15. März 2020
Zu diesem Archiv
In der Zeit vom 06. Dezember 2004 bis 27. Oktober 2014 habe ich auf den Internet-Portal "Wein-Plus.eu" 226 Kolumnen geschrieben. Am Anfang noch kurz, fast ohne Bilder. Das Portal war 2004 noch in dern Anfängen, hervorgegangen aus dem "Weinforum Wein-Plus", der ersten und grössten Plattform für Weinliebhaber auf der ausführlich diskutiert und auch "gestritten" wurde. Das Magazin war ein Teil dieses Forums. Für diese Rubrik schrieb ich die ersten Kolumnen. Später - im Lauf der Jahre - wurde alles viel professioneller und auch kommerzieller. Die Weinwirtschaft - und nicht mehr nur "Weinliebhaber" - hatten nun erste Priorität. Das Forum wurde eingestellt und das Magazin der Weinwirtschaft angepasst. Wahrscheinlich wurde da Wein-Plus zum ersten Mal rentabel. Kein Wunder, dass ich da meinen festen Platz als Geschichten-Erzähler - Weingeschichten - nach fast zehn Jahren räumen musste. Die meisten Kolumnen - nicht alle, es fehlen einige - noch immer auf Wein-Plus abrufbar. Ich habe nun beschlossen, das Archiv zu öffnen, für alle, die meine Website Sammlerfreak.ch besuchen und sich für die kleinen und grossen Dinge rund um den Wein interessieren. Es wird aber noch einige Zeit dauern, bis alle Kolumnen (mit Bildern) hier eingestellt und damit erreichbar sind.
Herzlich
Ihr/Euer
Peter (Züllig)
Darf oder muss ich mich vorstellen? Journalist, leidenschaftlicher Sammler, Dokumentarist, Weinliebhaber, Statistiker, Genießer..... Bis vor einem Jahr habe ich im Forum von Wein-Plus oft geschrieben, weit über 300 Beiträge. Vielleicht waren sie allzu lange, oft maßlos, vielleicht auch nur getrieben, von dem, was ich täglich rund um den Wein gerade erlebe oder erlebt
habe: Anekdoten, Neuigkeiten, Erfahrungen.
Ich habe erzählt vom Bordelais, von meiner Lieblingsregion, dem Languedoc, meiner zweiten Heimat, von der Schweiz, wo
meine Wurzeln sind. Ich habe geschrieben über Deutschland, wo ich (durch das Forum) die besten Freunde gefunden habe, die Pfalz, Weinfranken, Rheingau, wo wir auf
Erkundungsfahrten Weine, Kultur, vor allem aber
Menschen getroffen haben.
Ich verbinde Leben immer mit „Erleben”. Auch beim Wein. Da halte ich es mit Marvin R. Shanken, dem Herausgeber von „Wine
Spectator”: „There’s one fundamental difference between a causal wine consumer and a true wine lover: the former drinks, the later tastes.” (Oktober 2005)
Versuchen, Kosten, Erleben, Erfahren - mit dem Wein leben - , und darüber nachdenken oder einfach
erzählen: Geschichten erzählen, dies werde ich fortan hier in einer Kolumne regelmässig tun. Etwa immer in gleicher Länge, in der gleicher Form, aber mit andern Inhalten. Dabei geht es mir nicht ums Werten, Richten, Recht zu
haben oder gar Recht zu bekommen. Ich weiß vieles (noch) nicht, aber das, was ich schreibe habe ich immer selber
erfahren. Erfahrungen sind subjektiv, deshalb aber nicht weniger wahr! Wir können eben Welt - auch die Weinwelt - letztlich zwar definieren, beschreiben, aber nur subjektiv erleben.
Eben so, wie ich zum Beispiel auch diesen Herbst wieder Tage in den Rebbergen der „Bündner-Herrschaft”
(Ostschweiz) erlebt habe, wo wohl die besten „Pinot Noir” der Schweiz wachsen. „Wimmlen”, sagt der Bündner - und meint nicht bloß die „Traubenernte”, sondern verbindet damit auch seine ganze Liebe
zur Rebe und den Wein. „Wimmle” ist nicht nur Lese, es ist Auslese. Die guten Beeren werden von den schlechten getrennt. Traube um Traube, Beere um Beere. Nur so kann schließlich
jener Pinot werden, der eben zu den besten gehört. Dabei habe ich dieses Jahr einen - für mich - neuen Begriff haut-
und handnah kennen gelernt: „stiellahm” - in der Wein-Literatur auch Stiellähme oder Traubenwelke genannt. Winzer und Oenologen kennen das Phänomen, doch welcher Weingenießer kann damit auch etwas anfangen?
