Hier sind alle "Getrunken" der letzten Zeit zu finden. Es sind keine Weinbeurteilungen der üblichen Art. Vielmehr Weingeschichten, Geschichten, welche mir die Weine erzählen.
Ältere "Getrunken" und eine Excel-Liste sind am Schluss dieser Seite zu finden. Die gleichen Weinnotizen findet man auch auf meinem Blog
Mein Elan - er hielt über viele Jahre an - einst fast täglich, heute noch wöchentlich - ein Weinerlebnis zu beschreiben und (wenn immer möglich) eine kleine Geschichte zu erzählen, ist leicht ins Stocken geraten. Nicht nur wegen Corona, vor allem weil ich inzwischen unglaublich viele Weine kommentiert habe (rund 2'000) und sich da die Geschichten immer öfters wiederholen. Doch es geht weiter, im etwas gemütlicheren Trab,
Zur ersten Staffel "Getrunken" nur noch im Archiv zu erreichen
Zur zweiten Staffel "Getrunken" von Juli 2015 bis Juli 2016
Zur dritten Staffel "Getrunken" von Juli 2016 bis Januar 2018
Zur vierten Staffel "Getrunken" von Januar 2018 bis März 2020
Ein Wein, ein angenehmer, ein verbindlich guter, ein Wein, der festliche Gefühle auslöst, ein Spanier aus dem Weingebiet Ribera del Duero. Es ist der «Festwein» der Benediktiner-Mönche in
Disentis. Das Spezielle: die Etikette mit einer Gruppen von Mönchen und dem Siegel: «Benediktiner Abtei Disentis», mit dem Klosterwappen. Nun, die Benediktiner haben – über Jahrhunderte – eine
grosse Bedeutung in der Geschichte und der Entwicklung des Weins. Dort, wo sich Benediktiner angesiedelt haben, ist meist auch «Weinkultur» entstanden. In der Regel «Benedicti» wird im Kapitel
zum Thema «täglichen Versorgung» das Mass des Getränks bestimmt (Kapitel 40): «Jeder hat
seine Gnadengabe von Gott, der
eine so, der andere so. (1Kor 7,7) Deshalb bestimmen wir nur mit einigen Bedenken das Mass der Nahrung für andere. Doch mit Rücksicht auf die Bedürfnisse der Schwachen meinen wir, dass für jeden
täglich eine Hemina Wein genügt. Wem aber Gott die Kraft zur Enthaltsamkeit gibt, der wisse, dass er einen besonderen Lohn empfangen wird. Ob ungünstige Ortsverhältnisse, Arbeit oder Sommerhitze
mehr erfordern, steht im Ermessen des Oberen. Doch achte er darauf, dass sich nicht Übersättigung oder Trunkenheit einschleichen…» Die benediktinischen
Regeln wurde vor 1400 Jahren verfasst und haben gar manche Interpretationen erfahren. Sie prägen aber noch heute die benediktinischen Traditionen. Das Mass «Hemina» (Becher, zirka 2.7 dl) kennen
zwar wir nicht mehr, doch die Weinkultur, welche vor allem die Benediktinermönche eingeführt und entwickelt haben, wird weiter gepflegt, auch dort, wo der Weinbau kaum möglich ist (wie in der
Gegend, wo das Kloster «Disentis» steht (1130 m.ü.M.))
Doch im Kloster – aber auch im Hotel des Klosters – gibt es «Festweine» - zwar in den üblichen Flaschen, die etwa drei «Heminas» fassen. Doch, auch das Kloster Disentis hat ihre
Wein-Tradition. In einem Hospiz des Klosters, in den Rebbergen des Veltlins, wurden im 18. Jahrhundert Klosterweine gekeltert, bis die Mönche dann in den Religionswirren dort vertrieben wurden.
Zum 1400 Jahr-Jubiläum des Klosters (2014) wurde die Tradition des Klosterweins wieder aufgenommen und seither werden wieder zwei spezielle Klosterweine im Veltlin für das Kloster Disentis
vinifiziert. Die klösterliche Weintradition lebt also weiter. Der Tempranillo aus Spanien – den ich jetzt als Festwein im Glas habe, ist wohl das Vorbild für den neuen Klosterwein aus
dem Veltlin: Fruchtig, nicht von «Holz» überlagert, klare Textur, weich in den Tanninen, mit einem doch beachtlich langen Abgang. Genau so, wie ein gelungenes Fest – auch als Wein – zu erleben
ist.
Elio Altare – der berühmte Winzer aus dem Piemont – ist eine Legende. Über «Legenden» etwas Neues zu schreiben ist (fast) ein Ding der Unmöglichkeit. Das meiste wurde schon gesagt, geschrieben und in allen möglichen Varianten weitergetragen. Da ist der junge Elio, der einst ins Burgund reiste, um zu lernen, wie man «gute Weine» macht. Wirklich gute Weine. Spitzenweine! Das war vor bald 50 Jahren, als mit dem heimkehrenden Altare der neue Stil «des modernen Barolos» in der Langhe einzog. «Elio Altare geht in den Keller und reißt mit der Kettensäge die alten Fässer ab. Es ist der Funke der Revolution zwischen Patriarchen und "Modernisten", der Barolo zu einem Star machen wird», so die Ankündigung des Dokumentarfilms «Barolo-Jungs. Geschichte einer Revolution», 2014 erstmals gezeigt. Ob es so dramatisch war, im Piemont, das kann ich nicht beurteilen, das Resultat schon eher. Barolos und Barbarescos (Nebiolos) konnten plötzlich mithalten mit den Stammvertreter «hochklassiger Weine», die bisher eher aus Frankreich kamen (Burgund, Bordeaux). Je mehr die immer modischeren «Bordeaux-Blends» viele Weinregionen erfassten, desto lieber wurden mir die authentischen Italiener. Viele von ihnen standen in Sachen Eleganz, Feinheit, Fruchtigkeit, Ausgewogenheit nicht mehr hintenan. Im Gegenteil. Sie bereicherten die Eintönigkeit der Cabernet/Merlot Varianten, sie wurden – gerade in der benachbarten Schweiz – eine Alternative zum feingliedrigen Pinot Noir (Burgunder). Mit dieser Flasche «La Villa» 1991 – also einem dreissigjährigen Piemonteser – ist auch der Beweis der «Langlebigkeit» erbracht. Nicht einfach nur langes Leben, vielmehr eine fantastische Entwicklung zum bedächtig Feinen, zum Genuss eines differenzierten Weinerlebnisses.
Rubrik "Getrunken"
Es ist die Flaschenform, die – zumindest hierzulande – ins Auge sticht: Der "Bocksbeute"l, untrügliches Zeichen für einen Frankenwein. Es gibt diese ungewöhnlichen Weinflaschen zwar auch anderswo, zum Beispiel in Portugal (Mateus). Inzwischen ist die - für die Lagerung - etwas sperrige Form auch ein Markenzeichen geworden - für Qualitäts- und Prädikatsweine aus Franken.
Der Wein auch beliebtes «Mitbringsel» aus einer speziellen Weinregion Deutschlands. Dort, wo auch der «Silvaner» - eine autochthone Rebsorte (ursprünglich aus Österreich) - ihre grösste Verbreitung hat. Ein Silvaner im Bocksbeutel, ist nicht irgendetwas, es ist schon etwas Besonderes, ein nicht ganz alltägliches Weinvergnügen. Ich weiss, meine Weinfreunde in Deutschland rümpfen jetzt die Nase. Riesling muss es sein, ein trockener Riesling, aber doch nicht Silvaner. Da sind die Schweizer etwas versöhnlicher. Ist es doch – unter der Bezeichnung «Johannisberg» – die am zweithäufigsten angebaute weisse Rebsorte im Wallis. Johannisberg wird hier auch an vielen Stammtischen angeboten, sozusagen als ein typischer «(weisser) Schweizer», im zweisprachigen Kanton auch als «Gros Rhin» bezeichnet (im Unterschied zum «Petit Rhin», dem Riesling). Doch kehren wir zurück nach Franken, zum Bocksbeutel, zum «Silvaner» aus Franken, ab und zu auch «Frankenriesling» genannt. Ich kenne kaum einen anderen Weisswein, der so sehr von vom Klima, vom Boden, vom Terroir geprägt ist, sie er Silvaner.
Ein Walliser Johannisberg fühlt sich ganz anders an, als ein Silvaner aus Franken oder aus Rheinhessen (sofern er sorgfältig ausgebaut ist). Leider tendiert auch er gern zum strukturarmen Massenwein. Die Rebsorte ist zwar heikel und anfällig für Schädlinge, aber sehr ertragreich, ihre Botschaft eher mild und freundlich, mit Tendenz zur Verbindlichkeit. Das darf der Wein durchaus auch sein, doch überall, wo man auch eine Handschrift (des Winzers) erkennen kann – wie zum Beispiel auch hier – ist er ein zwar eher fröhlicher, aber durchaus auch prägnanter Bote, mit Charakter und grosser Eigenständigkeit. Man meint, darin sei auch eine Landschaft verpackt. Eine Region mit ihren Hügeln und Bergen, ihren Flüssen und Gewässer, mit ihrem Klima und ihren Menschen. Einbildung? Vielleicht! Aber eine schöne, herzliche – in einer Sprache, die man leicht versteht. In der Weinsprache.
Ein bizarres Weinerlebnis in Gefilden, in denen ich mich sonst kaum bewege. In einem kleinen Restaurant am Meer – in unserem Lieblingslokal hatte war kein Platz mehr – verpflegten wir uns eher touristisch als kulinarisch. Auf der Karte waren drei oder vier Rotweine – alle aus der Region, bis auf einen: Brouilly 2020, einen noch jungen Beaujolais. Erinnerungen steigen auf, Erinnerungen an mein erstes, gezielt arrangiertes Weinerlebnisse. Es war vor etwa vierzig Jahren, da schloss ich mich einer Einkaufsgemeinschaft an. Weinliebhaber die jedes Jahr durch viele Weingebiete reisten, um gute Weine – möglichst günstig - zu kaufen, fassweise, um sie zuhause abzufüllen. Es waren keine grossen Namen, keine «gossen» Weine, aber sie waren gut und sie konnten konnten der kritischen Prüfung der erfahrenen (älteren) Geniesserrunde standhalten. Einer der «besten» und (im Verhältnis) teuersten Weine, war ein Brouilly. Und so landete ich – genussmässig – unversehens im Beaujolais, mit einem Wein, den ich damals nur an «besonderen Tagen» aufstellte. Seither habe ich wohl kaum mehr einen Brouilly getrunken. Jetzt aber, im kleinen Lokal gab es ungeplant ein Wiedersehen. Anstatt einen einfachen einheimischen Roten, bestellte ich den Brouilly, den Beaujolais. Es ist auch hier - zumindest auf der Karte - die teuerste Flasche, knapp 20 Euro. Ich rechne mir aus: er wird beim Grossisten so um sieben, acht Euro kosten. Nostalgie ist diesen Preis wert! Tatsächlich: der Wein ist korrekt, sogar süffig, kein Dutzendwein, schon wegen der speziellen Rebsorte «Gamay» nicht, durchaus fruchtig, mit einer angenehmen Säure, kein Firlefanz mit Holz, und Pinot und so, ein ehrlicher, einfacher, Essensbegleiter.
Eine Marke, eine Kreation von «Carrefour», unter der Appellationsweine aus fast ganz Frankreich (etwa 100) zusammengefasst wurden. So entstand ein Label, das dem Kunden im Hypermarkt Orientierung geben soll. Will heissen: das Labyrinth aus AOCs, Regionen, Farben, Preisen in den grossen Regalen soll so verständlicher, lies einfacher werden. Funktioniert Dies? Ich gebe zu, diesem «Cave» bin ich noch nie begegnet, ich wusste bisher nichts von diesem «System», Meine Wein-Wahl orientiert sich aber nach diesen Kriterien. Doch noch immer ist der Name des Winzers – des Produzenten – die beste Qualitäts-Garantie. Doch der wird verschwiegen uns hinter dem Sammelbegriff «Cave d’August Florent» versteckt». Man hat einen neuen, einheitlichen Namen, Und damit ein Geschäftsmodell, bei dem nicht produziert, sondern nur geordnet, gewichtet und zusammenstellt wird und so Qualität verspricht. Eine bizarre Methode, die offensichtlich für viele Kunden funktioniert.
Er war einer meiner ersten Weinbegegnungen im Languedoc. Auf der Fahrt zu den berühmten Ruinen der Katharer Burgen Quéribus, Peyrepertuse oder Aguilar, machte ich Mittagshalt im Strassendorf Tuchan, am Fuss des langgezogenen Mont Tauch. Das war vor bald vierzig Jahren, anfangs der 80ziger-Jahre, da hatte ich zum ersten Mal den «T de T» im Glas. Ein guter Wein, kräftig, eigenständig, voll Aromen der eher wilden Art: viel blaue Beeren, Unterholz, Garrigue… ich glaubte sogar die Sonne, den Wind, die Hitze schmecken zu können. Noch waren es wenige Spitzenwinzer, die aus dem riesigen, traditionsreichen Weingebiet ganz im Süden Frankreichs, Weine machten, die herausragten, die deutlich besser waren, als das, was aus den vielen Genossenschaften auf den Markt kam. Doch dieser Wein war (und ist) ein Wein aus einer grossen Coopérative.Immer wieder erzählten mir Winzer, dass ihre Väter oder Grossväter die Lese noch hierher brachten, jetzt aber immer häufiger selber vinifizieren. Es war die Zeit des Aufbruchs der Languedoc-Weine. Auch in den traditionellen, damals meist veralteten, aber noch immer stolzen Genossenschaften. Tuchan hat – als eine der ersten – erkannt, dass der schlechte Ruf südfranzösischer «Massenweine» nur durch eine konsequente Qualitätssteigerung und -kontolle zu erreichen ist. Genossenschaften wurden zusammengelegt, dank staatlicher Hilfe total erneuert und mit der Maxime «Qualität vor Quantität» ein Neustart eingeleitet. Das gilt auch für die Winzer von Mont Tauche. Die Dörfer Tuchan, Paziols, Vileneuve et Durban schliessen sich zusammen (90er Jahre), der Cave wurde modernisiert und die Vermarktung professionalisiert. Heute sind es rund 250 Winzerinnen und Winzer, die auf 5000 Parzellen und auf einer
Fläche von 1500 Hektaren ihre Reben pflegen und ihre Ernte zum Cave der Kooperative bringen, wo dann eine breite Palette an ganz verschiedenen Weinen (rot, weiss, süss, rosé etc,) produziert wird. Ich war in all den Jahren immer mal wieder in Tuchan, ich habe immer mal wieder den «T de T» getrunken. Er hat sich gewandelt, ist nicht mehr so ungestüm, nicht mehr so «typisch» Fitou», eher weltgängig, aber noch immer gut, sogar sanfter, ausgewogener, als früher, hat aber noch immer etwas von der Kraft und Schönheit einer Weinregion, die in ihrem Charakter (inmitten der Felsen und Berge) einmalig ist. Nicht nur die Etikette ist moderner geworden, auch der Wein. Beide haben aber an Unverkennbarkeit und Eigenständigkeit. Ein weiteres kleimes Stück Postmoderne?
Nadine Saxer, Neftenbach: Tête de Pinot 2017, Zürcher-Weinland, Schweiz
Es war mein Geburtstagsessen und -trinken, im altehrwürdigen Restaurant «Bären», das ohne die modischen englischen XX-Namen auskommt, gut bürgerlich und exquisit, sowohl in Bezug auf die Speise, als auch auf die Weine.
Bei solchen Gelegenheiten brauche ich kaum eine Weinkarte – jedenfalls nicht eine globalbestückte, ich beschränke mich auf lokalen (oder regionalen) Weine, getreu der Überzeugung, «das Gute liegt so nah». Auch diesmal lag ich da richtig, das eine Weingut liegt in der Gemeinde (moderne Weine, hauptsächlich mit neuen Rebsorten) und das andere etwa fünfzig Kilometer nördlich, im Zürcher Weinland. Die Weissen des letzteren Weinguts habe ich schon öfters getrunken, vor allem die Weissen, vor allem den grossartigen Chardonnay. Aber die roten Blauburgunder, die Pinots?
Da hielt ich mich bisher an die Bündner Herrschaft, wo eigentlich die besten Pinot Noir der Schweiz gemacht werden. Ich entschied mich – es war ja Geburtstag – für den teuersten der
Schweizerweine, entgegen meiner sonstigen Gewohnheit. Eigentlich habe ich beim Wein lieber das Aussergewöhnliche, das nicht Alltägliche, hier zum Beispiel den «Besonderen» (Cuvée aus Pinot Noir und Gamaret) und wenn schon 100% Pinot Noir, dann eher den barriquearmen («Nobler Blauer»). Doch den
«Besten» - den «Tête de Pinot», den wollte ich endlich einmal mit den (nach meiner Ansicht) besten Schweizer Pinots vergleichen, mit einem «von
Tacharner», einem «Grünefelder» oder gar mit dem international Renommiertesten, dem «Gantenbein». Ich weiss, man müsste da auch die Preise in Relation ziehen, die Art des Ausbaus, das Ziel der
Winzer. Auch stehen mir die vielen verkosteten Pinots nur al Erlebnis- und Erinnerungsstücke zur Verfügung.
Der Vergleich ist also einseitig, fast schon «virtuell». Der Wein von Nadine Saxer schneidet gut ab, nicht nur vergleichbar, virtuell vielleicht sogar Punktsieger. Warum? Es ist kein Power-Wein, ein feiner (trotz Barrique) harmonischer, hintergründiger Tropfen. Ein Wein, der in seiner burgundischen Aromenbreite gross ist. Ein Wein, der nicht schlägt, sondern sich eher langsam entfaltet. Gut gewählt, auch zum kräftigen, zum eher würzigen, geschmacks- und aroma-dominierten Essen (Wild, Reh.)
Château Beychevelle 1979, Saint-Julien, Bordeaux, Frankreich
Weinfreunde würden sagen: eine Flaschenleiche oder – wie sich der Auktionsleiter oft ausdrückt – eine schöne Kellerdekoration. Der Jahrgang 1979 gehört zwar zu den eher besseren aus den
70er-Jahren, doch er ist (Zitat Parker): «Zu einem vergessenen Jahrgang geworden», schon damals, und erst recht heute, nach gut vierzig Jahren. So kann man sagen, «dass viele
1979er recht dürftig, unterernährt, karge Weine sind» (Zitat Parker). Diesem Urteil zu widersprechen, dürfte schwierig sein, geht es meist nur noch darum, wie sich ein Wein nach vierzig Jahren präsentiert, ein Wein, der – gemäss Einschätzung von Weinkritikern - bereits fünf oder sechs Jahre nach der Flaschenfüllung genussreif sein sollte. Jetzt geht es um die Frage: ist er noch trinkbar oder etwas differenzierter ausgedrückt: bereitet er noch Genuss? Er tut es, in beschränktem Mass, nämlich dann, wenn man Altweine liebt. Für mich kommt dazu – deshalb landete er auch in meinem Keller – dass Château Beychevelle, vor über dreissig Jahren, Initialzünder meiner Bordeaux-Liebe war. Knapp zehn Jahre, nach dem
Jahrgang dieses Weins, stand ich zum ersten Mal in einem veritablen Bordeaux-Keller, degustierte einige Jahrgänge und kaufte schliesslich (typisch Greenhorn) meine erste Flasche «grossen Bordeaux», Jahrgang 1986, für 100 CHF, zwar ein ausgezeichneter Jahrgang, aber schon damals weit überzahlt. Immerhin ist er noch heute die Urzelle meines Weinkellers und bleibt weiterhin unantastbar. Natürlich habe ich später noch viele Beychevelle-Jahrgänge dazugelegt und viele davon bereits getrunken. Dieser 79er gehört zu den ältesten Beychevelles in meinem Keller. Aus Anlass meines doch schon «reifen» Geburtstags, musste er jetzt den Keller verlassen, sein Inhalt ergoss sich – nach gebührender Zeremonie – im Bordeaux-Glas. Doch es war nicht der Wein, der das Hochgefühl brachte, sondern seine Bedeutung im Umfeld meiner eigenen, ganz persönlichen Weinbegegnungen» und zwar weil er nach so vielen Jahren noch immer präsent war, sehr gut zu trinken, wenn auch alt, aber nicht mürbe, nicht jenseits des Weingenusses. So geht es – wohl nicht nur mir – bei vielen Weinen. Ihre Zeugenschaft, ihre Bedeutung, ihre Existenz ist manchmal wichtiger, als ihr sensorischer Wert, ihre Einstufung in einer Punktskala. Im Gegenteil: das Spezielle ist seine einmalige Kombination aus Genuss und Erinnerung, aus Erwartung und Staunen, was daraus geworden ist. Ziemlich «durchgereift», doch noch kräftig auf der Zunge, geschmeidig im Abgang, samtig im Geschmack, malzig im Aroma, interessant in den Gewürzen und den sehr milden Fruchtresten. Ein Erlebnis, wenn man erinnernd trinkt und nicht immer nur nach dem «Wow-Gefühl» hascht.
Kathrin und Gusti Pünter: Pinot noir Barrique 2019, Stäfa, AOC Zürichsee, Schweiz
Den Namen kannte ich, ich weiss auch wo er zuhause ist. Fast im Nachbardorf, an der Goldküste, wo auch viele Reiche wohnen. Da erwartet man Gold, kaum aber «goldene» Weine.
Doch ich bin einem «goldenen Wein» zufällig begegnet, in einer Gartenwirtschaft im Zürcher Oberland. Ich hatte Lust auf einen «Roten», einen Einheimischen, einen Pinot. Eine Weinkarte gab es nicht. Ein Offener oder ein Flaschenwein? Es kam dieser Pinot aus Stäfa, speziell mit «Barrique» bezeichnet. Wer meine «Getrunken» kennt, der ahnt, dass mich alle Skepsis der Welt ergriffen hat. In meiner Fantasie sah ich ganze «Holzladungen», die mich überschütten und ein kleines Weinchen, das sich dahinter versteckt.
