Getrunken

Hier sind alle "Getrunken" der letzten Zeit zu finden. Es sind keine Weinbeurteilungen der üblichen Art. Vielmehr Weingeschichten, Geschichten, welche mir die Weine erzählen.
Ältere "Getrunken" und eine Excel-Liste sind am Schluss dieser Seite zu finden. Die gleichen Weinnotizen findet man auch auf meinem Internetblog

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                         Zum ersten Teil der Getrunken

                         Zum dritten Teil der Getrunken

                         Zum vierten Teil der Getrunken

16. Juli 2016

 

Le Rosé de Bessan: L’HurluBerlu Syrah und Cabernet 2015, Bessan, Languedoc, Frankreich

 

Eigentlich ist die Geschichte rasch erzählt, der Wein bleibt kaum in Erinnerung: zu jung, zu beliebig, zu anbiedernd. Die Flasche steht bei «Spar» im kleinen Supermarkt. Dort, wo sich Flasche an Flasche reihen; Weine in der Preiskategorie von 3 bis 9 Euro. Nebst kleinsten Bordeaux, Rhone und sogar Burgundern, vor allem Weine aus der Region. Bessan, hier schon ein grösseres Dorf, nur etwa sieben Kilometer vom Meer entfernt, im Charakter etwas zwischen Weindorf und Touristenhinterland, natürlich (wie einst alle grösseren Orte im Languedoc) mit einem Cave Coopérative. Hier wurden während vielen Jahr Jahrzehnten, ja Jahrhunderten Massenweine (vin de table, sogenannte «Aramons») gekeltert. Diese Zeit ist vorbei. Doch wie kommt man aus dem Image heraus, das so lange prägend war. Bessere Weine zu machen, dies allein genügt nicht. Also macht man eine Etikette, die ins Auge sticht, wählt eine Flaschenform, die (hier) nicht allzu üblich ist, verpasst dem Wein einen auffälligen Namen und wählt Rebsorten (Syrah und Cabernet), die gefällig und modisch sind. Das alles sagt nicht viel über die Qualität des Weins, vielmehr über den Willen und die Anstrengung, den Anschluss an eine veränderte Weinwelt zu finden. Der Wein selber ist «anständig», mit schönem Trinkfluss, ein Alltagswein, den auch ich nur aus dem Regal genommen habe, weil – ja, weil er eben aufgefallen ist.

(Foto: Syndicat de l'AOC Languedoc)
(Foto: Syndicat de l'AOC Languedoc)

12. Juli 2016

 

Mas des Brousses: Terrasses du Larzac 2013, Puéchabon, Languedoc, Frankreich

 

 Ein heisser Tag am Strand – Strandferien. Ich geniesse den etwas kühleren Abend auf dem Balkon. Kein grosses «Geköch», grüner Salat, ein Stück Fleisch vom Grill und dann, wenn mir noch darnach zumute ist, ein Coupe Colonel. Vor mir liegt die Regonalzeitung: «Midi Libre». Ich lese etwas gelangweilt die Schlagzeilen. Natürlich «Les Bleu» - «Allez!». Und «La Légion repart à l’assaut du Larzac». «La Légion»? «Larzac? Die Fremdenlegion und eine Region südlich des Zentralmassivs. Ich lese – das Weinglas in der Hand: «Vierunddreissig Jahre nach dem erfolgreichen Kampf «Gardaren lo Larzac» (bei dem sich die einheimische Bevölkerung und Friedensaktivisten gegen die Erweiterung des Militärlagers auf der Hochebene von Larzac gewehrt haben) kehrt die 13. Halbbrigade der Fremdenlegion nach «La Cavalerie» zurück. 1'200 Militärs werden noch vor dem Sommer 2018 auf dem «plateau aveyronnais» (Causse de Larzac) stationiert» (frei übersetzt). Vor mir tauchen Erinnerungen auf, an einen historischen, zehn Jahre dauernden, gewaltlosen Widerstand gegen Grossprojekte des Militärs und gegen den Angriff auf Eigenbestimmung, Kultur und Tradition einer Landbevölkerung, deren Armut und deren karges Leben schamlos ausgenützt wird. Was dies mit Wein zu tun hat, mit diesem Wein? «La Causse» ist die Hochebene von Larzac, etwa 700 über Meer, ein südlicher Ausläufer des Zentralmassivs. «Les Terrasses du Larzac», liegen im gleichen Gebiet, aber südlicher, weit näher bei Montpellier, höchstens 400 Meter über Meer. Ein altes, sehr altes Weingebiet, das aber erst 2014 den AOC-Status (Appellation d'origine contrôlée) erhalten hat. Als wäre es das Gegenbeispiel einer gesunden regionalen Entwicklung, hat sich «Les Terrasses du Larzac» in kurzer Zeit zu einem kleine, qualitativ hochwertige Anbaugebiet entwickelt. Hier werden Weine gemacht, wie dieser Wein vom Mas des Brousses, die inzwischen zu den besten der Languedoc gehören. Ausdrucksstarke Weine, «geprägt von der Dynamik der Appellation, geführt von einer Gruppe von 60 leidenschaftlichen Produzenten, die darauf bedacht sind, die Echtheit einer Region zu bewahren und immer weiter zu entwickeln.“ Dies tönt wie die Leier eines Werbetextes, doch hier ist der Ton (und der Inhalt) angebracht.

Foto: Domaine du Météor, Faugères
Foto: Domaine du Météor, Faugères

10. Juli 2016

 

Domaine de Météore: Les Perséides 2012, Faugères, Languedoc, Frankreich 

 

Irgendwie ist es verständlich – und doch auch wieder nicht: Warum muss man solche Weine – zu solchen Preisen (16 €) - bei uns buchstäblich mit der Lupe suchen? Sie gelangen einfach nicht in die Schweiz, zwar etwas häufiger nach Deutschland (EU) und eigentlich nur in spezialisierte Fachgeschäfte. Im breiten Angebot sind sie nicht. Warum? Man kauft und trinkt eben Namen, sei es der eines berühmten Weingebiets, eines namhaften Châteaux oder eines kultigen Winzers. Und für die Ketten – Coop, Denner, Aldi etc. – stehen einfach zu wenig Flaschen (vom gleichen Produkt gleichzeitig zur Verfügung) oder/und es ist ein zu riskantes Angebot, so etwas wie vorhersehbare «Kellerleichen». Stattdessen stehen Industrie- oder Händlerweine (wie Mouton Cadet aus dem Hause Mouton Rothschild) in den Regalen (etwa zum gleichen Preis). Es gibt (und gab) auch immer wieder mutige Importeure, die auf weniger bekannte Weinregionen oder Weingüter setzten und sich mühsam eine (meist kleine) «Stammkundschaft» erarbeiteten. Und schwupps schon ist die «Mode» wieder weg. Andere Regionen, andere Weinstile haben sich vorgedrängt. Languedoc mit seinen tollen, vor allem individuellen Weinen, ist so ein Kandidat. Man hat ihn vor einigen wenigen Jahren – als die Qualitätssteigerung in einem traditionellen Massenweingebiet nicht mehr zu übersehen war – entdeckt, hochgejubelt und dann weitgehend wieder ad acta gelegt. Eigentlich schade. Denn der Wein ist grossartig, vor allem in seiner «Echtheit», die bis zur Eigenwilligkeit geht. Eine Cuvée zu gleichen Teilen aus Syrah und Mourvèdre, ausgesprochen elegant, obwohl er in fast rustikal-schwarzem Kleid daherkommt, deutlich den Schieferboden verrät und etwas – so jedenfalls der Eindruck – von der Carrique-Landschaft in sich gespeichert hat (Thymian, Rosmarin, rote und blaue Beeren), begleitet von der südlichem Hitze und dem kühlen Wind (Tramontane).

Foto: Communauté de communes des Corbières
Foto: Communauté de communes des Corbières

 

07. Juli 2016

 

Castelmaure: Grand Cuvée 2013, Corbières, Languedoc, Frankreich

 

Meine Weinfreunde – und alle Leserinnen und Leser meiner Weingeschichten – registrieren: für einige Zeit wird nun (fast) ausschliesslich über Weine aus Südfrankreich berichtet. Ich liebe es, Weine zu trinken, die dort geschaffen worden sind, wo ich mich wohl und heimisch fühle (auch wenn es im Augenblick unglaublich heiss ist). So kommen in der nächsten Zeit wohl auch Rosés zur Sprache (ich höre schon den Einspruch vieler «rechtgläubigen» Weinliebhaber – weit weniger der Weinliebhaberinnen). Für heute ist es – trotz Hitze – doch ein Roter, ein echter Südfranzose, mehr noch: ein echter Corbières. Gestern habe ich von einem «weichgespülten» Wein geschrieben, einem «gefälligen», sauberen Genossenschaftswein. Auch der heutige Wein kommt aus einer «Coopérative», aber aus einer ganz anderen, einer ganz kleinen. Man wollte sie einst – weil «unrentabel» - mit anderen Cooperativen zusammenlegen. Doch man konnte es sich leisten, einen ganz anderen Wein zu machen, einen Wein, der nicht irgendwo entstehen und geschaffen werden kann, nur hier, in der Corbières. Er ist ein Stück Landschaft, Boden, Klima und Leben zugleich. Eigentlich nichts für die Sommertouristen und Badefreaks am Meer. Ich würde eher sagen: für Bergler, auch wenn Catelmaure – eigentlich heisst die Gemeinde: Embres-et-Castelmaure – nicht in den Bergen liegt, vielmehr auf einer Höhe von 140 – 700 Meter über Meer. Für die Gegend – in der „Nähe“ von Narbonne – ist es schon fast eine „Berglandschaft“. Das Dorf hat nur 150 Einwohner, aber eine lange Geschichte, eine berühmte Kapelle (einst war es die Pfarrkirche Saint Félix) und einen hochmodernen Weinkeller. Das berühmteste dieses Kleinstdorfes ist zweifellos die Genossenschafts-Kellerei und die Weine, die hier gemacht werden. Ich habe schon früher darüber berichtet. Doch jedes Mal, wenn ich hier bin, kommen sie – die Weine - ohne dies zu planen – rasch auf den Tisch und ins Glas. Und jedes Mal – ob es ein kleinere oder ein grosser Jahrgang ist, ob es der bescheidenere Wein  oder die „grande cuvée“ ist: Der Wein fällt auf, er findet Anklang, er verkündet: wir sind wieder da, zwar am Meer, doch unweit von der faszinierendsten, wildesten Landschaft im Süden Frankreichs. Wie es da schmeckt, riecht, wie man es erlebt? Als bestimmter Duft von wilden Beeren und würzige Kräuter, eingehüllt in klare, runde – aber heisse, ja sengende Landschaft – wie es die Tannine, welche den Wein tragen. Nicht weichgespült – im Gegenteil – vielmehr als Gerüst für einen der besten und preiswertesten Weine aus Corbières.

(Foto: Vignerons de Fontes)
(Foto: Vignerons de Fontes)

05. Juli 2016

 

Prieuré Saint Hippolyte: Rouge 2014, Les Vignerons de Fontès, Languedoc, Frankreich

 

Die Situation wiederholt sich: In unsere kleine Wohnung am Meer gibt es zwar eine herrliche Aussicht, aber keinen Ort, wo Weine gelagert werden können und einen Weinkeller gibt es schon gar nicht. Nicht ideal für einen Weinliebhaber: mitunter aber interessant. Sie Situation zwingt uns, zu den Weingütern zu fahren und immer wieder neue, interessante Weine aufzuspüren. Mehr als ein paar Flaschen liegen nicht drin: Restbestände würden Kälte und Hitze nur schlecht überleben. Bis wir aber wieder zu Weingüter fahren – im Sommer ist Strand angesagt – decken wir uns mit Weinen ein, die in den kleinen Shops und Lebensmittelgeschäften hier am Meer – vor allem für die Touristen – angeboten werden. Eben das, was in der kurzen, aber intensiven Saison gekauft wird: zwar mehrheitlich «anständige» Weine, doch im Preis, kaum über 5 Euro, ganz junge Weine, bestimmt zum raschen Konsum. So etwas wie «Gastroweine», welche die Zustimmung einer Mehrheit suchen. Dieser Prieuré Saint Hippolyte ist so ein Wein: angenehm, gefällig, ich bin versucht zu sagen: weichgespült. Er kommt aus dem Cave Coopérative der kleinen südfranzösischen Gemeinde Fontès (knapp 1'000 Einwohner), nördlich von Pézenas – also nicht weit von hier, wo wir leben. Wer nun bei südfranzösischen Coopératives an Massenwein, an rein historische Gebäude und Durchschnittlichkeit denkt, der liegt falsch. Gerade die Kooperativen – eine mehr als 100jährige Tradition in der Languedoc – haben sich in den letzten Jahren aufgemacht, modernisiert, sich dem Markt angepasst und die Qualität der Weine geradezu gigantisch erhöht. Es ist also ein guter Wein – und doch, ein langweiliger Wein. Austauschbar mit andern ordentlichen Weinen der Gegend. Keine Ecken und Kanten, also unbeschwertes Genusspotential. Auch für Leute wie mich, die hier keinen Keller haben, dafür die Reben quasi vor Ort.

 

26. Juni 2016

 

Vineyards Anwilka: Anwilka 2006, Stellenbosch, Südafrika

 

Es sind drei Namen, welche diesen Wein zum «Kultwein» machen sollten: Bruno Prats (Cos d’Estournel), Hubert de Boüard (Angélus) und Lowell Jooste (Klein Constantia). Zwei bekannte Bordeaux-Winzer und einer aus Südafrika haben 1997 in Stellenbosch ein Weingut – besser eigentlich: eine Weinmarke geschaffen, welche zwei Weinkulturen zusammenführen möchte: Bordeaux und Südafrika. Parker gab dem neuen Wein schon recht bald (2005) Unterstützung: «... das ist der beste Rotwein, den ich je aus Südafrika getrunken habe... (frei übersetzt), eine Cuvée aus Cabernet Sauvignon und Syrah, «ein aussergewöhncher Wein, Weltklasse» (so Parker). Die Erwartungen waren also hoch, die drei Namen bürgen jedenfalls für einen «Klassewein». Auch der Wein-Guru Südafrika, John Platter, rückte bald einmal mit vier oder gar fünf Sternen an und betonte die – immer wieder – die Verwandtschaft mit Bordeaux (auch wenn Syrah nicht zu den Bordeaux-Weinen gehört). Kann der Wein die hohen (Kult)-Erwartungen erfüllen? Es ist immer so eine Sache mit dem Kult: ein «Kult» wird gemacht durch das Brimborium rund um den kultischen Gegenstand und hat – zuerst einmal - nichts oder wenig direkt mit Qualität zu tun. Ich habe den Wein zum allerersten Mal im Glas, kenne aber die Weine von «Klein Constantia», «Cos d’Estournel» und «Angélus». Jetzt zu behaupten, dies sei eine Synthese, wäre verwegen. Auch der heraufbeschworene Einfluss von Bruno Prats (ehemals Cos d’Estournel) kann ich nicht nachvollziehen. Es ist – und dies ist schon viel – einfach ein guter Wein, kräftig, aber kein Kraftprotz, elegant aber nicht verspielt, die Frucht tritt (kein Wunder nach zehn Jahren) zugunsten von vielfältigen Gewürz-Aromen zurück, die Tannine sind geschmeidig und rund. Wie gesagt: ein guter Wein, der mich wenig an Südafrika, aber auch nicht an Bordeaux erinnert. Vielmehr an einen verbindlichen Exportwein.

23. Juni 2016

 

Domaine Philippe Charlopin-Parizot : Clos Saint Denis Grand Cru 1984, Cote de Nuits, Frankreich

 

Alte Burgunder, Grand Crus, sind teuer, sündhaft teuer, wenn sie von den berühmtesten Weingütern kommen. Romanée-Conti 1972 zum Beispiel, eine Flasche zu 8'000 Franken und mehr. Seltenheit, guter Jahrgang, grosser Name… All dies beeinflusst den Preis eines Weins, so wie er in Auktionen immer wieder mal auftaucht. Jedes Mal stelle ich mir die Frage: Ist ein Wein – auch wenn es ein Grand Cru ist – überhaupt noch genussvoll zu trinken. Bösere Zungen fragen sogar: Kann man ihn noch trinken? Eine eigene Antwort werde ich wohl nie finden, denn dafür – für ein Experiment – ist der Preis doch viel zu hoch. Nicht zu bezahlen für einen Weinschreiberling, der neugierig ist. Doch der Gedanke lässt mich nicht los: Es muss ja nicht gerade ein 72er sein und nicht unbedingt von Romanée-Conti kommen. Ein anderer Grand Cru, der nur mal 32 Jahre alt ist, sollte eigentlich genügen für ein Experiment. Der Jahrgang 1984 war – zumindest nach Vinifera-mundi – desaströs; ob dem so ist, weiss ich nicht. Es ist jedenfalls kein «grosses» Jahr, auch wenn man das an den Burgunder-Preisen anmerkt. Eine Flasche «Clos Saint Denis» kostet – ob gut oder schlechter Jahrgang –  immer mehr als 100 Euro. Also war die Gelegenheit günstig, als an der letzten Auktion sechs Flaschen von Charlopin-Parizot versteigert wurden, zu 120 CHF (netto), also um 25 CHF die Flasche (brutto). Ich dachte mir noch, welcher Weinkenner und -Liebhaber lässt diesen Wein so lange im Keller liegen? Kurzerhand habe ich zugeschlagen und die erste Flasche gestern geöffnet. Schon ordentlich bräunlich, aber durchaus noch mit einem dunkeln Kern. In der Nase die typische Tertiäraromen, so ausgeprägt, dass jeder Jungwein- und Furchttrinker sofort die Frucht ergreift. Nur das Fehlen von oxydativen Noten hat Mut gemacht, den Altwein auch zu verkosten. Nein, es stieg keine Prinzessin (und kein Prinz) aus dem Glas, vielmehr ein Altwein, der zwar müde geworden ist, aber durchaus noch Spass macht. Ich habe geschnüffelt und erforscht, gedeutet und genossen, neue Gewürze und fast schon «ausserirdische» Noten entdeckt. Kurzum: es war nicht nur interessant, es machte auch Spass und der Genussfaktor war durchaus wert, notiert zu werden.  Fazit: wer «Altweine» gern hat soll durchaus mal einen alten Burgunder trinken, es muss ja – siehe Experiment – nicht gerade ein Romanée-Conti sein. Es geht durchaus auch auf weit «tieferem Preisniveau».

© S. Haider, Burgenlandtourismus
© S. Haider, Burgenlandtourismus

21.Juni 201615 

 

St. Jakobskellerei Schuler: Aurien Selektion 2009, Blauer Zweigelt, Neusiedlersee, Österreich

 

  

Ein Österreicher vom Neusiedlersee, in der Schweiz ausgebaut und abgefüllt. Dies entspricht einem Konzept des Schweizerischen Weinhauses «Schuler», das mit seiner penetranten Telefonwerbung nicht viel Sympathien erntet. Eigentlich schade, denn die Weine sind nicht nur ordentlich, mitunter sogar sehr gut. Die Kellerei in der Innerschweiz ist nicht nur sehr gut aufgestellt, verfügt auch über ausgezeichnete Weinmacher, ein hochmodernes Labor, eine eigene Küferei und ideale Weinkeller. Auch wenn Weinliebhaber (ich meine die echten!!) es nicht wahrhaben möchten, entstehen hier Weine, die selbst höheren Ansprüchen genügen können, aber auch gute Weine für den sogenannten «Normalverbraucher», mit einem ausgezeichneten Preis-Leistungs-Verhältnis. Was aber fehlt, das sind die bekannten Namen, das ist die Individualität von Weingütern, ihren Winzern und einem lokalisierbaren Terroir. Viele der Weine sind also «anonyme» Weine, so wie dieser «aurien», von dem nur zu erfahren ist, dass er vom Neusiedlersee (Österreich) kommt. Es ist also  – unbestritten – ein Händlerwein und somit kein Wein über den es lohnt zu reden. Ich habe ihn gestern im Glas gehabt – allen Unkenrufen zum Trotz – es lohnt sich! Ein durchaus feiner, geschliffener, sortentypischer Zweigelt: elegant, würzig, leicht verspielt im Gaumen, mit weit weniger Frucht als die meisten Zweigelt, die ich bisher getrunken habe, doch mit Zimtspuren und natürlich den sortentypischen Aromen von Weichselkirschen. Im Augenblick – auch dies ist typisch für Schuler – ist der Wein (zumindest in der Schweiz) nicht – oder nicht mehr - im Programm. Die Kellerei bietet nämlich immer wieder Weine an – auch neue Linien (aurien ist eine Linie, bestehend aus 5 Weinen, rot: Zweigelt, St. Laurent und eine Cuvée; weiss: Grüner Veltliner und Weissburgunder. Keiner dieser Weine ist jetzt im «Wein-Shop» der Firma zu finden (vielleicht – ich vermute es – weil die Schweizer ihrem Nachbar Österreich unverständlich wenig Weinliebe entgegenbringen). An der Qualität des Weins kann es jedenfalls nicht liegen.

18.Juni 201615 

 

Château Margaux: Margaux 1970, Bordeaux, Frankreich

 

Bordeaux-Kenner wissen es: zwischen den «grossen Jahrgängen» 1961 und 1982 gab es keine, oder nur ganz wenig «grosse» Bordeaux. (Es gab auch noch keinen Parker, der später – ab 1982 – die Bordeaux-Weine so «gehypt» hat.) Kurzum: Bordeaux funktionierte noch ganz anders als heute. Die Wetterbedingungen, Regen zur Erntezeit, die Ertragsmenge etc. waren ausschlaggebende Faktoren für die Qualität eines Weins. Heute ist dies – zumindest im Bereich der teuren Weine – ganz anders. Die Unterschiede zwischen den Jahrgängen sind deutlich kleiner geworden, dank den neuen Erkenntnissen bei der Pflege und Nutzung der Reben und vor allem dank der neuen Technik in der Vinifizierung (Konzentrator, Fraktionierung etc.) 1970 entschied - nebst dem Können des Weinmachers - vor allem die Natur über die Qualität und den Jahrgang. Es war – gemäss Jahresbeurteilung – ein gutes Jahr, mit Rekorderträgen. Parker: «1970 hat sich als der beste Jahrgang erwiesen (Anmerkung: zwischen 1961 und 1982) und feine Weine hervorgebracht, die ansprechend füllig und voller Charme sind». Nur steckte damals das Château Margaux (wie viele andere grosse Weingüter im Bordelais) in der Krise. Parker: «Nach kläglichen Leistungen in den 1960er und 1970er Jahren wurde Château Margaux in den 1980er Jahren buchstäblich wiedererweckt und hat seitdem eine Reihe von nahezu vollkommenen Weinen erzeugt». Spannend also ist, was dieser 1970er – nach 46 Jahren – noch «hergeben» kann. Füllstand noch sehr gut (hohe Schulter), Lagerung (zumindest in den letzten Jahren) perfekt. Und der Wein. Ein «Altwein» oder eben ein gereifter Wein, sicher. Die pflaumigen Noten verraten es, aber: weder oxidiert noch erlahmt, es dominieren die tertiären Aromen:  Tockenfrüchte, Nüsse, Mandeln, exotische Gewürze, auch eine kleine Portion Firne. Dies alles wird strukturiert durch eine feine Saure, durch geglättete Tannine, so dass der Wein geradezu «geschmeidig» wirkt, erstaunlich wenig Brauntöne hat (eher dunkles Ziegelrot). Der Wein legt an der Luft noch deutlich zu und kann – zumindest von «Altweintrinkern», die nicht nach Frucht gieren und auch welkende Blumen schön finden – mit Genuss getrunken werden. Erst nach einer guten Stunde hat sich der Wein - allmählich - zur Ruhe gelegt. Doch da war er bereits (fast) vollständig getrunken und zwar mit viel Spass (und auch Bewunderung).

15.Juni 201615 

 

Weingut Rabl: Grüner Veltliner 2009, Käferberg, Kamptal, Österreich

 

Wieder ist es der Jahrgang, der nicht ganz stimmig ist. Wer befasst sich schon mit einem Grünen Veltliner im Alter von bald sieben Jahren. Da müssten doch Spritzigkeit, Frische, Kraft, vielleicht sogar die Frucht (fast) erloschen sein. So dachte ich mir. Kommt dazu, dass meine «Jugenderfahrungen» mit dem österreichischen «Nationalwein» - zumindest in der Erinnerung – nicht die allerbesten sind. Als junger Journalist, der sich aufmachte auch in die Weinwelt einzusteigen, nicht ernsthaft, eher spielerisch, genusssüchtig, hat mir mein viel älterer (und erfahrenerer) Bürokollege einen Grünen Veltliner aus der «Hofkellerei des Fürsten von Liechtenstein» beschafft – natürlich mir Beziehungen – unter dem Etikett: «etwas vom Besten, das die Weinwelt kennt». Irgendwie konnte ich da die Weinwelt nicht verstehen. Der Wein blieb nach – nach den ersten euphorisch begrüssten Gläsern und Flaschen – im Keller liegen. So lange, dass ich fortan keine Weine mehr aus Österreich gekauft habe. Ich wandte mich den Franzosen zu. Jetzt im Alter und mit einem guten Anteil von Weinerfahrung, wollte ich es doch noch einmal wissen: Wie ist das mit dem Grünen Veltliner? Beherzt ersteigerte ich an einer Wein-Auktion ein Lot Grüner Veltliner vom Weingut Rabl – natürlich zu einem Schnäppchenpreis. Wollte ich so meine Jugend zurückholen? Und sie kam zurück: viel schöner, viel genüsslicher, viel abgeklärter als in der Erinnerung. In einem Wein, der auf einer Seite Würze und Saft und Tiefe hat, auf der anderen Seite abgeklärt, cremig und vielfältig in den Aromen ist. Vielleicht passt er so besser zu mir, zu meinem Alter. Jedenfalls habe ich so die Blüten, Kräuter und Früchte der Jugend wiederentdeckt. Weit weniger stürmisch, viel harmonischer. 

(Foto: Rare Wine)
(Foto: Rare Wine)

13. Juni 2016

 

Domaine Henri Bonneau: Châteauneuf-du-Pape 1996, Rhone, Frankreich

 

Es ist einer der wenigen, sonnigen Vorsommertage. Wir arbeiteten im Garten und – todmüde – legte ich am Abend Kohle auf den Grill. Auf dem Rost Folienkartoffeln, zwei Würstchen und ein gutes Stück Lamm. Jetzt rasch in den Keller zum Wein. Ich entschliesse mich für einen Languedoc (Château Nouvelle). Doch da kommt mir in den Sinn, dass meine Frau Languedoc-Weine, hier in der Schweiz, nicht bevorzugt. Wir trinken fast immer und sehr gern an unserem zweiten Wohnsitz in Südfrankreich. Also ein zweiter Griff in das Weinregal: Prima, Châteauneuf-du-Pape! Wir trinken doch den Languedoc. Wunderbar sonnige Gefühle (ein «Getrunken» wird folgen). Nach dem Essen, vor dem Schlafengehen, noch ein kleiner Schluck Châteauneuf-du-Pape. Die Flasche steht in der Küche. Meine Frau öffnet sie und stellt die Flasche auf den Gartentisch. Auf der Rückseite klebt ein Post-it-Zettel: 129.50. Ich wundere mich, denn ich mache nur ganz, ganz selten eine Preisanschrift. Meine Frau meint: «1996 – wohl noch Französische Franc!». Dann ein spitzer Schrei: «Dies ist ja ein Bonneau!» Tatsächlich: ich habe den einzigen Bonneau in meinem Weinkeller erwischt. Nun ist die Flasche offen und wir leisten uns den exklusivsten Schlummertrunk, nicht ganz freiwillig, Snobs! Henri Bonneau – kürzlich gestorben – ist ein Spitzenwinzer von der Rhone, seine Weine sind Kult: «Henri Bonneau gehörte zu den legendären, traditionellen Winzern Frankreichs und genoss weltweit einen hochangesehenen Ruf. Um seine Weine kaufen zu „dürfen“ bedarf es jahrelange, freundschaftliche Beziehungen», so lese ich auf «Mybestwine». Der Wein ist also nicht nur teuer, sondern vor allem rar. Ich erinnere mich, dass ich vor bald zehn Jahren extra nach Graz zu einer seltenen «Bonneau-Degustationen» gefahren bin. Ich erinnere mich, dass ich für einen österreichischen Weinfreund oft eine Flasche besorgt habe, hier in der Schweiz, weil sie (fast) nur hier erhältlich war. Jetzt erinnere ich mich auch wieder, dass ich die Flasche vor Jahren an einer Auktion ersteigert habe. Lange ist es her! Der Winzer Bonneau ist inzwischen tot, und diese, eine seiner «Werke» getrunken: den Rest des «Schlummertrunks» am andern Tag mit Verstand, Gefühl und Ehrfrucht. Und? Es ist ein spezieller Wein, den man nicht einfach so hinunterschluckt. Er singt, erzählt, fordert, breitet sich aus, nicht wohlig gefällig, vielmehr bedächtig und herausfordernd. Ich würde sagen: zu lange zugewartet, aber er ist noch immer da: reif, schon etwas pflaumig, ausgewogen, nicht elegant, eher rustikal, weit weg von jeglicher Folklore, vielmehr in echter – nur noch selten anzutreffender – Tradition. 