Darüber habe ich im Weinberg - am Fuße der mächtigen Bündnerberge - mit Trauben in den Händen nachgedacht. Stiellahm? Oder gar stillahm? Bisher habe ich als Weintrinker und Journalist nur „Stilarmut”,
„Stil-schwäche” oder eben auch „Stillähme” gekannt, und zwar beim Wein, aber auch in manchem Gerede und Geschreibe über
den Wein.
So bin ich froh, dass ich jetzt auch den Buchstaben „e” im Wort „Stil” entdeckt habe: also die Stiellähme. Hoffentlich werden fortan meine Wein-Notizen dadurch auch stilvoller.
Herzlich Ihr/Euer
Peter (Züllig)
Peter Züllig (66), Journalist, Weinliebhaber, Sammler aus Leidenschaft. Er lebt in der Schweiz und in der Languedoc. Seit er als Fernsehredakteur und Hochschuldozent (Medien) pensioniert ist, beschäftigt er sich täglich mehrere Stunden mit Wein. Sein schönstes Hobby, wie er sagt. Da gibt es nicht nur einiges zu trinken, auch zu lesen, zu ergründen und erfahren: Eine grosse Bordeaux-Sammlung muss laufend überprüft, ergänzt und gepflegt werden. Genau so wie seine andern - nicht minder aufwändigen Sammlungen von Karl May-Büchern über Weihnachtskrippen bis zur klassischen Spielfilmen. Doch im Mittelpunkt steht die Beschäftigung mit Wein. Durch seinen grossen Bekanntenkreis und seine riesige Datensammlung (Preise, Beurteilungen, Bewertungen) ist er ständig unterwegs zu neuen "Weingeschichten".
Der Auktionator ruft Lot 1208 aus, das drittletzte in einer fünf Stunden dauernden Auktion im Hotel Inter-Kontinental in Zürich. Auf dem sonst so sachlich-strengen Gesicht des Ausrufers ein Lächeln: „Wie hoch soll ich beginnen?” Diese Frage taucht sonst in einer Auktion nie auf. Der Ausrufpreis ist im Katalog als Mindestpreis genau festgehalten. Lot 1208 ist ein Mixed-Lot. Mindestpreis 200 +.
Unter der Rubrik Mixed-Lot tauchen Weine auf, die Händler kaum interessieren und auch bei den Weinkennern meist nur ein müdes Lächeln auslösen. Schlechte Jahrgänge, niedriger Füllstand, wenig bekannte Weingüter, kurzum das, was bei einer Kellerleerung so anfällt und vom Auktionator an den Mann oder die Frau zu bringen ist. Meist ist in jedem dieser Mixed-Lots ein spezielles „Zugpferd”, das in der Regel den Mindest- oder eben Ausrufpreis rechtfertigt und sehr oft begehrt ist. Die restlichen Weine müssen dann dazu genommen werden. Oft ein Entsorgungsfall, nicht selten aber auch eine Überraschung.
Nicht „Blind- „ sondern „Blockbuchen” nennt man dies in der Geschäftswelt. Also: Lot 1208 ist ein solches Mixed-Lot und zwar für Franken 200 +. 11 Flaschen: 2 Chambolle-Musigny 1969 Grivelet, 1 Charmes-Chambertin 1969 Roger de Jouennes, 2 Mazy-Chambertin 1978 Joseph Roty 4-6 cm., 1 Charmes-Chamebertin 1978 Joseph Roty 4 cm., 1 Chambertin 19779 Camus 5 cm., 1 Beaune Cent Vignes 1990 CH, 3 Savigny-les-Beaune 1er 1992 Morin.