Doch es kam anders. Klar, Barrique ist sofort in die Nase gestochen, begleitet von einem schönen, gepflegten, sanft-fröhlichen Wein. Die Aromen des Blauburgunders waren da. Nicht erstickt, nicht gefesselt, vielmehr begleitet. Als Harmonie kann man das bezeichnen. Keine Aufregung, kein Wow, keine lauten Töne. Stattdessen eine Präsenz, die Vergnügen bereitet. Weinvergnügen. Von gar manchem etwas, aber nicht zu viel, an prägenden Aromen, an Extrakt an Tanninen… Es muss ja nicht immer aufregend sein, es darf durchaus einmal die Harmonie im Mittelpunkt stehen, der Genuss sich vordrängen, sich vor die längst gefasste Meinung setzen. Er muss nicht so sein, wie ein Barrique-Pinot zu sein hat, darf anders sein, kann das Flair des guten «Landweins» mitnehmen und trotzdem ein guter «Barrique» sein. Zwar noch jung, und nicht so stumpf und «abgeklärt», wie viele Weine, die lange im Holz gelegen haben. Jungweine, sagt man, haben keinen Charakter. Dieser Wein hat Charakter, den Charakter der sonnigen «Goldküste», die durchaus auch den rauen See kennengelernt hat.
Bergerie de Fenouillet: Rosé, Saint-Guilhem-le-Désert, Languedoc, Frankreich
Rosé ist nicht Rosé. Diese Erkenntnis setzt sich allmählich auch bei Weinliebhaber und «Weinkennern» durch. Noch immer ist zwar Rosé in den Augen vieler «wahrer» Weintrinker und -trinkerinnen kein Wein, jedenfalls kein «wahrer», bestenfalls ein «Mischling».
Nur, der Wein kann sich nicht wehren, wenn er so diskriminiert wird. Tatsächlich ist der Rosé ein «anderer» Wein; er lässt sich nicht in die starren Schemen der Weindeklaration einfügen, weder bei den Weissen noch bei den Roten. Er ist eben nur ein Rosé, weder das eine, noch das andere auf der Weinbewertungsskala und auch kein Gemisch aus Rot- und Weisswein. Dies musste auch die EU (Europäische Union) 2009 «lernen», als sie die strenge Reglementierung (unter anderem: Herstellung zu hundert Prozent aus Rotweinsorten), aufheben (oder aufweichen) wollte. Vor allem die südfranzösischen Winzer sind da auf die Barrikaden gegangen, die neue Verordnung wurde zurückgezogen. Es gibt zwar verschiedene Verfahren, wie Rosé (reglement-konform) hergestellt werden kann. Jede dieser Methoden (und jede verwendete Rebsorte) ergibt einen anderen Rosé. Weil er recht kühl und sehr jung (meist vom Vorjahr) getrunken wird, ist eine Sensibilität für Qualitätsunterschiede kaum vorhanden. So ist Rosé zum Rosé geworden, zum fast beliebigen «Durstlöscher» in heissen Tagen, weit weg von einem «Genusswein», über den man redet, diskutiert und gar schwärmt. Das muss nicht so sein. Einen guten Rosé zu erzeugen, ist für jeden Winzer eine Herausforderung, eine Kunst in der Vinifizierung. Entscheidend ist nicht nur die Farbe (von lachsfarben bis kirschrot), sondern vor allem das Aroma: nicht schreiend, eher dezent, zart, beerig, würzig und es gibt es eine beachtliche Bandbreite von rosé affinen Aromen. Eine Hierarchie aber gibt es nicht: viel entscheidender ist die Harmonie, Erkennbarkeit und Eindeutigkeit. Hier frische, leicht florale Aromen Himbeeren und roten Früchten, mit einer verspielten Säure, die sich nicht versteckt, sondern weitgehend für die Saftigkeit verantwortlich ist, während wohl der kleine Anteil von Syrah (mehrheitlich Grenache) für eine gelungene Harmonie sorgt und den trockenen Ausbau möglich macht.
Domaine Allegria: Cinsault Abuelo 2018, Pays d'Hérault IGP, Caux, Languedoc, Frankreich
Zum dritten Mal innerhalb von zwei, drei Wochen habe ich in einem Restaurant einen Wein bestellt, mit der Bezeichnung «vin sans sulfites ajoutés», also Weine, ohne zusätzlichen Schwefel. Eine Stufe natürlicher, «gesünder», besser als nur Bio-Weine. Damit wird versucht, der immer grösseren Konkurrenz von «Alltagsweinen» die Stirn zu bieten.
«Bio» war es gestern, heute sind es die verpönten Sulfite (Schwefel), die verbannt werden. Bio-Zertifikate regeln nur den Anbau der Reben, sagen aber kaum etwas über die Vinifikation im Keller. Also wird immer häufiger auch beim Ausbau der Trauben ein Marketing-Vorteil gesucht. Oft sogar mit der Bezeichnung: «vins sans sulfites», also ohne den Zusatz «ajoutés» (zugefügt). Weine ohne Sulfite gibt es aber nicht. Wenn Trauben fermentiert werden, produzieren sie auf natürliche Weise Schwefel, der als Antiseptikum und Antioxidans die Gärung begleitet. Es geht beim zusätzlichen Vermerk („sans sulfites“) vor allem darum, die vorgeschriebene Erwähnung „contient des sulfites“ (enthält Sulfite) zu vermeiden. Die Erwähnung von Sulfiten auf der Etikette ist vor allem für Schwefel-Allergiker eingeführt worden. Sie werden die neue Entwicklung begrüssen. In der Schweiz hat sich für „Weine ohne Sulfite“ bereits die Bezeichnung „vegan“ eingebürgert. Was das Sulfite mit dem Begriff „vegan“ (Lebensmittel mit tierischem Ursprung) zu tun haben, ist eher schleierhaft (oder allzu „durchsichtig“). Die entscheidende Frage stellt sich: Wird der Wein durch die spezielle Massnahme (Reduktion der Sulfite) auch besser? Oder ist es nur einen Marketing-Effekt? Darüber wird im Augenblick in Weinkreisen heftig diskutiert, nicht nur unter Liebhabern von Bio-Weinen. Meine eigenen Erfahrungen: „jein“. Sulfite verhindern (oder reduzieren) das Eindringen von unerwünschten Bakterien (die im Extremfall einen guten Wein „vernichten“ können.) Sie sind also vor allem für Lagerweine wichtig, für Weine, die eine lange Flaschenreife brauchen, um möglichst viele Aromen zu entwickeln. Und bei „Jungweinen“? Gibt es eine Geschmacksveränderung durch zugesetzte Sulfite? Oder wird die Aromen-Vielfalt und -Kraft gar gesteigert? Ich habe beides schon erlebt? Sicher ist: der Verzicht auf zugesetzte Sulfite verlangt eine „pingelig-genaue“ Lese, ein Traubengut, das praktisch perfekt ist. Wer den riesigen Aufwand nicht betreiben will (oder kann), der soll lieber moderat mit Sulfiten arbeiten. Der „Teufel“ steckt nicht in den Sulfiten, sondern im sorgfältigen Ausbau von Weinen.
Und da gibt es in Bezug auf Aufwand – ökonomische – Grenzen. «Cinsault Abuelo» ist ein hundertprozentiger Cinsault und wohl ist wohl nicht besser, nicht anders, mit- und ohne zugesetzten Sulfiten. Die südfranzösische Rebsorte – sorgfältig vinifiziert - entfaltet Kraft, Farbe und ein breites Spektrum an Aromen. Nicht ganz alltäglich im Geschmack, eher speziell, südfranzösisch eben. Die Rebsorte Cinsault wird – wegen ihren etwas anderen und kräftigen Aromen – häufig für Rosé-Weine verwendet. Für mich ist dies ein Stück Zähmung (oder „Verstümmelung“). Hier – beim Rotwein – kommt die spezielle Rebsorte auch voll zur Geltung. Das kleine „Schwänzchen“ (die Sulfite-Vermeidung) braucht es nicht, zumal der Wein noch jung und frisch ist, wie man dies von guten Gastroweinen erwarten kann.
Châteaux La Négly: La Falaise Rouge 2019, La Clape, Languedoc, Frankreich
Vor vierzig Jahren war der Süden Frankreichs – vor allem das riesige Weingebiet der Languedoc – kaum ein ernsthaftes Thema für
Weinliebhaber. Massenware, Billigweine – hart bedrängt von noch
billigeren Weinen, aus Spanien, Algerien… In der Schweiz war es das Weinhaus Albert Reichmuth, das in den 80er Jahren zuerst ein Dutzend hat.Reichmuth schrieb in seinem wunderschönen jährlichen Wein-Buch „Homage au Vin" (1994): „Wohl gab es da und dort einen Produzenten, der versuchte aus dem Meer des Gros Rouges aufzutauchen und etwas Beachtenswertes zu erzeugen.“ Sein Angebot, von Weinen zwischen der Rhone und den Pyrenäen, war auch meine erste Weinbegegnung mit dieser Region.
Noch war die Hofproduktion eigener Weine die Ausnahme in der Region. Die grosse Masse der Ernte ging in die Kooperativen, die es in vielen Dörfern gab und die Vinifizierung (und Vermarktung) übernahmen. Eines der ersten eigenständigen Weingüter, die internationales Renommee erlangten, war Châteaux Négly, mit seinen Reben auf dem Kalkstein-Massiv von „La Clape“, hoch über dem Hafen von Gruissan, südlich von Narbonne. Schon damals kosteten seine Spitzenweine („La Porte du Ciel“, „L'Ancely“, „Clos des Truffiers“) um hundert Franken.. Als „Stock limité“ mussten sie sogar vorher subskribiert werden. Doch, wer kauft schon Languedoc-Weine zu Bordeaux-Preisen? Das Weingut wurde dadurch im internationalen Weingeschäft bekannt, weniger aber in Frankreich, wo die Weine „haut de gamme“ vor allem aus dem Bordelais und dem Burgund stammen. Doch Négly hat auch Weine zu Preisen, wie sie inzwischen bei bekannten Weingütern in der Languedoc durchaus üblich sind, und bei den Rotem zwischen 7 unnd 20 Euro (ab Hof) kosten.
Nach vielen Jahren war ich jetzt wieder einmal auf dem Hof, um die beiden besten «normalen» Roten zu degustieren und zu kaufen; «La Falaise» und «Les Grès».
«La Falaise Rouge», ist von den Rebsorten her typisch für die Region (Cuvée aus Syrah (50%), Grenache (40%) und Mourvèdre (10%)). Und doch ist er nicht "typisch" für die Region: kräftiger, dunkler, Terroir-geprägter, sorgfältiger ausgebaut und in den Elementen (Säure, Alkohol, Aromen, Frucht, Tanine) besser abgestimmt (harmonisiert), als die meisten Weine der Gegend. Was erstaunlich ist: man trotzt der Versuchung dem Bordeaux-Stiel nachzueifern. Was schrieb Reichmut vor gut dreissig Jahren:«Die Trauben, trunken von Sonne, drücken alle Nuancen des Bodens aus – zwar etwas hochprozentig (15%vol) – aber trotzdem elegant und nicht von Holz erschlagen."
Villa Delmas: Carignan Méchant 2017, Côtes de Thongue IGP, Saint-Thibéry, Languedoc, Frankreich
Er ist unartig, dieser Wein. Zumindest steht dies auf der Etikette. Unartig ist er vor allem auf einer Weinkarte, weil er nicht der üblichen Art von Weinen entspricht, die im Restaurant so angeboten werden. Eine Ausnahme also, selbst in der Region, aus der der Wein stammt. Ein Wein nur aus Carignan entspricht (angeblich)
nicht mehr dem heutigen Weinge-schmack.Zu langweilig, zu eintönig in den Aromen, zu «bürstig», vielleicht sogar zu laut, zu aufdringlich im Erscheinen (Säure, Alkohol, Dichte etc.) Er kommt erst noch von «alten Reben», gut fünfzig Jahre alt, ein Wein aus dem Sortiment «neben dem Zeitgeist». Und darum schwer einsetzbar in Restaurants. Da braucht es – selbst bei einheimischer Küche – mehr Gefälligkeit, oder mehr Wow! oder mehr Erinnerung an… Ja, an was? An das, was die Weinkritik seit Jahren als Weingeschmack postuliert, quasi ein internationaler «Weingeist», der sich in hohen Wertungen (zum Beispiel Parker-Punkten) niederschlägt und in entsprechenden hohen Preisen. Kommt dazu: der so andere «Modegeschmack» (hauptsächlich an Bordeaux und Burgund angelehnt). Wie soll da ein «unartiger» Wein bestehen? Der Preis ist zwar «adorable» (um 8 € ab Weingut), deshalb durchaus restauranttauglich. Aber der Name, die Rebsorte, die Bewertung der Weininstanzen, die Herkunft aus einem Gebiet, wo einst «Billigweine» residierten, all dies ist wenig kundenfreundlich. Carignan, die ertragreiche, üppige Rebsorte, mit dem bescheidenen Aromen-Auftritt, hat dazu verleitet, viel Wein in bescheidener Qualität auf den Markt zu bringen. Als das nicht mehr funktionierte, hat man die Carignan-Reben ausgerissen, weltweit, vor allem aber in Südfrankreich und mit anderen populäreren Rebsorten ersetzt. Jeder Trend ruft auch ein paar «unartige Buben und Mädchen» auf den Plan, in diesem Fall Winzerinnen und Winzer, die es «anders» machen: Die Erträge reduzieren, feinfühliger vinifizieren, sich stärker an den Eigenschaften und Besonderheiten Rebe orientieren und damit einen anderen Wein anbieten, als die «Anderen». Ein solcher Wein ist auch dieser Wein: anders, eigenwilliger, eigenständiger, man kann dem gut und gern «méchant» sagen.
Maison Cazes: John Wine 2018, no sulfites, Bio, Côtes du Roussillon, Riversaltes, Frankreich
Der Sheriff der texanischen Stadt «Rio Bravo» kämpft verbissen um Recht und Ordnung und gegen die Übermacht einer skrupellosen Bande. John Wayne taucht auf, einer der ganz grossen Westernhelden, im Spiel zwischen Legende und Wahrheit. Assoziationen vor dem Weingestell des Discounters. Assoziationen, die bewusst angesprochen werden, durch den Namen und die Etikette einer Flasche Wein:
Assoziationen vor dem Weingestell des Discounters. Assoziationen, die bewusst angesprochen werden, durch den Namen und die Etikette einer Flasche Wein: John Wine (man beachte, wie der Name geschrieben ist) und das Porträt eines Westernhelden (mit Cowboyhut und einem Zweiglein zwischen den Lippen). Kampf um Aufmerksamkeit, entfacht durch das Haus «Caves», ein selbst für Südfrankreich (Riversaltes) sehr grosses Weinunternehmen, gegründet 1895 vom Winzer Michel Cazes. Aus dem bescheidenen Weingut ist ein Unternehmen geworden, das heute mehr als 200 Hektaren Reben bewirtschaftet und eine ganze Palette von Weinen vermarktet. Eines muss man dem Haus Cazes zugestehen: Hier werden immer wieder neue Ideen kreiert und auf neue Entwicklungen im Weinbau (und in der Vermarktung) eingeleitet. So gehörte das Weingut zu den ersten Betrieben, die schon 1997 ihren Betrieb konsequent auf «Bio» umgestellt haben. Mit dieser Cuvée geht man noch einen Schritt weiter: «no sulfites», also keinen zusätzlichen Schwefeleinsatz bei der Vinifikation. Ist dies überhaupt möglich und sinnvoll? Die Meinungen sind geteilt, die meisten «Bio»-Zertifikate lassen die Frage offen und der Qualitätsgewinn umstritten (allerdings ein Hoffnungsschimmer für Menschen mit einer Schwefelallergie). Grenzwertig ist in diesem Fall auch die Anpreisung des Weins: John Wine hat mit dem indirekt erinnerten John Wayne (1907-1979) nichts am Hut, weder eine historische, noch eine (im übertragenen Sinn) charakterliche Beziehung. Der Wein ist weder ein Held, noch hat er die Härte einer Figur, welche John Wayne verkörpert hat. Doch dies ist unerheblich, denn wer weiss heute noch, wer der Mann ist, der «Liberty Valance erschoss»? noch ein paar Gedanken zum Wein: Es ist erst der zweite Wein – deklariert ohne Sulfite – den ich getrunken habe. Der andere war aus der Lombardei (hier beschrieben), mit der neuen Traubensorte «Rebo», hier eine traditionelle Cuvée (Syrah, Grenache und Mourvèdre), wie sie eben (in unterschiedlicher Prägung) in Languedoc/Roussion Tradition ist. Und doch – man verzeihe – sind die beiden Weine sehr ähnlich im Charakter: etwas ungestüm, etwas vordergründig, im Geschmack nicht ganz eindeutig, als wäre er in Fesseln gelegt und könne seinen potentiellen Charme nicht ausspielen. Eigentlich bin ich von John Wayne beeindruckter als vom mir bisher unbekannten John Wine.
Château de Caraguilhes, Les Courgoules 2017, Corbières, Languedoc, Frankreich
Ein dunkler – fast schwarzer – Wein, kräftig, aromatisch, tanninstark, schmeichelnd wild. Er erinnert an den «Côt» (Malbec) aus Cahors, an den legendäre «vin noir», der immer mehr in Charmes-Fesseln gelegt wird und heute fast schon brav um seinen wilden Ruf kämpft.
Nicht viel anders ergeht es diesem Corbières-Wein, der auch wild, aber auch charmant ist. In den Aromen aber anders: nicht das Blumige des Malbec, nicht seine dunkle Schokolade, nicht seine Espresso Noten. Dieser Wein ist anders: weit pfeffriger, tendiert mehr zur Olive, erinnert an Walderde, an Unterholz, Garrigue. Vielleicht ist es nur die Landschaft – Garrigue, Garrigue – in der die Trauben wachsen, welche die Assoziation «Garrigue» auslöst. Vielleicht sind es einfach die starken Beerenanklänge – Brombeeren, Heidelbeeren – jene Aromen also, die man in vielen «starken» Weinen findet. Jedenfalls ist es nicht ganz einfach, den kräftigen, sehr eigenständigen Wein zu charakterisieren. Die Schwierigkeit beginnt schon den Bezeichnungen – Caraguilhes: Name des Weinguts – für uns ein Zungenbrecher. Les Gourgoules – ein bestimmter Ort, eine Parzelle des Châteaus (in der Gemeinde Saint-Laurent-de-la-Cabrerisse), mitten in der Corbières, wo man noch das katalanische Erbe pflegt, in der Sprache, aber auch um Weinbau. Es dürfte einer der frühsten Bio-Weine der Appellation sein, entstanden (in den achtziger Jahren) aus dem Bedürfnis, der Natur näher zu kommen. Und das schafft er. Und zwar so, dass er nicht mit der Brechzange einheimisch, authentisch sein will, sondern im Charakter und der ist – trotz der Kraft und Präsenz – fein, geschmeidig, im Abgang sogar seidig. Ein authentischer Wein, ein guter, ein ehrlicher, ein sogar etwas vergessener.
Châteaux Latour 1993, Premier grand cru classé, Pauillac, Bordeaux, France
Es ist selten geworden, dass «man» einen (vom Namen her) «grossen» Bordeaux im Glas hat. Präziser: dieser «man» bin ich und die «gossen» Bordeaux sind jene, die selbst bei «mittleren» oder gar «schlechten» Jahrgängen mehr als 500 Franken kosten. «Latour» 1993 ist so ein Wein, er erreichte keine 90 Parker-Punkte, weder als Jungwein, noch gereift. Es ist – wie bei vielen andern Top-Bordeaux – vor allem der Name, welcher den Preis bestimmt und (mit zunehmendem Alter) auch seine Rarität.
Einmal im Leben einen «Latour» im Glas zu haben, einen «Lafleur» oder gar einen «Pétrus», davon träumt gar manchen
Weinliebhaber. Der Verstand sagt zwar: Er ist wohl nicht so viel «besser», als ein gut gemachter «kleineren» Bordeaux aus einem guten Jahr. Doch die Ehre, das Erlebnis, mit einem «Grossen» am
Tisch zu sitzen wiegt viele berechtigte Zweifel auf. Oder doch nicht? Ich hatte meine Wein-Sturm- und Drang-Periode in den frühen Neunzigerjahren, als ein «Latour» noch unter 100 Franken zu
kaufen war und ich deshalb meinen Bordeaux-Keller auch mit sogenannt «grossen Gewächsen» ausstatten konnte. Rein monetär gesehen, hat der «Latour 1993», den ich jetzt nach fast 30 Jahren öffne,
den Wert von damals (Plus Lagekosten und ein langes Warten). Der fünfmal höhere Preis von heute ist für mich nur ein virtueller Wert, der besagt, was wäre, wenn… Ich will ihn aber weder
verkaufen, noch muss ich ihn jetzt erwerben. Trotzdem: dieser virtuelle Wert begleitet alle beim Genuss. Was ist jetzt wichtiger für die Bewertung? Ob ich einen 88-Punkte-Wein trinke oder einen
(jetzt) teuren «Latour»? Was bereitet die grössere Freude, das grössere Erlebnis? Dieser «Latour 1993» oder der (am selben Abend geöffnete) «Les
Forta des Latour 1997»? Der Zweitwein von «Latour», ebenfalls von einem schwächeren Jahr, ebenfalls mit 88 Punkten ausgestattet. Sensorisch sollten sie etwa gleichwertig sein sollte, der eine
kostete einst 30 Franken (heute um 200 Franken), der andere ein Vielfaches davon. Der eine der teure Spitzenwein, der andere eben nur der «Zweitwein».
Was ich mit dieser fast schon philosophischen Gedanken sagen möchte: man trinkt und beurteilt nicht nur einen Wein, fast immer auch – bewusst oder unbewusst – einen «virtuellen» Wert. Und der kann – je nach Situation – eine Beurteilung beeinflussen und verfälschen. Konkret: der 93er war eindeutig der bessere Wein. Seine Strahlkraft war grösser. Das Bewusstsein, einen tollen Wein getrunken zu haben, tief verankert, schon allein deshalb, weil ein Vergleich oder eine Überprüfung nicht so einfach möglich ist. Und weil der «Handelswert» letztlich – ob man es wahrhaben will oder nicht – doch entscheidend ist.
