Zum ersten Teil der Kolumnen "In eigener Sache)
(Sie erscheint in Abständen von ca. zehn Tagen auf der Frontpage der Website)
Zum zweiten Teil der Kolumne "In eigener Sache"
(ab Dezember 2020)
Zum dritten Teil der Kolumne "In eigener
Sache"
(ab Dezember 2023)
Verhunzt
von Peter Züllig
Sterne zieren den Himmel, Sterne verhunzen die Sprache. Die Hunde mögen mir die rassistische Anwandlung verzeihen (verhunzen =
jemanden einen Hund nennen, wie einen Hund behandeln, wie einen Hund beschimpfen, auf den Hund bringen, verachtenswert machen, verderben) («DWDS, deutscher Wortschatz»). Zwar ist bei diesem nicht gerade feinen Verb das «d» verloren gegangen. Doch jedermann (jedermensch, natürlich) denkt hier unwillkürlich an einen misshandelten Hund (wie «miss-han-deln» zur falschen Fährte der Missen (…-Schweiz, -Europa oder -Welt) (ver)führen
kann). «Sprache und Denken beeinflussen sich gegenseitig». Da sind sich Sprachwissenschaftler*innen einig. Doch wie? Da hingegen gehen die Meinungen und „Beweise“ weit auseinander. Das Denken ist vor der Sprache dagewesen und machte diese erst möglich. Diesen (fast schon zwingenden Schluss hat der Linguist Benjamin Lee Whorf
(1954 – Sapir-Whorf-Hypothese) umgedreht. Er behauptete nämlich, dass allein die Sprache das Denken formt (was in dieser Radikalität auch umstritten ist). Daraus hat sich aber ein moralischer Zwang zu «gendergerechten Sprache» entwickelt, gepaart mit dem
Anspruch der «Woke-Kultur» („wachsame Bewusstsein für mangelnde soziale Gerechtigkeit und
Rassismus), dem grössten Feigenblatt auch in der Politik (Entschuldigung, gute Feige, dies ist wohl auch rassistisch, denn deine Blätter sind nicht feige). Edda Moser, eine weltberühmte Opernsängerin (Sopran), hat sich nach ihrer Karriere
(1994), ganz der Pflege und dem Erhalt der deutschen Sprache gewidmet. Als 86-Jährige gibt sie noch immer Interviews (Thema: Sprache) (soeben im deutschen Fernsehen). Auf die Frage, was sie vom
«Gendern» halte, spielte sie die Entsetze mit dem Ausruf: «Das ist eine Lüge!» So entschieden und glaubwürdig hat das bisher kaum «jedefrau» gesagt: «Wir haben in der
deutschen Sprache alles, was wir für unsere Sprachkultur brauchen.» Fachbegriffe, in einer nicht deutschen Sprache, gehören selbstverständlich dazu. Selbst Hunde würden sich wohl (mit mir
freuen), über das, was die einstige «Königin der Nacht» (Zauberflöte, Mozart) nicht singen, sondern in gepflegter (nicht verhunzter) Sprache in aller Öffentlichkeit zu sagen wagt. (302)
FIGUGEGL
von Peter Züllig
Dieser Werbespruch ist – glaube ich – jedem Kind in der deutschsprachigen Schweiz bekannt: «Figugegl - Fondue isch guet und git e gueti Luune“. Mir hat es aber die «gute Laune» gründlich verschlagen, als ich im dörflichen Volg («Aus Liebe zum Dorf, wo der Bauer…») eine Fonduemischung kaufen wollte. Keine «Fertigmischung», wo die Käse bereits flüssig ist, vakuumverpackt, gemischt und gewürzt – ohne speziellen Aufwand -eben massenverkäuflich. Ich wohne in einem Dorf, das bereits deutliche Stadtallüren zeigt, aber noch einen Dorfladen hat, in dem der Käse noch richtig stinken darf. Hier kaufe ich ein, weil ich die Nähe zum Laden, «frisch und fründlich», zum Personal und nicht zuletzt auch zu den landwirtschaftlichen Produkten («frisch») schätze und dafür auch bereit bin, bis zu fünfzig und mehr Prozent mehr zu bezahlen, als im nahen Discounter, wo die Kunden «für AL DI rechnen können». «Volg», so habe ich gelesen (und geglaubt), steht der Schweizer Landwirtschaft sehr nahe: «nah, bequem, überschaubar». Da erwarte ich zumindest auch eine klein wenig Landwirtschaft. Zum Beispiel eine kleine, aber gut bestückte Käse-Ecke. Die gab es auch, in unserem «Volg», wo ich einst noch die Zutaten zu meinem selbstgemachten Fondue kaufte. Die Käse-Ecke und viele landwirtschaftliche Produkte («direkt vom Bauer»), sind verschwunden oder discounterlike verpackt. Wohl weil man die Post («oh heilige, hochsubventionierte Landwirtschaft!)» im relativ kleinen Dorfladen einquartierte wollte. Keine voll funktionierende Post ist es nicht geworden, eine abgespeckte. Dafür mussten andere Produkte, auch die Käse, abgespeckt und in viel Plastik erstickt werden. Entgegen dem öffentlichen Gelöbnis darf es «nicht mehr stinken». Dafür stinkt es mir weiterhin im Dorfladen einzukaufen. FIGUG-K-GL. Ach, so ein Käse! (302)
Leichenfledderei
von Peter Züllig
Es waren keine Leichen und trotzdem wurden sie gefleddert, ausgeraubt. Ihr Leben besteht «nur» aus kulturellen Werten. Energien, die meist über viele Jahre – meist in anderen Zeiten – gesammelt und bis heute vermittelt werden. Jetzt halten sie dem Druck des Geldes – Gewinnoptimierung – nicht mehr stand. Sie werden eingestampft oder – noch schlimmer – umfunktioniert. Zwei Beispiele seien hier (stellvertretend) genannt. Eine Zeitschrift, Symbol des Widerstands, des kritischen Denkens, des feinen Ausdrucks gegen einen tödlichen Zeitgeist (der auch die Schweiz zu überrollen drohte). Das Markenzeichen «Nebelspalter», das älteste Satirenblatt der Welt. Die Zeitschrift rentierte lange Zeit nicht mehr und war zu kaufen und beliebig auszurauben. Ausgerechnet durch einen Journalisten mit bekannter «rechtsbürgerlichen» Ideologie, lanciert von Macht, Geld, Ewiggestrigem und unverblümtem Denken in Kategorien der Wohlhabenden und Besitzenden. Abkehr eines Satirenblatts von der Satire, hingelenkt zur ideologischen Welterklärung. Leichenfledderei.
Das zweite Beispiel hat eher mit Geld zu tun. Mit der Unfähigkeit, ein kulturelles Erbe als das anzunehmen, was es ist: wertvoll. Allerdings lässt sich auch dieser Wert nicht sofort (und auch
nicht immer) in nackte Bilanzen einzuplanen. Dort, wo der «grosse Reibach» ausbleibt, wird entweder nach öffentlicher Unterstützung (Subventionen!) geschrien oder aufgegeben. Doch auch kulturelle
Werte lassen sich (bei genügender Überzeugung und Wertschätzung) vermarkten, rentabel zu machen. So auch die «Öpfelchammer» am Rindermarkt in Zürich,
die - sozusagen über Nacht - geschlossen wurde: Unrentabel, Schulden, nicht mehr zu «stemmen». Wer der «Versager» ist, die Mieter, der Vermieter, «Corona», die Lage, der Zeitgeist, die Umbauten?
Das tut eigentlich nichts zur Sache. Die «Öpfelchammer» gehört zu den ältesten Gaststätten der Stadt. Ein «Traditionslokal», umrankt von Legenden und Traditionen, verbunden mit Gottfried Keller
(1819-1890), dem berühmten Schweizer-Schriftseller («Der grüne Heinrich») Die «Öpfelchammer» wurde nicht nur von Keller aufgesucht, sondern hat auch während zweihundert Jahren «rentiert»,
den Besitzern und Betreibern – allein schon durch die Lage der Liegenschaft - Einkommen und Wohlstand gebracht. Doch das sind Werte, die nicht in Bilanzen auftauchen. (höchstens bei den Steuern).
Anstatt den kulturellen Wert zu hegen und pflegen, ist eine Umnutzung einfacher rentable. Kulturelle Werte werden ausgeklammert und vernichtet. Zwangstod.
