In eigener Sache... (Kolumne). Dritter Teil ab Dezember 2020

Zum ersten Teil der Kolumnen "In eigener Sache) (Sie erscheint in Abständen von ca. zehn Tagen auf der Frontpage der Website)
Zum zweiten Teil der Kolumne "In eigener Sache"
(ab Dezember 2020)

Zum vierten Teil der Kolumne "In eigener Sache"
(ab Dezember 2023)

22. November  2023

 

"Uf d'Nase gfloge"
von Peter Züllig

 

Die „Schlacht“ ist geschlagen. Die National- und Ständeratswahlen sind vorbei. Es gibt Sieger und Verlierer, gute und schlechte. Die Schlechten sind meistens die Verlierer. Sie überbieten sich in Schuldzuweisung. Im bevölkerungsreichsten Kanton der Schweiz, im Kanton Zürich (aber auch in anderen Kantonen), treiben „Nachwehen“ jetzt Blüten. Für die einen ist alles klar: es war die Landbevölkerung, (die Gwaggli), die nicht (in genügender Zahl) zur Urne ging. Für andere sind es natürlich die „Bündnispartner“, die (Gopferdeckel) anderer Meinung waren und (Gopferdelli) auch anders gewählt haben. Oder die Frauen, (die Zwätschge), die eine eigene Meinung haben, und dies auch sagen. Weitaus am häufigsten sind es die «Linken», (die Tschumpel), die nichts anderes als den Wirtschaftsraum Schweiz schwächen möchten. Für einmal sind es aber nicht die Städter (die Halbschue), die unsere Traditionen nicht mehr kennen und weltfremde Träumer sind (jedenfalls lässt sich dieses Argument diesmal statistisch nicht belegen). Aber wer ist es dann (ums Himmelswille)? Wer sind die Schuldigen? Vielleicht die ältlichen Herren, (weit weg vom «Volk»), die an der Spitze von Verbänden und Parteien, die ihre Parolen fassen aufgrund von Statistiken und Machterhaltung (die Tscholi) und in diesem Fall – leider viel zu selten – verloren haben (tüchtig uf d’Nase gfloge sind).                               (275)

07. November  2023

 

Sie dürfen...
von Peter Züllig

 

Sie dürfen sich unten freimachen. Sie dürfen die Kleider hier deponieren. Sie dürfen sich da hinlegen. Sie vermuten nun, ich sei … nein, ich bin nicht in einem Puff, ich bin im Spital, wo ich vorbereitet werde – sozusagen «gerüstet» - für eine Untersuchung an medizinischen Geräten. Sie dürfen hier an die Wand lehnen, Sie dürfen den Arm hochhalten, Sie dürfen tief einatmen… Ich darf – sozusagen im Dreissig-Sekunden-Takt – alles was ich tun muss oder sollte. Die zwei Pflegefachfrauen tun alles, um mich durch den komplizierten «Behandlungspfad» zu lenken, um im richtigen Moment, am richtigen Ort, in der richtigen Stellung zu sein. Dafür «darf ich» dort hin stehen (oder liegen), den Oberkörper freimachen, die Uhr abziehen, meine Faust ballen… Nein, ich muss nichts tun, nur dürfen. Ich darf, selbst wenn der Ton – infolge meiner zunehmenden Verwirrung – immer mehr zum Befehlston wird. Sprachlich bleibt es immer korrekt: ein Dürfen. Auch wenn ich ein Gerät, den Raum oder den untersuchenden Arzt (die Ärztin) verlassen (muss) darf. Vorher aber darf ich die Kleider anziehen und im Wartezimmer noch etwas warten. Auch das muss ich nicht, ich darf, denn ich möchte ja ganz untersucht und wenn immer möglich geheilt werden. Dazu muss ich eben – so meine Erfahrung – immer wieder mal ins «Darf-Imperium» einzutauchen.                                                                                      (274)

27. Oktober  2023

 

Nur ein Buchstabe
von Peter Züllig

 