Completer:
Weingut Francisca & Cristian Obrecht: Completer 2014, Jenins, Graubünden
Schweiz
Weinbau von Tscharner: Jeninser Completer 2010, Schloss Reichenau, Graubünden, Schweiz
Es begann mit der «Komplet». Komplet? Lateinisch «completorium», verkürzt die Complet oder «das Gebet auf der Bettkante». Mörike (1804-1875)
kleidet es in Poesie: «Und kecker
rauschen die Quellen hervor, sie singen der Mutter der Nacht ins Ohr. Vom Tage, vom heute gewesenen Tage.»
Der Tag war noch nicht gewesen, als wir mit der Complet begannen, besser gesagt: mit dem «Completer», einem ganz speziellen Wein aus einer uralten Rebsorte, die nur noch selten angebaut wird, vor
allem in Schweiz (Bündner Herrschaft).
Lange Zeit war sie fast verschwunden, die Rebe, welche nur in ganz sonnigen Lagen (meist in alpinen Regionen und oft an Mauern) eine volle Reife der Beeren entwickeln kann. Und ihr
Wein?
Der muss lange, lange reifen, sich entwickeln, sich finden, bis er mit jenen Aromen ins Glas kommen kann, die ausgewogen, harmonisch und eigenständig sind (aber kaum mehr dem heutigen Weingeschmack entsprechen). Ein Liebhaberwein also? Eigentlich schon, dafür haben ihn ihre Liebhaber besonders lieb. So lieb, dass er – auch aufgrund seiner Seltenheit und des langen Ausbaus) kaum erhältlich und relativ teuer ist. Die Mönche jedenfalls, die ihn vor ihrem letzten Gebet des Tages, der Komplet, getrunken haben, könnten ihn heute kaum mehr bezahlen. Sie haben ihn deshalb (vielleicht weil sie genügend Geduld hatten) schon damals – in klösterlichen Zeiten – angepflanzt und bewirtschaftet.
Warum also haben wir unseren ersten (erinnerungswürdigen) Weinanlass in Corona Zeiten ausgerechnet mit dem letzten Wein des Tages begonnen? Wohl, weil er sich abgesetzt hat, von all dem was nachher kam und sich harmonisch zu dem fügte, was lose, locker auf den Tisch kam, würzige italienische Häppchen, sogenanntes «Fingerfood», klein, aber charaktervoll. Dazu passten die beiden Completer ausgezeichnet, mit ihrer markanten Säure und den noch markanteren Aromen: Orangen, Quitten, Bitterschokolade und immer eine Prise Salz, vor allem im Abgang. Zwei Completer, die sich im Stil durchaus unterscheiden, nicht aber in den Aromen. Die Meinung am Tisch war durchaus geteilt: Der Wein Obrecht ruhiger, feiner, besonnener – auch vier Jahre jünger, durchaus schmeichelnd, mehr Süsse als der stürmische, selbstbewusste von Tscharner, der für mich als trockener, selbstbewusser Charakterwein eigentlich besser gefiel, weil er in einem grandiosen Abgang, scheinbar endlos ausgeklungen ist. Der eine eher ein gepflegter, harmonischer «Schlummertrunk», der andere ein aufwühlendes «Gutnacht Gebet». Eigentlich – so im Nachhinein reflektiert – liebe ich beide Weinstile und ist wohl abhängig von dem, was ich am Tag so «angestellt» habe. Am Tag der Verkostung – es war ja erst der Anfang – war mir die Aufregung näher, als die Ruhe und Besonnenheit.
Weinbau von Tscharner, Schloss Reichenau: Jeninser Muskateller 2020. trocken, Graubünden, Schweiz
Offen gesagt: den Muskateller – eine vielfältige, alte Rebsorte – mag ich nicht: zu süss, zu traubig, zu beerig, zu plakativ. Ein Urteil, das ich mit vielen Weinfreunden teile. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass ich je ernsthaft über einen Muskateller diskutiert,
geschweige geschrieben habe. Er liegt – so meine tief verankerte Meinung – unter meiner Weinliebhaber-Ehre. Oder ist er ein Opfer gängiger Vorurteile? Ernsthaftigkeit billige ich ihm nicht zu! Bisher, jedenfalls. Mein gestörtes Verhältnis zu der süsslichen Plörre mit ihrem markanten Aroma, einer Mischung aus Muskat und Blumenduft, hat mich immer davon abgehalten (was ich bei Wein eigentlich immer mache) auch Unvertrautes neugierig zu probieren, zu ergründen, sensorisch zu werten und mein Urteil zu erklären und begründen. Ich weiss, da ist vieles meinem Geschmack, meiner Vertrautheit und meiner Weinsozialisation geschuldet. Subjektivität aber ist - nicht zuletzt – beim Essen und Trinken ein wichtiger Faktor. Deshalb blieb der Muskateller (bei mir) aussen vor. Ich habe zwar ein paar Mal daran genippt, immer am Mittagstisch bei der Traubenernte, wenn wir gerade die kleine Parzelle mit Muskateller (Muscat Blanc à Petits Grains) abräumten. Dann aber ist es passiert, der Winzer hat dem Muskateller nicht den Muskat, nicht den Blumenduft, nur die Süsse genommen, auch die spitze Säure, den bonbonhaften Allerweltsgeschmack, der den Muskateller rasch zum fröhlichen «Saufwein» werden lässt. Aus dem Blumenstrauss, hat er eine Blume gepflückt, zart, anmutig, den Muskat hat er zurückgestutzt auf Aromen Spuren, die im Gaumen weder kratzen, noch «ins Gesicht springen», wie ich das bei meinen wenigen Begegnungen mit dem Muskateller-Wein erlebt habe. Ich wusste zwar, dass die Traubensorte ganz verschieden ausgebaut werden kann: süss, lieblich, halbtrocken und auch (ganz) trocken. «Ganz» trocken ist er nicht, dieser Jeninser Muskateller, aber so gut trocken, dass nur die Süsse, nicht das charakteristische Aroma «geköpft» wird und dadurch seine Leichtigkeit und Fröhlichkeit verliert. Da hat man – wenn all die Vorurteile wegfallen – plötzlich einen guten, einen eigenständigen, einen schönen Wein im Glas.
Stag's Leap Wine Cellars: Cask 23 (Cabernet Sauvignon Estate) 2009, Napa Valley, Kalifornien, USA
Es kam mir vor, als sässe ich in einem Maserati, einem Lamborghini,
einem Aston Martin oder wie die Luxuskarossen alle heissen: schön, stark, elegant, luxuriös… aber irgendwie unerreichbar. Etwas ganz Besonderes eben. Etwas das teuer ist, etwas, das
man nicht alle Tage hat, etwas, das man sich vielleicht erträumt, aber nicht besitzen kann, weil man sich nicht in diesen Kreisen bewegt. Auch ein Wein kann sich in solchen Sphären
tummeln.
Zugegeben, nicht ganz so teuer, nicht ganz so unerreichbar, nicht ganz so auffällig, schon viel irdischer, aber doch eine Ausnahme-Erscheinung. Als Bordeaux-Liebhaber kenn ich das, im Bordelais
heissen sie einfach anders: Petrus, Ausone, Latour…
Es sind keine Weine, die man kritisiert: bestenfalls bemisst, bewundert, geniesst. Auch «Cask 23» ist so ein Wein, zwar nicht aus dem Bordelais, aus einem andern berühmten Weingebiet, aus dem Napa Valley in Kalifornien. Einfach etwas «Gutes», etwas «Besseres» und das zu Recht. Geadelt durch Punkte kompetenter Weinkritiker, die ihm meist weit über 90 Punkte geben. Der beste Wein, des heutigen Abends, unbestritten, auch von mir.
Was aber ist, wenn ich einen anderen Wein (des Abends) mehr schätze, lieber habe? Wenn ich einen Smart dem Lamborghini vorziehe? Bin ich dann ein Idiot, ein Banause, ein Ignorant? Einer, der nicht «drus chunt»? Das ist das Dilemma, bei einem Weinabend, wo es eigentlich um den Genuss, aber auch andere Messlatten – meist unausgesprochen im Hintergrund – Massstab sind. Zum Beispiel die Parker-Punkte (und damit die Preise), das Renommee einer Gegend, eines Weinguts, eines Winzers, das Prestige (eben einmal in einem Lamborghini gefahren zu sein), aber auch die Mode (das gibt es, auch beim Wein) oder der Mythos, der einen Wein umrankt. Es ist nicht ganz einfach, einen Wein, der all dies nicht mitbringt (zumindest nicht im gleichen Ausmass), besser zu finden, «lieber zu haben», den Höchstgekrönten vorzuziehen. Der Kleine hat da schon verloren, bevor das sensorische Ringen beginnt, das Resultat steht quasi fest.
So ist es auch jetzt wieder. Drei gute Weine an diesem Abend. Unbestritten gute. Darunter diese «Legende». Für einen mehr als zehnjährigen wein noch viel blau- und schwarzbeerige Aromen, die Frucht noch immer recht üppig. Es kommt mir vor, als wolle er «ums verrode» der Beste sein, so quasi ein «Vorzeige-Cabernet». Man hat mir gesagt, zwanzig Jahre brauch er, um seine Harmonie zu finden, um sein eklatantes Strebertum abzulegen, etwas mehr Mineralität durchschimmern zu lassen, seinen Kultstatus abzulegen und einfach nur guter Wein zu sein. Doch ich fürchte, er wird nie die Ehrlichkeit und Zurückhaltung der beiden andern «viel kleineren» Weine haben, die voller Nuancen und Spielfreunde sind und gar nie die grössten sein wollen.
Angelo Gaja: Barbaresco 1994,
Langhe, Piemont, Italien
Gut acht Jahre sind vergangen, seit ich zum letzten Mal einen Barbaresco von Angelo Gaja getrunken habe, und zwar dem gleichen Jahr, aus dem gleichen Lot. Ich erinnere mich nur noch schwach, weiss nur noch, dass er gut war, dass er mir gefallen hat, dass ich die restlichen drei Flaschen (ich habe damals sechs auf einer Auktion erstanden) ganz oben im Keller, für mich fast nicht mehr erreichbar (ohne auf eine Kiste zu steigen), jedenfalls so, dass sie unangetastet blieben. Eigentlich habe ich den Wein damals ersteigert, um einem Freund (mit ihm war ich damals im Piemont) zu danken, ja ihm eine Freude zu machen. Ich erinnere mich, dass er den Wein zusammen mit Italien-Fans getrunken hat. Sie waren voll des Lobes. Also trotz des Alters: «ein Wow-Wein». Nun ist es so, dass ich in meiner Wein-Erkundungs-Akribie sträflich nachgelassen habe und Italien wieder weggerückt ist, nicht weil mir der italienische Wein nicht gefallen oder gar gelangweilt hat, vielmehr weil ich mich da – etwas orientierungslos – nicht mehr als etwas «herumgetastet» habe. Im Gegensatz zu den «Franzosen» brachte ich die Italiener nie auf die Reihe.
Nun bin ich bei dem besagten bewanderten «Italien -Trinker» eingeladen. Schon länger ist es her, corona-bedingt, unsere Piemont-Trips schon fast vergessen. Höchste Zeit also, den Gaja aus dem
fast unerreichbaren Regal herunterzuholen. Zuerst ein Test. Es sind immerhin bald einmal zehn Jahre vergangen seit der letzten Annäherung. Was soll ich sagen? Ein Erlebnis, jedenfalls, doch mir
fehlt der Vergleich, die Routine in die Finessen eines gestandenen, leicht alternden, berühmten Weins einzudringen. Mir fehlen die «Messlatten» um meinen grossen Genuss, die spontane Bewunderung
so festzuhalten, wie man dies von einem «Wein-Kolumnist», erwarten darf, erwarten muss.
Da hilft – in meiner Unsicherheit (bezüglich objektivierenden Werten) das Archiv. Am 13. September 2013 schrieb ich in meiner
Kolumne bei «Wein-Plus» (der grossen digitalen Weinblattform) über genau diesen Wein: «Gaja ist eine Ikone und als Ikone entzieht sie sich jeder „neutralen“ Beurteilung.
Man kann es drehen, wie man will, entweder wird an der Patina gekratzt oder sie wird aufpoliert, die Patina. Dies liegt weniger an der Ikone als an unserem Umgang mit Traumbildern. Es beginnt mit
dem Preis – was viel kostet, muss auch viel wert sein. Es taucht die Verfügbarkeit auf: auf das, was rar ist, richtet sich unsere Begehrlichkeit. Schliesslich ist es der Anlass, bei dem eine
Ikone aufgestellt, in diesem Fall getrunken wird. Es kann nicht der Alltag sein!»
Es war auch jetzt – als ich den Wein wieder offen vor uns stand – nicht Alltag, Ikonentag. Und der war nicht anders als der Tag vor acht Jahren. «Wir hatten einen guten, bereits leicht abgebauten oder sagen wir zur Zurückhaltung gereiften Barbaresco im Glas. Ausgewogen, sagt man, auch dicht, könnte man noch sagen. Doch die Kraft hat einer Eleganz Platz gemacht, die etwas verwelkt wirkt, zurückhaltend in der so oft zitierten „Barbaresco-Nase“: Waldbeeren, Lakritze, Teer und Rosen. Auch die Rosen sind nicht mehr frisch, haben aber ihre seidige Struktur behalten.»
Man sieht, auch mein Umgang mit der Ikone Gaja ist nicht ganz unbeschwert. Habe ich die Patina nun beschädigt oder in ein neues Licht gestellt? Ich überlasse das Urteil anderen, werde nüchtern, sachlich: es war ein gute, gut gereifter, differenzierter, schöner Wein. Mehr nicht. Aber es war ein Gaja».
Château Lynch-Moussas, Pauillac,
5ème Cru classé, Bordeaux,
Frankreich
Lynch-Moussas und Lynch-Bages, zwei Weingüter in Pauillac, beide als 5ème Cru klassifiziert, ähnliche Namen und doch zwei unterschiedliche Weine. Vor allem in der heutigen Beurteilung in Bezug auf Qualität und Preis. Ähnliches ist im Kern-Weingebiet von Bordeaux oft anzutreffen. Zum Beispiel bei den Weingütern Rauzan-Ségla und Rauzan-Cassies (beides 2éme Cru) oder bei den Léovilles (Barton, Poyferré und Las Cases), alles 2éme Crus. Eine Entwicklung, die typisch ist im Weingebiet Bordeaux. Sie entstand meist infolge Erbteilungen, unterschiedlichen historischen Umständen und häufigen Besitzerwechseln. Da die Klassifikation der Médoc-Châteaux aus dem Jahr 1855 stammt (und kaum verändert wurde) konnten die damals klassifizierten Weingüter ihren Rang bis heute bewahren, auch wenn sie sich inzwischen ganz anders entwickelt haben. So ist dies auch bei Lynch-Moussas und Lynche-Bages.
Im Rahmen der religiösen Konflikte in Irland flüchtete im 17. Jahrhundert auch ein gewisser
John Lynch nach Frankreich und liess sich als Händler (Textilien) in Bordeaux nieder. Er erwarb Besitztümer und sein Sohn heiratete die Tochter eines Landbesitzers („Bourdieu de Batges“). Nach
dem Tod des Vaters erbte sie die Hälfte des Anwesens. Daraus entstand das neue «Château Lynche». Rund hundert Jahre später wurde es verkauft und auf zwei neue Besitzer aufgeteilt, die es fortan
Lynch-Bages und Lynch-Moussas nannten. Das eine Weingut (Lynche-Bages) hatte mehr Glück und wurde 1938 von Jean-Charles Cazes, einem hervorragenden
Weinmacher, übernommen. Das andere Weingut (Lynch-Moussas) wurde hingegen mangelhaft bewirtschaftet, jedenfalls bis 1969 sowohl Rebfläche, als auch
Weinkeller neu hergerichtet wurden. Während sich Lynch-Bages – vor allem seit den 90er Jahren – tüchtig entwickelte (sein Ruf: «Mouton des kleinen Mannes»), suchte – und fand - Lynch-Moussas zwar
den Anschluss an die (stürmische) Entwicklung in Bordeaux, blieb aber bis heute im Bereich eines gute 5éme Crus. In der Subskription kostete Lynch-Moussas 1996 um 35 CHF, während sich der Preis
von Lynch-Bages bereits um 50 CHF bewegte.
Seither ist der Lynch-Bages preislich in den Bereich eines 2éme Cru (mehr als 100 CHF) aufgestiegen, während sich Lynch-Moussas noch immer auf dem angestammten Niveau (40-50 CHF Subskriptionspreis) bewegt. Preise und Punktbewertungen sind das eine, das andere die eigene Erfahrung und der Trinkgenuss. Sie unterscheiden sich häufig, vor allem nach vielen Jahren Kellerlagerung. Ich hatte die beiden Weine (des gleichen Jahrgangs) kurz hintereinander im Glas und ich habe sie als Essbegleiter getrunken. Da tauchte die Frage sogleich auf – auch wenn man sie als töricht empfindet: Ist ein Unterschied festzustellen? Wenn ja – wie gross ist er und (natürlich) welches ist nun der «bessere» Wein? Wenn «besser» gleich kräftiger, bestimmter, gewohnter bedeutet, dann ist es eindeutig und klar «Lynch-Bages». Hier wurde mehr zum üblicherweise bewerteten Geschmacksbild beigetragen, wurde bewusster (zielgerichteter) selektioniert und vinifiziert. Geht es aber darum, einen Wein zu entdecken, zu erleben, eine Genusspalette zu erweitern, festzustellen, wie ein Wein nach fast 25 Jahren natürlicher Flaschenreife (auch) «schmecken» kann, dann weckt «Lynch-Moussas» mehr Interesse und bereitet sogar mehr Vergnügen. Wenigstens mir!
«Da war doch was!» Doch der Weinkenner und Liebhaber muss nicht unbedingt ein Literaturkenner und -freund sein. Doch «Gunterloch» ist deutsches Kulturgut. So heisst auch der Winzer im Lustspiel "Der fröhliche Weinberg" (Erstaufführung 1925 in Berlin) von Carl Zuckmayer (1896-1977). Ein derbes Stück, das damals einen unglaublichen Skandal auslöste. «Die Nackenheimer sahen sich, die sich Provinzbürger karikiert sahen, die Kriegsveteranen fühlen sich herabgesetzt, die Kirche ereiferte sich über die unzüchtige Freizügigkeit, die deutschnationale erboste sich über die hohlköpfig dargestellten konservativen Typen.» (Quelle: Wikipedia)
Es gilt als der literarische Durchbruch des Schriftstellers, der in Nackenheim geboren wurde und ab 1957 bis zu seinem Tod im Wallis (Saas-Fee) lebte. Auf seinem Grab liegt auch ein Stein vom Nackenheimer Rotenberg. Zuckmayer betonte immer, dass «Gunderloch» ein fiktiver Name sei und der nicht das reale Weingut (und seinen Besitzer) karikieren wollte. Doch das Stück führte zu einer langen «Eiszeit» zwischen Nackenheim (mit
Trailer: Der fröhliche Weinberg. Es spielen Studenten der Schauspielschule "art of acting". Regie: Stephan Richter
dem Weingut Gunderloch) und dem inzwischen berühmt gewordenen Schriftsteller. Erst 1952 kehrte Zuckmayer erstmals wieder in sein Geburtsdorf zurück. «Der Urenkel des Weingutsbesitzers Gunderloch reichte ihm die Hand zur Versöhnung.» Zuckmayer wurde gar Ehrenbürger. In den 90er Jahren war ich – mit Weinfreunden – auf dem berühmten Weingut in Rheinhessen. Es war eher die Verbindung zur Literaturgeschichte als der Wein, die mich damals entzückte. Die Gespräche bei der Verkostung drehten sich auch mehr um Literatur als um Wein. Es waren vor allem Rieslinge, wie es sie auf vielen Weingüter der Gegend gibt. Jedenfalls hat er uns nicht besonders beeindruckt. Doch der Name «Gunderloch» blieb in guter, bester Erinnerung. Auch als ich diesen Wein – vor Jahren – ersteigert habe. Und auch jetzt, wo er wieder einmal in meinem Glas Einkehr hielt. Eine schöne Spätlese – mit einer schönen Geschichte. Eigentlich schon eher ein «Jahrgangswein», der sich sehr gut erhalten hat und den man mit Genuss noch trinken kann.
Inzwischen ist aber das Weingut noch berühmter geworden, diesmal durch den Wein. Seit Johannes Hasselbach, aus der vierten Generation der Gründerfamilie, das Weingut übernommen hat, werden hier immer wieder Spitzenweine gemacht. Das Weinmagazin «Falstaff» urteilt: «Wenn man die aktuellen Weine verkostet, kann man kaum glauben, dass Johannes Hasselbach das Weingut erst seit fünf Jahren leitet. Seine Handschrift wirkt schwungvoll und routiniert, die Weine haben Feinheit und einen unwiderstehlich klaren Stil. Die Großen Gewächse schaffen es, eine Tonne Extrakt auf einem Stecknadelkopf unterzubringen.» Gunderloch, ein Weingut wo sich Literatur und Wein die Hände reichen.
Dieter Meier: Puro Malbec, 2018,
Organic Wine, Mendoza, Argentina
Es gibt so etwas wie Modeweine, etwas edler formuliert: Kultweine. In Weinbesprechungen taucht dann meist der Begriff «Internationaler Geschmack» auf. Selbst, wenn es um die Rebsorte Malbec geht.