09.Juni 20166

 

Weingut Gantenbein: Pinot Noir 2004, Fläsch, Bündner Herrschaft, Schweiz

 

Ein wichtiges Detail habe ich im vorletzten «Getrunken» unterschlagen. Ich meine in der Notiz, bei der es um den Burgunder «Bonnes-Mares» von G. Roumier ging, jenen Wein, den ein Freund – Burgunderfan – sozusagen als «Schlummertrunk» mitgebracht hat. Ich gestehe: wir haben in jener denkwürdigen Nacht nicht nur den hochkarätigen Wein von der Côte-d’or getrunken, sondern auch noch einen hochkarätigen Wein aus der Schweiz geöffnet: einen Pinot Noir von Gantenbein, so quasi den «Klein-Petrus» der Schweiz. Es war zu verlockend einen direkten Vergleich anzustellen, denn Gantenbein orientiert sich – wohl am stärksten unter allen Schweizer-Pinot-Produzenten – an dem Vorbild Burgund. Als Martha und Daniel Gantenbein 1982 – als Quereinsteiger – damit begonnen haben, Wein zu machen, möglichst guten, pflanzten sie in ihrem Rebberg Burgunder-Klone. Und sie machten guten Wein und sie hatten (und haben) Erfolg. Ich stelle immer wieder fest. Gantenbein kennt man, weit über die Landesgrenzen hinaus. Das – so dachten wir – verpflichtet und ich holte eine Flasche (viele besitze ich nicht, denn sie sind sehr rar) aus dem Keller. Da meine Auswahl an Pinots von Gantenbein nicht sehr gross ist, griff ich kurz entschlossen zu einem 2004er, also zu einem drei Jahrgänge älteren Wein als der «Bonnes-Mares». Und da, meine ich, liegt das Problem. Der Pinot von Gantenbein hat den Zenit bereits überschritten; macht sich daran, sich langsam, langsam zu verabschieden, während der Wein aus dem Burgund – so schätze ich – gerade die Genuss-Spitze erreicht hat. Die Weine lassen sich also – in ihren Terroir- und Vinifikations-Unterschieden – nicht vergleichen. Der «Genussfaktor» hat sich – ganz eindeutig – beim Burgunder aus dem Burgund festgemacht. Man sollte solche Experimente eigentlich nicht machen: einer kommt da immer zu kurz, schlechter weg, vor allem wenn Mitternacht längst vorbei ist und der Schlummer wichtiger wird als der Trunk. Ich habe trotzdem ein paar wenige Notizen gemacht: leicht alkoholisch, Wildkirschen, Frucht verhalten, mild, samtig, ein schöner Pinot, der aber daran ist, sich schlafen zu legen (wie wir Spätzecher). Um es mit markigen Worten von René Gabriel zu sagen: austrinken!

06.Juni 20166

 

Joh. Jos. Prüm: Wehlener Sonnnuhr 2002, Riesling Spätlese, Mosel, Deutschland

 

Da stelle ich auf meiner Website (www.sammlerfreak.ch) seit bald einem halben Jahr täglich einen «Wein des Tages» vor, ausgewählt aus unglaublich vielen Kurznotizen und Empfehlungen von Weinliebhabern, die mich jeden Tag im Internet erreichen. Ausgewählt, einzig auf Grund der Glaubwürdigkeit der Autoren und Autorinnen oder/und der Originalität (Alter, Weingebiet, Rebsorte etc.) eines Weins. Es sind keine Kritiken, auch nicht Empfehlungen, sondern Hinweise, wie ein Wein beim Konsumenten angekommen ist. Mich fasziniert die Vielfalt der Weine und der Meinungen. Der «Wein des Tages» gibt mir jeden Tag Gelegenheit, meinen eigenen «Weinhorizont» zu erweitern. Sehr oft sind es Weine, die ich nicht oder nur ganz oberflächlich kenne, ja, die ich selten oder nie getrunken habe. Was ich selber getrunken habe, stelle ich ja hier im «Getrunken» ausführlich vor. Da ich selber nur selten Weissweine trinke, überwiegen diese in der kleinen, täglichen Rubrik, gleichsam als «Kompensation» zu meiner Rotweinlastigkeit. Einen Effekt beobachte ich aber an mir. Durch die meist kurze Beschäftigung mit einem «Wein  des Tages» (Auswahl, Angabe des Weinguts, der Autoren, Verlinkung, Präzisierung der Weingegend etc.) werden oft das Interesse geweckt und die Neugier angestachelt. So geschehen bei der «Wehlener Sonnenuhr», die heute der «Wein des Tages» ist. Ich kenne zwar Weine von Joh. Jos. Prüm, war auch schon auf dem Weingut, doch die Erinnerung ist verblasst. Da kommt mir aber in den Sinn, dass ja noch eine ältere Spätlese der Wehlener Sonnenuhr in meinem Keller liegt (ich glaube als Mitbringsel von der letzten Mosel-Reise). Der Wein muss natürlich jetzt unbedingt eingeschenkt werden muss, so quasi als Nagelprobe. Da sich zudem ausnahmsweise) heute der Sommer blicken lässt, ist die Wahl wohl nicht ganz falsch. Ich notiere: Ein Riesling in elegantester Form, feingliedrig, für eine Spätlese nicht zu süss, fruchtsüss (so sagt man, glaube ich) gar nicht tropsig, ein Spiel zwischen Süsse und Säure, das schliesslich (für mich) aufgeht, irgendwie habe ich das Gefühl auch etwas Salziges zu spüren, vielleicht sogar eine Spur Bitterkeit, die an Grapefruit erinnert. Irgendwie sind mir aber die Begriffe (das Vokabular) für Moselweine nicht so vertraut. Das tut meinem uneingeschränkten Genuss keinen Abbruch, im Gegenteil. Vielleicht muss ich doch öfters Weissweine trinken. Und zwar nicht nur unsere Chasselas, die – so merke ich jetzt – meinen subjektiven Weissweinbegriff doch etwas geprägt haben.

05. Juni 2016

 

Domaine G. Roumier: Bonnes-Mares 2007, Grand Cru, Côte-d’Or, Burgund, Frankreich

 

Ein Erlebnis. Ein wirklich schönes Erlebnis, mitten in der Nacht, sozusagen beim «Schlummertrunk». Nein ein «Schlummertrunk» ist dieser Wein nicht, dazu ist er viel zu aufregend gut. Er hat Tiefe, er hat Volumen, er hat Eleganz – ein Burgunder eigentlich eher für Festtage. Ein Weinfreund aus Deutschland hat ihn gebracht. Eigentlich wollten wir uns einen schönen «Weinabend» machen. Durch ein Missverständnis hat es nicht geklappt. Ich hatte eine Verpflichtung, wollte aber schon früh Haus, bis ich endlich zurückkam. Da war es aber schon bald einmal Mitternacht. Es reichte gerade noch für einen «Schlummertrunk». Wir haben trotzdem den mitgebrachten Burgunder geöffnet. Eigentlich eine Frechheit gegenüber dem Wein. Aber verzeihlich, wenn man bedenkt, dass ich nur selten einen Burgunder dieser Qualität im Glas habe. Er versprühte dann auch – trotz fortgeschrittener Zeit – seine ganze (verhaltene) Pracht und Schönheit, seinen Charme und tief verankerte Würze. Ein Bouquet aus Veilchen und Trüffeln, Leder und Tabak, Kräuter und Kirschen, ein echter Burgunder, bin ich versucht zu sagen. Der berühmte Satz vom «kleinen Prinzen» kommt mir in den Sinn: «Man sieht nur mit dem Herzen gut». Dies trifft auch beim Wein zu – oder gerade beim Wein! Noch selten habe ich – trotz vorgerückter Stunde – so gut gesehen, wie bei diesem Bonnes-Mares im Glas. Vor allem: es war keine Fata Morgana, wie leider oft (auch und vor allem) bei «grossen» Weinen. Es war – und blieb – Realität, den erheblichen Teil einer Nacht lang und noch am andern Tag: das Herz hat ihn aufgenommen, eingeschlossen, mit Emotionen überschüttet. Und es wurde mir wieder einmal bewusst, dass es nicht nur die Qualität, die messbaren Eigenschaften sind, die einen Wein gross machen. Es sind auch – vor allem – die Emotionen.

03.Juni 2016

 

Desfayes-Crettenand: Riesling 1998, Leytron, Wallis, Schweiz

 

 

Wieder einmal so ein Experiment, das sich gelohnt hat. Ein «vergessener» Wein; das alte Lied aus meinem Keller. Ich suchte einen Weisswein zum Kochen und fand diesen Riesling. Wahrscheinlich habe ich ihn an einer Auktion in einem «Mischlot» ersteigert, sozusagen als «Zugabe» zu einem Wein, der mich interessierte. So genau weiss ich es nicht mehr. Jedenfalls hat mich bereits die Etikette überrascht: Riesling aus dem Wallis. Das gibt es offensichtlich, aber ist recht selten. In der Schweiz wird kaum Riesling ausgebaut, und wenn, dann nur in kleinen (sozusagen experimentellen) Mengen. Und dann der Jahrgang: 1998. Ich sehe – in Gedanken – meine deutschen Weinfreunde – allesamt riesling-gepägt. Es schüttelt sie! Da gehe ich weit unbeschwerter ans Werk. Ein tüchtiger «Gutsch» ins Essen und ein weit vorsichtiger ins Glas. Ich hätte da gerne meine eigenen Augen sehen wollen: wohl eine Mischung von masslosem Staunen und Ungläubigkeit. Ein Riesling – aus den Walliserbergen – bald einmal zwanzig Jahre alt. Und noch dieser Ausdruck in der Nase! Ein Aromenbukett, zwar streng, kompakt, wie ein eng gebundener Blumenstrauss. Herbstblumen. Nicht leicht duftend, vielmehr sich kräftig im Raum ausbreitend. Nicht mehr leicht hüpfend, längst sesshaft geworden. Und dann der Wein im Mund: ein rollender kleiner Edelstein, sauber geschliffen, ohne Ecken und Kanten, fein in den Gaumen rollend, mit einem langen Nachhall. Ist dies möglich? Verwirrt schaue ich auf das Etikett: Es ist der Jahrgang 1998, tatsächlich! Die Farbe ist nicht mehr leicht gelb getönt, durchsichtig, schon eher dunkelgelb oder braungelb, gar nicht «anmächelig». Aber der Wein: nachdenklich süffig, abgeklärt rund, streng weinfreudig. Zugegeben: er ist – in diesem Zustand – ein Experiment. Doch eines, das sich gelohnt hat. Jetzt – am anderen Tag – wo ich dieses Getrunken schreibe – realisiere ich erst: die Flasche ist nahezu leer. Ich hab den Wein – ganz langsam, sachte, ausgedehnt – zum  Fernsehprogramm getrunken. An das Programm erinnere ich mich kaum mehr - aber an den Wein. Er ist noch immer präsent. 

31. Mai 2016

 

Châteaux Citran: Citran 1996, Cru Bourgeois, Haut-Médoc, Bordeaux, Frankreich

 

«Citran» ist ein «kleiner» Wein, obwohl er immer wieder als «Geheimtipp» gehandelt wird. So geheim ist der Tipp allerdings auch wieder nicht. Es ist immerhin ein Cru Bourgeois, der seit den frühen 90er-Jahren auch immer besser wurde (durch Erneuerungen im Rebberg, im Keller und vor allem durch Drainage des Reblands). Die Familie Merlaut, die unter anderem auch an Château Chasse-Spleen beteiligt ist, hat 1996 das Weingut von einer japanischen Immobilienfirma übernommen, die auch viel ins Weingut investiert und so zu einem der besten Cru Bourgeois im Haut-Médoc gemacht hat. Doch die Preise blieben – in all den Jahren - «moderat», besser gesagt «sehr günstig». Selbst die beiden hervorragenden Jahrgänge 2009 und 2010 – meist mit den Spitzenpreisen – ist für rund 20 CHF zu kaufen. Es ist ein Wein, der schon früh getrunken werden kann, man brauch nicht zehn und mehr Jahre zu warten. Viel Frucht, samtig, weich, sauber strukturierte Tannine, harmonisch… vielleicht – für Bordeaux-Power-Liebhaber - etwas langweilig. Doch darum geht es hier nicht. Dieser Wein ist wohl noch nicht von der neuen Besitzerfamilie zu verantworten. Doch als kleiner Wein hat er nun 20 Jahre im Keller gelegen. Wenn das nur gut gegangen ist! Eigentlich traute ich der Sache nicht. Ein Wein, der in der Regel unter 20 CHF kostet mit 20 Jahren Kellerlagung: nein, dies «funktioniert» auf keinen Fall!

Doch es hat funktioniert. Der Wein ist noch einiges besser als damals, als ich ihn gekauft habe, vor allem ist er reif, ausgewogen, warmherzig, gar nicht langweilig, eher erzählfreudig. Er erzählt wie «kleine» Weine sein können, wenn man sie richtig lagert und wenn das Weingut sorgfältig selektioniert und im Keller arbeitet. Der Wein zeigt keine Spur von Oxidation und Abbau, noch immer viel Frucht am Gaumen. Er gehört wohl zu den besten 96ern, der auch ohne weiteres mit dem zuletzt besprochenen Canon-la-Gaffelière (der das dreifache kostet) mithalten kann. Bordeaux ist nicht nur gross in den Preisen, auch im möglichen Potential sogenannt "kleiner" Weine.

29. Mai 2013 

Château Canon-la-Gaffelière:
Canon-la-Gaffelière 1996, Saint-Emilion, Bordeaux, Frankreich

 

Ich habe ihn etwas lang aufbewahrt in meinem Keller, den Bordeaux-Jahrgang 1996. Zu lange? Ich glaube nicht! Jetzt ist er aber an der Genussreihe. Man braucht eben – zur «trinkbewirtschaftung» eines Bordeaux-Kellers oder -Abteils – so etwas wie ein System, vor allem wenn man nicht ganze Kisten, sondern von vielen Weingütern ein paar wenige Flaschen eingelagert hat (typisches Sammlersyndrom!). Natürlich greife ich ab und zu gezielt zu unterschiedlichen Jahrgängen und Flaschen (auch viele ältere), je nach Anlass mal zu «kleinen», mal zu «grossen» Weinen. Es kommt immer auch die Zeit, wo ein Jahrgang (vor allem wenn man einst subskribiert hat) sozusagen «weggetrunken» werden sollte. Dies ist jetzt der Bordeaux-Jahrgang 1996, also nach (fast) zwanzig Jahren Kellerruhe. Der 97er (generell ein schwächerer Jahrgang) ist sozusagen weg, auch der 95er. Die endlose Diskussion, ob jetzt der 98er an der Reihe ist, oder doch der «bessere» Jahrgang 96, bringt nichts. Ich werde nun – in der nächsten Zeit – vermehrt zu den 1996ern greifen, unter denen auch eine Reihe von preisgünstigeren Weinen «überlebt» hat. Ich bin richtig gespannt, was daraus geworden ist, denn eine gute, sorgfältige Lagerung ist – entgegen vielen Auktionsweinen – in meinem eigenen Keller garantiert.

Der erste dieser Reihe ist zwar kein «kleiner» Wein, denn die «Vignobles Comtes von Neipperg» haben ein beachtliches Ansehen und der Wein hat schon damals um die 50 CHF gekostet. Die Mär von der enormen Wertsteigerung ist auch gleich wiederlegt, denn der Wein wird heute noch zu etwa 70 CHF (natürlich ab und zu auch teurer) angeboten. Was sich in zwanzig Lagerjahren verbessert hat, das ist allein die Genussreife. Tatsächlich ist es heute ein voll ausgereifter, runder, in sich stimmiger Bordeaux aus Saint-Emilion, mit einer ausdrucksstarken Nase und vielen tertiären Aromen: Walderde, dunkle Früchte, fast perfekt ausgewogen und harmonisch. Schade, dass ich wusste, was im Glas ist: ich hätte den Wein wohl einem noch weit renommierteren Châteaux zugesprochen, etwa dem Angélus oder – ich wage es kaum zu schreiben – gar einem Ausone (aus kleineren Jahrgängen). Jedenfalls ist dieser Canon-la-Gaffelière ein toller Auftakt für das, was aus dem Bordeaux-Jahr 1996 jetzt zu erwarten ist.

24. Mai 2016

 

Cederberg Privat Cellar:
Sauvignon Blanc 2012, Western Cape, Südafrika

 

Die Flasche ist mit nicht weniger als vier «Trophäen» geschmückt: «Gold Medal Michelangelo, Concours Mondial – Gold, Winner Top 100, Trophy Wine Show – Old Mutual». Ist er auch so gut, so einmalig, so auszeichnungswürdig? Ich habe ihn zum allerersten Mal getrunken – nein «nur» degustiert - auf dem Weingut in den Cederbergen, etwa zwei Stunden nördlich von Kapstadt. Noch heute weiss ich nicht, was mich mehr beeindruckt hat: das Weingut mitten in den Bergen mit den Rebbergen, die zum Teil mehr als 1'000 Meter über Meer liegen; oder der Wein, der in der Nase so überaus deutlich an Feuerstein erinnert und in den Aromen Feigen und tropische Früchte erahnen lässt. Noch nie habe ich bis dahin einen Sauvignon Blanc mit dieser – schon fast stempelhaften - Charakteristik getrunken. Ich war so beeindruckt, dass ich zwei Flaschen im Gepäck mit nach Hause schleppte; es waren die einzigen Weine, die ich von meiner Südafrika-Reise mitbrachte, wohl wissend, dass ich den Wein auch in der Schweiz kaufen kann. Eine mitgebrachte Flasche ist eben keine gewöhnliche Flasche, die man so einfach im Fachgeschäft kaufen kann. Sie ist verbunden mit Eindrücken, Wahrnehmungen, Gefühlen von Orten, an denen die Reben gewachsen und der Wein geschaffen wurde.

Das Weingut Cederberg der Familie  Niewoudt ist nicht einfach nur eines der vielen Weingüter  Südafrikas, die gute Weine machen. Es ist ein Weingut, dass so weit oben in den Bergen liegt und so weit weg von der Stadt, dass allein schon dies höchste Bewunderung hervorruft. Dass dabei auch noch Spitzenweine – rote und weisse – entstehen, die unverwechselbar «Cederberg» sind, und nicht nur das, auch hervorragend im Geschmack, in der Stilistik und in ihrem Genusspotential sind, dies ist eine der schönsten Erfahrungen meiner beiden Wein-Südafrika-Reisen. Wie immer in solchen Fällen, trugen die Umstände noch einiges dazu bei: wir kamen von Norden, auf einer holprigen Naturstrasse, nach stundenlanger Fahrt durch bizarre Steinwüsten und trafen zuerst auf die Reben, dann auf das Weingut, das wie eine kleine Oase in der Landschaft liegt. Fasziniert schaue ich noch heute die Bilder an: es sind mehr als nur Erinnerungen, es ist der bildliche Ausdruck des Erlebens.

Und jetzt ist eine der beiden Flaschen getrunken. Was ist geblieben? Ein hervorragender, ein eigenwilliger, ein charaktervoller Wein. Etwas Besonderes,  das mich bei jedem Schluck daran erinnert, dass im Wein immer auch ein Stück Landschaft, Leben und Eigenwilligkeit, ja Einmaligkeit weiterlebt, wenn er authentisch ist. Man muss diese Eigenschaft – neben der Freude am Wein - beim Weingenuss nur zulassen und zu schätzen wissen.

22. Mai 2016

 

The Hess Collection Winery: Cabernet Sauvignon 1992, Napa Valley, Kalifornien, Amerika

 

Der Anlass war ein ganz spezieller. Wir verkosteten bei einem Weinhändler der Region etwa 20 Weine, die er – möglicherweise – in sein Sortiment aufnehmen möchte. Für mich etwas neues, nicht das Verkosten, sondern Faktoren wie Etikette, Name, Preis-Leistung unmittelbar ins Urteil einfliessen zu lassen. 

Da bleibt das Urteil plötzlich nicht mehr nur qualitätsbezogen, abstrakt. Der Wein soll gut sein, aber auch… verkauft werden können, nicht zu einem Ladenhüter mutieren. Ich gebe zu, ich war ganz ordentlich gestresst. Als die Prozedur vorbei war, kam dieser Kalifornier auf den Tisch – wohl weil ich die Bemerkung fallen liess , dass ich kalifornische Weine kaum trinke und nur schlecht kenne. Meine Reaktion: Endlich ein Wein, der gereift ist, der gewisse Altersspuren aufweist, der eigentlich meinem Weingeschmack deutlich näher kommt, als die «Jungweine» die bisher angestanden sind. Die Wirkung war entsprechend. In der Runde hat zwar niemand gesagt, der Wein sei schlecht, oder gar – wie es oft so drastisch formuliert wird – untrinkbar. Aber man liess in mehrheitlich stehen. Also habe ich einen schönen Teil davon getrunken. Mit unglaublichem Vergnügen. Es war eine Wohltat einen Wein im Glas zu haben, der Tiefe und Differenziertheit beherbergt und weder von der Frucht, vom Alkohol oder der Säure ertränkt wird. Ich habe richtig Spass gehabt am Wein, auch wenn er den berühmten Berg (der Genussreife) überschritten hat. Kommt dazu, dass solch «alte» Weine nichts für Fruchttrinker sind. Ich hatte halt genug der Früchte und fand dieser Wein durchaus fruchtig, zwar verhalten, verinnerlich, vielleicht sogar «verklärt». Die Gerbstoffe fast ganz abgebaut, nicht verschwunden, sondern integriert in ein Bett von Zedernholz und leisen Cassisnoten. Ich sage: Cassis-Noten nicht -Sirup, wie ihn Cabernet-Weine oft ausstrahlen. Zugegeben, der Wein hat sicher schon bessere Tage erlebt (wohl als er einst 94 Punkte bekam), die erreicht er heute nicht mehr. Aber er hatte einen guten Tag – auch das Alter kann gute Tage hab

16. Mai 2016

 

Château Smith Haut Lafitte: Sauvignon Blanc 1999, Pessac Léognan, Bordeaux, Frankreich

 

Schnelle, wenig differenzierte Urteile hat man schnell einmal zur Hand. So ist zum Beispiel der Weisswein vom Weingut Smith Haut Lafitte schon seit Jahren für mich «der beste Weisswein» aus Bordeaux – und noch weit mehr für meine Frau. So falsch können wir da auch nicht liegen, kommt er doch – in guten Jahren – auf 93 und mehr Parker-Punkte (2006, 2013). Irgendwann beschlossen wir – weil wir ihn so gut fanden – ein paar  Flaschen in den Keller zu legen, obwohl wir keine Weissweintrinker sind. Und so ist es gekommen, dass diese da ausgeharrt haben, bis wir wieder einmal eine davon erlösten. Jahrgang 1999: «Ein reiner Wein, ausgereift, mit schöner harmonischer Säure, komplex, mit markantem Körper und einer intensiven Nase (Grapefruit und Melone), elegant, frischem und schon fast fröhlichen im Abgang.» Dies jedenfalls habe ich mir notiert, damals, als wir ihn gekauft haben (immerhin um die 80 Franken). Und heute? Bei seiner «Erlösung»? Er besitzt noch immer eine gute Portion Frucht, aber auch einen grossen Anteil an «old fashioned», gar nicht mehr der moderne, knackige Wein von damals. Zu Recht! Einen Weisswein aus Bordeaux, auch wenn es «Smith haut Lafitte» ist, sollte man nicht 17 Jahre aufbewahren, auch in einem guten Keller nicht. Da bin ganz allen ich schuld! Wer spricht schon von Schuld? Sühne braucht es schon gar nicht. Es ist einfach ein anderer Wein, ein gealterter, der aber viel von seinem ursprünglichen Charakter bewahrt und noch einiges zugelegt hat. Nein, springen kann er nicht mehr, auch im Gaumen nicht. Nicht einmal mehr hüpfen; er ruht einfach in sich – altersschön, mit ordentlich viel «Firnissen». Irgendwie ist es wie bei einem Gemälde aus Öl: es ist erst abgeschlossen, wenn auch der Firn aufgetragen und sich entwickelt hat. Schwarze Johannisbeeren bis exotische Früchte, alles in Spuren noch da, doch schon  nahezu verdeckt von kräftiger, aber ruhiger tief dringender Würze. 

03. Mail 2012

 

Thelema Mountain Vineyards:

Riesling 2011, Stellenbosch, Südafrika

 

 

Ein Riesling aus Südafrika. Kann dies gut gehen? Die Deutschen sind doch die Riesling-Spezialisten. Unerreichbar, so der Tenor in der Weinwelt. Zufällig habe ich auf dem Weingut Thelema in Stellenbosch diesen «fremden» Riesling entdeckt. Eigentlich interessierte mich der Cabernet-Sauvignon «The Mint», der ein markantes Minzenaroma aufweisen soll. Tatsächlich war das Aroma da, unverkennbar. Da waren wir uns einig. Zurück in der Schweiz – hier konnte ich «The Mint» beziehen – war das Aroma fast weg, jedenfalls alles andere als prägnant. Ich rätselte und liess die restlichen Flaschen «vorläufig» im Keller liegen. Und mit ihnen auch die paar Flaschen Riesling, die ich gekauft habe – mehr aus Neugier. Auf dem Weingut schien es mir, es sei ein anderer Riesling, nicht vergleichbar mit den deutschen. Ein ganz anderer Stil, etwas süsser, jedenfalls härter, weniger frisch und «knackig». Natürlich ist dies ein recht oberflächliches Urteil und «den» deutschen Riesling gibt es auch nicht, zu vielfältig ist da die Palette. Prompt ist das Gegenteil eingetreten, als ich den längst vergessenen Südafrikanischen Riesling nun endlich zuhause eingeschenkt habe. Ich hätte geschworen, es sei ein Riesling aus der Pfalz. Nicht ganz trocken, aber auch nicht süss. Unglaublich frisch – obwohl schon in die Jahre gekommen – mit viel Nektarinen und Citrus am Gaumen und einem gemütlich langen Abgang. Ja, ich hätte geschworen, einen deutschen Riesling im Glas zu haben. Ich bin mit dem experimentierfreudigen Weingut versöhnt: Ich habe in zwei Weinen nicht das gefunden, was ich auf Grund der Verkostung vor Ort erwartet habe. Genau diese Überraschung, diese Spannung ist es, wenn ich durch ein ein mir relativ unbekanntes Weingebiet "wandere".

02. April 2012

 

Robert Mondavi Winery: Chardonnay 1995, Napa Valley, USA

 

«Wie bin den ich in deinen Keller gekommen», fragte die Flasche als ich sie vom langen Warten erlöste. Ich weiss es wirklich nicht: vielleicht das Geschenk eines Weinfreundes, vielleicht eine Flasche aus einem Mischlot in einer Auktion. Wie dem auch sei, der Wein ist alt geworden (ohne dass ich es bemerkt habe), es ist halt ein «Firnewein» entstanden, ein abgelagerter Wein, der, auch ruhig geworden. Wer "ruhig" mit "schlecht" verwechselt, der liegt falsch. Der Wein ist anders – vor allem wenn er ohne Restsüsse ist – also trocken; mit einem Geschmack, der Alter ausstrahlt. Ein Montrachet (Burgund) mit gleichem Alter, auch ein Chardonnay, mit gutem Namen, wird ohne weiteres für 300 CHF und mehr versteigert, wenn es sogar von Romanée-Conti ist, dann werden gar mehrere Tausender für eine Flasche bezahlt. Ich habe noch nie einen Wein dieser Kategorie getrunken, frage mich aber wie er wohl «schmecken» würde, so fein, so gut, dass man wirklich bereit sein muss, so viel Geld hinzublättern. Mondavi ist ja auch kein so schlechter Name – natürlich weit entfernt von einem Burgunder – und kostet (zum Beispiel der 2012er) auch um die 30 CHF. Sogar mein 1995 wird – laut «wine-searcher» - noch immer irgendwo zu 30 CHF angeboten. Also tanke ich frischen Mut, «Zapfen» raus und rein mit dem Wein ins Glas! Erinnernd an die Bremer Stadtmusikanten: «Etwas besseres als den Ausguss finde ich überall». Und so ist es! Der Wein ist anders, aber durchaus trinkbar, sogar mit Vergnügen trinkbar. Kein Vergleich mit jungen, fruchtigen, «spritzigen» Weinen. Abgestanden ist dafür gar kein schlechter Begriff. Aber auch «bestanden» könnte man sagen; er hat viele Jahre bestanden und dabei etwas zugelegt, das faszinierend ist: eine Ruhe und Ausgewogenheit, eine Tiefe und Nachhaltigkeit, eine Aromenbreite und Einmaligkeit, die vielleicht wenig an einen uns geläufigen Weisswein erinnert mag, vielmehr an ein Getränk, an das man sich – zurecht – gewöhnen kann. Der Ausguss jedenfalls wurde keinen Augenblick zum Thema.  

20. April 2012

 

Château Pape-Clément: Pape Clément 1997, Pessac-Léognan, Bordeaux, Frankreich

      

Ich kann es einfach nicht lassen, auch wenn es langweilig werden kann, für mich und für die Rubrik «Getrunken». Die Botschaft ist längst verbreitet: Der Bordeaux-Jahrgang 1997 ist besser, viel besser als sein Ruf. Aber auch, dass er viel zu teuer war und deshalb lange liegen blieb (bei den Händlern), wie die Tatsache, dass die letzten Vorräte vor etwa 10 Jahren (spätestens nach den Jahrhundert-Jahrgängen 2009 und 2010) buchstäblich «verscherbelt» wurden. Auch aus den meisten Kellern ist er verschwunden (ausgetrunken) oder «noch rechtzeitig» verkauft worden. Selbst auf Auktionen wird er nur noch selten (immer deutlich unter dem Durchschnittspreis eines Château) angeboten.  Stichprobe: im Katalog der grossen Auktion (vom 23. April 2016) mit 628 Lots taucht der Bordeaux-Jahrgang nur acht Mal auf: fast alles berühmte Weine (wie Mouton-Rothschild, Cheval Blanc, Cos d’Estournel), die hauptsächlich auf Grund des Namens (und nicht der Jahrgangsqualität) gekauft werden. Gerade deshalb – und weil meine Erfahrungen mit dem 97er bisher so unterschiedlich waren – habe ich die letzten 97er im Keller «zusammengekratzt» - fast wie eine Reihe – in den letzten Wochen eingeschenkt: Lafleur 97: eine herbe Enttäuschung; Calon-Ségur 97: eine echte Überraschung; Pichon Longueville Comtesse 97: grossartig; Angélus 97: eine ganz andere Stilistik, bar gut; Evangile 97: eine Katastrophe und jetzt diesen Pape Clément 97: ein echtes Erlebnis. Man könnte nun vermuten, dies läge wohl bei der Lagerung. Weit gefehlt: Alle diese Weine wurden von mir subskribiert und nach der Auslieferung in meinem guten Keller gelagert. Ein Weinfreund, den ich kürzlich getroffen habe erzählte mir von ähnlichen Erfahrungen. Jetzt noch zu diesem Pape Clément: nicht gewaltig, aber einfach nur schön: pfeffrig, füllig, erinnert an Amarenkirschen und geröstetem Kaffee, Zimt, Dörrobst. Doch was solls. Dies sind Assoziationen. Was bleibt: ein wunderschöner Bordeaux 1997 (der jetzt leider getrunken ist).

