Hier sind alle "Getrunken" der letzten Zeit zu finden. Es sind keine Weinbeurteilungen der üblichen Art. Vielmehr Weingeschichten, Geschichten, welche mir die Weine erzählen.
Ältere "Getrunken" und eine Excel-Liste sind am Schluss dieser Seite zu finden. Die gleichen Weinnotizen findet man auch auf meinem Blog
Mein Elan - er hielt über viele Jahre an - einst fast täglich, heute noch wöchentlich - ein Weinerlebnis zu beschreiben und (wenn immer möglich) eine kleine Geschichte zu erzählen, ist leicht ins Stocken geraten. Nicht nur wegen Corona, vor allem weil ich inzwischen unglaublich viele Weine kommentiert habe (rund 2'000) und sich da die Geschichten immer öfters wiederholen. Doch es geht weiter, im etwas gemütlicheren Trab,
Zur ersten Staffel "Getrunken" nur noch im Archiv zu erreichen
Zur zweiten Staffel "Getrunken" von Juli 2015 bis Juli 2016
Zur dritten Staffel "Getrunken" von Juli 2016 bis Januar 2018
Zur vierten Staffel "Getrunken" von Januar 2018 bis März 2020
Zur fünften Staffel "Getrunken" vom März 2020 bis November 2021
Vorbemerkung
Weinliebhaber und Weinkenner rümpfen die Nase: Beaujolais nouveau! Brrr! Nicht viel besser als gefärbtes Wasser mit Alkohol. Etwa 13 %vol. Die einen sprechen vom Coca-Cola des Weins, andere loben
nicht unbedingt den Wein, als vielmehr die (nicht sehr alte) Tradition) des ersten Weins vom neuen Jahrgang. Ich gehöre zu den letzteren und meine nicht unbedingt die oft überbordenden Feste, als
vielmehr das gemütliche Zusammensitzen - zu schon fast winterlichen Zeiten – im Bistro oder im historischen Guinguette, wo man sich am dritten Donnerstag im November bei Käse, Wurst oder gar
Aligot trifft und ganz jungen Wein trinkt, ab und zu begleitet von Brassons oder Brèls Chansons-Welt: Ja, «Ces gens-là». Dieser eine Donnerstag im Jahr ist für mich zu einer lieben Tradition
geworden.
Der Wein
Der Wein ist anders, frischer, ursprünglicher und doch irgendwie künstlich: Kaugummi, Bonbons, nicht süss, eher streng weinig, mit klassischer Frucht von Johannisbeeren bis Bananen, kaum Tannine, aber Säure, meist sehr trinkig. Man spricht kaum über den Wein, man trinkt ihn. Man spricht über das Jahr, das Weinjahr, die Politik, den Winter, das Klima… Auch dieses Jahr gehen die Winzer wieder auf die Strasse: die Politik, das Klima, die Subventionen… Der Weinbau ist wieder einmal im Wandel. Es gibt Verlierer, zu viele Verlierer… Dieses Jahr habe ich das alles nicht erlebt. Eine Woche nach dem Beaujolais-Nouveau-Tag – erst eben angekommen in Frankreich – habe ich in einem der wenigen noch geöffneten Restaurants am Strand gegessen. Thai. Eine ganz andere Welt, eine ganz andere Kultur… Als Wein – wohl ein Relikt aus der vergangenen Woche – kam ein Beaujolais nouveau auf den Tisch und ins Glas… sofort war Frankreich da, trotz Pad Kra Pao, Som Tam, Kuai Tiao…
...und wie die kulinarischen Verführungen alle heissen, trotz Buddhas, Tempelwächter und Tänzerinnen, die das Lokal zieren. Beaujolais nouveau ist nicht einfach Wein, es ist eine – sehr kurzlebige – Kultur, die auch ein Stück Frankreich repräsentiert. Da mögen sich die Nasen noch so sehr rümpfen.
Grundlage:
Was ist ein Kultwein? Diese Frage – oft gestellt, oft gehört - beschäftigt mich immer wieder. Gibt es dafür eine verlässliche Definition? Kult ist ursprünglich den Göttern vorbehalten, ihrer Verehrung. Was haben da Weine zu suchen? Die Sprache und ihre Anwendung haben sich gewandelt und wandeln sich immer wieder. Hochgeachtete, wertvolle, schwer erreichbare Dinge zu Göttern zu machen, liegt im Trend in einer säkularisierten Zeit. So wird das, was viele lieben und verehren, rasch einmal zum Kult erklärt und damit irgendwie dem Irdischen entzogen, zum schwer Erreichbaren gemacht, sei es durch Rarität, Preis, Bewertung oder Mythos. Für mich gibt es seit vielen Jahren zwei Weine, die diesen Status haben. Sie sind gut, vielleicht besser als viele andere, wer weiss das schon. Ich habe sie einfach gerne, lieber als andere.
Und sie deshalb der Ordnung in meine Bordeaux-Sammlung entzogen, auf zwei Weingestelle «ausgelagert». Beides Weine von François Mitjavile, den «Tertre Rôteboeuf» und den «Roc de Cambes». Aussortiert habe ich sie, weil sie für mich den Status von «Kult» haben. Das heisst: an besonderen Anlässen, in ausserordentlichen (schöne) Momenten, wenn weinmässig etwas Spezielles ins Glas kommen sollte, dafür sind die beiden Gestelle mit ihren Weinen da.
Der Wein:
Grundsätzlich ist es unerheblich, ob es nur für mich ein «Kultwein» ist, oder eben – wie gemäss Definition – von vielen Weintrinkern so eingestuft und bezeichnet wird. Leider ist es so, dass Kultweine auch gute - meist sehr gute - Weine sind und in der Weinszene rasch ihre «Fans» finden.
Sie werden auf dem Markt rarer, die Preise steigen, die Verlockung, einen solchen Wein im Keller zu haben immer grösser. Der «Tertre Rôteboeuf» hat diesen Status längst erreicht. Inzwischen kostet die Flasche – je nach Jahrgang – 250 CHF und ist im Bordeaux-Markt längst eine Rarität (jedenfalls nicht frei erhältlich). Der zweite Wein, um den es hier geht, der «Roc de Cambes», stammt nicht aus dem «Kerngebiet» von Bordeaux, aus «Côtes de Bourg», wo Weine (laut Werbung: mit «exzellentem Preis-Spass Verhältnis.» angeboten werden. Viele dieser Weine 20 bis 30 CHF. Nicht (mehr) der Kultwein «Roc de Cambes», der inzwischen um 70 CHF kostet. Doch der Preis (oder die Preisentwicklung) ist nur ein Faktor, um einen «Kultwein» auszumachen. Es sind auch die Nachfrage und qualitative Bewertung des Weins. So erreicht der einst als «kleiner Wein» gehandelte «Roc de Cambes», der während langer Zeit kaum eine Notiz bei Parker wert war, 97 und mehr Parker Punkte und ist damit längst aufgestiegen zu den besten Médoc-Weinen mit ähnlicher Bewertung,
Fazit
Irgendwann – wenn ich routinemässig frage: was soll ich aus dem Keller holen – kommt eine unerwartete Antwort: ein ««Roc de Cambes». Wow. Es ist doch kein Geburtstag. Oder habe ich ein
wichtiges Datum vergessen? Nein, das sollte bei einem Kultwein möglich sein. An einem «ganz gewöhnlichen Tag», unsere Lust und den Weingöttern zu ehren. Ein tiefer Wein, konzentriert, wie es der
Stil von Francois Mitjavile ist, geschmeidig mit viel Frucht und kaum vom noch grösseren «Tertre Rôteboeuf» zu unterscheiden. Und – wie Götter eben sind – nicht unbedingt in ihrer Grösse, aber in ihrer Art und
Einmaligkeit, als Kultgut erlebbar.
Thomas und Lisa Schmidheiny, Weingut Höcklistein, Jona: Merlot 2020, AOC St.Gallen, Schweiz
Vorbemerkung
Für einmal bin ich überrascht worden, von einem Wein, den ich überhaupt nicht im Visier hatte. Eingeladen zum Geburtstagsessen – Ort streng geheim – landeten wir in «meiner» Gemeinde, in der ich aufgewachsen war und viele Jahre gelebt habe. Jona, am Zürichsee. Ein altes Weingebiet, das über viele Jahre sträflich vernachlässigt wurde. Doch, in so etwas wie «Heimatliebe» habe ich mich immer wieder um den «Lenggiser», ein typischer Landwein (Klevner) vom Zürichsee.
Ich kannte (und kenne) auch die verschiedenen Parzellen, wo in den letzten rund 20 Jahren immer wieder auf die alte Weintradition zurückgegriffen wurde und wieder Reben angebaut wurden. Besonders der «Höcklistein», im Auslauf der Gemeinde Richtung Zürich, über dem See, war nicht nur ein «Kraftort» (wie die Erwachsenen sagten). Sondern auch ein weites Tummelfeld für unsere Indianerspiele, etwas abseits der immer üppigen wuchernden Wohngebiete. Gerade unterhalb des «Höcklisteins» wird – wohl die letzte Parzelle am See – im Augenblick die Liegenschaft von Tennisstar
Roger Federer gebaut. Am Hang liegt auch das Restaurant – mit herrlicher Aussicht und guter Küche – wo wir den Geburtstag feierten. Natürlich drückte man mir rasch einmal die Weinkarte in die Hand: Wähle den Tischwein aus. Ohne die Karte näher anzuschauen (was sonst nie vorkommt!), war alles klar: «ein Höcklisteiner!». Rot oder weiss, die Frage des Kellners. Das machte mich bereits stutzig: Einen «weissen Höcklisteiner» kenne ich nicht, sogar ein Chardonnay soll es sein. Auf den Tisch kam kein «Klevner», vielmehr ein Merlot vom Höcklistein. Der «Höcklistein» war für mich bisher eine Lage und kein Weingut. Da geriet mein Weinwissen tüchtig in Unordnung.
Der Wein
Doch es kam rasch wieder Ordnung in die Sache. Ich erinnerte mich, dass vor ein paar Jahren der Unternehmer Thomas Schmidheiny Haus und Land am Höcklistein erworben und seine Tochter jetzt Lisa ein Weingut betreibt. «Als Kind habe ich … den Rebberg beim Spielen in Rapperswil-Jona erlebt. Wir konnten den ganzen Tag Brennholz sammeln und im Herbst Vögel aus den Netzen befreien. Dadurch entdeckte ich auch mein Interesse an den heimischen Pflanzen. Als Erwachsene erwachte in mir die Leidenschaft, im magischen Rebberg Höcklistein aktiv mitzuarbeiten und die 5. Generation unserer Familie im Rebbau einzuläuten.» Was sie da in wenigen Jahren wieder aufgebaut und in die Wege geleitet hat, lässt sich auch in der Weinwelt sehen. Es entstanden ein Weingarten, wo nicht nur gute Weine ausgeschenkt werden, sondern auch entstehen. Zumindest nach dem Wein zu urteilen, der nun mein Geburtstagswein war. Wie gesagt: ein Merlot, ein Wein, der die Lage in sich trägt. Herrlich auch der Wein. Weitab von den langweiligen Merlots, wie sie leider auch hier (in der Schweiz) immer wieder angeboten werden. Die Klimaerwärmung hat wohl dazu beigetragen, aber auch die konsequente Reduktion im Ertrag. So entstehen Eleganz und Harmonie, die ich bei vergleichbaren Weinen schon lange nicht mehr erlebt habe. Für mich ein klitzekleiner Störfaktor: das Holz (Barrique) ist noch zu wenig verdaut und ich frage mich, ob es bei der Fruchtigkeit den Ausbau im Holz überhaupt braucht. Jedenfalls wird der Wein – für mich – nach ein, zwei Jahren Flaschenreifung noch besser, noch mehr geburtstagslike.
Fazit
Ein hervorragender Merlot. Viel Individualität und Persönlichkeit. Kann mit «grossen Weinen» durchaus mitreden. Ein Essbegleiter, der von sich Reden macht. Wenn die andern Weine vom Höcklistein (Pinot Noir, Räuschling, Chardonnay) eine vergleichbare, individuelle Qualität haben, dann habe ich hier – in allernächsten Nähe – etwas gefunden, das sich weit vom Durchschnitt abhebt, sicher teurer ist, als der Wein vom Regal im Lebensmittelgeschäft und viel, viel Freude bereiten kann (nicht nur an einem Geburtstag). Empfehlung: noch etwas lagern (2 bis 3) Jahre.
Vorbemerkung
Rosé war für mich ein Schimpfwort. Ich quittierte jede Erwähnung in Weindiskussionen mit der provozierenden (nicht ganz ernstgemeinten) Bemerkung: «Rosé ist doch kein Wein!» Kein Wein? Das vielleicht schon, aber nicht «diskussionswert». Hellhörig wurde ich erst, als Spitzenwinzer in Languedoc (aber auch in der Schweiz) mit echtem Stolz ihren Rosé präsentierten. Ich liess mich oft in Diskussionen ein, wann und wie der Rosé (im einzig richtigen Augenblick) von der Maische zu nehmen (und weiter auszubauen) ist, um einen geschmacklich guten, überzeugenden, harmonischen Wein in die Flasche zu bringen. Der Irrglaube, die niedrige Temperatur beim Ausschank (10-12°), spüle alle Unvollkommenheit, allfälligen Fehler und jede Disharmonie weg, war noch lange tief in mir verankert, bis… Ja, bis wann? Bis es so heiss wurde, dass ich mit meinem geliebten Roten immer häufiger nicht mehr zurechtkam, vor allem, wenn ich schöne Sommerabende geniessen wollte. Weisswein, die übliche Alternative an heissen Tagen, schien mir - in vielen Fällen - unpassend (zu ernsthaft, zu dominant, zu «anspruchsvoll») zu sein. So kam - im Sommer – der Rosé immer häufiger ins Glas. Und – oh Wunder – er wurde zum Wein.
Zum Wein
Auch wenn der Name dieses Rosés - «Liebesnest» - verführerisch klingt, so vermag er mich doch nicht (ganz) zu verführen. Ich beginne kritisch zu degustieren, nicht einfach einzuschenken, als ginge es nur um ein «kühles Nass». «Oeil-de-Perdrix» (Das Rebhuhnauge) ist in der Schweiz bekannt, ja berühmt, ein geschützter Name, deshalb nur in der Schweiz (Westschweiz) zugelassen, Aber ist er auch besser? Zumindest anders als der Rosé aus Südfrankreich, wo er eigentliche seine angestammte Heimat hat. Es waren die Winzer aus der Provence, die den Aufstand angezettelt haben, als die EU die Vorschriften verändern wolle um fortan auch Weine (als zertifizierte Rosé) zulassen, die aus einem Gemisch (Verschnitt) von Weiss- und Rotweinen gemacht werden (was ausserhalb der EU erlaubt ist). Der Rosé ist nicht einfach nur ein «lachsfarbiger» Wein, sondern ein Produkt, das so vinifiziert wird, dass nicht nur Farbe, auch einen Teil der Körperlichkeit, der «Schwere», der bewusst zelebrierte Einmaligkeit reduziert wird, ohne die Harmonie, den Geschmack, die Würze, die Duftbreite zu unterbinden. Im Gegenteil: Was gute Trauben an Vielfalt und Ausdruckskraft, auch an natürlichem Körper, hergeben, muss auch beim sehr kühlen Wein zum Tragen kommen. Es ist die Kunst des Winzers, der Winzerin, der/die für seine/ihre Trauben den richtigen Zeitpunkt, die richtige Methode und die geeignetste Traubenwahl finden muss, um einen überzeugenden Rosé zu machen. Der «Oeil-de-Perdrix» - eine alte, noch immer tief verankerte Tradition im Kanton Neunburg (Drei-Seen-Land) – zählt zu den besten schweizerischen Rosés. Allerdings hat es Neuenburg unterlassen, einst den so speziellen Namen auch zu schützen. So werden heute in mehreren (westschweizer) Weingebieten (vor allem im Wallis) «Oeil-de-Perdrix» angeboten. Nicht ganz zu Unrecht spricht man aber beim Neuenburger «Rebhuhnauge» vom «Original», das – aus welchen Gründen auch immer – speziell ist: abgeklärter, frischer, kompakter, harmonischer. Alles nur Einbildung? Gutes Marketing?
Fazit
«Nid d'Amour », ein junger, süffiger Rosé, aber nicht sehr prägnant in den Aromen. Vielleicht weil er nicht – wie das «Original» - ausschliesslich aus der Traubensorte «Pinot Noir» gemacht wird, oder weil das Traubengut zu jung ist, die Erntemenge zu gross? Ich weiss es nicht. Mir fehlt das «gewisse Etwas»: Zum Beispiel Noten von Feigen, oder auch das «Fruchtig-Erdige», kurzum: die Raffinesse, die man auch von einem Rosé erwarten darf, vor allem wenn er – was sonst nicht üblich ist – aus Blauburgunder (Pinot Noir) besteht.
