Vom Sammeln

31. März 2013

 

Verschiedene Sammelbreiche, Aktivitäten, Anlässe, Neueingänge etc. werden hier zusammengefasst. Auch Grundlagen und Gedanken zum Sammeln sind über diese Seite zu erreichen. Sammlerfreunde finden hier auch einen Blog, wo sie miteinader (oder mit mir, dem "Sammlerfreak" diskutieren und "fachsimpeln" können.

23. November 2015

 

Zeitdokumente:

 

Wenn Winnetou Frau Carezza liebt

 

Sammelleidenschaft und Literatur

 

Beim Räumen meiner Archive staune auch ich - ab und zu. So bin ich heute zum Beispiel auf einen Artikel gestossen, den ich zwar selber geschrieben, aber längst vergessen habe. Es geht darin um meine Sammelleidenschaft und um meine Liebe zur Literatur. Verfasst vor 16 Jahren für die Hauszeitung "Live" des Schweizer Fernsehens.
Da es um das Thema meiner Website geht, habe ich den Text eingescannt.

 

Ein Leser meines Beitrags schreibt: "Deinen Beitrag „Wenn Winnetou Frau Carezza liebt“ habe ich mit großem Interesse gelesen;er hat mich sehr

berührt...."

Hier das Echo auf den Beitrag

 

Veröffentlicht im Februar 1998

in der Hauszeitung "Live" von SF DRS.

 

"Meine Freunde und Bekannten wissen es: Ich bin ein Sammler. Aus Leidenschaft. Ich sammle Kugelschreiber, Krippenfiguren, Gartenzwerge, Filmkritiken, Videos, Zeitungsartikel und noch vieles mehr - auch Bücher. Was man sammelt, das liebt man auch. Mir geht es nicht anders. Zu jedem einzeln Gegenstand hat sich eine Beziehung entwickelt: interessiert, freundschaftlich, leidenschaftlich, fast immer gefühlvoll. Es klammern sich Erlebnisse und Erinnerungen an den Gegenständen fest. Meine Bücher machen keine Ausnahme. Sie stehen zwar stramm wie Soldaten und immer stärker verstaubt in Reih und Glied. Alphabetisch geordnet nach Autorinnen und Auto-ren, von Abis Z. 40,3 Laufmeter sind es mittlerweile.

Viele der Bücher sind bereits in die Jahre gekommen. Trotzdem, sie geben jederzeit ihre Geschichte wieder preis. Eigentlich sind es zwei Geschichten: die eine im Buch festgeschrieben, für alle Leserinnen und Leser gleich, die andere ist allein meine Geschichte, die ich beim Lesen oder «Sammeln» erlebt habe. Die zweite Geschichte ist fast immer viel wichtiger für mich. Erinnerungen stehen zusammen mit den Büchern im Regal. Auch dann, wenn sie nur noch selten - oder gar nie mehr - zu Hand genommen werden.

Da und dort entsteht eine Lücke: Bücher, die abgetaucht sind: ausgeliehen, verloren, entsorgt. Viel häufiger müssen die Reihen «nachgeschoben» werden, weil sich neue Bücher hineinzwängen und einen Platz zwischen A gleich Peter Abraham und Z wie Stefan Zweig erobern möchten.