17. April 2012

 

Château Angélus: Carillon d’Angélus 1999, Zweitwein, Saint-Emilion, Bordeaux, Frankreich

 

Der rasanteste Bordeaux-«Aufsteiger» dürfte – nebst den sogenannten Garage-Weinen – das Château Angélus sein. Als ich das erste Mal auf dem Weingut war – anfangs der 90er Jahre – war es noch ein «Grand Cru Classé» (die kleineste Stufe der Klassifikation in Saint-Emilion), zusammen mit etwa vierzig anderen Weingüter, und schon zwanzig Jahre später in der obersten Klassifikation (Premier Grand Cru Classé A), wo viele Jahre nur zwei Châteaux eingestuft waren (heute vier). Andere Weingüter, – zum Beispiel Figeac -  die schon viel früher auf dem Pfad zur höchsten Qualitätstufe in Saint-Emilion waren, warten immer noch auf diese Ehre (die natürlich auch ein enormer finanzieller Vorteil ist). In Saint-Emilion wird nämlich alle zehn Jahre neu beurteilt und neu klassifiziert (zum letzten Mal 2006). Da gibt es immer einige (wenige) Aufsteiger und Absteiger. Wenn man die Rochaden so richtig analysiert, dann merkt man, wie viel «politische» Ausrichtung – natürlich nebst der Qualität – in diesen Klassifizierungen liegt. Angélus hat es – nach meiner Beurteilung – den Aufstieg so rasch geschafft, weil es «verkaufsstrategisch» richtigliegt, sowohl in der Verkaufspolitik (Preise), als auch im Stil und im Marktumfeld. Die schöne «Angelus-Glocke» ist genau zugeschnitten auf den «Geschmack» der Kundschaft im Fernen Osten, denn die Glocke (wenn auch mit anderer Deutung) passt wunderbar ins Kulturbild der Chinesen. So einfach ist es aber nicht: Angélus ist auch ein hervorragender Wein, eher weich, geschmeidig, verführerisch, elegant – mit einer unglaublich tiefschürfenden Aromenkraft. Ja, es ist ein Wein, der deshalb vor allem auch hier in der Schweiz sehr beliebt ist. Allerdings kostete (vor dem ersten «Aufstieg» 1995 ein Angélus noch etwa 50 CHF (was für einen Wein dieser Stufe schon beachtlich war), fast zwanzig Jahre später (2014) rund 200 CHF. Heute kostet der Zweitwein etwas mehr als 50 CHF.

 

Dieser Zweitwein von Angélus aus dem Jahr 1999, einst für 30 Euro gekauft, ist noch immer ein «starker» Wein, er hat sogar erheblich zugelegt und kann mit gar manchem klassifizierten Erstwein aus Saint-Emilion mithalten. Was zuerst buchstäblich «in die Nase springt», das ist sein Duft, da hat sich ein tolles Bukett entwickelt: leicht rauchig, viel Cassis und Heidelbeeren, Kaffee. Dabei ist der Jahrgang bei Angélus überhaupt nicht toll (der Erstwein bekommt von Parker «nur» 88 Punkte und für Gabriel ist er gar «vorbei». Wieder einmal ist meine Erfahrung anders: ein wunderschöner Wein, ein echter Emilion. Wertungen sind erst dann «gültig», wenn der Wein im Glas ist und das bewertet (oder beurteilt) wird, was im Gaumen landet. Und dies ist so oft mehr (oder weniger) als Weinkommentare suggerieren. 

12. April 2016

 

Château Calon-Ségur:

Calon Ségur 1997, Saint-Estéphe, Bordeaux, Frankreich

 

Die Erfahrungen sind oft ähnlich, so dass man es «eigentlich wissen müsste» - und man weiss es doch nicht – oder will es nicht wahrhaben. Wie dem auch sei: Der 97er Bordeaux-Jahrgang gilt generell als schwach (vor allem auch viel zu teuer) und sollte längst getrunken sein. Vielleicht mit Ausnahme von ein paar «grossen» Weinen. Ein Lafleur 1997 (Pomerol) lieferte kürzlich – an einer hochkarätigen Degustation – die Bestätigung. Der Wein war eine teure Enttäuschung. Damit ist «quasi» der Jahrgang 1997 besiegelt. Doch er ist es nicht. Im vergangenen Jahr habe ich acht Mal über ganz verschiedene Weine aus dem Bordelais – Jahrgang 1997 - hier im «Getrunken» geschrieben: immer ganz erstaunt, immer positiv, immer eine Überraschung. Es waren nicht grosse Weine à la Lafleur, durchwegs «billigere» oder eben kleinere Weine. Wie dieser Calon-Ségur 1997, der doch jetzt – nach bald zwanzig Jahren – nichts mehr sein kann, zumindest kein Wein der Spass macht; wie habe ich kürzlich gelesen: «keinen Trinkfluss mehr bieten kann». Er hat ihn aber geboten: weich, harmonisch, samtig, durchaus noch fruchtig, reif und abgeklärt. So gar nicht saint-éstèphe-like, also nicht typisch für eine Appellation, deren Weine eher als rustikal, mächtig, streng – im Vergleich der Haut-Médoc-Appelationen ist es der Bauer – eingestuft werden. Hoppla: noch so ein generelles Urteil: Saint Estèphe gleich Bauer (Margaux = Königin; Saint Julien = Hofstaat; Pauillac = König). Dies mag ab und zu wirklich stimmen. Doch – siehe Ausgangspunkt – die Erfahrungen sind zwar oft ähnlich, aber anders als Pauschalcharakterisierungen vorgeben. Der 97er Bordeaux ist nicht – durchwegs – ein magerer Jahrgang. Ein Saint Estèphe muss kein «Bauer» sein, er kann durchaus, wie hier, zur «Dame» werden, oder gar - wie in anderen Fällen - zur Königin. 

05. April 2016

 

Château Gloria: Gloria 1990, Saint Julien, Bordeaux, Frankreich

 

Im «alten » Bordeaux, ich meine damit die Jahrgänge etwa vor 1995, spiegeln die Weine noch viel vom Terroir, dem Vegetationsverlauf, dem Ernte-Wetter, der physiologische Reife etc. Deshalb sind auch die Jahrgänge oft echt unterschiedlich. Weine vom gleichen Château sind manchmal so verschieden, dass man sie kaum erkennen oder gar vergleichen kann. Dann ist aber die Zeit gekommen, wo man mit «Technik» die Defizite der Natur – und damit auch die Eigenheiten des Wachstums im Jahr – möglichst ausgleichen möchte, spätestens bei der Vinifikation im Keller. Die «Kellerarbeit» - mit all den modernen Hilfsmitteln – wird immer wichtiger, die Weine «quasi» besser, man verzeih mir, meist auch langweiliger. Das Kerngebiet im Bordelais – Weingüter mit klingenden Namen – sind wohl das beste Beispiel für diese Entwicklung. Viele der Bordeaux-Weine (nicht nur in Bordeaux) werden heute «gemacht»; die Handschrift der Macher und Berater wird zum dominierenden Faktor für Stil und Qualität.

Diese Entwicklung ist wohl der Grund, weshalb ich noch einige «alte» Weine – auch oder vor allem «kleine» Weine in meinem Keller lagere, die –  nach geschätztem Potenzial – längst getrunken sein müssten. Dieser Gloria 1990 ist so ein Wein, 25jährig, ein «guter» Jahrgang zwar, aber ein Châteaux, das (für Bordeaux) noch sehr jung ist (1942), deshalb auch nicht klassifiziert. Der legendäre Winzer, Henri Martin, der einst Küfer war, hat das Château Schritt für Schritt (durch Zukäufe von wertvollem Rebland) aufgebaut und zu dem gemacht, was es heute ist: durchaus ebenbürtig vieler klassifizierter Weingüter im Haut-Médoc. Heute wird das Weingut von seinem Schwiegersohn, Jean-Louis Triaud, geführt, ganz im Sinn des Château-Gründers.

Und der Wein? Eine Erfahrung, wie ich sie immer wieder mache. Der 90er wurde von Parker (damals vor bald 25 Jahren) mit 83 Punkten «beehrt»: «mit überraschend heller Farbe, auch leicht im Gaumen,  zwar ein angenehmer kommerzieller Wein, der aber in den nächsten 5-7 Jahren getrunken werden soll. (frei übersetzt). Jetzt, nach 25 Jahren also endgültig «vorbei», wie René Gabriel so brutal sagt? Nein: Da ist ein Kleinod erhalten geblieben, noch immer angenehm, bestanden zwar, eher feingliedrig, vielleicht sogar eigenwillig – kein Kommerzwein (mehr), ein reifer (wohl schon etwas abgebauter) Wein, der noch Freude macht. Keine laute Freude, eine verinnerlichte Genugtuung.

29. März 2016

 

Cantina Odoardi: Vigna Mortilla Savuto 2000, Calabria, Italien

 

Ein einfacher Tischwein, aus einer Weinregion, die bei uns kaum noch bekannt ist obwohl es eine der ältesten ist. Ganz im Süden Italiens gelegen – an der Spitze des Stiefels – wachsen da noch Rebsorten, die wir bestenfalls dem Namen nach kennen: Gaglioppo, Aglianico,  Magliocco Canino, Greco Nero, Nerello Cappuccio. Zumindest sind es hier die Rebsorten, die zu einer Cuvée verarbeitet wurden. Interessant! Ja, der Wein ist vorwiegend «interessant»,  aber – dies ist nicht ein Fehler des Weins, vielmehr der zu langer Lagerung – offensichtlich schon beträchtlich abgebaut, wenn auch ohne oxydative Noten. Von Frucht nur noch kleine Ansätze, doch auch Tertiäromen – welche die Liebhaber «alter Weine» so sehr entzücken – haben sich kaum markant eingestellt. Man könnte (ja muss) den Wein abhacken als überlagert, noch trinkbar, mehr nicht. Wäre da nicht die Tatsache, dass ein einfacher «Tischwein» auch nach 15 Jahren noch so viel Präsenz zeigt, jedenfalls so viel, dass ich lange auf ihm herumgebissen habe, um seine Aromen zu identifizieren. Allmählich hat dies sogar Spass gemacht: Dörrobst, Nelken, Olivenöl, Leder, Zedern… Nein, es brauchte keine Phantasie (oder Vorprägungen) um dies alles wahrzunehmen. Es waren auch keine sensationellen Düfte, als vielmehr verhaltene, warme Aromen. Ob man damit etwas anfangen kann, muss jeder Weinliebhaber selber entscheiden. 

25. März 2016

 

Vignoble Belot: Le vignalet rouge 2014, AOC Saint-Chinian-, Languedoc, Frankreich

 

Die Geschichte dieses Weins in meinem Glas ist kurz, die Erfahrung aber lohnt sich. In meinem Lieblingsrestaurant wollte ich einen bestimmten Wein bestellen – einen Tischwein, der mich gerade interessierte: ein Cabernet Franc Wein, hier aus dem Languedoc. Eine Rarität, die ich noch nicht kenne. Grosse Entschuldigung: das Restaurant sei erst ein paar Tage offen und noch nicht alle Weine der Karte vorhanden. Hors saison! Die Chefin empfiehlt mir einen anderen Wein, eben diesen Le vignalet aus Saint-Chinian mit den Rebsorten Syrah, Grenache und Mourvèdre, also ein (fast) typischer «Languedoc». Geflissentlich wurde mein Stirnrunzeln übersehen. Der Wein kam auf den Tisch und ich schnüffelte und nippte immer noch unwillig am Glas herum. Wieder so ein Dutzendwein, nicht herausragend, gut trinkbar, aber nicht spannend, dachte ich mir. Das einzige was mich etwas versöhnt hat: er kostete etwa gleich viel (oder wenig) wie der Wein, den ich bestellen wollte. Also kein «fauler Trick» um mir etwas Teureres anzudrehen.

Es brauchte schon ein paar Anläufe im Gaumen, bis ich zugeben konnte, dass ich hier einen wunderschönen «kleinen» Wein entdeckt habe. Weich, charmant, doch mit wunderschön verwobenen (nicht bockigen) Gewürzaromen, Toastnoten, leisem Beerenhauch. Kein «grosser» Wein, aber ein ausgezeichneter, ein wunderschöner Tischwein, der die Gegend spüren und den Alltag hinter sich lässt. Den Wein hätte ich nie ins Glas bekommen, wäre schon Saison und die Karte schon vollständig. Ich habe mich bei der Chefin bedankt.

21. März 2016

 

Domaine d’Antugnac: Coté Pierre Lys 2013, Haut Vallée de l’Aude, Languedoc, Frankreich

 

Man hat allmählich das Gefühl, die typischen Rebsorten der Region Languedoc-Roussillon verstecken sich. Das Quartett der Rebsorten Mourvèdre, Grenache, Syrah und Carignan spielt bei Weinliebhabern zwar noch die dominierende Rolle, aber nicht beim durchschnittlichen Weinkonsumenten, der seine Weine aus den Regalen in den Lebensmittelgeschäften nimmt. Er greift immer öfter zu Weinen aus ganz anderen Rebsorten, wie Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc, zu  reinen Syrahweinen oder – wie in diesem Fall – zu Blauburgunder (Pinot Noir). Das (für die Region) Exotische wird zunehmend das Normale, und das Normale zum Exotischen. Dies ist vor allem ein Resultat des Verhaltens von vielen Urlaubern, die im Süden beim Wein auch das bevorzugen, was sie bereits kennen. Es sind - bei den Rotweinen – vorwiegend Bordeaux-Blends (Cabernet, Merlot und…), aber auch Pinot Noir. Ist das Burgund nun wirklich so weit in den Süden gerutscht? Kaum, denn der Pinot Noir hat in dieser heissen Region kaum eine Chance. Eine entscheidende Rolle spielt auch die Tatsache, dass Bezeichnungen wie AOC (appellations d'origine contrôlée) oder IGP (indication géographique protégée) beim spontanen Weinkauf (es geht ja da nicht um Einlagerung) kaum mehr von Bedeutung ist. Man kauft und konsumiert das, was man eben kennt und was einem schmeckt. Für zusätzliche Verwirrung sorgen auch die immer wieder neuen Einteilungen, Bezeichnungen, Deklarationen, die teilweise von der EU vorgeschrieben werden, aber auch dem eigenen Konkurrenzdenken entspringen. Das Weingebiet der Aude hat beim Rotwein keine eigene Appellations-Bezeichnung (beim Weisswein AOC Limoux), es sind also «Landweine» - heute mit der Bezeichnung IGP. Da sind die Rebsorten nicht strikte begrenzt und vorgeschrieben. Doch die Gegend im oberen Aude-Tal, am Fusse der Pyrenäen, ist wohl eine der wenigen Gegenden im Languedoc, wo  auch gute – zumindest recht akzeptable - Blauburgunder entstehen: Berghänge, kalte Nächte, wegen der Höhe (ca. 500 Meter) nicht allzu heisse Tage.  Dieser Pinot ist der Beweis. Nicht aufregend, aber durchaus beachtlich. Eher zart in der Farbe, der Duft verhalten blumig, offenherziges Bouquet, an «Guetzli» erinnert, aber ohne falsche Süsse.

15. März 2016

 

Mas de Daumas Gassac: Rouge 2012, Haut Valleé de Gassac, IGP Saint-Guilhem-Le-Desert Cité d'Aniane, Languedoc, Frankreich

 

Wo gibt es schon einen «Landwein» in Frankreich, der Kult- aber keinen AOC-Status (Appellation d’Origine Contrôlée) hat und so gegen 40 Euro kostet. Dies dürfte dies wohl einer der wenigen sein. Er lebt von seinem (guten, um nicht zu sagen) hervorragenden Ruf und seiner Geschichte. Aimé Guibert – ein Handschuhproduzent aus Paris, der mit seiner Familie in den Süden gezogen war – hat mit Hilfe des wohl berühmtesten Önologen in Bordeaux, Prof. Emile Peynaud, einen Weinstiel in die Languedoc gebracht, der sich ganz an Bordeaux orientierte: Eine Cuvée aus Cabernet Sauvignon (ca. 80 %) und – dies ist vielleicht der Kern des Geheimnisses – einer Mischung von Rebsorten, die allein schon bei ihrer Aufzählung exotisch sind. Dazu mussten aber die Weinberge neu angelegt werden – zum Teil mit kleinen Clos (wie in Burgund) mit vierzig verschiedenen Rebsorten – zum andern mit grösseren Flächen vor allem für den Cabernet Sauvignon. Dies war damals – in den 70er Jahren – eine Provokation, denn in der ganzen Region wurden Rotweine tra­di­tio­nell aus Cari­gnan, Mour­vèdre, Cin­sault, Gre­nache, Syrah erzeugt. Berühmt - auch in Nicht-Wein-Welt – wurde Aimé Guibert aber durch seinen Kampf gegen den Ame­ri­ka­ner Robert Mon­davi, der im Langue­doc eine „indus­tria­li­sierte Wein­pro­duk­tion im Welt­mass­stab“ auf­zie­hen wollte.

Doch dies alles – noch ein paar Pioniertaten des «knorrigen» Winzers (zu erleben im Film «Mondovino» von Jona­than Nos­si­ter könnten hier erzählt werden – ist lägst Geschichte, Weingeschichte. Ich habe bisher nicht oft Weine vom Mas de Daumas getrunken und erlaube mir deshalb keinen Vergleich zu «früher». Man sagt, der Ruf des Weinguts hätte in den letzten Jahren gelitten. Ich nehme den Wein einzig als das, was er für mich ist: Ein Spitzen-Languedoc, der ganz anders ist, als die anderen Weine hier. Irgend ein Weinguru hat irgendwann einmal die Bezeichnung «Lafite des Languedoc» in die Weltgesetzt, seither geistert dieser Anspruch durch die Weinliteratur. Ein Lafite will und kann dieser Wein – bei aller Qualität – nicht sein. Es bleibt ein eigenständiger, hervorragender Wein – wobei der 2012 nicht der beste Jahrgang ist -, der sicher Affinität zum Bordeaux hat, aber weniger schwer, weniger «dramatisch», viel moderner, aufgeschlossener ist. Er muss schliesslich kein «Erbe» bewahren, darf durchaus in der Nase an Kräuter und geräuchertem Fleisch erinnern und im Gaumen saftig, hell, sogar etwas jugendlich wirken

und trotzdem ein „grosser“ Wein sein.

12. März 2016

 

 

Domaine Schisterelle: Ômage 2013, Faugères, Languedoc, Frankreich

 

Anspruchsvollere Weine – sogenannte Weine «haut de gamme» - sind in Weingebieten nur spärlich auch dem Markt. Natürlich sind sie in spezialisierten Weingeschäften und in den riesigen Einkaufszentren – da in gekühlten Verkaufsräumen – jederzeit zu finden. Doch auf dem Alltagsmarkt sind sie kaum anzutreffen, denn das Angebot an guten, bis sehr guten Weinen in der unteren oder mittleren Preisklasse ist naturgemäss – dort wo viel Wein angebaut wird – viel grösser, ja riesig. Selbst anspruchsvolle Restaurants haben – nebst einigen Préstige- und Luxusweinen – nur wenig qualitativ ausserordentliche Weine auf der Karte. Dies – so meine Beobachtung – ist ein verbreiteter Trend ins vielen grossen Weingebieten. Nicht nur hier im Süden Frankreichs, genauso im Piemont, in Spanien, in… Es ist doch so, dass in Weingebieten direkt beim Winzer (der eigenen Wahl) – quasi ab Hof – eingekauft wird. Restaurants und durchschnittliche Weinhandlungen (die es an allen Ecken gibt) beschränken sich auf geläufige Namen (die naturgemäss besser zu verkaufen sind) und – natürlich – preislich «günstige» Weine. Deshalb ist die Palette der leicht erhältlichen regionalen Weine – wenn man nicht selber eine Tour zu Weingütern unternimmt – eher eintönig, mit der Zeit sogar langweilig. Und dies in einem Gebiet, wo Tausende von Weingütern und in Genossenschaften zusammengeschlossenen Winzern jährlich ca. 14 Millonen Hektoliter Wein produzieren. Viel wird davon ins Ausland exportiert, ebenso viel als Billig- und Industrieweine abgesetzt – heute meist zu Fasspreisen weit unter den Erstehungskosten.

«Ômage» von einem kleinen, traditionellen Weingut, das heute von zwei Frauen, Celine und Sabine (Önologin), geführt wird, gehört zu den eher selten anzutreffenden «Kostbarkeiten». Ein Wein von Frauen, der trotz seiner Kraft und Eigenwilligkeit, recht «weiblich» - das heisst für mich anmutig, reizvoll, sogar ausgesprochen schön ist. Der starke Holzeinsatz verzieht sich – nach etwas Luft – in eine Aromenharmonie, die zwar präsent aber nicht vordergründig ist. «Schisterelle», das «Schieferchen» hat es mir angetan.

09. März 2016

 

Vignerons du Pic Saint Loup: Réserve des Almades 2014, Coteaux du Languedoc, Frankreich

 

Es ist einer der wenigen Weine von Genossenschaften aus dem Languedoc, die auch in der Schweiz (und wohl auch in Deutschland) anzutreffen sind, zumindest im Segment «ausgezeichnete» Tafelweine. Diesen Wein habe ich aber auch schon im Supermarkt angetroffen, für deutlich weniger als zehn Franken. Eigentlich unglaublich, wenn ich Vergleiche anstelle; Vergleiche mit dem, was sonst so in den Regalen der Grossmärkte steht; Weine aus aller Welt, oft mit klingenden Phantasienamen. Der Wein hat diesen schmeichelnden Namen nicht, obwohl er aus einem der besten Weingebiete der Languedoc stammt, und - was bei uns besonders gut ankommt – vorwiegend aus der Rebsorte Syrah gekeltert ist. Man ist hierzulande skeptisch gegenüber den eigenwilligen, nicht ganz in unser traditionelles – von Cabernet, Merlot und Blauburgunder geprägtes - Schema passen. Was man eben nicht oder nur ganz flüchtig kennt, hat es sehr schwer sich zu etablieren. Dies gilt auch für Weine. Die typischen Languedoc-Weine aus den Rebsorten Carignan, Cinsault, Mourvèdre und Grenache sind eigenwillig, aber auch eigenständig. Es braucht schon ein paar berühmte Namen, wie Negly, Daumas Gassac, Peyre Rose, Frédéric Albaret und wie sie alle heissen, die längst die volle Aufmerksamkeit von Parker und Co. erhalten haben, um auch bei uns Anerkennung zu finden. Aber doch nicht ein Genossenschaftswein! Vorurteile haben ein viel längeres Leben als eigene Urteile, als eigene Erfahrung. Diesen Wein habe ich – als Tischwein – in einem kleinen Restaurant an der Mittelmeerküste getrunken. Preis im Lokal: knapp zwanzig Euro. Nicht nur ein ausgezeichneter Essensbebleiter, auch ein eigenständiger, guter verführerischer Wein, frisch-fruchtig, ohne jene Vordergründigkeit in der Frucht, die sich in so vielen Weinen dieser Preisklasse findet. Leider sind die Rebsorten nicht angegeben – es wird wohl hauptsächlich Syrah und (wahrscheinlich) etwas Grenache sein. Jedenfalls ein Wein der saftig im Gaumen ist und seidige Tannine hat, die sich mit dem Alter wohl noch deutlich harmonischer integrieren werden. So stelle ich mir Restaurant-Weine vor.

06. März 2016

 

Weingut Lisson: Clos de Cèdres 2007, Olargues, Languedoc, Frankreich

 

Über diesen Wein habe ich längst geschrieben, vielleicht sogar alles gesagt. Wirklich alles? Irgendwie ist es – für mich – mehr als ein ausgezeichneter Wein. Es ist ein Monument, ein Denkmal, ein Augenblick der Besinnung und Dankbarkeit. Die Winzerin – Iris Rutz-Rubel – kenne ich – zumindest virtuell – seit mehr als zwanzig Jahren. Sie war eine der ersten Bloggerinnen, eine jener Frauen, die man damals noch nicht Blogger nannte. Wir begegneten uns im Weinforum - als sie gerade dabei war, zusammen mit ihrem Mann, dort wo die Füchse und Hasen einander gutenacht sagen, einen Weinberg aufzubauen. Ihr Traumprojekt! Was heisst da Traum? Was heisst da aufbauen? Der Wildnis entreissen! Die uralten Terrassen sind die letzten Zeugen einer verschwundenen Weinkultur. Dann starb ihr Mann, durch Unfall. Von einem Tag auf den andern war es nur noch «ihr» Traum, den sie – noch verbissener als zuvor – zu verwirklichen suchte. Als ich zum ersten Mal nach Lisson kam gab es da schon einen stattlichen Weinkeller mit einer stattlichen Eigenproduktion. Ihr zur Seite stand ihr neuer Lebenspartner, ein Tüfftler und Erfinder, ein liebenswerter Mensch, der so manches in das abgelegene Haus brachte, was ein Leben (fast schon) in der Abgeschiedenheit erleichtern konnte. Auch er ist tot. Geblieben sind Iris und ihre Weine. Ich probierte sie damals zum ersten Mal – und war begeistert. Hier wurde (wird) etwas geschaffen, das einmalig ist. Kein raffinierter Wein, keine hochgepäppelte Edelbrühe, kein Ahhh-und-Ohhh-Wein. Ein Wein mit Charakter. Infiltriert der Natur aus der Natur bezogen. Ein Naturwein also? Nein, so einfach lässt er sich nicht etikettieren. Es ist einfach etwas Anderes, etwas das Freude macht, das Genuss bringt und Charakter zeigt, bis zum letzten Tropfen. Es ist Wein, Wein, Wein… wie ich ihn mir erträumt habe. Vor allem – nachdem ich mich über Jahre fast ausschliesslich mit dem weltweit anerkannten Luxus-Produkt Bordeaux beschäftigt habe: geschliffen, immer noch mehr geschliffen, bis zur allerhöchsten Geschliffenheit aufpoliert und konzentriert. Vor einer Woche hatten wir eine grosse Bordeauxprobe bei mir zuhause, mit Weinen von Lafleur, Mouton, Ausone und, und… Jetzt bin ich wieder in der Languedoc: ohne Keller, jedenfalls keinem, in welchem man Wein lagern kann. Ein paar Flaschen von Iris sind noch da, die ältesten von 2002. Heute öffnete ich einen 2007er. Und ich gestehe: jetzt weiss ich wieder was Wein ist, was Wein sein kann.

06. März 2016

 

Les Vignobles Montanac: Merlot 2014, Picpoul de Pinet, Languedoc, Frankreich

 

Auch ich habe mich verführen lassen: die Etikette ist einfach, modern, ansprechend, elegant. Die Flasche dunkel, fast schwarz. Alles deutet auf einen vornehmen, kräftigen Wein – wohl der mittleren Preisklasse. M – ein goldenes M wie MontagnaC dominiert das schwarze Etikett. Die Rebsorte hat mich als erstes stutzig gemacht: Merlot. Keine für AOC-Weine zugelassene Traube. Eher ein modischer Trend, hier in der Languedoc. Seit gut zehn Jahren, als der amerikanische Spielfilm „Sideways“ den Merlot hochleben liess, sieht man auch ganz im Süden Frankreichs eine Chance, mit Merlot-Weinen in die höheren Sphären aufzusteigen. Merlot wird nach Amerika exportiert, man sagt, mehr als es überhaupt Merlot in der Languedoc gibt.
So vornehm sich der Wein äusserlich gibt, so belanglos, oder noch besser: klanglos ist sein Inhalt. Zwar recht frisch, sauber und ohne Tadel, doch erstaunlich wenig Ausdrucksstark in den Aromen, Harmonie über alles, in der sich all das versteckt, was ein Wein individuell, sorten- oder terroirtypisch macht. Ein eleganter Gastrowein, der niemandem ganz missfällt, preislich fast unschlagbar ist (6 Euro), aber wenig mehr als Vrac-Wein bietet, als jene offenen Weine, die mitunter als Jungweine sogar ausgesprochen gut sind.

02. März 2016

 

Eric Gally: Plaisir des Sens 2014, Côtes de Thongue Rouge, Languedoc, Frankreich

 

Der Name ist zweifellos verführerischer als der Wein. Ein guter Landwein, hat meine Frau spontan bemerkt, und da hat sie recht. Es ist kein typischer Languedoc-Wein, irgendwie weltläufiger, verwechselbarer, vielleicht auch braver, gefälliger… Die Cuvée aus den Rebsorten Cabernet Sauvignon und Syrah ist wohl der wichtigste Grund, dass – trotz Konzentration – dieser Wein leichter und beschwingter daherkommt, als so mancher typische Languedoc-Wein. Den Namen trägt er trotzdem zurecht: Sinnesfreude. Unter den Appellationen des Südens gehört Côtes de Thongue nicht zu den ersten «Adressen», denn hier werden «Vin de Table» - sogenannte Landweine – produziert, Weine, die heute die Bezeichnung IPG (l'Indication géographique protégée) tragen dürfen, wenn sie gewisse Kriterien erfüllen. Diese Qualitätskriterien erfüllt der Wein allemal, mehr noch, er setzt an zu einem schmeichelhaften Diskurs über sorgfältig gemachte Weine, liebevoll gemachte Weine. Vorbei sind die Zeiten, als Massenproduktion das Ziel war, allerdings ab den 50er Jahren ausgebremst durch die «Algerier». So hat man sich auch in weniger klangvollen Appellationen darauf besonnen, einen eigenen Stil zu entwickeln; ehrliche Weine zu machen, die ohne Vorbehalte mit Freuden (und Genuss) zu trinken sind; die nicht wetteifern können (und wollen) mit einem kleinen Zacken besser und damit einen grossen Zacken teurer zu sein. Unser Wein kostet etwa 12 Euro. Gut investierte 10 Euro!