Leichenfledderei.
(301)
S'Buebetrickli
von Peter Züllig
Jeder Bueb – inzwischen auch jedes Mädchen – kennt es, noch bevor sie richtig auf den Schlittschuhen stehen können: S’Buebetrickli. Damit kann – mit etwas Glück und Behändigkeit - jeder Goali
überrascht und überlistet werden. Eigentlich ist es ein verblüffend einfacher Spielzug im Eishockey, von dem sich selbst der versierte Torhüter hütet und die Möglichkeit immer im Auge behält.
Inzwischen haben Unternehmen im Alltag, im Umgang mit Kunden und im Bestreben, die Gewinne zu optimieren, das «Buebetrickli» geradezu verinnerlicht. Ein legitimes Spiel, das auf dem Sportfeld
zwar den Regeln entspricht, aber eher abschätzig und als sehr plump bewertet wird. Jeder Torwart ärgert sich (weil er das «Buebetrickli» bestens kennt und die Abwehr immer wieder geübt hat), wenn
er durch diesen Spielzug überlistet wird. Leider gibt es ihn nicht nur auf dem Spielfeld. Viel häufiger noch dort, wo es darum geht, Partner auszutricksen, die in Dienstleistungs-Betrieben,
eigentlich «geschätzte Kunden» sein sollten. Die Post und die Bahn sind absolute Meister dieses Spielzugs - seit Jahren. Weil es da keine festen
Regeln gibt. Das geht so: Zuerst werden die Öffnungszeiten im Kundenverkehr so eingeschränkt, dass sie dem heutigen Lebens- und Arbeitsrhythmus nicht mehr gerecht werden. Dann werden die
Möglichkeiten (in einer immer komplizierteren Welt) immer stärker eingeschränkt. Alles wird "verschlankt" und vereinfacht. Rasch einmal genügen Technik, Ausbildung und Flexibilität nicht mehr.
Auch einfachste Dienstleistungen und berufliche Anforderungen werden «ausgelagert». Der «Verkauf» von Dienstleistungen, der Kontakt mit Kunden wird marginalisiert: Die Kunden werden auf
Dienstzentren und Automaten (Computer) verwiesen. Fazit: Zu wenig Kunden am Schalter, «es rentiert» nicht, die «Lebensgewohnheiten haben sich halt geändert». Schalter und Dienststellen werden
reihenweise geschlossen. Ein klassisches "Buebetrickli", das nicht (oder zu spät) erkannt wird. Nur, die Kunden werden dadurch nicht bloss unfair überlistet, sondern gründlich verarscht, weil
Dienstleistungen mit Toren (wie auf dem Sportfeld) gemessen
werden.
(301)
Stammtisch
von Peter Züllig
Es gibt ihn zwar noch, den Stammtisch. Jenen runden Tisch, wo sich täglich Stammgäste treffen, um ihre Befindlichkeit in der (meist misslichen) Weltlage zu besprechen. Es gibt da – trotz sich
rasch entwickelnder Themenvielfalt - drei dominierende Bereiche, Themen, die immer wieder auf oder unter den Tisch geschoben werden: Sport, Schule und Militär. Militär ist ein Auslaufthema, bei
älteren Stammgästen aber noch sehr beliebt. Sport dominiert, weil da (fast) jeder mitreden kann, ob jung oder alt, ob männlich, weiblich oder bisexuell, ob wissend oder naiv… Es gibt seit einigen
Jahren, eine Flut von Stammtischen. Sie sind nicht mehr rund und haben viele, viele (unsichtbare) Stühle. Sie nennen sich Leserspalten. Wer genau hinschaut, der trifft da – fast wie in der Beiz –
immer wieder die Personen, die gleichen Namen. Vor allem, wenn ein Fussballmatsch ansteht – gar ein Länderspiel, wie heute Abend. Da müssen viele leere Stühle herbeigeschafft werden. Morgen sind
sie dann alle besetzt, wie vor fünf Tagen, als sie Schweiz "null zu zwei" verloren hat. 140 Leser oder Leserinnen waren es, die sich zu Wort gemeldet haben. Wenn man genau hinschaut, sind es
nicht 140 Stammgäste, viel, viel weniger. Die gleichen Namen tauchen immer wieder auf: Sie reden zwar miteinander, aber fast immer aneinander vorbei. Das tönt dann etwa so: «Das war ja
schlimmer als bei YB…» Tja, die besten Jahre der Nati liegen nicht nur Jahre, sondern Lichtjahre hinter uns…» «Eine bodenlose Frechheit, was diese Grottenkicker zusammenspielten…» «Es läuft viel
gegen uns…» «Wie gemein - alle sind gegen die Schweiz und wollen sie besiegen...» Das geht nun so weiter... Endloses Geraspel: Ansicht, Einsicht, Durchsicht… Morgen, nach dem neuen Spiel die
gleichen Stammgäste, die gleichen Kommentare oder – je nach Ausgang – das das pure Gegenteil. Schliesslich treffen sich hier die Stammgäste mit Übersicht, ab und zu auch mit Einsicht:
«Viele, die hier schreiben, befassen sich gar nicht mit Fussball, sondern möchten einfach ihren Frust des täglichen Lebens loswerden...» Um dann doch noch in echten
Stammtisch-jargon zu verfallen: "ähnlich wie der Reporter beim Schweizer Fernsehen...»
(300)
Bedürfnisanstalt
von Peter Züllig
Eine Anstalt ist es nicht. Auch kein übel riechender Ort. Schon eher ein hochvornehmer Ort. Viele weissgekleidete Leute. Ein Ort, wo Menschen hingehen, wenn sie Schmerzen haben, wo sie Linderung
suchen, ja Heilung. Das Personal, adrett, superhygienisch gekleidet weiss das, kennt die Bedürfnisse: «Sie dürfen Platz nehmen», «sie dürfen sich oben ausziehen», «sie dürfen die Kleider hier
ablegen», «sie dürfen mit mir kommen», «sie dürfen hier hin stehen», «sie dürfen die Schuhe ausziehen», «sie dürfen tief atmen», «jetzt dürfen sie wider ausatmen», «sie dürfen sich wieder
anziehen», «sie dürfen hier warten», «sie dürfen den Oberarm freimachen», «sie dürfen eine Faust machen», «sie dürfen…», sie dürfen…», «sie dürfen am X.X. wiederkommen». Wo bin ich da hingeraten?
So vielen meiner ausgesprochenen oder unausgesprochenen «Bedürfnissen» wurde noch nie – in so kurzer Zeit – stattgegeben, seit meiner frühsten Kindheit nicht.
Richtig, ich war heute in einer Arztpraxis, vollgestopft mit all dem, was ich darf, nicht - wie sonst üblich - was ich muss. Seit dieser Erfahrung weiss ich, es gibt nicht nur die
Bedürfnisanstalt, es gibt auch die Bedürfnispraxis. Bitte nicht verwechseln!.
299
Es lohnt sich nicht...
von Peter Züllig
Eine allgegenwärtige Begründung, um den persönlichen Einsatz, um ein besonderes Engagement, zu messen (in den meisten Fällen sogar zu vermeiden): Es lohnt sich nicht. Sie orientiert sich an der
Rendite, was so viel bedeutet wie am Ertrag und Gewinn. Das übliche Mass ist das Geld oder ein Wert, der mit Geld gemessen werden kann. Es ist der Betrag, der investiert wurde und der Betrag, der
(unter dem Strich) wieder herauskommen muss. Im Bereich der Energiegewinnung ist diese «Milchbüchlein»- Rechnung «gang und gäbe». Ich höre und lese und sehe sie mehr als einmal am Tag. Eine
PV-Anlage (Photovoltaik) auf dem Dach: lohnt sich nicht (zu klein die Fläche). Sonnenkollektoren (Solarthermie) für warmes Wasser:
lohnt sich nicht (zu aufwendig und unsicher im Winter). Bäume stehen lassen oder gar neue pflanzen (um CO₂ zu binden und Sauerstoff zu bilden): lohnt sich nicht (zu aufwendige
Bewirtschaftung und potenzielle Gefahr im Wohngebiet). Windräder zur Stromgewinnung: lohnt sich nicht (Verschandelung der Landschaft und enorme Unregelmässigkeiten). Öffentlicher Verkehr: lohnt
sich nicht (zu langsam, zu umständlich, zu teuer). Die Liste wäre noch (fast endlos) zu erweitern: lohnt sich nicht (denn es geht hier nicht um präzis
messbaren Aufwand und Ertrag). Es geht vielmehr um Einstellung und Einsicht. Sie lohnen sich! Vor 45 Jahren habe ich Sonnenkollektoren am (damals) neuen Haus anbringen lassen (inklusive Speicher
im Keller). Der Boiler ist ohne elektrische Erwärmung (im Notfall funktioniert ein Wärmetauscher mit der Heizung). Und siehe da: es hat sich gelohnt
(auch rechnerisch). Seit etwa drei Jahren ist zudem eine Photovoltaikanlage auf dem Dach. Die elektronische Registrierung meldet (Durchschnittswert ohne Berücksichtigung des Standorts und der
individuellen Umrechnungswerte): Es wurde in dieser Zeit so viel Kohlenstoffdioxid vermieden, wie 607 Bäume CO₂ in Sauerstoff umwandeln würden. Es lohnt sich doch!