Seit vielen Jahren haben sich die Eckpfeiler meiner Bücherwelt nicht verändert. Peter Abraham verteidigt seinen Platz seit 42 Jahren, hartnäckig und erfolgreich. 1956 habe ich als Gymnasiast Peter Abrahams «Dort, wo die weissen Schatten fallen» gekauft. Freiwillig, aus dem eigenen knappen Sackgeld berappt, ohne es für die Schule zu gebrauchen. Es gehörte weder damals noch heute zur Weltliteratur, und schon gar nicht zum Bildungsgut eines 17jährigen. Trotzdem - und vielleicht gerade deswegen - hat es mich beeinflusst, wie kaum ein anderes Buch, das später in meiner Büchersammlung gelandet ist. «Dort, wo die weissen Schatten fallen» erzählt die Geschichte eines Schwarzen in Vrededorp, einem der schlimmsten Vororte von Johannesburg. Ich wusste damals noch nichts von Apartheid, von einer Welt, in welcher der autobiographische Held Peter einem Mitstudenten die Frage stellt: „Hat dir schon einmal ein Weisser ins Gesicht gespukt? „Ja“, „mir auch.“ Das Buch hat mich politisier. Mit ihm ging meine unbekümmerte Schulzeit zu Ende. Ich erlebte zum ersten Mal die Geschichte von frierenden, hungernden Mitgliedern einer «Bande», deren Chef Peter war, bis ihn ein Zufall in eine Schule führte und ihm eine neue Welt erschloss: die Welt der Literatur, in der er seine Stimme für die Freiheit erhob („Tell freedom“, so der Originaltitel) und dadurch auch mir, dem Peter aus der ländlichen Schweiz, bewusst machte, was Industrialisierung und Rassentrennung bei den entwurzelten Massen der afrikanischen Städte angerichtet haben.

Das ist der Anfang meiner Bücherwelt. Seit über vierzig Jahren. Nur der Umfang, ist gewachsen: Von 36 Millimeter (so dick ist «Dort, wo die weissen Schatten fallen») bis zu einer 40,3 Meter langen Bücherschlange. An deren Ende steht - auch schon gut dreissig Jahre - Stefan Zweigs «Schachnovelle». Auch sie enthält, wie die meisten Bücher dazwischen, meine Geschichte: 1967 habe ich das dünne Bändchen gekauft und zum ersten Mal gelesen: Ein sprachliches Kunstwerk, ein Kabinettstück der Erzählkunst. Ich dachte: so also kann man eine Geschichte erzählen. Eine einfache Handlung: Die Welt reduziert auf ein Spiel mit starren Regeln: Weiss gegen Schwarz. In einem geschlossenen Rahmen: Bordalltag auf einem Südafrikadampfer. Mit wenigen Figuren: Zwei ganz unterschiedliche Schachgenies: Mirko Czentovic, Schachweltmeister, «ein schwerer, maulfauler Bauernbursche und der gebildete, hochbegabte Dr. B., der das Spiel ohne Partner im Konzentrationslager gelernt hat. Und zum Schluss eine «unerhörte Begebenheit», in der sich «die Welt einzig auf die enge Einbahn zwischen Schwarz und Weiss reduziert», auf das blosse «Hin und Her, Vor und Zurück von zweiunddreissig Figuren ... » Damals, als ich die Novelle entdeckte, war ich gerade daran, die Universität zu verlassen und ganz ins Berufsleben eines Journalisten einzusteigen. Die Zeilen, die mich damals besonders beeindruckt hatten, sind unterstrichen: Sie markieren das Gerüst einer Geschichte, in ihrer Knappheit so, wie ich glaubte, fortan Geschichten erzählen zu müssen. Ein Lehrstück also für meinen Beruf.
Zwischen diesen beiden Ecksteinen meiner literarischen Welterkundung stehen 3'624 andere Bücher, andere Welten. In ihnen spiegeln sich Höhen und Tiefen, durchlesene Nächte und beiseite gelegte Zeilen, nie Aufgeschlagenes und vom vielen Blättern Abgegriffenes.

Am liebsten aber ist mir eine ganze Reihe von grünen, dicken, kleinformatigen Bänden: Alle im gleichen Outfit. In Aufmachung und Inhalt verstaubt die Schrift altertümlich, ja altmodisch.

Sie sind ein wiedergefundener Schatz meiner frühesten Lesekindheit. Zweiundzwanzig fast gleich aussehende Bände, die nun jedes Jahr um einige Titel erweitert werden. Sie stehen noch nicht lange hier: Sie kamen gar nie ins Gestell; weil ich sie einst in der Bibliothek ausgeliehen hatte. Meine Eltern tolerierten sie bestenfalls als Leihgabe, sie meinten aber es wäre Schund. Ich war damals so um zehn, konnte den Namen Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud Grossarah ohne jedes Stocken aussprechen, und ich wusste wie ein Henrystutzen und ein Bärentöter funktioniert.