19. Februar 2016

 

Château Haut-Bailly 1989, Pessac-Léognan, Graves, Bordeaux, Frankreich

 

Inzwischen schafft es Haut-Bailly, ein Weingut, das lange Zeit im Schatten der Vorzeige-Châteaux  Haut-Brion und Pape Clement stand, sich bei Parker in den 90er-Punkten zu etablieren. Zu Recht, meine ich, denn wer etwas subtilere, leisere, anmutigere Bordeaux liebt, der hat Haut-Bailly schon längst entdeckt.  Allerdings haben sich auch die Preise (um 80 CHF) inzwischen dem Ruf und Punktesegen angepasst. Vor zehn Jahren kostete der Wein noch etwa die Hälfte. Doch es gibt immer wieder Möglichkeiten, zu guten (vor allem älteren) Weinen zu kommen, wenn man die Auktionen (vor allem die Präsenzauktionen) beachtet. Diese Flasche ist so ein Wein. Die Etikette schmutzig, beschädigt… der Füllstand top. Solche Flaschen übernehmen weder Händler, noch Wirte (die oft an Auktionen einkaufen), nicht einmal die privaten Sammler und Weinliebhaber (für sie sind solche Angebote zu wenig attraktiv) haben Interesse. Also bleiben sie liegen, die unschönen Flaschen. In solchen Fällen erhebe ich meine Bieter-Nummer (und habe meist Glück). Man kann ja die Flaschen in der Regel nicht sehen – zumindest nicht alle; der Hinweis «Etikett beschädigt» oder «Etikett-beschmutzt» muss genügen. Es genügt auch – in den allermeisten Fällen. Ich komme mir jeweils vor wie ein klassischer «Schnäppchenjäger» - eine Zuordnung, die ich eigentlich gar nicht lieben. Diesmal habe ich aber Glück, ein Glück, das alle «Schamgedanken» verscheucht. Ein ausgezeichnete Flasche leert sich in mein Glas: Wein vom Feinen. Noch ordentlich leicht-süsse Beeren-Frucht (dies bei einem 36jährigen Wein!) und vor allem «Kraft ohne Schwere», von Oxidation keine Spur. Nicht nur ein schönes Nasenspiel, auch eine noch lebendige Gaumenfreundlichkeit, aber ein eher kurzer Abgang. Ich habe ihn – eher still – genossen und mich heimlich gefreut, dass sich halt doch – ab und zu – ein Schnäppchenjäger bin.

16. Februar 2016

 

I Quatro Conti: Primitivo die Puglia 2011, Lecce, Italien

 

Meine Suche geht weiter nach den « etwas anderen Weinen » in der Preisklasse bis zu 10 Franken;  Weine, die sich für Restaurants eignen – aber doch etwas anders sind als die braven-nichtssagenden  Mainstream-Weine, die oft (als erschwinglich) auf den Weinkarten angeboten werden. Der Primitivo hat inzwischen – vor allem „Beim Italiener“ – den einfachen Chianti Classico oder den „Valpolicella“ (Weingebiet)  abgelöst, die lange Zeit – meist unter „offene Weinen“ – fast überall eingeschenkt wurden. Primitivo tönt besser, wenn auch – zumindest hierzulande – die Assoziation zu „primitiv“ unweigerlich auftauchen wird. Dies tut aber nichts zur Sache, auch die wenigsten Primitivo-Trinker wissen, dass es sich dabei um eine Rebsorte handelt, die auch „Zinfandel“ heisst und überwiegend in Kalifornien angebaut wird. Tatsächlich ist der Primitivo anders, als die üblichen italienischen Einfachweine; er ist würziger, oft feuriger, pfeffriger, erinnert oft an Karamell und Zimt. Kurzum andere Aromen, andere Kraft, andere „Gebärden“ als beim - in diesem Bereich von Weinen – sonst dominierenden Sangiovese (Chianti). So einfach ist die Einfachwelt des Weins, jedenfalls für den durchschnittlichen Weintrinker: Es muss ihm einfach schmecken und er darf sich nicht langweilen.  Das wissen auch die Weinproduzenten (vor allem die Grossproduzenten und Genossenschaften) und werfen inzwischen auch Primitivos auf den Markt, die nicht viel mehr als langweilig sind und oft aus Regionen stammen, wo es den Primitivo eigentlich nicht gibt. Langweilig ist dieser – unser - Primitivo nicht, sogar recht gut „geschliffen“, sogar – in einer kleinen Bandbreite – differenziert. Gleichzeitig aber auch – für einen Primitivo – recht mainstreamig. Mit andern Worten: zu gefällig trotz des Andersseins und der Herkunft aus dem Primitivo-Gebiet (Apulien).

13. Februar 2016

 

Domino del Plata Mendoza: Nostros Malbec 2007, Valle de Cafayate, Argentinien

 

Es war schon lange mein Wunsch, in die Weinwelt Argentiniens einzutauchen. Doch es fehlte immer wieder der direkte Ansporn, die Gelegenheit, bekanntes „Gelände“ zu verlassen, mich auf etwas Neues einzulassen. Zudem entspricht das, was durch Proben und Beschreibungen bis zu mir gedrungen ist, meinem „bevorzugten Weintypus“. Seien wir doch ehrlich, wir alle haben so unsere Vorstellungen, wie ein gute Wein sein muss, sein sollte. Bombig dicht oder fein, zart filigran. Auch die Rebsorten und das Klima spielen eine wichtige Rolle, um unsere Weinheimat zu finden. Natürlich sind wir jederzeit offen für Anderes, für neue Erfahrungen, für „neue Lieben“, dachte ich und stellte an mir (und bei meinen Freunden) fest, dass dem gar nicht so ist. Wie ist es denn? Irgendwann obsiegt die Neugier, irgendwann komm eine Gelegenheit – oft schon fast ein kleiner Zwang – um sich auf Neues einzulassen. Zum Beispiel eine Reise, ein gutgemeintes Mitbringsel eines Weinfreundes, oder – wie hier – ein Angebot auf einer Auktion, das man kaufen muss (weil es so günstig ist oder niemand es begehrt). Ich habe drei Flaschen „Nostros“ ersteigert, einfach auf Grund von „schon gehört zu haben“ und nun doch einmal ein paar wenige Flaschen aus Argentinien in den Keller zu legen. Gedacht, getan, aber schon sehr bald wieder vergessen. Die drei Flaschen ruhten. Eines Abends wollten wir zu einem kräftigen Essen (ich weiss nicht mehr was, irgendetwas mit Käse) einen kräftigen Wein. Da fielen mir die Nostros in die Hände. Ja, er war kräftig, dicht, bombig, aber auch recht gut: langer Abgang, solides Gerüst, hinter der Kraft viel Eleganz und Schönheit. Malbec-Weine, wie ich si sonst ab und zu trinke, kommen aus Cahors, da kenne ich mich besser aus. Argentinien war für mich so etwas wie ein „Neu-Cahors“, zumindest in meinen Vorstellungen. Doch die Vorstellung fiel ganz anders aus: Weder Bauerntheater noch höfische Kultur: handfestes, lustvolles Theater, nicht plakativ, inhaltlich differenziert, zwar mit dem ganzen Arsenal an vielzitierten Noten: Brombeere, (über)reife Kirschen, Röstnoten… Meiner Frau hat der Wein besser gefallen als mir und die Käsespeise war wohl auch nicht ganz das Richtige. Ein gutes Fleisch vom Grill wäre wohl passender gewesen. Man kann eben auch seine fixen (Geschmacks-)Vorstellungen nicht so gut beiseite schieben und ablegen. Man bleibt letztlich gefangen, viel zu lange. Und ich bin froh, dass ich die Tore etwas geöffnet habe, denn der Gesamteindruck überwog: War doch ein toller Wein. Ich war nicht einmal erstaunt, als ich viel später den Preis erfahren habe. Etwa 140 Franken im Handel, und das an einem ganz gewöhnlichen Abend, zu einer schlichten, eher mastigen Käsespeise. Vielleicht war gerade deshalb der Abend so schön, weil ich dieses Erlebnis nicht erwartet habe.

Auf dem Jakobsweg
Auf dem Jakobsweg

09. Februar 2016

 

Bodegas Valoria: Crianza Llave Real 2010, Rioja, Logrono, Spanien

 

Dieser Wein taucht kaum je in den - meist enthusiastischen - Lobestiraden von Weinfreunden auf. Er ist nicht geil, nicht lecker, nicht genial… Dazu ist er zu einfach, zu gewöhnlich, einer der vielen Riojas, wie sie in den Restaurants immer häufiger anzutreffen sind. Einer von vielen? Da möchte ich widersprechen: Er ist bei aller Schlichtheit und Einfachheit eben doch etwas Besonderes. Es ist kein Massenwein unter der Masse von Riojas, wie sie – seit vielen Jahren – massenhaft auf den Markt geworfen werden. Ich weiss nicht, wie gross die Bodega ist, wieviele  Flaschen jährlich produziert werden. Präzise Angaben findet man kaum im Internet, zumindest nicht bei uns – im deutschsprachigen Bereich. Auch Anbieter gibt es (hier) nur einen, soviel mir bekannt ist. Es ist ein Weinhändler, der sich vor allem auf einfache Weine, auf Alternativen zum Grossisten (wie Aldi, Denner etc.) spezialisiert hat. Zwei Weine von ihm kenne ich bereits, seit Jahren: Einen einfachen Bordeaux (Parenchère), der locker mit vielen Bordeaux mithalten kann, und einen Schaumwein aus Limoux (Domaine Rosier), der viele teureren Massenchampagner in den Schatten stellt. Warum also nicht einmal einen Rioja probieren? Und? Die Nase ist recht verführerisch: keine Explosion, keine tiefgeschürften „Urdüfte“, wie so manche Spanier vorgaukeln, vielmehr fröhliche, tanzende, verführerische Noten von Vanille über Exotik bis zur Kirschen. Kein Schlagabtausch, eher ein feines, spielerisches Gefecht. Dann im Gaumen… Meine Frau meint: „etwas sauer“, was man immer auch unter „sauer“ verstehen kann, wohl eine „gefühlte“ Mischung aus Säure und Tanninen. Dann im Abgang: Bravo, da sind wir uns wieder einig: elegant, hinauszögernd, erstaunlich lang. Ein ausgezeichneter Essensbegleiter, ein Wein, wie ich ihn im Restaurant gerne antreffen würde, anstelle der „monotonen“ Riojas aus Grossproduktionen.

06. Februar 2016

 

Château Pichon Longueville Comtesse de Lalande 1997, Pauillac, Bordeaux, Frankreich

 

Château Pichon Longueville Baron 1999,
Pauillac, Bordeaux, Frankreich

 

Zu den beliebtesten Bordeaux-Spielen gehört der Vergleich zwischen Frau und Mann, zwischen Comtesse und Baron. Beides sind Adlige, zweifellos; beides sind Deuxième Grand Cru Classé; beide stehen einander auch geografisch gegenüber, nur durch die „Route du Médoc“ (D2) getrennt. Die beiden Güter waren bis vor knapp zweihundert Jahren ein Gut: Château Pichon-Longueville. Wir dies schon im 19. Jahrhundert üblich war, wurde - bei Erbfolgen – der Besitz mehrmals geteilt (und vergrössert), bis schliesslich die beiden Weingüter) „Comtesse“ und „Pichon“ übrig blieben. Baron ging schon 80er Jahren in den Besitz des Versicherungskonzerns AXA. In der Folge wurde das Château und der Keller komplett renoviert, so dass Pichon-Baron heute eines der modernsten Weingüter im Médoc ist. Adelig ist nur noch der Name.

Auch das Gut der „Comtesse“ wurde in den 20er Jahren verkauft, an die Familie Miailhe, deren Tochter das Weingut bis 2006 mit „eisernen Hand“ (dreissig Jahre lang) führte und dabei hohes Ansehen erwarb. Dann gingen die Mehrheitsaktien an die Champagner-Firma Roederer. Seither übernahmen verschiedene Winemaker die Vinifikation.

Unsere Comtesse stammt noch aus der Zeit des Regimes der Tochter Miailhe (May-Eliane de Lencquesaing), die wir noch persönlich kennengelernt haben. Irgendwie hat sich wohl jene Begegnung tief in mir „abgefärbt“, denn im Wettstreit Comtesse-Baron fand ich (meistens) die Dame viel besser. Vielleicht ist es auch die Weichheit (für Médoc ein hoher Merlot-Anteil) des Weins, die mich immer wieder fasziniert. Der Unterschied der beiden Weingüter führt in Weinliebhaber-Kreisen auch immer wieder zu heftigen Diskussionen. Es gibt „Comtessianer“ und „Baronaner“, die nur ungern etwas von ihrem „Terrain“ preisgeben, obwohl sich beide Weine in den letzten Jahren stark verändert haben (Modernisierung der Rebberge und der Keller auf beiden Weingütern).

Aus diesem Grund öffne ich gerne ab und zu die beiden Weine (gleichzeitig) oder zeitnahe um immer wieder und gern in den „edlen Wettstreit“ einzutreten. Obwohl auch ich (offensichtlich) Mühe habe, einmal eingenommene Positionen zu verlassen, finde ich die beiden Weine (hier ein schwächerer und ein besserer Jahrgang) durchaus vergleichenswert. Diesmal ist es die Comptesse, die „gesiegt“ hat (trotz schwächerem Jahrgang) (wie könnte es anders sein?!!): Noch immer eine ausgezeichnete Struktur, klassischer Pauillac mit feiner Frucht und noch genügend Kraft (Säure), und (wenig) feinkörnige Tannine.

Pichon Baron 1999: Viel traditioneller in Kraft, Würze und Struktur. Ganz auf der Linie der kraftvollen Pauillac (Latour, Lafite) mit einem etwas dominantem Fruchtkern. Mineralischer und damit härter (oder „klingender“) wirkender Wein. Auch er aber – wie die Comtesse – auf absteigendem sensorischem Gelände.

01. Februar 2016

 

Dirk Niepoort: Redoma vino tinto 2011, Douro, Portugal

 

Die Verwirrung war total. Wir waren eingeladen zu einem Geburtstagsessen in einem der bekanntesten (und besten) Restaurants der Stadt. Ich durfte den Wein auswählen. Warum nicht für einmal Portugal? Weine, die ich kaum kenne.  Natürlich ist mir Niepoort ein Begriff: seit mehr als 100 Jahre eine der führenden Firmen für Portweine. Wie aber sind seine Rotweine vom Douro? Dass Parker dafür seinen Punktesegen verstreut hat, war mir bekannt. Es war zudem der günstigere der beiden angebotenen Portugiesen. Also nichts wie los! Als der Wein zum Tisch kam, habe ich – was ungewöhnlich ist – nicht auf die Etikette geachtet. Ich fühlte mich verpflichtet, rasch zu probieren und etwas zum eben eingeschenkten Wein zu sagen. Dies habe ich auch getan, nicht gerade mit Begeisterung. Für mich war es einer jenen „Bomben“, wie ich sie – vor allem in der letzten Zeit – nicht mehr allzu sehr schätze: mastig, üppig, mehr Wucht als Eleganz. Parkerweine sagt man oft, was so zwar nicht ganz stimmt. Doch man findet sie in allen Weingebieten, besonders bei den eher teuren und hochgelobten Weinen. Eine Modeerscheinung, wobei meist gegen den Wein selber (und seine Qualitäten) nicht viel zu sagen ist. „Auch Du, Brutus (respektive Niepoort)“, dachte ich mir. Erst da stellte ich fest, dass der falsche – der teurere Wein – gebracht wurde. Da wir ohnehin eine zweite Flasche brauchten, bestellte ich später den andern, den „richtigen“ Wein – und jetzt war ich zufrieden. Zumindest wurden meine Erwartungen erfüllt: zwar auch konzentriert, doch weit vielschichtiger, weniger bumm-gefällig, mit viel Frische und Harmonie. Von den Rebsorten her, tappte ich buchstäblich im Dunkeln. War es nun…? Es war – später nachgeschlagen – eine Mischung von mir zum Teil unbekannten Rebsorten; wenn ich dies richtig verstanden habe: sogar eine Marriage. Ein Wein, der ein Grund ist, mich in der nächsten Zeit intensiver mit portugiesischen Weinen zu befassen.

01. Februar 2016

 

Château Beychevelle: Amiral de Beychevelle 1998, Zweitwein, St-Julien, Bordeaux, Frankreich

 

Wie gut erinnere ich mich noch, wie ich diesen „kleinen“ Wein gekauft habe. Es war eine „Weihnachtsakation“ bei Coop, die Flasche zu 17.20 CHF. Damals habe ich mich schon intensiv mit Bordeaux befasst, auch viel darüber geschrieben (im Weinforum). Für diesen Kauf erntete ich aber viel Schelte von meinen Weinfreunden. Das kauft man doch nicht! Beychevelle, damals qualitativ ein  „Wackelkandidat“ (häufige Besitzerwechsel) und erst noch „nur“ der Zweitwein. Ich habe es noch immer in den Ohren, das Urteil der Weinfreunde, auch von namhaften Weinkritikern: „Ramsch“. Eigentlich habe ich mich darüber hinweggesetzt, weil ich das Schloss liebe (es war einst das erste Bordeaux-Weingut, das ich je besucht habe) und weil ich stinksauer war, über die unverhältnismässige, generelle Preiserhöhung beim Vorgängerjahrgang, der schon bei der Fassprobe nicht allzu viel versprach. Diese „Episode“ hatte ich längst vergessen, als ich jetzt den Wein in meinem Keller noch immer angetroffen habe. Kurz entschlossen kam er ins Glas. Hei, welche Entwicklung! Erwartet habe ich einen kläglichen Abbau, ein müdes, vielleicht sogar leicht oxydiertes Weinchen, wie es so viele „kleine“ Bordeaux oft sind, wenn sie zu lange (mehr als 10 Jahre) gelagert wurden. Nicht dieser „Ramsch“: ordentliche Frucht – nicht dominierende exotische Gewürze,eingebettet in eine wohltuende Harmonie, nicht laut, aber auch nicht zu leise. Ein gelungener Wein. Wieder einmal wird  mir bewusst, wie schnelle Urteil, wie schnell Vorurteile, aber auch Preis- und Prestigevorgaben – gerade beim Bordeaux – die Wirklichkeit verfälschen, die Wahrnehmung eingrenzen und so manchen Genuss verhindern. (Kleine Nachbemerkung: Der Zweitwein von Beychevelle kostet heute so viel damals der Erstwein, rund 35 CHF.)

20. Januar 2016

 

Delicato Family Vineyards: HandCraft 2013, Zinfandel, Artisan Collection, Kalifornien, USA

 

Es ist immer ein Dilemma für jene, die Weine zum Geschenk machen, sei es im persönlichen Bereich, oder – zum Beispiel an Neujahr – als kleine Aufmerksamkeit für gute Dienste oder Kundentreue. Da ist einmal die Frage: was soll der Wein kosten? Teuer, das wirkt rasch einmal wie eine Bestechung; günstig, das wäre unaufmerksam, ja lieblos. Ich spreche jetzt nicht von Weinkennern unter Weinkernnern. Wir dürfen also davon ausgehen, dass der Wein etwas mehr kosten sollte, als das, was man selber – durchschnittlich – trinkt. Dies dürfte - nach Erhebungen – so um 12 Franken sein. Der eigene Geschmack spielt bei der Wahl eine viel grössere Rolle (sofern man die Weinvorliebe des Beschenkten nicht kennt) und natürlich die Empfehlung. Nur – es gibt kaum einen Wein (auch nicht den schlechtesten) der nicht von irgendwem – auch von sogenannten Weinkritikern – irgendwo empfohlen wird. Wie soll man sich da – wenn man sich nicht mit dem Thema Wein befasst – zurechtfinden? Dieser Zinfandel mit einer bunten Etikette, der Aufschrift: „Old Vine Zinfandel“ und der Bezeichnung „HandCraft“ (Handwerk) scheint zweifellos ein „geeigneter Geschenkwein“ zu sein. Unsere Hausgemeinschaft hat ihn vom Bauern – dem Holzlieferanten – an Weihnachten erhalten. Wir haben ihn an einem Anlass gemeinsam getrunken, gern getrunken. Ging es doch mehr um die sympathische „Geste“ als um den Wein. Im „Cellar Tracker“ lese ich einen stimmigen Kommentar: „Medium dark clear red. Young, fruit. Simple easy drinking“. Ja, leicht zu trinken! So leicht ist es mir aber dann doch nicht gefallen: ganz einfach, weil ich mir dauernd überlegte, was es zu kaufen gäbe – etwa zum gleichen Preis – (oder zu schenken), das auch „leicht zu trinken“ wäre und trotzdem einen Hauch von Handwerklicher Qualität, von Persönlichkeit vermitteln würde. Allein die bei uns nicht allzu sehr verbreitete Rebsorte Zinfandel – in Kalifornien aber die häufigste Rebsorte beim Rotwein – ist hierzulande (wo französische und italienische Weine so nahe sind) im Charakter zumindest etwas „eigenartig“ – und nicht ganz leicht zu trinken. Man muss nicht unbedingt einen Wein aus Kalifornien herholen, um hier – fast am Zürichsee – eine Weinpersönlichkeit zu sein. Der Grossverteiler, der den Wein (hier) exklusiv führt, ist auch nicht die persönlichkeitsprägende Adresse. Wie gesagt: Weinschenken ist ein schwieriges Kapitel.

18. Januar 2016

 

Villa Montelone: PalSun 1997, Recioto della Valpolicella, Gargagnago, Veneto, Italien

 

Recioto ist nicht jedermanns Sache. Ein Süsswein, abseits der üblichen Süssweine, oder wie es so schön heisst: „ein Wein mit süßlichem Charakter aus dem Anbaugebiet des Valpolicella in der Provinz Verona“.  Jedenfalls ist es etwas Besonderes. Für einen „echten“ Recioto della Valpolicella gelten ein paar grundlegende Bedingungen: Die Trauen müssen aus bestimmten Gemeinden im Veneto kommen, es müssen mindestens 45% der sonst kaum mehr gepflegten Rebsorte Corvine im Wein sein, mindestens 120 Tage haben die Trauben auf speziellen Rosten zu trocknen und dürfen erst dann weiter verarbeitet werden. Wie gesagt, daraus wird ein ganz spezieller Wein, ein Wein für Liebhaberinnen und Liebhaber. Meine Frau liebt leicht süsse Weine, nicht die plump-süssen, vielmehr die raffinierten, die nicht nur zuckrig sein wollen. PalSun ist so ein Wein. Deshalb habe ich ihn  irgendwann einmal – schon lange ist es her – ihr zum Geburtstag (oder so) geschenkt. Ein paar kleine Flaschen (0.5 dl) für ganz spezielle Abende oder Situationen. Ich weiss nicht, ob diese Umstände in den letzten Jahren nie eingetreten sind: Jedenfalls ist der Recioto von Anthony und Lucia Raimondi mehr als zehn Jahre im Keller liegen geblieben, als Kleinod, als etwas ganz Spezielles, wie schon  gesagt, als Akzent in besonderen Situationen. Das Besondere war in diesem Fall, dass meine Frau fand: Wir sollten jetzt einen davon trinken. Vielleicht war dies ein Wink mit dem Zaunpfahl, ich weiss es nicht! Jedenfalls wurde es ein schöner Abend, nicht kitschig süss, auch nicht durch tiefgreifende Weinanalysen gestört und schon gar nicht ausufernd, schon eher intim. Im Bereich der Reciotos ist dies sogar ein „trockener“ Wein, ein Wein zwar mit Restsüsse, aber nicht zu viel. Zimt ist mein erster Gedanke, doch nicht irgendein Zimt – oder gar der plumpe Zimt von Weihnachtsgebäcken – nein, ein dezenter, leiser, vornehmer Auftritt von Zimt, inmitten anderer fernöstlichen Gewürze. Es machen sich auch Kirsche, schwarze Johannisbeeren,  Holunder bemerkbar. Und schon sind wir wieder bei der „klassischen“ – in dieser allgemeinen Form – wenig differenzierten Weinsprache. Wir haben uns lieber über Dante Alighieri – den italienischen Poeten und Philosophen – unterhalten. Er soll ja aus dieser Gegend stammen, auch wenn Florenz ihn inzwischen fast ganz eingemeindet hat. Seine göttliche Komödie aber passt gut zu diesem Wein. 

12. Januar 2016

 

Wolf Blass: „Black Label“ 1993, Cabernet Sauvignon/Shiraz, Barossa Valley, Australien

 

Gross, grösser, am grössten. So präsentiert sich das Reich von Wolf Blass, dem Deutschen, der vor mehr als fünfzig Jahren nach Australien ausgewandert ist und dort unglaublich erfolgreich wurde. So erfolgreich, dass er heute (er ist inzwischen 82 Jahre alt) der grösste Weinproduzent im Barossa Valley ist. Blass hat schon vor rund dreissig Jahren mit dem Weingüter von „Mildara“ fusioniert. Dadurch wurde er grösser. Daraus entstand das Gut Mildara-Blass und – wie das so üblich ist – es wurde später von einem noch weit grösseren Giganten, von der Getränke-Gruppe Foesters (Biermarke Foster’s Lager) übernommen und noch etwas später als eigener Weinbereich der Firma, unter dem Namen "Treasury Wine Estates" ausgelagert. Es sollen jährlich da mehr als 200 Millionen Flaschen jährlich produziert und in alle Welt exportiert werden (hauptsächlich aber nach Grossbritannien).

Also doch: gross, grösser, am grössten!

Bezieht sich dies auch auf die Qualität des Weins? Schwer abzuschätzen, denn ich habe bis heute nur wenige Blass-Weine getrunken, jetzt also den „Black Label“, der etwa je zur Hälfte aus Cabernet Sauvignon und Shiraz besteht. Es ist ein alter Wein, der immerhin schon 22 Jahre auf dem Buckel - (beziehungsweise in der Flasche - hat. Die Schwärze auf dem Etikett (inklusive aufgedruckter goldener Münzen oder Medaillen) lässt vermuten: es ist einer der Spitzenweine im breiten Angebot des Unternehmens (Kosten ca. 80 Euro). Allerdings war das Weingut damals noch nicht so gross wie heute, und der Weinpionier Wolf Blass, hatte wohl das Zepter noch weitgehend in den eigenen Händen. Es dürfte sich also noch um einen „echten“ Blass-Wein handeln.

Zuerst einmal: der Wein hat die gut zwei Jahrzehnte bestens überstanden. Er ist wohl – dies kann ich nur vermuten, denn ich habe noch nie einen jungen „Black Label“ getrunken – ruhiger, gebändigter (ich sage in solchen Fällen: nachdenklicher) geworden: weich, aromentief, feinstkörnig, gewürzverliebt. Der Wein kommt mir bedächlig entgegen, nicht stürmisch, wie so mancher junge Australier (auch der gleichen Klasse). Vielleicht hätte er schon längst getrunken werden müssen. Ich vermute es. Doch ich bin auch so zufrieden, ja glücklich, dass ich ihm ein solch langes Leben gegönnt habe. So konnte der Wein sein Gross, Grösser, Am-grössten abgelegt und ist – nicht auf Grund seiner Grösse - zu einem Wein geworden, der – zumindest mich – beeindruckt hat

09. Januar 2016

 

 

Château Lagrange: Lagrange 1988, Saint-Julien, Bordeaux, Frankreich

 

 

Saint-Julien, so sagt man, sei der Hofstaat: dort, wo die Vasallen leben. Nördlich davon das Königreich Pauillac, südlich der Bereich der Dame, Margaux. Dies spiegle sich auch im Charakter der Weine: Majestätisch die Könige aus Pauillac, drei Premier Cru Classé, hingegen vornehm, elegant, anmutig Château im Süden: Margaux in der Appellation Margaux. Und dazwischen? Eben jenes „Hofgesinde“ zu dem auch Château Lagrange gehört. In der Regel sind es Weine im Haut-Médoc, die nicht ganz so lange Flaschenreifung ertragen, sich früher zur Ruhe legen, oft sogar abbauen. Ich habe schon manchen Saint-Julien viel zu lange im Keller liegen gelassen, wohl im stillen Glauben, dass daraus – mit der Zeit – ein König oder eine Königin werde. Ein König ist er nicht geworden, dieser Lagrange, obwohl er mehr als 25 Jahre auf seine „Erlösung“ warten musste. Aber er ist ein guter Wein geblieben, ein Vasall eben, zuverlässig und treu. Zwar schon etwas alt – die Jugend ist ihm längst abhanden gekommen – aber durchaus gereift, abgeklärt, vielleicht schon etwas müde, längst kein „Spring-ins-Feld“ mehr. Bedächtig, nachhaltig (mit länglichem Abgang) und tiefschürfend in seiner Lebensauffassung. Er hat schon manchen König, schon manche Königin, abdanken sehen, dabei Ruhe bewahrt und auch seinen Charakter:  nussig, krautrig, malzig, füllig, und trotzdem elegant. 

02. Januar 2016

 

Château Margaux: Margaux 1997, Premier Grand Cru, Margaux, Bordeaux, Frankreich 

 

Da habe ich mich selber ertappt: an Festtagen greift man im Weinkeller gerne ins Regal, wo die hochklassifizierten Weine liegen. Oder sagen wir besser: die teuersten Weine. Irgendwie muss ja ein Festtag (oder mehrere) würdig begangen werden, auch weinmässig. Allen meinen Beteuerungen (und Erfahrungen) zum Trotz, dass das Teuerste nicht immer auch das Beste ist, und dass eine Weinauswahl nicht so sehr vom Kalender abhängt, als vielmehr von den Umständen, dem begleitenden Essen, den Vorlieben und, und, und… habe ich fast schon automatisch zu einem Bordeaux Premier Cru gegriffen und erst noch zum vielleicht vielschichtigsten unter den fünf der 1855 klassifizierten. Vielleicht – wenn ich es mir nachträglich so überlege – war es doch nicht ganz so unbeschwert, denn ich griff zu einem 1997er, einem eher schwachen Jahrgang, der eigentlich bald einmal getrunken sein müsste, wenn man ihn noch geniessen (und nicht einfach „sammeln“) will. 2013 hat René Gabriel – in seinem jüngsten Eintrag – geschrieben: „Höchste Zeit. Letzte Beerennote und nasser Waldboden. Duftet und schmeckt jetzt wie ein ältlicher Rioja aus einem grossen Jahr.“ Dies habe ich erst jetzt – längst ist der Wein getrunken – zur Kenntnis genommen. Ich weiss nicht, ob ich ganz einfach nur nachsichtiger, dem Wein gegenüber grosszügiger bin, oder ob da die berühmte Diskrepanzverminderung spielt (Wert-Genuss), jedenfalls war der Wein alles andere als ein „ältlicher Rioja“. Er hat zwar an Frucht und „Druck“ wohl verloren, dafür hat er viel Feinheiten, sogar Harmonie bewahrt (oder gar gewonnen). Nicht Waldboden, schon eher Waldbeeren, habe ich wahrgenommen, ja sogar frühlingshafte Fliedernoten, eingebettet in ein herbstliches Szenario. Der Wein ist noch da, sogar einem Festtag würdig, auch wenn er nicht mehr zu den „Wow-Weinen“ zählt. Er kann sich sogar der Festtagshektik entziehen, in sich selber ruhen, und mit dieser Ruhe zur Besinnlichkeit (dies ist die „andere Seite“ des Festtags- und Weinrummels) einiges beitragen.