Vorbemerkung
Sechs Flaschen in den Regalen meines Bordeaux-Kellers haben mich unwillkürlich an ein "Lumpenlied" erinnert, dem Kurfürsten Friedrich von der Pfalzerinnert: «Wie kam gestern ich ins Nest? Bin scheint's wieder voll gewest!». Das "Nest" ist in diesem Fall nicht das fürstliche Bett, das «Nest» ist der Keller, wo die Bordeaux ruhen. Höchst wahr-scheinlich war ich auch nicht «voll gewest», als die Flaschen in den Keller kamen. Höchstens etwas verwirrt und nicht auf der Höhe eines leiden schaftlichen Bordeaux-Sammlers und -Trinkers. Nicht, weil die Flaschen im Bordeaux-Keller fehl am Platz sind oder gar unwürdig gegenüber ihren Nachbarn. Nein, weil ich weder das Château, noch das Weingebiet in der Nähe von Bordeaux und Saint-Émilion, nördlich von Entre-deux-Mers, kenne. Es liegt was abseits der Weintouristenstrasse, am linken Ufer der Dordogne.. Da ich auch nicht mehr weiss, wer der Händler war, der mir den Wein empfohlen und geliefert hat, kann es nur der gute Jahrgang gewesen sein, der sich empfohlen hat: „Der 2009 zählt zweifellos zu den besten des neuen Jahrtausends».
Zum Wein
Überlagert? Zu spät getrunken? Eine Frage, die sich bei den Bordeaux nur selten stellt: Tatsächlich, der Wein unterscheidet sich deutlich von andern Bordeaux, sowohl von jenen aus dem „Emilion“ (merlotgeprägt) oder aus den „Médoc“ (mehrheitlich cabernetlastig). Vielleicht liegt es am Boden: Kies, Sand. „Der Weg von Graves de Vayres besteht darin, runde, seidige Tannine mit der Eleganz und Mineralität des Kieses zu kombinieren.“ Stimmt das? Ich bin mehr als unsicher. Zu viel Säure, zu wenig Harmonie? Erwarte ich allenfalls zu viel? Zuviel holzgeprägtes Power-Bordeaux? Deshalb öffne ich – Wochen später – eine zweite Flasche. Sie kommt schon besser an. Weniger aggressiv im Abgang, viel mehr Harmonie, viel freundlicher. Es ist kein grosser, aber auch kein ganz runder Wein, doch ein guter, ein ehrlicher. Preislich im unteren Segment (das habe ich erst später festgestellt).
Ein Wein zum Trinken. Kein Prestigeobjekt. Ein hervorragender Essensbegleiter, ein Wein für den Alltag. Besonders für den Alltag: weil er sich markant von den „gestrählten“ Weinen in diesem Preissegment abhebt. Weil er eigenständig ist, etwas anders, besser.
Fazit
Der Wein wäre wohl vor drei, vier Jahre noch besser gewesen. Hätte mehr Frucht gezeigt, mehr Leichtigkeit, Blumigkeit, auch in seiner (farblichen) Schwere. Man sagt, die Winzer des Weingebiets "Graves de Vayres" hätten ihre alten, bewährten Geheimnisse, auch beim Weinmachen. Etwas davon ist bei mir angekommen. Ohne Auflösung!
Château Delas Frères, Saint-Esprit 2016, Côtes du Rhône, Tournon-sur-Rhône, Frankreich
(Entschuldigung: Die Jahreszahl war doch etwas verwegen! Und natürlich falsch.))
Vorbemerkung
Weinauktionen im Saal haben an Bedeutung verloren. Vieles ist ins Internet (Internet-Auktionen) «abgewandert». Saalauktionen sind heute vor allem Fundgruben für Raritäten (meist im oberen Preissegment).
Hier versuchen Sammler (besonders in Bezug auf Bordeaux und Burgund) ihre Sammlungslücken zu schliessen und auch Händler «kaufen da ein», hauptsächlich um ganze Kisten und Einzelflaschen in Länder und Regionen zu verschieben, in denen Weinkultur erst in den letzten Jahrzehnten so richtig Einzug gehalten hat.Was weitgehend weggebrochen ist, das sind die Schnäppchen. Weine mit bekannten (prestigeträchtigen) Namen zu günstigen Preisen und auch ältere Weine, die im aktuellen Weinhandel kaum mehr aufzutreiben sind. Dieses Auktions-Segment hat sich fast vollständig in Internet-Angebot (Auktion oder Kauf) verlagert. Die Spesen (Aufgeld, Mehrwertsteuer, Lotgebühr, Versand) belaufen sich (je nach Anbieter) auf 20 – 30%. Bei einem Lot im Schnäppchenbereich – 12 Flaschen zur 100 CHF – kostet eine Flasche dann ca. 10 CHF im Handel vielleicht 15 bis 20 Franken. Berücksichtigt man den Umstand, dass auch der Einlieferer eine Gebühr zu entrichten hat (10-15%), dann ist in vielen Fällen das vermeintliche Schnäppchen kein Schnäppchen mehr. Genau in diese Situation bin ich (zufällig) geraten.
Zum Wein
Unser Wein(er)leben hat den Schwerpunkt Bordeaux und Pinot Noir (Burgunder). So jedenfalls ist der Keller ausgestattet. Gelegentlich – immer häufiger – brechen wir aus dieser Vorliebe aus und
wenden uns Weinen zu, aus anderen Traubensorten, aus anderen Weingebieten. Zum Beispiel – wie hier – zur Rhône (Rebsorten: hauptsächlich Syrah und Grenache). Da muss es auch nicht unbedingt
Châteauneuf-du-Pape sein. Ein guter Côtes-du-Rhône kann genau so viel Spass machen und zu manchem Essen sogar besser passen. Genau das tauchte auf, an der zuletzt besuchten Auktion:
12 Flaschen zu (brutto) 120 CHF. Ein Schnäppchen?
Kaum, denn der Wein (aktueller Jahrgang) ist für etwa 13 CHF zu kaufen. 2016 hat die nördliche Rhône grundsätzlich einen guten Jahrgang produziert. Diese Flasche aber überragt andere vergleichbare Weine nicht (Ursache: Lagerung, Alter, Vinifizierung???). Dr Wein ist – ich sage es nicht gern – nicht viel mehr als alltagstauglich. Ein guter Begleiter – ohne Fehl und Tadel. Es fehlt ihm die Raffinesse, ist etwas hart und leicht bis in den Abgang hinein. Vielleicht ist es auch die schwere, dickwandige Flasche, mit dem markanten, im Glas eingeprägten Wappen (eher üblich bei Weinen aus der Appellation Châteauneuf-du-Pape), die falsche Erwartungen weckt.
Zwar durchaus ein Charakterwein, mit eindeutiger Tendenz zu Kraft und Stärke, ohne dies ganz einzulösen. Die typischen Aromen von Schwarzkirschen sind zwar eindeutig da, aber umflort von Aromen nach Speck und Leder, die im Abgang nachhallen.
Fazit
Auch wenn die Erwartungen nicht ganz erfüllt werden. Der Wein ist immer noch deutlich besser, vor allem, charaktervoller als all das, was zum Preis des Auktionsweins in den Regalen der Lebensmittelgeschäfte steht. Also doch ein «Schnäppchen» und vor allem eine Weinerfahrung aus der nördlichen Rhone. Und – was mir wichtig ist – kein Dutzendwein.
Vorgeschichte:
Wir sind wieder zu Hause. Ein schöner, milder Abend. Ich habe Lust, nach all den unterschiedlichen Weinen in Restaurants, etwas Verlässliches aus dem Keller zu holen. Vielleicht auch eine Erinnerung an die Zeit, als ich die ersten Bordeaux-Weine kaufte und «erforschte». Dazu gehörten auch die drei Léoville-Weine (Poyferré, Barton und Las Cases). In Bezug auf Preis und Ansehen eine klare Rangordnung (etwa 30 CHF, 60 CHF und 90 CHF). Das war in den späten 80er Jahren. Château Léoville Poyferré war einer der ersten Top-Bordeaux, die ich damals kaufte. Ein rein emotionaler Grund, eine ältere Flasche aus dem Keller zu holen: Jahrgang 1995, Preis damals 31.50 CHF.
Das Weingut
Die «Rangordnung» der drei Weingüter zeigt sich noch immer. Allerdings sind sie viel näher zusammengerückt: Der Unterschied ist etwas kleiner geworden,
sowohl im Preis, als auch in der Benotung, allerdings auf einem viel höheren Niveau. Las Cases ist noch immer der «Überflieger»
(2021: 210 CHF; 94-96 Punkte). Barton, das kleinste der drei Weingüter (2021: 80 CHF; 93 Punkte). Poyferré, ist das Weingut, welches lange Zeit (zu Unrecht) unterschätzt wurde und 2009 sogar
100/100 Parker-Punkte erhielt (2021: 90 CHF; 93 Punkte). Die drei Güter gehörten bis ins 18. Jahrhundert zusammen, wurden dann aber infolge einer Erbteilung getrennt. Sie sind als Deuxième Grand
Cru Classé (Klassifikation 1855) eingestuft. Die Preise variieren von Jahr zu Jahr (obige Angaben als Referenz). So kostet der herausragende Poyferré 2009 heute mehr als 200 CHF. Es kann nicht
erstaunen, dass ich vom «kleinsten» der drei Weine noch ein paar Flaschen aus den 90er Jahren habe und jetzt gespannt wartete, wie er sich nach bald 30 Jahren präsentiert.
Beurteilung
Ein leicht muffiger Ton, zwischen altem Keller und «Korker». Zwar noch präsent in den Aromen, sogar in seiner «Fruchtigkeit», aber eigentlich nicht mehr trinkbar. Schade. Ist es nun einfach eine «schlechte» Flasche oder ist der Wein schlecht gealtert
Ich werde das mit einer der letzten Flaschen des gleichen Jahrgangs erkunden und darüber berichten. Diese Erfahrung bringt das alte Thema der Verunreinigung des Weins durch den Korken (Schweiz: Zapfen) mit TCA wieder ins Gespräch (vor 10, 15 Jahren noch leidenschaftlich diskutiert). Sind es (nach meiner Erfahrung) ca. 1-2 Prozent der Flaschen) oder 5-8 Prozent (wie viele meiner Weinfreunde behaupten) oder mehr (oder gar weniger)? Ich werde jedenfalls im «getrunken» vermehrt darauf zurückkommen. Die aktuellen Erfahrungen einbringen. Jedenfalls diese Flasche Léoville Poyferré 1995 lässt sich nicht bewerten, sie landete im Ausguss.
Lillet Blanc
Aperitif à base de vin
Lillet Frères
Podensac gironde, Frankreich
Heimgekehrt aus Südfrankreich, vier Wochen Hitze am Strand, weinmässig mit Rosé zufriedengestellt, nicht gerade verwöhnt, beschäftige ich mich mit dem Gedanken, einen "kleinen" Bordeaux zu öffnen, zum Spareribs vom Grill: Château d'Escurac 2004, Médoc, Frankreich, war damals (vor knapp 20 Jahren) ein sogenannter "Geheimtipp", preiswert (um 20 CHF) und durchaus bei einem guten Jahrgang (z.B.2005) bis zu 90/100 Punkten bewertet. Der Wein (ich wollte wissen, ob er schon auf dem Abstieg ist) begleitete das Fleisch und machte einen soliden, strammen Eindruck. Durchaus noch präsent, sogar mit deutlicher Frucht und schöner Harmonie.
Die Show aber hat ihm ein anderer gestohlen, der eigentlich gar kein Wein ist, sondern ein Aperitif auf Weinbasis. Mein Nachbar, den wir kurzfristig ein-geladen haben, um von den Ferien (Urlaub) zu erzählen, hat die Flasche mitgebracht. Das Präsent eines Bekannten. Irgendwie kam mir der Name bekannt vor, doch ich konnte ihn nicht einordnen, nicht festmachen im Glas und in der mir vertrauten "Weinordnung". Aber - richtig! James Bond hat seit seinem ersten Filmauftritt ("007 jagt Dr. No" mit Sean Connery) ein Liebligsetränk: "Wodka Martini", das besteht - laut Autor Ian Fleming - aus drei Teilen Gin, einem Teil Wodka und einem halben Teil "Lillet" und zwar "Geschüttelt, nicht gerührt" (Kult-Zitat). Da haben wir ihn also, den "Lillet", der - nicht zuletzt auch durch die Bond-Fime - zum Kultgetränk geworden ist. Die Geschichte: "Der Aperitif trägt den Namen seiner Erfinder, den Gebrüdern Lille, die 1872 als Winzer die Idee hatten, einen Likör-Aperitif zu produzieren. Damals hatte Louis Pasteur gerade auf dem Gebiet der Mikrobiologie grosse Entdeckungen gemacht. Das Thema Medizin war relevant, Menschen hatten Angst vor Krankheiten und versuchten durch Alkohol Infektionen zu bekämpfen. Die Brüder merkten schnell, dass man eine neue Idee haben muss, um den neu eröffneten Markt zu erobern. So erschien 1887 "Kina Lille" In den 1920er Jahren wurde die Marke sowohl in Frankreich als auch im Ausland populär ("Lille" wurde anfänglich mit einem "l" geschrieben und ohne "t". Als Aperitif "glänzte" er in der High Society von New York, gehörte zu den angesagtesten Cocktails." (Quelle: entreare.com)
Inzwischen gibt es drei Lillet-Varianten, den Weissen-, den Roten und den Rosé-Lillet (in Anlehnung an die Weine). Das genaue Rezept ist und blleibt "Betriebsgeheimnis". Die exotischen Früchte und Gewürze geben dem Getränk die besondere Würze. Lillet Blanc hat 17% alc./vol, er wird sehr kalt serviert.
Ein Trendgetränk, das irgendwann in meinem Glas landen "musste". Die konkrete Situation brachte es mit sich, dass es nicht sonderlich gekühlt war und auch nicht als Zutat in einem Longdrinks (nach einem der vielen Rezepten) auf den Tisch kam, eher wie ein "kleines Glas" Süsswein (Sauternes zum Beispiel). Allerdings mit mehr Alkohol dominierenden Aromen von Orangen, Honig und vor allem Harz und exotischen Früchten. Deutlich weniger bitter als die Mehrheit der Aperitifs, dafür eine stark weinige Note, moderate süsse und saftig bis in den Gaumen (wenn er kalt ist sogar weit darüber hinaus - in einem wohligen Abgang.
Langes Schweigen in der
Rubrik "getrunken"
Seit dem 11. April (letzter Eintrag) herrscht Schweigen in der Rubrik "Getrunken". Es war über all die Jahre eindeutig die am häufigsten "angeklickte" (und kommentierte) Spalte dieser Website. Sie erschien in der Regel zwei- bis viermal wöchentlich. Insgesamt waren es rund 2000 Weingeschichten und Weinbetrachtungen. Zählt man die 220 Kolumnen und die vielen Posts auf "Wein-plus" und andern Websites, die regelmässigen Beiträge bei "Weinrally" und in diversen Gruppen auf Facebook, dazu, sind es doch in den letzten dreissig Jahren etwa 5000 Weine, die ich in unterschiedlicher Form beschrieben und kommentiert habe.
Ich brauchte unbedingt eine Denkpause, um herauszufinden, wie ich auf die neuen Entwicklungen in den Bereichen. Weingebiete, Produktion, Weinhandel (inkl. Preisentwicklung), Nachfrage etc. sinnvoll reagieren kann. Als erklärter Bordeaux-Liebhaber (aus der Zeit, als die Preise noch nicht die Decke durch-schlugen), als versierter Kenner der Bordeaux-Szene (mit einem ansehnlichen eigenen Keller), langjähriger Erfahrung (und Dokumentationen) bei Weinauk-tionen, habe ich zunehmend Mühe mit den Tendenzen in der Weinbeurteilung, -kritik und -politik. Ich muss zuerst meinen Standort neu verankern und den Sinn und das Ziel meiner Weinbeiträge überdenken. Nicht zuletzt, um mich nicht regelmässig zu wiederholen.
Getrunken:
Domaine de
Balaussan: Vieilles Vignes 2021, AOC Saint-Chinian, Roquebrun, Languedoc,
Frankreich
Es sind nicht ausschliesslich die Kriterien der Qualität, welche einen Wein beliebt und bekannt machen. Es sind mehr noch die Geschichten, die Umstände, das Erlebnis, welche den Wein umranken. Zusammengefasst: die Begegnung mit einem Wein.