Was im Wahlkampf gesagt und geschrieben wird, verrät hinter oder in der Wortwahl oft mehr, als die edlen Versprechungen und hochtrabende Slogans es vorgeben. Würden sie zwei Nationalräte wählen, die auf dem Flyer feierlich geloben, sich besonders «für ihr Eigentum» einzusetzen? Flüchtig gelesen und nur akustisch registriert: wäre die Antwort für die meisten Wählerinnen und Wähler klar: «Nein!» Wir brauchen keine Nationalräte, bei denen das Eigeninteresse vor dem Gemeinwohl steht. Es ist nur ein Buchstabe – einzig optisch markiert – der das Wahlversprechen auch dem Gemeinwohl zuordnet. Durch das Wörtchen «Ihr» (als Höflichkeitsform in Bezug auf die Wählerinnen und Wähler) wird grossgeschrieben. Nur im Schriftbild sichtbar, sprachlich nicht zu unterscheiden. Es ist die Gesinnung, der politische Schwerpunkt, die Wertvorstellung, die sich dahinter verbirgt. Auf der Rückseite des Werbeprospekts wird dies deutlich: Drei zentrale Anliegen stehen im Mittelpunkt; Schutz des Grundeigentums, Wohnpolitik und Abschaffung des Eigenmietwerts. Da geht es dreimal um Ihr/ihr (gross- und kleingeschrieben) Eigentum. Dies wird noch unterstrichen durch das Schlusswort des Direktors des Hauseigen-tümerverbands: «Der Schutz von Wohneigentum verdient starke Politiker in Bern». So stark, dass ihr/Ihr Eigentum ganz sicher bleibt. (Für Neugierige: der Wahlprospekt hier einzusehen)                                                                                                      (273)

16. Oktober  2023

 

Unter einer Decke
von Peter Züllig


Als Sammler habe ich gesammelt. Prospekte, Flyer, Broschüren, Karten, Zettel… Alles Wahlaufrufe, Wahlversprechen, Schlagworte.  Sogar eine Zeitung (16 Seiten) ist dabei. Eine Zeitung, die in allen Haushalten landete. Am liebsten hätte man Ausrufer mitgeschickt, wie sie früher an grossen Bahnhöfen lautstark aufgetreten sind:  «Extra Blatt – Stau auf den Strassen, Asyl-Chaos, Versorgung in Gefahr…!!!».  Diese Tradition ist verschwunden, jetzt müssen dicke, fette, Schlagzeilen genügen: «teuer, gefährlich, ungerecht». Eine Schweiz: verkürzt in Schlagzeilen, Themen wild gemischt: vom verbotenen «Mohrenkopf, über den Verlust von Ackerland bis zur Mär vom Fachkräftemangel». Kurz gesagt: ein Saustall, die Schweiz. Dabei wird im gleichen «Extrablatt» zwanzigmal von der «schönen Schweiz» gesprochen, die natürlich nur durch die SVP zu retten ist. Und wer trägt an all dem Elend die grösste Schuld? Die Asylanten: im ersten Bund der Zeitung (4 Seiten) werden sie fünfzigmal erwähnt, meist begleitet vom etwas neutraleren Wort «Zuwanderer», oft unterstützt von Pauschalverunglimpfungen wie «Asylschmarozer». Das Wort «Freiheit» taucht zwanzigmal auf, «Zukunft» in jedem der 21 politischen Glaubensbekenntnissen, gleich mehrmals, aber immer ohne Lösungen anzubieten. Ich kann mich nicht erinnern, in den letzten Jahren ein ähnliches schmuddeliges, unappetitliches, beleidigendes Pamphlet einer grossen Schweizer Partei erhalten zu haben. Auch vor Wahlen nicht.  Ich bin persönlich beleidigt, fühle mich aufs unflätigste beschimpft, als Vollidiot hingestellt. Denn ich wähle (auch deshalb) nicht SVP. Und doch bin ich Schweizer (was mir rundweg abspricht), stehe für Sicherheit ein, engagiere mich für die Erhaltung eines Klimas, das für alle lebenserhaltend ist, wehre mich gegen die Verbetonierung der Landschaft, sage niemandem, was zu essen und zu trinken ist..  Ich habe keine Lösung für viele der Probleme, aber ich helfe nach Lösungen zu suchen und stelle nicht Schuldige an den Pranger: Asylanten, Zuwanderer, und alle, die nicht SVP wählen, angeblich «unter einer Decke stecken».                               (272)

04. Oktober  2023

 

KD

von Peter Züllig

 