02. Januar 2016

 

Enrique Foster: Malbec 2005, Edicion Limitada, Mendoza, Argentinien 

 

Es ist die Flasche 1711 – also eine nummerierte Flasche, ein nummerierter Wein. Was man nicht alles macht, um aufzufallen, um anders zu sein, um nicht erdrückt zu werden im riesigen Angebot der Weine aus immer mehr Weinregionen. Jetzt weiss ich, dass ich die 1711te Flasche (von 12‘000) getrunken habe. So what? Es genügt schon lange nicht mehr, einfach gut, oder sogar sehr gut zu sein. Es wird – vor allem Bereichen der Flaschenpreise von 50 und mehr Franken - irgendwie mehr verlangt: vielleicht sogar Unikate. Hier soll die Nummer garantieren, dass die Trauben aus einem einzigen Rebberg stammen, aus einem Rebberg – nota bene – der schon vor hundert Jahren angepflanzt wurde.  Dabei ist der Wein – trotz limitierter Auflage – nicht einmal der teuerste der Foster-Weine. Da gibt es noch den „Firmado“ – den Wein mit Unterschrift -, etwa doppelt so teuer wie die limitierte Ausgabe. Erst da sind wir „auf dem Gipfel der Malbec-Kunst“. Die Anlehnung an die Kunst-Sprache -Vermarktung ist wohl nicht ganz zufällig.

Nun, der Malbec von Foster gehört tatsächlich zu den allerbesten aus Argentinien. Sozusagen ein neues Malbec–Gefühl: streng selektiert, alte Rebstöcke, modernster Ausbau, naturgekühlter Keller, Transport nur durch Schwerkraft, langer Ausbau (fünf Jahre und mehr, bis er auf den Markt kommt) und noch vieles mehr, was man eben im modernen Weinbau so alles einsetzt (und ausprobiert). Die entscheidende Frage ist aber nicht die Exklusivität, das Einmalig- oder Anderssein, es ist vielmehr die Freude, der Genuss, der Spass, welcher der Wein bringen kann. Und da ist einiges vorhanden: Eleganz und Kraft, reiches Buquet und schöne, leise Harmonie. Für mich eigentlich gar kein „schwarzer Wein“, kein Malbec, wie wir ihn aus Cahor kennen, für mich ein veredelter Malbec, schon fast ein künstlicher, auch wenn Pflaumennoten und Lakritze den Wein typusgerecht begleiten. 

25. Dezember 2015

 

Bodega Scala Dei: Prior 2009, Priorat, Katalonien, Spanien

 

Scala Dei, Himmelsleiter, welch passender Name für den heutigen Weihnachtstag. Der Wein – er mag nicht einmal einer der besten des Priorats (Katalonien) sein – haben wir genossen: Festtagsstimmung. Die Erinnerung ist spazieren gegangen. Wir sind nämlich dieses Jahr das Priorat abgefahren, hinauf, hinunter, Kurve rechts, Kurve links… Auch einige der Weingüter haben wir besucht. Vor allem Weingüter, die über die international bekannten Namen - L’Ermita,Clos Erasmus und Finca Dofi – hinausgehen. Weingüter der verschiedensten Gegenden im Priorat und in Montsant. Grund genug, sich – langsam, aber meist begeistert – den Weinen aus Katalonien zu nähern. Wir sind schon ganz, ganz nahe, mit diesem Wein. Wir erinnern uns an den Önologen des Weinguts – ein glühender Verfechter der katalanischen Autonomiebewegung, - der uns den Keller und die Weine vorgestellt hat und mit echter Begeisterung von der Gegend und den Weinen erzählte. Scala Dei, genau „Cartoixa de Santa Maria d’Escaladei“, so heisst die riesige Klosteranlage aus dem 12. Jahrhundert, die auch noch als Ruine – eine gepflegte Ruine – mehr als nur eindrücklich ist. Überall wo einst Kartäuser eingezogen sind, da pflegte man auch den Weinbau. In der Blütezeit lebten weit über hundert Mönche im Kloster. Doch im 19. Jahrhundert mussten sie ausziehen, das Kloster wurde enteignet und kurz danach geplündert. Das Erbe – der Weinbau – aber ist geblieben. Unter dem Namen des ehemaligen Klosters werden seit 1973 wieder Reben bewirtschaftet, da wo einst die Mönche auch Wein angebaut haben. Das Weingut „Scala Dei“ gehört zu den ältesten der Region, seine Reben liegen zwischen 300 und 600 Meter über mehr und wachsen auf Schiefergrund. Grenache ist die dominierende Rebsorte. Hier zu 55%, vermischt mit Samsó (20%), Cabernet Sauvignon (15%) und Syrah (10%). Ein „gefälliger“ Wein, der doch recht würzige Aromen hat, eine feste Struktur und einen ordentlichen Abgang. Das Erlebnis Wein vermischt sich – für mich, wie kaum in einem andern Wein – mit den Gedanken an eine verlorene Kultur, geistige und körperliche Strenge, schöpferische Kraft und fast schon himmlische Freuden des Genusses. Dies ist bedeutend mehr als der Wein – rein sensorisch – zu bieten hat. 

21. Dezember 2015

 

Giuseppe Gabbas: Arbeskia 2000,

Rosso di Barbagia, Sardinien, Italien

 

Er soll einer der „Shootingstars“ im sardinischen Weinbau sein. Doch – wer weiss schon etwas über das Weingebiet Sardinien und seine „Stars“? Ich, jedenfalls, recht wenig. Eine lange Tradition, brütend heiss, eine Insel, Sand, Trockenheit, dies sind etwa die Stichworte, welch mir in den Sinn kommen. Aber sardinischer Wein? Seit den 70er Jahren soll auch da etwas getan haben – wie in so vielen Regionen. Das Weinbaugebiet (ca. 40‘000 ha) hat sich von der Tradition (Massenweine, meist für den Verschnitt „edlerer Weine“ auf dem Festland bestimmt) gelöst. Nicht ganz. Einheimische Traubensorten wie Cannonau, Monica oder Girò können dem internationalen Trend – Merlot, Pinot, Cabernet – halt nicht die Stange halten. Wirklich nicht? Die Internationalisierung bei den Traubensorten und Weinen hat längst auch Inseln erreicht, auch Sardinien. So ist dies eine Assemblage aus 50% Cannonau, 40% Cabernet Sauvignon, 10% anderen Traubensorten. Cannonau? Das ist die italienische Bezeichnung für den Crenache noir, den ich so gut kenne aus der Languedoc. Ich stelle mir vor, dass das Klima ähnlich ist wie in Südfrankreich, nahe vom Meer (oder in Spanien). Doch so ausgeprägt ist dieses „Anderssein“ nicht, der Cabernet „schupft“ den Wein Richtung Internationalität. Und doch, er ist anders, in den Aromen und in der Frucht. Abweichungen von Normen sind leicht feststellbar, die Beschreibung des Anderssein hingegen recht schwierig. Spontan kommen mir Veilchen in den Sinn, auch Holderbeeren oder Moltebeeren. Ob dies nur an der Weichheit, dem Samt des Weines liegt oder wirklich am Geschmack? Oder einfach am Alter? Denn der Wein dürfte (mit 15 Jahren) überreif sein, aber noch kein bisschen oxydiert. Für mich jedenfalls eine neue, gute Erfahrung.

21. Dezember 2015

 

Henri Bonnefoy: Montrachet Chardonay 2005 und 2007, Grand Cru, Burgund, Frankreich

 

Etwas, das man nur selten im Glas hat. Zumindest ist dies bei mir der Fall. Wenn man die Preise ansieht, dann ist dies auch verständlich. Ein Festtagsdrunk also, diese Montrachets. Wenn man im Internet – fast unabhängig vom Produzenten – Angebote sucht, dann findet man fast überall den Begriff:„rar“. Tatsächlich gehören die Weine aus der Toplage „Montrachet“, die Grand Crus, zu den allerbesten Weinen der Welt: „Ihr edler, komplexer Geschmack ist ohne Übertreibung „majestätisch“ zu nennen.“ Stimmt dies? Einen Weinliebhaber, der fast ausschliesslich Rotwein trinkt und sich eher im Bordelais oder im Languedoc zuhause fühlt, sollt man diese Frage nicht stellen. Zu klein ist der eigene Erfahrungsschatz, zu beschränkt die Kenntnisse der nicht ganz einfachen Lage-Geographie im Burgund. Mein Freund, der diese edlen Tropfen aus dem Keller zauberte, hat es mir etwas einfacher gemacht, indem er zwei Jahrgänge nebeneinander stellte, zwei Jahrgänge vom gleichen Weingut. Dies hat mir vielesd erleichtert - indem ich sogleich zum Vergleich ansetzte. Der 2005er ist der bessere Wein. Und schon bin ich bei einem akribischen Abwägen, das den beiden Weinen nicht gerecht wird. Wirklich der bessere? Der eine der rundere, der weichere, der grazilere (2005), der andere erfrischend, rassig, mineralisch, noch fast etwas wild und ganz leicht eckig (16-Eck) (2007); der eine verliebt, in sich ruhend, der andere eher Aufmerksamkeit erheischend. Die Weine reden mit mir, aber sie haben aber eine andere Sprache. Doch ich kann sie hören. Der 2005er singt sogar – das Lied kenn ich nicht (noch nicht) – der 2007 ist eher vorlaut, er erzählt, bedient sich einer etwas raueren Sprache. Der eine verkrümelt sich beim Abgang, sanft, cremig, präzis – mit einer laaangen „Schleimspur“ (Entschuldigung für den Vergleich!), der andere verabschiedet sich mit Rasse, mit einem Stempel: „Ich bin Burgund“, und ich höre nur noch seine letzten Worte, erinnere mich an sein Vermächtnis, doch er ist bald entschwunden. So also können Weine erlebt werden, so kann man Burgundern begegnen – auch wenn man sonst Rotweine trinkt und die Begegnung mit Weissen auf ganz besondere Tage – so quasi Festtage – verlegt. Irgendwann kommt sogar der Gedanke – oder ist es ein Traum – wenn es nur mehr Festtage geben würde. Vielleicht können wir auch den einen oder anderen Alltag einfach zum Festtag machen. Wäre schön!

09. Dezember 2015

 

Beau Vignac: Syrah 2014, Les Costières de Pomerols, Languedoc, Frankreich  

 

Syrah verleitet - mich wenigstens – immer wieder zu einer Art Nagelprobe. Einerseits gehört die Rebsorte nach Südfrankreich und ist dort eine der Grundlagen (meist im Verschnitt mit andern Rebsorten) für gute Landweine, vielmehr aber nicht, andererseits werden mit Shiraz – so heisst die Traube in Australien – ausdrucksstarke, persönlichkeitsbetonte Weine gekeltert , darunter wohl einer der berühmtesten, der Grange von Penfolds. Es sind zwei ganz andere Weine, zwei ganz andere Welten: eine sehr moderne und eine eher in der Tradition verhaftete. Es muss kein teurer Grange sein, um Stilstudien zu machen; es genügen ein „einfacher“ Australier, wie dies auch ein „einfacher“ Südfranzose ist. Die Unterschiede sind trotzdem deutlich und verleiten (mich) eben zur „Nagelprobe“. Immer wieder. Die Frage steht nämlich im Raum: was kann die Rebsorte Syrah leisten? Wir haben da auch noch einen dritten Typus von Syrah, jenen aus Kalifornien, den „Petit Sirah“, der aber – das weiss man inzwischen – eine Kreuzung mit Syrah ist. Und dann noch der berühmte Châteauneuf-du-Pape. Enthält nicht auch er einen grossen Syrah-Anteil? Da ist aber alles viel komplizierter. In dieser Appellation sind dreizehn Rebsorten zugelassen, wobei man einige davon heute kaum mehr kennt. Es gibt meines Wissens auch keine Vorschriften für Mindestanteile einer Rebsorte, auch für Syrah nicht. Trotzdem spricht man den Syrah im Châteauneuf-du-Pape immer wieder an. Châteauneuf-du-Pape sei eigentlich ein klassischer Syrah-Wein, sagt man. Das kann, muss aber nicht richtig sein. Wen wundert es da, wenn ich immer wieder – meist ganz im Stillen, für mich – Vergleiche anstelle. Da ist das eher weiche, beerige Fruchtbouquet, dort die so viel zitierten Schoko-Noten, der wuchtige, kompakte Körper oder gar Pflaumen mit Pfeffer. Syrah kann eine „Edelwein“ sein, aber auch – wie hier – ein Alltagswein, wie er auch in so manchem Cave Coopérativ im Süden Frankreichs produziert wird. 

09. Dezember 2015

 

Schuler, St. Jakobskellerei: NOAH – Noah of Areni 2013, Areni, Vayots Dzor, Armenien

 

Schon in der Überschrift ist vieles – wenn nicht alles – unbekannt. Die Jakobskellerei ist kein traditioneller Winzerbetrieb, sondern ein Weinhaus, das eigene Rebberge hat und viele der Weine in Tanks in ihre gut ausgebaute, moderne Kellerei in Schwyz bringt, sie hier ausgebaut, lagert. abfüllt und schliesslich auch vermarktet. In diesem Fall ist aber auch die Herkunft – Armenien – als Weinland kaum bekannt, genau so wenig wie die Rebsorte Areni. „Geschichtsträchtiger Wein – richtige Veredelung dieses elegant fruchtigen Weines“, so postuliert die Kellerei den exklusiven Wein - und: „es war sicher das grösste Abenteuer, das wir im Haus Schuler je erlebt haben, diesen Wein zu finden und in die Schweiz zu holen“. Hat es sich gelohnt? Mein erster Eindruck – bei einer Verkostung: Es hat sich gelohnt, zumindest ist der Wein sehr gut und vor allem interessant. So also schmeckt ein „Areni“ – traditionell ausgebaut, modern assembliert. Jetzt habe ich zum ersten Mal den neuen Wein auch wirklich im Glas – zuerst zum Essen, dann als „Bettmümpfeli“. Ein angenehmer, in seinen Aromen präziser Wein – weit davon entfernt, ein „Aussenseiter“ zu sein. Das Rebsortenprofil spricht von einer Traube, die „kräftige, alkoholstarke Rotweine mit Lagerungspotential“ hervorbringt. Eine Charakterisierung, die hier kaum zutrifft. Nur die Farbe ist kräftig, ein kräftiges Kirschrot. Im Gaumen ist er eher samtig, sogar weich, elegant und (schrecklich) ausgewogen, mit 13.5 Vol.% auch nicht besonders alkoholstark und in den Aromen eher burgunderbetont, was man von einem wilden, „schwarzen“ Wein gar nicht erwartet. Ich vermute, die Weinmacher in der Schweiz haben ihn tüchtig domestiziert, angepasst an „unseren“ Weingeschmack. Was mir gefällt: das sind Noten weit über die üblichen schwarzen Beerenfrüchte, Lakritze, Kirsch, Plaumen hinaus in ein Spektrum, bei dem es sich lohnt, das Aromenrad wiedereinmal hervorzuholen – um Ungewohntes zu entdecken. Es ist ein Wein, bei dem die Geschichte eigentlich interessanter ist, als der Wein selber. Beide sind gut, der Wein und die Geschichte, die über ihn zu erzählen ist.

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06. Dezember 2015

 

Julien Zernott & Delphine Rousseau: Les clapas rouge 2013, Terrasses du Larzac, Poujols, Languedoc, Frankreich

 

Irgendwo habe ich gelesen, dass die Benediktiner nur dort Klöster gebaut haben, wo man auch Wein anbauen konnte. Ob dies so stimmt, weiss ich nicht. Sicher ist, dass fast überall dort, wo Benediktiner (Ora et labora) zuhause waren, noch heute alte Weinberge anzutreffen sind. Sie haben – gerade in Frankreich – so ziemlich alle Klöster überlebt. Benedikt von Aniane – nicht zu verwechseln mit dem Ordensgründer Benedikt von Nursia – stammt von Aniane, einer Gemeinde nordwestlich von Montpellier. Er hat hier ein erstes Kloster gegründet, später eine ganze Reihe weiteter Klöster zwischen den Pyrenäen und der Rhone. Fast alle liegen dort, wo noch heute berühmte Weinberge sind. Im Tal von Buèges, einem kleinen Nebenfluss des Herault, am Fuss des Séranne, liegt das Plateau von Larzac mit seinen berühmten Terrassen, heute eines der besten Weingebiete der Appellation Coteaux du Languedoc (seit 2004 mit eigener Herkunftsbezeichnung). Es ist kein Zufall, dass nur wenige Kilometer nördlich (an dem gleichen alten Pfad der Pilger auf dem Jakobsweg) die Abtei Saint-Guilhem-le-Désert liegt, mit eben so schönen und berühmten terrassierten Rebbergen. Die Benediktiner haben halt doch – mit welchem Auge auch immer – auf den Wein geschaut. Les Clapas ist ein kühler Wein, ein Wein mit feinen Nuancen: leicht pfeffrig, mineralisch, unglaublich authentisch für die Gegend, die doch – bezogen auf die Region – fast schon hoch (350 M.ü.M) liegt. Seine Mineralik wird ergänzt (oder umhüllt) von pflanzlichen und erdigen Tönen, welche so typisch sind für alte Carignan Reben – der Winzer spricht von der Seele des Weins – begleitet von Frische und Frucht vor allem von Cinsault und Syrah.

04. Dezember 2015

 

Domaine de Hortus: Bergerie l’Hortus 2014, Pic Saint Loup, Languedoc, Frankreich

 

Da ich im letzten „Getrunken“ zum weniger bekannten „Pic Saint Loup Classique“ (Domaine Mas de Jon) die Legende vom Riesen erzählt habe, der die beiden Berge „Pic Saint Loup“ und „Hortus“ mit einem Faustschlag getrennt hat, drängt sich geradezu auf, zur Domaine „Hortus“ weiter zu wandern. Zwar habe ich früher das Weingut schon mehrmals erwähnt, auch den „Bergerie l’Hortus“, aber nicht diesen Jahrgang (2014) und nicht in diesem Zusammenhang. Die Domaine de Hortus gehört zu den ersten Weingütern, deren Weine ich vor mehr als zwanzig Jahren (noch in der Schweiz) kennengelernt habe. Das Weinhaus Reichmuth in Zürich war ein Languedoc-Pionier, lange bevor diese Gegend auch vom internationalen Weinhandel – und damit von den Weinliebhabern in aller Welt – so richtig entdeckt wurde. Heute hochangesehene Weingüter der Languedoc, die inzwischen Spitzenweine produzieren, standen schon vor dreissig Jahren im Programm des Weinhauses. Unter ihnen Château des Estanilles, Domaine Aupilhac, Château Gourgazaud und eben auch die Domaine Hortus. 1995 schrieb Rolf Reichmuth in „Homage au Vin: „Noch vor einem Jahrzehnt wäre es undenkbar gewesen, ein umfassendes Angebot mit Qualitätsweinen von Languedoc-Roussillon zu unterbreiten. Wohl gab es da und dort einen Produzenten, der versuchte aus dem Meer des Gros Rouge aufzutauchen und etwas Beachtenswertes zu erzeugen, aber es blieben isolierte Einzelfälle. Seit einiger Zeit jedoch ist in jener landschaftlich und geschichtlich faszinierenden Region eine Entwicklung im Gange, die selbst einen passionierten Bordeaux-Liebhaber zu begeistern vermag…“

Zu diesen „begeisterten Bordeaux-Liebhabern“ gehörte auch ich – und ich liess mich von den Weinen der Languedoc überzeugen. Hortus hat viel dazu beigetragen. Wie so viele lieferte auch Hortus anfänglich die Ernte an den Cave Coopérative, bis sich das Weingut in den frühen 90er Jahren selbständig machte. Inzwischen führt bereits die nächste Generation (drei Geschwister) das Weingut, das heute zu den modernsten und besten der Region zählt und seine Weine in alle Welt liefert. Ein klassisches Beispiel für die Entwicklung der Weinregion in Frankreichs Süden. Der „Bergerie“ ist der einfachere der beiden Rotweine des Gutes (der „Grand Cuvée“ der andere) und kostet im Handel etwa 10 Euro. Zu diesem Preis ist es auch einer der besten Gastroweine: „zum Versinken, druckvoll, warm und nuanciert. Keine Bordeaux Nachahmung, ein echter Südfranzose".

30. November 2015

 

Domaine Mas de Jon:  Pic Saint Loup Classique 2013, Languedoc, Frankreich

 

Was ich in Restaurants liebe: die Entdeckung neuer Weine. Was ich weniger liebe, das ist ein Faktor 3 beim Preis, zumindest in der Schweiz ist dies so. Hier, im Süden Frankreichs, in der Languedoc ist es anders. In einem hervorragenden Restaurant, einem der besten bot Ort, entdeckte ich diesen Cuvée: Mourvèdre, Syrah, Grenache, also ein „Klassiker“ der Region. Er kostet im Laden ca. 10 Euro, im Restaurant etwa das Doppelte. Gerade bei einem Wein dieser Preisklasse – und der Qualität – ist dies ein vorteilhafter Preis. So ist man auch bereit, einmal etwas Unbekanntes zu beestellen, etwas Neues zu probieren, neue Erfahrungen zu machen. Hier hat es sich gelohnt, doppelt gelohnt: weich und frisch ist der Wein, nicht einfach nur süffig und bequem, nein, aufregend echt, feingliedrig, vielleicht sogar versponnen. Schon beim ersten Schluck hat er es mir angetan, kein verlogener, ein echter Charme. Dieser Wein kommt vom Pic Saint Loup, jenem steilen Zahn, nördlich von Montpellier, von dem die Legende sagt: „dass einst zwei Liebende – ein Schäfer und eine Schäferin – in die Berge flohen, um der Verheiratung des Mädchens mit einem reichen Kaufmann zu entfliehen. Von Hunden verfolgt, standen sie unvermittelt vor einer hoch aufragenden Bergkette. Sie beteten um Hilfe, woraufhin ein in der Nähe lebender Riese mit einem Fausthieb den Berg spaltete. So entstanden der Pic Saint-Loup und der benachbarte Hortus“. Ich liebe nicht nur die Legende (es ist nur eine von vielen rund um den Berg), ich liebe die W, ich liebe auch diesen Wein des Weinguts Mas de Jon: die leuchtende Farbe, die Eleganz, die seidenen Tannine und ihre Entführung ein die Tiefe der Aromen.

29.November 2015

 

Domaine la Linquière: Le Chant des Cigales 2012, Saint Chinian, Languedoc, Frankreich

 

Der Gesang der Zikade soll ein Liebeslied sein. Die Männchen balzen um die Gunst der Weibchen - so intensiv und laut, dass sich Menschen auf Campingplätzen im Mittelmeerraum meist beschweren möchten. Aber bei wem? Bei der Natur? Doch diese Art von „Nachtruhstörung“ gehört zum Sommer, zur Wärme, zur Hitze, vom Mai bis in den September. „Sie kriechen nach Jahren aus dem Boden, in tropischen Gebieten sind es Milliarden und sie zirpen so laut wie ein Düsenjet“, sagen die Wissenschaftler. Die Dichter sind da gnädiger. Anakreon (570-495 vor Christi) preist ihre Glückseligkeit und setzt sie „beinahe den Göttern gleich“.

Wie muss ein Wein sein, der sich „Chant de Cigales“ nennt? Dröhnend, wie ein Düsenjäger oder balzend wie ein verliebtes Männchen. Er ist weder das eine, noch das andere. In der Farbe eher lila (trotz des Altes von drei Jahren), hell leuchtend; trotzdem tief und komplex (präziser: in den Aromen verflochten), vielleicht leicht dominiert von Trüffeln und kandierten Früchten, doch ungemein vielfältig, authentisch. Wer sich etwas in der Region auskennt, der findet im Wein das Erleben eines vielfältigen Weingebiets wieder(Rebsorten: Mourvèdre, Grenache, Carignan und Syrah; Boden: Schiefer, Kalkstein und Sandstein). All die Elemente zu vereinen, welche den Wein beeinflussen, und sie nicht in Barriques zu ertränken, das ist das Verdienst dieses Weins, oder besser gesagt, ihrer Macher (Vater Robert Salvestre und seine Söhne). Preis ca. 10 Euro im Handel.

24.November 2015

 

Weingut Klaus Blesius: Riesling Spätlese 2014, Graacher Domprobst, Mosel, Deutschland

 


„Ein Zufall“, sage ich. Andere würden sagen: „glückliche Fügung“; religiöse Menschen vielleicht sogar: „göttliche Fügung, denn Zufälle gibt es nicht!“. Wobei - angesichts der Kombination „Alkohol und Trinken“- schon ernsthafte Zweifel an der „Göttlichkeit“ aufkommen könnten. Bei mir nicht! Da reise ich mit dem TGV nach Süden, ans Mittelmeer. Ich wähle den längeren Weg, von Basel respektive Mulhouse nach Montpellier, um nicht umsteigen zu müssen und freue mich auf den Krimi, den ich schon lange zu Ende lesen wollte. Doch dies gelingt nur im Ansatz. In Lyon Part Dieux ist Schluss: TGV defekt, umsteigen! Wer schon französisches Bahnchaos erlebt hat, versteht meinen Schreck. Ich mit schleppe mich mit meinem Koffer – vielen andern – durch die überfüllten Wagen im Anschlusszugs und ergattere noch einen Platz in einem Vierer-Coupé, bei drei Herren, die es sich gemütlich gemacht haben – mit Wein, Brot und Salami. Zwar bemühe ich mich standhaft in mein Buch zu schauen, die Düfte und das Gläserklingen ausser Acht zu lassen, und dem Dreifachmörder zu folgen. Dies will mir nicht so richtig gelingen. Dann werde ich - gottseidank - von den drei Herren eingeladen zu Brot, Salami und Wein. Aus der Mosel kommen sie, alle drei sind in der Weinbranche tätig und sie reisen nach Montpellier an eine Messe. Nach den beiden Rotweinen aus Österreich (Weingut Gesellmann, Burgenland) gib es dann ein einheimisches Gewächs: diese Riesling Spätlese vom Weingut Blesisus. Der jüngste der drei Herren bemerkte, stolz, aber eher bescheiden: „den habe ich gemacht!“. Es ist weniger die Ehrfurcht, als die Situation im Zug: strahlend blauer Himmel, südliche Landschaft, TGV-Geschwindigkeit, leicht pikierte Mitreisende, die diesen feinherben Wein zum göttlichen Getränk werden lassen: süssliche Frucht, von Apfel bis zu Zitrusnoten, fein strukturierte Säure mit schönem, sanftem Abgang und mittellangem Ausklang. Ein gutes Stück Mosel reist – mit 200 Stundenkilometern – entlang der Rhone – ans Mittelmeer. Und mir wird wieder einmal so richtig bewusst, dass Weinqualität nicht (nur) von Punkten, Beschreibungen und Kritiken abhängig ist, sondern weit mehr vom Augenblick (und den Umständen) des Geniessens.

18.November 2015

 

Newton Vineyard: Newton Chardonnay Unfiltered 1994, Napa Valley, Kalifornien

 

Es ist unbestritten eine Rarität – sogar „mit Pioniergeist“, dies schreibt Möwenpick, verleiht  ihm 19/20 Punkte und verlangt fast 70 Franken dafür. Natürlich nicht für diesen – für einen Chardonnay - schon uralten Wein, vielmehr für den 2012er, der – so das Datenblatt – bis 2022 getrunken sein sollte, also etwa 10 Jahre Haltbarkeit hat. Dies ist schon recht viel für einen Chardonnay, dem man in der Regel fünf bis sieben Jahre zugesteht. Allerdings wurde in der letzten Auktion für eine einzige Flasche Chardonnay aus der Domaine Romanée Conti 8‘000 Franken (netto) bezahlt, Jahrgang 1964. Und für einen 94er aus dem gleichen Haus wird noch immer um 3‘000 Franken hingeblättert. Auch wenn Newton nicht Romanée Conti ist und das Napa Valley nicht Burgund, so dürfte mein  Chardonnay zumindest noch trinkbar, vielleicht sogar geniessbar sein. Dachte ich mir – und ich hatte recht. Das Gelbgold leuchtete zwar nicht mehr, die Aromen von Aprikosen über Honig bis Quitten waren nicht mehr so genau auszumachen. Ein zu komplexer (andere würden sagen: vermischter, vermengter) Altwein in der Nase und auch im Gaumen müde (andere würden sagen: in sich ruhend) und im Abgang leichtfüssig, nicht mehr sehr lang (andere würden sagen: wegschleichend). Also ein Flop? Im Gegenteil: eine interessante, aber auch wunderschöne Erfahrung, eine Antwort auf die immer wieder auftauchende Frage: Wann ist ein Weisswein – zum Beispiel ein Chardonnay – wirklich alt, zu alt? Spielt da nur noch die Welt des Sammlers und der berühmten Rarität eine Rolle und nicht mehr der Genussfaktor? Tatsächlich ist es eine andere Welt, die aber nicht weniger Genusspotential hat. An Stelle der Frische und Unbekümmertheit von Jungweinen, treten Aromen, die ich sonst nirgends finde: ein ganzes Gewürzregal, eine Palette gedörrter Früchte, ja sogar ein Teegeschäft tauchen auf. Die gefurchte „Haut“, die ich im Glas zu sehen glaube, bekommt ein Charaktergesicht, weich, abgeklärt, weise. Nichts stört diese Harmonie, weder Oxidation noch Todesahnung.