Jeden Morgen hole ich im kleinen Lebensmittel-Geschäft (Comestibles) an unserer Strasse ein Baguette und Brioches. Diesmal muss ich warten, bis andere Kunden bedient sind. Gelangweilt betrachte ich die vier, fünf Weine im Gestell. "Suchen sie einen guten Wein?", fragt mich die Verkäuferin, als ich an der Reihe bin. Verwirrt nicke ich, denn eigentlich suche ich keinen Wein, sondern möchte Brot kaufen. Doch die Verkäuferin lässt nicht locker (sonst war sie eher zurückhaltend, kurz angebunden in dieser hektischen Zeit der Hochsaison) "Der Dritte von links ist ein wunderbarer Wein. Aus Roquebrun, da bin ich aufgwachsen... und dann zählt sie (recht gekonnt) die Eigenschaften und Genusswerte dieses Weins auf. Sie sage, dass er noch etwas jung sei und mit Vorteil vorher geöffnet werden sollte. Ein AOC-Wein sei es, aus einem herrlichen Weingebiet... Ich kenne die Appellation Saint-Chinian recht gut, doch diesen Wein, dieses Weingut, nicht. Natürlich kaufte ich einer Flasche(9 Euro), verrate aber nicht, dass ich mich bezüglich Wein und Weingüterrecht gut aus-kenne. Trotz wartenden Kunden bedient sie mich gemächlich, begleitet von guten Ratschlägen und Informationen zum Wein und einer treffenden Beschreibung des Weingebiets. "Sagen Sie mir das nächste Mal, wie Ihnen und Ihrer Frau der Wein gefallen hat". Ein begeisterter Kommentar, ohne die üblichen Superlative und überspitzten Töne, wie sie in der Weinwerbund und -empfehlung üblich sind. Ich habe das Gefühl, einen "ordentlichen" Wein gekauft zu haben, keine Sensation, keinen "Petrus" oder - um in der Gegend zu bleiben - keinen Négly oder Pech Redon (la Clape), die selbst bei Parker in den 90er-Punkte rangieren.
Vor allem war das, was die Verkäuferin (keine Weinhändlerin) zum Wein (und über den Genuss) zwar wohlwollend, gar begeistert, aber ohne überrissene Töne und Begriffe, die der Wein (zu diesem Preis) nie einlösen kann.
Und so war es dann auch. Ein "ehrlicher" Alltagswein, der durch seine klaren Aromen, seine feinen Nuancen, seine Kraft und Geradlinigkeit besticht. Man hat bei jedem Schluck das Gefühl, Wein zu trinken. Der etwas geübtere Weingeniesser vermag sogar die Rebsorten (Grenache) und Syrah), die Anklänge der Aromen (Kirschen, Pflaumen, sogar etwas dunkle Schokolade) und den jugendlichen Übermut zu erkennen. Die besondere Tiefe der "alten Reben" kommt noch nicht zum Tragen, die Tannine sind noch rau und ungehobelt, das Potenzial (noch) nicht ausgeschöpft.
Ein Wein, von dem man nicht spricht, den man lieber trinkt und geniesst, der in der "grossem Wein(kritik)welt" keinen Platz hat, von gut und bewusst arbeitenden Winzern und Winzerinnen in allen
Weingebieten zu finden sind, trotz vieler Handarbeit zu Preisen, die den Massenweinen den Rang ablaufen. Weil sie Charakter haben.
Es ist wohl kein Zufall, dass - nach längerer Schreibabstinenz - gerade dieser Wein zum Thema wird. Wohl weil eine Weinliebhaberin diesen Wein, mit einfachen (aber ehrlichen und treffenden)
Worten, so geschildert hat, dass ich richtig Freude habe, ihn auch zu trinken und geniessen.
Viele Weinliebhaber haben eine Eigenschaft von Honigbienen: Sie sind – bezüglich Wein – orts- und artentreu. Das heisst: Sie tummeln sich immer im gleichen oder ähnlichen Bereich und sammeln von den gleichen Blüten ihren Nektar, jedenfalls so lange es ihn da gibtDa blitzten selbst berühmteste Namen, allerhöchstes Lob und exorbitante Preise bei mir ab. Als sich dann auch Robert Parker (in den späten Achtzigern) im Bordeaux festgebissen und so manches hochgeschaukelt hat, hatten Bordeaux-Imitationen (bei mir) kaum eine Chance. Bienen wechseln erst dann ihr Bezugsgebiet, wenn es erschöpft ist.
Ich gebe zu, etwas – oder sogar viel - von diesem Verhalten habe ich übernommen. Schon früh legte ich mich fest auf das Bordelais und erforschte und erprobte die vielen Weine, Cuvées, Regionen, Kellertechniken etc. Das hat mich über Jahre – mehr oder weniger – resistent für Neues und Anderes gemacht. Besonders den Bordeaux-Blends – als sie immer häufiger in nahezu allen Weingebieten auftauchten und ab und zu auch Furore machten – war ich abhold: den Supertoskanern, Australiern, Kaliforniern und wie sie alle heissen...
Auch
dem kalifornischen Weinpionier Jerry Lohr, der im Bordeaux-fernen Amerika eine neue Weinkultur mit-aufgebaut hat. Natürlich habe ich ab und zu "genascht",
probiert, erprobt, verglichen... So richtig vermochten aber all die Blends nicht in mein Weinbild eindringen, bis... Ja, bis mir einer meiner bevorzugten Weinhändler eine Flasche schenkte – natürlich zum Probieren - die ich sonst nie gekauft hätte.Doch trinken, das wollte ich sie schon. Eine Cuvée nach dem Muster «Pomerol», ausgerechnet nach dem Vorbild einer Kleinregion miprobiert, erprobt, t seinem ganz spezifischen, eigenen Charakter (ich erinnere an Namen wie Pétrus, Lafleur, Latour à Pomerol Conseillante…). Durchwegs mit einem hohen Merlot-Anteil und einer Dominanz von Aromen, die man in dieser Konzentration nur hier findet: Eleganz dominiert die durchaus prägnante Füll und das Fett, Kraft und Wucht wird durch Charme und Leichtigkeit in Schach gehalten, blaubeerig, leicht verstreutes Zedernholz, sanft, oft sogar cremig, Anklänge an Feigen und leichtes Unterholz.
Lassen sich solche Noten, solche Eigenschaften einfach – mir nichts, dir nichts – übertragen in ein anderes Weingebiet, auf einen andern Kontinent, mitten in eine andere Tradition (Cola-Welt), andere klimatische Verhältnisse, andere Eigenschaften des Bodens? Diese Flasche – geografisch ein falscher Pomerol - ist ein echter Pomerol: im Geschmack und Harmonie, vor allem aber nach seiner immerhin 35jährigen Reifung. Da hat ein Wein den langen Prozess bis zum fast (oder ganz) perfekten Lagenwein durchgemacht, tiefes Pomerol, das die Idee von Pomerol mitgetragen hat, aber ohne das sonst allzu dominante Holz, ohne falsche Fruchtigkeit, ohne erzwungene Typizität. Während der Jahrgang 1997 im Bordelais schwächelte (und viel zu teuer auf den Markt kam), hat er ausgerechnet den besten Nicht-Bordeaux-Bordeaux hervorgebracht, den ich bisher getrunken habe. Einen Wein, der sich – das behaupte ich nun – durchaus mit einem Pétrus 1997 messen kann. Erstaunlich!
Finca Mas d'en Gil: Coma Vella 2016, Bellmunt, Priorat, Katalonien, Spanien
Welchen Wein trinken wir? Zu welchem Essen, wann, wo? Diesmal sind eingeladen in ein gutes Lokal, zu einem guten Essen, zu einem guten Wein. Gut ist ein weiter Begriff, undefiniert, Ausdruck von etwas
Besonderem. Schliesslich hat die Gastgeberin Geburtstag. Es fällt mir die Aufgabe zu – wie so oft – den Wein zu wählen (selber schuld, schliesslich schreibe ich oft über Wein). Nur, was sind die Kriterien? Vier verschiedene Essen, vier verschiedene Vorlieben, vier verschiedene Geschmäcker in Sachen Wein. Da tippt man gerne auf bekannte Namen: Gastroweine. Weine, die «schmecken», gefallen (und nicht zuletzt auch bezahlbar sind). Weingebiet, Rebsorten, jung, alt, bekannt, traditionell…? Und dann erst noch die unsäglichen Empfehlungen auf der Karte: passt zu… In diesem Fall hilft meist die Erinnerung. Was haben wir mit den Gastgebern weinmässig erlebt? Da ist die Wahl (unter anderem) auf Spanien gefallen, besonders auf das Priorat. Grenache, spanisch Garnacha. Eine meiner bevorzugten Rebsorten, etwas ausserhalb des Mainstreams. Obwohl die Auswahl gross ist, so viele Priorat-Weine sind nicht auf der Karte, zwei, vielleicht drei. «Coma Vella», zwei Angaben auf der Weinkarte geben den Ausschlag; Jahrgang 2016, immerhin sechs Jahre alt, also kein Jungsporn mehr, (wie so häufig in Restaurants) und die Rebsorten Grenache (mehrheitlich) und Syrah, Ich erwartete einen kräftigen, fruchtigen, dunklen Wein und hoffte, die Flaschenreifung hat in gebändigt und im Temperament gelegt. Irgendwie fehlte mir auch die typische Grenache-Note, der mit aus der Languedoc so sehr vertraut ist. Tatsächlich, der Wein ist runder, geschmeidiger – ohne auch nur im Geringsten ein Charmeur zu sein. Erst im Nachhinein habe ich der Weinliteratur entnommen, dass der Wein in der Regel zu mehr als 50 Prozent aus der nicht sehr bekannten Rebsorte Cariñena (Samsó oder Mazuelo) gekeltert ist. Auch eine kräftige, spanische Traube, die im Wein Spuren von Pfeffer, Lakritze und viel mineralische Noten hinterlässt. Mir gefiel dieser etwas andere, besondere, oder eben gut Wein, weil er einen eigenen Charakter und trotz seiner «Erdigkeit» viel Luft und «Fröhlichkeit» entwickelt hat. Nicht ich, der Wein hat die «Qual der Wahl» gut gelöst.
Dirk Swanepoel: Swanepoel 2019,Pinotage, Oude Compagnies Post, Tulbach, Südafrika
Pinotage ist kein Prestige-Wein. In Weinkreisen knapp geduldet, als Besonderheit von Südafrika knapp akzeptiert. Mit diesem fest verankerten Wissen bin ich – schon vor Jahren – zweimal nach Südafrika gereist.
Das erste Mal aus Interesse an einem Land, das so viel Schönheit, so viel Fruchtbarkeit vorzuweisen hat, aber auch viel Leid und Not durch Herrschaft und Unterdrückung. Es war die Zeit nach der Freilassung Mandelas und der Aufhebung der Apartheid-Gesetze. Da lernte ich auch die Weine von Südafrika kennen und verliebte mich – als Bordeaux-Enthusiast – zum Entsetzen meiner Weinfreunde - in den Pinotage. Meiner Frau ging es ähnlich. Ihr wurde verziehen, unter dem Motto: in Weinfragen eben zu emotional und nicht ganz, ganz auf der Höhe. Mir, dem Bordeaux-Beschreiber lastet dieser Fauxpas bis heute an. Ganz so ernst nimmt man mir die Urteilsfähigkeit in Sachen Wein seither nicht mehr ab. Also sind wir nochmals – mit mehr Zuwendung zum Wein – an die Südspitze von Afrika geflogen, zu einer Weinerprobungsfahrt. Und siehe da, die Liebe zum Pinotage ist geblieben, verstärkt durch den inzwischen fast weltweiten Trend, mit Bordeaux-Bends aufzutrumpfen und den überteuerten Prestigeweinen aus dem Bordelais Paroli zu bieten. Da wurde der einst so stiefmütterlich behandelte Pinotage zur kleinen Weingöttin, für mich und meine Frau. Inzwischen hat nämlich auch Südafrika gelernt mit dieser Rebsorte umzugehen, sie so zu verarbeiten und präsentieren, dass sie selbst dem vorurteilbelasteten Weinkenner zumindest etwas Achtung und Anerkennung abringen kann. Zum Beispiel mit diesem «Swanepoel» (rot) eines jungen Winemakers, der das Weingut von seinen Eltern erst 2018 übernommen hat und noch voll Experimentierlust ist. Sein Parade-Wein, ein weisser Pinotage, mit viel Schmelz, Samt und feinen Duft- und Würznoten, ist bereits eine kleine Sensation, vor allem weil er einen bezaubernd dichten Körper haben soll, sagt man in Weinkreisen.
Wir haben jetzt nicht seinen weissen, sondern seinen roten Pinotage im Glas und vergleichen ihn – wie könnte es anders sein – mit den besten seiner Gattung: Kanonkop, Piekenierskloof, Beyerskloof und wie sie alle heissen. Swanepoel muss den Vergleich nicht scheuen. Im Gegenteil: Da wird die junge Rebsorte (eine Kreuzung von Pinot Noir und Cinsault) geradezu mit Handschuhen behandelt, nicht in ein Frucht- oder Kraft-Korsett gesteckt, sondern ihm möglichst viel Freiheit gewährt. Die Freiheit, auch weniger definiert fruchtig zu sein, die Freiheit samtig und weich zu wirken, anders zu sein als nur ein Kraft- Fruchtpaket. Zu Beispiel elegant, feingliedrig, mehr beerig als fruchtig, mit Tanninen, die mehr gleiten als stossen. Ein Wein zum Verweilen.
Morlanda Viticultors del Priorat: El Vol de l'Aliga 2019, Priorat, Katalonien, Spanien
Der « Flug des Adlers » ist ein Mythos, seit Jahrtausenden ein Symbol für die Herrschaft und Grösse von Göttern. Wenn ein Wein so benannt
wird, muss er etwas Besonderes sein, schon
fast ein bisschen göttlich. Es ist schwierig, mit dieser Erwartung in der Weinwelt einen eigenen Platz
zu finden. Zumal der Wein aus einer Gegend kommt, die erst vor zwanzig, dreissig Jahren in die erlauchte Gesellschaft ernstzunehmender Weine aufgestiegen ist. Da haben es die Bordeaux-Blends
(Merlot, Cabernet Sauvignon und…) einfacher, sie
erinnern rasch einmal berühmte Bordeaux-Grössen (wenn auch nur in weiter Ferne). Auch die roten Burgunder (Pinot Noir) haben sich zu etwas wie einem «internationalen Geschmack» durchgerungen.
Darin suhlen sich viele, allzu viele Weine aus der riesig gewordenen Weinwelt.
Aber eine Mischung von Grenache (Carnacha) und Carignan (Cariñena) und erst noch zu gleichen Teilen) ist ein eher regional begrenzter Typus von Wein: vorwiegend in Spanien und Südfrankreich beheimatet. Dass er zu Adlerflügen fähig ist, muss zuerst noch bewiesen werden. Liefert dieser Wein aus dem Priorat den Beweis? Ja und nein! Er ist – das muss deutlich festgehalten werden – einfach noch zu jung, sollte drei, vier Jahre gelagert werden. Dann wird vielleicht der Adler aus der Flasche steigen und seine Eleganz und Schönheit zeigen können. Was mich jetzt schon begeistert, das ist die «Reinheit» des Weins, seine Tiefe, seine Verbindlichkeit. Carignan hat ihm die Fülle der Tannine gegeben und die dunkle, fast schwarze
Farbe. Die Würze (von Lorbeer bis Zimt) und die Frucht (Kirschen, Pflaumen) kommen eher von der
Rebsorte «Garnacha». Doch die Harmonie haben die beiden noch nicht gefunden. Sie sind nach drei Jahren noch immer in ihrem «Honeymoon»,
im Strudel wechselnder Gefühle, sogar im Kampf um die Vorherrschaft in der Ehe. Wer darf wann dominieren? Die Anmut oder die Kraft? Das Symbol des Adlers umfasst beides, aber erst bei seinem
majestätischen Flug.
Bodega Volvoreta: L’Amphore 2019, Tinta de Toro (100%), Toro, Kastilien, Spanien
Der Name sagt es: Es ist ein besonderer Wein, ein Amphorenwein, ausgebaut in spanischen Ton-Gefässen (Tinaja). Vor gut zehn Jahren wurde die uralte Methode – Weine in eingegrabenen Amphoren auszubauen – von experimentierfreudigen Winzern wiederentdeckt. Gleichsam als Antwort auf die immer raffinierteren und perfektionierteren Weine, die aus computer-gesteuerten Kellern kommen und oft von Holz nur so strotzen.