Malbec ist zwar im Kultgebiet Bordeaux zugelassen, wird aber kaum noch im «typischen» Bordeaux verwendet. Abgewandert nach Cahors, wo er noch heute
«der Dunkle, der Kräftige, der Schwarze» ist. Das ist er auch in dort, wo er jetzt seinen Hauptsitz hat: in Argentinien. Nicht gerade eine ideale Voraussetzung, um «Mode» oder «Kult» zu
werden. Dazu braucht es noch eine gute Geschichte und so etwas wie einen «Erlöser». Und der ist gekommen. Ein «Tausendsassa» – wie er sich selber bezeichnet – aus der Schweiz. Seine Geschichte
begleitet den Wein, wo immer er angeboten wird: «Puro ist eine Weinlinie von Dieter Meier. Der Schweizer
Popmusiker, Videokünstler und Autorerlangte in den 1980er Jahren mit dem Popduo Yello Weltruhm. In den späten 1990er Jahren kaufte er ein Weingut mit 380 Hektaren Land in Alto Agrelo, südlich der Stadt Mendoza auf. Hier setzte er von Beginn an auf zertifizierten Bio-Anbau. Seither entstehen herausragende Weinqualitäten, die Kritiker in aller Welt überzeugen». Die Geschichte ist gut, der Wein eigentlich auch. Zumindest so gut, dass er vom Grossisten bis zum Spezialisten – vor allem in Europa - angeboten wird. Nicht nur dieser Malbec, eine ganze Linie von Puro-Weinen (die anderen sind Cuvées). Dieser Malbec aber ist der authentischste: «Sattes Rubinrot, fruchtbetontes Bukett mit viel eingelegten Zwetschgen, Zartbitterschokolade und reife Waldbeeren…» Was so gut tönt – auch nicht falsch ist – hat wenig mit einer «Handschrift», mit Finesse und Hintergründigkeit zu tun. Dafür umso mehr mit Eintönigkeit, ja sogar mit stolzer, prägnanter Langweile. Der Langweile eines guten Massenprodukts, das zudem noch das Etikett «Bio» (Certifield Organic Wine) trägt (und neuerdings sogar mit der Eigenschaft «vegan» verziert ist). Mir ist dies alles allzu viel Mode, allzu viel «Sassasa», allzu viel geglättete Parkerpunkte (Parker selber hat sich bisher - auf seiner Website - kaum zum Wein geäussert). Und wer ihn – «gwundrig» - ergoogelt, der erhält zuerst einmal eine Flut von «Anzeigen», der Werbung von vielen Anbietern. Originalton: «Schmeichelt mit einer umwerfend betörenden Frucht und einem samtigen Finale.» oder «Heute sind seine PUROWeine Kult. Oooh yeah!»
Cháteau Lafite Rothschild 1972, Premier Cru Classé, Pauillac, Bordeaux, Frankreich
Es gibt ihn, den klassischen „Geburtstagswein“. Er ist meist sehr teuer und - verglichen mit anderen Weinen - oft gar nicht so „gut“.
Doch darüber spricht man kaum an der Geburtstagstafel. Da steht das Besondere des Weins im Vordergrund. Dies ist häufig nicht die Qualität, sondern der Jahrgang des Weins, der sich mit dem
Jahrgang des „Geburtstagskinds“ deckt. Nun richtet sich aber die Qualität des Weinjahrgangs nicht nach den Lebensdaten des/der Gefeierten.
Kommt dazu, dass nicht nur ein Teil der geburtstäglichen Symbiose – der Mensch – älter und älter wird, sondern auch der Wein. Nicht
alle Weine schaffen dies! In der Regel nur sogenannt "grosse" Weine und die sind – weil sie eben so sind, nämlich alterungsfähig) - auch teuer und zudem Jahr für Jahr rarer. Besonders
benachteiligt sind Geburtstagsfeiernde, welche in einem sogenannt „schlechten“ Weinjahr geboren sind. Etwa 1965, 1972, 1977, 1991…, sofern man Bordeaux-Weine liebt. Unsere Tochter ist so eine
"Pechmarie". 1972 geboren.
Ihr Vater (eben ich) ein Wein- vor allem Bordeaux-Liebhaber, die Tochter über einem stattlichen Bordeaux-Keller gross geworden. Da will in Sachen „Geburtstagswein“ nichts so richtig
zusammenpassen. Nichts? Ausweichen auf andere Weingebiete (was schwierig ist, weil die "Bordeaux" zu den langlebigsten Weinen gehören), auf andere Weine umzusteigen, Süssweine zum
Beispiel.
Natürlich – Eigen- oder Vaterliebe – mussten doch im Laufe der Jahre ein paar wenige 72er in den Keller. Man weiss ja
nie! Immer wieder, wenn ich auf Aktionen war, habe ich (ab und zu) auf eine Flasche aus dem Jahr 1972 geboten: Mouton, Lafite, Haut Brion, Cheval blanc, Latour… Ein Resultat meiner unglaublichen Bordeaux-Begeisterung vor zwanzig, dreissig, Jahren. Keine einzige Flasche kostete damals mehr als 100
Franken (Allerdings schon ein stattlicher Preis für einen „bescheidenen“ Wein). Seither ruhen die paar Flaschen im Keller – wie man sagt - unter idealen Bedingungen (sie machten keine
„Weltreisen“, wie so andere Auktionsweine), sie ruhten im Dunkeln, temperaturüberwacht, unangetastet… Originalzitat Parker: „Der Mangel an Frucht, Charme und Geschmackskonzentration ist allzu gross, als dass im Alter etwas
daraus werden konnte“. Trotzdem wagte ich es! Jetzt, ein Jahr bevor der Jahrgang fünfzig wird, startete ich zaghafte einen Versuch: Ich stellte kurz entschlossen einen Lafite 1972 auf
den Geburtstagstisch unserer Tochter. Die Flasche leistete das, was jede Flasche leistet, wenn sie zum richtigen Zeitpunkt aufgestellt wird und den richtigen Jahrgang hat. Sie erregte Staunen und
Bewunderung. Aber mehr? Doch das Staunen geht weiter. Ein "Altwein" sicher, aber ein guter, ein echt genussbringender. Verglichen mit sogenannt "guten" Jahrgängen – der gleichen Periode, der
gleichen Region, der gleichen Klasse - kein Stiefkind.
Es mangelte ihm weder an „Farbe, Extrakt, Säure und Rückgrat“ (wie einst prophezeit wurde), noch fehlten ihm ken angeboten!jene Dinge, die man von einem "grossen" Wein erwartet: Harmonie, Körper, Tiefe und ein schmeichlerischer Abgang. Wenn es einen Mangel gibt, dann liegt er bei uns, beim Mangel an Vertrauen. Am Grundvertrauen, dass ein hervorragendes Weingut – das sein Handwerk versteht – auch in sogenannt „schwächelnden“ Jahren sehr gute gereifte Weine zustande bringt, wenn man ihnen die notwendige Sorgfalt bei der langen Lagerung angedeihen lässt. NB. Der Wein wird heute – als Geburtstagswein eben – zu einem Preis von fast 1‘000 Franken angeboten!.
Bergerie de Fenouillet: Le Redon 2015, AOP, Languedoc, Frankreich
Sind es Entzugserscheinungen oder ist dieser Wein wirklich so gut, soviel besser, nicht anders, nur eigenständiger, präsenter, genüsslicher? Ich lebe in drei unterschiedlichen Weinwelten: In der Rotweinschweiz, wo ich mich immer mehr zu Hause fühle; im Bordelais, wo meine Weinbesessenheit ihren Anfang nahm; im Süden Frankreichs, am Mittelmeer, wo ich so etwas wie ein zweites Daheim gefunden habe.
Natürlich mache ich auch Ausflüge, überall hin, nicht nur wo es Wein gibt. Doch, wo es ihn gibt (und es gibt ihn in immer mehr Gegenden) da trinke ich, da befasse ich mich mit ihm, intensiv. Nun, Corona hat vieles (alles?) auf den Kopf gestellt. Auch meine Wein-Trink-Gewohnheiten. So bin ich jetzt seit bald einem Jahr unten gewesen, im Languedoc, bei meinen Lieblingsweinen der grossen Weinregion. Da ich die drei Weinwelten – nicht vollständig, aber doch ansatzweise – voneinander trenne – Schweizerweine in der Schweiz trinke, Bordeaux aus dem Keller hole und Südfranzosen am Mittelmeer geniesse, sind letztere sträflich zu kurz gekommen. Ich spüre es, meine Lieblinge aus dem Süden fehlen mir. Jetzt ist einer zu mir gekommen, ein nur flüchtig bekannter, den ich – zumindest diese Cuvée - noch nie getrunken habe.
Der Wein wird auch in der Schweiz vermarktet, den das Weingut wird von einem «ausgewanderten» Schweizer geführt, liegt aber nördlich von Montpellier, nicht allzu weit von meiner – jetzt sträflich verwaisten Wohnung entfernt. Ich fühle mich zu Hause, schon beim ersten Schluck: Typisch Languedoc, und zwar vom weichen, verführerischen, ruhigen Languedoc, mit einem grossen Anteil der Rebsorte Syrah im Wein. Es ist nicht dieser wilde, schwer zu bändigende Bursche aus der Corbières, ganz im Süden. Es ist aber auch nicht ein nach Erfolg haschender Anklang an die südliche Rhone, wo der Grenache weitgehend das Zepter schwingt. Nein, hier haben wir einen Wein, der sich zurückhält und nur das sein möchte, was er ist, ein typischer Languedoc im Geschmack, von vornehmem, fast schon aristokratischem Landadel, der nicht durch protziges Getue auffällt, sondern Wärme und Herzlichkeit ausstrahlt. Das verdankt er nicht zuletzt dem wenig auffälligen Holzeinsatz und ich meine dem Verzicht auf Trimmmethoden in der Vinifizierung. Hier wirkt nichts – aber auch gar nichts – gestresst. Die Ruhe zieht ein ins Innere, ins Herz einer Landschaft, die eigentlich gar nicht so lieblich ist, oft den hohen und schwankenden Temperaturen ausgesetzt und ihre Nahrung während der Reifung oft tief im Boden suchen müssen. Wenn sie da gut geführt und begleitet werden, danken sie es mit viel Mineralik und einer unglaublich, fast einmaligen Harmonie in ihrer Fruchtigkeit.
Château Mouton-Rothschild 1994, 1er grand cru classé, Pauillac, Bordeaux, Frankreich
Das war wohl zu erwarten! Nachdem ich vor einer Woche den "Mouton des kleinen Mannes" (Lynch Bages) getrunken habe, musste natürlich so rasch wie möglich der "Mouton des grossen Mannes" ins Glas. Weinen.
Gross bin ich zwar nicht, nur 168, und werde jedes Jahr (altersbedingt) sogar etwas weniger. Aber ist wenigstens der Mouton "gross"? Schon etwas grösser, als die "kleinen" Bordeaux. Das schuldet er schon seinem Ruf. Trotzdem, ein Vergleich liegt auf der Hand. Denn, um dieses "Grösser- und Kleiner-Sein" geht es fast immer - und immer wieder - bei der Beurteilung von Zumal die Diskrepanz zwischen "gross" und "klein" im Bordelais immer grösser wird, (zumindest in Bezug auf die Preise). Doch das kümmert mich jetzt wenig, wo der eine der beiden Weine im Glas ist. Der andere längst in Erinnerung eingetaucht. Was ich jetzt fühle:
Es sind zwei Weine, zwei hervorragende Weine, die Spass machen. Um den Spassfaktor zu messen, fehlt mir - nicht nur mir - ein geeichtes Messinstrument. So bleibt es - vorerst - bei Jetzt, im Augenblick. Da strömt mir - schon aus der Flasche - ein verhaltener, aber sehr intensiver Duft von... ja, von was??? - entgegen. Cassis, Leder, Lakritze, Fleisch, Erde...? Einfach von Wein. Wein, bei dem man zubeissen möchte, wäre er beissfähig. Muss man denn alles benennen? Allein mit dieser Frage ist schon viel gesagt. Das Gefühl: nicht "beissen", sondern zupacken, ertasten, erfühlen. Dann der Anblick - im Glas: eher unspektakulär, nicht wuchtig, nicht massig - elegant, zierlich, fein. Kann sich die Optik - es ist ja keine Form da, nur Farbe - auf das Gaumengefühl übertragen? Kann sich das, was man zu sehen glaubt, auf die Rezeptoren an der Zunge übertragen? Die Frucht hat sich davongeschlichen, nur ihre Spuren hinterlassen. Wie so oft sind Spuren viel prägnanter, aber auch geheimnisvoller als die massige Präsenz. Ich geniesse sie, die Spuren und die Präsenz und setze schon fast zu "faustischem" Verweilen an. Da kommt mir der "Kleine" in den Sinn. Eine Erinnerung steigt hoch: habe ich nicht ganz ähnliches gesagt, gefühlt, geschrieben beim "Kleinen", überhaupt bei vielen Weinen, nicht nur beim Lynche Bages vor einer Woche. Jetzt streiten sich in mir - zwei Urelemente, das Jetzt und die Erinnerung. Sie verdichten sich zu etwas, das man etwas wagemutig als Glück bezeichnen kann. Und Glück braucht Begriffe, wie "klein" und "gross" nicht. Da sind sie so fehl am Platz, wie ... Muss man denn jedes Gefühl in Begriffe zwängen?
Château Lynch Bages 1996,
Pauillac, Bordeaux, Frankreich
Schon beim ersten Schluck tauchen Erinnerungen auf. Erinnerungen an eine Degustation in Köln, bei der wir 21 Jahrgänge – von 1978 bis 2003 – dieses Weins getrunken haben.
Ich schrieb damals in meiner Kolumne auf Wein-Plus.eu: «Der Mouton des ‘Kleinen Mannes’» und mein Freund, der Veranstalter, meinte nach der Degustation: «Ach wäre ich doch immer ein ‘Kleiner Mann’». All dies – und noch ein paar Erinnerungen mehr – tauchen jetzt auf, eingepackt in Aromen, in Genuss- und Geschmackssensoren, in die Szenerie eines grossen Erlebnisses. Ist das alles nur Einbildung, sind Erinnerungen wirklich in den Wein «gekrochen»; haben sich da – und in meinem Erleben – bis heute erhalten? Es sind immerhin 16 Jahre her, seit jener «grossen» Lynch Bages Erfahrung. Und ich bin nicht ganz sicher, ob es einfach der Name war (ich habe den Wein ja aus meinem Keller geholt und weiss, was ich gerade trinke), der all das wieder «herausgeklaubt» hat, aus dem Wein und aus meinem Erinnerungsvorrat. Aber kaum ist der Wein im Glas, in der Nase, auf der Zunge, im Mund, im Gaumen, da weiss ich es – und ich bin mir sicher – Wein birgt Erinnerungen. Vor allem gute, eigenständige, charaktervolle, besondere Weine. Weine, die man nicht einfach so trinkt, sondern geniesst, in der Erlebniswelt festgenagelt. Lynch Bages ist so ein Wein. Da bin ich restlos überzeugt. Damals, vor fast zwanzig Jahren, haben wir diskutiert und Fragen gestellt, wie: «…ob nun der 2000er wirklich der allerbeste Lynch Bages der letzten 20 Jahre ist, oder ob der gereifte 89er den noch jungen, körperprotzigen Jahrhundertwein dereinst - im gleichen Alter - übertrumpfen wird; ob der 96er
wirklich das Potenzial eines „grossen Weins” hat, oder eben nur 85/100 Punkte „verdient”, die er von einem Degustator erhalten hat; ob…». Einiges davon meine ich heute beantworten zu können. Was den 96er betrifft: Er hat das Potenzial und er hat es auch ausgeschöpft. Jetzt ist er in voller Trinkreife und wohl so, wie er immer in Erinnerung bleiben wird.
Vincent Girardin 1996: Pommard, 1er Cru, «Les Rugiens», Côte d’or, Burgund, Frankreich
So unbeschwert, wie am Anfang meiner «Weinzeit» nähere ich mich kaum mehr einem Wein. Vor allem dann nicht, wenn er aus einem der berühmtesten Weingebiete Frankreichs kommt, aus dem Burgund, von der Côte d’Or. Irgendwie spielen Herkunft und Namen doch eine Rolle, auch wenn man sich beim Weingenuss dagegen sperrt und all das, was man schon getrunken, erfahren, gelesen hat am liebsten wegsperren möchte. Trotzdem konnte ich diesen Burgunder unbeschwert geniessen. Es ist nicht ganz einfach, sich ausschliesslich auf die eigenen sensorischen Eindrücke zu verlassen. Schliesslich gibt es da auch die noch eigene Erwartung und die momentane Stimmung, Sie ausser Acht zu lassen, finde ich zunehmend falsch oder – zumindest gegenüber dem Wein – ungerecht. Ich weiss, professionelle Weinkritik sieht dies ganz anders. Sie postuliert möglichst viel «Neutralität». Als ob es Neutralität gäbe, wenn einem etwas gefällt oder wenn man sich – wofür auch immer – begeistert. Dabei ist es gerade die «Emotionalität» welche Weinkritik spannend und für Leser*innen nachvollziehbar macht. Für einmal kann ich diese Emotionslosigkeit und scheinbare «Neutralität» liefern. Der Wein hat mich weder begeistert noch enttäuscht. Er war einfach gut. Ein Pinot Noir, wie ich schon oft (da taucht bereits die Erfahrung auf) getrunken habe, er war weder besser noch schlechter. Er war einfach gut. Vielleicht so, wie man sich einen «echten» Burgunder vorstellt (da taucht das Wissen auf) und das, wie er meist angepriesen wird, als nobel, vollmundig, fruchtig, geschmeidig. Von allem ein bisschen, nichts sticht heraus. Er war einfach gut. Spätestens hier stellt sich dann die analytische Seite des Verstands ein. Warum ist der Wein so. War er schon zu alt, kommt er nicht von der allerbesten Region, vom allerbesten Winzer, hat man ihn zu leicht, zu straff gekeltert? Ich weiss es nicht. Er war einfach gut. Und das darf er auch sein!
Château Ausone 1990, St. Emilion, Libournais, Bordeaux, Nouvelle-Aquitaine, Frankreich
Märchen beginnen in der Regel mit der «Warnung»: «Es war einmal!». Auch meine persönliche Ausone-Geschichte beginnt so. «Es war einmal ein … Bordeaux-Anfänger, der das renommierte Weingebiet im Westen Frankreichs «entdecken» und sich seinen Weinen behutsam nähern wollte. Ich war ein «Bordeaux-Weinliebhaber» in den ersten Lehrjahren. Ein Liebhaber? Ich liebte vor allem meine Partnerin und die liebte den Ausone. Damit bekommt meine Geschichte sogar eine Zeitrahmen Das war etwa vor dreissig Jahren. Da war es noch nicht «verrückt», Ausone als Lieblingswein zu wählen. Zwar nicht für den Weinalltag, eher für «besondere» Anlässe. Mit etwas Glück war ein Ausone damals noch für 80-100 SRF zu kaufen.
Und so kam es, dass ich allmählich ein paar – zwar immer teurer werdende – Flaschen erstand. Sie blieben – weil sie kostbarer waren – im Keller, auch an Weihnachten, Geburtstagen und so.
Aufgespart für ganz, ganz besondere Tage.
Als ich dann – nach Jahren – nicht mehr bei den Bordeauxanfängern war und ziemlich alle «grossen Weingüter" besucht hatte, fehlte mir nur noch Château Ausone. Es war – während Jahren – im Umbau
und dann, ja dann war es so berühmt, dass es jeder "feindlichen Eroberung» standhielt. Ich stand mehrmals mit glänzenden Augen vor seinen Toren und musste zusehen, wie vornehme Karossen mit
getönten Scheiben, eingelassen wurden. In solchen Augenblicken habe ich «Rache» geschworen.
Bei meinem Umkreisen von Ausone entdeckte ich ein anderes Weingut, «Moulin Saint-Georges», das damals noch eigenständig aber auch «unbedeutend» war, und bereits zur Familie der Vauthiers (Ausone) gehörte. Weine von «Moulin Saint-Georges konnte (und wollte) ich mir schon eher leisten. Fortan waren wir – meine Partnerin und ich - durchaus mit diesem «anderen» Ausone zufrieden (inzwischen managt die Tochter des Ausone-Besitzers das Weingut). Und meine «Rache»?
Sie kam, sachte, Jahre später. Zum Geburtstag schenkte ich meiner Liebsten einen Aufenthalt in Dresden. Wir reisten mit dem Nachtzug. Im Gepäck hatte ich einen "Ausone", den ich – als
Überraschung - um Mitternacht öffnen wollte. Doch wir verschliefen die Geisterstunde und kamen müde, etwas unterkühlt und
hungrig (am frühen Morgen) in Dresden an. Das Restaurant war noch geschlossen, das Zimmer noch nicht geheizt, knapp bezugsbereit. Da beschloss ich (Achtung «Rache»!) den Ausone-Zapfen zu ziehen.
Ein unglaublicher Duft durchströmte den Raum und wir tranken den kostbaren Wein, ohne Brimborium – ich glaube sogar aus den Zahnputzgläsern – ohne Publikum und ohne gebührende Ehrfurcht, aber
hochzufrieden, etwas Gutes im Glas zu haben.
Die nächste «Rache» – ein paar Jahre später – fand auf einem Campingplatz im Elsass statt. Wir «feierten» meinen Geburtstag. Einfachstes Essen (ich
glaube eine Wurst und irgendetwas aus der Dose). Im Gepäck – diesmal von meiner Partnerin - wieder eine Überraschung: eine
Flasche Ausone. Ein Spitzenwein mit Würstchen – Food-Pairing der Superklasse. Ich habe damals im «Getrunken» vom Forum «Wein-Plus» berichtet. Meine
Weinfreunde sind bis heute entsetzt.
«Rache» Nummer 3. Soeben – am Weihnachtsabend – waren wir coronabedingt zu Hause, versammelt um einen Mongolentopf. Im Glas: Ausone 1990. Einer der besten Jahrgänge, bereits sehr rar, die Flasche
wird inzwischen um 700 CHF gehandelt. Wir haben eingeschenkt, getrunken und uns sehr gefreut über den ausgezeichneten Wein. Das Food-Pairing war wiederum nicht perfekt. Doch die Ehrfurcht, die
bei einer Weinbeurteilung so wichtig ist, sie fehlte.
Und mit ihr auch Prestige, etwas, das den Wein und seinen Preis durchaus aufwiegen kann. Zugegeben diese Art von «Rache» ist (fiktiv) teuer. Fiktiv – weil der Wein damals nur einen Bruchteil von dem kostete, was dafür heute bezahlt wird (Prestige-Preis). Und, weil das Geld natürlich längst ausgegeben ist. Vielleicht liegt darin der Sinn meiner «Rache». Wir erlauben uns das Kalkül des reinen Marktdenkens zu missachten und den Wein nicht als Prestige-Objekt, sondern als Wein zu behandeln. Diese dreiste Tat habe ich am anderen Tag – am Weihnachtstag – mit einem «Moulin Saint-Georges» 2008 – unterstrichen, ja besiegelt. Mit einem Ausone-Wein, den ich auf eine Auktion für 25 CHF erstanden habe. Jetzt, wo ich dies notiere, taucht die Frage auf: Was hat mehr Spass gemacht? Der Spass beim Weintrinken ist sehr oft viel mehr «wert» als der blosse Flaschenpreis.