298
Züchtung von Wutbürgern
von Peter Züllig
So züchtet man Wutbürger. So lernt man nichts aus der Geschichte. So setzt man sein eigenes Weltbild durch, sobald man an der Macht ist. So wird mit kaltem Lächeln ideologische «Turbopolitik»
gemacht. Bundesrat Rösti ist gerade daran, dies zu tun. Gründlich. Mutwillig. Ohne Not oder direkten politischen Zwang. Ein Blick auf die bedeutendsten gesamtschweizerischen Abstimmungen der
letzten Jahre zeigt: Da wurden viele – allzu viele – mit knappem Abstand gewonnen oder verloren worden (je nach Standpunkt). Mit anderen Worten: Oft bestimmt eine verschwindend kleine Mehrheit
von Bürgerinnen und Bürgern, die ihre Meinung an der Urne kundtun, was fortan zu gelten hat. Direkte Demokratie, nennt man dies. Die Schweiz – gerade die Schweiz – ist so stolz auf diese
Errungenschaft. Eine Mehrheit ist eben eine Mehrheit und eine Minderheit, eine Minderheit. Auch wenn es nur ein paar hundert, ein paar Tausend Stimmen sind. Ein Willensakt, zwar nicht für die
Ewigkeit, aber für die politischen Regeln der nächsten Jahre. Das wird kaum infrage gestellt, auch nicht von den Unterlegenen. Schliesslich kennen wir die Regeln der Demokratien. Stolz,
Brustklopfen! Auch wenn die einen «siegen» gibt es eine Minderheit, die immer wieder fast so gross ist wie die Mehrheit. Nicht ganz, aber fast und deshalb verloren hat. Doch, sie (die Minderheit)
ist nicht weggefegt, verschwindet nicht in der Inexistenz. Sie ist Teil einer funktionierenden Demokratie. Doch wenn sie ausgetrickst, erschlagen, negiert, betrogen wird, entstehen aus Bürgern
«Wutbürger», die versuchen, einen geordneten politischen Ablauf zu stören, boykottieren oder ihn auszuhebeln. Wutbürger sind die Antwort auf einen von ihnen empfundenen Betrug. Bundesrat Rösti – und eine Mehrheit der ehrfürchtig nickenden Bundesratskolleginnen und
-kollegen – sind gerade daran, Wutbürger zu züchten und damit die Demokratie – eine der ältesten – zu zerstören.
297
09. SeptEmber 2024
Die Entwicklung
von Peter Züllig
Vor 55 Jahren, am 9. Dezember 1969, ging das Atomkraftwerk Beznau I, nach gut vier Jahren Bauzeit ans Netz. Als junger Journalist war ich für das Schweizer Fernsehen mit einer Filmequipe dabei. Ich war begeistert, denn die Technik versprach: mehr Energiegewinnung, saubere Quelle, konstante Leistung, günstiger Strompreis… Der kleine Albert (Rösti) in Frutigen war gerade 28 Monate alt.
In der Folge habe ich noch einige Male als Reporter über die neu geschaffene Technik der Stromgewinnung berichtet. Die anfängliche Euphorie ist allmählich in Nachdenklichkeit übergegangen: radioaktiver Müll, Strahlungsrisiko, Abhängigkeit von Uranlieferanten (unter anderem Russland)… Probleme, die es rasch zu lösen gilt. Ansätze, Versprechen, Warten… Derweil wurden AKWs munter weitergebaut: Beznau II (fertiggestellt 1971), Gösgen (1979), Leibstadt (1985).
1975 formierte sich der Widerstand gegen ein weiteres (bereits bewilligtes) AKW in Kaiseraugst. Ich war wieder vor Ort. Der damalige Direktor vom AKW Beznau, Kurt Küfer, sagte vor der Kamera: «Bei der Einlagerung von radioaktiven Rückständen müssen zwei Komponenten gelöst sein. Eine technische und eine politische, psychologische. Die technische ist weitgehend gelöst. Was wir noch lösen müssen, ist die politische, psychologische Seite von diesem Problem.» (Das Filmdokument). Dies war 1975. Albert in Frutigen musste bald einmal in die Schule, er war fünf Jahre alt.
1979 ereignete sich in Harrisburg (USA) ein grosser Reaktorunfall, der noch knapp entschärft werden konnte. 1986 dann die grosse AKW-Katastrophe in Tschernobyl (Ukraine) mit schrecklichen Folgen. 1989 wurde das Projekt Kaiseraugst eingestellt. Albert in Frutigen war 20 Jahre alt, Student.
2011, Nuklearkatastrophe in Fukushima (Japan). Aus Albert in Frutigen ist ein 45-jähriger Politiker geworden. Das Müllproblem aber harrt noch immer
auf eine Lösung. Tausendmal angekündigt, versprochen, gelobt, weggeschoben. Gut 50 Jahre lang. Albert ist jetzt Bundesrat: «Die Zeiten haben sich
geändert, das Verbot neuer AKWs in der Schweiz (2017 mit 58 Prozent der Stimmen gutgeheissen) muss aufgehoben werden». Albert aus Frutigen hat sich – nach 57 Jahren - zum ideologischen «Diktator»
gewandelt, der sich um Volksentscheide, bundesrätliche Versprechen und ein gutes Stück AKW-Geschichte foutiert.
(296)
30. August 2024
Nein Danke!
von Peter Züllig
Die aktuellen Themen für die Kolumne prasseln nur so auf den Schreiber ein: Olympiade, Biodiversität, Falschberechnung der AHV, Altersarmut. Aber auch ganz persönliche Dinge, Gesundheit,
Spitalerfahrung, und natürlich der ungewöhnlich heisse Nachsommer. Doch einer hat es geschafft, dass ich all die angedachten und zum Teil schon formulierten Themen liegen gelassen habe: der
Bundesrat. Wie die NZZ schreibt: die Rehabilitierung der AKWs. Es ist alles andere als eine «Rehabilitierung». Es ist ein Hauruck-Akt, wie Ideologie eine Demokratie zertrümmert. In den gleichen
Hauptausgaben der Tagesschau von SRF (28. August 2024), in der die Kehrtwendung betreffend neuer AKWs von Bundesrat Albert Rösti (SVP) öffentlich verkündet wurde (Beitrag 3.34 Minuten, an der
Spitze der Sendung) orientiert die Internationale Atom Energie Behörde (IAEA), dass das AKW in Kursk (Ukraine) in grösste Schwierigkeiten geraten könnte, Zitat: «Die Lage sei dramatisch
ernst». Kursk liegt 2000 Kilometer (Luftlinie) von Bern entfernt, wo Albert Rösti seine Ideologie der AKW-Machbarkeit lächelnd präsentiert
(sanktioniert von einer Mehrheit an Bücklingen im Bundesrat). «Die Situation sein eine andere geworden» und erwähnt den nahen Krieg in Europa. Schizophrener kann ein Bundesrat kaum vor die Presse
treten und gleichzeitig mutwillig das Vertrauen in den Bundesrat (und die Werte der Demokratie) zerstören. Das hat nichts mit Versorgungssicherheit zu tun, als vielmehr mit Manipulation und
Missachtung politischer Entscheide. Nein Danke!