16.November 2015

 

Weingut Librandi : Gravello Val di Neto, 2005, Kalabrien, Italien 

 

Für alle, welche die Karte des italienischen Stiefels im Gedächtnis haben: Kalabrien liegt an der Fussspitze; wie ein Ball vor sich her tretend: Sizilien. In Kalabrien ist es nicht nur südlich heiss, auch gebirgig und waldig. Hier wächst Bergamotte, die Zitrusfrucht, dir wir vor allem vom Duft der Parfüms kennen, aber auch – so gleichsam als Nebenprodukt – als ganz speziellen Schnaps. Kalabrien ist aber auch eine Weinregion, keine grosse, aber eine sehr spezielle. „Cirò“, rosso und bianco, sind sind wohl die bekanntesten und typischsten Weine aus dieser südlichsten Region Italiens, gekeltert aus Trauben, die wir hier, im Norden, kaum kennen: Greco Bianco für die Weissen, Galioppo für die Roten. Der Wein – des wohl bekanntesten Produzenten Kalabriens – ist in meinen Augen und in meinem Weinerleben etwas ganz Besonderes: ein Cabernet-Sauvignon Blend, der wirklich in nicht Bordeaux nachahmen will und kann, obwohl die Trauben der Rebe Galioppo mit fast eben so viel Cabernet Sauvignon vermählt werden. Galioppo ist sonst ein her rauher, ganz eigenwilliger Wein, der zwar kräftig, aromatisch, aber auch etwas eigenwillig ist und mich immer in leichten Anklängen an Quittenduft und an Granatäpfel erinnert. Dieser Galioppo-Cabernet ist hingegen delikater, feiner, auch mit mehr Tiefe als die meisten Weine aus der typischen autochthonen Rebsorte – sie soll einst von Griechenland eingereist sein – Kalabriens. Selbst sein Alter – zehn Jahre – hat der Wein hervorragend gemeistert.

15.November 2015

 

Château Mouton-Rothschild 1993, Pauillac, Bordeaux, Frankreich

 

(siehe Bild des Tages vom 15. November 2015)

 

Es ist der Wein mit der anstössigen Etikette. In den USA wurde das Bild der nackten kindlichen Figur des Künstlers Balthasar Kłossowski de Rola, genannt Balthus, nicht zugelassen, weil es als pädophil galt und deshalb von Baron Philippe für den amerikanischen Markt entfernt wurde. Ich habe den Wein bei Freunden - am Vorabend der traditionellen Herbst-Weinmauktionen – getrunken und spontan den Eindruck gehabt, dieser Wein hat den Zenit überschritten, er sollte rasch getrunken werden. Vor allem in der Nase war er etwas dumpf, leicht moderig, lahm. Im Gaumen entwickelte er dann noch Harmonie, Kraft und Schmelz. Er hat durchaus noch Frucht und einen Rest von Pauillac-Stolz. Aber es ist kein (ganz) grosser Wein mehr. Ein schöner Pauillac, wie es ihn zu weit kleineren Preisen gibt. Denn die Auktion (am nächsten Tag) verriet, dass eine Flasche noch immer 300 Franken (brutto) kostet und jetzt kistenweise zu kaufen ist. Selbst eine Einzelflasche („nur“ Top Shoulder) erzielte noch 170 Franken (brutto). Einzelflaschen werden in der Regel von Weinliebhabern gekauft, während OHK (Original-Holz-Kisten) meist in alle Welt exportiert werden.

Offensichtlich hat sich der „Sammlerwahn“, der lange Zeit rund um den Mouton 1993er herrschte, noch nicht ganz gelegt (Die Europäer wollten unbedingt die US-Version haben, die Amerikaner lechzen nach dem schwarz importierten 1993er mit dem Original-Etikett.) Inzwischen ist aber auch der Inhalt – ein Wein, leicht über seinem Höhepunkt – preisbestimmend. Die Nase verrät es: an Stelle der sonst prägnanten Aromen von schwarzem Johannisbeeren, Gewürzen, Lakritze etc. gesellen Pfirsich oder gar Pflaumen-Noten dazu und die cremige Süsse hat an Strahlkraft verloren. Ich lese in einer Händlerempfehlung: „Den 1993er sollten Sie spätestens bis 2013 genossen haben“. Dem kann ich nur zustimmen. Doch – wer hat schon 93er Mouton reihenweise im Keller? Auch wenn der Wein damals in der Subskription um 60 Franken gekostet hat.

 12.November 2015

 

Torre Raone: San Zopito 2006, Montepulciano d‘Abruzzo, Terre de Vestini, Italien

 

Diesen Wein hätte ich dekantieren sollen, am besten eine Stunde vorher. Was ich sonst fast immer mache, habe ich hier unterlassen. Es war halt ein spontaner Entscheid einen Italiener aus dem Keller zu holen, als der Rollbraten längst im Ofen war und die Bratendüfte sanft und immer eindringlicher den Raum, ja das ganze Haus belegten,. Zudem stand eine Verkostung italienischer Weine – aus dem Piemont und nicht aus den Abruzzen – in ein paar Tagen bevor. Warum nicht dazu schon jetzt eine passende Einstimmung? Ich weiss, es sind zwei unterschiedliche Weingebiete, das Piemont und die Abruzzen, es sind auch ganz unterschiedliche Rebsorten: Barolo, Barbera und Barbaresco im Piemont, Montepulciano hingegen ist die wichtigste Rebsorte in den Abruzzen. Also nicht miteinander zu vergleichen. Und doch: San Zopito bringt ein gutes Stück Italianità ins Glas, an den Tisch, zum herrlichen Braten. Es ist ein wuchtiger Wein, allein schon die 15 vol.% Alkohol deuten darauf hin: da hat sich etwas „zusammengebraut“, zumindest hohe Alkoholpräsenz, aber auch eine dunkle, fast schwarze Farbe und schwere, runde, „gesättigte“ Düfte, die allmählich aus dem Glas lösen. Die Erinnerung an einen Amarone ist gar nicht so abwegig, auch Anklänge an italienischen „Massen- Montepulciano“ sind nicht ganz abstrus. Trotzdem: Es hat sich gelohnt, der Kalbsbraten wurde - im Erlebnis - umspült von einem Genusswein mit fruchtigen, ja sogar blumigen Restaromen mit Anklänge an schwarze Schokolade, einer gut ausbalancierte Säurestruktur und einem herzlich-warmen, intensiven Abgang.

Preisträger als gute Weinnase
Preisträger als gute Weinnase

 10.November 2015

 

Château Beychevelle: Beychevelle 1990, Saint Julien, Bordeaux, Frankreich

 

Schon wieder dieser Beychevelle! Ich bitte um Nachsicht, denn der Wein gehört eben zu meinen „bevorzugten“ Weinen oder eben Lieblingsweinen. Warum? Dies habe ich bei der letzten Weinrallye zum Thema „Geschmack ist nicht alles“ zu erklären versucht. Gefühle lassen sich eben nicht so mir-nichts-dir-nichts umher wirbeln, eine gewisse Treue ist Ehrensache. Weil ich wieder einmal Bestandsaufnahme machen wollte – wie es nun mit dem Geschmack und den Gefühlen steht – habe ich diesen 25jährigen Beychevelle (vor 10 Jahren gekauft - aus Anlass meines Bordeaux-Seminars am Grossen Treffen von Wein-plus 2006 in Bonn) aus dem Keller geholt. 1990 ein guter Jahrgang, ja ein grosser Jahrgang (besonders wenn man ihn mit den nächsten drei Jahren vergleicht). Damals – ich kann mich noch gut erinnern - war ich zufrieden, wenn auch nicht unbedingt begeistert. Kritische Stimmen haben schon damals ihrer Enttäuschung Ausdruck gegeben. Dies wollte ich nicht wahrhaben, damals. Offensichtlich war ich (noch) zu verliebt in das Château und den Jahrgang, als dass ich ihm geschmacklich viel antun konnte oder wollte. Es war ein schöner Wein, zwar nicht ganz gross, eher etwas abseitig. Doch gut war er allemal. Die Provokative Aussage: „Geschmack ist nicht alles“, vor allem diverse Antworten darauf in den Blogs, zum Beispiel: „….... aber ohne Geschmack ist alles nichts?“ haben mich jetzt schnurstracks in den Keller getrieben; dort lagern nämlich noch zwei, drei Flaschen 1990er, die ich damals mehr gekauft habe, um das Seminar auch gut vorzubereiten. War die Vorbereitung doch mangelhaft oder hat sich der Wein so verändert? Oder habe ich mich verändert? Wäre da nicht die Geschichte meiner ersten eigenen Bordeauxflasche im eigenen Weinkeller, ich hätte den Wein jetzt mit Verachtung bestraft. So aber habe ich ihn getrunken, nicht unbedingt mit grosser Freude, aber doch mit Ehrfurcht und Anerkennung seiner Existenz. Der Wein ist nämlich – zwar nicht abgebaut – aber wirklich etwas träge, flach, unverbindlich, ausdruckslos… Spricht man so von einer Geliebten (selbst wenn sie eine Verflossene wäre)? Pflanzliche, erdige Noten nehme ich war, gefolgt von Himbeere und Cassis, aber auch die Anklänge an eine ganze Schale von Obst… einzig eine gewisse Harmonie und runde Tannine mag ich ihm zuerkennen. Zu lange gewartet? Ich glaube nicht! Viel wahrscheinlicher ist die Tatsache, dass ich endlich hinter meine Liebe zurücktreten und den Wein nur als Wein beurteilen konnte. Trotzdemk: Beychevelle wird weiterhin zu meinen Lieblingsweinen gehören.

 04.November 2015

 

Alain Moueix: Château Fonroque 1989, Saint-Emilion, Bordeaux, Frankreich

 

Es ist immer rührend, wenn ich eine Flasche aus dem Keller hole, und sie trägt die persönlichen „Spuren“ eines Weinliebhabers, der in den allermeisten Fällen bereits tot ist. Diese Flasche – zum Beispiel - trägt die Jahreszahl 1989 und eine Preisangabe 29.- (Franken), von Hand geschrieben und fein säuberlich aufgeklebt, so dass sie lesbar ist, auch wenn der Wein im Gestell liegt. Andere Weinfreunde schreiben sogar direkt auf die Etikette oder legen – nicht selten – persönliche Notizen zur Flasche. Es sind dies Weine von Weinliebhabern, die ihre Schätze hüten und pflegen, aufbewahren und Erwartungen hegen, irgendwann aber ist es dann zu spät: sie können den gehüteten Wein nicht mehr selber trinken und geniessen. Solche Flaschen landen dann oft nach einer Kellerräumung“ auf der Auktion. Nur selten auf eBay, vielmehr an grossen Präsenzauktionen, weil die Flaschen vom Auktionshaus übernommen werden (müssen), um allenfalls auch an die „wahren Schätze“ - die teuren Weine - zu kommen. Es sind meistens nur Einzelflaschen, die da sonst eher selten auftauchen, aber rasch einmal von “Schnäppchenjägern“ zu guten Preisen ersteigert werden. Ich habe diese Flasche – irgendwann in den 90er Jahren – für 16 Franken (brutto) ersteigert (in einem sogenannten „Mischlot“), also zehn Franken, gut ein Drittel, unter dem einstigen Subskriptionspreis. Wer mit Weinen handelt oder an Auktionen einkauft, spricht dabei von „Risiko-Flaschen“. Oft hat sich das lange Lagern eben nicht gelohnt; die Weine haben abgebaut oder sind – weil nicht gut genug gelagert – in labilem Zustand. Nicht dieser Wein! Das Château gehört der weitverzweigten Familie Moueix. Ja, aus dem „Gründerweingut“, das Jean-Pierre Moueix in den Dreissigerjahren gekauft hat und von hier aus das grosse Handelshaus aufbaute, zu dem heute ein gutes halbes Dutzend der berühmtesten Châteaux (vor allem in Pomerol und St-Emilion) gehören. Fonroque ist darunter eher ein Stiefkind, bei dem weniger die Qualität, als die Tradition der Familie im Mittelpunkt steht. Zudem ist der Anteil an Cabernet Franc mit ca. 15 Prozent viel grösser als bei anderen Saint-Emilion Grand Crus. All dies – aber auch die noch gut erhaltene Qualität – machen den Wein zum Genuss. Ich habe dabei wirklich das Gefühl, ein Unikat zu trinken, was oft viel reizvoller ist, als noch so gute sensorische Erlebnisse, die in immer mehr Weinen zu finden sind.

 

31. Oktober 2015

 

Ceuso di Melia: Scurati 2003, Alcamo, Sizilien, Italien

 

Natürlich ist die Rebsorte „Nero d’Avola“, denn der Wein kommt aus Sizilien, wo diese Traube zuhause ist. Die Erwartungen liegen bereits im Namen – nero gleich schwarz. Es ist also ein „schwarzer Wein“, bei dem die dunkle Farbe, die kräftigen Aromen, die mächtige Struktur dominieren. Das mit der dunklen Farbe kommt noch hin, doch der Rest an Erwartungen erfüllt sich nicht. Es ist ein weicher Wein mit viel „Wärme und Besinnlichkeit“. Zumindest hat er – bei mir – „Wärme und Besinnlichkeit“ ausgelöst. Er ist von den Aromen her anders. Wie anders? Süsse Pflaumen kommen mir in den Sinn, etwas Kaffeearomatik, leicht süssliche Beerenfrucht. Mein besonderes Interesse galt aber vor allem seinem Alter: wie lange kann sich dieser reine Nero d’Avola behaupten? In vielen Fällen wird er verschnitten, heute selbst mit Cabernet Sauvignon und Merlot zu einem „andern“ Bordeaux gemacht. Dieser Pseudo-Bordeaux, der kräftig und konzentriert istm und ähnlich wie der Bordeaux ausgebaut wird, kann in einzelnen Fällen sogar zu den Spitzenweinen aufsteigen. Zum Beispiel der Ceuso rosso Vigna Custera, Sicilia, mit Preisen weit über 50 Franken. Bei unserem Wein haben wir es aber mit einem einfachen Nero d’Avola zu tun, preislich in der Grössenordnung von 15 bis 20 Franken. In unseren Köpfen ist der Nero d’Avola noch so etwas wie ein südländischer Alltagswein. Dies aber ist dieser Wein aber nicht (mehr); er ist bereits „etwas besseres“, das ohne weiteres 10 und mehr Jahre Freude machen kann. Vielleicht ist die Struktur etwas verschwommener (als bei einem jüngeren Nero d’Avola) und die Säure ist etwas verschloffen, doch nicht so weit, dass die Harmonie durch sein Alter verloren gegangen ist. Er ist einfach nicht mehr so wild, kraftvoll und ungestüm. Doch dies kommt gut an. Jedenfalls bei mir.


28. Oktober 2015

 

Gian-Battista von Tscharner: Jeninser Blauburgunder „Mariafeld“ 2002, Graubünden, Schweiz

 

Es ist ein reizvolles Experiment. Den Jeninser Blauburgunder „Mariafeld“ 2010 von G.-B. von Tscharner habe ich vor einer Woche – in der Mittagspause bei der Lese - im Rebberg getrunken und darüber berichtet. Jetzt habe ich die letzte Flasche des acht Jahre älteren „Mariafeld“ (vom gleichen Winzer) aus dem Keller geholt. Allein schon die Umgebung, die Situation mitten in den Reben, wo wir gerade die „Mariafeld“-Trauben des Jahrgangs 2015 gelesen haben, führen wohl zu einer andern Beurteilung eines Weins. Davon bin ich überzeugt. Der Wein, den wir in den Rebbergen getrunken haben, hat einen gewichtigen Vorteil: die Stimmung, die Freude mit dem Wein belohnt zu werden, von den gleichen Rebstöcken, die man soeben abgeerntet hat.

Dem war auch so! Der Wein, heute also ein 2002er - in einer alltäglichen, stimmungsärmeren Atmosphäre getrunken – hat den viel besonneneren, abgeklärteren, vielleicht bereits etwas müderen Eindruck hinterlassen. Währen der Jungsporn - letzte Woche, -  der mit fünf Jahren eigentlich kein Jungsporn mehr ist - viel lebendiger, viel unbekümmerter daherkam. Ich bin mir voll bewusst: Dies ist vor allem eine Aussage über mich, weniger über den Wein; es ist ein Teil meiner Stimmung, die sich auf den Wein übertragen hat. Eigentlich keine neue Erkenntnis, aber eine lehrreiche, ja heilsame, wenn man über Weine schreibt.

Nun gilt es aber ernst. Kann der 2002er – mit eine für einen Pinot Noir beachtlichem Alter – noch mühelos mithalten? Oder habe ich wieder einmal das (bestimmt nicht kleine) „Trinkfenster“ verpasst? Ist einer der beiden Jahrgänge klar besser, die Trauben besser ausgereift, besser vinifiziert? Keine einfachen Fragen, denn gleiche Wein, vom gleichen Winzer, aber aus verschiedenen Jahren sind nie gleich! Es ist es nicht nur der Altersunterschied – beim älteren Weinl deutlich mehr tertiäre Noten, es ist ein „anderer Wein“, zwar aus der gleichen Rebsorten (den gleichen Reben), ja sogar von den gleichen Rebstöcken, aber unter ganz anderen Umständen entstanden, gereift und verkostet: Wetter, Klima, Zeitpunkt der Arbeiten im Rebberg, Entscheidungen beim Ausbau, Zustand des Leseguts, Technik und, und, und… Dies alles kann vom spürigen Konsumenten durchaus festgestellt werden, doch in in Begriffen (die nicht abgedroschen sind) nur schwer zu fassen. Irgendwie drückt sich dies hir in der Weinetikette aus. Der Winzer – ein hervorragender Fotograf – wählt nämlich für jeden Jahrgang ein eigenes Bild für diesen Wein aus; mir scheint, es ist so etwas wie sein „nonverbaler“ Kommentar: Rot-gelbe Tönne – Sonne – für den Wein vor dreizehn Jahren; tiefblaue bis hellfunkelnde – Himmel – für den jüngeren Jahrgang (2010). Beeinflusst so der Winzer die Konsumenten seines Weins? Der Gedanke ist nicht ganz abschlägig. Die strahlende Sonne hat diesem 2002er offenbar so viel Wärme gegeben, so viel Kraft aus der Natur, dass er heute noch dasteht: tiefgründig, weich, saftig, auch selbstbewusst, aber auch wissend, dass seine Reifung längst abgeschlossen ist.

25. Oktober 2015

 

Château Carmes Haut-Brion: Les Carmes Haut Brion 2000, Pessac-Léognan, Bordeaux, Frankreich


Fünfzehn Jahre sind es her, seit dem grossen Hype um den Jahrgang 2000. Viele wollten den Jahrtausendwein kaufen, denn die kugelrunde Zahl (und alles, was rundherum an Aufsehen gemacht wurde) hat zum Kauf und wohl auch Spekulation verleitet. Es wurde ein „guter Jahrgang“, aber schon recht bald von besseren überboten: 2005, 2009 und 2010. Natürlich war damals mit dem Jahrgang eine „gewaltige“ Preissteigerung verbunden, ein Preistreiben sozusagen, das schon drei Jahre früher (1997) begann, bei einem eher mageren Jahrgang. Warum? Die Weingüter in Bordeaux erhöhten ihre Preise, begünstigt durch das Verkaufssystem. Die Händler (Négociants) erhalten nämlich die Weine von bekannten Weingütern nur durch die Vermittlung der „Courtiers“, welche Preis und die Zuteilung mit den Weingütern jedes Jahr neu aushandeln. Wer nicht den „überteuerten“ 1997 einkaufte, lief Gefahr vom Jahrtausendjahrgang (mit der magischen) Zahl, nichts oder wenig zu erhalten. Also wurde der zu teure 1997 gekauft (später blieben die Händler dann lange darauf sitzen!). Obwohl der 2000er im Preis nochmals tüchtig zulegte, wurde er gekauft und gekauft und eingelagert. Nach der Subskription (Kaufreservierung) war der Jahrgang im Handel kaum noch zu haben und wenn, dann nochmals ein gutes Stück teurer.

Jetzt, fünfzehn Jahre später, ist die Jahrtausendwende kaum mehr ein Ereignis, auch nicht für die Jahrgangs-Hysterie beim Bordeaux. Andere Faktoren – vor allem der Ruf und Ruhm eines Jahrgangs (infolge der Qualität) – sind weit bestimmender und habe die Magie der Zahl ausgebremst. So habe ich jetzt einen der ersten 2000er (aus dem eigenen Keller) geholt und eingeschenkt. Ein Lieblingswein von mir! Von der Glorie der Zahl ist nichts übrig geblieben, doch der Wein hat sich gut gehalten – besser gesagt: er hat sich gut entwickelt. Es war schon damals kein „ganz grosser Wein“, auch kein ganz teurer, aber durchaus ein gelungener, mit eigenen Noten. Ich habe mir damals bei der ersten Weinprobe vor dem Kauf notiert: "Viel (zu viel?) Süsse, Anklänge an Himbeere, rote Johannisbeere, Obst, mittlerer bis eher schmaler Körper, aber zart und rein". Und heute, nach der Flaschenreifung? Er hat seine Harmonie gefunden und bereitet viel Freude: Minze, Malz, Schokolade, viel dichter und fleischiger als in Erinnerung: ein schöner, runder, ausgewogener Bordeaux, überhaupt nicht „schmal“.

23. Oktober 2015

 

Gian-Battista von Tscharner: Jeninser Blauburgunder „Mariafeld“ 2010, AOC Graubünden, Schweiz

 

Es gibt nicht viele Weine aus der Schweiz, die erst nach etwa fünf Jahren abgefüllt werden und – dies ist entscheidend – an Feinheit, Tiefe und Komplexität viel – mehr als andere Schweizerweine – zu bieten haben. Dieser „Mariafeld“ ist so ein Wein, ein Pinot Noir, eine Blauburgunder-Klone, die eine interessante Geschichte hat. Als Mutation des Blauburgunders wurde sie im Rebgut „Marienfeld“ in Feldmeilen, am Zürichsee, entdeckt (das Rebgut gehörte der Familie des Schweizer Generals Wille – General im Ersten Weltkrieg) und später in der Forschungsanstalt Wädenswil nachselektioniert. Eigentlich ist es ein Zürcher-Pinot-Noir, der früher auch mit „Grossclevner“ bezeichnet wurde. „Clevner“, das ist der schweizerische, vor allem zürcherische Name für den Blauburgunder. Dieser „Jeninser Mariafeld“ stammt aber nicht aus dem „Züribiet“, vielmehr aus dem Kanton Graubünden, aus Jenins, der Bündner Herrschaft, dem „Schweizer Pinot Land“. Vor mehr als zwanzig Jahren habe ich ihn zum ersten Mal getrunken, den „Mariafeld“ von Gian-Battista von Tscharner. Seit etwa fünfzehn Jahren stehe ich Jahr für Jahr in seinen Rebbergen und helfe bei der Lese. Natürlich nicht nur beim „Mariafeld“, bei allen Rebsorten, die er anbaut. Doch der „Mariafeld“ – und gerade dieser Jahrgang – hat es mir angetan. 2010 – ich erinnere mich – war nicht der einfachste Jahrgang, mühsam schon bei der Lese. Ich habe die Erwartungen damals – still für mich – heruntergeschraubt: „Dies wird nie ein Spitzenwein“ und ich positionierte ihn – auch in den Erwartungen, wieder still für mich, - weit unter dem damals aktuellen, hervorragenden 2005er.

Und jetzt, fünf Jahre später, da sitze ich mit dem Winzer, seinem Sohn (der inzwischen mitverantwortlich ist) und all den Lesehelfern am Mittagstisch in Rebbergen. Gian-Battista hat den „Mariafeld“ (deren Trauben wir soeben geerntet haben) aufgestellt, zum ersten Mal den soeben abgefüllten Jahrgang 2010. Was ist daraus geworden? Ein grossartiger Wein, der sich durchaus mit dem legendären 2005er vergleichen lässt. Ein Wein, der eine unglaubliche Vielschichtigkeit hat, einen Aromenreichtum und einer Fülle, die sich nicht so einfach mit „mit Walderdbeeren, Cassis, Stachelbeeren, Tabak in der Nase und den Begriffen voll, körperreich, leicht bitter.süss am Gaumen“ umschreiben lassen. Was dieser Wein bietet, das ist Harmonie. Harmonie zwischen den Aromen, der Säure, dem Alkohol, den Gerbstoffen und zwar in einer unaufdringlichen – dafür verinnerlichten – Art, die ich mit Finesse umschreiben würde, zu vergleichen mit Musik, nicht lauter und sich wiederholender Melodie, vielmehr mit sich entwickelnder, spannender, variantenreicher, so dass sich Faszination nicht abbaut (langweilig wird), sondern zunehmend spannend ist.

NB. Ich habe – wie gesagt – den Wein mitten in den Rebbergen getrunken, verbunden noch mit dem Duft und Geschmack der reifen, soeben geernteten Trauben. Ob sich dieser erste grossartige – soeben beschriebene – Eindruck wiederholt, werde ich in einem späteren „Getrunken“ festhalten, dann, wenn einige Flaschen davon in meinem Keller liegen.

17. Oktober 2015

 

Château Giscours, 1990, Margaux, Bordeaux, Frankreich

 

Vor zwei Jahren (Juli 2013) habe ich diesen Wein – es war nicht die letzte Flasche – aus dem Keller geholt und… ich war bitter enttäuscht: „Der Griff nach dem Giscours 1990 hat sich nicht gelohnt und es wird auch nicht mehr lohnen: Ich hätte René Gabriel konsultieren müssen, denn wo er Recht hat, hat er Recht: ‚Animalisches Bouquet, erdige Süssnote, an sich recht fett. Im Gaumen samtig, viel Fülle im Extrakt, leider wenig Süsse und wirkt wie abgestanden, nasse Wolldecke, schade ums Potential. 15/20 trinken – 2010‘. Seine Prognose: bis 2010 austrinken. Ich habe also mindestens drei Jahre zu lange gewartet.“ (Im Archiv nachzulesen!)

Gestern nun habe ich nochmals zum Giscours 1990 gegriffen, angeregt durch Weinfreund Uwe Bende, der eine 70er-Giscours-Probe ausgeschrieben hat. Leider kann ich daran nicht teilnehmen, doch der „Gwunder“ hat mich dazu getrieben, den zwanzig Jahre jüngeren Wein nochmals zu probieren. Oh Wunder, es hat sich gelohnt. Ich meinte, einen anderen Wein im Glas zu haben. Nichts von abgestanden - quicklebendig, keine „nassen Wolldecken“ - ein runder (zwar nicht grosser, aber schöner) aromenreicher Altwein. Selbst meine Frau, die Altweine nicht besonders liebt, hat anerkennend genickt: „ein schöner Wein“. Was ist passiert? Eine andere – bessere – Flasche? Eine Entwicklung in den zwei Jahren? Eine andere Situation mit anderen Erwartungen? Eine Täuschung? Ich könnte noch einige Gründe aufzählen – und werde wohl die „Wahrheit“ nie erfahren. Eine Erfahrung aber habe ich gemacht – weissgott nicht zum ersten Mal: Nimm Aussagen und Prognosen von Weinkritikern – auch von den zuverlässigsten – nicht ernster als Deine eigene Erfahrung. Vor allem: Konsumiere nicht Kritiken, sondern Weine! Und Du wirst, nebst Enttäuschungen, oft auch viel Freude haben.

14. Oktober 2015

 

Weingut Marlis und Hans Glesti: Malbec 2014, Stammheim (ZH), Schweiz

 

Das Stammheimertal (Stammertal) umfasst drei Gemeinden, von denen keine viel mehr als tausend Einwohner hat. Gespräche über eine Fusion (zu einer Einheitsgemeinde) liegen in der Luft. Das Weingebiet Stammertal (ganz nord-westlich im Kantonsgebiet von Zürich, fast schon im Thurgau) hat eine lange Weinbautradition. Die Gegend heisst nicht umsonst „Weinland“ und ist bekannt für angenehme fruchtige Landweine, sogenannte Beerliweine (hauptsächlich Pinot Noir). Meist nichts Grosses, aber in der Regel etwas Gutes. Die meisten Winzer bringen ihre Trauben zur Genossenschaft, dem Weinbauverein Weinland. Es gibt aber auch einige Selbstkelterer, die gerade in den letzten Jahren stark an Ansehen gewonnen haben. Das Weingut Marlis und Hans Glesti gehört zu ihnen, ein (verhältnismässig) kleiner Winzerbetrieben mit rund fünf Hektaren Reben. Erstaunlich ist nicht nur die Qualität ihrer Weine, sondern auch die Vielfalt. Erstaunt hat mich der Malbec (eigentlich eine südfranzösische Traube) der zu dem Besten gehört, was das Weingut zu bieten hat. Eigentlich eine Spezialität, den Malbec wird in der Schweiz nicht häufig angebaut. Dieser Schweizer-Malbec ist nicht so dunkel, tiefgründig und mitunter voluminös wie der Côt (ein anderer Name für den Malbec) von Cahor. Pflaumen- (sehr reife) und Tabaknoten, aber auch Wachholder, Lorbeer und ich weiss nicht welche Gewürze sich da sowohl in der Nase als auch im Gaumen vereinen. Dies finden wir auch in diesem Malbec aus dem Zürcher Weinland, aber viel zarter, viel zurückhaltender, bis zum Geheimnisvollen. Es ist ein Malbec, ein leiser, vielleicht sogar ein braver. Doch er hat Charakter, eine Eindeutigkeit bis lange in den Abgang hinein. Erstaunlich ist: der Barriques-Einsatz, wohl hauptsächlich alte Fässer, verkriecht sich harmonisch im Wein, erstaunlich, weil der 2014 eigentlich noch einige Flaschenreifung verlangt.