Es gibt nicht nur «KI» (künstliche Intelligenz). Es gibt auch – und zwar noch viel häufiger – die «KD», die künstliche Dummheit. Doch davon spricht man nicht oder nur sehr selten. Der Computer, Grundlage und Täter von KI-KD, handelt nicht anders als der Mensch, nur etwas schneller, raffinierter, voluminöser, denn jeder seiner Schritte wurde ja (irgendwann) von Menschen programmiert: intelligent oder dumm. Hier ein monatliches, inzwischen halbjährliches Beispiel: Vor vier Jahren war ich einmal Holzkirchen. Holzkirchen? Ein Ort, in der Nähe von München. Nur ein einziges Mal habe ich in einem Hotel dort übernachtet, weil ich die Aufführung in einem Kleintheater besuchte. Seither bekomme ich regelmässig das «günstigste» Angebot vom «schönen Holzkirchen», wo ich doch so gut und billig übernachten könne. KI oder KD? Soeben habe ich, für die Katze meiner Nachbarn, die ich ab und zu hüte, Futter gekauft. Natürlich das richtige, gewohnte, das leider im Geschäft, wo ich regelmässig einkaufe, aus dem Sortiment genommen wurde. Also suchte ich ein Angebot in der Nähe, natürlich per Computer. Es vergeht kein Tag, da bekomme ich Katzenfutter-Offerten en masse. Die Katze frisst längst wieder beim Nachbarn. KD. Kürzlich ging ein Küchengerät in Brüche. Ich erkundigte mich  - per Computer – nach einem neuen und kaufte es sogleich (auch per Computer). Seither werden mir Angebote für Küchengeräte «angespuckt», auch dieselben, die ich soeben gekauft habe. I KD. Ob Kurort, Katzenfutter oder Küchengerät, immer ist die KI – ob gefragt oder ungefragt – unglaublich aktiv. Das Ergebnis – nebst Belästigung – eine Begegnung mit KD, programmierter Dummheit.                                                                    (271)

21. September  2023

 

Sie wurden ausgewählt!

von Peter Züllig

 

Ich? Ausgewählt? Schon wieder? Von wem? Fragen um Fragen. Soll ich einen «Klick» wagen? Oder mir den «fantastischen Preis» entgehen lassen? Schon ist er da, ein «Dank». Wofür? Die Antwort kommt computerwendend: «Ihre Versandanfrage Nr. 000444306573947, jetzt bestätigen» Meine Versandanfrage? Ich habe weder irgendwo noch irgendwen, irgendwas angefragt. Doch ist ganz klar, was ich zu tun habe: «Jetzt bestätigen!» Was zu bestätigen ist, steht nicht da. Bestätigen genügt. «Es dauert nur eine Minute, bis Sie diesen fantastischen Preis erhalten». Jetzt ist wenigstens ein Bild da, von «diesem fantastischen Preis». Ein «Ninja Air Fryer, brandneu, jetzt loslegen» Was muss ich legen? Los, los, los…! Es ist die x-te ähnliche Nachricht an einen «Ausgewählten» oder gar «Auserwählten». Gestern lockte (im gleichen Look) «Lidl» mit einem fantastischen Preis, irgendetwas zum Essen, glaube ich. Und schon trudelt die nächste Botschaft ein. Diesmal in Gelb, gross gekennzeichnet. Aber, warum schreiben die mir englisch? Unsere Post im Dorf – da wird Deutsch gesprochen - wurde geschlossen. Haben sie die Dienstleistung nach England verlegt? Oder gar nach Hongkong, in ein Call-Center? Soll üblich sein, zeitgeistig, rentabel. Mein Paket könne nicht zugestellt werden. Die Adresse sei unvollständig, so habe ich es jedenfalls verstanden. Gestern war eine Sendung zu wenig frankiert. Zwei Franken fünfunddreissig koste es noch. Aber subito, sonst geht sie zurück, die Sendung. Nur, ich erwarte weder ein Paket, noch habe ich etwas mit Frankatur der Post übergeben. Während die Postvariante noch leicht als Fake zu erkennen ist, sind die Auserwählungsbotschaften eine widerliche Sache. Eine Schlangenfängerei.  Lästige, ja gemeingefährliche Trolle einer wildgewordenen Werbeindustrie. Jetzt bin ich es, der auswählt.  Meine Auswahl: nie mehr ein Produkt – oder eine Firma – berücksichtigen, welche auf diese Art Hausfriedensbruch begeht. (270)

12. September  2023

 

Und der Heuwagen, der rollt...

von Peter Züllig

 