. «Zurück zur Natur», eine Devise, die von Zeit zu Zeit auch in der Weinkultur auftaucht. Meine ersten Amphorenweine habe ich in Georgien und Armenien verkostet. Sie waren nicht nur gewöhnungsbedürftig, sondern oft recht seltsam. Ich erinnere mich noch gut an die abschätzigen Kommentare an professionellen Verkostungen und in Weinforen. Inzwischen hat sich die Aufregung gelegt, man hat gelernt, mit Weinen umzugehen, die in Ton ausgebaut werden. Es hat sich auch immer deutlicher gezeigt, dass ein Kompromiss zu finden ist, zwischen moderner Vinifizierung, Barrique (Holz) und langsamer Ausbau in Ton. Es ist aber nicht nur die Rückkehr zu historischen Ausbaumethoden, es ist auch die Rebsorte, die hier nicht ganz alltäglich ist. «Tinta de Toro» ist nicht die übliche Tempranillo-Traube, sondern etwas kleiner, dickschaliger, mit höherem Tanningehalt, aus der in der Regel kräftige Weine entstehen. So jedenfalls waren meine Erwartungen. Was ich dann im Glas hatte, war ganz anders. Sehr fruchtig, aber weich, zurückhaltend, elegant, mit angenehmer in Fülle im Gaumen, die Tannine geschliffen, feinkörnig und durchaus verbindlich (auch nicht aufsässig in der Säure). Ein «warmer» Wein, der sich trinkig anfühlt und seine leichte Fruchtigkeit bis in den Abgang trägt und erstaunlich lange nachklingt. Kein aufregender Wein, weil er seine Kanten offensichtlich irgendwo liegen gelassen hat. Eher ein stiller Wein, der aber grosse Harmonie ausstrahlt und beachtliche Eigenständigkeit.
Darüber schreibt man doch nicht: Beaujolais Nouveau. Das ist kein Wein, das ist ein alkoholisches Getränk, das möglichst rasch getrunken werden muss. Und der Tag, an dem die ersten Flaschen auf den Markt kommen, ist tüchtig in Verruf geraten. Eine Art Wein-Halloween, eine Mischung von Tradition und Kommerz, stark Amerika orientiert, wo der Beaujolais Nouveau – vorrangig in den 90er-Jahren – in Massen abgesetzt werden konnte. Eigentlich ist das traditionelle Fest eine «Erfindung» des vergangenen Jahrhunderts. Vorher war Sankt Martin (11. November) der Tag, an dem traditionell der neue (noch sehr junge Wein) in Frankreich gefeiert wird. Ähnliche Traditionen gibt es auch in anderen Weinregionen (zum Beispiel in Portugal «mit dem „vinho verde“), doch nur der neue Beaujolais hat es geschafft, zu einer weltweit verbreiteten Marke zu werden und zu einem Fest, das sich - zumindest in Frankreich (mit Ausnahme im Gebiet von Beaujolais (Lyon)) - weitgehend in die Bars verzogen hat.
Doch, was ist vom Wein zu halten? Spätestens bei dieser Frage treten bei Weinfreunden meist Runzeln auf, meist wird ihr Widerwille lautstark kundgetan: «Von Beaujolais Nouveau spricht man nicht!» Dem füge ich – als Weinfreund – bedenkenlos bei: Den trinkt man. In guten Jahren (und bei bestimmten Anlässen) sogar mit Genuss. Da lohnt es nicht, Punkte zu vergeben oder sich in feinsinnige Diskussionen zu verstricken. Das tue ich ja bei «Cola» auch nicht, obwohl es da – habe ich mir sagen lassen – auch grössere Unterschiede geben soll. Man muss dem Wein auch nicht das abverlangen, was man sonst bei Weinen tut: Erkennbarkeit, hohe Winzergunst, orgastische Geschmackserfahrungen: kurzum «hohe» Weinkultur. Meine bisherigen Erfahrungen - in der Regel einmal im Jahr – haben nicht dazu geführt, den Beaujolais Nouveau zu klassifizieren oder ein Weingut oder Lieblingswinzer auszumachen. Ohne das Brimborium rund um den Wein, bleibt er das, was er in diesem Fall ist (oder sein will), ein gutes, frisches (als Wein – sogar als Gamay – erkennbares) gutes Getränk, das eher an den Sommer erinnert, als dass es die einsetzende Winterkühle oder -kälte erträglicher macht.
Es ist ein Liebhaberwein, «nur» fünftplatzierter in der Rangordnung der Cru Classé von 1855, aber schon seit Jahren ein ausgezeichneter Wein, heute nahe bei den 2ème Cru. «Superdelikat und
zum Ausflippen schön», so der Kommentar eines Weinhändlers meines Vertrauens zum Jahrgang 2018. Oder zum Jahrgang 2018: «IIn Vollendung». Wenn Grand Puy Lacoste trotzdem nicht in den Sog der Spekulationspreise geraten ist – auch nach Jahren nicht – liegt der Grund doch bei der seit 167 Jahren
«festgemauerten» Klassifikation der Médoc-Weine. Ein Umstand, der das Bordeaux-Preisgefüge immer wieder ordentlich durcheinander bring.
In diesem Fall haben wir es mit einem «alten» Wein zu tun, aus einem Jahr, das eher mittelmässig war. Zwar warm, doch gemessen am Folgejahr (1982) sogar bescheiden. Also blieb der Jahrgang – bis
heute – so gut wie «unbemerkt». So kam er – wohl in einem Auktionslot – auch in meinen Keller, wo er – gut gehütet – viele Jahre liegen blieb. Jetzt aber musste er ins Glas. Ich wollte es wissen.
Der erste Eindruck: langweilig. Abgebaut? Doch noch – sowohl in der Nase, auch in der Farbe, auch in der Harmonie noch voll präsent. Geleitet durch die (eher äusserlichen) Kriterien begann ich
den Wein zu beobachten, immer wieder zu testen, zu erfassen, zu erleben. Und siehe da: er entwickelte sich – in kurzer Zeit – zu einem Genusswein, wie ich ihn – unter den «Altweinen» - schon
lange nicht mehr angetroffen habe. Ja, er bäumte sich in seiner Altersstruktur auf. Führte immer mehr in die Tiefe, zu fast vollkommenen Noten, präsent, rund, harmonisch… Ein Wein, der zu seinem
Alter steht und nicht vorgibt, etwas anderes zu sein, als ein guter, ein genüsslicher Wein.
Weder das prächtige Château, noch die Qualität des Weins, werden in der Klassifizierung aus dem Jahr 1855 gebührend gewürdigt: «nur» troisiéme cru classé. Dabei hat das Weingut nicht nur eine stolze Geschichte (im 17. Jahrhundert Hoflieferant des «Sonnenkönigs»), auch seine Besitzer hatten Rang und Namen. Charles Palmer (1777 –1851) – von ihm hat das Château den Namen - war Politiker, Generalmajor und Weinbauer, ein reicher Mann, bis er kurz vor dem Tod in Konkurs ging und „von denen gemieden wurde, die ihn einst umworben haben“. Von den guten Zeiten des Châteaus ist einiges übrig geblieben (oder wieder auferstanden), als in den Dreissigern (des 20. Jahrhunderts) drei Familien (Mähler-Besse, Ginestet und Mialhe) den Rest des einstigen riesigen Weinguts (160 Hektaren) übernahmen. Wer die Bedeutung und Geschichte des Weinguts nicht kennt, bekommt die $würde und Qualität spätestens beim Kauf der Weine zu spüren. Eine Flasche «Palmer» kostet heute (je nach Jahrgang) annähernd so viel wie einer der fünf Premier Crus im Médoc (um 400-500 Franken). Interessant ist der Zweitwein, «Alter Ego», der eigentlich kein Zweitwein ist, sondern eine zweite Marke, die es seit 1998 gibt. Der frühere Zweitwein, «Réserve de Général» (von jüngeren Rebstöcken und aus schlechteren Lagen), wird nicht mehr produziert. Man wollte mit «Alter Ego» einen neuen Wein machen, mit gleicher Qualität wie der Erstwein «Palmer», der durch andere Vinifizierung und ein anderes Verhältnis der Rebsorten, einen Wein machen, der deutlich früher konsumiert werden kann. Mit der Betonung auf
Frucht ist er «geschmeidig, rund, intensiv und frisch» schon nach wenigen Jahren. Mein Fehler ist es, dass ich den Wein nicht «jung» getrunken habe, sondern ihm (wie dem «Palmer») mehr als zwanzig Jahre Kellerlagerung gegönnt habe, so, dass ich jetzt nicht weiss, ob er sein Versprechen gehalten hat, bereits als «Jungwein» höchsten Genuss zu bieten. So wie er sich jetzt präsentiert, ist er etwas weniger intensiv, deutlich weniger frisch, bereits abgeklärt und mehr harmonisch als aufregend ist. Der pralle, Terroir-geprägte Charakter, die Erdigkeit, des Erstweins erreicht er nicht. Noch ein Wort zum aktuellen Preis (Jahrgang 1999): «Palmer» ca. 250-300 Euro; «Alter Ego» um 100 Euro. Gekostet hatte er damals 35 Euro. Auch überlagerter Wein kann noch grossartig sein. Aber nicht zwangsläufig.
« …, das Gute liegt so nah!» Dies kommt mir in den Sinn, wann und wo auch immer ich Barolo oder Barbaresco im Glas habe. Das ist leider nicht allzu häufig. Warum nicht? «Die Macht der Gewohnheit», um sprichwörtlich weiterzudenken. Frankreich, Österreich, Argentinien, sogar Südafrika und Australien, liegen für mich weinmässig viel näher. Eigentlich wäre das Piemont aber näher, so nahe, dass ein Besuch ein Katzensprung» wäre. Weinmässig erst noch spezieller, eigenständiger und spannender, denn die Rebsorte Nebbiolo gibt es fast ausschliesslich hier, im Nordwesten Italiens. Meine Annäherung an diese Traube (und ihre Weine) hat schon einige Begegnungen hinter sich: intensive, flüchtige, erstaunliche, begeisternde. Doch nie hat die Liebe – besser: die Bekanntschaft – so richtig überdauert. Wie ein Gewohnheitstäter bin ich immer wieder zurückgekehrt zum Cuvée à la bordelaise, zum vertrauten Pinot Noir, sogar zum eigenwilligen Pinotage oder dem speziellen Garnacha aus dem Priorat. In vielen Gebieten der Welt gibt es gute, ja sensationelle Weine. Weine, die sich – sobald einmal «Wurzeln geschlagen» – fast flächendeckend in der Weinszene ausbreite. Der Barolo – hundert Prozent Nebbiolo – ist und bleibt ein «Italiener», seit Hunderten von Jahren schon. Irgendwie ist er sesshaft geblieben, mit seiner Langlebigkeit und Eleganz. Für mich – ich gebe es zu – immer wieder etwas Besonderes, abgehoben, entflohen, den vielfältigen – oft auch austauschbaren – Weinbegegnungen. So etwas, wie der bekannte Unbekannte. Dafür ist dieser Barolo, der schon acht Jahre «alt» ist, im Erleben und Auftritt aber noch blutjung, ein genussvolles Beispiel. Seine Tannine: bereits geschliffen, in eine Aromenvielfalt ausgebreitet, Blumen und Früchte in der Nase, im Gaumen bis in den langen Abgang hinein. Trotz seiner Intensität (und Kraft) unaufdringlich fein. Kein «Wow-Wein», vielmehr ein kleines Kabinettstück, ausgebaut im «Fuder» (grosses Holzfass), nicht eingepresst im sonst üblichen gewordenen Barrique. Ein Wein, der viele Töne anschlägt, nicht überlaut, nicht herrschend, eher an der langen Leine gehalten. Vielleicht liegt der Grund, dass ich die Barolos und Barbarescos nicht oft in den Alltag einbette, weil ich Angst habe, dass sie dort erschlagen werden. Nicht weil sie schwächlich sind, sondern weil ihre Kraft und Intensität nicht an geschwollenen Bizeps zu messen ist.
Irgendwie ist der Jahrgang 2001 in Bordeaux durch das Sieb des Interesses gerutscht. «Eingeklemmt» zwischen dem Jahrtausend-Jahrgang (2000) mit entsprechendem Kauf- und Preisrausch, dem frühreifen 2003 (tropisch heisser Sommer, fast wie dieses Jahr) und dem nachträglich stark aufgewerteten 2005er. Einzig der deutlich gesenkte Preis – nach dem überbordenden 2000er – konnte dem Jahrgang etwas Schub geben. Tatsache aber ist: dass der 2001 bei den Händlern lange liegengeblieben ist. Jetzt, gut zwanzig Jahre später, präsentiert sich der Wein – wie so oft bei Langzeit-Beurteilungen – viel besser als sein Ruf. Die «Comtesse-de-Lalande» allerdings – lange Zeit dem Nachbarweingut «Pichon-Longueville au Baron» ebenbürtig (für mich sogar bevorzugt!) – schlitterte bereits in eine (leichte) Krise. Die energische «Schlossdame». May Elaine de Lencquesaing, dachte bereits an ihren Rücktritt, fünf Jahre später wurde das Weingut an das Champagner-Haus Roederer verkauft (Aktienmehrheit). Wie gesagt, zwanzig Jahre nach der einstigen Kauf-Entscheidung (en Primeur) sieht vieles ganz anders aus. Der einst eher harte, tanninreiche Wein ist weicher, zugänglicher, eleganter geworden. Auch dezente Süsse in der Nase. Die Frucht ist noch da, von zarten orientalischen Holztönen begleitet, deutlich auf dem Weg zu Tertiäraromen (getrocknete Früchte). Weil er noch immer saftig ist, bis tief in den erstaunlich langen Abgang hinein, würde ich den Wein dem höher dotierten «Baron» - der noch immer etwas brachial ist - vorziehen. Aber eben, den «Baron» hatte ich schon länger nicht mehr im Glas. Ich werde bald – solange der Eindruck der «Comtesse» noch lebendig ist – den «Baron» des gleichen Jahrgangs – an einem schönen Herbstabend- trinken. Herbst in der Natur, Herbst im Wein. Nomen est omen.
Ab und zu treffe ich auf Weine aus Gegenden, die ich noch nie im Glas hatte. Vor allem in Restaurants, in denen ich etwas ratlos die Weinkarte durchstöbere. Rasch noch ein «Zweierli Roten», vor dem Schlafen, nach dem Theater oder Konzert, mit Freunden, in einer zufällig ausgewählten Wirtschaft (die in der Nähe liegt, und noch offen ist). So zum Beispiel kürzlich in Oberammergau (Bayern), wo ich es wagte, einen Bordeaux-Blend zu bestellen, ganz einfach, weil bezüglich Traubensorten der Abend mit Vertrautem ausklingen soll. Ok, Cabernet-Merlot sagte ich mir, Kurtatsch hingegen sagte mir nichts. Also rein geschnüffelt, rein geschluckt. Vielleicht nicht ganz so wohlwollend, weil mir Bordeaux aus Norditalien (Südtirol) eher exotisch schien. Mein erster, spontaner Kommentar: noch jung. Das mit der Harmonie – so mein Eindruck – hat noch nicht ganz funktioniert. Irgendwie schien mir der Wein aufgeregt, sogar etwas aggressiv. Die Säure erdrückte die Frucht, und die Frucht verlief sich in der Mineralität. Es war nicht die geschmeidige Belanglosigkeit, die in solchen Momenten bei Weinen dieser Preisklasse (etwa 15 € ab Hof) eine Wohligkeit aufkommen lassen. Es war kein Schlummertrunk, vielmehr ein eigenständiger – sogar eigenwilliger – Wein, der geradezu nach etwas Fingerfood verlangt hätte, zum Beispiel nach einem speckumwickeltes «Häppchen». Doch so etwas war um diese Zeit nicht zu bekommen. So blieb es also beim Wein und der Hoffnung von gutem Schlaf. Und das hat funktioniert. Irgendwie habe ich von einer Weingegend geträumt, die ich nur schlecht kenne, wo aber Wein aus dem Boden quillt und im Glas immer weicher und eleganter wird. Ich habe mich – wenigstens im Traum – angenähert und er hat mich anscheinend doch wohlig bis tief in den Schlaf hinein begleitet.
Der Wein war noch kaum im Glas, wurde ich schon gefragt: «Wie schmeckt er?» Die Antwort: «harmlos», um gleich zuzufügen: «kalt und ohne Fehler». Damit wollte ich ausdrücken: «Wenn der Wein so kalt serviert wird (es war ein sehr heisser Sommertag), dann sind die feinen, differenzierten Chardonnay-Töne noch nicht zu erkennen. Nur Fehltöne würden auffallen». Ich hatte recht. Auch etwas länger im Glas war der Wein unauffällig, durchaus süffig, aber ohne breites Spektrum, wenig Tiefe, bescheidene Aromatik. Chardonnay ist die bekannteste (und wohl auch beliebteste) Rebsorte für runde schöne Weissweine. Sozusagen angepasst an die Terroirs in nahezu allen Weingebieten der Welt, gibt es eine grosse Spannweite in seiner charakteristischen Aromatik, vom komplexen bis zum einfachen Wein. Vorbild – zumindest in den Köpfen der Winzer, aber auch der Konsumenten, ist sicher der Burgunder (von wo der Chardonnay kommt), also eher aus der Mitte oder dem Norden in Frankreich. Dieser Chardonnay wird aber in der heissesten Region des Landes an- und ausgebaut, in der Languedoc, ganz nahe vom Mittelmeer. Eigentlich ist dies eine Rotweingegend, Weisswein – in grösserem Umfang – wird hier erst in den letzten Jahren vinifiziert. Entsprechend sind die Erfahrungen auf vielen Weingütern noch bescheiden. Ich weiss nicht, ob es an der Erfahrung liegt oder in der Philosophie der Domaine, dass dieser Wein bescheiden wirkt, jedenfalls ohne Ecken und Kanten und leider auch im Spektrum der Aromen brav. Mehr als unauffällig, schon eher «harmlos». Dies kann durchaus ein passabler Basiswein sein (Kosten im Handel so um 10 CHF), die Sélection Parcellaire (vom gleichen Weingut) ist eindeutig der prägnantere Wein, aber nur etwa 6 CHF teurer.