(295)
07. August 2024
Künstliche Intelligenz und
menschliche Dummheit
von Peter Züllig
Da hat man in den 70er Jahren – mit viel Intelligenz – einen Ferienort am Mittelmeer gebaut. Die Autos müssen (weitgehend) draussen bleiben. Ein ausgedehnter Parkplatzgürtel steht den Gästen zur
Verfügung. Doch die Gier, grösser, noch grösser zu werden, knabbert immer mehr an den Parkplätzen. Erweitern kann man sie kaum, den jenseits des Gürtels sind längst neue, grössere Bauten
entstanden. Also werden Schranken aufgestellt und die Plätze während der Saison bewirtschaftet. Doch dies löst das Problem nicht. Im Gegenteil: die Zu- und Wegfahrt der immer knapperen
Abstellplätze wird erschwert und verlangsamt. Dazu kommen die Schwierigkeiten beim Auslösen der Autos: unterschiedliche Kreditkarten, mangelndes Sprachverständnis, zu wenig Kleingeld, defekte
Apparate, Vandalismus… Angesichts dieser Misere hat man eine neue Idee: KI, künstliche Intelligenz. Die Autonummer wird nun bei der Einfahrt von einer Kamera erfasst, registriert und der Betrag
bei der Ausfahrt auf der Kreditkarte abgebucht. Doch dies funktioniert – vor allem bei ausländischen Nummern - miserabel. Etwa bei jedem zehnten Auto öffnet sich die KI-gesteuerte Schranke nicht:
Rückstau! Da auch das letzte Plätzchen belegt ist, die Autos kreuz-und-quer gestellt sind, läuft das Zeitlimit zur Ausfahrt immer wieder ab. Ein unvorstellbares Chaos entsteht. Abend für Abend.
Verzweifelte KI-Lösung: Ein Barrieren-Wärter vor Ort – mit natürlicher Intelligenz – öffnet immer - wie einst - die lästige Schranke (oder lässt sie gleich offen!)
(294)
29. Juli 2024
Geld regiert die Welt
von Peter Züllig
Es ist eine lange Geschichte, die „Geschichte des Geldes“. Sie beginnt zehntausend Jahre vor Christus, als der Tauschhandel zur
Vereinfachung ein „Warengeld“ einführte. Es bestand aus Muscheln, Getreide, Vieh, Kakaobohnen etc., alles Gegenstände, die sich messen, zählen, abwägen und vergleichen liessen. So
entstanden durch die Jahrhunderte und Jahrtausende unterschiedliche «Tauschwerte», mit denen man «bezahlen» und die man auch aufbewahren konnte. Die Idee des Geldes (als Symbolwert) war geboren.
Wichtig war – bei all den verschiedenen Formen und Ausprägungen – die Messbarkeit, Verständlichkeit, Akzeptanz, Vergleichbarkeit und Sicherheit, denn es entstanden bald einmal Systeme, in denen
Geld selbst (und nicht eine Ware oder Dienstleistungen) zum Handels- und Tauschwert wurde. Systeme, in denen sich auch Betrug, Wucher, Spekulation, bewusste Täuschung etc. einnisteten konnten.
Auch gesellschaftliche, politische, soziale Ereignisse und Zustände (Krieg, Armut, Seuchen, Erwerbslosigkeit etc.) nehmen (immer wieder) Einfluss auf die Verlässlichkeit des Geldes. -Inflation
(zu viel Geld und zu wenig Güter und Dienstleistungen) oder Deflation (zu wenig Geld und Güter und Dienstleistungen) sind unsere ständigen Begleiter. Das «Fränkli» zieht sich immer mehr aus der
Geld- und Wirtschaftsordnung zurück. Wandelt sich in unsichtbare Bits und Bytes, die bestenfalls noch auf Papier, meist nur noch digital () registriert wird. Das Geld ist fast unsichtbar
geworden. Den Menschen abhandengekommen. Es versteckt sich hinter Karten und – aus «Sicherheitsgründen» - hinter Codes. «Kulturwandel» nennen es die
einen, andere verweigern diesen Wandel und viele – ich wette, es ist die Mehrheit – werden einfach mitgeschleppt in einem immer rasanteren Rennen um sich vermehrendes (oder verringerndes)
Geld. Es gibt keine «Geldkultur» mehr, sondern nur die harte Realität von Gewinn und Verlust, von Reichtum und Armut, von Ratlosigkeit und Resignation. Wer dies (auch nur ansatzweise) begreifen
will, lese eine Kurzfassung der «Geschichte» des Geldes, die auf «Wikipedia» (online Enzyklopädie) mehr als 12'000 Wörter umfasst, auf 32 Seiten. So kompliziert einfach ist Geld
geworden.
(293)
10. Juli 2024
Hopp Schwiz
von Peter Züllig
Da reisen Tausende, ja, Zehntausende Schweizerinnen und Schweizer nach Köln, Stuttgart, Düsseldorf, Berlin… Freiwillig. Ein rot-weisses Heer, nur um dem Kampf von 12 (und ein paar mehr) „Helden“ beizuwohnen. Dabei zu sein, wenn diese antreten, gegen andere „Helden“, meist viel grössere Nationen: Deutschland, Schottland, Ungarn, Italien, England und… Nein, dieses Mal war es vorbei. Ein dummer Ball war dumm ins falsche Tor gerollt, geflogen. Die Truppe aus Söldnern (sie stehen sonst im Sold eines Klubs, irgendwo in der Welt) muss heimkehren in ihren „Berufsalltag“, der in diesem Fall „Fussball“ heisst. Verbunden – nebst dem Beruf als Sportler – nur durch den gleichen Pass, das gleiche Attest, Schweizer zu sein. Doch sie stehen, immer wieder ein paar Tage, ein paar wenige Wochen, auf einer Bühne der Welt. Bewundert, angefeuert, beschimpft, gejagt, beschrien… Auf einem Rasen (68x105 Meter), wo es um Sieg oder Niederlage geht. Es gewinnt oder verliert (nach festen Regeln) nicht nur eine (immer wieder anders zusammengestellte) Truppe, sondern auch eine ganze Nation. Und diese „leidet“ oder „jubelt“ mit. Die Tausenden, die aus der Schweiz angereist sind, Millionen am Bildschirm und auch viele, die sich sonst nicht um Sport, nicht um Fussball kümmern. „Hopp Schwiz“. Ein Ball und ihre Akteure werden zum Identifikationsobjekt eines Landes, einer Nation? Blödsinn? Vielleicht! Vielleicht aber auch ein Hinweis, wie Politik (nach festen Regeln), wie Identifikation (mit klaren Bekenntnissen), wie Zusammengehörigkeit (mit geeinten Kräften), funktionieren könnte. „Hopp Schwiz“, nicht nur ein Slogan, durchaus auch eine vernünftige (und erfolgreiche) Idee. (292)
20. Juni 2024
Aus der Welt des Kriegs
von Peter Züllig
Mehr als halbes Leben (es waren ziemlich genau 60 Jahre) habe ich im, am und mit dem Fernsehen gearbeitet, berufsmässig, täglich, stundenlang. Da gewöhnte ich mich an schockierende Bilder. Auch, wenn sie einen realen Hintergrund haben. Auch wenn sie – sofern nicht fiktional – Abbilder, Momente der Wirklichkeit sind. Zumindest jene Bilder, die mich (als Journalist) beschäftigen, berühren, betreffen, mit denen ich immer wieder gearbeitet habe, während den Berufsjahren. Nun hat mich aber ein Bild privat getroffen, verletzt – schockiert. Zwei Personen (der eine dunkel gekleidet, gestriegelt) mit unwürdig roten Köpfen, rangeln sich mit bewaffneten Polizisten in Uniform auf oder bei der Treppe des Bundeshauses. Der eine geht sogar zu Boden. Empört rufe ich vor dem Bildschirm aus: «Pfui», «das geht gar nicht», «die müssen ausgesperrt, ausgeschlossen werden». Etwas, was ich (glaube ich) noch nie vor dem Bildschirm getan habe. Laut Empörung zeigen, Urteil fällen. Noch hatte ich keine Ahnung, wer die beiden waren und warum sie sich so unwürdig benommen haben. Ob Randfiguren oder Beamte, ob Gäste oder Parlamentarier? Der spontane Schock (Schocks sind immer spontan) löst sich beim Nennen der Funktion der beiden Herren, wechselt in Wut. Es sind Parlamentarier, der eine sogar Fraktionspräsident einer Partei, gewählte Vertreter, die hier sind, um über den Weg und das Wohl der Schweiz zu bestimmen. Es folgt die gedankliche Verarbeitung der Bilder und ihrer Hintergründe: ein absolutes «No-Go». Auch nach der halbherzigen Erklärung der beiden: «Passiert in der Hitze des Gefechts». Das Bild passt, es ist ein Bild aus der Welt des Kriegs. (291)
12. Mai 2024
Arm und Reich
von Peter Züllig
Begriffe aus dem Klassenkampf. Umverteilung mit Gewalt. Das ist bisher noch immer schiefgelaufen. Im besten Fall wurden die Armen reich und die Reichen? Nicht arm, vielleicht etwas weniger reich.