Strohballen auf dem Wagen, nicht Heu. Darauf sitzen zwei Repräsentanten der Politik, die seit Jahren unermüdlich verbales Stroh dreschen. Auch dann, wenn sie nicht auf diesem Wagen sitzen. Aber vor Wahlen setzen sie sich gerne hinter das hohe Ross und tun so, als wären sie Bauern. Es sind aber „feine Leute“, Politiker, die so gerne Strippen ziehen. Unternehmer, Millionäre, die in Villen wohnen, ihre Hände höchstens in der Politik schmutzig machen und es mit der Wahrheit nicht allzu ernst nehmen. Wichtig ist, „dass der Wagen rollt“, nicht über „Berge, Wiesen und Matten“, aber bekränzt mit leuchtendem Ährengold». Sie ruhen nicht «im Schatten, denn der Wagen, der rollt».
Jetzt bloche(r)n sie also durch die Arena. Bejubelt von Getreuen. In einer Show, bunt und schrill, dem Wahlzirkus der Amerikaner abgeguckt.  Deplatziert, unehrlich, verlogen wirkt fast alles, von der Auffahrt der Machthaber, über die Sägemehlringe für die „stakten Mannen“, den zwei grossen Schweizerfahnen, und die Alphütte – die vorgibt, der „Alpöhi“ sei hier zu Hause – aber vorwiegend smarte Parolen-Drescher auftreten. Grundton: „Schweizer wählen SVP“. (Implizit heisst das: Alle anderen sind eben keine Schweizer).

„Zeitgeistig, wunderbar!“, hat der Parteipräsident ins Mikrofon gehaucht. So ganz wohl war ihm offensichtlich nicht dabei. Auch Frauen und «junges Volk im Reigen, tanzen um die» lauten Parolen herum. «Wirbelnde Blätter im (künstlichen) Winde, es jauchzt und lacht und tollt». Es ist kein Hüttenfest – vielmehr der Wahlauftakt einer Partei, die sich so selbst inszeniert. In einer – bis in die Reden hinein – künstlichen, weltfremden Welt. «Ich bliebe so gerne bei» einer Schweiz der Wirklichkeit, «aber der Wagen, der rollt.“                                                                                                                     (269)   

31. August  2023

 

Freundlichkeit ist eine Zier...

von Peter Züllig

 

«…weiter kommt man ohne ihr." So die fragwürdige Erkenntnis eines geläufigen Sprichworts. Sie beruht wohl auf den zweifelhaften Erfahrungen im Konkurrenzkampf des Lebens. Freundlichkeit schafft Raum, Vertrauen, Wohlsein, verbannt hingegen Enge, Rücksichtslosigkeit und Gleichgültigkeit. Ein bewährtes «Geschäftsmodell» im täglichen Umgang mit Menschen, würde man glauben. Ist es die zunehmende Automatisierung (Automaten müssen nicht höflich, nur korrekt sein), welche immer mehr Freundlichkeit aus dem Alltag vertreibt? Besonders auffällig ist dies im Detailhandel. Die Unfreundlichkeit, ja Unhöflichkeit in Geschäften, im «Laden», nimmt zu, Kaufen wird immer häufiger zur Qual. Eine Erfahrung, die mich dazu gebracht hat, eine «Streichliste einzuführen, nicht zu verwechseln mit einer «Streichelliste» (was in etwa das Gegenteil wäre). Wer auf dieser – meiner ganz persönlichen – Liste landet, der hat mich als Kunde verloren. Nein, König – eine veraltete Vorstellung – will ich nicht sein. Aber auch nicht von desinteressierten, mürrischen, brummigen, unhöflichen Personen bedient werden. Kaufen und Verkaufen ist ein «Handelsgeschäft». Auch da gibt es eine professionelle Freundlichkeit. Sie steht weit über jedem Automaten, ist eine Zier und straft das Sprichwort Lüge: «weiter kommt man nämlich mit ihr!»                                                                                              (268)   

23. August  2023

 

Bonus, Boni...

von Peter Züllig

 

«Bonier, bonierter, am boniertsten…» Die sprachliche Steigerung ist ungewöhnlich, vielleicht auch nicht ganz korrekt. Setzt man sie aber in Zahlen um, kommen Dimensionen zum Vorschein, die schlicht und einfach die sonst sturen Regeln der Wirtschaft (oder des Kapitalismus) ausser Kraft setzen. Gibt es dafür doch wenig oder gar keine gesetzlichen Regelungen. «Das Schweizerische Obligationenrecht definiert die Begriffe «Bonus» und «Prämie» nicht.» Punkt. Damit hat sich die «Bonus-Kultur» zur wildwüchsigen «Unkultur» entwickelt, zur willkürlichen Selbstbedienung des oberen und obersten Kaders in vielen Unternehmen. Ursprünglich als das gedacht, was es sprachlich auch ist: eine Belohnung. Wofür? Für eine besondere Leistung, für das Erreichen eines hochgesteckten Ziels oder eines grösseren Gewinns. Es gibt Kriterien und Grundlagen (wenn auch mit einer grossen Ermessensbreite), die den (nach oben) purzelnden Boni einen Sinn und Halt geben. Doch da greift das umfangreiche Regelwerk über Rechte und Verpflichtungen (in der Schweiz «Obligationenrecht» genannt) zu kurz. Vieles, fast alles, ist dem frei interpretierbaren Rechtssinn überlassen. Und beim verankerten Rechtssinn steht es nicht zum Guten. Ich zitiere jetzt nicht Banken, Fluggesellschaften und andere Schweizer Pleiten. Doch, wenn der oberste Verantwortlich für die desolate Bahnsituation in Deutschland (nebst dem Lohn) 1,26 Millionen Euro Boni erhält, ist nicht nur der Bahnverkehr gestört, sondern - für alle Bahnkunden sicht- und nachvollziehbar - auch jegliches Rechtsempfinden. Da geht es nicht nur um Verspätungen, vielmehr um einen Kollaps des Begriffs Bonus gleich Belohnung.                                                                                                    (267)   