Château Pape Clément, 1996,
Pessac-Léognan, Bordeaux, Frankreich
Man darf einen Wein auch einmal nur geniessen. Einfach so, ohne bestimmten Anlass. Ohne Foodpairing. Ohne Notizblock und verzweifeltem Suchen nach passenden Aromen, den ultimativen Punkten. Ohne Festlaune und Eigenbelohnung. Ohne beeindruckte Gäste und ohne Gedanken an hochgekletterte Preise. Dieser «Pape Clément 1996» ist so ein Wein
und der Anlass: keiner. Vielleicht – uneingestanden - doch! Zufällig habe ich soeben gelesen – in einem Weinforum, – dass man sich immer nur an Weihnachten einen Bordeaux «leistet». Das hat mich gereizt. Nicht das «Leisten», vielmehr die Kombination: etwas Wertvolles nur an einem wertvollen (besonderen) Tag. Der Tag war nichts Besonderes, also holte ich mir den Wein aus dem Keller. Da hat die Geschichte einen klitze-kleinen Hacken. Nicht jeder oder jede hat einen 25jährigen Bordeaux der Spitzenklasse auf Lager. Dass dies bei mir der Fall ist, ist nicht dem Luxusdenken geschuldet, als vielmehr einer persönlichen Leidenschaft, dem Sammeln. Irgendwann im Leben habe ich begonnen – als es mir finanziell gerade besonders gut ging – Weine zu sammeln. Vorwiegend Bordeaux. Und wie es so ist bei der Leidenschaft, irrational, man überbordet rasch. Da etwas Besonderes, dort etwas Besonderes. Doch irgendwann kommt der Tag, wo das Besondere auch besonders gewürdigt sein will. Aus besonderem Anlass. Man wartet darauf. Meist ist der Anlass nicht ausreichend besonders, oft «verpasst» man ihn, weil man ihn nicht (rechtzeitig) erkennt. Deshalb erklärte ich jetzt den nicht besonderen Tag zum besonderen und bringe den Pape Clément in ein zwar nicht besonderes Glas, in keinen dünnwandigen, bauchigen Bordeauxkelch. In ein «gewöhnliches» Weinglas. «Banause» schimpfen mich jetzt die Weinkenner. Sie haben völlig recht. Doch der «Banause» mit einer falschen Einstellung, dem falschen Wein, im falschen Glas, zur falschen Zeit, erlebt so etwas wie ein Wunder. Das Besondere liegt plötzlich im Wein, nicht in den Erwartungen, nicht im Brimborium rund um das Trinken und Geniessen. An diesem gewöhnlichen Tag, unter diesen gewöhnlichen Umständen wird der Wein ungewöhnlich gross. So gross, dass ich ihn nicht – wie üblich – beschreiben mag. Nein, dies ist keine Ausrede. Es ist das, was man von einem guten Wein, einem grossen Genuss, immer sagen sollte: einmalig, grossartig, superb, geil… (freie Auswahl je nach Sprachduktus) Und das sollte für einmal – es ist ja nicht ein besonderer Tag – genügen
Daume père et fils: Domaine Vieille Julienne, 2003, Côtes du Rhône, Frankreich
Bald sind es zwanzig Jahre her, dass dieser Wein in meinen Keller kam. Es war die intensive Zeit von "Wein Plus", dem ersten und grössten Weinforum in deutscher Sprache. Es waren Weinliebhaber,
die sich da virtuell getroffen haben, zum Diskutieren und ebenso oft zum heftigen Streiten. Einmal im Jahr gab es ein sogenanntes GT (Grosses Treffen), wo man endlich auch miteinander trinken und
sich in die Augen schauen konnten. Es war eine grosse, bunte Schar mit nicht weniger "bunten" Meinungen. Natürlich haben sich sehr schnell auch Winzer eingestellt. Es bildeten sich kleinere,
regionale oder lokale Gruppen, welche Weingüter und Winzer besuchten und viel - aber nicht nur - über Wein geredet haben. Auch wir - ein paar Weinfreaks, die sich auf einer Bordeaux-Reise,
kennengelernt haben, besuchten zusammen jedes Jahr ein Weingebiet in Deutschland und - während fast einer Woche, die "Decouvertes en Valée du Rhône", eine grosse Weinmesse, die alle zwei Jahre
stattfindet (nächstes Jahr zum 11. Mal). An der Rhone besuchten wir den Betriebsleiter von "Vieille Juliennes", ein Deutscher, den es an die Rhône verschlagen hat (der Liebe wegen!) und auch im
Forum mitdiskutierte.
Aus dieser Zeit stammt der Wein, mit dem ich jetzt - bald zwanzig Jahre später - angestossen habe. Eine Begegnung mit Erinnerungen! Warum ich dies erzähle? Ganz einfach: weil Erinnerungen zum Wein gehören. Sie sind wichtig, viel wichtiger als all die Parker-Punkte und die doch meist recht eintönigen Beschreibungen: Früchte, Blumen, Beeren, Mineralien, Tannine, Harmonie... Worte, die versuchen auszudrücken, was Begegnungen (auch Begegnungen mit Weinen) ausmachen oder bringen können. Der damals noch junge Betriebsleiter ist längst nicht mehr auf dem Weingut, wir haben uns auch seit vielen Jahren nicht mehr gesehen. Ich weiss nicht wo und wie er lebt. Ich weiss nicht. Und doch weiss ich viel. Zwar nicht Orte, Namen und Daten. Ich weiss, was Freundschaft bedeuten kann. Erleben - und wenn es "echt" ist, Erinnerungen. Erinnerungen, die mit jedem Schluck hochkommen. Erinnerungen, die nicht Fragen, ob es der beste der Weine war. Dieser Côtes du Rhône war der einfachere der Weine, den Châteauneuf-du-Pape vom gleichen Weingut (vom gleichen Jahr) habe ich längst getrunken. Es gibt sogar noch eine Notiz in meinen "getrunken", möglichst ernsthaft, möglichst seriös, möglichst informativ, möglichst präzis... So sollte eine Weinbesprechung sein, dachte ich damals und denke ich heute noch. Doch dieser Wein bringt mehr als diese Objektivierung eines Genusses. Er bringt seine Subjektivierung. Und die hat so vieles überdauert, was an Weinerlebnissen in all den Jahren auf- und abgetaucht ist. Weil es ein guter Wein ist, der eigentlich längst getrunken sein sollte, der auch nicht der beste war, ist durch das Wiedererleben der beste geworden. Vielleicht sollte man Weine nicht nur aufgrund von Beurteilungen, Punkten und Preisen einlagern, sondern auch - vielleicht sogar vor allem - auf Grund des Erinnerungswerts.
Château La Louvière 1996, Pessac-Léognan, Graves, Bordeaux, Frankreich
Kaum ein anderer Genuss ist so stark mit der Erinnerung verbunden wie der Wein. Wer zu viel davon trinkt, verliert die Erinnerung, wer ihn nur so «herunterleert» - quasi gegen den Durst trinkt –
dem bleibt das verborgen, was in der Erinnerung wert wäre. Warum? Wein hat viel – eigentlich alles – mit unseren Sinnen zu tun, mit der Sinnlichkeit. Und: «Sinnlichkeit» ist wohl für die
wichtigste Grundlage für das Erinnern.
Eine Spur davon finden wir bereits in der traditionellen Weinkritik. Da wird von der Nase (Geruch), der Zunge (Geschmack), den Augen (Sehen) und der taktilen Wahrnehmung (Fühlen) gesprochen, also
von mindestens vier unserer Sinne. Wenn sich die Sinnlichkeit des Trinkens auf das Erleben übertragt, auch auf Äusserlichkeiten
wie Ort, Gefühl, Erfahrung, Wertschätzung, Wissen, dann bleibt einiges – meist viel – an Erinnerung haften. Gespeicherte subjektive Erinnerung.
So war «La Louvière» - vor etwa vierzig Jahren - der erste Bordeaux, den ich bewusst, gezielt und unglaublich neugierig getrunken habe. Bis dahin war Wein ein eher allgemeiner Begriff, geprägt
von dem, was man im Alltag – auch an Festtagen – eben so trinkt: Wein aus der nächsten Umgebung, aus bestimmten Regionen, auf Grund von Empfehlungen, dem Angebot auf Weinkarten in Restaurants,
der Werbung und – nicht zuletzt – dem Preis, den man für einen Wein zu bezahlen bereit ist.
Dann kam das «Erlebnis Bordeaux», vorerst nur als Begriff, dann in Form von Wein im Glas. La Louvière. Ein Geschenk von einer Freundin, der meine bisherigen Weinvorlieben so gar nicht gefallen
wollten. Da begann für mich ein Weg, der durch viele Bordeaux-Weine führte, viele Jahre dauerte und viel Wissen und Erfahrung brachte. Eigentlich eine Art Wein-Initiation. La Louvière war dann
auch eines der ersten Châteaux, die ich besuchte. Doch allmählich, eigentlich schon bald, habe ich La Louvière aus meinem Fokus verloren. Er war ein Bordeaux unter vielen – einmal gut, einmal
besser, einmal weniger überzeugend, einmal günstig, einmal zu teuer…
Ein Wein, der eher aus Zufall im Glas oder gar in meinem Keller landete.
Diesen Louvière aber habe ich bewusst aus dem Keller geholt. Er lag da unter vielen anderen Bordeaux… Jetzt wollte ich es wissen. Ist die Erinnerung noch da? Die Erinnerung an mein erstes
Bordeaux-Erlebnis. Ja, sie ist noch da, als wären nicht dreissig, vierzig Jahre vergangen. Lebendig, präzis, geschmückt (oder beladen) mit mehr Weinerfahrung, mit vielen Weinerlebnissen, mit
anderen (auch neuen) Vorlieben. Und?
Es ist noch immer ein Wein, den ich liebe. Vielleicht auf Grund des Geschmacks: Tabak, Rauch, Frucht, Kräuter… Alles etwas gedämpft, verwoben, verschmolzen. Andere würden diagnostizieren: in die
Jahre gekommen, vielleicht sogar leicht abgebaut, nicht müde, eher besinnlich, abgeklärt, reif. In diesem Augenblick steht alles dies nicht im Mittelpunkt. Es ist die Erinnerung, die überwiegt.
Ich stelle fest, dass all die sensorischen Genussmomente verkleidet sind, sich in etwas, das beim Weinkonsum ebenso wichtig ist, wie das Vokabular einer möglichst «objektiven» Weinbeschreibung:
das erweiterte Erleben in (und aus) der Erinnerung. Vielleicht ist es sogar eine «andere» Welt von Wein. Von Weingenuss. Vielleicht sogar eine verständlichere, «echtere», die sich nicht in
Parker-Punkten versteckt oder auflöst.
Weingut Kerschbaum: Cuvée Kerschbaum 2011, Horitschon, Burgenland, Österreich
Etwas «österreichisch» ist er schon, der Cuvée Kerschbaum aus dem Burgenland. Eigentlich ist es ein «Bordaux-Blend», wie er heute fast in allen Weingebieten gemacht wird. Cabernet Sauvignon, Merlot und dazu oft eine spezielle «artfremde» Rebsorte, meist aus dem Weingebiet in der die Cuvée. In diesem Fall Burgenland, wo bei Blaufränkisch und Zweigelt dominieren. Die letzteren beiden Rebsorten sind auch in dieser Cuvée, vor allem der Blaufränkisch, zu etwa zu 20%. Ein österreichischer Bordeaux also?
Die spannende Frage ist: merkt man den typisch-blaufränkischen Aromen-Anteil? Ist es ein «anderer» Wein, anders als die vielen Bordeaux-Varianten im «echten» Bordeaux? Grundsätzlich nicht, denn auch im Bordelais gibt es inzwischen eine Bandbreit von Weinen, vom cabernet-betonten Wein bis zum fast reinen Merlot (Beispiel: Pétrus). Es ist immer mehr so, dass das Terroir, die Philosophie des Önologen und die Art der Verarbeitung den Unterschied der einzelnen Weinen ausmachen. Selbst der Jahrgang (geprägt von den klimatischen Bedingungen) spielt nur noch eine marginale Rolle. Man vinifiziert in den (technisch gut auf- und ausgerüsteten) Weingütern in Bordeaux, nur Weine, den man machen möchte (und nicht wie früher: welche die Natur zulässt).
Die Bordeaux-Blends sind – weltweit – dafür ein Beispiel. Die besten «Bordeaux» kommt immer häufiger nicht aus Bordeaux. Zum Beispiel aus Kalifornien, aus Italien (Toskana) oder aus Australien. Hauptsache: es ist eine Cuvée, es wird ein spezieller Aufwand betrieben und ist meist sehr viel Holz geprägt. Deshalb bin ich gegenüber «Bordeaux-Blends» immer vorsichtig, ja sogar skeptisch. Sie widersetzen sich konsequent dem, was man Terroir-Weine nennt, und geben sich möglichst «international». Auch diese Kerschbaum-Cuvée atmet den Hauch der «Internationalität», genau so wie seine «Partnerin» (aus dem gleichen Weingut), die «Cuvée Impresario», auch ein Bordeaux-Blend, aber mit mehr Blaufränkisch (60%). Oft sind diese Weine in ihrer Jugend sehr kräftig, «powerig», aber verlieren bei langer Lagerung an Ausdruckskraft, werden verbindlich, mitunter sogar nichtssagend. Die hier vorgestellte Flasche hat bald schon neun Jahre Flaschenreifung hinter sich und darf durchaus mit einem reifen Bordeaux verglichen werden. Tatsächlich ist das Holz gut, sogar sehr gut integriert und – das erstaunt – es sind noch Fruchtnoten da, wenn auch nicht üppig, dafür geschmeidig und begleitet von Kräutern, Gewürzen, mineralischen Noten, verflüchtigter Schokolade (Mokka), mit einer ganz eigensinniger (eigenwilliger) Aromatik, die sich aber in (allzu)grosser Harmonie auflöst. Kein Blaufränkischer mehr, aber auch nicht ein prägnanter Bordeaux. Eher ein akzeptables Prestige-Produkt.
Ein Altwein, fast vierzig Jahre alt. Nicht in der Tradition der «gereiften Weine» von Bordeaux, wo die Flasche – zumindest früher – mindestens zehn Jahre gelagert werde sollte, um seine volle Trinkreife anzusteuern. Ein Schweizer-Wein, den man damals eher despektierlich «Beerliwein» genannt hat, weil er eher «spritzig» (weil direkt von der Hefe abgefüllt) war, und nicht die Erwartung weckte, einmal grossväterliche Gelassenheit und Würde zu zeigen. Es muss auch nicht jeder Wein alt werden, um «gut» zu sein. Jugend hat ihre eigene Welt, vielleicht ist sie stürmischer, wahrscheinlich sogar genüsslicher. Dieser Wein aber ist alt geworden, weil er im Winzerkeller bleiben durfte, und nicht um die Welt gejagt wurde, wie so viele hochkarätige (teure) Weine, die zum Handelsobjekt geworden sind.
Alte Weine haben immer auch den Charme der Geschichtlichkeit. Sie dokumentieren die Vergangenheit. Was geschah vor vierzig Jahren, als die Trauben dieses Weins gereift, geerntet, gekeltert und schliesslich in die Flaschen gefüllt wurden? Das hat vorerst einmal nichts mit seiner Qualität zu tun, vielmehr mit dem Jahrgang, mit der Erinnerung an jene Zeit, als… Natürlich dokumentiert der Jahrgang immer auch das Wachstum der Reben und ihrer Früchte, die Einflüsse der Natur, der Witterung, der Temperaturen… Deshalb spricht man – meist allzu leichtfertig – von guten und schlechten Jahrgängen, von schwierigen und ertragsreichen Jahren, von… Im Altweingeschäft ist das mitunter weit wichtiger als das, was der Winzer (mit seinem Können) im Keller beigetragen hat. Ich gebe zu, auch mich fasziniert der Jahrgang von Weinen, schon allein deshalb, weil sie – als eines der wenigen Nahrungs- und Genussmittel – locker viele Jahrzehnte mühelos überdauern könne, zwar nicht mehr die gleichen (Weine) sind, aber gerade in ihrer neuen Art vom langsamen Werden Zeugnis ablegen. Da kann sich schon einmal der Irrtum einnisten, ein Altwein sei per se gut oder (wer Altweine nicht mag) eben schlecht.
Tatsächlich neigen Altweine – meist auf Grund falscher Lagerung oder undichter Verschlüsse – zu oxidativen Noten, von firnig bis ranzig. In der Farbe (bräunlich), im Geruch und im Geschmack zwar erkennbar, aber nicht immer schön, oft auch störend, verlebt. Hie und da – im Glücksfall – sind Altweine ein Glücksfall, eine Bereicherung, oft ja sogar ein wundervolles – ja einmaliges - Geschmackserlebnis. Über die Frage: wann dies der Fall ist und wann ein Wein in den Bereich «verdorben» kippt – oder etwas poetischer ausgedrückt: «verlebt» ist - streiten sich Wein-Liebhaber. Für mich ist klar: Auch nur leichte Spuren von Essignoten, starke Liebstöckeltöne, auch Sherry und Malz in ausgeprägter Form sind sogenannte «Fehltöne» und gehören so auch nicht in Altweine.
Wenn sich aber ein harmonische Aromenprofil öffnet, mit leisen Anklängen an Gewürze, an Spezereien, an Zartbitterschokolade, an Nuancen von Nüssen und ein ganzes Spektrum von bekannten (und sogar unbekannten) «Klängen» - nicht kräftig und plump, eher zurückhaltend, harmonisch – dann fängt ein Altwein an zu «singen». Dann geht der Genuss weit über seinen «historischen Wert» hinaus. Für Altweintrinker erklingt da eine (neue) «Melodie».
Viele Weinfreunde kennen das von alten Bordeaux oder Burgundern. Da wird sogar so etwas wie «Alterstöne» erwartet. Aber bei einem «einfachen Landwein» aus einer Zeit, in der man erst begann, (auch hier in der Schweiz) die Qualität der Quantität vorzuziehen, wo Ideen und Erkenntnisse des damals dominierenden Önologen – Émile Peynaud – im Weinbau (allmählich) allmählich Fuss fassten, wo Gebiets- und Lagenbezeichnungen weniger Qualitäts- als vielmehr folkloristische Merkmale waren und der Trend zum „Massenwein“ erst einsetzte, da verlangt niemand höchste Altersqualität überreifer Weine.
Niemand? Wer diesen Wein – oder ähnlich sorgfältig gemachte und gut gelagerte Weine – einmal ernsthaft und Vorurteilslos verkostet erlebt oft einen Trinkspass mit viel Überraschungen und neuen Erfahrungen. Diese Weine sind zwar rar, denn sie wurden längst getrunken und waren nie lange Lagern gemacht. Sie kosten auch nur einen Bruchteil der „grossen“ Alt-Weine, die auf Auktionen (meist nur auf Grund des Namens und Jahrgangs) zu Spitzenpreisen unter den Hammer, aber oft genauso viel „Weinreife“ (Flaschenreife) zeigen und vielleicht sogar das grössere Erlebnis sind.
Domaine Léandre-Chevalier: Le Joyau 2010, Blaye, Côte de Blaye AOC, Bordeaux, Frankreich
Das ist Bordeaux! Eine Geschichte, die mich unglaublich traurig und wütend macht. Da gab es einen Winzer, der hat hervorragende Weine gemacht. Sein Nachteil: er wollte mit viel Aufwand ausgezeichnete Weine machen und nicht nur das grosses Geld verdienen. Er war einer der ersten Winzer im Bordelais, der seinen Rebberg so bearbeitet hat, wie auch berühmte Weingüter ihn heute bearbeiten. Zum Beispiel mit Ross und mittelalterlich anmutendem Pflug (damit der Boden locker bleibt), mit unglaublicher Sorgfalt und einem Höchstmass an Verantwortung gegenüber der Natur. Es dürfte das erste «biologische Weingut» in Bordeaux gewesen sein, zwar ohne Zertifikat, weil ihm Zertifikate nicht wichtiger waren, als das, was er in der Natur und im Keller – eigenhändig – für hochwertigen, ja kostbaren Wein tun kann. Und das waren unglaublich viel Arbeit, Kraft, Zeit und Aufwand. Der engagierte, eigenwillige Winzer heisst
Dominique Léandre-Chevalier. Ich habe ihn vor mehr als zehn Jahren kennen gelernt. Er war mit vielen Winzerkollegen aus Bordeaux an einer Präsentation des neuen Jahrgangs. Eingeladen – und auch "entdeckt" – von einem Weinhändler, dem wohl besten Bordeaux-Kenner der Schweiz. Doch der weitgehend unbekannte Winzer wurde an der grossen Veranstaltung kaum beachtet, kaum wahrgenommen. Die Weinliebhaber versammelten sich in Scharen um die berühmten Namen, die «grossen» Châteaux, die Vertreter der «edelsten» und damit auch teuersten Weine. Es war die Zeit, als die Preise im Bordeaux-Geschäft buchstäblich explodierten. Es war auch die Zeit, in der ich immer kritischer wurde, gegenüber dem Rummel um das vermeintlich «beste Weingebiet der Welt", gegenüber Luxusprodukten, die sich nur noch die Reichsten leisten können (oder wollen), gegenüber all den techni-schen Möglichkeiten im Keller, gegenüber Weinen, die nur noch auf internationalen Geschmack getrimmt und geformt werden.
Weil an seinem Ausschank-Tisch Platz war und ich Zeit hatte, habe ich mit dem «eigenwillig naturverbundenen» Winzer (und seiner Tochter) lange geredet… Vielleicht auch nur, weil sonst niemand an seinem Tisch Weine verkosten wollte. Vielleicht hatte ich sogar so etwas wie Mitleid mit dem «Aussenseiter» unter den "berühmten" Châteaux-Besitzer. Doch sehr rasch habe ich festgestellte, dass hier ausserordentlich gute und eigenständige Weine zum Verkosten anbot en werden. Seit jenen Jahren habe ich immer wieder seine Weine subskribiert, verkostet und an eigenen Vergleichs-Degustationen ausgeschenkt. Fast immer mit dem gleichen Effekt: Grosse Worte, grosses Lob, grosse Anerkennung – in der Wertung bis zu 19/20 oder 98/100 Punkten. Immer, bis… ja bis der Name der Appellation und die Preise aufgedeckt wurden. Der Name: nur wenigen Weinfreunden ein Begriff. Das Weingut: klein und nicht im grossen «Bordeaux-Rennen» unterwegs. Die Appellation: nicht im «Kerngebiet», von wo die teuren Weine kommen…
Ein Aussenseiter eben. Nichts für echte Bordeaux-Liebhaber!