Da beginnt das Problem. Was ist arm, was ist reich? Anders ausgedrückt: Was können wir uns leisten, mit dem Geld, das zur Verfügung steht? Und wer bestimmt das «Verfügungen», das
«Sich-leisten-können»? Wo ist die Grenze zwischen Arm und Reich? Gibt es da Normen, Zahlen, Werte? Reichtum und Armut sind längst privatisiert, der Öffentlichkeit, dem Vergleich entzogen. Verhältnismässigkeit – in der Politik sonst hoch gehandelt – hat da ihre Gültigkeit verloren. Nicht einmal der „Gesunde-Menschenverstand“
kommt zum Zug, weder bei den Reichen noch bei den Armen. Geht einmal etwas schief – wie bei der 13. AHV-Rente – da bricht ein Geschrei los: „Das können wir uns nicht leisten“! Richtig! In einem
System, in dem die „Armen“ immer ärmer und die „Reichen“ immer reicher werden geht die Rechnung nie auf! Da kam die neue „unbezahlbare“ Rechnung – für die professionellen Angstmacher – gerade zur
richtigen Zeit: die Initiative zur Deckelung der Prämien für die Krankenversicherung. Diesmal hat das Argument des „Sich-nicht-leisten-Könnens“
gezogen. Abgefedert durch das vage Versprechen, die in Schieflage geratenen „Verhältnismässigkeit“ mit „Geschenken“ (Prämienverbilligung) zu regulieren: auf spezielle Bitte, Offenlegung und
amtlicher Prüfung des Einkommens und Vermögens. Wie ein Hohn dazu wirkt die Statistik: "Die 300 Reichsten des Landes wiesen letztes Jahr ein Vermögen von 822 Milliarden Franken aus1. Da
kann man sich eben etwas mehr leisten. (290)
22. Mai 2024
Rentabel
von Peter Züllig
Alles ist gross, grösser, weiter, inzwischen sogar weltweit geworden… Aus dem «Laden um die Ecke» wurde ein Einkaufszentrum, aus der Strasse eine Autobahn, aus dem Bahnhof ein Verkehrsknotenpunkt… Der Dorfladen (wo es ihn noch gibt) bietet Früchte und Gemüse an, aus Brasilien, Mexiko, Südafrika… Doch auch der Dorfladen ist nicht mehr ein «Dorfladen», sondern das Glied der Kette eines Grosskonzerns, der sich längst von der genossenschaftlichen Idee seiner Gründer verabschiedet hat… Gewachsen, gewachsen, rentabel, rentabel geworden... Etwas ist nicht gewachsen: der Mensch, für den diese «gewachsene» Welt eingerichtet wurde. Er ist immer noch (durchschnittlich) 1.75 Meter gross und kann einer Lebenserwartung von etwa achtzig Jahren rechnen. Das ist viel zu klein für die von ihm so rentabel gemachten Welt. Die Diskrepanz zwischen der Grösse des Menschen und jener der rentabel gemachten «Welt» wird sicht- und erlebbar auf den Flughäfen, wie sie gebaut wurden und immer wieder erweitert werden. Da ist unser Zeitalter zu spüren: das Zeitalter des Gigantismus. Anonymität inmitten von Menschenströmen, geprägt und geleitet von Elektronik, Symbolen, Rentabilität, langen Wegen, Schranken und Sicherheitseinrichtungen… Vollgestopft mit Menschen, die es eilig haben und dauern etwas suchen: den richtigen Ort, den richtigen Eingang, die richtige (natürlich automatische) Einrichtung, die richtigen Wege, den richtigen QR-Code… Ein falscher Schritt und anonyme Stimme schreit irgendwoher: Stopp. Dann bricht der Gigantismus zusammen und ein kleiner (aber zuständiger Mensch) muss das Problem der Irrung und Verwirrung lösen, nach menschlichem Mass. Ohne rentabel zu sein. (289)
09. Mai 2024
Wie im alten Haus
von Peter Züllig
Es rauscht, tönt, pfeift und kracht… Nur, zu verstehen ist kaum ein Wort. Ob im Zug, auf dem Bahnsteig, im Saal, in der Halle, im Gang, auf der Strasse...,
es begleitet uns immer Sprache, die von Menschen generiert wurde: Informationen, Hinweise, Erklärungen, Anweisungen, Verbote… Kurzum: das, was man gerade tun oder lassen soll. Es sind
Lautsprecher, die laut und leise, krächzend und zischend, lispelnd und schreiend, hallend und stöhnend Aufmerksamkeit verlangen. Immer häufiger ist es eine seelenlos, künstlich geschaffene
Stimme, die auf Knopfdruck der Öffentlichkeit präsentiert wird. Dort, wo es das Mikrofon, eine wichtige von Lautsprechertönen noch gibt, kämpfen Menschen mit der Technik. Dabei geht es um
Nähe und Distanz zum Mikrofon, um eine laute und leise Stimme, um Formulierung, Artikulierung, Verständlichkeit, und nicht zuletzt um all die Nebengeräusche, die sich unglaublich flink zum
Mikrofon drängen (aber tunlichst nicht ins Mikrofon schlüpfen sollten.)
Was erleben all die Empfängerinnen und Empfänger, an die das Lautsprecher-Geächzt gerichtet ist? Sie wähnen sich im „alten Haus von Rocky Docky, das kracht und stöhnt und weint…das Haus ist voller Stimmen, die kein Sterblicher versteht». Häuser, wie das von Rocky Docky gibt es fast überall. Es sind jedoch keine Häuser mehr, sondern Sprechanlagen, die nicht dem Wohnen, als mehr der Verständigung
dienen. Nur, sie sind nicht alt und hässlich, wie das Haus in Rock Docky, sondern technisch ausgeklügelt, modern und allgegenwärtig. Immer wieder in Betrieb mit Leit(d)tönen, welche Sprache
öffentlich und verständlich machen sollten, aber allzu oft an ihrer eigenen Unvollkommenheit ersticken. Es ist nicht der Rost, der hier «der nagt und
frisst. Es gibt auch viele Türen, doch nicht eine führt hinaus,» aus den so beschallten Räumen.