Als Winnetou gar im Band 3 auf Seite 436 (Bamberger-Ausgabe, 1951) starb: «ging ein Zucken und Zittern durch seinen Körper, ein Blutstrom quoll aus seinem Mund. Der Häuptling der Apatschen drückte nochmals meine Hand und streckte seine Glieder. Dann lösten sich seine Finger langsam von den meinigen - er war tot - «. Da habe ich geweint, wie ich nie mehr beim Lesen eines Buches geweint habe. Und ich hasste den Schurken Santer, wie ich nie mehr einen Menschen hasste,obwohl mir noch mancher «Santer» begegnet ist. Die 74 Karl May-Bände habe ich verschlungen, auch Bände wie «ICH» oder « Ardistan und Dschinnistan», die ich nicht verstand und die mich eigentlich langweilten. Dies konnte ich mir aber nicht eingestehen, weil ich fortan auf dem schwarzen Mustang durchs wilde Kurdistan ritt, den Ulanen zum Glück folgte, mich von Orangen und Datteln ernährte, auf fremden Pfaden zu Winnetou geführt wurde. Ich verbrachte die Nächte unter Geiern in einer Schlucht des Balkans, wo der Ölprinz wohl den Schatz des Silbersees versteckt hatte.
Später war in meiner Büchersammlung kein Platz für Karl May. Der literarische «Schund» blieb verbannt in Jugenderinnerungen, während sich Buch anBuch, Wert an Wert, Literatur an Literatur reihte. Erst vor etwa acht Jahren habe ich ihn heimgeholt, weil seine Helden, die Edlen und die Fiesen, fast 50 Jahre meines eigenen Lebensabenteuer unbeschadet überstanden haben.

NB. Der Eindruck stimmt nicht, dass ich nur Bücher von gestern und vorgestern lese. Fast täglich bettelt ein neues Werk um Aufnahme. So bin ich vor einigen Jahren auf Paul Virillio gestossen. In einem Aufsatz über «Das Privileg des Auges» hat er mich für die Medienliteratur sensibilisiert. Wie fast immer, wenn es mich packt, entsteht eine neue Sammlung: 178 neuere und neuste Werke der Fachliteratur zum Thema Medien bilden den Grundstock für eine neue, weit weniger nostalgische Bücherschlange. Darin steht auch Harry Pross, der die These vertritt, dass jede Informationsvermittlung, ein ständiges Buhlen, ja ein ständiger Kampf um die Lebenszeit der Menschen sei. Die Lebenszeit bleibt begrenzt und der Kampf um ihre Anteile wird immer grösser: Fernsehen, Zeitungen, Werbung und auch Bücher.

Vielleicht muss meine Bücherschlange nicht mehr weiter gefüttert werden. Vielleicht ist sie eben daran, mich selber zu fressen. Das ist wohl der Grund, warum ich von all dem Neuen nichts erzählt habe: «Für immer ist morgen» empfiehlt mir soeben Urs Augstburger, sein Buch habe ich eben gelesen und weggelegt. Wieder ein Stück Lebenszeit. Hat sich die Ausgabe gelohnt? Ich weiss es nicht. Solange ich Bücher sammle - in meinem Kopf und im Bücherregal - kann ich nicht Bilanz ziehen. Winnetou empfängt auch Augstburgers Bruna Carezza. Die beiden haben vielleicht einmal ein Verhältnis. Sie könnten sogar miteinander schlafen. Wenn sie Kinder zeugen, wird meine Sammlung noch grösser. Was kann ich dafür!

Reakton auf diesen Artikel hier

31. März 2013

 

Sammlerblog

 

Dieser Blog wendet sich an alle Sammler und Sammlerinnen. Dabei können jede Arten von Sammlungen zur Sprache kommen. Aber auch grundsätzliche Gedanken zum Sammeln sind gefragt. Zu meinen eigenen verschiedenen Sammlungen gibt es jeweils auch einen
                                          speziellen Blog.