Als kürzlich der Weinhändler, der einst den leidenschaftlich engagierten Winzer und seine ausserodentlichen Weine in sein Programm aufgenommen hat, die Weine speziell angepriesen hat und zwar «30% oder 40 Prozent günstiger», da ahnte ich es: Das Weingut ist in Schwierigkeiten und jetzt weiss ich es: das Weingut gibt es nicht mehr. Konkurs! Zu gross der Aufwand, zu wenig Reputation, zu kostspielig die Produktion für einen Familienbetrieb, kein Tanz um das luktrative Bordeaux-Geschäft. Nur ein ganz spezielles Produkt, ausgezeichnete Weine: «Enorm tiefgründig, irre komplexer Duft, ein immenses Duftspektrum… ein sublimes, irre raffiniertes Parfüm… eine geballte Ladung Frucht, ganz viel Terroir, ein aromatisches Feuerwerk, getragen von einer verblüffend feinen Tanninstruktur», (Gerstl) So kann, so soll, so darf ein Wein sein, wenn er in der «höchsten Liga» mitreden will. Überall, fast in jedem Weingebiet, nicht aber in Bordeaux. Da braucht es (noch) noch etwas anderes: einen glanzvollen Namen, der nicht die Kehlen, vielmehr auch das Portemonnaie öffnet. Das ist - leider - heute (zum guten Teil) das Bordeaux, von dem man spircht.
Selten hat mir ein Wein so viel Spass gemacht. Endlich ein Wein, der erzählt und nicht einfach dokumentiert, was aus bestimmten Rebsorten gemacht werden kann. In diesem Wein sind viele Rebsorten, die mitreden, aber sich nicht vordrängen. Jede hat ihre eigene Sprache, ihre eigene Kraft, ihre eigene Schönheit. Sie alle treffen sich in einem Wein, der nicht mit bedeutungs-schwangerem Namen gestempelt ist. Einfach «Le Blanc», der Weisse. Kräftig und schön, charakter- und geheimnisvoll, verbindlich und ausserordentlich. Ein «Weisser», den man gut verstehen, aber nicht so leicht fassen kann. Da übliche Weinvokabular wird da aufgebrochen, indem der Wein selbst erzählt. Man hört zu: der Sprache des Südens, riecht den Duft und Weite, denkt an die Rhone, ihrem langen Weg vom Norden in den Süden, registriert die knisternden Offenheit und Vertrautheit einer grossen Weinwelt, staunt über die rauchigen Schönheit edler Frucht… Ein Durcheinander der Sprachen also? Die Stimmen fallen sich aber nicht ins Wort, sie hören einander zu, passen, sich an, ergänzen sich. Vergeblich sucht man nach Aromen, die dominieren. Sie sind alle da: Mandeln, Kirschen, Birnen, Mineralien, Gewürze… Nicht neben, vielmehr miteinander. Jede auch noch so kleine Verwirrung löst sich auf im Genuss eines festen, charaktervollen Weins, der dauernd etwas erzählt, immer wieder etwas Neues. Meist tänzelnd, fabulierend, doch das, was erzählt wird, hat auch Hintergrund und Ernsthaftigkeit. Ein verrückter Wein, der mir deshalb so gut gefällt, weil er eindeutig, gleichzeitig aber auch vieldeutig ist. Weil er nicht eine Geschichte herunterleiert, sondern darauf eingeht, was mit ihm geschieht: im Glas, im Mund, im Gaumen, nach dem Abgang. Es ist ein Wein, der anders ist – und doch so, wie ihn die Natur (und der Winzer) erschaffen hat. Ich wünschte mir mehr solche Weine, die runde Ecken und entschärfte Kanten haben, die mich immer wieder andere Sprachen, indem sie – wie selbstverständlich – auf meine Stimmungen, auf meine Wahrnehmungen eingehen. Das sind Geschichten, Weingeschichten. Davon möchte ich in dieser Rubrik erzählen. Von Geschichten, die sich zwar oft wiederholen und doch immer und immer wieder anderes sind.
Was mich an dieser Flasche mehr beeindruckt als der Wein selber, das ist der «Natur-Rebberg» (Farm Nature Plan), der mit diesem Wein unterstützt (oder ermöglicht) wird. Ein «Garten auf
alten Terrassen mit neuen krankheitsrestenten Rebsorten und Raum für Schmetterlinge und Amphibien.» Der
Wein selber kann mich weniger begeistern, auch wenn die Qualität durchaus beachtlich ist. Für mich ist es ein Versuch – wie weit auch geglückt, kann ich noch nicht sagen – im Keller ohne
zusätzliches Sulfit, ohne „Hilfsmittel“ wie Enzyme, Edelhefe, ohne Schönung mit tierischen Produkten etc. zu arbeiten. Man bezeichnet solche Weine als „vegan“ (ohne dass es heute bereits eine
präzise Definition oder gar Zertifizierung gibt).
Am schwierigsten ist es wohl bei der Vinifizierung ohne zusätzlichen Schwefel zu arbeiten. Grundvoraussetzung: ein absolut perfektes Traubengut, was es (auch bei bestem Handverlesen) kaum immer
gegeben ist. Ohne genügend Sulfite oxidiert der Wein gern und rasch.
Doch all das hat wenig direkten Einfluss auf eine sensorische Weinbeurteilung: das Kriterium „vegan“ ist beim Wein kaum auszumachen und der Sulfit Einsatz ist vor allem für Allergiker von
Bedeutung. Beim Rotwein „Naturae“ vom gleichen Produzenten (den ich bereits im „Getrunken“ beschrieben
habe) war ich vom Resultat sehr „angetan“. Beim Weissen hier habe ich mehr Mühe. Doch ich denke, es liegt vor allem auch an den Rebsorten. Von einem Riesling (die eine Rebsorte der Cuvée)
erwartet man mehr Munterkeit, mehr Frische, mehr Prägnanz. Der andere Teil, Manzoni Bianco, eine Neuzüchtung (Riesling/Weissburgunder), wird eigentlich nur in Italien angebaut und ist – zumindest
mir – nicht sehr vertraut. Der Wein ist – um es etwas pauschal auszudrücken – langweilig. Er fliesst einfach so dahin – nicht aufregend, nicht störend, nicht (oder wenig) Erinnerung
hinterlassend. Fruchtig blumig, würzig, mineralisch… von allem etwas, aber nicht so viel, dass man sich daran festhalten kann. Mir fehlt das Rebellische, das Unverwechselbare, das – um es mit
einem Modewort zu sagen - die Terroir-Note. Man könnte auch sagen: das Spezifischen. Was in mehr oder weniger Harmonie eingeht - oder zerfliesst – ist nicht erinnerbar, dies gilt auch für einen
Wein.
Château Croix Fourney 1982, Saint-Pey-d’Armens, Saint-Emilion, Bordeaux, Frankreich
Ein grosser Jahrgang, ein kleines Château. Genügt es, aus einem der besten Jahrgänge der Nachkriegszeit zu sein, um auch als «grosser Bordeaux» gehandelt zu werden? Die Antwort ist eindeutig: nein! Bis zur Jahrtausendwende, spielte der Verlauf des Jahrs im Rebberg (Wetter, Erntezeit, Trocken- und Regenperioden etc.) eine wichtige, ja entscheidende Rolle um einen Jahrgang «gross» oder eben «klein» zu machen – und damit auch die Nachfrage und den Preis zu beeinflussen, vor allem in prestigeträchtigen Gebieten wie Bordeaux. In den letzten Jahren spielt allerdings der Jahrgang eine viel kleinere Rolle, weil heute vieles – fast alles – im Keller zurechtgetrimmt wird: Vorklärung, Weintanksteuerung, Enzymierung, Vakuumverdampfung, Kunsthefe, Fraktionierung… Es gibt – zumindest im Bereich der teuren Wein – wenn es sich ein Weingut höchsttechnisierte Kellertechnik leisten kann – eigentlich keine «schlechten» Jahrgänge mehr. Es gibt noch Unterschiede im Geschmack, in der Haltbarkeit und in der «Gestaltung» der Weine. Das war bis in die 90er-Jahre noch anders. Da prägte die Vegetation, die Reifung, der Wettereinfluss etc. zum grössten Teil die Qualität eines Jahrgangs. So waren 1945, 1947, 1961, 1982, 1990… «Spitzenjahrgänge» der «alten» Weinwelt. So kam es, dass ich vor vielen Jahren auch diesen «kleinen» Croix Fourney (aktueller Preis um 20 CHF) gekauft und in den Keller gelegt habe. Schliesslich war er ein 82er. Inzwischen haben sich die «guten» Jahre gehäuft: 2000, 2005, 2009, 2010 und 2015… Wenn man den Auguren und ihren Lobhymnen glauben würde, gäbe es inzwischen nur noch gute Jahrgänge. So also ging mein «kleiner» 82er vergessen, bis zu einer angekündigten Steinfels-Internet-Auktion (04.09.2020), bei der nun zwei Lots (12 Flaschen) zu 60 CHR angeboten werden, also 5 Franken pro Flasche. Auch wenn damit zu rechnen ist, dass der Preis noch steigen wird (es ist schliesslich eine Auktion!), wollte ich es wissen. Fünf Franken für einen (wenig bekannten) 82er. Ich holte den vergessenen Wein aus dem Keller und er kam sofort ins Glas: Die schon fast erwartete Überraschung: er ist noch stramm da, zwar ein «Altwein», kaum mehr mit Frucht, doch ohne Spuren von Oxidation, ohne das penetranten Liebstöckel, das viele Altweine zelebrieren. Dafür Tiefe, samtige Präsenz im Gaumen, viele wunderschöne Gewürzaromen, kein grosser, aber ein guter «Alt»wein. Er hat sogar die «Lackmusprobe» bestanden: Meine Frau liebt Altweine nicht, doch von diesem Wein hat sie bis zur Flaschenleere mitgetrunken.
Renato Corino: Barolo 2010, Nebbiolo, Comune di La Morra DOCG, Weinberg Arborina, Piemont, Italien
Für mich ein Wein der Erinnerungen. Piemont – eigentlich nahe der Schweiz und doch weinmässig so gar nicht präsent. Irgendwie bringe ich Italien und Frankreich (meine Weinvorliebe) nicht richtig zueinander. Es sind mehr als nur unterschiedliche Weine, es sind unterschiedliche Gefühle, nicht nur Weingefühle. Dabei habe ich in Sachen Wein Frankreich schon lange erweitert, ergänzt: Südafrika, Australien, Priorat, Österreich… und – nicht zu unterschätzen – die eigene Heimat, die Schweiz. Wein – so meine Erfahrung – wird immer stärker ein Ort des Lebensgefühls, der Erinnerung, des Erlebens einer Region, eines Landes, ja der Welt. Italien war mir schon immer sehr nahe, seit meiner frühsten Jugend, als wir noch „Tschinggen“ sagten und es nicht abfällig meinten. Eher liebevoll, vertraut: „Peterli, häsch’der guet?“ Es gelang mir nie ganz, dieses vertraute Gefühl auf die Italienischen Weine zu übertragen, weder auf die gewöhnlichen, noch auf die besten. Ich habe sie oft getrunken, meist mit Bewunderung, aber auch mit Neugier, mit Erstaunen. Immer wieder. Bis – vor einigen Jahren – ein Freund mich mit mitgenommen hat, nach Weinitalien. Zuerst in Form von Weinen aus seinem Keller, dann mit einer Fahrt ins Piemont. Ich weiss, Piemont ist noch nicht ganz Weinitalien: da gibt es nebst dem Nebbiolo noch eine Reihe anderer Reben, berühmte, gute, italienische: Sangiovese, Chianti, Aglianico, Barbera, Calabrese, Lambrusco, Amarone… Und entsprechend auch andere Weinregionen. Gestern waren wir wieder im Piemont, leider nur weinmässig. Später am Abend – nein es war schon Nacht – dann noch weiter unten, in der Toscana (darüber werde ich später berichten.) Bleiben wir beim Barolo, der Weinkrone im Piemont. Tiefrot, trocken, rund, erdig, voll, beerig… Das Alter, immerhin fast zehnjährig, hat ihn beruhigt, gelassen gemacht. Die noch spürbare Schwere ist einer gewissen Eleganz gewichten, italienische Eleganz. Die hat immer etwas mit rassig, bodenständig und auch fröhlich zu tun. Das Gefühl einer nächtlichen Fahrten mit dem Kulturroller Vespa, über weite Plätze, durch die Stadt, an den Strand. Kein anderer Wein weckt diese Gefühle, so stark, so unverfälscht, auch nicht der noch italienischere Sangiovese. Die intensive dunkle Frucht – noch immer, auch nach zehn Jahren – und die leicht bittere (nicht süssliche) Schokolade verschmelzen sich und klopfen die sonst eher harten Gerbstoffe weich. Und ich tauche ein in einige der schönsten Szenen von Fellini-Filmen, trinke mit Genuss „la Dolce Vita“.
Meine unverbesserliche Neugier (in Sachen Wein) hat sich wieder einmal gelohnt. So habe ich einen Wein entdeckt, von dem kaum jemand spricht und der sicher nicht auf den Listen der Weinliebhaber
ist. Ein Aussenseiter, sozusagen, ein Wein aus dem Kanton Appenzell Ausserrhoden, aus Wolfhalden, dem «Dorf mit Weitsicht». Wer sich in der Schweizer Weinszene auskennt, frägt verwundert: «Gibt
es das, Weine aus dem Appenzellerland?» Es wurde auch hier Wein gemacht, schon im 16. Jahrhundert. Jedenfalls belegt dies die Chronik Von einer Steuer, den Weinzehntel, ist die Rede und von einem
«Torkel-Eid». Und es gibt ihn heute noch, den Appenzeller-Wein. Allerdings in sehr bescheidenen Mengen. Auf einem Bauernhof n Wolfhalten wird Wein gemacht, einen «Krummbuechstig», einen
«Buechberger» und «dä Holzig» bei den Roten. Bei den Weissen: «Gümper», «Weissherbst», «Wysse», «Sovignon Blanc» und «Brut», den Schaumwein. Diesen Winzer-Sekt also habe ich im Dorfladen, nebst
anderen Weinen aus dem In- und Ausland, mehr oder wenige bekannte Namen, angetroffen. Ein Schweizer Winzer-Sekt, ohnehin eher selten anzutreffen, und erst noch mit einem Qualitätsanspruch,
«Méthode traditionelle» und einem entsprechenden Preis, tapfer ausharrend neben dem halb so teuren spanischen «Freixenet». Welcher Weinfreund hätte da nicht zugegriffen? Der Griff hat sich
gelohnt. Wirklich! Ein quicklebendiger, gar nicht «klebriger», mit wenig, aber präziser Restsüsse, etwas «wild» - Brut eben. Die Grundweine – die machen das Besondere aus – eine Mischung von
«Doral», einer Rebsorte, die man ohnehin nur in der Schweiz kennt (Kreuzung von Chasselas und Chardonnay) und Blauburgunder. Das feine, leicht eigenwillige Aroma, nur schwer
zu beschreiben, weil nicht alltäglich, zwar fruchtig in den Aromen von Aprikose bis Birne, in Schach gehalten von Gewürzen und einer leisen Spur von gut gebackenen «Brioche».
Es ist ein stattlicher Bauernhof, wo nebst Rindvieh, Pferden, Obstbau und Holz auch Wein eine Rolle spielt. Offensichtlich auch «guten» Wein, jedenfalls beachtlichen Schaumwein (die anderen Weine
dieses Gutes habe ich noch nicht eingeschenkt), werde dies tun, sobald die Hochsaison für Schaumweine vorbei ist. Ob die Appenzeller-Weine einer kritischen Degustation standhalten, wird sich
weisen. Und noch etwas: Die Tauben komm zwar vom eigenen Weinberg, und der liegt zum - grössten Teil - auf dem gegenüberliegenden Hügel, auf der
Sonnenseite des Tals und der liegt bereits im Hoheitsgebiet des Kantons St. Gallen (und nicht mehr im Appenzell). So eng ist halt die Schweiz.
Farnese Vini: Edizione Cinque Autoctoni 2005, Montepulciano/Primitivo/Sangiovese/Malvasia Nera,Negroamaro, Abruzzen, Ortona, Italien
Wenn die Flasche dick und schwer ist, eher wie ein Knüppel, denn ein Weingefäss, suggeriert dies: Der Wein opulent, dicht, eine wahre Fruchtbombe. Trifft dies auch hier zu, bei diesem Wein aus den Abruzzen zu? Jedenfalls ist es etwas Besonderes. Fruchtkräftig war er wohl eher in «jungen» Jahren, diese Flasche hier – fünfzehn Jahre alt – ist schon fast ein Matusalem. Jedenfalls für einen Italiener, der nur als Vino di Tavola (VdT) deklariert ist. Etwas anderes lassen die DOC wohl nicht zu. Etwas Besonderes jedenfalls ist die Cuvée – aus fünf italienischen Rebsorten – traubenmässig ein furchtbares «Chrüsimüsi». Gewöhnungsbedürftig, vielleicht, oder einfach ein neuer Weinstil. Der erwartete «Obst- und Früchtegarten» taucht nicht auf, dies mag am Alter des Weins liegen. Da ist die Aromatik von Frucht und Beeren aufgesogen, eingeebnet worden. Er kommt als weicher, geschmeidiger Wein daher. Nicht gerade elegant, schon eher bodenständig; nicht verführerisch, sich eher bewusst präsentierend, kräftig, aber nicht schlagend, schon gar nicht zuschlagend. Dafür sehr selbstbewusst und nicht umkränzt vom Touch internationaler Liebäugelein. Eigentlich gefällt mir der Wein, gerade weil er das «Anderssein» zelebriert. Weil er nicht einfach kräftig, gefällig, holzig, verführerisch ist, sondern «Italienità» ausstrahlt, ohne die Klischees des «feurigen Südländers» zu übernehmen. Zurückhaltend heisst in diesem Fall nicht «belanglos», vielmehr eine Offenheit für ein Weinerlebnis, das nicht – wie so viele Weine dieser Preisklasse (um 20 CHF) – in Belanglosigkeit zu versinken. Was mir am besten gefällt: er braucht das «Holz» nicht, um sich gross zu machen.
Châteaux Palmer 1996, 3ème-grand-cru-classé, Margaux, Bordeaux, Frankreich
Das «Legendäre» dieses Weines besteht vor allem in der Tatsache, dass er «nur» ein «Troisième Grand Cru Classé» ist, in der seit 1855 gültigen Wertung im Médoc. Einen «Aufstieg» gibt es hier
nicht (im Gegensatz zu St-Emilion). Die mehr als 150jährige Klassifizierung ist – so die Rangordnung in Bordeaux – eben für die «Ewigkeit» gemacht (obwohl es in all den Jahren auch eine Ausnahme
gibt). Das «Nur» deutet aber an (was unbestritten ist): Palmer gehört in eine höhere «Kasse», zu den besten Deuxièmes oder gar zu den fünf Premiers. Nichts zu machen! Palmer bleibt in der
offizieller Hierarchie «nur» Dritter (zusammen mit 13 anderen Weinen im Médoc). Schon kurz nach dem entscheidenden Jahr der Klassifikation (Anlass: Weltausstellung in Paris) wurde das Weingut -
nach einigen Wechseln – von zwei reichen Brüdern (Isaac und Emile Pereire) übernommen, welche die Schloss- und Wein-Tradition des einstigen Besitzers Charles Palmer (Generalmajor in der
britischen Armee) weiterführten, das Gut vergrösserten und das prächtige Schloss im Neorenaissancestil bauen liessen. Seit dieser Zeit sind die Weine von Palmer in der britischen High-Society
sehr beliebt und hoch angesehen. Auch wenn sich die Besitzverhältnisse kurz vor dem Zweiten Weltkrieg nochmals änderten (heute gehört das Château den Nachkommen der Linie «Sichel»
und «Malher-Besse»), gilt bis heute «Palmer» als die «Wein-Perle» in der englischen Gesellschaft. Das Weingut wurde – nach Zerstörungen im Krieg – wiederaufgebaut und misst sich
heute mit den Premiere Grand Cru im Médoc, vor allem mit seinem Nachbarn, dem Châteaux Margaux (1er Grand Cru Classé). Entscheidendes für den Ruf (und den Ruhm) des Weinguts hat der Amerikaner
Robert Parker beigetragen, indem er den Palmer 1961 als «perfekten Wein» bezeichnet hat. Entsprechend haben sich die Preise (in den letzten Jahren und Jahrzehnten) immer mehr dem Niveau der
«Spitzenklasse» im Bordelais angepasst.
Palmer war im Jahr 1996 nicht die grosse Nummer, die man – nach den schwachen Jahrgängen der frühen 90er Jahre - erwartet hat. Der Preis für den 96er war damals um 70.00 CHF, heute kostet er
zwischen 300-400 CHF. Ist diese Preissteigerung gerechtfertigt? Rein qualitativ betrachtet - nur zum Teil. Er hat sicher zugelegt: ist harmonischer, runder und natürlich reifer geworden. Hat
einen markanten Abgang, mit viel Kraft und Ausstrahlung. Vor allem hat er noch erstaunlich viel Frische und Eleganz, was für den damals eher überbewerteten Jahrgang – wo der Palmer nicht zur
Spitze gehörte – erstaunlich ist. Vielleicht braucht es bei den Bordeaux - in dieser Kategorie - Geduld, viel mehr Geduld. Die Belohnung ist fast sicher.