Auf Auktionen gibt es noch immer sogenannte «Schnäppchen»: Weine, ausserhalb des Bordeaux/Burgunder-Angebots. Vor Jahren gab es noch die «Schnäppchen-Jäger», welche preiswerte Angebote suchten, um sie dann mit etwas Gewinn wieder zu verkaufen. Diese «kleinen Geschäfte» haben weitgehend aufgehört, sie laufen jetzt vorwiegend über Internet-Plattformen, zu gross ist der Aufwand für Saal-Auktionen.
Trotzdem treffe ich immer wieder auf gute Weine, meist aus Regionen, die als «wenig auktionswürdig» abgestempelt und dort fast schon «verhökert» werden. Eine Entdeckung, dieser Zweigelt aus Gols im Burgenland. Österreichische Weine haben in den letzten Jahren viel an Renommee gewonnen, sind aber noch lange nicht dort, wo für eine einzige Flasche 100 und viel mehr Franken hingeblättert wird. Es ist auch nicht ihr Ziel, im Konzert der Auktionsweine mitzuspielen. Was aber in immer und immer wieder, das sind Winzer in Österreich, die eigenständig und oft eigenwillig ihre Vorstellung von Qualität im Wein umsetzen. Werner Achs gehört zu ihnen. Er konzentriert sich auf zwei, drei spezielle Weine, die in ihrer Art fast schon einmalig sind. Die Cuvée XUR, ausschliesslich aus autochthonen Rebsorten und den klassischen Zweigelt, der vor allem in Österreich zu Hause ist. Obwohl eine verhältnismässig junge Züchtung (1922) hat sich die längst Rebe durchgesetzt, leider aber – so meine Erfahrung – hat aber immer mehr von seiner Eigenständigkeit verloren, seinen eigenen Charakter, verloren. Er ist sozusagen «international» geworden. Ein Phänomen, da nicht nur beim Zweigelt zu beobachten ist. Man hat mir aber schon lange versichert, dass es den «unverkennbaren» Zweigelt, in seiner speziellen Fruchtigkeit, mit seiner speziellen Würze und seinem eigenen Charakter gibt: viel Vanille (nicht geschmäcklerisch süss), Paprika, Kirsche, Brombeeren… Alles sehr prägnant, erkennbar, geniessbar, jedenfalls dann, wenn der Ertrag stark reduziert und der Wein «kräftig», um Qualität bemüht, ausgebaut (und nicht einfach in neues Barrique gestopft) wird. Dieser Zweigelt vom Goldberg (der Name ist Omen) erfüllt diesen Anspruch und hebt sich von fast allen Weinen diese Rebsorte ab, die ich bisher getrunken habe. Weitaus die meisten von ihnen waren eher dünn, zwar trinkig, aber mit wenig eigener Artikulierung, ein eher flüssiger, glatter Trinkstil. Das verleitet mich zu sagen: ein anderer Zweigelt. Selbst nach acht Jahren – und wohl etwas zu alt – noch deutlich anders.
La vie en rose(é) hat einen Dämpfer erhalten. La Canicule ist - mindestens vorläufig – überstanden und damit auch meine
Stippvisite durch die Welt des Rosé. Der rosige Besuch wird ab- oder zumindest unterbrochen. Bisher waren es Languedoc-Weine, die ich konsumiert und kommentiert habe. Jetzt habe ich mich etwas östlicher umgesehen, in der Provence, dem Kernland des Rosé. Hier haben die Produzenten und Weinverbände Alarm geschlagen, als EU-Vorschriften zulassen wollten, dass Rot- und Weisswein zu Rosé verschnitten werden dürfen. Eine Massnahme, welche mehr Wettbewerbs-Gerechtigkeit bringen sollte, denn in vielen Ländern und Regionen ist dies erlaubt. Nicht aber in Frankreich, schon gar nicht in der Provence, wo bis zu 80 Prozent Rosé-Weine hergestellt werden. Aufgrund der Beschaffenheit des Bodens (von Schwemmland bis zu Felsen), den vielen zugelassenen Rebsorten und der zwar heissen, aber unterschiedlichen Klimas, gibt es keinen einheitlichen Roséstil. Im Gegenteil, es wird eine Vielfalt von Rosés angeboten, wie kaum sonst in einer Weinregion.
Was mich an diesem Rosé stört, das ist seine Bezeichnung: «Grand Réserve». Ein «grosser» Wein ist es wahrlich nicht, auch nicht ein teuer, so um 8 Euro. Eigentlich bin ich – aufgrund der - in den letzten Wochen - gemachten Erfahrungen – enttäuscht. Der Wein ist leicht fruchtig und prickelnd. Den Rebsorten (vor allem Grenache und Cinsault) werden keine aufregenden Aromen entlockt; etwas Grapefruit und Mango; er ist weder ganz trocken noch süss; ausgewogen könnte man sagen oder auch «brav»; böse Zungen meinen sogar «langweilig». Eher blass in der Farbe; im Auftritt, unauffällig; ein Wein, den man eher in den «Supermarchés» antrifft, als beim Weinhändler.
Gérard Bertrand: Sphère, Rosé (Cinsault,
Pinot Noir, Grenache), Languedoc, Frankreich
Dieser leicht perlende Wein ist verknüpft mit einem berühmten Namen: Gérard Bertrand, 2020 ausgezeichnet als ««Green Personality of the Year». Doch, ganz so einfach ist es nicht. Das berühmte Weingut «Château l'Hospitalet» in «La Clape» (Narbonne), welches Bertrand seit 2002 gehört, ist so etwas wie das Herz «der Lebensfreude» im Languedoc, verbunden mit Hotel, Gourmetrestaurant, Kunstraum, Führungen, Veranstaltungen, Seminare, alles rund um Wein.
Der umtriebige «Weinmacher» ist mit etwa 15 Weingütern und mehr als 800 Hektaren Rebfläche eine Weininstanz im Languedoc. Einer der Ideen entwickelt, Trends vorgibt, auf vielen «Weinbühnen»
tanzt. Die Bio-Dynamik im Weinbau – die er massgeblich in die südlichste Weinregion Frankreichs gebracht hat – ist nur eine seiner Ideen für nachhaltigen, modernen Weinbau.Eine andere ist die
Vermarktung, die Verknüpfung eines Lebensgefühls mit Wein. Dazu passt dieser «Rosé» ausgezeichnet. Ein nicht ganz übliches Produkt zur Vermarktung von Gefühlen. Weintechnisch gesehen: ein
Sillwein, mit einem geringen Anteil von eigenem Kohlendioxyd. So wenig, dass es noch lange nicht ein Schaumwein ist. «Sphère» ist ein «echter» Rosé, vinifiziert mit kurzer Mazeration und dem Bemühen, viel an „endogenen“ (eigener) Kohlensäure (entstanden bei der Vergärung des Traubenmosts) im Wein
zu behalten. Die kleinen „Perlen“ im Wein geben ihm Frische und animieren zu „Fröhlichkeit“. Mediterranes Lebensgefühl als Antwort auf die aktuelle brütende Hitze.
„Fines Bulles“ steht auf der Flasche (Schraubverschluss), darunter «Lightly Bubbly». Ein Hinweis, für wen dieser Rosé gemacht wurde: mehrheitlich für die vielen Touristen, die den
meist heissen Sommer hier am Meer verbringen. Auch die übrigen, obligatorischen Angaben zum Wein (und eine kurze Beschreibung) sind sowohl in französischer, als auch englischer Sprache auf der
Etikette zu lesen. Nichts Aussergewöhnliches, doch auch ein Hinweis, dass der Wein exportiert wird oder – wie hier – für den Absatz im touristischen Bereich gedacht ist. Um einmal Klischees zu
verwenden: ein typischer «Frauenwein», leicht (11%vol.), fruchtig, «verschmitzt», ein angenehmer Sommerbote. Weinkenner sehen dies wohl anders. Doch hier gilt, weit mehr als in anderen
Weinbereichen: Wein soll Spass machen.
Es ist ein kleines Weingut (7 ha) in einer für den Anbau von Reben ausgezeichneter Lage, auf der Terasse von Larzac. Die drei Rotweine der jungen Domaine (errichtet 2017) haben in der kurzen Zeit bereits Beachtung und Akzeptanz erlangt. Jetzt wurde zum ersten Mal auch ein Rosé gemacht, aus den hier üblichen Rebsorten Syrah und Grenache (wie die Roten). Beim Rosé sind es vorwiegend drei Eigenschaften, die einen Wein prägen: Frische, Frucht und Süsse. In den letzten Jahren ist es auch der hohe Anteil an Alkohol (%vol), der den Weinen ihre angestrebte Leichtigkeit und Frische nehmen. Wie weit die Tannine sich bereits integrieren, ja sachte verschmelzen, kann als weiteres Indiz für die Qualität eines Rosé beigezogen werden. Es ist nicht ganz einfach, bei einem kühl getrunkenen Wein die Fruchtnoten schon in der Nase festzumachen, spätestens aber im Gaumen sollten sie sich entfalten. In diesem Fall von leicht beerigen Noten bis zu leisen Apfelaromen. Die Säure und der Schmelz sollen noch bis in den Abgang hinein spürbar sein. Die alles tippt dieser Rosé an, doch zu wenig deutlich, zu unverbindlich. Kein schlechter Rosé, doch einer, der sich deutlich entwickeln kann. Vielleicht beim nächsten Jahrgang, wenn er den Mut hat, das zu sein, was er sein könnte.
Weder Weiss, noch Rot: Rosé
Domaine Puech-Haut: "Argali"
Mal etwas blasser, mal etwas farbiger: weiss, gelb, ocker, rosé. Mal sanft, mal etwas kräftiger, mal ruhig fliessend, mal perlend hüpfend. Rosé, der Wein, der sich Wein nennen darf und doch kein richtiger Wein ist. Man sucht umsonst nach Kriterien, um ihn zu messen. Die einzige Konstante: er wird kühl, ja kalt getrunken. «Brennend heisser Wüstensand… kein Gruss, kein Herz…alles liegt so weit, so weit…» Ein Getränk für jene Stimmung, die Freddy einst geschaffen hat, als fiktiver Legionär im heissen Wüstensand. Träume, Gefühle, Kitsch?
Kein Wunder, wird Rosé in der ernsthaften Weinkritik weitgehend ausgeblendet. Aber er wird getrunken. Wenn es heiss ist, auch von jenen, die darüber spotten. Zu den besten Rosés im Languedoc gehört sicher der «Argali» von der Domaine Puech-Haut, einem renommierten Weingut nördlich von Montpellier, wo auch hervorragende Rotweine vinifiziert werden. Dieser Rosé – mit Stempel Préstge – zeigt, wie wichtig Rosé-Weine im Süden Frankreichs (nicht nur hier) auch für Top-Weingüter sind, nicht nur, weil es auch ein gutes «Sommergeschäft» ist, sondern weil es zum Ruf eines guten Winzers gehört, einen guten Rosé machen zu können. Denn es ist gar nicht so einfach Frucht und Eleganz, Blumigkeit und Frische in den kühlen Wein zu bringen (getrunken wird er zwischen 8 und 10 Grad). Solche Préstige-Rosé (es gibt sie, allerdings nicht in Massen) kosten rasch einmal 15 – 25 CHF. Was in südlichen Regionen mehrheitlich angeboten und auch getrunken wird, das sind Rosés, die zwischen 4 und 8 Franken kosten. Je nach verarbeiteten Trauben (Rebsorten) und Vinifizierung (wichtig ist der Zeitpunkt von der Trennung von der Maische) entstehen ganz unterschiedliche Rosés. Es ist nicht ganz einfach, in den langen Reihen von Rosés der verschiedenen Weingüter in den Regalen jenen herauszupicken, der den eigenen Vorlieben (Geschmack, Alkoholgehalt, Eleganz, Süsse etc.) gerecht wird. Ich werde deshalb in den nächsten Tagen einige Beispiele vorstellen, von sogenannten Alltags-Rosé, die ich in den letzten (heissen) Tagen getrunken habe.
E.A.R.L. des Eyrins: Cru Monplaisir 2005, Margaux, Bordeaux, Frankreich
Verführerisch klingende Namen wie «Monplaisir» sind Weinliebhabern immer etwas «verdächtig». Dahinter verbergen sich oft sogenannte «Industrieweine», exklusiv für Discounter oder spezielle Verkaufskanäle produziert und mit einem eigenen Label versehen. Das ist bei diesem Wein nicht der Fall, obwohl er nicht
den Namen des produzierenden Weinguts «Château des Eyrons» trägt, weil er kein A.O.C.-Margaux ist (Gemeinde-Appellation), sondern ein Bordeaux supérieur (A.O.C. Bordeaux). Es sind fünf Hektaren des Weinguts, die nicht vom berühmten Namen der Appellation «Margaux» profitieren können und deshalb im Preis günstiger sind. Tatsächlich habe ich den Wein damals – im guten Weinjahr 2005 – auf der Suche nach «bezahlbaren» Weinen für den Alltag entdeckt, sozusagen ein «Alltagsbordeaux», der vor allem zu Fleischgerichten passen wird. Also kein «dünnes» Weinchen, dass sich zwar «Bordeaux» nennt, aber an Kraft und Eleganz den «teuren» Bordeaux weit hinten ansteht. Gibt es überhaupt so etwas, wie einen Bordeaux in der Preisklasse um 15-20 Franken, der wirklich wenigstens einen Hauch von Bordeaux in sich hat und nicht einfach ein Blender ist oder sich hinter dem «Holz» versteckt. Eine Frage, die sich Anbetracht der Preisentwicklung im Bordelais immer häufiger stellt. Damals, vor bald zwanzig Jahren, war der «Run» auf «bezahlbare» Bordeaux noch kleiner. Heute bieten gute Weinhändler immer mehr auch sogenannt «kleine Weine» an, die durchaus im grossen Bordeaux-Konzert mitspielen können, wenn auch nicht als Solisten oder in der ersten Formation. Eine andere Frage betrifft die Haltbarkeit der Weine. Müssen die «Kleinen» früh getrunken werden (was heute auch ein Trend ist) oder profitieren auch sie von einer Flaschenreifung von 10 und mehr Jahren? Ich habe den Wein – wie die «grösseren» Weine – bewusst im idealen Weinkeller liegen gelassen und jetzt – zusammen mit einem vergleichbaren «Marquis d’Alesme-Becker» (3ème cru), 1996, verkostet. Da zeigte sich der Unterschied deutlich. Der neun Jahre ältere Wein hat sich besser entwickelt, ist runder, geschmeidiger, auch tiefer und prägnanter geworden, hat die Tannine feingliedrig verwoben und einen guten Rest an Frucht konserviert. Während der jüngere «Monplaisir» eher flach, ausdrucksschwach, wenn auch kräftig geblieben, aber leicht eckig geworden ist. So leicht lässt sich «Bordeaux» halt doch nicht übertölpeln.