Der Auktionator beginnt bei 300 Franken. Kaum jemand schaut hin. Viele Bieter sind schon weggegangen, andere räumen ihre Taschen zusammen. Zwei im Saal halten mit: 300! Der Auktionator selber - Verwalter der schriftlich eingegangenen Gebote - bietet weiter 400 Franken. Im Saal 500!. Also bereits das Doppelte des Mindestpreises. Einige schauen kurz hin, stutzen, beschäftigen sich aber weiter mit ihrem Abgang. Doch es geht weiter: 600, 700, 800.... Jetzt wird es ruhig im Saal, man schaut konsterniert zum Auktionator, dann wieder in den Auktionskatalog. 900, 1000, 1100 Franken. Jetzt wird es ganz still. Wer noch hier ist, hält den Atem an. Man weiß zwar, dass alte Burgunderweine an Auktionen plötzlich unglaublich hohe Preise erzielen: An dieser Auktion zum Beispiel: 1 Flasche Romanée-Conti, 3.5 cm. Kapseldeckel oben abgeschnitten für 5900 Franken (3'740 ) oder 1 Richebourg, 1959, 5 cm. für 1400 Franken (890 ). Doch was ist mit diesem Lot 1209 los? Da wird weiter geboten 1200, 1300, 1420 Franken (900 ) bis endlich der Hammer fällt. Was ist wohl so kostbar an diesen 11 Flaschen aus dem Burgund? Ich habe es nicht herausgefunden. Kopfschüttelnd, konsterniert verlasse ich den Saal. Mein einziger Trost: Schließlich bin ich kein Burgunderkenner, sondern eher ein „Bordeauxspezialist”. In der Tiefgarage begegne ich zwei weiteren Teilnehmern, der Auktion, aufgeregt diskutierend: Was ist nur an diesem Lot? Sie wissen es auch nicht und sind ganz enttäuscht, weil sie das Gefühl haben, schlechte Weinkenner zu sein.
Ihre miese Laune verloren sie erst, als ich gestand, dass auch ich es nicht herausgefunden habe. Da war der Tag für sie gerettet. Doch mich lässt das Lot 1208 seither nicht mehr los. Wer kann mir helfen, meine Ruhe wieder zu finden?
Fragt herzlich Ihr/Euer
Peter (Züllig)
Grosse Verkostungen oder Staatsbegräbnisse erster Klasse
So wie jeder Jäger seine schönsten Erlebnisse in schmuckvollem Jägerlatein immer wieder zum Besten gibt, so schwärmt auch der Weinliebhaber oft und gerne von seinen „großen” Verkostungen. Bei mir sind es schon einige dieser „unvergesslichen” Erlebnisse, von denen ich immer wieder gerne erzähle. Zum Beispiel eine Jahrhundert-Degustation der „besten französischen Weine” des 20. Jahrhunderts, oder eine Mouton-Vertikale mit René Gabriel, oder eine Verkostung von jenen Weinen, welche die Weinwelt veränderten und - erst kürzlich - eine Vertikale der besten Châteauneuf-du-Pape von Henri Bonneau. All diese Weinerlebnisse haben etwas gemeinsam: die begleitende Zeremonie, jene Kulthandlung, in der die Weine „zu Grabe getragen” werden. Eigentlich ist es kein übliches Sterben, kein Abschied in Trauer. Im Gegenteil: Es sind die Stunden und Minuten, in denen der Sinn eines Weindaseins in Erfüllung geht. Der alleinige Zweck, dem Menschen, dem Genießer allerhöchste Lust zu bereiten und dann abzutreten aus dem irdischen Wein-Dasein. Alle Weine, die diesen Zweck erfüllen, leben weiter in den Erzählungen und Schilderungen von denen, die dabei waren.
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"Eröffnung der einmaligen
Bonneau-Präsentation.
28 der legendären Weine wurden von Gerhard Präsent in Graz vorgestellt. Die Teilnehmer kamen aus vielen Gegenden, aus Zürich, aus Hannover, aus London etc."
Die Zeremonie aber, die den Hinschied begleitet, gleicht einem „Staatsbegräbnis erster Klasse”.Niemand ist wirklich traurig, nicht einmal die nächsten Angehörigen (in diesem Fall die stolzen Besitzer). Jeder an der Tafel weiß, das Ableben hat einen höheren Sinn, erhält jetzt seine höchste Weihe und zwar im einem harten Wettbewerb, den Anwesenden höchsten Genuss zu verschaffen.