La Cascina Belmonte: Naturae Rebo 2018, vegan, Valtènesi, Muscoline, Lombardei, Gardasee, Italien
Zugegeben, ich war unglaublich gespannt, wie selten auf einen – für mich – neuen Wein. Soeben im kleinen neuen Bioladen in unserem Quartier gekauft und Schwupps war die Flasche Rotwein offen. «Naturae» - bei uns bekannt unter «Vins naturels» oder eben «Naturweine – zeigt die Art, wie dieser Wein gemacht wurde, nämlich ohne Zugabe von «fremden» Stoffen: keine Zuchthefe, keine Enzyme, keine Aromastoffe, keine Gelatine… Natürlich auch keine zusätzlichen Sulfite (Schwefel). Vegan, das heisst pflanzlich ist der Wein ohnehin, doch zur Klärung und «Schönung» werden oft auch tierische Produkte eingesetzt (Eiweiss, Lysozym etc.). Das darf ein «veganer» Wein alles nicht. Am meisten umstritten ist der Einsatz von zusätzlichen Sulfiten. Für viele ist Schwefel «des Teufels». Dabei entsteht Schwefel (Sulfite) bei jeder Gärung (Ferment-ierung). Es gibt auch keinen Wein ohne Schwefel, doch die Menge ist der eigentliche Anstoss für heftige Diskussionen. Beflügelt wird diese Debatte durch die Pflicht der Kennzeichnung (im EU-Bereich), etwa: «Dieser Wein enthält Sulfite». Da wittern alle bereits eine Gefahr für die Gesundheit. Dem ist nicht so! Die Warnung gilt nur für Aller-giker, die auf Sulfite reagieren. Bleibt noch eine fast «Unbekannte» bei diesem Naturwein. Die Rebsorte «Rebo». Sie gehört zu den pilzresistenten Neuzüchtungen (PIWI), die vor allem im «ökologischen Anbau» zum Einsatz kommen. «Rebo» ist eine Züchtung aus Merlot und Teroldego (ebenfalls eine Neuzüchtung) und gilt als «edel» und robust.
So, nun wäre viel geklärt. Alles? Fast alles, das wichtigste aber nicht! Wie schmeckt er denn? Es ist ein junger Wein, der aber schon die Ruhe und Besonnenheit eines Weins im «reifen Alter» in sich hat. Wenig – oder gar nichts – Aufregendes, es sei denn die Farbe. Strahlendes Rubinrot mit einem grossen Blauanteil, ein Jungwein also? 2018, nur zwei Jahre alt, wirklich noch «jung». Aber alles andere als ein «Heuriger», die Gärung weitgehend abgeschlossen, die erwartete «Spritzigkeit» eingestellt, er hat sie wohl nie besessen. Die Nase ist wohl das grösste Problem. Unmittelbar nach der Entfernung des Zapfens ein leicht modriger Geruch, der sich aber rasch verliert. Doch es tauchen nur wenig «neue» Aromen auf. Am stärksten noch eine Erinnerung an Erdbeeren und Kirschpflaumen (Myrobalane), doch verhältnismässig (für einen jungen Wein) eher bescheidene Frucht, dafür eine geschmeidige, samtene Textur. Irgendwie strahlt der Wein Fröhlichkeit aus, die sich aber (auch im Abgang) rasch verliert. Das grösste Verdienst dieses Weins ist seine Authentizität. Man meint seine Natürlichkeit bei jedem Schluck zu spüren und es tauchen wunderschöne Rebberge auf, naturnah mit viel Schmetterlingen, Insekten, ein Frühsommerliches Gewimmel. Alles nur Fantasie? Vielleicht! Für mich persönlich gibt es keine Bonuspunkte für vegan, biologisch, sulfitreduziert. Für mich zählt einzig die Trinklust und Trinkfreude, die Harmonie und «Schönheit», der Genuss und die Freude. Einer meiner Freunde fasst all das (und noch einiges mehr) zusammen im Spruch: «diesen Wein würde ich kaufen (oder nichtkaufen)». Ich habe den Wein gekauft, und ich werde ihn wieder kaufen.
Château Malescasse 1998, Magnum, Haut-Médoc, Bordeaux, Frankreich
Ab und zu frage ich mich – wohl zurecht – wie sehr ist das Genussgefühl beim Weintrinken von der Stimmung, den Umständen und nicht zuletzt vom Renommee der Weingegend und des Weinguts abhängig?
Natürlich gibt es Kriterien, nach denen ein Wein bewertet werden kann. Vor allem gibt es den Vergleich, der Unterschiede in den Jahrgängen, den Gegenden, den Rebsorten, den Weingütern. Doch ein
guter Rest im Urteil bestimmt der persönliche Geschmack und auch das Wissen um den «Wert» eines Weins. Gemeint ist der Verkaufswert, denn er ist eine – mehr oder weniger – feste Grösse, die der
Konsument unmittelbar zu spüren bekommt.
Das Château Malescasse hatte – zur Zeit als ich mein «Bordeaux»-Abenteuer begann – in der Bordeaux-Gesellschaft kaum mehr einen Namen und keinen «guten Ruf». Das altehrwürdige Schloss wechselte -
nach einem Tiefpunkt in den 70er Jahren - mehrfach den Besitzer, bis es in den letzten Jahren mit grossen Investitionen wieder flott gemacht wurde. Das Beste, was man von den Weinen aus dieser
Zeit sagen konnte: sie waren zuverlässig, aber – man gestatte mir – überhaupt nicht aufregend. Also habe ich von diesen allmählich zuverlässiger gewordenen Wein damals ein paar wenige
Grossflaschen (Magnum) gekauft (wohl an Stelle einer Flasche von den immer teurer werdenden Spitzenweinen) und liess die Malescasse – eben, weil sie aufregend waren – gut zwanzig Jahre liegen.
Grossformate altern ja langsamer (und besser)!
Inzwischen ist der Malescasse aufregender geworden, Jahr für Jahr auch etwas teurer, aber (mit zirka 25 Franken) noch immer im Bereich der «günstigeren» Weine aus dem Bordelais. Meine Flasche ist eben ist eine Magnum und schon deshalb etwas Besonderes. Ich öffnete sie, weil ich den Tag – ich hatte Gäste – mit etwas Besonderem abschliessen wollte. Und siehe da, das Besondere (der Flasche) hat sich auf den Wein übertragen. Harmonisch, gut gereift, noch genügend Frucht, wirkt dicht und geschmeidig, perfekt eingebundene Tannine, mit einem langgezogenen Abgang. Der Wein hat sich «gemausert», ist edler, damenhafter geworden, ohne an Kraft und Fülle zu verlieren. Ein schöner Wein, vielleicht nicht grossartig, aber stimmig und genussvoll.
Damit stellt sich einmal mehr die Frage: wie «objektiv» bin ich – oder wie «subjektiv» ist meine Bewertung? Das Format gibt sicher etwas her, meine Gäste kannten das Château (und seine Geschichte) nicht, waren aber beeindruckt, fanden den Wein lustbringend. Ein vergnügter, gelungener Weinabend und es stand keine Bordeaux-Flasche zu einem dreistelligen Preis auf dem Tisch. Unter Bordeaux-Freaks: wäre es, rein schon von den Prämissen her, ein «kleiner» Wein, unter Weingeniessern kann er durchaus – und zu Recht - ein grosser sein.
Château Margaux 1994 und 1970,
Premier Cru Classé, Margaux, Bordeaux, Frankreich
Einer der fünf "Premier Cru Classé" auf der Médoc-Seite der Gironde, 1855 geadelt, heute noch immer einer der ganz grossen in Bordeaux. Eigentlich – vom Charakter des Weins - eine Dame, schön, stolz, verbindlich – gar nicht herrschend wie einige Protzen aus Pauillac.
Doch auch rasch mal gekränkt, sensibel. Sie reagiert, wie kein anderer Wein dieser Klasse, auf äussere Umstände, auf Witterung, Klimaverlauf, aber auch auf Fehler bei der Vinifizierung, bei der Lagerung, ja sogar auf die Form des Glases, wenn er ausgeschenkt wird. Irgendwie habe ich seit vielen Jahren viel Respekt vor diesem Wein. Oft schon hat er nicht das gebracht, was ich erwartet habe, er überdeckt seine Feinheiten und Nuancen nicht so leicht mit Kraft, Frucht oder sogar Holz. Man muss ihm zuhören, dem Wein, man muss hören, was er zu sagen hat. Und da fehlt – im ganzen Bordeaux-Gerangel – oft die Geduld, auch die Stille, die Fähigkeit zu erleben. Gerade bei den Grand Crus – sie kosten mittlerweile ja alle fünfhundert Franken, in «grossen» Jahren das Doppelte.
Da kann man – so die Logik – echt etwas erwarten. Ich habe immer das Gefühl, es sei kein Parker-Wein, auch wenn er ihm in der Regel (auch in bescheideneren Jahren) immer mehr als 90 Punkte gibt. Im Jahr 2000 sogar hundert! 1994 – ein eher bescheidenes Bordeaux-Jahr – 91/100 Punkten. So also war ich gespannt auf diesen Wein, der – so anders ist, als die drei andern Grossen dieser Runde; Evangile 1993, Haut-Brion und Cheval Blanc 2004 (über die werde ich hier später berichten). Der 1994er war etwa das, was ich erwartet habe: ein toller Wein, dicht, kraftvoll und so gar nicht säurelastig, eher samtig und noch erstaunlich fruchtig. Eigentlich wollte ich einmal wissen, nein selber erfahren, wie sich der Wein aus den 70er Jahren dieses stolzen Châteaus entwickelt hat. Im Keller war noch eine Flasche aus dem Jahr 1970 – also ein fünfzigjähriger Wein. Parker hat mich gewarnt: 67/100 Punkten. Also eigentlich untrinkbar. Leider konnte ich dies nicht verifizieren. Der Zapfen war nicht dicht, hat sich beinahe aufgelöst und ist in der «Weinsauce» verschwunden. Also nicht bewertbar. Das einzige – und dies ist erstaunlich – der Wein war überhaupt nicht oxidier. Zwar ein blasser, kraftloser Altwein, aber durchaus noch trinkbar – wenn auch mit wenig Freunde. Wir haben es gelassen: er ist grösstenteils noch in der Karaffe und wird heute nochmals – vorsichtig – getestet. Auch dies ist eine interessante Weinerfahrung. Margaux hat seine Zickigkeit unter Beweis gestellt.
Homeoffice!
Guten Wein gibt es da auch - zumindest etwas weiter unten, im Keller - doch es fehlt, das gemeinsame Erleben, auch Weine können einsam werden, das Weinerleben in Selbstisolation. Lockdown! Kaum
sind die Massnahmen gelockert, tauchen Freunde auf und mit ihnen die Weinerlebnisse. Acht Bordeaux waren es, die erlebt werden wollten. Zwei Weine aus den Siebzigern (gleicher Jahrgang zum
Vergleich) und drei Runden mit je zwei Weinen der Jahrgänge 1990 und 2000 aus der gleichen Gegend und der gleichen "Kategorie". Da gibt es viel zu erzählen. Vier Kapitel, natürlich mit "Social
Distancing", coronagerecht!
Château Ducru-Beaucaillou 1990, Saint-Julien,
Château Léoville-Las-Cases 2000, Saint-Julien, Bordeaux
Der letzte Vergleich im der «Degustation zu Corona Zeiten» - nochmals zehn Jahre Altersunterschied – verspricht viel, eigentlich aber nichts Aussergewöhnliches: gleiche Klassifikation, gleiche Appellation, beide Châteaux «in bester Lage», nahe an der Gironde, zwei ausgezeichnete Jahrgänge. Was will man noch mehr? Da kommt es letztlich nur noch auf die eigenen Vorlieben an: Eher kräftig, muskulös, mit viel Rückgrat und fast schon erschlagender Länge, so der Léoville-Las-Cases. Eher fröhlich, weich und samtig, statt tiefe, eher breit Aromen, dies zeichnet den Ducru-Beaucaillou aus. Doch beide Weingüter laufen in der Regel zur Höchstform auf.
Nur: Ducru-Beaucaillou hatte in den späten Achtziger-Jahre ein grosses Problem. Bei ihrem Spitzenwein – deuxième cru classé - tauchten immer wieder muffige Töne auf. Ganz ungewöhnlich für dieses Weingut. Parker verzichtete sogar auf einen Vergleich der Jahrgänge 1986 bis 1990, denn seine Bewertungen lagen in diesen Jahren ungewöhnlich tief. Beim 1990er sogar unter 88/100 Punkten, während der Léoville-Las-Cases in diesen Jahren oft 95/100 und mehr Punkte erhielten.
Ducru-Beaucaillou ist ein wunderschönes Châteaux – noch immer bewohnt, – stammt aus dem 18. Jahrhundert und hat einen wunderbaren alte Wein-Keller. Doch genau dies war das Problem. Der Keller – vor allem die alten Chais – wurden mit Desinfektionsmitteln behandelt und es musste auch isoliert werden. Dies führte dazu, dass mit der Zeit ein Teil der Weine einen leicht modrigen Geruch annahmen, der so gar nicht zum Wein passte. Man nennt diesen unliebsamen Effekt, der vor allem bei alten Weingütern auftritt, «Kelleraids». Auch andere Châteaux sind (oder waren) davon betroffen.
Ducru-Beaucaillou liess – kaum war das Problem erkannt – einen neuen Keller bauen, unmittelbar neben dem alten Gebäude, ganz in die Erde geschmiegt. Es ist einer der schönsten Weinkeller des Bordelais, im Jahr 2002 eröffnet. Seither – sogar schon einige Jahre zuvor - erreichte der Wein zunehmend wieder Anerkennung und ungeteiltes Lob. Im ausgezeichneten Weinjahr 2005 waren dann beide Weine wieder gleichauf, zwar mit einer anderen Stilistik, aber beide in Höchstform, 99/100 Parker-Punkte. Auch preislich sind sie durchaus vergleichbar, obwohl der Léoville-Las-Cases fast immer deutlich teurer ist, als der dominierendere, bestimmtere Wein, doch beide sind lagerfähig, dreisssig und mehr Jahre.
In unserem Vergleich hat sich genau dies – bereits in der Blindverkostung – deutlich bestätigt. Und wir hatten Glück: beim Ducru-Beaucaillou gab es überhaupt keinen muffigen Ton. Der Wein war offen – jetzt, nach dreissig Jahren wohl auf dem Höhepunkt. Zugänglich und selbst in seinen Fruchtelementen noch voll präsent. Der zehn Jahre jüngere Wein – der Léoville-Las-Cases - war noch immer ein «Kraftpaket». Er war das, was man ihm gemeinhin nachsagt: keine Achterbahn, vielmehr ein unglaublich guter Streckenläufer, durchaus noch in der Entwicklung – leicht steigend von viel, zu noch mehr Harmonie, während sein Nachbar - der Ducru-Beaucaillou – so glaube ich, die schon fast schwindligen Höhen leichtfüssig erreicht hat.
22. Juni 2020
Château Poujeaux 1990, Moulis-en-Médoc
Château Cos d'Estournel 2000. Saint-Estèphe
Die Überraschung - ja, die Sensation des Abends - war dieses Weinpärchen vom linken Ufer der Gironde. Wir hätten gewettet, der Cos d'Estournel - immerhin einer der beiden "Super-seconde" der Gemeindeappellation St-Estèphe - wäre der nachhaltigere, der eindrücklichere, einfach der "bessere" der beiden Weine. Allein schon auf Grund der Klassifikation, der Preise und der Bewertung durch die «Weingurus». Der «Cos» 2000 hat bei der Subskription um die 100 CHF gekostet, heute gut das
Doppelte..
Der Poujeaux 1990 – Cru Bourgeois Exceptionnel – war bei der Subskription um 30 CHF zu kaufen und ist heute nur unwesentlich teuer. Also ein Klassenunterschied?
Ja, ein Klassenunterschied! Aber nicht so wie erwartet. Der Poujeaux 1990 hat von Parker gerade Mal 86 Punkte erhalten, der Cos d'Estournel 2020 immerhin 90/100 Punkten. Der Fall ist also eindeutig!
Ja, ein Klassenunterschied! Aber nicht so wie erwartet. Der Poujeaux 1990 hat von Parker gerade Mal 86/100 Punkte erhalten, der Cos d'Estournel 2020 immerhin 90. Der Fall ist also eindeutig! Oder doch nicht? Unsere kleine Runde hat den Poujeaux (in der Blind-verkostung) eindeutig als den "besseren" Wein eingestuft:
Mit einem guten Rest an süsslicher Frucht (was für einen 30jährigen «kleinen» Wein erstaunlich ist), mit viel Harmonie zwischen einer feinen, zarten Säure und guten Tanninen (die geglättet sind), vor allem aber mit einer unerwarteten Vielfalt an Aromen, die sich als gebündeltes Bouquet im Gaumen entfalten. Man ahnt es: Wir sind begeistert, obwohl dieser Wein im Glas eindeutig blasser wirkt als der doch noch sehr farbkräftige, zehn Jahre jüngere Cos. Bei solchen Überraschungen ist man versucht, einen Wein eher nach Gefühlen zu beurteilen, denn auf Grund von sensorischen Skalen. Und man fahndet rasch nach möglichen Gründen: Lagerung, eine gute oder sogenannt «schlechte» Flasche, die augenblickliche Stimmung oder gewissen persönliche Vorlieben? Gefühle werden bei der Beurteilung ohnehin häufig weggesperrt, wenn es darum geht, möglichst «objektive» zu sein oder einen sachlichen Vergleich anzustellen. Der Allerweltsausdruck «ein leckerer Wein» bleibt dann in der Beschreibung bestenfalls noch übrig. Vor allem, wenn die Gefühle ganz anders sind, als der Verstand (oder die Argumente) sagt. In diesem Fall war das Erstaunen (das ungläubige Kopfschütteln) besonders ausgeprägt, weil meine Frau den Ausone (den wir später verkosteten) eigentlich über alles schätzt und als ihren «Lieblingswein» bezeichnet (der allerdings – aus Kostengründen – nur selten ins Glas kommt). Es kann doch nicht wahr sein, dass der Poujeaux sowohl den Cos, als auch den Ausone in Bezug auf Qualität und Trinkgenuss überflügelt.
Eine Situation, die ich in ähnlicher Form schon ab und zu schon erlebt habe. Der David schlägt den Goliath. Die Geschichte ist zwar bekannt, doch sie stellt die berühmte Ausnahme dar. Das ist
wohl auch hier der Fall. Bei jedem ungleichen Kampf können oder werden die günstigen oder ungünstigen Umstände immer in Rechnung gestellt, wenn nicht der Stärkere, der Bessere den Sieg
davonträgt. Dies dürfte auch hier der Fall sein. Langfristig wird sich wohl auch das (wieder) korrigieren. Davon bin ich noch immer überzeugt.
Doch, das die Erfahrung zeigt einmal mehr, dass all die Wertungen, die gewundenen Urteile, die Beschreibungen und Generalisierungen nicht der "Weinweisheit" letzter Schluss sind. Bei der
Anerkennung und beim Preis der Weine schlägt sich dies sicher nieder. Im Bereich des Genusses aber gelten (oft) ganz andere Regeln.
Wäre da noch anzufügen, dass sich der Cos d’Estournel auch in der Farbe (tiefes Granatrot) sehr gut erhalten hat und im Gaumen einen etwas strengen, aber fülligen Charakter zeigt, nicht gealtert, sondern wirklich rund gereift. Wie kann man gegen solche Eigenschaften – zu einem Vergleich – antreten? Eigentlich nicht. Und doch hat es der Poujeaux geschafft, vielleicht weil er im Augenblick mehr Charme, mehr Authentizität und Verbindlichkeit zeigte.
Kapitel 2:
Château Pavie, 1990, Saint-Emilion
Château Figeac, 2000, Saint-Emilion
Zwei durchaus vergleichbare Weine und vergleichbare Jahrgänge. Beides sind Spitzenweine (zum Zeitpunkt der Jahrgänge: Premier grands crus classés B). Beide Châteaux mussten – trotz ihrer langen, glorreichen Geschichte und ihrer anerkannt «grossen» Weine – einige Krisen überstehen. Pavie steckte seit den siebziger Jahren in einem Tief. Zwar wurden immer wieder gute, in einigen Jahren sogar hervorragende Weine gemacht. Zwar wurden immer wieder gute, in einigen Jahren sogar hervorragende Weine gemacht. Doch das Weingut – sowohl Keller als auch Reben – war zu dieser Zeit in denkbar schlechtem Zustand. Parker gab dem Pavie 1990 immerhin 92/100 Punkte, während die vorangehenden Jahre noch im Bereich der oberen 80er-Punkte lagen und die folgenden beiden Jahrgänge (generell schlechte Bordeaux-Jahre) mit 82/100 und 78/100 Punkten geradezu abgestraft wurden. Der 90er-Pavie im «grossen» Bordeaux-Jahr kostete immerhin schon damals um 80 Franken.
Anders die Situation beim Châteaux Figeac. Das einst riesige Weingut erlebte seinen «Abstieg» im 19. Jahrhundert und kam erst wieder - deutlich verkleinert – Mitte des 20. Jahrhunderts zur eigentlichen Blüte, als Thierry Manoncourt das Weingut der Familie übernahm und nur ein Ziel hatte, in die höchste Klasse (Premier grands crus classés A) aufzusteigen. In Bezug auf die Qualität des Weins hätte er dies schon 1995 (in St-Emilion wird etwa alle zehn Jahre neu klassifiziert, zum letzten Mal 2012) eigentlich geschafft, doch ihm wurde der «Aufstieg» verwehrt, mit dem Argument, er vermarke seine Weine halt zu billig. Für diesen 2000er bezahle ich damals (trotz der überrissenen Preise des Jahrtausend-Jahrgangs) etwa 90 Franken. Pavie kostete hingegen damals bereits 300 Franken (nach einem Besitzerwechsel 1998 und grossen Investitionen auf dem Château). Noch ein letzter Reputations-Vergleich, der die Mechanismen des Bordeaux-Geschäft deutlich aufzeigen. Pavie kostet jetzt (2018) um 400 Franken, Figeac nur in etwa die Hälfte. Die durchwegs höheren Bewertungen von Pavie durch Parker sind mit ein Grund für den eklatanten Preisunterschied.
Nun zur Qualität: Figeac ist ein stolzer Wein. Meist opulent, recht ursprünglich, ab und zu mit Ecken und Kanten, aber eindeutig und klar – wenn auch eigenwillig – im Stil, mit einem hohen Cabernet- Sauvignon-Anteil (was nicht typisch ist für Saint Emilion) und fällt deshalb – in witterungsmässig weniger günstigen Jahren – etwas aus dem Rahmen: dann wirkt er etwas gepresst und verträgt keine allzu lange Flaschenreife und weist vegetabile Noten auf. Nicht so der 2000er. Er gehört zu den nuancenreichsten, für mich auch interessantesten und komplexesten Weinen des Bordeaux. Die Superlative sind – auch in dieser Verkostung - durchaus gerechtfertigt und werden bestätigt.