11. Oktober 2015

 

 

Malescot-St-Exupéry: 1982, Margaux, Bordeaux, Frankreich

 

 

Nicht nur René Gabriel gehörte viele Jahre zu den grössten Kritikern des Weinguts. In der „Szene“ hatte es einfach einen schlechten Ruf. War es allein die Qualität oder waren es andere Faktoren, die diesen Ruf begründeten. Ich selber war da immer skeptisch, zu viele „anständige“ Jahrgänge habe ich in den Jahren goutiert, als das Weingut in der allgemeinen Weinkritik noch gründlich durchfiel. Mein Verdacht – und den kann ich bis heute nicht abstreifen - , da wurde viel Rufmord betrieben, weil sich das Weingut über Jahre einfach nicht in das Bordeaux-Schema einordnen wollte, das heisst weitgehend über eigene Verträge (meist landesweit) ihre Weine selber vermarktete. So konnte man zum Beispiel (bei einem alteingesessenen, sehr verlässlichen Weinhändler in der Schweiz) ein „Abonnement“ erstehen, bei dem man sich verpflichtete drei aneinander folgende Jahrgänge zu kaufen, dafür aber einen „besseren“ Preis erhielt. Dieses bewusste Ausscheren aus der Preishierarchie wurde von den Gralshütern im Bordelais nicht goutiert. Die Bewertungen in der Regel – mit ein paar Ausnahmen – schlecht: meist in den tiefen achtziger Punkten (von 100), dafür „stimmte“ der Preis. Während vielen Jahren in der Schweiz um 40 Franken, bis in die frühen 2000er Jahre, als im Bordeaux die Preise längst eskalierten. Tatsächlich war das Weingut – vor allem gemessen an den (fast) Nachbarn Margaux und Palmer in einem renovtionsbedürftigen Zustand. Nicht aber seine Weine! So vermochten 1995, 1996, 1998 und 1999 durchaus mithalten mit viel teureren Weinen. Dann der „Befreiungsschlag“: das Weingut änderte sein Vertriebssystem, ordnete sich ein in die Hackordnung, änderte auch (mit neuem Önologen) den Stil, hin zum Powerwein. Und siehe da: der Erfolg trat ein. Preise weit über 100 Franken pro Flasche in den Spitzen Jahrgängen 2009 und 2010, durchschnittlich aber etwa eine Preisverdoppelung. Und in der Qualität? Ich spreche nicht gern von einer Qualitäts-Verdoppelung, auch wenn sie eingetroffen wäre. Sie ist aber nicht! Man hat zwar in das Weingut investiert, man hat den Mainstream-Trip gefunden, man setzt sich (im Bordeaux-System und -Bild) nicht mehr ab, man ist mehrheitsfähig geworden. Eines der anerkannten, geschichtsträchtigen Weingüter in Bordeaux (Margaux), mehr aber nicht. Seine Weine sind – seit 2003 – nicht mehr in meinem Keller (auch wenn ich sie öfters wieder getrunken habe. Da gibt es für bedeutend weniger Geld bedeutend besseres – vielleicht aber nicht aus dem Prestige-Bordeaux.

Dieser 1982er ist noch weit in der „alten“ Ära gemacht worden. Ein hervorragender Jahrgang, angeblich ein schwacher Wein. Jetzt nach über 30 Jahren noch präsent, keine Bombe, (das war er nie), ein sauberer, schöner, differenzierter Altwein. Nicht oxidiert, noch leicht fruchtig, mit Gewürznoten und Reifetönen, die Spass machen. Mein Verdacht – siehe oben – verstärkt sich. Oder noch besser: den Ruf kann ich nicht trinken, den Wein aber geniessen.

Chur im 19. Jahrhundert
Chur im 19. Jahrhundert

09. Oktober 2015

 

 

Gian Battista von Tscharner: Schiller 2014, Chur, Schweiz

 

 

Da sitze ich nun – mitten in der Weinlese (Wimmle) – in der Pergola eines Rebbergs (es ist einer der letzten in der Stadt Chur) beim Mittagessen. Gut drei Stunden – ratsch, ratsch, ratsch – arbeiten wir schon an diesem schönen Föhntag durch die Reihen der Reben. Noch hängt die meisten Trauben – vor allem die edlen roten Sorten – an den Stöcken. Vor mir im Glas „schillert“ hellrot-leuchtend eine Bündner-Spezialität, der „Schiller“. Der Winzer, Gian Battista von Tscharner, erklärt eben Herkunft, Name und Eigenschaften dieses typischen Churer Weins. „Die These, wonach der Name vom österreichischen Ausdruck «Schilcher» (schielen) abgeleitet und durch die Lautverschiebung zum ‚Schiller‘ wurde, ist wohl die plausibelsten Erklärungen. Dass der Churer Schiller seinen Namen aufgrund der schillernden Farbe erhalten hat (wie man oft hören und lesen kann), ist kaum nachvollziehbar.“ Nachvollziehbar hingegen sind die Eigenschaften dieses frischen, jungen, „spritzigen“ Weins, eigentlich ein Rosé, aus Blauburgundern und (je nach Winzer) mit einem kleineren Anteil an Pinot Blanc oder Pinot Gris (aus dem gleichen Rebberg). Es gibt nicht mehr viele Winzer (an einer Hand abzuzählen!), welche diesen Wein keltern, zumindest nicht im Bündnerland. Es gibt ja auch kaum noch Rebberge in Chur, die Stadt hat sie längst verdrängt. Dagegen ist „Schiller“ auch ausgewandert, ins Unterland, wo man da und dort die Schiller-Tradition (und Produktion) übernommen hat, da der Name nicht (oder zu wenig) geschützt ist. Doch wieder einmal stelle ich fest: Schiller ist halt doch nicht gleich Schiller. „Lampige“ Rosés, die keine Muskeln haben und kaum Aromen, gibt es zuhauf, leider auch Schiller. Was ich aber hier im Glas habe, das hat Muskeln und ist doch sehr elegant; es hat prägnante Aromen (Frucht und sogar Gewürzaromen, nichts von platter Himbeere, wie ich den Schiller schon oft erlebt habe!) und doch eine fröhliche unbekümmerte Frische; er hat eine weiche, samtene Struktur und doch eine leicht perlende Kraft und – oh Wunder – einen starken Abgang. Er schleicht sich nicht weg, wie so mancher Rosé, er ist vielmehr dagewesen, hat sogar seine unverwechselbaren Spuren hinterlassen. Ich glaube, dies alles liegt weniger an der Einmaligkeit der ‚Schiller-Erfindung‘, als vielmehr in Pflege einer uralten Erfahrung – immer wieder ausgefeilt und weitergegeben – , die aus Traubengut etwas „zaubern“ kann, das einmalig, unverwechselbar ist, eben ein junger Churer Schiller.

23. September 2015

 

Víno Nichta: Circum Cabernet Sauvignon 2013, Nitra-Region, Slowakei

 

Wer weiss schon etwas über das Weinbaugebiet der Slowakei? Wer weiss schon etwas über seine Weine? Bei uns kaum jemand. Dabei liegt es so nahe bei Österreich, viel besser zu erreichen als manches (mehr oder weniger exotische) Weingebiet, das bei uns als sogenannter Newcomer immer wieder mal Furore macht. Dabei – dies sage ich aus Überzeugung – ist das, was sich in den letzten Monaten an Weinen aus Gebieten jenseits des einstigen „eisernen Vorhangs“ getrunken habe – Weine aus Ungarn, Slowakei, Slowenien, Kroatien, Rumänien, Bulgarien – recht gut, mitunter sehr gut, ab und zu sogar ausgezeichnet. Wenn man zusätzlich die Preise beachtet, dann frag ich mich, warum haben diese Weine bei uns kaum eine Chance?

Die Chinesen sind da – offensichtlich – weit weniger belastet. Nebst dem, was Rang und Namen hat, beachten sie das, was ganz einfach gut ist (man rümpfe bitte nicht die Nase, die Chinesen lernen unheimlich schnell, auch in Sache Wein!). An der Internationalen Wine Expo in Guiyang (China) konnte das junge Weingut Nichta aus der Slowakey – mit Familientradition bis ins frühe 20. Jahrhundert – bedeutende Exportverträge abschliessen. Seit ich ein paar (wenige) ihrer Weine im getrunken habe, begreife ich es. Zum Beispiel dieser Cabernet Sauvignon: unkompliziert, gradlinig, von AbisZ ein Cabernet Sauvignon, ohne Schielen nach Bordeaux, leicht aber intensiv fruchtig, mit klaren Aromen (schwarze Johannisbeeren - von leichtem Zedernholz begleitet). In der Farbe eher hell für einen Cabernet Sauvignon, nicht durch Holz internationalisiert, ehrlich und echt gut.

 Es ist keine Wein, mit dem man Aufsehen erregt, den man aber gerne – sehr gerne trinkt. Das Weingut – 1997 neu errichtet – hat sich ein modernes Image zugelegt, auch im Charakter seiner Weine. Mein Eindruck: Die Slowakei, ein Weinbauland, das sich nach dem Ende der sowjetischen Ära neu definieren musste, findet mit solchen Weinen seine eigene Identität. Davon bin ich überzeugt.

22. September 2015

 

Cave de Castelmaure: Nr. 3 de Castelmaure 2012, Corbières, Languedoc, Frankreich

 

Vor drei Jahren – März 2012 – habe ich ihn zum letzten Mal getrunken und hier ein paar Gedanken dazu notiert. Seither ist er mir – eigentlich staune ich selber – nie mehr ins Glas gekommen. Wohl weil es ein „Kultwein“ ist, der internationales Aufsehen erregt, oder erregt hat, über den viele immer wieder geschrieben haben. Es ist der Blockbuster aus der - in den späten 80er Jahren - gegründeten kleinen Kooperative im kleinen südfranzösischen Dorf Embres-et-Castelmaure, schon fast schon nahe an der spanischen Grenze. Es ist keine Kooperative, wie wir sie im Süden Frankreichs seit mehr als 100 Jahren kennen: traditionsbelastet, in den letzten Jahren auf dem Weg zur Erneuerung, zum Wiedefinden der Qualität. Der Cave de Castelmaure wurde von zwei innovativen Winzern gegründet, mit dem alleinigen Zweck überdurchschnittlich gute Weine zu machen. Spätestens mit Nr. 3 haben sie es geschafft; Parker nimmt von ihnen Kenntnis und verleiht – wie grosszügig – schon mal 90 und mehr Punkte. Inzwischen wird der Wein, sowohl in Deutschland, als auch in der Schweiz vermarktet, wohl als Zeugen des modernen, qualitätsbewussten Languedoc. Anstatt mit Cabernet sauvignon und Merlot (beide Rebsorten haben keine Tradition im Languedoc) zu liebäugeln, setzt man hier konsequent auf „einheimisches“ Gewächs, auf die Eigenart, Stärke und Tradition der grössten Weinregion Frankreichs. Corbières ist nur eine der Appellationen, zwar die heisseste und kargste im Languedoc. Corbières zeigt sich hier mit zwei Gesichtern, als Sinnbild: Hier die alte Kapelle Saint-Félix-de-Castelmaure aus dem 11. Jahrhundert (auch Markenzeichen des Caves) und nicht weit davon entfernt ein ganz aus Aluminium errichteter hochmoderner Weinkeller (chais) aus dem Jahr 2007, entworfen von den Architekten Lacaton & Vassal. Es ist Corbières im Aufbruch! Die Cuvée Nr. 3 (fast zu gleichen Teilen Syrah, Grenache und Carignan) ein Vermächtnis.

Wenn man zu diesem Wein etwas sagen kann, nein sagen muss: dekantieren, vier Stunden vorher dekantieren. Der Wein braucht Luft, die geballte Kraft in der Flasche muss sich zuerst austoben, bis sie zu Harmonie findet, muss sich zurückziehen hinter die Frucht, die Tannine glätten, die Säure feilen. Erst dann entsteht jene Cuvée Nr. 3, die hoch gelobt werden darf. Vielleicht ist es dieses Warten auf Harmonie, welches meine Ungeduld oft sprengt und mich dazu verführt, andere – weit weniger berühmte Languedoc-Weine – den Gewächsen aus Castelmaure vorzuziehen. Ob „Madame Pompadour“, „L’Extreme“, „Grand Cuvée“ oder eben „Nr. 3“ – sie alle sind kräftig, tanninreich, nahe des Alkohol-Limits (15% vol.), primärfruchtig mit einer ordentlichen Ladung an Primäraromen wie schwarze Johannisbeere und Brombeere, Pflaume, Himbeere. Erst weit hinten kommen dann die Kräuter, Thymian und Rosmarin, leicht überdeckt von Vanille. Man muss das Kräftige lieben, wenn man zu diesen Weinen greift.

27. September 2015

 

Château Caronne Sainte Gemme 1998, Cru Bourgeois, Haut-Médoc, Bordeaux, Frankreich

 

Knallige Etiketten auf Weinflaschen machen mich immer stutzig. Wird damit nur um Aufmerksamkeit gebuhlt? Oder steckt etwas dahinter, respektive in der Flasche? Warum dieser „Caronne Sainte Gemme“ hier nicht sein altes, eingeführte Etikett trägt, weiss ich nicht. Offenbar ein Jubiläum, ein Spezialabfüllung oder… Ich weiss es wirklich nicht (mehr?). Jedenfalls gibt es den 1998er Caronne Sainte Gemme auch mit der traditionellen Etikette. Doch dies tut in diesem Fall nicht (nicht viel) zu Sache. Damals, vor bald 18 Jahren, war der Wein im Gespräch: ein Aufsteiger mit „tollem Preisniveau“. Dies hat man sich nach den schrecklich überteuerten 1997ern gerne gefallen lassen, da erst noch die Qualität stimmte und vielgelobt wurde. „Le 1998, très concentré en matière, aux tanins puissants et mûrs à la fois, est un vin dense et savoureux de garde,» schrieb 2003 der Guide Dussert Gerber (ein zuverlässiger und glaubwürdiger Weinführer in Frankreich).

Also in etwa: hochkonzentriert, mit reifen Tanninen zu diesem Zeitpunkt, dicht und saftig. Eignet sich zum Aufbewahren. In dieser Aufbewahrung – oder eben Lagerung im Keller – liegt es wohl. Der Wein, der nun etwa 15 Jahre (unter vorzüglichen Bedingungen) in meinem Keller gelegen hat, ist nicht mehr das, was er einst war oder gewesen sein soll (oder – eine andere Möglichkeit - es waren diverse Wein-Beschreibungen falsch). Jedenfalls ist jetzt die Frucht weg, ohne den Reifetönen (getrocknete Früchte, Gewürze etc.) Platz zu machen. Zwar präsentiert sich der Wein in der Farbe noch kräftig, kaum braun, und weist auch keine oxydativen Noten auf. Aber ist spitz geworden, uncharmant, plump, platt – in zwei Wörtern: wenig erfreulich. Da habe ich – offensichtlich – wieder einmal den richtigen Zeitpunkt verpasst. Oder war es – was bei „günstigen“ Weinen sehr oft der Fall ist, kein Wein-, nur ein Strohfeuer?

16. September 2015

 

Château l’Enclos: L’Enclos 2005, Pomerol, Bordeaux, Frankreich

 

Es gibt so etwas wie eine Zehnjahre-Regel, die sagt: Durchschnittlich braucht ein guter Bordeaux 10 Jahre bis er jene Harmonie erreicht, bei der man von „Trinkreife“ reden kann. Wohlverstanden: dies ist eine Faustregel mit Betonung auf „durchschnittlich“. Und wie bei jedem Durchschnitt gibt es eine Menge, die über- und unter dem Durchschnitt liegt. Man weiss natürlich längst, dass jeder Wein – je nach Jahrgang, Lage, Ernteglück, Vinifikation etc. – individuell zu beurteilen ist. Da gibt es keine festen Regeln, bestenfalls Richtlinien. Trotzdem: ich habe mich an diese 10-Jahre-Regel gewöhnt, sie gleichsam verinnerlicht. Es gibt kaum Bordeaux, die ich vor der Zehnjahre-Reifung aus dem Keller hole. Früher war das anders. Als ich in den späten Achzigerjahre begann, vor allem Bordeaux zu trinken, da konnte ich nicht auf „gut gelagerte Weine“ im Keller zurück greifen. Ich musste sie viel, viel früher trinken oder als gereifte Weine (beim Händler und auf Auktionen) kaufen, was ich mir finanziell kaum leisten konnte (oder wollte). Zudem kamen ab 1990 ein paar schwache Jahrgänge, die sich zur Lagerung ohnehin nicht eigneten. So bangte und hoffte ich viele Jahre, endlich gut gereifte Bordeaux im Keller zu haben. Dies führte dazu, dass ich wartete und wartete, bis ich endlich eine eigene „alte“ Flasche aus dem Keller öffnen konnte. In den vielen Jahren des Wartens ist mir die 10-Jahre-Regel fast so etwas wie in Fleisch und Blut gegangen. Ich muss mich immer zwingen – auch heute noch -, jüngere Jahrgänge bereits zu trinken, da können Parker und Co. noch so laut von früher Genussreife sprechen.

Im Grossen und Ganzen bin ich damit gut gefahren. Jetzt habe ich – für einmal – doch einen „jüngeren“ Bordeaux geöffnet. Er ist zwar schon zehn Jahre alt und – 2005 – ein ausgezeichneter Jahrgang. Auch wenn das Weingut nicht zu den Spitzen im Pomerol gehört – zumindest nicht bis 2007 die Besitzer-Familie das Weingut an einen amerikanischen Geschäftsmann verkauft hat – so erwartete ich doch einen kräftigen, gereiften, runden Bordeaux. Genau dies aber war er nicht. Zwischen spitzig, unharmonisch und brav, glatt pendelte er hin und her. Zu früh geöffnet oder zu spät? Oder einfach ein eher „schwacher“ Wein? Vielleicht hat Parker mit seiner Prognose doch recht: „…der Wein sollte in den ersten zehn Jahre seines Lebens getrunken werden…“. Das habe ich knapp nicht getan. Jedenfalls suchte ich vergebens nach den ihm zugesprochen Eigenschaften: „verführerisch, üppig, fruchtig“. Oder ist es einfach so, dass der Wein – oder der Weingenuss – keine fixen Regeln ertragen?

10. September 2015

 

Penfolds: Cabernet Shiraz Bin 389, 1993, South Australia, Australien

 

Nochmals Australien, nochmals Penfolds, jetzt aber Bin 389, Cabernet Shiraz, erworben in der gleichen Auktion, im gleichen Lot wie Bin 707, mit 11 anderen Australiern, zusammen für etwas mehr als 200 Franken. Ein untrügliches Zeichen, dass – zumindest im deutschsprachigen Raum – die Australier nicht mehr so hoch bewertet werden wie noch vor Jahren. Der Power-Boom ist abgeklungen, vielleicht sogar vorbei. Die fast schon industrielle Vereinheitlichung auf höchstem Niveau ist langweilig geworden. Viele Weinliebhaber suchen wieder das Individuelle, vielleicht sogar die Handschrift des Einzelgängers, des Winzers. Penfolds ist so ziemlich das Gegenteil davon, mit seiner breiten Palette im Wein-Angebot, von der Exklusivität („Ampoule“) bis zum Alltagswein („Koonunga Hill“) und auch in seiner Art, wie Traubensorten und Regionen in den verschiedenen Weinen miteinander vereint werden. Die klingenden Namen einzelner Weine und Linien können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Penfolds ein Grossunternehmen, ein Weinmulti, ist, das jährlich weit über eine Million Flaschen in alle Welt verkauft. Allein schon der Name vermittel das Niveau: Superliega. Da schon viel von den Primäraromen verblasst ist, dominiert das Schokoladene. Und eines ist klar: er ist nicht mehr so schwarz, üppig und dicht, wie ihn Parker noch Ende der 90er Jahre beschreibt. Schon eher durchsichtig, mit bräunlichem Schimmer und nicht ganz sauberen erdigen, nussigen, rauchigen Noten. Es ist ein „ernsthafter“ Wein, aber nicht ernsthaft genug, um ein grosser Wein zu sein. Erstaunlich aber seine Präsenz nach 22 Jahren.

08. September 2015

 

Penfolds: Cabernet Sauvignon Bin 707, 1993, South Australia, Australien


Es ist vor allem der Name, der hier verkauft wird. Penfolds, eines der ältesten und berühmtesten Weingüter Australiens. Allein schon der weinrote Schriftzug auf der Etikette – seit vielen, vielen Jahren unverändert – evoziert Gefühle der Vornehmheit, für besondere Werte, Einmaligkeit. Dabei sind die „kleinen“ Penfolds (z.B. die Koonunga Hill Linie) nicht besser als Alltagsweine bei uns, obwohl sie angepriesen werden als „Weine für Herz und Seele - und das seit Jahrzehnten in unveränderter Qualität und Leistung“. Die Philosophie von „Mouton Cadet“ ist da wohl unverkennbar, vergleichbar auch der Preis. Den Weltruf hat Penfolds vor allem mit seinen „Granges“ erworben, die im Preis (und Qualität) den besten Bordeaux in nichts nachsteht.

Der Bin 707 ist die Cabernet Sauvignon-Version von Grange, so etwas wie ein „anderer (etwas kleinerer) Stern“ des Weinguts. „Beerig, reif und voll“, so etwa wird er beschrieben. Zugegeben, ich habe nicht oft einen Bin 707 im Glas, schon gar nicht in einem vollen Glas und erst recht nicht in der Flasche. Warum dieser Wein in einem Mischlot – unter anderen australischen Weinen – an einer Auktion auftauchte – wohl wegen seines Alters: 1993 – weiss ich nicht. Ich weiss nur, dass ich zugeschlagen habe, für keine hundert Franken, alle Weine zusammen. Jetzt also ist er auf dem Tisch, an einem ganz gewöhnlichen Tag, zu einem ganz gewöhnlichen Essen. Und? Es ist ein ganz gewöhnlicher, aber guter – für sein Alter – sogar ein sehr, sehr guter Wein: durchaus noch schöne, aber verhaltene Frucht, die vanillige Eiche immer noch deutlich spürbar, ebenfalls verhalten, fast warm die Aromen von Cassis und Gewürzen, gar nicht so schwer und „undurchsichtig“, wie er oft beschrieben wird, eher leichtfüssig, aber mit tiefen Spuren in schwerer Erde, mit einem fast schon geheimnisvollen, mittleren, aber vollen Abgang.

Wenn ich nicht wüsste, was ich im Glas habe, ich hätte ein anerkennendes, zufriedenes Nicken. Ein Attestieren, dass sich der Wein über zwanzig Jahre gut erhalten hat und noch Freude bereitet. Mehr aber nicht. In solchen Momenten taucht dann die ketzerische Frage in mir auf: wäre es kein Pendfolds, kein Bin 707, wäre es keine gut erhaltener (fast schon) Altwein, welches Aufsehen würde ich dann machen? Was würde ich schreiben? Oder würde ich einfach im Alltag weiter gehen, so quasie: „heute einen guten Wein getrunken.“ Was doch ein Name, ein Begriff, alles ausmachen kann!

05. September 2015

 

Château Lascombes: Lascombes 1978, Margaux, Bordeaux, Frankreich


Es gibt Weine, denen man nicht viel zutraut, selbst (oder gerade) wenn sie aus Bordeaux kommen. Eine solche Flasche ist dieser 78er Lascombes. Da regt einiges zum Nachdenken an. Der Jahrgang: zwar ordentlich, aber nicht ausserordentlich für das Médoc. Unter den besten Weinen des Jahrgangs, die Parker auflistet, fungiert er nicht. Im Gegenteil: Parker schreibt 1989 – also schon nach 11 Jahren – „The wine lacks depth and richness, and seems quite mediocre given the high quality of the vintage. Anticipated maturity: Now-may be in decline.“, und gibt gerademal 76/100 Punkten. Oh weia, mein Lascombes ist schon 37 Jahre alt. Nur René Gabriel sieht dies ganz anders (wie so oft): „Mitteldunkles Granat, wenig Reifetöne für einen 30jährigen Wein. Duftig-würziges Bouquet, feine Kräuternoten, Wildleder, etwas Moschus und rote Pflaumen. Im Gaumen grosser, feiner Médoc mit zarten Tanninen, wunderschöne Länge, voller Harmonie. Ein wunderschöner 78er!“ Allerdings bezieht er sich auf eine Flasche im Imperiale-Format (6 Liter). Seine 18 Punkte waren wohl ein Grund, weshalb ich diesen Lascombes irgendwann ersteigert habe, für rund 30 Franken. Ich war einfach neugierig; doch vorsetzen wollte ich den Wein keinem meiner Gäste – nicht aus Geiz, vielmehr weil ich ihm überhaupt nicht traute. Auch mit meiner Frau wollte ich ihn nicht trinken, sie schätzt Altweine nicht, da war ein besonders kritisches Urteil zu erwarten. Eines Tages – meine Frau ist nicht – obsiegt die Neugier. Ich hole den Wein aus dem Keller. Der Korken: er bröckelt, scheint aber noch dicht zu sein. Mir schwant schlechtes, ich blicke bereits zum Abguss, wo der Inhalt der Flasche wohl verschwinden wird; denke an die dreissig Franken, die er gekostet hat und… man hat ja schon für Dümmeres Geld ausgegeben. Doch meine düsteren Gedanken hellen sich auf: eine kräftige, granatrote Farbe mit wenig ziegelroten Rändern, in der Nase leicht würzige Düfte, ein Hauch von Walderde, vor allem keine oxydativen Noten. Hoffnung kommt auf. Nach einer Viertelstunde hat sich der Wein im Glas „gelegt“: ruhig, besonnen, animierend, nicht fröhlich, eher nachdenklich stimmend (oder bin ich das, ist dies mein anderes Ego?). Dann die „Trinkprobe“: Überraschung, Anerkennung, Staunen – noch ein Schluck: langer Abgang, Wärme, Tiefe. Ich bedaure allein zu sein, meiner Frau diesen Wein vorbehalten zu haben. Ich muss René Gabriel recht geben. „Ein wunderschöner 78er!“. Einen Rest davon habe ich zurückbehalten, eigentlich für meine Frau. Als sie am anderen Tag keine Lust verspürte, den Wein zu probieren, da habe ich den letzten Schluck selber getrunken. 37 Jahre alt – 24 Stunden geöffnet und immer noch präsent. Wenn dies keine Leistung ist!

01. September 2015

 

Clos Berenguer del Molar: Clos de Talfall 2012, Priorat, Spanien

 

Reisen hinterlässt Spuren - auch im Weinkeller! So war ich vor ein paar Monaten zum ersten Mal im Priorat unterwegs, in jenem spanischen Weingebiet, das so schön ist wie gut (oder umgekehrt: so gut wie schön). Angeregt durch das Thema beim Blog-Event „Weinrallye“ (hier der Link), bin ich eine Woche lang kreuz und quer durch das Priorat (und Montsant) gefahren, eigentlich mehr bergauf, bergab, Kurve rechts, Kurve links. Ich habe mir fest vorgenommen einige Priorat- und im Montsant-Weine zuhause etwas besser oder genauer kennen zu lernen. Inzwischen haben sich aber andere Weine, andere Weingebiete (zum Beispiel aus den lange abgeschotteten östlichen Länder Europas) dazwischen geschoben. Das Priorat ging zwar nicht vergessen, aber rückte in den Hintergrund. In diesem Hintergrund lauerte also dieser Clos de Tafall, wir haben weder das Weingut besucht, noch weiss ich, wie diese Flasche in meinen Weinkeller gekommen ist. Vielleicht als Geschenk eines Freundes oder den Griff ins Regal bei einem Weinhändler (weil Priorat darauf steht), oder ich habe ihn bei einem Grossverteiler zufällig angetroffen. Schlicht: ich weiss es nicht mehr. Der Wein muss also jetzt – da ich ihn aus dem Keller geholt habe – für sich selber sprechen. Die Geschichte dazu habe ich nun erzählt. Ich muss, nein ich darf anmerken: es war ein schöner, ein angenehmer Sommerabend mit dem Wein im Glas. Nichts Aufregendes, doch muss das Gute immer aufregend sein? Kann es nicht auch einmal unspektakulär auftreten. Irgendwie kommt mir der Wein bekannt vor – und ist doch ganz anders. Er erinnert mich an südfranzösische Weine mit Grenache und Carignan, wie ich sie so oft getrunken und beschrieben habe. Doch der Wein ist weicher, gefälliger, ohne aber belanglos zu sein. Nicht beladen und nicht hochstilisiert. Ein schöner Wein. Etwas konventioneller als andere Prioratweine, die ich angetroffen habe, und doch eindeutig mit Handschrift Priorat. Vielleicht ist es der Cabernet Sauvignon (den Anteil kenne ich nicht), der ihm so etwas wie den Anstrich von Internationalität verleiht. Dies ist für einmal auch nicht so wichtig: Hauptsache es ist ein sehr feiner, gepflegter, eigenständiger Grundwein, der trotz seiner scheinbaren Bravheit, viel Priorat zu mir bringt. Mehr als nur Erinnerungen an ein wunderschönes Weingebiet, auch die Überzeugung mein kleines Projekt „Prioratweine“ (endlich) in Angriff zu nehmen..

Hier geht es zum Blog über diesen Wein und das Weingut

23. August 2015

 

Weingut K+K Kirnbauer: Das Phantom 2012, Burgenland, Österreich

 

Österreichische Wein – sie mögen noch so bekannt und gut sein – trifft man in der Schweiz nur selten, schon gar nicht auf den Weinkarten der Restaurants. Das traditionelle „Seerestaurant“ in der Rosenstadt Rapperswil hat nicht nur eine wunderschöne Terrasse und eine ausgezeichnete Speisekarte, auch eine attraktive Weinkarte (mit bezahlbaren Preisen). Da gibt es – an Stelle der meist überzahlen oder mittelmässigen Franzosen – nicht weniger als elf österreichische Rotweine. Zum Beispiel Pöckl (Zweigelt Classique), Hannes Reeh (Zweigelt Unplugged), Schwarz Johann (Zweigelt), Erich Scheiblhofer (Big John), Juliana Wieder (Georg), Leo Hillinger (Hill Nr. 1) etc. Darunter – wie gesagt – auch zwei Weine von Kirnbauer aus Deutschkreutz. Meine Kenntnisse österreichischer Weine halten sich in Grenzen. Es sind nicht die Weine, die mich auf die Terrasse vom „Steinbock“ gelockt haben, es war mehr Nostalgie. Hier hat nämlich – vor 50 Jahren – noch „Christeli“ – der damalige Steinbockwirt - jeden Abend am Klavier gesessen: „Play it again“ – Spiel noch eins, Christeli. Und er spielte und spielte, „Oh, I can't remember it…“. Ich wollte mich erinnern, an meinem Geburtstag, auch wenn aus dem traditionellen Lokal längst eine modernes Restaurant – ohne Klavier – geworden ist. Die Magie des Ortes ist geblieben. Das Essen – begonnen mit dem Salat, über Rindsrücken mit Morcheln bis hin zum Dessert – war ausgezeichnet. Und dann der Wein! Es ist also noch möglich, mit eine geschickten Auswahl, ausgezeichnete Weine als Essbegleiter anzubieten, ohne dass der Wein das x-fache vom Essen kostet. „Das Phantom“ war – selbst wenn ich gegenüber Cuvées in Anlehnung an Bordeaux-Blends skeptisch bin – und eher Weine ohne Barrique-Ausbau – vorziehe (wenn es nicht Bordeaux sind) – ein ausgezeichneter Wein. So etwas wie die „Entdeckung“ (oder Krönung) des Geburtstags. Ein moderner Wein: Bläufränkisch assembliert mit Merlot, Cabernet Sauvignon und Syrah. Ein gewagtes „Unternehmen“, fast so gewagt wie der „Federer-Return“, von dem im Augenblick die Sportwelt spricht. Ein kräftiger Wein, der doch sehr elegant wirkt, zarte Noten von Waldbeeren, Preiselbeeren, Johannisbeeren hat – nichts überladen, in einer erstaunlichen Harmonie. Ich werde zurückkehren in den „Steinbock“, nicht wegen alten Erinnerungen, vielmehr, um all die elf österreichischen Roten wenigstens einmal – zu einem guten Essen – zu trinken.