Alle Teilnehmer am rituellen Staatsbegräbnis haben sich ihre geistige Uniform angezogen. Deutlich erkennbar die verschiedenen Schichten: Amateur, Profi, Genießer, Skeptiker, Vertrauter, Kenner, Neugieriger... Das geistige Gewand ist vielfältig und nicht ohne weiteres erkennbar - uneinheitlich also. Doch alle sind mit den Insignien ihres Standes dekoriert. Zwar wird Lässigkeit demonstriert, in Wirklichkeit aber steigt die Erregung. Zuerst werden die Mittrinker (oder Verkoster) unauffällig, aber umso schärfer unter die Lupe genommen: Wer hält das Glas falsch? Wer streckt seine Nase zu lange ins Glas? Wer trinkt mehr als er verkostet? Wer spuckt und wer nicht? Wer notiert systematisch und verteilt sogar Punkte?
Dann kommt der Wein an die Reihe. Drei oder vier Gläser, tümpelhoch gefüllt, werden ans Licht gehalten, zur Nase geführt, schluckweise geleert, der Inhalt durch Mund und Gaumen gezogen... Schließlich wird mit einer möglichst lässigen Kopfbewegung der hehre Augenblick quittiert. Ein Staatsbegräbnis: zwar werden keine Fahnen zum Grab hin gesenkt, zwar gibt es keine Kränze mit dem „letzten Gruß”. Doch die Stimmung entspricht jener, die sonst auf Kranz- und Bouquetschleifen festgehalten wird: „in Kameradschaft, Freundschaft oder gar Liebe, Dein...”.
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"Kritisches Prüfen an der sensationellen Bonneau-Degustation vom 17. Dezember in Graz"
Wie bei jedem echten Staatsbegräbnis wird vorerst in Ehrfurcht geschwiegen, minutenlang. Dann melden sich die engsten Freunde zu Wort: Verdienst, Eigenheit, Leistung, sogar ein Stück Werdegang werden formuliert und zaghaft ausgesprochen. Widersprechen mag keiner. Dies gebietet schon die Würde des Anlasses, die Erhabenheit des Augenblicks. Erst später, im kleinen Kreis, kommen auch kritische Stimmen zu Wort, allfällige Laster und Ungereimtheiten werden aufgezählt, allerdings eher verhohlen, hinter der vorgehaltenen Hand.
Man spricht bereits über die Nachfolge und freut sich auf das nächste Staatsbegräbnis 1. Klasse. In verschiedenen Internetforen werden Kondolenzlisten aufgelegt, und die große Weinwelt nimmt geistigen Anteil am Abschied. „Congratulations for a maybe once in a lifetime tasting.” So oder ähnlich wird geschrieben, gelobt, analysiert und geschwärmt. Das Staatsbegräbnis bleibt in Erinnerung, es wird den Enkeln und Urenkeln als geistiges Weinerbe weitergereicht. Und irgendwann verwischt sich die Erinnerung mit der Zeremonie und der Wein mit dem Erlebnis dabei gewesen zu sein.
Herzlich Ihr/Euer
Peter (Züllig)
Eigentlich ist ein Salon das Empfangs- oder Gesellschaftszimmer eines bürgerlichen Hauses. Seit dem 17. Jahrhundert steht der Salon aber auch für entscheidende Entwicklungen in der Literatur, Kunst, Philosophie und Politik. Ja, selbst in der Weinwelt ist ein „Salon” mehr als nur eine Ausstellung: nämlich Diskussionsforum, Präsentation von Ideen, Versammlung Gleichgesinnter.
Tatsächlich sind die „Salons des vins des Vignerons Indépendants” nicht einfach Weinmessen, wie es so viele gibt. Es sind vor allem Denkweisen im Weinanbau, die hier präsentiert werden. Eine Charta mit neun Grundregeln verbindet den großen Verband. Es sind zwar eher Schlagworte als Regeln, welche die Weine grundlegend verbessern könnten. Da heißt es unter anderem: „Der Winzer respektiert sein Weingut, bearbeitet
seine Reben, erntet seine Trauben, keltert seinen Wein und baut ihn aus... ”. Eigentlich nselbstverständlich! Besonders wichtig ist aber die letzte Satzung: „Der Winzer empfängt die Kunden, berät bei der Weinprobe und freut sich, das Ergebnis und seiner Arbeit und des Anbaus vorzustellen.”