(288)
26. April 2024
Genug ist genug
von Peter Züllig
Diese Schlagworte waren schon immer im Umlauf. Doch jetzt sind sie vom Stammtisch zum Esstisch gewandert. Hinein in das Privatleben, in die Familien, in fast alle Lebensformen und Bereiche. «Genug ist genug» bei den Mietzinsen, bei den Lebenskosten, bei der Zerstörung der Natur, der Umwelt, den Krankenkassen-Prämien… Es geht nicht mehr um ein «Narrativ der Gewerkschaften», um Dinge, «die an den Haaren herbeigezogen sind», um «Vermischung von Dingen auf polemische Weise» oder Killersätze wie «dazu gibt es nichts mehr zu sagen», wie sie Christoph Mäder (Präsident des Wirtschaftsverbands «Economiesuisse») in den flapsigen Antworten in einem kritischen Interview auftischt. Es geht um das grundsätzliche Misstrauen eines immer grösseren Teils der Bevölkerung, um mangelndes Vertrauen in: Wirtschaft, Politik, Verbände, Parteien… Bisher konnten selbsternannte «Heilverkünder» die Sache wieder zurechtrücken, jedenfalls so, dass knappe Mehrheiten bei Abstimmungen resultierten. Meist nur ein, zwei, Prozent mehr Stimmen dafür oder dagegen. Und: hurra, die Demokratie ist gerettet, die Probleme aber sind geblieben. «Genug ist genug», der einfachste Lösungsansatz. Früher war es die Faust (im Sack), die «gemacht wurde». Heute ist es die Verweigerung: Homeschooling, Corona-Leugner, Impfgegner, Reichsbürger… Eine Verweigerungs-Szene, die rasch zum Problem werden kann. Siehe Deutschland mit ihrer AfD, Frankreich mit Le Pen und ihrem RN (Rassemblement National), Holland mit Geert Wilders und seinem Gefolge… Sie alle sagen das gleiche: «Genug ist genug». Sprachlich haben sie wohl recht. (287)
18. April 2024
Emotional, emotionaler, am emotionalsten
von Peter Züllig
Deutschunterricht lässt grüssen! Viele Adjektive können gesteigert werden (Komparation) und erhalten dadurch vergleichenden Charakter. Ein Berg ist hoch, jener ist höher und irgendwo steht der
Berg, der am höchsten ist. Die Werbung hantiert mit diesen grammatikalischen Formen virtuos, produziert damit immer wieder auch hanebüchenen Unsinn. Mit Farben – zum Beispiel – wird die
Steigerung schwierig. Gibt es tatsächlich ein Waschmittel, das «weisser als weiss» wäscht, oder Licht, das «röter als rot» leuchtet? Oder ist dies alles nur ein Dauerkampf um Aufmerksamkeit, um
gelenkte Aufmerksamkeit? Mit der Dauerberieselung von Werbung (es sind dies immer häufiger (Komparativ!) Dauerregen oder Boxhiebe) haben wir uns weitgehend abgefunden. Wir haben auch gelernt, mit
dem Arsenal von «Werbewaffen» umzugehen. Waffen – Geschosse –, die angeblich Befriedigung, Glück, Gewinn… bringen, aber auch Angst, Not und Wut auslösen. Emotionalität ist gefragt, in alle nur
denkbaren Varianten: «Er läuft, und läuft und läuft» oder «Macht Kinder froh, Erwachsene ebenso». Emotionen mit Angst: «Wer trinkt, säuft ab», «Endlich Sicherheit schaffen», «Stromfressergesetz».
Noch stärker als Wohlseinversprechen und Gefühle der Angst, löst die «Wut» Emotionen aus. Bei mir hat sie inzwischen schon tataktive Reaktionen ausgelöst, die dem Stampfen und Schreien von
Kindern nicht nachsteht. Nämlich immer dann, wenn Sendungen am Fernsehen (und Radio) – vor allem bei unregulierten Privatsendern - abrupt abbrechen, um zehn und mehr Minuten lang Werbesalven
abzufeuern, die nicht nur ein Drittel der Sendezeit in Anspruch nehmen, sondern sich inhaltlich auch dauernd wiederholen. Gibt es einen besseren
Beweis für die Wirkung von
Werbung?
(286)
01. März 2024
"Diese Ideen sind wie du"
von Peter Züllig
Danke für den Hinweis. Die Behauptung ist zwar keck, fast schon ungebührlich und erst noch schlechtes Deutsch. Doch ein Hinweis, einmal hinzugucken, wer denn so ist, wie ich? Vor allem möchte ich
wissen, wer zu dieser Erkenntnis gekommen ist. Und wie? Und warum? Also tippe ich auf diese seltsame Botschaft in meinen Mails. Eine Reihe von Bildern und Texten bieten sich an. Zuerst ein an
einem See sich räkelndes Bikini-Mädchen, das mir ihren Po entgegenstreckt. Weggelegt hat sie ein aufgeschlagenes Buch. Aha, dies ist wohl der Hinweis: "wie du"! Das Buch, das ich gerade lese, ist
ein Quatsch: weglegen! Mit den nächsten Bildern kann ich wenig anfangen. Unbekannte Damen mit kurzen Röckchen. Und? Schön anzusehen. Was haben die mit mir zu tun? Dann ein Schock: eine steril
angelegte Blumenrabatte am Strassenrand, mit viel Kies, Ordnung und Pflänzchen, die mich an Gräber erinnern. Ein Anblick, den ich extrem hasse. Weiter: «Stehen oder sitzen?», eine schlechte
Zeichnung (natürlich kinderkonform) zum Thema «Brünzeln» im Klo, mit einem "Link" zu einer «genialen Lösung". Und dann ein Witz, so alt ist, dass er längst von viel Staub und Schimmel überzogen
ist: Eine Frau erwacht, sucht ihren Mann, findet ihn in der Küche mit einer heissen… (Tasse Kaffee. ha, ha, ha…»). Nach etwa zehn solcher «Botschaften», hier Ideen genannt, (von dieser Qualität
und Bedeutung) die entscheidende Frage: «War diese eMail hilfreich? Passt sie zu deiner Aktivität? Yes, No?» Die Antwort verweigere ich, sonst wird die «KI» (künstliche Intelligenz, lies:
künstliche Dummheit) eines Tages sogar intelligent. Hier die bisher eingestellten
Kolumnen
(285)
21. März 2024
Es geht nicht anders
von Peter Züllig
Die Behauptung, Wettbewerb bringe den Handel in Schwung und den Kunden nur Vorteile, mag in den Glaubensakten des Neoliberalismus verankert und auch richtig sein. Der Alltag – sagen wir die Welt
– sieht ganz anders aus. Da hat der Glaube an den wohlwollenden, ja wohltätigen Kapitalismus längst Schiffbruch erlitten. Zuletzt bei der Credit Suisse, wo die «grosse Gier» zum Untergang geführt
haben soll, wie man dem «tumben» Volk jetzt weismachen will. Die Kontrolle sei eben nur eine «lahme Ente» gewesen, man müsse da nur etwas – aber bitte nicht zu viel – gesetzlich besser regeln.
Dann sei alles wieder gut. «Nachher sei man halt immer klüger» und «gelernt habe man aus diesem Fiasko». Mit solchen wohlbekannten Sprüchen wird in der Politik, der Wirtschaft, der Gesellschaft
weitergewurstelt. Das hörte man schon beim Rettungsschirm für die UBS (der anderen - nicht weniger gierigen) - Grossbank in der Schweiz. Das sagte man auch beim Untergang der noch weit stolzeren
Swissair. Das sagt man immer – fast jeden Tag – wenn durch eine «Fusion» (in der Wirtschaft) – der so segensreiche Wettbewerb - "weggekauft" oder ein Unternehmen ins Ausland verschwindet («in
fremde Hände» gelegt wird). «Es geht nicht anders», ist eine wohlbekannte Begründung aus dem Spruch-Arsenal der Wirtschaft und Politik. Derweil wächst – unter dem Schutz solcher Sprüche –
die Grossbank UBS weiter und weiter und die einst verscherbelte «Swissair» wird zum einträglichsten Zweig der deutschen «Lufthansa», mit einem «operativen Gewinn» von 338 Millionen (im halben
Jahr 2023). «Es geht eben nicht anders!» (284)
05. März 2024
Danke liebe SVP!
von Peter Züllig
Die wählerstärkste Partei hat am Sonntag gesiegt. Deutlich. Sie hat die «Altvorderen» ihrer Partei zurechtgewiesen, den professionellen Angstmachern, den Sprücheklopfern und Ränkeschmiedern gezeigt, wo dem wenig definierten, dafür dauernd zitierten «Volk» der Schuh drückt. Nicht dort, wo die politischen Leitkühe, mit ihren übergestülpten Bauernstiefeln, ihr «Volk», das Volk ihrer «Volkspartei», hintreiben möchte. Anstatt bei der politischen Ausmarchung nach Lösungen zu suchen, Hand zu bieten für Kompromisse, eigene «volksnahe» Ideen zu entwickeln, für eine sozialere Schweiz, für ein freundliches, lebensnahes Land einzustehen, werden weiterhin Parolen gedroschen und Schritt für Schritt massive Knebel in den Politbetrieb geschleudert: Umweltschutz, Kaufwertverlust, Arbeitssituation, Abbau öffentlicher Leistungen… Wichtiger sind die Parolen, ausgeheckt in «volksfremden» Köpfen. Als sich im Vorfeld bereits ein «Ja» zur AHV-Initiative abgezeichnet hat, wurde – der Opposition geschuldet – noch eins draufgehauen und die «Erhöhung des Rentenalters», eine Initiative der Jungfreisinnigen, mit einer Ja-Parole «beglückt». So fern vom «Volk» ist kaum je eine Parteileitung gestanden, so nackt und bloss. Ich bin zwar sicher, sie wird sich erholen vom Schlag und mit neuen «Knebeln» und Versprechungen losziehen. Dieses eine Mal ist es missglückt. Das «Volk» war eigenständiger, stärker als ihre Parolenschmieder. Ohne diese Unterstützung hätten es (rein arithmetisch) die Befürworter nicht geschafft, eine solch massive Mehrheit zu erringen. Danke SVP. (In diesem Dank sind die anderen Parteien mit einer Nein-Parole eingeschlossen). (283)
17. Februar 2024
Die Lage ist ernst
von Peter Züllig
Mir kommen die Tränen. In aller Öffentlichkeit. Auf dem Bahnhof. Vor einem Plakat, das für ein «Nein» bei der Abstimmung zur 13. AHV-Rente wirbt. Mit dem Bild eines Kleinkindes mit grossen,
traurigen Augen, das flehentlich dreinschaut. Sichert unsere AHV mit einem «Nein», legt man dem unschuldigen «Enkel» in den Mund.