Von der Küste bis zum Himmelstor ist es ein langer Weg. Nicht steinig, nicht beschwerlich, durchaus gangbar, aber etwas teuer, wenn man ihn als Weinerlebnis definiert. «La Côte» (die Küste) ist der «Basiswein» des hochklassigen Weinguts «La Négly», ganz im Süden der Languedoc, hoch über der Mittelmeerküste. «La Porte du Ciel» (das Himmelstor) ist in diesem Fall auch im Weingut zu finden. Es ist Spitzenwein («haut de gamme») das Châteaus. Dazwischen liegt die Klippe «La Falaise», ebenfalls ein fruchtiger, intensiver und strenger Wein, im Geschmack ein «veredelter» Einheimischer, aus den Rebsorten Syrah, Grenache, Garignan und Mourvèdre. Über die beiden letzten Weine wurde schon oft – meist überschwänglich – geschrieben. Rund um den Basiswein «La Côte» ist es eher ruhig geblieben in den Weinnotizen: nicht der Rede wert, halt nur ein «Basiswein». Dieses Denken ist grundsätzlich falsch, bei «La Négly» geradezu ein Sakrileg. «La Côte» ist die Grundlage für das, was in den anderen Weinen des Châteaus – subtil entwickelt und austariert – voll zum Tragen kommt: Kraft, an Tiefe, an Raffinesse, Schönheit. Kräftig ist er, der Basiswein, voll von würzigen Kräutern des Südens und auch unglaublich «süffig», zu einem guten Stück Fleisch geradezu «himmlisch», ein Stück Weinvermächtnis der Languedoc. Und sein Preis – um 15 CHF – bereits paradiesisch, leider - in unserer Gegend (Schweiz, Deutschland) - eher schwierig zu bekommen, weil er oft schon rasch ausverkauft ist und verhältnismässig von wenigen guten Weinhandlungen angeboten wird. Der "Porte du Ciel" musste schon vor Jahren subskribieren werden, damit man ihn kaufen konnte. (Was sonst fast nur beim Bordeaux üblich ist)
Château d'Escurac 2004, Cru Bourgeois, Medoc, Bordeaux, Frankreich
Der «Run» auf Bordeaux-Weine im Preisbereich um 15 bis 25 Franken pro Flasche hat nicht ab-, sondern deutlich zuge-nommen. Seit Spitzenweine für «Normalkonsumenten» so gut wie unerreichbar sind und
sich klassifizierte Châteaux immer mehr am Endpreis von 100 Franken orientieren, sind gute und noch erschwingbare Bordeaux mehr denn je gesucht. Früher waren es sie «Geheimtipps», die aber bald nicht mehr so «geheim» waren und auch «industriell» produzierte Weine - wie Mouton Cadet – immer häufiger zum Bordeaux-Groove definiert wurden. Der Bordeauxkenner – «Master of Wine» (nicht mehr der einzige in der Schweiz) – hat diese Entwicklung früh erkannt und eine ganze Palette von «günstigen» und doch eigenständigen Bordeaux zum Preis um 20 Franken in seine «Selection Bordeaux» aufgenommen. Man brauchte aber nicht auf Schwander zu warten. Schon früher war zum Beispiel Château «D`Escurac» einer dieser «günstigen» Bordeaux. Ein Wein, der regelmässig so um 88/100, ja sogar 89/100 Punkte erringen konnte. Heute «D´Escurac» sowohl im besseren Fachgeschäft, als auch beim Discounter erhältlich. Die Frage ist nicht, ob er seinen Preis wert ist, sondern wie lange er gelagert werden kann, oder gelagert werden muss. Das Lagerungsproblem wird immer drängender in einer mobilen Gesellschaft. In der Regel sind Weine in dieser Preisklasse schon ganz jung gut zu trinken. «D´Excurac» eigentlich auch. Doch er kann auch gelagert werden und durchläuft eine Flaschenreifung, die beachtlich ist. Dieser 2004er, immerhin 18 Jahre alt, nicht der beste Jahrgang, ist jetzt auf seinem Höhepunkt. Auf dem Höhepunkt eines «alten» gut gelagerten Wein. Er wird nur noch abbauen und kaum zu einem jener gesuchten Altweine werden. Dafür hat er jetzt Reife und Frucht, dafür hat es sich fast gelohnt, ihn etwas länger im Keller zu lagern. Ich weiss nicht, ob er in den meist angegebenen drei bis vier Lagerjahre besser ist. Ich weiss jetzt aber auch, dass sein Körper doch etwas zu schmächtig ist, um mehr als 10 Jahre in der Flasche zu warten.
Die kleine Flasche, die Hälfte des Volumens einer gängigen Flasche, ist in diesem Fall eine Rarität. Nicht vorgesehen zur Lagerung, eher für den noblen Aperitif. Nicht zum Trinken, zum Nippen, zum Testen, zum Geniessen, mit «natürlicher» Restsüsse. Die Rebsorte: Pinot noir, hier «weiss» ausgebaut. Das heisst, die Trauben werden ganz gepresst, sodass sie kaum Farbe an den Saft abgeben. Es entsteht ein Weisswein, aus roten Beeren, meist in zarter Lachsfarbe und etwas Restsüsse. Der Begriff «Federweiss» ist nicht eindeutig, er wird in verschiedenen Weinregionen unterschiedlich verwendet: zum Beispiel für «Sauser», in Gärung befindlichen Traubenmost. Die französische Sprache ist wesentlich präziser und verbindlicher: «Blanc de Noir» (Weiss aus Schwarz – oder eben aus Blau/Rot). Die Entwicklung der schwach alkoholischen Weine (hier 9% Vol.) wird auf drei bis vier Jahre geschätzt. In dieser Zeit sind sie fruchtig, kräftig, beerig, gehaltvoll… Und dann? Ja, dann beginnt der Abstieg. Dann setzt das ein, was sonst bei kräftigen «Altweinen» mit neuen, verklärenden, verführerischen Aromen umschrieben wird. Ein «Altfederweisser» habe ich bisher noch nie getrunken. Diese Flasche ist im Keller «liegengeblieben», weil sie von Gantenbein ist. Damals, vor bald zwanzig Jahren hat der renommierte Schweizer-Winzer experimentiert, versucht aus verschiedenen Trauben, mit verschiedenen Techniken das Beste herauszuholen, Erfahrungen zu sammeln. Kann man mir – dem Weininteressierten – verübeln, einen «Federweisssen» aus bestem Hause, so lange aufbewahrt zu haben , bis er «untrinkbar» ist? War er wirklich untrinkbar? Er hat standgehalten, aber viel von dem verloren, was ihn einmal ausgezeichnet hat. Er ist aus der Harmonie geraten,
hat Firnis angesetzt, die schmale Säure vermag ihn nicht mehr zu stützen. Doch – es ist das Verdienst der gekonnten, sorgfältigen Weinbereitung, der engagierten Arbeit im Weinberg, dem unbändigen Willen, jedem Wein ein «Gesicht» zu geben (auch einem Federweissen), dass der Wein trinkbarer geblieben. Und erst noch mit ganz speziellen Noten. Eigentlich ein Wein-Abenteuer.
Les vignerons de Farinet: Les Sang de terre
2000, Saillon, Wallis, Schweiz
Clos Montmartre, Cuvée "Michou" 200, Montmartre, Paris, Frankreich
Es muss nicht immer Bordeaux sein! Warum? Weil es nebst den Namen, der sensorischen Qualität, den Preisen, dem Prestige… noch anderes gibt, das für ein Weinerlebnis vielleicht sogar wichtiger sein kann: zum Beispiel der Mythos. Der Mythos des Weins, der Reben, des Konsums, der Geschichte. Als History würde ich dies bezeichnen, als Zeitreise, zurück, wo einmal etwas begonnen hat oder geworden ist.
Etwas, das im Wein – auf natürliche Weise – erhalten geblieben ist, als kulturelles Erbe. Mythen sind Geschichten, die im Kern wahr sind, die aber ihr Kleid immer wieder wechseln, und doch zeitlos bleiben. Von so einer kleinen History-Runde möchte ich erzählen. Sie war für mich echter, weiniger, erlebnisreicher als der Erst- und Zweitwein vom Bordeaux-Giganten «Latour», den wir an diesem Abend auch noch getrunken haben.
Die erste Geschichte handelt vom Schmuggler und Falschmünzer Joseph-Samuel Farinet (1845-1880), einem Robin Hood im Kanton Wallis, der das Gute wollte, indem er das Böse tat. Jedenfalls wurde er von der Polizei gejagt bis er unter «ungeklärten Umständen» in der wilden, steilen Salenzschlucht, starb, dort, wo er immer und immer wieder auf der Flucht war. Der Schriftsteller Charles-Ferdinand Ramuz hat die Geschichte in einen Roman verpackt und Farinet so ein
Denkmal gesetzt. Ein Denkmal, das bis heute – in Form des kleinsten, grundbuchlich festgehaltenen Weinbergs der Welt – weiterhin Früchte trägt. Im «Vigne à Farinet» stehen nur drei Rebstöcke, aus ihren Trauben – vermischt mit gutem Walliser-Wein – werden jedes Jahr 1000 Flaschen abgefüllt. Betreut von Persönlichkeiten aus Kunst, Politik und Wohlfahrt, schliesslich verkauft zugunsten «armer Leute». Der kleine Rebberg ist heute «Pilgerstätte» der «Legende Farinet», die noch immer
verehrt wird, weil sie für etwas steht, was Abbé Pierre (langjähriger Besitzer des Rebberges) in seinem Werk «der Nächstenliebe» geschaffen hat. Heute gehört der Rebberg – ebenso symbolträchtig – dem charismatischen Mönch Dalai Lama.
Die zweite Weingeschichte spielt in einer grossen Stadt, einer Weltstadt, in der auch viel Kunst und Künstler zu Hause waren und heute noch sind. Auf dem Montmartre in Paris, wo es einen Rebberg gibt. Nicht so klein, wie der von Farinet, im kleinen Dorf Saillon im Wallis (2000 Einwohner). Aber auch nicht gross und immer mehr bedrängt von einer wuchernden Grossstadt und den vielen Touristen, die das Quartier «La Butte» im 18. Arrondissement heimsuchen, Tag und Nacht. Es ist der Mythos eines «Künstlerdorfs», in dem Renoir, Degas, Cézanne, Van Gogh, Seurat, Toulouse-Lautrec und, und, und… gelebt, gemalt und auch (viel) Wein getrunken haben.
Sicher nicht nur den «Cuvée Michou» vom Clos Montmartre, der jedes Jahr aus dem Ertrag der knapp 16 Aren Reben gekeltert und dann für einen «guten Zweck» verkauft wird (das «Halbeli» zu ca. 50 Euro).
Vor 15 Jahren habe ich in einer meiner rund 220 Kolumnen im «wein-plus.magazin» über die Tradition dieses einmaligen Rebbergs geschrieben. Aus dieser Zeit stammt auch meine einzige und letzte Flasche vom Clos Montmartre, gut gelagert und gehütet im kühlen Keller. Vielleicht etwas wenig Qualität, dafür viel «History», und – man höre und staune – noch immer gut trinkbar. Etwas «sauer», doch das war er schon damals, als ich ihn zum ersten Mal getrunken habe. Sicher wenig Flaschenreifung, viel eher Bewahrung. Geschichte muss man nämlich bewahren, dann macht sie – auch beim Trinken – unglaublich viel Spass.
«Die braune Liesel kenn ich am Geläut», ein viel zitierter Spruch aus Schillers «Tell» (1. Aufzug, 1. Szene). Die «Liesel» ist eine Kuh und Hirten sprechen über ihr Verhalten, sobald ein
Gewitter aufzieht. Der prägnante Satz hat sich längst verselbständigt. Die «Kuh» ist meist keine Kuh mehr, das Geläut keine Glocke und auch die Farben wandeln sich. Der Sinn aber ist der gleiche
geblieben. Für mich ist dieses Zitat schon fast Leitsatz, wenn es darum geht, ein Restaurant auszuwählen, das ich nicht kenne. Die «Liesel» ist in diesem Fall die Weinkarte. Ihr Geläut: die
Weine, rot, weiss, rosé, natürlich abgestimmt an das Angebot auf der Speisekarte. Was taucht da auf: nur bekannte Namen und gängige Rebsorten, geschmeidig Bekannte und schillernde Unbekannte,
Zuflucht zur grossen Liste internationaler Gastroweine, Prestige- oder «Industrie»-Weine. Das Geläut, oft eine Kakofonie, die sich aus der Preiskalkulation ergeben hat. Besonders aussagekräftig
ist das, was im sogenannten «Offenausschank» angeboten wird. im Vergleich zu den Speisen – allzu oft das Getränk für eine billige Imbissecke. Grund genug, dass ich kaum «offene Weine»
bestelle.
In diesem Fall ist es ganz anders. Das Restaurant – früher eines meiner Lieblingslokale – war zwei Jahre geschlossen und hat einen neuen Pächter, eine neue Karte und andere Weine. Meinem
«Liesel»-Grundsatz getreu, konsultiere ich also – noch zu Hause – die Weinkarte. Oh Wunder: es geht auch anders, schon bei der Auswahl. Da gibt es einen «Räuschling» auch im Offenausschank. Eine
Spezialität, hier am Zürichsee. Zwar eine uralte Rebsorte, die – sorgfältig ausgebaut – eine sehr persönliche Visitenkarte sein kann. Ein Leckerschluck für Weinfreunde.
Und das Weingut: sehr persönlich, sehr individuell, sehr qualitätsbewusst. Ein Stück andere Weinwelt, eine schönere, eine typisch schweizerische Oase im Gastro-Wein-Betrieb. Sicher ist es nicht der allerbeste «Räuschling», den ich getrunken habe, aber es ist einer der besten Weissen im Offenausschank. Es ist ein Wein, den man nicht nur gerne trinkt, sondern auch gerne davon erzählt.
Ich erinnere mich an eine Aussage von drei Winzern, über ihr Ziel an einem Projekt «3R Räuschling», (zu der auch das Weingut Rütihof gehört), in der das Wesen des Rieslings mit einer Zürichsee-Stimmung umschrieben wird: «Die frische, kühle Luft über spiegelglatter Wasseroberfläche an einem Sommermorgen, die gespenstische Stimmung an nebligen Herbsttagen und die zum Greifen nah liegenden verschneiten Berggipfel an frostig-sonnigen Winter-tagen.» Etwas von dieser Stimmung vermittelt auch dieser – der «kleinere Bruder» - der beiden Räuschlinge vom Rütihof. Es ist eben «nur» der kleinere Bruder des R3 (eine Assemblage, von drei der besten Räuschling-Produzenten am Zürichsee). Aber auch kleinere Brüder wollen ernst genommen werden und wissen sich auch zu behaupten.
Allein schon der Name sollte hellhörig machen. "Pergué pas?", das ist der Ausdruck für "Pourquoi pas?" (Warum auch nicht?), ganz im Süden Frankreichs, im Pay d'oc. Da kommt der Wein auch her, aus einem Familienbetrieb (in der 6. Generation) im südlichen Teil der Appellation Fitou, nicht allzu weit von der spanischen Grenze entfernt. Ich habe das Weingut seit vielen, vielen Jahren immer wieder besucht.
Diesmal habe ich einen Wein «entdeckt», der wohl das Interessanteste ist, was ich in der letzten Zeit im Glas hatte. Die Frage ist berechtigt: „Warum auch nicht?“ Der Wein nimmt konsequent einen Trend auf, der in der letzten Zeit immer häufiger zu beobachten ist: mit weniger Sulfiden - in diesem Fall: keine bei der Verifikation zugesetzten Sulfide. Das ist in der letzten Zeit der dritte oder vierte Versuch von Sulfid reduzierten Weine, den ich wohlwollend, aber misstrauisch degustiert - nein getrunken - habe. Es ist der glücklichste «Versuch» mit nur dem natürlichen Anteil von Sulfiden im Wein auszukommen. Es zeigen sich plötzlich neue Aromen, feine, feingliedrige Nuancen im Geschmack, in der Nase, in der Harmonie - bis tief in den Abgang hinein. Die Rebsorte: 100% Grenache noir, genauer gesagt, der Grenache-Klon Lladoner (oder Lledoner), von einer sehr alten Rebe, die schon im Mittelalter (angeblich auf dem Pilgerweg von Saint-Jacques-de-Compostelle) in die Languedoc kam.
Heute prägt sie - vorwiegend im Verschnitt mit Mourvèdre und Syrah - den typischen Languedoc-Groove, der nur schwer zu beschreiben, aber hervorragend zu identifizieren ist: schwarze Kirschen, Beeren, getrocknete Pflaumen, Kakao, Garrigues. Hier aber dezent, fein in die Tannine gestrickt, in schlichter überzeugender Harmonie. Obwohl Grenache noir zu den meistangebauten Rebsorten der Welt gehört, ist dieser Wein anders; anders als die meisten Grenache, die ich getrunken habe. Er wandert nicht auf der Hauptstrasse der Corbières, er geht auf Nebenwege eher gemächlich, sogar eigenwillig, von sich selbst überzeugt, dahin und führt zu einem etwas anderen Weingenuss. Mich hat das überzeugt. Pourquoi pas?
Mas Granier: Les Grès 2018, Sommières, Languedoc, Frankreich
Oft begegnet man Weinen, die man an ganz anderen Orten erwarten würde: Zum Beispiel am Bielersee, selbst eine beachtliche Schweizer Weingegend, treffe ich einen Wein aus dem Süden Frankreichs. Aus einer Gemeinde, die zwar eine lange Weintradition hat, aber in der üppigen
Weinregion der Languedoc, in Sachen Wein eher «unauffällig» ist: Sommières, ganz im Süden des Departements Gard, bereits an der Grenze zur Languedoc. Ich stand in Sommières (etwa 5'000 Einwohner) schon vor dem cave coopérative, aber nicht um Wein zu degustieren, vielmehr um zu fotografieren, eines dieser verschwinden-
den, alten, stolzen Gebäude aus den frühen Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Ich stand auch schon auf der imposanten Brücke, über die bereits die «alten Römer» den Wein transportierten . Doch ich war noch nie auf dem idyllischen Hof, wo seit Jahrhunderten Wein gemacht wird.