Die „Salons des Indépendants” sind deshalb eher Verkaufs- als Präsentations-, oder gar Fachmessen. Das heißt: Sie sind frei zugänglich. Nur einmal im Jahr, im Februar, unmittelbar vor Strasbourg findet in Paris eine reine „Fachmesse” statt, nur für die „Professionellen”. Strasbourg, Rennes, Bordeaux, Lyon, Lille, Reims und zwei weitere Messen in Paris sind dem breiten Wein-Publikum zugänglich. Hier präsentieren sich Winzer „zum Anfassen”, deren Weine man trinken darf, auch ohne die große Weinphilosophie zu beherrschen. In den allermeisten Fällen sind die Winzerinnen und Winzer selber da, nicht ihre Verkaufsmanager, Ökologen, Betriebsangestellten. Sie laden die Menschen ein, ihre Weingüter zu besuchen, sie stehen fast pausenlos am Stand und verstecken sich nicht in abgeschirmten Ecken und Séparées. Die Weine kann man kaufen und mitnehmen. So macht denn auch der Verkäufer von kleinen, zusammenlegbaren Handkarren (Chariot) wohl den größten Umsatz.
Für die vielen Besucher aus Deutschland versucht mancher Winzer deutsch zu sprechen, was für Franzosen schon fast einer Liebeserklärung gleichkommt. Wenn es um klangvolle Begriffe geht, sind sie selten verlegen: „le vin a un visage”, sagen sie und meinen damit, hinter den Weinen stehen Menschen, die produzieren, verbessern, die von und für ihre Reben leben, die an ihre Produkte glauben, sie zur Diskussion stellen und - natürlich auch verkaufen möchten. An keiner andern Weinmesse habe ich dies so direkt, so unverkrampft und offen erlebt. Dies macht die Weinmesse - pardon: den Salon in Strasbourg so einmalig, irgendwie anders, trotz aller Geschäftstüchtigkeit: maßvoll, menschlich.Auch dies gehört zum Erlebnis Wein, nicht nur die erspürte Qualität, die mit den Sinnen zu erforschen ist.
Es präsentierten sich in Strasbourg immerhin 500 Weingüter, fünfhundert von insgesamt rund 38.000 „Unabhängigen”, die zusammen 1/3 aller Weinproduzenten in Frankreich ausmachen. Wenn die Gespräche zu Ende sind, das Geschäft gemacht ist (oder auch nicht), tauchen immer wieder die Leitbegriffe der „Unabhängigen” auf: „indépendance, autonomie, responsabilité”. Das klingt schon ganz ähnlich wie „liberté, egalité, fraternité”, die drei Grundwerte, mit der sich seit der Französischen Revolution la „grande Nation” definiert, ein Land, dessen Weinkultur eigentlich auch zum Selbstverständnis gehört. Warum sollen da die Winzer bescheidener sein?
Ganz herzlich
Ihr/Euer
Peter (Züllig)
Als Bordeaux-Liebhaber weiß ich: zehn Jahre Kellerruhe ist Richtwert für meine eingelagerten Schätze. Darauf habe ich mich längst eingestellt. Es gibt aber auch Weine aus dem Bordelais, die früher trinkbar sind - und es gibt „harte Brocken”, die auch nach 10 Jahren noch verschlossen und sperrig bleiben
Trotzdem: es ist Mode, den einen oder andern Jahrgang schnell (meist vorschnell) abzuqualifizieren oder in den Genusshimmel zu loben. Die Jahrgänge 61, 82, 90 zum Beispiel verursachen beim Weinliebhaber glänzende Äuglein, während die 77, 87, 91 oder gar 97er Stirnrunzeln und säuerliche Gesichtszüge provozieren.