Pavie – hier noch in der Version vor seinem steilen Aufstieg in die höchste «Klasse» - wirkt eindeutig viel freundlicher, umgänglicher und hat trotz des Alters viel Charme. Er hat fast schon zu sehr geschliffene Tannine und ein eher blumiges Bukett – schon leicht verwelkte Blumen - und deutlich weniger Gewürzanklänge als der zehn Jahre jüngere Figeac. Für Kenner: einer der letzten «grossen» Weine im «alten» Pavie-Stil. noch nichts zu spüren von dem fast kultähnlichen Pavie-Stil, der ab 1998 im Château Einzug gepflegt wurde. Noch nicht eine «Diva» wie sie der neue Besitzer Gérard Perse später geschaffen hat.
Beide Weine sind noch immer wunderbar zu trinken – im Stil zwar anders – aber authentisch, wie sie nur im Bordelais – in bester Lage – und in guten Châteaux (meist noch Familienbetriebe) entstehen können.
Kapitel 1:
Château Ausone 1978, Saint-Emilion und
Château Mouton Rothschild 1978, Pauillac
(Fortsetzung)
Doch, so schreibt Parker, «manche Kommentatoren zeigten sich enttäuscht, dass die Weine entgegen ihren Einachätzungen (bei Trinkreife) nicht besser ausgefallen sind». Es sind auch die Weine, die bis heute einen eher «schlechten Ruf», aber doch (schon damals) recht teuer waren. Dies nach einigen «mageren» Jahre und dem wohl schlechtesten Jahrgang 1977 fast schon verständlich, der Marktlogik entsprechend.
Da ich erst in den 80er Jahren mit der Subskription und dem Kauf von Bordeaux begonnen habe, wurden alle früheren Jahrgänge von mir ausschliesslich auf Auktionen erworben. Der Ausone vor knapp zwanzig Jahren für 178 CHF (brutto) und der Mouton an der gleichen Auktion für 80 CHF. Heute ist der Ausone 1978 kaum mehr zu aufzutreiben, während der Mouton – Sammlerobjekt auf Grund seiner Künstler-Etiketten – noch häufiger angeboten wird, beide Weine für etwa 400 CHF. Viel Geld für «unsichere» Weine, die einst von Parker mit 88/100 und 85/100 Punkten bewertet wurden. Mouton ist (auf dem Papier), der «schlechtere» der beiden Weine, doch die Etikette, die der kanadische Künstler Jean-Paul Riopelle (1923-2002) gestaltet hat, egalisiert den anfänglichen Preisunterschied.
Die Skepsis, mit der wir die beiden Flaschen geöffnet haben, ist verständlich. Hat sich ein Rest von Frucht erhalten, ist das Gleichgewicht, die Harmonie, gestört? Finden sich dumpfe, pilzähnlich Noten, wie sie sich bei alten Weinen oft anzutreffen sind, vor allem, wenn sie schlecht gelagert wurden? Haben sich – nach so vielen Jahren – oxidative Noten entwickelt? Als ich die Weine an der Auktion erworben habe, waren sie immerhin schon mehr als zwanzig Jahre in der Flasche und reisten – man weiss es ja nicht – schon einige Male rund um die Welt.
All diese – und noch weit mehr – Befürchtungen trafen überhaupt nicht zu. Beide Weine sind noch gut zu trinken, bereiten viel Freude und auch grossen Genuss. Es sind – so mein Fazit – ausgezeichnete Altweine, die alle «Altweintrinker» beglücken würden. Was aber erstaunlich ist: der geschmackliche Unterschied ist weit kleiner als erwartet. Mouton (Pauillac) keltert rund 70 Prozent Cabernet Sauvignon und nur knapp 10 Prozent Merlot zum Erstwein, währen Ausone (St. Emilion) aus etwa gleichviel Merlot und Cabernet Franc (kein Cabernet Sauvignon) gemacht wird. Nicht nur der Boden und die Lage (Ausone: Kalkstein, geschützte Hanglage – Mouton: Ablagerungen der Gironde, Kies, flaches Gelände), auch die Rebsorten bewirken bei jüngeren Jahrgängen deutlich mehr Unterschiede. Ausone ist in jungen Jahren meist der üppigere, straffere, mineralischere Wein, währen Mouton mehr Leichtigkeit, mehr Beeren- und Blumendüfte ausstrahlt und in der Stilistik oft weit weniger konsequent ist, vor allem in den siebziger Jahren, als bei Rothschild immer wieder tüchtig experimentiert wurde (1973 ist der Wein – als einziger im Médoc – zum Premier Cru aufgewertet worden).
Von all dem ist nichts mehr zu spüren. Es sind beides vergleichbare, hervorragende «Reifeweine» mit viel Gewürzen, Zedernholz, Bleistift, Restfrucht und leichter Süsse. Auch die Opulenz hat sich angeglichen. Der Ausone ist eindeutig (auch in der Farbe) ruhiger, verbindlicher, abgeklärter geworden, während der Mouton an Tiefe und Nachhaltigkeit gewonnen hat. Ich hatte sogar Mühe, die beiden (doch noch unterschiedlichen) Weine dem richtigen Château zuzuordnen – etwas, das ich bisher ohne grosse Mühe immer spielend geschafft habe.
Die beiden Weine bleiben für mich (ich glaube auch für unsere kleine Runde) eines der schönsten und rundesten Altweinerlebnisse der letzten Zeit.
Noa - Noah of Areni 2015,
Vayots Dzor, Areni, Armenien
Den Wein habe ich vor Jahren schon einmal beschrieben, nämlich nachdem wir 2017 in Armenien auf jenem Weingut waren, wo die Trauben für diesen Wein wachsen, in einem einst riesengrossen Wein-Kollektiv zu Zeiten der sowjetischen Herrschaft. Im Zug der Privatisierung der Landswirtschaft (nach 1991) konnte die ehemalige Verwaltung des Weinguts, die Winzerfamilie Ghazaryan, die veralteten Anlagen und ein Teil der Rebberge übernehmen und eigenen Wein auf den Markt bringen. Doch die wirtschaftliche Situation des nun unabhängigen Landes war – besonders nach dem Konflikt mit Aserbaidschan um Bergkarabach – nicht rosig und landwirtschaftliche Exporte sehr schwierig. Die Anlagen zur Vinifizierung auf dem neuerstandenen Weingut verrosteten und verrosteten. Es fehlte das Geld für eine Sanierung. In dieser Zeit hat auch die Schweizer Jakobskellerei Schuler das Potential der armenischen Weine entdeckt und das eingeleitet, was seit Jahren in Europa – vor allem in Deutschland – sehr immer häufig ist: Aus ärmeren Ländern wird Wein importiert und in Tanklastwagen als Bulk- oder Fasswein quer durch Europa gekarrt, um dann im Bestimmungsland verarbeitet und in Flaschen abgefüllt zu werden. Meist entsteht so günstige Basisweine (Billigweine oder Massenweine), welcher die einheimischen, meist viel teureren Qualitätsweine ergänzen. Nicht so beim «Noah of Areni». Hier wird gezielt aus dem Fasswein ein eigenständiger, ja sogar eigenwilliger Qualitätswein gemacht. Die Qualität des Weins und vor allem auch die bei uns kaum bekannte uralte armenische Rebsorte Areni lassen dies zu. In den modernen Anlagen werden von den Önologen der Firma elegante, im Geschmack eigenwillige, aber durchaus hochfeine Weine gemacht. Eine einfachere Version – ohne längere Lagerung im Barrique – und Version, die höchsten Ansprüchen genügen kann und sich in bis zu Jahre Flaschenreifung noch verbessert. Die beiden Weine vermitteln das Erlebnis einer Rebsorte, mit ganz eigenem Geschmack: leicht bitter, aber auch zart, gehaltvoll, blaubeerig und einem Touch von Melonen, Nüssen und eine Variation von orientalischen Gewürzen. Nein, es ist gar kein einfacher Wein, nicht so leicht in eine Schublade des Geschmacks unterzubringen. Es ist eine Persönlichkeit, die kräftig und verführerisch auch schwere Gerichte «umgarnen» kann, von Grilladen über Eintöpfe bis zu Pasta Gerichten. Ich ziehe vor allem den einfacheren «Noa» dem «Noa Reserve» vor, weil hier das ursprüngliche Bouquet viel präsenter und weit weniger gestylt ist.
Als meine Liebe zum Bordeaux in den achtziger Jahren begann, da war Château Clarke so etwas wie ein «Geheimtipp». Doch so geheim war der Wein aber nicht, eher auf dem langen Weg ein «grosser» Bordeaux zu werden. Zwanzig Jahre zuvor hat Baron Edmond de Rothschild – vom französischen Familienzweig der Rothschilds (Château Lafite) – das geschichtsträchtige Weingut Clarke in Listrac gekauft. Allerdings war es ein Weingut, das einst einen guten Namen hatte, jetzt aber von Grund auf neu geschaffen werden musste. Das Gebäude war zerstört, die Reben grösstenteils niedergebrannt und sein Ruf dahin. Nun, Gebäude (auch Weinkeller) lassen sich in relativ kurzer Zeit erbauen, aber Reben brauchen Jahre, bis sie reif sind für das Keltern «grosser» Weine. 1973 – kurz nach dem Kauf - begann der Um- und Ausbau des Châteaus und seiner Rebfelder. 1978 war es so weit: der erste Jahrgang des neuen Château-Clarke-Weins wurde für den Markt gekeltert. Die Reben waren allerdings noch jung, sehr jung. Sie brauchten sicher noch zehn, zwanzig Jahre, bis wirklich «grosse» Weine möglich wurden. 1997 starb Baron Edmond de Rothschild, nur ein Jahr nach seinem ersten, auch innerhalb der «Bordeaux-Hierarchie» anerkannten Spitzenwein.
Ab 1997 übernahm sein Sohn Benjamin das Weingut. Und es wurde weiter investiert, experimentiert und immer bessere Weine gemacht. Château Clarke hat zum alten Glanz und Renommee zurückgefunden. Allerdings, ganz grosse Weine können im Médoc (nördlich des eigentlichen Kerngebiets: Haut-Médoc) kaum entstehen. Einerseits ist es die Lage, dann die Jahrhunderte alte Rangordnung der Appellationen und schliesslich das Prestige (mitbestimmend für den Markt und die Preise), welche den Abstand zu den 1855 klassifizierten Weinen bestimmen. Daran vermögen weder der Name Rothschild noch die grossen Investitionen allzu viel ändern. Clarke ist und bleibt ein guter Wein, wie es noch einige in den Appellationen des Bordelais gibt, die eher am Rande der berühmten Weindörfer liegen.
Was ist aber jetzt – nach 24 Jahren – aus dem letzten von Baron Edmond de Rothschild (1926-1997) so innig gewünschten und geförderten Wein geworden? Abgebaut? Zu lange im Keller gelegen? Er hat sich zu einem guten, schönen Altwein entwickelt. Nicht besser und nicht schlechter wie viele der «kleineren» Weine des Jahrgangs, die ich in der letzten Zeit im Glas hatte. Doch die Typizität von Clarke – Cabernet Sauvignon und Merlot etwa zu gleichen Teilen – kommt nicht mehr zum Tragen. Auch an Eleganz hat er einiges eingebüsst. Trotzdem: ich trinke den Wein voller Anerkennung für den Erneurer dieses Weinguts, der sich hier einen Traum erfüllt hat, und dessen letzte Ruhestätte Gelände des Schlosses liegt.
Riebeek Cellars: Shiraz 1998
Swartland, Südafrika
Ein Wein aus Südafrika, der bei uns kaum besprochen wird. Schon gar nicht so ein „alter“ Wein. Eben nicht im Mainstream. Wie er in
meinen Keller gekommen ist, weiss ich nicht mehr. Wohl bei einer Auktion als „Zugabe“ von Weinen der Rebsorte Pinotage, für die ich öfters geboten habe. Dem Wein bin ich auch auf zwei grossen
Reisen durch die Weingebiete Südafrikas nicht begegnet. Kein Wunder, schreibt doch „Vinum“, das Magazin „Selbst für viele Bewohner von Kapstadt ist Swartland kaum mehr als ein riesiges
Stück «Pampas», wo sich Hasen und Kudus gute Nacht sagen.» Ich erinnere mich noch gut an die Besuche auf dem Weingut «Allesverloren» und an die Kleinstadt Darling, wegen ihres «anmächeligen»
Namens, aber an das Riebeek-Valley nicht, und schon gar nicht an seine Weinkeller. Ein Versäumnis? Nein, wenn man Weine auf Grund der internationalen Reputation auswählt. Ja, wenn man einen
typischen Wein aus dem «Berggebiet» Swartland (Preis um 17 CHF) sucht. (Der höchste Berg ist hier etwa 700 Meter über Meer.)
Der Wein ist auch nach zweiundzwanzig Jahren noch ein kräftiger Brocken. Ein «Einheimischer», vor allem weil das sonst allpräsente Vanille-Aroma der Barriques fehlt. Einfach nur gut «verdaut»
nach so vielen Jahren oder Kennzeichen für einen Wein, der das typische Terror der Gegend aufgesogen hat? So genau lässt sich dies bei diesem «Altwein» nicht mehr ausmachen. Jedenfalls ist die
Kraft und die Erlebnisstärke (für mich) eine Überraschung. Ich möchte schon sagen: ein echter Gewinn. Kein Weltklassewein,
sicher nicht. Schon eher ein Shiraz der besonderen Art: ohne französische Eleganz, aber auch nicht der Abklatsch eines Weinstils, der aus dem Shiraz so vieler Weingegenden einen fast schon
«uniformierten» Wein macht: mit viel roten Früchten und eine Portion Tabak und Kakao. Hier herrscht das Wilde vor (die Frucht ist wohl weitgehend abgebaut) und formt sich zum Erlebnis, das nicht
– wie bei so vielen Weinen – beliebig auswechselbar ist.
Weingut Von Tscharner, Completer 2010, Schloss Reichenau, AOC Graubünden, Schweiz
Noch heute wird in Klöstern – vor allem bei den Benediktinern - nach der Vesper, kurz vor der Nachtruhe die «Komplet» gebetet (oft auch gesungen), das letzte Stundengebet im religiösen Ritual des Klosters. Darin enthalten ist auch der Psalm 91, der - vor allem in Zeiten von Seuchen und Krieg - den rettenden und tröstenden Gott anruft: «Du brauchst keine Angst zu haben vor den Gefahren der Nacht oder den heimtückischen Angriffen bei Tag. Selbst wenn die Pest im Dunkeln zuschlägt und am hellen Tag das Fieber wütet, musst du dich doch nicht fürchten». (91.5 und 6) Dass die Bitten in den drei Psalmen der Komplet mit einem guten Schluck Wein bekräftigt und besiegelt wurden, ist alte Überlieferung. Ob sie stimmt, weiss ich nicht. Doch den Wein der Komplet gibt es, zumindest in (und um Chur), den «Completer» Er soll die Domherren am bischöflichen Sitz (seit dem 9. Jahrhundert) vor dem Schlafengehen erleuchtet haben.
Der Completer ist längst «weltlich» geworden. Den Hauch der Geschichte trägt er aber noch in sich, verborgen in der autochthonen Rebsorte, die viel Wärme braucht und sich nur in milden Alpenregionen (vor allem der Schweiz) bis heute durchsetzen konnte. Der Wein: ein säurereicher, kräftiger, leicht nussiger Weisswein. Die Trauben – wenn sie gut reifen – mit hohem Zuckergehalt. Doch der Completer kann, aber muss nicht süss ausgebaut sein. Der Completer vom Weingut Donatsch (Malans) wirkt süsslich, mächtig, saftig – die typische Würze ist fast nur im Abgang so richtig wahrzunehmen. Ganz anders der Completer vom Weingut «von Tscharner», nach meinen Erfahrungen – und die reichen doch Jahre zurück – der beste, der authentischste Completer der Schweiz. Die Süsse ist gezügelt, die reifen Frucht in Aromen gehaucht, mit frischer Säure und cremiger Stofflichkeit. Der deutsche Weinjournalist Wolfgang Fassbender sagt vom Tscharner-Completer 2000: «Einfach ein grosser Wein» und gibt ihm 97/100 Punkten. Dies hat schon burgundische Qualität. Vielleicht ist der 2010, den ich gerade im Glas habe, nicht ganz so hymnisch, doch zumindest sehr, sehr gut. Natürlich gibt es auch beim Completer Jahrgangsunterschiede. Da er aber so selten ist, geradezu rar, kann und will ich nicht Jahrgänge gegeneinander ausspielen. Wichtiger scheint mir: Der Completer – wenn er richtig gereift (mindestens fünf Jahre) und subtil (mit Gefühl und Weinverständnis) ausgebaut ist. gehört (immer) zu den besten Weissweinen der Schweiz, jedenfalls zu den eigenständigsten und eigenwilligsten.
Gál Tibor Winery: Pinot Noir 2016, Eger, Ungarn
Ja, da nehme ich mich am besten selbst an der Nase. An der weinigen Nase, die sich so gern überall hineinsteckt, wo es um Wein geht. Zum Beispiel in
diese Flasche, die irgendwie in meinen Keller geraten ist. Vorerst erinnerungslos. Irgendwann, irgendwo, irgendwie einmal gekauft, in den Keller gelegt und dann vergessen. Bis er wieder
aufgetaucht ist und nach langem Werweissen (gemeinsam mit meiner Frau) kam auch die Erinnerung wieder. Wir waren – vor gut zwei Jahren – in Prag, auf einer Flussschiffsreise. Fremdorganisiert. Da
gab es wenig – sozusagen keinen – Raum für speziell Weininteressierte. Auf der Rückfahrt in die Schweiz fiel mir – noch in Tschechien – das schwere Manko auf: keinen regionalen Wein gekauft.
Rasch besorgte ich mir in einer Raststätte eine Flasche (zum Mitnehmen), geschuldet meiner Neugier. Gál Tibor war mir zwar – so ganz vernebelt – ein Begriff und bim Spätburgunder habe ich einige
Erfahrung. Sogar das Etikett gefiel mir. So kam der Wein in meinen Keller. Erst jetzt – zwei Jahre später – staune ich: Eger, die Barockstadt, liegt doch in Ungarn und nicht in Tschechien. Also
ein ungarischer Wein, gekauft in Tschechien, (nach googlen weiss ich) auch in der Schweiz erhältlich - für 16 Franken. Ich gebe zu: ohne diesen Umweg über eine tschechische Raststätte, hätte ich
den Wein nie kennengelernt. Es ist mein erster ungarischer Wein, den ich für einen tschechischen hielt. Und?
Diese Erfahrung macht mir wieder einmal bewusst, wie bunt und vielfältig die Weinwelt ist. Und wie selbst eine wein-neugierige Nase fast immer am gleichen Ort herumschnüffelt. Dieser Pinot ist
vor allem ehrlich – nicht weltläufig – eher verwurzelt in einer Region, die ich nur sehr oberflächlich kenne, weil sie allzu lange hinter dem «Eisernen Vorhang» versteckt und geknebelt war. Und
es ist ein burgundischer Wein, nicht geschraubt, gepresst, gedopt. Ein Wein, der sich in die feinen, eleganten reintönigen Aromen verliert. Seine Klasse liegt nicht im Wau-Effekt, vielmehr in
seiner eher fröhlichen Verbindlichkeit, kleinauftretenden Grösse und (guten) Bescheidenheit. Ein Wein, der nicht auftrumpfen will und kann, sondern bis in den Abgang hinein immer Wein sein
möchte.
Château Pichon Longueville Comtesse de Lalande 1988, 2ème cru classé, Pauillac. Bordeaux, Frankreich
«Einer der absolut besten Weine von ganz Bordeaux», so beurteilt der erfahrene und zuverlässige Bordeaux-Kenner und Weinhändler Max Gerstl das Château . In der Regel nehme ich solche Superlative nicht ernst – zu häufig stosse ich in Bordeaux auf den «absolut besten Wein», oft nur so lange die Lancierung eines neuen Jahrgangs dauert und der hohe Preis zu rechtfertigen ist. Später, vor allem bei etwas älteren Weinen, relativiert sich die Begeisterung, von selbst. Was dann an den aktuellen Parker- (und anderen) Punkten und an den Preisen deutlich abzulesen ist. Für den «legendären» 82er mit satten hundert Parker-Punkten wird heute bis zu 1'000 Franken bezahlt. Der 88er nimmt sich da geradezu «bescheiden» aus, zehn Punkte (von Parker) weniger und sein Preis höchstens ein Drittel des «Spitzenjahrgangs» 1982.
Dazu kommt, dass May-Eliane de Lencquesaing, die Besitzerin des historischen Weinguts, die nicht ganz unbegründet mit «Generalin» bezeichnet wird, das Château 2006 an die Champagnerfirma Roederer mehrheitlich verkauft hat. Wer das Sagen hat, prägt auch den Stil (und wohl auch die Qualität) eines Weins. Dieser Pichon-Lalande 1988 stammt noch aus dem alten Regime. Wer die «Madame General» noch erlebt hat, der kann sich vorstellen, was dies bedeutet: elegant, fein, delikat, weich, aber bestimmt, aussagestark, nicht schreiend eher verhalten ausdrucksstark. Dafür verantwortlich ist – nebst dem Önologen – vor allem der verhältnismässig hohe Merlot-Anteil für einen Pauillac.
Wie ist der Wein heute, mehr als dreissig Jahre später? So kurzlebig, wie man einst prognostiziert hat? Abgebaut, kraft- und saftlos? Im Gegenteil! Ein wunderbarer Altwein, bei dem die Reifetöne, ein ganzes Arsenal von Gewürzen, von Aromen, ja sogar von Düften, die jetzt eher leisten Fruchtnoten umgarnen. Einer der besten, genussvollsten Weine, die seit langem im Glas hatte. Ein starkes Erlebnis, eine Kraft, die bis in den warmen, langen Abgang anhält und schliesslich als Gesamtbild eines tiefgründigen Wein in Erinnerung bleiben wird. An was liegt es, dass er so viel besser ist, als die meisten Weinkritiker – allerdings über den Jungwein – damals sagten. Liegt es an der Lagerung? Liegt es an der eher gedämpften Erwartung? Oder an den virusbelasteten Umständen? Jedenfalls bin ich versucht, mich jetzt auch einmal in Superlativen auszudrücken