Heute, auf recht hohem Niveau. Doch Weine, die kaum «die weite Welt» erreichen, auch die Schweiz nicht. Es gibt ihrer zu viele, im immer vielfältiger werdenden internationalen Weingeschäft. Es ist kein Wein, von dem man spricht, vielmehr ein Wein, den man trinkt, gerne, mit Vergnügen. Mit seinem hohen Anteil an Syrah, orientiert er sich eher an der Rhone, denn am nahen Languedoc. Also ein Wein, der nicht aufregt, sondern anregt:. Eine herrliche, frische Nase – im Duft mehr Garten (Blumen) denn Wald – gut strukturiert, ja sogar elegant. Mit diesen Eigenschaften eigentlich ein vorzüglicher Gastrowein.
Château Angélus 1999, Grand Cru Classsé. Saint Emilion, Bordeaux, Frankreich
Gelesen und dann getrunken. Oder früher getrunken, jetzt gelesen. Vielleicht auch lesend getrunken. Auch getrunken, um auf den Autor anzustossen. Oder getrunken, weil das Lesen Spass macht. Man mag es drehen und wenden, es ist immer richtig. Das Lesen und Trinken, das Buch und der Wein, machen richtig Spass.
Ich rede vom Chateau Angélus, dem grossen Bordeaux aus Saint Emilion mit dem Glöckchen und dem kleinen Buch, von dem der Autor sagt selber: «ein Nischenprodukt», das sich mit dem grossen Thema «Welterlösung» befasst, zumindest mit Welthoffnungen in Pandemiezeiten, wo längst der «Spritzenkampf»
entbrannt ist. Da kommt mir
noch ein Buch in den Sinn, von einem Angelus der sich an die «Sinnliche Beschreibung der vier letzten Dinge» gewagt hat, in kunstvoller Lyrik, barock, denn der Angelus Silesius hat im 17. Jahrhundert gelebt. Und jetzt, an diesem schönen, frühlingshaften Abend begegnen sich die drei so unterschiedlichen «Engel», mit ganz unterschiedlichen Botschaften, zu ganz unterschiedlichen Zeiten. In meiner Rubrik «getrunken» steht natürlich der Wein im Mittelpunkt. Das ist der Moment, wo Angélus nach fast 23 Jahren seinen entscheidenden Gaumenauftritt hat: saftig, viel Reife, Tiefe, Fröhlichkeit, schmelzig, noch immer beerig, leicht restfruchtig – vor allem aber fröhlich-ernst. Während ich so dahin sinniere, wie man den Wein, wie man ein Buch, wie man den Augenblick beschreiben könnte, kommt mir die Erinnerung an den barocken
Dichter, Arzt und Theologen, der zuerst den Tod, dann das Gericht, die Verdammung und schliesslich die Glückseligkeit beschrie-ben hat. Bei unseren drei Engel gibt es durchaus den Tod. Im Krimi, der ein politisch-satirischer ist, entwickelt sich beim Weintrinken eine (fast) Lösung. Beim Wein ist es die Flasche, die nach sieben Deziliter «Glückseligkeit» den Weg des Irdischen gegangen ist. Auch das Gericht gibt
es, sowohl im Krimi, wo die Dosis 29 (Titel «Bittere Resignation») in einer Runde um den Angélus (Jahrgang 2017) zur fast Lösung des Falls führt, wie auch in meiner Weinbesprechung, wo schliesslich die Glückseligkeit obsiegt. Leider ist diese nicht mit Parker-Punkten zu messen, dafür zu erleben, beim switchen zwischen Büchern und Wein.
Château du Tertre 1986, cinquième Cru, Bordeaux, Frankreich
Auch «ausgezeichnete» Jahrgänge verlieren mit den Jahren ihre Auszeichnung. Auch sie werden alt und bauen allmählich ab. Aber wo sind die Grenzen, wo beginnt der Abstieg? Da gibt es (fast) kein
Rezept. Am wichtigsten ist wohl die «gute» Lagerung und ein Korken, der standgehalten hat.
Zum 86er-Jahrgang habe ich ein besonderes Verhältnis, da kam ich nämlich zum «Bordeaux». Es ist so etwas wie das Gründerjahr meiner Bordeaux-Leidenschaft. Auf einer Reise entlang der
Atlantik-Küste Frankreichs kam ich ins Bordelais und zu einem ersten spontanen Château-Besuch. Da kaufte ich meinen
ersten Bordeaux – Château Beychevelle 1986 – zu damals (umgerechnet) 100 Franken, weit überteuert, da ich nicht wusste, dass man Bordeaux nicht auf den Châteaux kauft (Souvenir-Preise!)
Diese erste direkte Begegnung liess mich nicht mehr los: daraus wurden nicht nur ein Bordeaux-Keller, viel Trinkfreuden, auch eine journalistische Begleitung des Weins, vor allem des Bordeaux.
Heute, mehr als dreissig Jahre später, sind es die späteren «grossen» (und weniger grossen) Jahrgänge, die in den Keller kamen, ausser dem Beychevelle 1986 (Gedenkflasche!) kaum mehr ein 86er.
Diesen «Du Tertre» - ein guter, «ordentlicher» Bordeaux, aber kein Wein, den man dreissig Jahre lagert – habe ich an einer Auktion erstanden. Niemand wollte so richtig zuschlagen. Für mich reine
Nostalgie, aber auch Neugier, was aus dem «kleinen» Bordeaux geworden ist. Ein verlorenes Elend, eine letzte Trinkchance oder ein Weinerlebnis. Nichts von all dem. Bräunlich, wie dies so üblich
ist bei Altweinen, eher dünn und hilflos kam er ins Glas. Eigentlich wollte ich mich schon von ihm verabschieden. Das Auge kann täuschen, nach kurzer Zeit kamen Aromen in die Nase: Altweinaromen
– sogar noch Fruchtklänge, geschmeidig, samtig, Tannine die den Wein sanft zusammenhalten, eine Harmonie breitet sich aus, nicht überwältigend - aber schön, nicht dicht, aber rund, angenehm. So
wie ich auch mein Alter geniessen kann, selbst, wenn sich die Jahrgänge nicht decken.
Grand Vin de Château Latour 1942, Pauillac, Bordeaux, Frankreich
Château Latour, der "Klassiker" unter den sogenannten Jahrgangsweinen. Wo immer man einen Wein sucht, der auch nach vielen Jahren - mit grösster Wahrscheinlichkeit - zumindest noch "trinkbar", vielleicht sogar "genussvoll" - sein kann, wird auf Château Latour stossen. Eines der fünf Weingüter, die 1855 als die Besten im Médoc (Premier Cru Classé) eingestuft wurden und bis heute ihren Rang tragen dürfen, egal wie sich seither die Qualität verändert hat.
Den Ruf des «Haltbaren» hat das Château Latour bis heute bewahrt. Der Wein wird deshalb sehr oft in den Keller gelegt, um sich später, in dreissig, fünfzig, ja hundert Jahre zu erinnern, an ein
Ereignis, das stattgefunden hat, im gleichen Jahr aus dem auch der Wein stammt. Eine zeitliche Verknüpfung als besonderer Anlass, die Flasche zu öffnen, den Wein zu geniessen und meist ein
Fest, eine Feier, mit einem «Jahrgangswein» zu krönen.
Dieses Ritual birgt viele Unsicherheiten, die rasch zur Enttäuschung werden kann. Schliesslich ist dann der Wein schon alt, hat sich in der Flasche entwickelt, nicht immer zum Guten und hat eine
lange Lagerung hinter sich. In den meisten Fällen wurde er auch nicht vor fünfzig, hundert Jahren gekauft, sondern irgendwann an einer Auktion oder bei Händlern, die auf «Jahrgangsweine»
spezialisiert sind. Eine Garantie für Qualität gibt es nicht, bestenfalls ein paar Hinweise, ob der Wein gut gelagert, mit der Flasche gut umgegangen wurde. Es sind dies der Zustand des Korkens,
der Füllstand, die Herkunft, die Qualität des Jahrgangs... Viel ist es nicht, was da Sicherheit bringen kann. «Jahrgangsweine» sind immer ein Wagnis. Kommt dazu, dass sie - allein schon,
aufgrund der Rarität - auch teuer sind. Der aktuelle, durchschnittliche Verkaufspreis dieses Weins (Jahrgang 1942) liegt bei etwa 1`000 CHF. Auch eine Sicherheit, dass es keine Fälschung
ist (teure Jahrgangsweine werden immer wieder professionell gefälscht) gibt es kaum.
All das weiss ich nur zu gut. Und trotzdem habe ich irgendwann, wohl in den 90er Jahren, diesen «Latour» an einer Auktion erstanden, für knapp 100 Franken. Sein Füllstand: mittlere Schulter, überhaupt nicht vertrauenerweckend. Der Korken - soweit ersichtlich - durchtränkt (rot), die Etikette beschmutzt, eigentlich war nur der Jahrgang entscheidend. Und der war - auf den Wein bezogen - mittelmässig, mit leichten, sogar dünnen Weinen. Ein Kriegsjahr mit Auswirkung auch auf die Feldarbeit und die Verarbeitung.
Nun ruhte der Wein seit dreissig Jahren - perfekt gelagert - im klimatisierten Weinschrank, unangetastet. Hoffnung auf ein "grosses Weinerlebnis" gibt es kaum. Kein Wein für ein Galafest, auch wenn es einen 80ten Geburtstag zu feiern gilt. Wir haben den Wein deshalb zu zweit - am Vortag des Geburtstags geöffnet und...
Wir waren überrascht. Keine Oxidation und das ist schon - beim vorhandenen Füllstand - eine grosse Überraschung. Natürlich auch keine Frucht mehr (war auch nicht zu erwarten) und nur noch wenig Kraft. Trotzdem nicht schaff, nicht ausgemergelt, vielmehr noch schwungvoll, gestützt von leichter Säure, pilzähnliche Aromen, Gewürzen, Zedern, Beinsteinnoten. Kein Wunderwein, aber eine echte Altweinerfahrung, obwohl ich aufgrund der Anzeichen eher an den Ausguss, als an den Gaumen dachte. Das besondere Erlebnis: den Wein über den ganzen Abend immer wieder und immer wieder zu verkosten, wobei sich der Gedanke verfestigte, etwas zu geniessen, das kaum zu beschreiben, aber faszinierend und - wenn auch alt - genussvoll ist. Einmalig, als Kerngedanke jedes «Jahrgangsweins»
Clos de l'Obac: Costers del Siurana 2007, Priorat, Katalonien, Spanien
Es
gibt Momente, in denen man zugreifen muss, auch bei Auktionen. Berühmte Namen, berühmte Weingegenden, berühmte Weine tauchen auf – fast stundenlang: Bordeaux, Burgund, dann etwas Italien,
Kalifornien, die Schweiz… - irgendwann auch Spanien. Spanien und Portugal, nur etwa dreissig von rund 1'000 Lots.
Die meisten «Geschäfte» sind gemacht, oft zugeschlagen, das Budget meist schon überzogen. Dann tauchen 9 Priorat-Weine auf, eine Auswahl… Einen der drei Namen kenne ich, an die andern kann ich mich (im Augenblick) nicht erinnern. Schon gar nicht an ihre Qualität, an die Jahrgänge… 2007, 2008… sind es gute, sind es schlechte… an die Cépage… traditionell ausgebaut oder Vertreter modischer «Blends»? Die Einkaufsprofis schauen gelangweilt weg.
Da habe ich die Nummer hochgehalten… Schwups, das Lot gehört mir… Zugeschlagen zum Nettopreis… Brutto? 12 Prozent Kommission, 10 Franken Handling , 7.7 Prozent Mehrwertsteuer… Gross wird jetzt nicht mehr gerechnet. Schnäppchen, realer Preis oder zu viel bezahlt? Die Antwort folgt ein paar Wochen später, gestern Abend. «Costers del Siurana», ein Schmeichler. So wie ich «Schmeichler» liebe. Grenache, aber auch viel Cabernet, soviel, dass der Charakter des Spaniens noch zu spüren ist. Eine Gratwanderung zwischen Gefälligkeit und Aufmüpfigkeit, zwischen Anmut und Unverwechselbarkeit. Anders ausgedrückt: Der Wein hat eine Einheit erreicht, die faszinierend ist. Ich behaupte sogar, er hat die lange Entwicklung in der Flasche gebraucht, um das dimensionieren, was die Struktur des Weins dominieren oder gar stören könnte. Aber auch das zu vermeiden, was durch Schmeichelei an Charakter und Eigenständigkeit verdeckt wird. Eigentlich setzte ich im Priorat auf die einheimischen Rebsorten Garnacha und Cariñena (Grenache und Garignan), die dem Syrah und dem unvermeidlichen Merlot entrinnen und Anklänge an Bordeaux gar nicht aufkommen lassen. Auch Spanier haben schöne Hofdamen. Diese lass ich mir gefallen.
Châteaux Margaux 1972, 1er grand cru classé, Bordeaux, Frankreich
Man weiss es, die 70er sind nicht besten Bordeaux-Jahrgänge. Man spürt es in den Auktionen, bei der Nachfrage uns den Preisen. Robert Parker, der zehn Jahre später bestimmend war, für die Preise im Bordelais hat seinen Newsletter «Wine Advocate» erst gestartet und ein Bewertungssystem zwischen 50 bis 100 Punkten eingeführt. Der «grosse» Jahrgang 1961 ist bereits Legende. Das neue Jahrzehnt, nach einem mässigen Start, bald schon rasch eine Katastrophe.
Parker: «Es gibt keine 72er, die für den Verbraucher auch nur noch im geringsten von Interesse wären.» Drei Jahre später: «Unbehagen im Handel und Verbrauch wegen der sinkenden Reputation». 1977 der Tiefpunkt: «Ein schrecklicher Jahrgang… der schlimmste Bordeaux-Jahrgang der siebziger Jahre». Kein Wunder, waren die Preise für den Bordeaux aus den 70ern eigentliche Schleuderpreise. Es herrschte die Stimmung: «nur weg, auch wenn es der Ausguss sein sollte». Inzwischen haben die 70er einen Status erreicht, der schon wieder interessant (und auch teuer) ist, als «Geburtstagswein». Der «schreckliche» 1972er ist gerade fünfzigj geworden und all im gleichen Jahr Geboren auch. Zum Beispiel unsere Tochter. So kam es, dass ich im Verlauf der Jahre doch einige 72er-Grand-Cru gekauft und gut gelagert habe (konstante Temperatur, Dunkelheit, kein Rütteln etc.). Und siehe da: dieser 72er Margaux – am Geburtstagsfest getrunken – war gar nicht schlecht. Mehr als «geniessbar», sogar echt gut. Ein «Altwein», sicher, die Frucht hat sich weitgehend verkrochen, Reifetöne haben sich an ihre Stelle gesetzt: Gewürze, Mandel, Haselnuss, Rauch, getrocknete Aprikose… Tertiäre Aromen, die zu einem "anderen" Weingenuss führen. Vor allem, weil sich dabei keine Oxydationsnoten bemerkbar machen und der Wein noch genügend Kraft hat, den Körper zu spüren und erleben zu lassen. Natürlich ist Margaux ein 1er-Cru und nicht irgendein mittelmässiges Gewächs. Natürlich ist der Anlass ein Jubiläum – für Vater, Tochter und Wein. Natürlich sind da andere Massstäbe anzulegen, als bei einem Jungsporn. Auch wir Menschen, wir Geniesser, haben andere Vorlieben, schätzen andere Eigenschaften als zur Zeit, als wir noch jung waren. Doch ich frage mich: Ist die Weinkritik nicht zu gnadenlos, auf bestimmte Eigenschaften getrimmt, unbarmherzig, wenn es darum geht, Neues, Anderes, Interessantes zu erleben und nicht darauf pochen, so zu sein, wie dies unseren häufigsten Erfahrungen entspricht. Jedenfalls bin ich inzwischen überzeugt, dass Bordeaux aus den 70ern – bei perfekter Lagerung – nicht nur gut, sogar sehr gut, ein Erlebnis, sein können.
Die Neugier war es, die mich in winterlich reduzierten Regalen in der kleinen Weinhandlung nach diesem Wein greifen liess. Sein Name war mir ein Rätsel, der Preis für südfranzösische Verhältnisse
stattlich (rund 23 €), die Herkunft ein altes Weingebiet, aber ohne Glamour, Bezeichnung: Protégéé Pays d’oc, ursprünglich ein Label für Landweine. Diese müssen nicht bescheidener sein als
AOC-Weine (Appellation
d’origine contrôlée). Im Gegenteil: da wird immer wieder Neues versucht, weil die Einschränkungen nicht so drastisch sind
und der
önologische «Spielraum» grösser ist, als in
den stark reglementierten Appellationen. So ist es auch bei diesem grossen Weingut
(200 ha, jährlich 1,2 Millionen Flachen) 25 Kilometer westlich von
Carcassonne.