Zehn Meter weiter steht ein Verkäufer, der die Strassenzeitung «Surprise» anbietet. Einer von knapp 500 Anbietern in der Schweiz, die stundenlang am Bahnhof oder am Strassenrand stehen, um
pro Heft, das für 8 Franken zu kaufen ist, knapp 4 Franken zu verdienen.
Noch betroffen vom Bild des traurigen "Enkels" auf dem Plakat, möchte ich etwas Gutes tun und kaufe das Exemplar 1225 beim netten älteren Herrn, der schon lange dasteht.
Ich weiss nicht, warum er zu diesem kargen Lohn in der kalten Unterführung ausharrt, ausharren muss.
Bereits im Zug, beim Blättern und flüchtigen Lesen der (übrigens hervorragend redigierten) Zeitschrift, versiegen meine Tränen. Es packt mich eine grosse, fast grenzenlose Wut.
Eine Wut auf die raffinierten Werber, die mit einem imaginären, todtraurigen, namenlosen Kleinkind, einem «Enkel», in den Abstimmungskampf ziehen. Bezahlt von Verbändern, Interessengruppen, der
Finanzwirtschaft, Lobbyisten, Superreichen, die um ihre Pfründe bangen. Mit einem Budget von mehreren Millionen Franken wird geworben. Mit verlogenen Parolen, die Emotionen statt Fakten liefern.
Mich packt eine unvorstellbare Wut auf Politiker, die den Teufel an die Wand malen, anstatt ihn mit neuen Ideen und mutigen Entscheiden wegzuweisen. Eine unglaubliche Wut, auf ehemalige
politische Führer und Lenker, die sich – mit ihrer hohen und sicheren Altersvorsorge – einspannen lassen, ein Problem durch Sprüche und Parolen zu lösen, das sie (als Politiker und
Politikerinnen) längst hätten (mit Taten) lösen müssen. Die Wut wandelt sich in einen Brechreiz (umgangssprachlich: «Kotzen»), der mich befällt, wenn ich lese, wie die elementarsten Lebenskosten
für viele Menschen nicht mehr zu bezahlen sind. Von Mitmenschen – nicht von Kleinkindern mit aufgerissenen Augen auf Plakatwänden - von «Woorking Poor», zum Beispiel, wie diesem Verkäufer, neben
den Parolen-Wänden, der (für 4 Franken «Lohn» pro verkauftem Heft) stundenlang dasteht, derweil es im Parlament um Milliarden geht. Milliardenkredite (und -schulden) für Rüstung, Sanierung
öffentlicher Betriebe, Aus- und Umbau des Verkehrs, Förderung der Wirtschaft, Erhaltung der Landwirtschaft, Engpässe in den Lieferungsketten und, und, und. «Die Lage ist ernst» lese ich nicht nur
im Heft, das sagen auch die Sozialwerke. Nur, wer achtet schon auf einen Mann (oder eine Frau), die neben den werbeoptimierten Plakaten steht und auf die «andere Schweiz» aufmerksam macht, die
nicht nur mit Almosen abzuspeisen ist.
(282)
09. Februar 2024
Ein Kind im Ohr?
von Peter Züllig
Nein, ich habe kein Kind im Ohr. Aber ein Hörgerät. Weil es schon in die Jahre gekommen ist, überlege ich mir, gelegentlich einen
Ersatz zu kaufen. Da kommt mir eine Schlagzeile auf „Bluewin“ gerade recht. Nicht wörtlich, sinngemäss: Was kann ich tun, um das richtige Gerät zu finden? Der berühmte Akustiker X.Y. gibt
Auskunft. Er lüftet sein Geheimnis. Ich klicke an. Mitnichten kommt ein Akustiker, vielmehr ein Werbetext mit hochtrabenden Worten und von unglaublicher Banalität. Das kann weder ein Akustiker
noch ein Journalist geschrieben haben, nur ein Werbetexter. Als „Beraterin“ begleitet mich das Porträt einer jungen Frau, mit wallenden, langen Haaren und freundlichem Gesicht. Sie stellt Fragen,
ganz unverbindlich natürlich: „Besitzen sie bereits ein Hörgerät?“ Meine Antwort: Ja. Pause, die Antwort wird verarbeitet. Die nächste Frage taucht
auf, jetzt in Multiple Choice: „Wie alt sind ihre Hörgeräte“. Ich möchte sage: schon alt, deshalb habe ich ja das Gespräch begonnen! Doch zur Wahl steht nur 1 bis 5 Jahre. Also fünf, weiter!
Jetzt wird es noch persönlicher: „Tragen Sie ihre Hörgeräte regelmässig?“ Möglichkeiten einer Antwort: von „Ja, jeden Tag“, bis zu „Nein, ich habe sie verloren“. Also weiter: „Wie sind Sie
zufrieden mit Ihren aktuellen Hörgeräten?“ Jetzt eine Frage formulieren: „Was hat das mit einem Test oder Rat zu tun?“ Da fehlt leider die Möglichkeit, eine Frage zu stellen. Vielleicht wäre die
KI-Dame auf dem Bildschirm jetzt rot geworden. Also weiter: Jetzt will sie sogar die Koste der „alten“ Hörgeräte wissen und stellt die rhetorische Frage: Was kann ich für Sie tun? Die Antwort
wäre das Versprechen in der Schlagzeile: en Rat eines anerkannten Fachmanns der Akustik zu erhalten und stattdessen zu einem Techtelmechtel mit einer KI-Schönheit führte. Als schliesslich mein
Alter, mein Name, meine Telefonnummer erfragt wurde, habe ich wütend aufgehängt respektive abgestellt. Kinder gehören eben nicht ins Ohr, vor allem dann nicht, wenn sie keine Kinder, sondern
raffinierte Verführer sind.
(281)
29. Januar 2024
Wer denn sonst?
von Peter Züllig
Es sind nicht die Spatzen, die es verkünden, nicht zwitschernd, vielmehr lautstark, von fünfzig und mehr PS begleitet: Der Zorn der
Bauern. Die Schlagzeilen, jeden Tag etwas grösser, etwas länger, etwas kräftiger: „La colère des agrigulteurs monte“. Nicht die Wiesen, Felder und Äcker sind bevölkert von wütenden Bauern. Die
Strassen sind es, die Autobahnen, die städtischen Plätze. Paris, Berlin… Zürich, Genf und Bern (noch) nicht. Die Schweiz hat eben keine Streik- und Protesttradition. Dafür unsere nächsten
Nachbarn: Deutschland und Frankreich. In Frankreich sind sie, die Bauern mit ihren lauten Traktoren, am Ziel, zumindest geografisch: „Les agriculteurs encerclent Paris.“ Was sie genau wollen, ist
schwer auszumachen: mehr Geld, weniger Vorschriften, besseren Schutz vor dem Eindringen ausländischer Konkurrenz. Der „Normalbürger“ staunt, ist fassungslos. Wird nicht die Landwirtschaft
subventioniert, wie kein anderes Gewerbe, geschützt, bevorzugt, mit Samthandschuhen ins politische System eingegliedert. In den Köpfen dominiert noch das Bild des Bauern mit Pflug und Sense, das
– vor hundert Jahren – Ferdinand Hodler in der Schweiz bis ins Bundeshaus gebracht hat. Böses Erwachen, nicht nur in der Schweiz. Die Bauern haben längst keine Sensen mehr, keine Ackergäule, die
brav Furche um Furche ziehen. Maschinen sind es, tonnenschwere, teure Diese müssen gekauft, bedient, gewartet, „gefüttert“ werden. Im Zeitalter der Maxime: „The Best Price“, auch in der Politik
kann nur noch der Staat helfen. Wer denn
sonst?