Doch ganz so einfach ist es nicht: Ich habe schon 61er, 82er oder gar 90er Bordeaux getrunken, welche die 10 Jahre längst nicht erreicht haben, und andere - sogenannt kleine Jahrgänge - die nach 20 Jahren noch viel Freude und großen Genuss bereiten konnten
Die einzelnen Châteaux sind auch gar unterschiedlich: durch: extrem scharfe Auslese, Konzentration, moderne Vinifikation, Ertragsreduktion etc., wird erreicht, dass immer seltener von guten oder schlechten Jahrgängen zu reden ist, sondern von guten und schlechten Weinen in guten und schlechten Jahrgängen.
1994 war so ein Jahr. Nach den klimatisch problematischen drei Vorjahren endlich eine bessere Situation für die Reben, mit frühem Austrieb, mittlerem Behang, heißem Sommer und erst während der Ernte schlechtes, nasses, kaltes Wetter. Das Resultat: entweder sehr verschlossene oder dann magere, dürre, trockene Weine. Entsprechend waren die Bewertungen und Kommentare
Heute: 12 Jahre später bietet sich ein weit differenzierteres Bild. Das Schlagwort: „minderer oder mittlerer Jahrgang”, ist zwar geblieben. Es gibt immer noch „verschlossene” Kerle, wie zum
Beispiel den Léoville-Barton, der sich aber zusehends öffnet. Doch die meisten 1994er sind schon seit ein oder zwei Jahren ein Genuss.
Bereits treten aber wieder Auguren auf, die es ja so genau wissen und auf Grund von wenigen Flaschen (meist nur degustiert), ein pauschales Urteil fällen. Selbst bei Jahrgangsdegustationen beruft
man sich auf ein paar wenige, momentane, vergleichende Eindrücke.
Meine eigenen 94er Erfahrungen beruhen immerhin auf 248 Bordeaux des Jahrgangs, die ich vor allem letztes Jahr konsumiert habe: nicht an Degustationen und nicht an Proben, vielmehr zu Hause, zum
Essen, mit Freunden, allein oder in Gesellschaft - mindestens ein, oft aber auch mehrere Gläser. Und diese Weine verteilen sich auf 65 verschiedene Weingüter oder Abfüllungen (zum Beispiel
Zweitweine).
Da meine ich, doch etwas präziser und differenzierter den Jahrgang bewerten zu können. Zumal darunter die großen Châteaux genau so vertreten sind, wie kleine, weniger bekannte Güter. Weine in der
Preislage zwischen 10 und 300 Euro.
Wenn ich dabei zum Schluss komme, der Jahrgang 1994 liegt weit über dem ihm zugesprochenen Niveau, dann belegt dies mein „Weintagebuch”. Es gibt durchaus auch verschlossene Las Cases, Latour oder
Léoville Barton, doch auch sie haben jetzt einen hohen Genusswert. Natürlich nicht so beiläufig probiert, auf die Schnelle, sondern erst nach dem Dekantieren und beim unvoreingenommenen
Genießen...
Ich meine, darauf kommt es letztlich an. Spitzenvergleiche sind etwas für den Kopf, für die Kalkulation, für das Ego, das so gerne die Spitze abgrasen (Entschuldigung: abtrinken) möchte
Herzlich
Ihr/Euer
Peter (Züllig)
Das Weindorf Berlou liegt fast am Mittelmeer, gut 50 Kilometer vom Strand entfernt, am Fuße der Vorberge des „Haut Languedoc”. Trotz des mediterranen Klimas lässt der Frühling in diesem Jahre auf sich warten. Die Marktfrau entschuldigt sich: die paar Blumen auf dem Tisch seien eben die ersten frei gewachsenen Frühlingsboten.
In der Agenda von „Terre de Vin” entdecke ich eine Annonce: „Printemps de Berlou, randonnée V.T.T, dégustation, repas campagnard, marché de terroir...”
Randonnée”, das ist eine lange Wanderung, eine Wandertour... es kann auch eine Skitour sein. Doch um diese Zeit, nahe am Mittelmeer, wohl kaum! Die Abkürzung V.T.T kenne ich nicht, deute sie aber
als „vin, terroire, touristique” oder so ähnlich. Bei der Vorliebe der Franzosen für Abkürzungen können mich die drei Buchstaben nicht beunruhigen. Ich stelle mir einen Weinverband vor, eine
ländliche Gemeinschaft Winzer und Winzerinnen, Menschen, die einen Dialekt sprechen, den sie selber als „steinig” (rocailleux) bezeichnen.