17. August 2015

 

Domaine Bessa Valley (Graf Neipperg): Enita 2010, Ognianovo Village, Bulgarien

 

Weine aus Osteuropa haben bei uns keine Chance. Dabei sind Ungarn, Serbien, Rumänien, Georgien, Bulgarien etc. alte, traditionelle Weinländer. Durch ihre Isolierung im kommunistischen Block und ihren wirtschaftlichen Problemen seit der „Wende“, kamen sie bisher bei uns kaum auf den Markt. Sie konnten auch – rein ausbautechnisch – nicht mithalten mit den immer raffinierteren An- und Ausbaumethoden, welche im Westen immer häufiger Standart geworden sind. Dazu kommt der Trend zum einem „internationalen Geschmack“, der vor allem bei Weinen in der Gastronomie grassiert. Weine aus dem Osten Europas sind fast durchwegs anders: weit weniger „geschliffen“, dafür authentischer. Was heisst schon „authentisch“? Ich bemühe mich – auf einer Donaureise – dieser Frage nachzugehen indem ich eine Palette von Weinen verkoste und trinke. Dabei bin ich mir bewusst, dass das was ich in der Gastronomie ins Glas bekomme, wohl eher die „Spitze“ der Weinproduktion ist, die sich durchaus auch im Westen vermarkten lassen.

 Enita ist einer dieser Weine. Er lässt sich durchaus mit guten Bordeaux vergleichen, im Stil, im Geschmack, in der Harmonie. Es ist denn auch ein Deutscher, Graf Stephan von Neipperg, der mit seinen Investitionen dieses Weingut im bulgarischen Bessa Valley „angestossen“ und zu einem „Vorzeigegut“ gemacht hat. In einem Land, das – nach unserem Massstab – arm ist, mit grossen wirtschaftlichen Problemen kämpft, aber alle Voraussetzungen für einen erfolgreichen Weinbau hat (Boden, Klima, Tradition), können Weine weit günstiger gemacht werden, als bei uns, wo vor allem bei der Rebpflege und Vermarktung die Löhne zu Buch schlagen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Länder wie Bulgarien – das man heute schon ab und zu das „Bordeaux des Osten“ bezeichnet, ernsthafte Faktoren im Weinhandel sein werden. Sind einmal alle Vorurteile gegen die einstigen Ostblockländer abgestreift und die wieder privatisierte Weinindustrie dieser Länder neu aufgebaut, werden „Weine aus dem Osten“ unseren zunehmenden Einheitsstil im Weingeschmack gründlich aufmischen und vielleicht auch neu beleben.

Enita aus Bulgarien tendiert zwar – in seiner Art und im Stil – zu diesen Bordeaux Weinen (St-Emilion), die inzwischen fast alle grösseren Weingebiete in der „alten Weinwelt“ erreicht hat. Dass muss er wohl, um Botschafter des guten bulgarischen Weins zu sein. Doch er hat auch (noch) viel Eigenständigkeit: vielschichtigere Aromen, Paprika, Pflaumen, eine eigene Mineralik und und für einen Rotwein unglaubliche Frische. Ich persönlich hätte den Wein lieber noch authentischer, bulgarischer, wenn man so will; etwas leichter, unbekümmerter, um den abgegriffen Begriff zu bemühen: terroirbetonter.

10. August 2015

 

Karl Eugen Erbgraf zu Neipperg: Attila 2013, Cuvée, Gutswein, Württemberg, Deutschland

 

Wie komme ich zu diesem Wein, werde ich nun sicher gefragt. War es sein Name – Attila - , ein Hinweis oder eine spezielle Entdeckung? Weder, noch ! Ich bin wieder einmal unterwegs, diesmal auf dem Schiff, im unteren Teil der Donau. Wir passieren gerade Ungan; da hat der Hunnenkönig Attila eine historische Bedeutung, Auf Reisen ist man sensibler für historische Begriffe und Namen. Zudem weiss ich – es ist etwas vom Wenigen, das ich über ungarische Weine weiss -, dass die Kellerei Gere Attila zu den bekanntesten ungarischen Weingütern gehört, mit einer breiten Palette auch an Rotweinen. „Attila“ ist ihr Spitzenwein, eine Assemblage à la Bordeaux (50% Cabernet Sauvignon, 35% Merlot, 15% Cabernet Franc – ausgebaut in Barriques). Eigentlich erwartete ich, dass ich diesem Wein auf dem Donauschiff begegnen werde. Stattdessen empfiehlt die ausgezeichnete Speisekarte – ausgerechnet am Tag, an dem wir in Ungarn sind – den „Attila“ des deutschen Weinguts Graf Neipperg. Eine Cuvée, deren Zusammensetzung nicht dokumentiert wird. Eigentlich ein Gastrowein, ein sehr anständiger, sogar ein guter. Natürlich ist es weder ein Lagewein, noch grosses Gewächs, eher das, was man von einem Tischwein erwarten kann, der (in einem Restaurant) noch „bezahlbar“ ist, vor allem auf einem Touristenschiff. Trotzdem hat der Wein meine Phantasien beflügelt: mir kommt der „Canon la Gaffelère“ - ein grossartiger Bordeaux des Neipperg-Bruders – in den Sinn; vor mir taucht auch die Attila-Szene des Malers Delacroix auf; ich schweife durch das (bei uns fast unbekannte) Wein-Ungarn: nichts von all dem ist in diesem Wein zu finden: schwarze Beeren, brav eingebundene Tannine, dicht, aber ohne jeglichen Ansatz von „Wildheit“ oder – wenn man dies lieber liest – „Persönlichkeit“, der Abgang, warm und herzlich. Ist dies der Eindruck, welcher der ungestüme Hunnen-König heute (nach rund 1600 Jahren) hinterlassen hat? Hat sich die historische Figur, die als legendärer König Etzel durch Jahrhunderte in Erzählungen weiterlebt, besänftigt? Oder ist es der heutige Geschmack, der von einem Wein nichts kriegerisches mehr will, vielmehr Harmonie und Bravheit erwartet?

02. August 2015

 

Château Angélus 1997, Saint Emilion, Bordeaux, Frankreich  

 

Zum letzten Mal getrunken - vor zwei Jahren, an meinem Geburtstag, auf einem Campingplatz in der Auvergne. Die Notiz von einsgt: „Die Gefahr, ins Schwärmen zu geraten, ist gross. Ich nehme den ersten Schluck, halte inne, spiele mit der Zunge und dem Wein, netze den Gaumen und schlucke - wohl allzu hastig - , wartend auf den laaangen Abgang. Und da wird der kritische geniessende Trinker von Fragen eingeholt: Ist es möglich im schwierigen Jahr 1997 einen solch komplexen Wein zu machen? Geht es mit rechten Dingen zu oder wird dem Ruhm des Weingutes (Angélus ist ein Jahr zuvor zum Premier grands cru classé B aufgestiegen) mit technischen Tricks nachgeholfen (vom Konzentrator bis zur Fraktionierung)? Unglaublich tiefgründig, subtil, fast schon unwiderstehlich…“ Heute gerate ich nicht ins Schwärmen. Meine Begeisterung geht nur bis zur Anerkennung: ein guter, ein toller Wein. Auch kritischen Fragen bleiben aus. Wohl nicht weil der Wein in den zwei Jahren seit dem damaligen Erlebnis abgebaut hat, vielmehr, weil die Trink-Situation eine andere ist. Es ist war auch ein Feiertag (1. August, Schweizer Nationalfeiertag), doch weit weniger mit Gefühlen beladen: zuhause auf dem Gartensitzplatz, soeben aus den Ferien zurückgekehrt, schon fast wieder Alltag. Aber noch etwas ist geschehen: Inzwischen ist das Weingut zum Premier grand cru classé A aufgestiegen, zu den vier höchstklassifizierten Weinen von St-Emilion (Ausone, Cheval blanc, Pavie, Angélus), den Luxusweinen sozusagen, in eine Preisklasse von über 200 Franken (der Wein hat in der Subskription keine 90 Franken gekostet – obwohl der Jahrgang damals weit überteuert war). Aber es ist nicht der Preis, der mich jetzt beschäftigt, vielmehr die generelle Entwicklung bei den Spitzenweinen in Bordeaux. Der Trend hat sich schon 1997 abgezeichnet, als ich mich fragte, wie ist dies möglich, so üppig, so konzentriert, so dicht zu sein – in einem eher schwachen Jahrgang. Seither ist es in diesem furchigem Stil weitergegangen, als ob die Spitzenweine sich in ihrer Schwere, Tiefe und Mastigkeit zu überbieten müssten. Jüngere Jahrgänge habe ich zwar nicht oft getrunken, doch fast alle Jahrgänge immer wieder degustiert. Was 1997 noch vorhanden war, eine gewisse Leichtigkeit, Fröhlichkeit, Feingliedrigkeit, ist fast ganz verschwunden. Die Präsenz, die Kraft, fast schon eine Masslosigkeit, auch eine zwar warme, aber dunkle Tiefe hat Platz genommen. Man verzeihe mir den Vergleich: Pelzmantelwürde (inklusive seiner Problematik)! Dies nicht nur beim einst fröhlichen Angélus, bei fast allen Bordeaux in dieser, der obersten Kategorie. Irgendwie habe ich genug davon. Gerne attestiere ich dem Wein seine Grösse, seine Nachhaltigkeit, seine Brillanz, sogar seine Einmaligkeit. Doch ich habe mich verändert, respektive mein Geschmack, meine Vorliebe, meine Sichtweise sind anders geworden. Ich bin zurückgekehrt zu mehr Feinheit, Vielschichtigkeit, Eleganz, ja Transparenz. Filigran ist so ein Modewort, das inzwischen in vielen Weinbesprechungen auftaucht. Nicht das Wort berührt mich, vielmehr das, was damit gemeint ist: Weine, die mich nicht erschlagen, sondern Raum lassen für das Auskosten des Wein-Erlebnisses. Fast zwanzig Jahre zurück, ist dies beim Angélus durchaus noch zu möglich. Zu befürchten ist – wäre der Wein diesem Stil, dieser Zurückhaltung – treu geblieben, wäre er nicht (zehn Jahre später) in der höchsten Klasse angekommen.

29. Juli 2015

 

Château Puech-Haut: Tête de Belier 2013, Rosé, Saint Drézery, Languedoc, Frankreich

 

Rosé sind – in der Regel, zumindest oft – Ferienweine. Südfrankreich, Provence, der leicht modrige Geruch des Meers, die Düfte von Thymian und Lavendel, die Sonne zwölf Stunden am blauen, meist wolkenlosen Himmel, sengende Hitze, kühlender Meereswind… Da ist ein Rosé-Wein gerade das Richtige, ein gefährlicher aber geschätzter Durstlöscher, so etwas wie das „Bier“ des Südens. Zwar gefährlicher – mit rund dem doppelten Volumenprozent an Alkohol – aber nichts desto trotz mediterranes Lebensgefühls. Man möchte es mitnehmen, nach Hause, dorthin wo es zwar auch Sonne gibt, aber ein in ein ganz anderes Umfeld eingebettet, in den Beruf, in den Alltag, in den Reigen der Verpflichtungen. Ich brauche wohl nicht zu betonen, dass dies nicht funktioniert, nie, oder fast nie, bestenfalls gestützt von blassen Erinnerungen, von Gefühlen, die sich nicht einfach so abrufen lassen.

Dieser Wein könnte ein Ferienwein sein, der die Reise aus den Ferien nach Hause übersteht. Er hebt sich deutlich ab, von den Dutzendweinen die überall in Touristengebieten angeboten werden. Er hebt sich ab im Preis (ca. 20 Euro), aber auch in seiner Qualität – beschwingt fruchtig und doch auch nachhaltig würzig, elegant und vor allem mit Substanz. Kein schneller „Durstlöscher“, auch kein vordergründiger Schmelzer, vielmehr von bemerkenswerten Intensität mit Noten von Zitrusfrüchten (Grapefruit, Zitrone) begleitet von exotische Früchte (Mango, Passionsfrucht). Ein geradezu reichhaltiges Register an aromatischen Tönen.

Ich bin nicht sicher, ob er den Kulturwechsel nach der Heimreise übersteht. Eines spricht dafür. Er kommt aus einem Weingut, das zu den besten der Languedoc gehört. Er ist dem Prestige verpflichtet, welches das Château Puech-Haut durch hervorragende Weine (vor allem rote und weisse) in den letzten Jahren erworben hat. Und – dies scheint mir noch wichtig zu sein – es ist kein Verlegenheitswein, der aus irgend welchen Rebsorten gekeltert wird, sondern ein Wein, der gezielt und bewusst – genau so sorgfältig wie die Paraderoten – aus Grenache / Mourvèdre gekeltert wird, in der klassischen Rosé-Methode (im richtigen Augenblick abgezogen). Der Wein dürfte bei einer Bewertung - was bei Rosé eher selten ist - die 90/100 Punkte gut erreichen.

25. Juli 2015

 

Domaine du Sacré Coeur: Cuvée Charlotte 2012, Saint-Chinian, Laguedoc, Frankreich

 

Der „Kampf“ zwischen Cabernet Sauvignon und Carignan ist längst entschieden. Selbst in der Languedoc, wo Cabernet Sauvignon als Rebsorte für AOC-Weine (AOP) nicht zugelassen ist, geht der Carignan dramatisch zurück. Es wird mit EU-Hilfe gerodet - um die Überproduktion an Reben zu drosseln -, es wird aber auch – davon spricht kaum jemand – ebenso tüchtig angepflanzt (ohne EU-Hilfe), internationale Rebsorten, vor allem Cabernet Sauvignon und Merlot. Resultat (aus meiner Sicht): geschmeidige, brave, überall-zu-findende Weine, meist austauschbar, immer öfter langweilig. Man hat – vor allem in den Restaurants – meist nur noch die Wahl zwischen den typischen Languedoc-Weinen (meist zu ähnlichen Anteilen von Grenache, Mourvèdre, Garignan, Syrah und/oder Cinsault), halt typisch Languedoc mal gut, mal etwas besser gemacht, und an Bordeaux angelehnten Cuvées aus Cabernet Sauvignon und Merlot. Das markant „Andere“, aber Gute, geht verloren. Weine, die nicht rund und anschmiegsam durch die Kehle rutschen, haben es schwer, vor allem in den Restaurants.

Deshalb wohl habe ich diese Cuvée Charlotte – zum Rindsfilet mit Fleur de Sel – nach einem ausgesprochen heissen Tag – besonders geschätzt. Ein markanter Wein, alles andere als lieblich, aber auch nicht hochgezüchtet, verdichtet, gedrimmt. Schon eher ein Naturbursche ohne burschikos zu sein. Man hat das Gefühl Wein im Gaumen zu haben; Wein, der das salzige Filet begleitet, ergänzt, erweitert… hinein in den ungekünstelten Genuss. Ich habe deshalb heute – am nächsten Tag – nachgeschlagen: Diese Cuvée wird von einer Rebsorte dominiert, von Garignan, und zwar von alten Rebstöcken (80-100 Jahre); Syrah und Grenache sind eigentlich nur noch „Zugaben“ (in der Grösse von wenigen Prozenten). Gleichsam die Erweiterung und Abrundung – Kunst des Weinmachers – um aus dem wilden Burschen, einen hübschen, heiratsfähigen – nicht unbedingt jedermanns Liebling – werden zu lassen.

23. Juli 2015

 

 

Les Coteaux Du Pic: Les Déesses Muettes Rosé 1913, Pic Saint Loup, Languedoc, Frankreich


 

Auch dieser Wein ist mit einer Medaille geschmückt, mit einer silbernen (argent) vom Concours Général Agricole, einer nationalen Institution, welche jedes Jahr vier voneinander unabhängige Wettbewerbe durchführt: Tiere, Produkte, Weine und Young Professionals. Es ist nur einer der vielen Wettbewerben, mit denen man auch (und vor allem) in Frankreich versucht, landwirtschaftliche Produkte besser zu platzieren und zu vermarkten. Man hofft auf eine Qualitätssteigerung. Ob man damit dem Kunden – in diesem Fall dem Weinliebhaber – eine Orientierungshilfe bietet, wage ich zu bezweifeln. Ich glaube eher, dass die Verwirrung mit jeder einzelnen Medaille noch grösser wird.

Doch nun zu diesem Wein. Er stammt aus einer Coopérative in der Appellation Pic Saint Loup, nördlich von Montpellier. Ein „Sommerwein“ und doch etwas mehr als „nur“ ein Sommerwein. Er ist kräftiger, ausdrucksstarker – vielleicht sogar eigenwilliger - als die auf meiner Rosé-Tour bisher vorgestellten Weine. Er ist auch etwas älter (2013), hat also so etwas wie eine „Flaschenreifung“ hingelegt. Irgendwie ist er für mich auch „eigenständig“, hebt sich deutlich ab von den Dutzendrosés, die während der Hitzeperiode hier getrunken werden. Er zeigt etwas vom Charakter eines Cinsault: fruchtig, zart, aber ohne süss, ja klebrig zu sein (wie leider viele Rosés aus der südfranzöischen Traubensorte Cinsault).

Ob man die Medaille – in Form besserer Qualität – auch spürt? Noch habe ich zu wenig aktuelle Rosé-Vergleiche hinter mir. Dieser "Déesses Muettes" ist klar besser als die beiden bisher vorgestellten Weine, doch ob es zu einer Medaille reicht? Beim aktuellen inflationären Umgang mit den Auszeichnungen allemal. Doch auch Göttinnen (Déesses) können schweigen.

19. Juli 2015

 

Les Vignerons de Fontès:

Prieuré Saint Hippolyte, Cuvée d’Excellence 2014, Rosé, Languedoc, Frankreich

 

Er gehört zu den blassesten Rosé, die ich je getrunken habe, aber auch zu den eher bessern (oder besten?). Im Bereich von Rosé-Weinen gibt es nur wenige seriöse Wertungen: der Rosé wird nicht bewertet, er wird getrunken und zwar jung, frisch, Jahr für Jahr weggetrunken. Es ist kein Wein, den man in den Keller legt, mit dem man spekuliert, der durch Flaschenreifung besser wird. Also ist er auch nur – bestenfalls während einer Saison – Gegenstand der Weinkritik. Die ist schon eher auf langfristige und „höhere“ Werte ausgerichtet. Ein guter Rosé kostet – zumindest dort, wo er jetzt auch in grossen Mengen getrunken wird – zwischen 5 und 10 Euro. Namhafte Weingüter verlangen auch mal mehr, schliesslich müssen sie ihrem Ruf auch in dieser eher kurzlebigen Sparte gerecht werden. So kostet der Rosé von Puech-Haut (Prestige) zum Beispiel 13 Euro oder jener von Croix Belle (No 7) gar 15 Euro. Zwar macht sozusagen jedes – auch das prestigeträchtigste Weingut in der Languedoc – auch einen Rosé, doch im Allgemeinen ist dies eine Sparte für die Genossenschaften. Einige aufwändige Arbeiten (im Rebberg und im Keller) entfallen, man kann ohne Barriques und mit maschineller Lese durchaus gute, ja hervorragende Weine machen. Kriterium ist nicht Halbarkeit und Spitzfindigkeit in den Aromen, vielmehr ist es ein „vin de soif estival“, entscheidend sind die „Sommeraromen“ (saveurs d’été).

Genau diese Eigenschaften und Aromen hat der heute vorgestellte Wein, diesen „ésprit d’été“: klar, erfrischend, elegant, ausgewogen. Eine sehr feine Nase mit Minze, Fenchel und Kernfrüchten (Pfirsich, Birne) und einen leicht pfeffrigen Abgang.

Es ist möglich, dass man dies von vielen guten Rosés sagen kann. Ich werde mich auf „Spurensuche“ begeben und hier einige gute Rosés vorstellen. Die besten sind es nicht unbedingt (da fehlt mir die Kompetenz), dafür sind es Weine, die man eben trinken kann (trinken muss?) wenn canicule (Hitzewelle) eingezogen ist.

16. Juli 2015

 

Château Coujan: Gabrielle de Spinola 2014, Cuvée, AOP St-Chinian, Languedoc, Frankreich


Es gibt so viele – Hunderte, ja Tausende – von Weingütern und Weinproduzenten in Languedoc/Roussillon. Und doch sind es immer die gleichen Weine, die gleichen Namen, die in den Regalen der kleineren und mittleren Lebensmittelgeschäften auftauchen. Ja selbst die Weinhändler vor Ort führen in etwa das gleiche Sortiment. Nur die Superstores haben ein breiteres Angebot und die vielen regionalen (gebietsspezifischen) kleinen Läden (meist auch mit einem Angebot „en vrac“), die ein engumschriebenes Weingebiet direkt vertreten. Die Vermarktung ist offensichtlich ein Problem. Als Weinproduzent muss man von den regionalen Handelsketten (z.B. Casino) aufgenommen werden, um dort zu landen, wo die vielen Bade-Touristen (am Meer entlang) täglich einkaufen oder sich in den Restaurants verpflegen.

Es ist gut, wenn in einem Weingebiet – das erst noch so riesig ist – vor allem lokale und regionale Weine angeboten werden und die vielen Kooperativen (mit ihren zum Teil sehr guten Weinen) vor allem hier Absatz finden (zumindest in der Saison). Doch ein Blick in die Regale zeigt: es sind verhältnismässig wenig „Platzhirsche“, die das Angebot dominieren. Ein Angebot mit mehrheitlich billigeren Weinen – so um 4 bis 7 Euro. Der Besitzer der kleinen Epicerie um die Ecke (nur in der Saison geöffnet) sagt mir offen: „Weine, die mehr als 5 Euro kosten, kaufen die Touristen nur selten und die Einheimischen bevorzugen ohnehin den offenen Wein (en vrac), doch den führt eine Epicerie nicht.

Warum ich dies alles erzähle? Weil die vielen sonnenhungrigen Menschen, die ans Mittelmeer fahren, lernen müssen, gute, regionale Weine aufzuspüren – der Preis ist dabei ein trügerisches, meist untaugliches Kriterium – um zu einem Weinvergnügen zu kommen und nicht jeden Abend einen der vielen „Dutzendweine“ im Glas zu haben. Dutzendweine (der Begriff ist viel zu eng gefasst, es sind viele Dutzende), wie sie in der Regel vom grossen Touristenstrom gekauft und getrunken werden; Dutzendweine, die immer mehr in einen unverbindlichen, internationalen Weingeschmack rutschen und so gar nichts wiedergeben von der herrlichen Weinregion im Süden Frankreichs.

Um diesem Dutzendweingeschmack auszuweichen, durchstöbere ich die Regale in den kleinen Lebensmittelläden – erwische oft einen Wein, den ich schon einmal erwischt habe – finde aber immer wieder ein interessantes Stück Wein-Languedoc, ein echtes Weinvergnügen (und erst noch – trotz Saisonpreise – für wenig Geld) und oft auch eine neue Wein-Erfahrung. Ein solcher Wein ist zum Beispiel diese Cuvée vom Weingut Coujan aus der Appellation St-Chinian.

Trotz tiefer, schwarzer Farbe dominieren die violetten Reflexe. Ein junger Wein, zu jung, um wirklich tiefen Eindruck zu hinterlassen. Aber für Fruchttrinker genau das richtige. Nämlich nicht nur Furcht, sondern auch dezente mineralische Noten, Gewürze und einigen Schmelz. Die Trauben: Mourvèdre (40%); Syrah (40%) und Grenache (20%). Feinkörnig die Tannine,aber noch etwa aggressiv die Säure. Ein schöner Languedoc-Wein, nicht aus dem Schiefergebiet, sondern von dort, wo sich vor Tausenden, ja Millionen Jahren das Meer zurückgezogen hat.

13. Juli 2015

 

Marcelle et Michel Causse, Château l’Euzière: L’Almadin 2012, Pic Saint-Loup, Languedoc, Frankreich


Die Geschichte kommt mir bekannt vor – ich glaube, ich habe sie hier schon einmal erzählt – , der Wein hingegen ist mir nicht in Erinnerung geblieben. Ob dies an mir liegt oder am Wein, kann ich nicht sagen. Die Geschichte: Zwei Geschwister, Marcelle und Michel, übernehmen in den 80er Jahren das Weingut der Familie (in der vierten Generation) 23 Hektaren in der Appellation Pic Saint-Loup. Ein paar Jahre später startet die Schwester, Marcelle, eine Künstlerinnen-Laufbahn als Schmuckgestalterin. Doch sie bleibt dem Weingut ihrer Ahnen – wenn auch lange Zeit eher im Geist – treu. Nun wird behauptet, oder spekuliert, ob sich der Einfluss des Schönen, des Edlen, der künstlerischen Gestaltung auf den Wein übertragen hat. Mag sein. Für mich ist der Wein – es ist nicht der Prestigewein des Gutes – tatsächlich feiner, ziselierter, filigraner (um das Modewort aufzunehmen) als die meisten Weine in dieser Preisklasse im Languedoc (ca. 10 Euro). Ich führe dies allerdings mehr auf den Standort der Reben (am Pic Saint-Loup, nördlich von Montpellier) zurück. In dieser Region ist der Anteil an Syrah weit grösser, hier 70% (und 30% Grenache). Zum Namen: Almandin ist ein Stein, ein Granartstein, der in schleifwürdiger Qualität einen glasähnlichen Glanz aufweist, was ihn zu einem begehrten Schmuckstein macht. Die Anlehnung an die Schmuckkünstlerin ist wohl gegeben, auch wenn Almandin als Gestein in der Natur sehr häufig vorkommt und mit dem Wein nichts zu tun hat. Doch der Geist hat sich übertragen: keine Holz- oder Fruchtbombe, kein schwerer Wein, der trotz seiner Nachhaltigkeit und Tiefe (alte Reben) fröhlich und leicht, aber auch ernsthaft und – was sagt man bei Schmuck – wertvoll daher kommt. In diesem Fall eben: genussreich oder genussvoll.

10. Juli 2015

 

Domaine Le Cazal: Le Pas de Zarat 2012, Minervois, Languedoc, Frankreich

 

Es ist wieder die Zeit, – man verzeihe mir – in der ich weinmässig Languedoc/Roussillon durchstreife, in der Realität aber stundenlang am Strand unter dem Sonnenschirm liege, einen Krimi lese („Bruno, Chef de police“) und vom Wein träume, den ich am kühlen Abend zuvor – nach dem Einnachten - getrunken habe. So kommt eben ein Panoptikum von Bekanntem und Unbekanntem, von Gutem und Wenigergutem zusammen; ein Panoptikum, das vielleicht das riesige, so unterschiedliche Weingebiet hier im Süden Frankreichs besser beschreiben kann, als eine Liste der besten und grössten, der bekanntesten und gesuchtesten Weine der Languedoc. Ein Weinalltag eben – mitten in der Urlaubszeit mit Hunderttausenden von Sonnensuchenden – wie er Jahr für Jahr zum Strand am Mittelmeer gehört.

Heute rede ich von einem Wein aus dem Minervois, aus einer der faszinierendsten Gegenden des Languedoc. Etwas im Hinterland, weit weg vom den Touristenströmen in der Nähe des Ufers. Also auch „weit weg“ von mir hier im Liegestuhl am Strand. Vielleicht fasziniert mich dieser Wein deshalb so sehr, weil er anders ist. Anders als der Durchschnitt der ordentlichen oder sogar der guten Weine der Languedoc. Ich kann mir gut vorstellen, dass dieser Wein in der Kritik kaum die 83/100 Punkte erreicht; dass Parker nur die Nase rümpfen würde; dass der Wein im üblichen Sommerangebot als viel zu teuer (14 Euro) eingestuft wird. Ich kann mir noch viel mehr vorstellen: zum Beispiel, dass man mit den würzigen Noten wenig anfangen kann, dass etwas vom berühmten „Pferdeschweiss“ die Freude am Wein verdirbt, dass eine leicht tabakige Trockenheit den Abgang erstickt… Und trotzdem liebe ich den Wein, eben weil er anders ist. Vielleicht nicht ganz lehrbuchgerecht, aber gut, sehr gut. Ich sehe darin das zerklüftete Minervois, das Naturschutzgebiet, den Trampelpfad des Hirten (le pas de Zarat) und seiner Herde, die Garrigue, welche den Weinberg umrankt. Ich erkenne eine ganz persönliche Note, ausdrucksstark, eigenständig und – vor allem – genussvoll, bis tief in die Nacht hinein. (Oder habe ich doch zu viel Sonne erwischt?)

Liste aller bisher besprochenen Weine (ohne Bilder)
Stand Juni 2015
Kurze Datenbank ohne Zusatzinformationen und Bilder. Aber mit dem entsprechenden Link zum Archiv
Getruken+ohne+Bilder-aktuell (19.10.15).
Microsoft Excel Tabelle 46.0 KB
Liste aller bisher besprochenen Weine
Stand August 2014
Getruken+bis+Dezember+2014+-+mit+Bildern
Microsoft Excel Tabelle 4.5 MB