(280)
16. Januar 2024
"Vordenker"
von Peter Züllig
Ich habe ernstlich gelobt, ja geschworen, hier nie mehr über den Schweizer Diktator, genannt Christoph Blocher, zu schreiben. Gelübde oder gar Schwüre sollte man halten. Grundsätzlich. Doch, wenn
er, der so «grundsätzlich» argumentierende Despot, wieder einmal versucht, mit Rhetorik die Sicht einer ihm genehmeren Schweiz durchzusetzen, dann kann ich nicht schweigen.
«Ich wäre prinzipiell für eine 13. AHV-Rente, sogar für eine 14.», schwadroniert der sogenannte «Vordenker». Er, der Multimillionär, sei «grundsätzlich» für eine 13. AHV-Rente! Dies ist
eine der vielen «grundsätzlichen» Lügen, Verdrehungen, Unwahrheiten, mit denen Blocher, abgewählter Bundesrat, immer wieder in eine verquere Rhetorik flüchtet und damit jetzt auch die Menschen
beleidigt, die Angesichts der rasanten Kostensteigerung auf etwas mehr Geld im Alter, auf eine etwas grössere Rente, angewiesen sind. Es ist unglaublich, was Blocher mit seiner
«Grundsätzlichkeit» anrichtet. Einer «Grundsätzlichkeit», mit der er vielen Menschen direkt ins Gesicht spuckt oder gar brutal ins Gesicht schlägt. Das ist Demagogie und hat nichts mit
politischer Diskussion zu tun. «Man könne es sich eben nicht leisten», sagt ausgerechnet er, der sich mit Geld und hohler Rhetorik, alles leistet, was seiner politischen Gesinnung dient.
Dabei duckt er sich immer wieder hinter dem abstrakten Schutzschild «Schweiz», wenn es darum geht, nicht nur den Reichen, sondern auch denen zu helfen, die im Leben nicht so viel Geld raffen
konnten. Über das Wie, Wann, Wo und Wieviel dieser Hilfe lässt sich durchaus politisch streiten. Es gehört zum üblichen politischen «Verteilungskampf». Hingegen können wir uns sogenannte
«Vordenker», die eigentlich rhetorische Despoten sind, schon lange nicht mehr leisten.
(279)
01. Januar 2024
Jahreswechsel
von Peter Züllig
Zu den Ritualen, mit denen man Rechnung en (nach der Bezahlung) abschliesst, gehört die Bilanz: Es ist die Frage: Was ist unter dem «berühmten Strich» geblieben, an Gewinn, an Verlust oder an Gleichstand? Dies gilt nicht nur für die Buchhaltung, die im Geschäftsbereich vorgeschrieben ist und gesetzlich vorgelegt werden muss (zumindest dem Steueramt). Dies gilt auch für Abschnitte im Leben. Der Jahreswechsel ist so ein Abschnitt. Ihn begehen die einen still und leise, als wäre nichts geschehen. Andere lassen lautstark Pfropfen und Feuerwerk knallen. Besonders Berechnende versuchen, mit Daten und Zahlen, Bilanz zu ziehen, als wären Kosten des Lebens so einfach zu berechnen und auch in Zahlen festzuhalten. Das Leben als Buchhaltung hat sich in unserer Kultur der Marktwirtschaft festgesetzt. Unterstützt von der göttlichen Buchhaltung, die seit Jahrhunderten, Schuld und Sühne aufrechnet und das Resultat mit Verheissung (Himmel und Hölle) belohnt oder bestraft. Weil dies so gar nicht marktkonform ist, haben Glaubensakrobatiker noch ein Zwischending eingeschoben, das Fegefeuer, die Möglichkeit der Reinigung. Ob Glaube an Gott, an das Geld, die Marktwirtschaft, das Gute und Böse, Buchhaltung begleitet unser Leben auf Schritt und Tritt. Nicht nur – aber auch – am Jahreswechsel. Das Leben als Buchhaltung ist nicht nur ein armes, vielleicht ist es sogar ein verlorenes Leben. (278)
18. Dezember 2023
Weibelnde
von Peter Züllig
Die Genderdiskussion hat nicht nur sensibilisiert, sondern auch die Sprache tüchtig durcheinandergebracht. Die «Lesenden, die Schreibenden, die Politisierenden… Dies waren bisher Personen, die gerade dabei sind, etwas zu tun: zu lesen, zu schreiben zu politisieren etc.. Nicht durch ihr Geschlecht definiert, sondern durch die Tätigkeit, die sie gerade ausführen. Deshalb bin ich jetzt ein Schreibender, hoffentlich auch ein Denkender, der (weil der Magen knurrt) sich langsam zum Hungernden wandelt und dann als In-die-Küchegehender zum Ausschauhaltenden wird, ein glücklicher Kuchenfindender, der als Essender - hoffentlich – etwas Ruhe hat, bis er wieder als Schreibender vor dem Computer sitzt.
Ein So-Denkender hat sich in mir entwickelt – hoffentlich nicht dauerhaft – nachdem ich stundenlang am Fernsehen die Bundesratswahlen mitverfolgt habe: Voten, Erklärungen, Rituale, Kommentare. Da war das Bemühen um dauernde Geschlechtsergänzung omnipräsent. Jedem Mann wurde gleich eine Frau beigesetzt, meist «eine …In» (Mehrzahl: «…Innen»). Oder es wird eine genderneutrale Alternative gesucht. «Ich bitte die Stimmenzählenden die Wahlzettel auszuteilen». So der Vorsitzende. Dabei sind in diesem Moment die Stimmenzählenden noch gar keine Stimmenzählenden, vielmehr Wartende, die erst nach dem Einsammeln der Wahlzettel Stimmenzählende sein werden. Zuvor haben aber noch die Weibel – jetzt erlebt die Gendersensibilisierung totalen Schiffbruch – die Stimmzettel einzusammeln und in Urnen zu den Simmenzählenden zu bringen. Unter den «Weibeln» sind – ganz offensichtlich – auch Frauen. Der Kommentator sucht deshalb verzweifelt das weiblich Pendent zum männlichen Wesen «Weibel»: Weibelinnen oder gar Weibelnde? Eigentlich weibelt das Gendern längst um die Gunst einer korrekten und verständlichen Sprache. Egal ob männlich oder weiblich. (277)
04. Dezember 2023
"So ein Käse!"
von Peter Züllig
„Volg“, unser Dorfladen, hat fantasievolle Werbeslogans: „Wo auch … aus Liebe zum Dorf“. Aus Liebe zum Dorf gabt es da auch eine wunderbare Käseecke. Doch das war einmal! Der Laden mit der „Liebe zum Dorf“ wurde kürzlich umgebaut. Businesslike. Vieles bezeugt jetzt nicht mehr „die Liebe zum Dorf“, als vielmehr ein rationales Geschäftsmodell. Da musste auch die Käseecke weichen. Wohl für die Minipost, die jetzt hier – nicht aus Liebe zum Dorf – abgemagert und ausgezehrt - untergebracht wurde. Eben businesslike! Die vorgegebene Dorfliebe hat – zumindest bei mir, als Dorfkunde, einen gewaltigen Dämpfer erhalten. Doch dem Bauernstand, der einheimischen Landwirtschaft, wird da wenigstens noch die Ehre erwiesen. Dachte ich, weil „Volg“ zur landwirtschaftlichen Genossenschaft „fenaco“ gehört, die sich aggressiv und lautstark für die Interessen der Landwirtschaft einsetzt. Businesslike, nicht gerade mit Liebe – schon gar nicht mit Liebe zur Natur. Die Umwelt – auch das Dorf – muss dem Geschäft dienen. Die verschwundene Käseecke ist nur ein Symptom, ein Beispiel. Abgepackt und eingeschweisst ist jetzt auch der Käse, die Funduemischung, die Käseplatte… und vieles mehr (sogar die Gurke!) Der Plastik-Abfall in unserem Haushalt hat sich seither verdoppelt, verdreifacht, nicht aus „Liebe zum Dorf“ und schon gar nicht zur Natur. Businesslike, so ein Käse! (276)