Doch die kleinste Tour - für die „Kleinen” gedacht - ist „nur” 8 Kilometer lang, führt durch mehr oder weniger ebenes Gelände und ist gut begehbar. Also machen wir uns auf den Weg. Auf die
Rückennummer haben wir verzichtet. Es ist ein langer, aber wunderbarer Spaziergang geworden.
Schwarze Rebstöcke soweit das Auge reichte. Die ersten Veilchen und blühende Mandelsträucher. Kleine Wege, voll von Schieferbrocken, Kies und spitzen Steinen. Immer wenn es verhältnismäßig eben
ist, flitzen „die Kleinen” an uns vorbei, Geht es einmal bergauf und -ab: dann fliehen wir besser in den nächsten Graben, sonst wird’s gefährlich.
Der Parcours entwickelt sich für uns zur einmaligen, lehrreichen Rebberg-Begehung. Ich begreife erst so richtig, was sich hinter dem Begriff „Strukturwandel” im Rebbau verbirgt. Ein Drittel der
Winzer werden wirtschaftlich nicht überleben, um Existenzen.
Doch die rund 500 Hektaren Kulturland des „Dorfgebiets” Berlou bestehen ausschließlich aus Reben, aus vorwiegend alten
Rebstöcken, bestens gepflegt. Nur einer einzigen verwilderten Parzelle begegnen wir auf dem langen Weg. Wir mutmaßen sofort: Erbstreitigkeiten.
Hier kann kaum etwas anderes wachsen als Reben, als ein paar Olivenbäume und unfruchtbare Garrigue, Wiesen gibt es nicht, nur „Steinwüsten” und in höheren Lagen etwas Wald.
Drei Stunden später, zurück im Dorf, Mittagessen im Freien mit den aromatischen Würsten, für die das Hinterland bekannt ist. Alles schön angerichtet, auf Plastiktellern mit Plastikgeschirr. Nur
für den Wein, da gibt es Gläser und pro Person einen
halben Liter „Schisteil” (mit Drehverschluss) aus dem Genossenschaftskeller. Dieser „Schisteil” von Berlou ist berühmt, man hat ihn noch vor 10 Jahren auf fast allen besseren Weinkarten der
Gegend entdeckt. Die Genossenschaft von Berlou gehört zu den besten im Languedoc und ist ein Vorzeigebetrieb der 20 Gemeinden der Appellation Saint-Chinian.
Doch auch dieser Musterbetrieb kämpft heue mehr denn je um Marktanteile und damit ums Überleben der knapp 90 angeschlossenen Winzerbetriebe. Genossenschaftsweine sind - oft zu unrecht - nicht mehr im Trend. Individualität, Einzelkämpfer sind gefragt, Selbstkelterer, die versuchen aus dem Boden möglichst viel Eigenheit und Qualität herauszuholen.
Doch der zur Mahlzeit offerierte „Schisteil” 2005 ist ein „Genossenschaftswein”, noch sehr jung, typisch für die Gegend, ja für den Ort. Unverwechselbar, ein Schieferwein: in der Nase -
Pferdestall bemerke ich, meine Frau aber meint - eine ganze Geißenherde. Doch er Wein ist frisch, harmonisch, fruchtig, ja sogar fleischig.
Am Abend, zuhause hole ich einen älteren, ”reifen” „Schisteil” von Berlou, Jahrgang 2002, aus dem Keller. Ich habe ihn vor etwa zwei Jahren zusammen mit den Forumsfreunden Michael und Maja in
Berlou gekauft, inzwischen aber ganz vergessen. Der „Frühling von Berlou” hat ihn ins Glas gebracht: Kein Pferde- und kein Geißenstall, sondern ein traditioneller Saint-Chinian, tieffarben,
kräftig, sonnendurchglüht, ohne Firlefanz und Holzanteile, der Weinsnob spricht da von „Terroir”. Für mich ist es einfach das wunderbare Produkt von Menschen aus einer kargen Gegend, einer
Landschaft, einer Kultur, die ich gerne habe und der ich im Wein begegnen kann.
Herzlich
Ihr/Euer
Peter (Züllig)