben den Begriff sogar aus ihrem Wortschatz gestrichen, den Inhalt kann aber niemand wegstreichen, vor allem nicht, seit ein fast noch populärerer Begriff aufgetaucht ist: „Globalisierung“. Heimat als Gegenpol zur Globalisierung? Reduzieren wir doch diese fast schon philosophische Frage auf den Bereich, der uns hier interessiert: Wein. Gibt es so etwas wie eine Weinheimat?
09. Januar 2012
Bilanz ziehen:
Erinnerungen
Wieder ist ein Jahr vorbei! Ich bin um ein Jahr älter geworden, meine Weine im Keller auch. Den einen tut das gut, den andern weniger. Es ist auch wieder einmal Zeit, Bilanz zu ziehen. Abzurechnen mit dem, was ein Jahr gebracht hat oder nicht, Soll und Haben. In einer Weinkolumne natürlich auf Wein bezogen. Soeben läuten die Glocken, zwei Minuten lang, Frühläuten, es ist sechs Uhr am Morgen. Die einen ärgern sich, Schlafstörung, andere freut es: Tradition in einem einstigen Bauerndorf, das zur Agglomerationsgemeinde wurde.
19. Dezember 2011
Der perfekte Weihnachtswein:
Sprachbarrieren
Er hat mir keine Ruhe gelassen, der perfekte Weihnachtswein. Ins Spiel gebracht hat ihn ein fleißiger Schreiber im Forum von Wein-Plus. Einfach so, wohl zu verstehen als Auszeichnung oder Werturteil, als Anpreisung oder sprachliche Hilflosigkeit. Man kann es drehen und wenden, wie man will. Der „perfekte Weihnachtswein“ bleibt eine Fiktion, womöglich sogar eine schöne, genüssliche.
12. Deztember 2011
Wein als Handelsware:
Auktion
„Geboten sind fünftausendneunhundert für eine Flasche Côte de Nuits Grand Cru 1976 der Domaine Romanée-Conti... zum Ersten... zum Zweiten und – sechstausend sind geboten... zum Ersten... zum Zweiten... und zum Dritten! Lot 609 geht an Nummer 245.“ Sechs Stunden sitze ich in der zweiten Reihe, bis auch das Lot 1096 ausgerufen ist. Es hat keinen Käufer gefunden. Auch die schrittweise Senkung des Ausrufpreises (holländisches Versteigern) – bis hinunter auf 10 Franken – hat kein Gebot gebracht. Kehrausstimmung, die Schlacht ist geschlagen. In den vergangenen sechs Stunden wurde viel Geld umgesetzt. Mehrere hunderttausend Franken, gar eine Million, ich habe nicht nachgerechnet. Jedenfalls war es weniger als bei den letzten Auktionen. Das Geschäft stockt, es geht nicht mehr so flott voran.
28.11.2011
Russisches Roulette:
Altweine
Es ist ein Glücksspiel, das tödlich enden kann. Die Chancen stehen eins zu … (je nach Revolver). Doch hier geht es nicht um Menschen, es geht um Weine, die vielleicht – bei schlechtem Ausgang – als „Leichen“ entsorgt werden müssen. Die Spieler selber bleiben gesund – aber nicht immer ganz munter. Und trotzdem wird das Spiel immer wieder gespielt. Der Einsatz ist ab und zu hoch, so hoch, dass er auch schmerzen kann.
14. November 2011
Im Norden Italiens:
Piemont
Jenseits der Schweizer Grenze, im Süden, weit vor Genua, beginnt das Piemont. Es ist Trüffelzeit. Alba, die Trüffelstadt, scheint von Schweizern besetzt. Jedenfalls hört man auf dem riesigen Markt, der während Tagen die Innenstadt belegt, weit häufiger Schweizerdeutsch als Italienisch. Der Wein muss für ein paar Wochen den weißen und schwarzen Kostbarkeiten aus piemontesischer Erde Platz machen: den Trüffeln.
30. Oktober 2011
Die Chinesen kommen:
Wein für die Elite
Eigentlich bin ich stolz auf meinen Freund Beat, der die Entwicklung des „Weinlands“ China schon früh vorausgesehen hat. Er organisierte vor vier Jahren – mit Hilfe der chinesischen Botschaft – eine der ersten exklusiven Weinreisen von Weinfreunden in das „Land der Mitte“. Es war keine Geschäftsreise, denn wir wollten nichts verkaufen, auch keinen Wein. Wir wollten uns einfach zeigen lassen, wie China jetzt langsam, aber mit viel Energie und Kraft in die weltweite Weinszene einsteigt. Wir wurden empfangen von Önologen, Managern und Behörden. Seither bin ich überzeugt: Die Chinesen kommen!
11. Oktober 2011
Wo der Chasselas wächst:
Das Lavaux
Ahhh… ohhh... uhhh“, hört man im Zug, wenn man bei schönem Wetter von Fribourg nach Lausanne fährt. Ausgelöst wird dieses Staunen und Bewundern durch das Panorama, das sich bietet, wenn man vor Chexbres den kurzen Bahn-Tunnel verlässt. Man ist plötzlich mitten im wohl schönsten Weingebiet der Schweiz, im Lavaux, wo der Chasselas zu Hause ist. Dieser Region – seit 2007 UNESCO-Welterbe – hat nun die Schweizer Post eine Sonderbriefmarke gewidmet.
29. September 2011
Weingebiete in Deutschland:
Pensionistenreise
19.09.2011
Ca change vite le temps:
Unterwegs
Es ist kein Winzer, sondern ein Fischer, der uns lakonisch die wichtigste Wetterregel für die Region am Atlantik erklärt: „Es wechselt schnell, das Wetter“. Gleichzeitig
drückt der Satz auch ein Stück Lebensweisheit aus. Etwa: „Die Zeiten ändern sich rasch!“ Dies gilt auch für die Weingebiete an der Loire. Je näher beim Atlantik, spätestens ab Nantes, trifft
diese Wetterregel fast immer zu ...
30.08.2011
Wo Châteaux stehen:
Wer ins Tal der Loire fährt, möchte Châteaux sehen. Châteaux sind in diesem Fall richtige Schlösser, Prachtbauten vorwiegend aus der Zeit der Renaissance. Der Weinliebhaber hat sich aber längst an die Doppelbedeutung des Wortes Château gewöhnt, das nicht nur ein Schloss sein kann, sondern auch ein Weingut. Nirgendwo in Frankreich begegnen sich die beiden Châteaux so häufig wie an der Loire. Wobei die Châteaux, in denen Weine gemacht werden, weit weniger Menschen anlocken als die Königsschlösser von Blois, Amboise, Chaumont-sur-Loire, Chambord und wie sie alle heißen.
17.08.2011
Aromen im Wein:
Holz
Mitten im Holz bin ich aufgewachsen. Mein Großvater war Zimmermann. Unser Haus hat er selber gebaut. Vor meinem Zimmerfenster eine Sägerei, hinter dem Haus das Holzlager des letzten Wagners, ein paar Schritte entfernt: die Werkstadt des Küfers. Für mich war schon immer ganz klar: Häuser werden vom Zimmermann gebaut, Räder vom Wagner und Weine ruhen in Holzfässern. Ist dies heute noch so? Oder sind es nur noch Überbleibsel einer längst verschwundenen Welt?