Tim Ford, ein Engländer – vorher Blumenfarmer – konnte mit seiner Frau und dem Unternehmer Anthony Record vor 18 Jahren das alte, traditionelle Weingut Gayda (gegründet 1749) in Brugairolles
(Aude) erwerben und zusammen mit dem damals noch jungen Winzer Vincent Chansault («Boekenhouskloof», Südafrika) etwas Neues aufbauen, genauer gesagt,
alte Traditionen in neue Formen bringen. Das bedeutet in diesem Fall: Weg von der Massenproduktion, hin zur Qualität und Nachhaltigkeit, zur Biodynamik, konsequentes Handlesen, modernes Equipment
im Keller, Ausrichtung auf die Eigenschaften der unterschiedlichen Böden…
Entstanden ist eine Palette von Weinen, die inzwischen so etwas wie einen «Kultstatus» haben.
Kein Wunder, wollte ich das einmal trinken. Natürlich machte mich auch der Name des Weins «gwundrig». Ich fand rasch heraus: «’Moskau’ ist der Katastername der Grundstücke der Domaine Gayda. Der Weg, der durch die Weinberge zum Dorf hinaufführt, heißt Moskauer Weg! Die Geschichte besagt, dass oben im Hain ein Baum den Horizont überragte, der Moskauer Baum genannt wurde. Es diente als Orientierungspunkt für Flieger einschließlich Aéropostale. Seitdem ist der Baum gefällt, die Cuvée huldigt ihm und überliefert diese schöne Dorfgeschichte.» (Quelle: Domaine Gayda)
Und nun noch das wichtigste einer jeden Weinbesprechung. Wie ist der Wein? Es ist meine erste und einzige Flasche der Domaine Gayda, die ich bisher getrunken habe. Ein schönes Weinerlebnis, rund, stimmig, verführerisch, prägnant im sensorischen Bereich, aber… Aber: Gleichzeitig auch eine Enttäuschung. Vielleicht habe ich zu viel, oder etwas anderes erwartet. Mehr Languedoc, das heisst mehr Wildheit, mehr Anderssein, nicht nur die Schönheit der Landschaft, des Meers spiegelnd, auch die fast unerträgliche Hitze des Hochsommers (wo Wachstum und Leben zu stoppen scheinen), auch die bissige Kälte im Winter, der ungnädige Wind und die Wildheit der nahen Berge und die weiten unproduktiven Flächen. Das ist – in den unterschiedlichsten Schattierungen – die Gegend, wo dieser Wein herkommt. Was ich im (oder mit dem Wein), das ist hohe, sehr gekonnte, harmonische Weinmacherkunst. Fruchtig, elegant, geschliffen, oder ganz einfach wunderschön. Quasi: die «Schoggi-Seite» einer vielfältigen Weingegend.
Eine der schwierigsten Fragen: Wer oder was passt wirklich zusammen? Die Bildung von Paaren ist in der Regel einfach. Man sucht (und findet in der Regel) ein paar Gemeinsamkeiten, die ein gutes
Zusammenwirken oder gar Zusammenleben wahrscheinlich machen. Was dann folgt, ist allzu häufig ganz anders. Auch einer Realität. Und die kann häufig und (gefühlt) immer schneller zur Trennung
führen, zur Scheidung. Die Paarbildung von Wein und Essen – Foodpairing – ist nicht anders, und auch nicht einfacher als die Paarbildung im Leben.
Nur die Konsequenzen sind einfacher zu vollziehen, ohne Verlust- und andere Ängste. Man versucht es mit einer anderen Paarung. Abstumpfung, Gewöhnung und Scheidung hinterlassen kaum Spuren. Der
dabei entscheidende Punkt ist der individuelle Geschmack. Und der ist – das wissen wir – weitgehend subjektiv, das heisst im Privaten beheimatet.
Die Pärchenbildung von Trinken und Essen, von Wein und Speise, ist sicher spannend, gerade für Weinliebhaber, steht aber auch in einem Meinungsfeld, das nicht so einfach durch Fakten zu ordnen
und klären ist. Oft bleibt am Schluss die einfach, meist aber hilflose Feststellung: «Ist halt Geschmacksache!» Nur Geschmacksache? Es gibt zwar so etwas wie Regeln, zumindest Hinweise und mehr
oder weniger fragwürdige Grundsätze für eine jede Foodpairing-Entscheidung, doch der grosse Rest bleibt den Erfahrungen und Vorlieben vorbehalten. Für Liebhaber des Weins ist Foodpairing schon
eine fast eine alltägliche Angelegenheit: im Restaurant, beim Einkauf, im Keller, beim Kochen… Trotzdem, für mich noch immer «ein zu weites Feld.»
Diesmal ist es gutgegangen, verdammt gut. Paaren Sie einmal Treberwurst (geräucherte Rohwurst aus Schweinefleisch) mit Kartoffelsalat und Wein. Fast ein Ding der Unmöglichkeit, beinahe so
unlösbar, wie die Paarung von rohem Lachs mit Wein. Mutig habe ich zu einem Wein gegriffen, der aufgrund der Rebsorte - meine vage Vermutung: Syrah - all eine minimale Chance hat, standzuhalten.
Vielleicht war es auch nur eine Assoziation an französische Esskultur, denn die charakteristische Wurst kommt vom Bieler- oder Neuenburgersee, aus der französisch-sprechenden Schweiz. Aus der
Traubensorte Syrah wird kräftiger, aber auch eleganter Wein gemacht, «französische Elégance», im Gegensatz zum australischen Stil (Shiraz), der viel ausgeprägter ist, viel dominanter im
Geschmack, viel prägender. Der Syrah von der Rhône – vor allem, wenn er aus dem Weingut des Spitzenwinzer Guigal kommt – muss seine Eigenständigkeit gegenüber den sehr eigenständigen Würsten
nicht behaupten, sich nicht mit Geschmacksgewalt durchsetzen. Er umtänzelt vielmehr das Fleisch, spielt mit ihm, lässt ihm dort den Vortritt, wo Dominanz und Stärke gefragt sind. Diese
Kombination – es war eher ein Versuch, eine Zufälligkeit – ist für mich endlich ein brauchbarer Ansatz für Foodpairing. Nur, ich kann nun nicht nur Treberwürste essen und Syrah trinken. Schade.
Alain Brumont: Château Montus, 2009, Prestige, Madiran, Frankreich
In kleineren Weingebieten gibt es oft einen Spitzenwinzer, der in der ganzen Region den Ton angibt. Es sind
Weinpioniere, die es schaffen, aus einem durchschnittlichen Wein, sogar aus einem «Massenwein», etwas ganz Besonderes zu machen. Einen Prestigewein, der sich neben den grossen (und berühmten) Weingebieten (und ihren ebenso berühmten Namen) durchsetzen kann. Alain Brumont in der kleinen, französischen Appellation Madrian (zwischen Bordeaux und den Pyrenäen) hat dies geschafft. Er hat aus einer Rebsorte, bekannt unter dem Namen Tannat, etwas gemacht, das einmalig ist. Nicht nur einmalig gut, auch unverkennbar einmalig im Geschmack, in der Art, ein guter Wein zu sein. Dazu braucht es viel Können, aber auch Beharrlichkeit und viel Gespür, was aus der Besonderheit einer Region zu machen ist. In diesem Fall aus der «wilden» Rebsorte Tannat, die ganz anders ist, als die «edlen» Gewächse, die immer mehr den Weingeschmack dominieren und inzwischen fast in jeder Weinregion angebaut werden, und aus dem Boden und dem Klima, hier (im Süden Frankreichs) heiss, aber auch kühl (nachts) vom Atlantik geprägt. Darin muss das Einmalige erkannt und daraus Einmaliges geschaffen werden. Für mich ist es ein «gezähmter» Wein, der den Charakter des Wilden noch in sich hat, aber adrett, häuslich, verführerisch daherkommt. Es ist ein tanninreicher Wein, der die kräftigen Gerbstoffe nutzt, um eine stimmige Gesamtarchitektur aus Frucht, Säure, Tiefe und Farbe zu schaffen, die Assoziationen auslöst: Anklänge an Zigarren, Rauch, Unterholz, Erde, Schokolade, dunkle Früchte, Pilze… Es ist kein Wein, den man nur so in sich hinein leert, es ist ein Wein, der sich gelöst hat von seiner ursprünglichen Strenge und Tannin-Dominanz. Er ist auch schon mehr als zehn Jahre in der Flasche, hat seine «Hörner» abgestossen und ist vertraulich, elegant, aber nicht anbiedernd geworden. Ein toller Wein, der Wein sein will und es auch ist, seine Eigenheiten nicht versteckt, sondern zur Diskussion, besser noch zum Genuss anbietet.
Château Latour 1998, 1er Cru, Pauillac, Bordeaux, Frankreich
Von den fünf 5 Premiers Crus der klassischen Klassifikation (Grand Cru Classé seit 1855) ist das Château Latour wohl das berühmteste, seine Weine die gesuchtesten und leider auch die teuersten.
Naturgemäss geht es da bei der Beurteilung vor allem darum: Ist der Wein seinen Preis wert? Oder etwas raffinierter ausgedrückt: wie lässt sich der Jahrgang einordnen, wie viele Kritikerpunkte erhält er? Damit wird auch gleich bekundet, dass man sich in den ranghöchsten Gefilden des Bordeaux auskennt. Dieser Tanz um das «goldene Kalb» widerstrebt mir. Die Frage, ob jeder Schluck x-Franken auch Wert ist, beruht auf ganz individuellen Wertordnungen (und dem gefüllten Portemonnaie). Bei ganz besonderen Anlässen greife ich (soweit überhaupt vorhanden) zu einem dieser «goldenen Kälber», einfach um dem Anlass noch mehr etwas Glanz und Würde zu verleihen. So war es auch bei diesem «Latour» 1998. Wir degustierten vorher noch ein paar andere Weine, mein Lieblingsbordeaux zum Beispiel, aber auch einen der besten Pinot Noir aus der Schweiz (Bündner Herrschaft). Der Gaumen war also bereits verwöhnt und die Unterschiede begannen sich zu vermischen, zumindest in der sensorischen Beurteilung. Natürlich bildete der «Latour» der Abschluss des Abends, gleichsam das krönende Feuerwerk. Solche Erwartungen sind «gefährlich», man landet allzu rasch auf dem Boden der Realität. Und die ist – Ruhm und Preis zum Trotz – viel prosaischer, beim Wein kann man ruhig sagen: viel nüchterner. Die Erwartung wurden diesmal erfüllt. Der Wein war tatsächlich noch eine Spur «besser», prägnanter, hintergründiger, runder, harmonischer… Einbildung? Im Nachhinein habe ich die Bewertung eingesehen. Der 98er erzielte tatsächlich in der Beurteilung im Durchschnitt (von 11 Weinkritikerinnen und Weinkritiker) «nur» 92 von 100 Punkten. Mein Lieblingswein, den wir vorher eingeschenkt haben, lag zwei Punkte höher, was (in dieser Punkt-Region) bereits bedeutend ist. Und doch war «Latour» der beste Wein des Abends, ganz einfach, weil wir des so empfunden haben. Das ist viel entscheidender als all die Punkte, die da mit ins Glas geschüttet werden.
Für mich ein «Erinnerungswein». Ein Wein, der Erinnerungen weckt an einen Besuch bei einem Winzer, der bei mir tiefen Eindruck hinterlassen hat: als Winzer, als Schöpfer von Weinen, die mich überzeugten. Wir waren auf einer Schweizer Weinreise mit deutschen Weinfreunden. Mit dem Glacier Express, von Chur nach Zermatt, und dann durch das Unterwallis zum Genfersee, ins Lavaux, einer der schönsten Landschaften der Schweiz. Natürlich waren wir auch in Raron – oben am Grab von Rainer Maria Rilke und verspäteten uns schrecklich – Dichterträume – um zum nächsten Ziel des Tages zu gelangen, zum Weingut von Gérald Besse. Nun, meine deutschen Weinfreunde, denen ich nebst der Landschaft und Kultur einige Weingenüsse schmackhaft machen wollte, hatten fast nur ihren Riesling (trocken) im Kopf, den sie bei fast jeder Gelegenheit als «Reparaturwein» einsetzten. Der Winzer und das Weingut – vor allem die Landschaft und die Rebberge haben ihnen tiefen Eindruck gemacht – so mein Eindruck – vielleicht etwas weniger die speziellen Walliser Weine. Der kräftige «Heida» aus der steilen Hochlage, der schmelzige, leicht salzige «Petite Arvine» und der elegante «Syrah» waren interessant und eindrücklich, doch nichts geht über einen trockenen R…. Es war (unter anderen) genau dieser Syrah 2008, den wir auf dem Weingut degustierten: Für mich einer der besten Schweizer-Syrahs, die ich je getrunken habe, saftig, kühl, elegant würzig. Einer der besten Rhône-Weine, obwohl er in der noch ganz jungen Rhone seine Heimat hat. Der Wein hat mir so gut gefallen, dass ich – schwupps - beim Winzer nebst einigen weissen Spezialitäten diesen Syrah orderte. Gut zehn Jahre später, die Weine von Besse landeten alle schon im Glas. Nur diese Flasche Syrah hat sich im Keller versteckt und wurde erst jetzt geöffnet. Er ist – so mein Eindruck – noch eleganter, harmonischer, königlicher… Oder ist es nur die Erinnerungen an einen glücklichen Besuch auf dem Weingut. N.B. Ich habe kürzlich bei einem Bekannten einen weit jüngeren Syrah von Besse getrunken: der war eindeutig kräftiger, würziger, vielleicht in den Aromen auch klarer. Ein Jungwein eben, und nicht einer dieser – von mir so geschätzten – «alten» Knaben.
Die Königin unter den «Weissen» ist der Chardonnay. Die Deutschen würden mir da heftig widersprechen. Für sie ist es der Riesling. Doch die Franzosen liefern den Beweis, im Burgund. Ein Blick in Auktionslisten: da kann eine Flasche Chardonnay schon mal fünf- oder zehntausend Dollar kosten, wenn er von einem Kultproduzenten und einer der Toplagen kommt. Nun, Königinnen können nicht am Preis gemessen werden. Es ist die Herkunft, der Adel, das «königliche Geschlecht», das Herausragende, was zum (zwar ungeschützten) Titel führen kann. Auch beim Wein. So hat der Chardonnay seinen Siegeszug durch die Weinwelt angetreten: Australien, Kalifornien, auch Chile, Neuseeland, Moldawien, China… Dabei hat er sich nicht nur dem jeweiligen Standort angepasst, auch dem Geschmack und den Moden. Er sei wandlungsfähig, sagt man. Damit pendelt er zwischen zartfruchtig und üppig, zwischen holzig und blumig, zischen trocken und süsslich, zwischen eigenwillig und verbindlich munter um die Welt. Als Vorbild wird zwar – fast gebetsmühlenhaft – das Burgund zitiert, doch die meisten Chardonnay, die ich bisher getrunken habe, haben mit dem Burgund nicht mehr viel zu tun. Das Feine und Zarte, der Charme und die eigensinnige Mineralik wurden ihm ausgetrieben. Erst als Gantenbein, der Bündner Winzer – schon vor Jahren – erstmals einen «anderen», einen originaleren Chardonnay in die Flasche brachte, habe ich – der erklärte Rotweintrinker – zum Chardonnay zurückgefundene. Und weil dieser Chardonnay so markant anders – gut und rar – ist, ist er auch teuer, inzwischen kaum mehr zu kaufen. Jetzt aber habe ich eine Alternative gefunden, im Weingut «von Tscharner» in Reichenau, wo ich in den letzten Wochen bei der «Lese» war. De junge «von Tscharner» wollte es offensichtlich wissen und hat einen Chardonnay ausgebaut, wohl so, wie er sich das Burgunder-Vorbild vorgestellt hat. Zwar mit ganz leichtem, fast flüchtigen Holz, aber keiner Zwangsverstärkung durch Bâtonnage und anderen Eingriffen im Keller. Ein Chardonnay, der seinen Charakter offenherzig darlegt, der elegant ist, aber auch aufmüpfig frisch, der seinen Körper nicht verleugnet, aber auch nicht damit prahlt. Es sei ein Terroir-Wein, sagt man, doch dieser Chardonnay verrät nicht das bergige Terroir, sondern gibt dem fast inflationär gebrauchten Begriff seine Bedeutung zurück: von der Natur ausgestattet,