13. August  2023

 

Die ich rief, die Geister

von Peter Züllig

 

Da hat sich Goethe geirrt. Ich habe sie nicht gerufen. Sie sind mir zugeflogen. Ausgesandt als Geschäftsmodelle im Zeitalter des Computers. «Apps» nennt man sie. Es sind die neuen Geister, die die Welt – zumindest meinen Computer und mein Smartphone – steuern möchten. «Walle! Walle! Manche Strecke, dass, zum Zwecke, Wasser fliesse und mit reichem, vollem Schwalle zu dem Bade sich ergiesse». So einfach ist es längst nicht mehr. Das Wasser hat sich in Bits und Bytes gewandelt und baden kann man darin auch nicht mehr. Nur der «volle Schwall» ist geblieben: «Immer neue Güsse, bringt er schnell herein. Ach, und hundert Flüsse stürzen auf mich ein». War es bei Goethe (vor gut 200 Jahren) noch der Zauberlehrling, der die Geister gerufen und das ominöse Wort zum Abbruch der Handlung vergessen hat, so sind es heute Verkaufsstrategen, welche die Geister aussenden, den Ausstieg gut tarnen, und sie laufen lassen, dass: «Nass und nässer wird's im Saal und auf den Stufen. Welch entsetzliches Gewässer! Herr und Meister! hör mich rufen.» Doch ein «Altmeister», der die Zauberei stoppen und Hilfe bringen könnte, gib es nicht mehrt. Er wurde längst «ausgelagert» und durch Programme ersetzt, die etwa schriftlich festhalten: «Einen Monat gratis und dann den Betrag von 11.50 CHF pro Monat.» Verzweifelt erinnere ich meinen Computer an Goethes Worte (zurzeit als es noch lange keine Computer gab): «Herr, die Not ist gross! Die ich (nicht) rief, die Geister, werd ich nun nicht los.»                                                                    (266)   

05. August  2023

 

Weisse und schwarze Schafe

von Peter Züllig

 

Es war ein «schwarzes Schaf» - sogar eine kleine Herde - , die mit uns in den Bus eingestiegen ist. Wir waren den ganzen Tag unterwegs – mit wenig Gepäck, gerade noch so schwer, dass wir sie (alters halber) knapp tragen können. Das Ein- und Aussteigen und das Platzieren des Koffers hingegen sind mühselig geworden, besonders wenn man – wie wir – nach der langen Reise müde nach Hause kommen. Das haben die «schwarzen Schafe» - unter ihnen ein dreizehn-, vierzehnjähriger «Bueb» - erkannt und sofort Hand angelegt. Die beiden kleinen Koffer waren schwups im Bus und die kleine Gruppe hat – fröhlich in einer fremden Sprache, nicht leise plaudernd – die Sitzplätze gewechselt und die nächstliegenden frei gemacht, als wäre Zuvorkommenheit und Höflichkeit eine allgemeine Schäfchentugend. Nur, diese Schafe waren leicht dunkel, gar nicht weiss, wie sie auf den Wahlplakaten, mit dem blütenweissen Schweizerkreuz immer wieder weggejagt werden. Schon an der ersten Haltestelle mussten wir aussteigen. Das «junge schwarze Schäfchen» war sofort wieder da und hat uns geholfen rechtzeitig aus dem Bus zu kommen. Es waren noch mehr Schafe im Bus, die Mehrheit weisse. Sie haben gerade «gegrast», stur vor sich hin oder ins Weite geguckt. Nichts, als sich selber wahrgenommen. In knapp drei Monaten sind Wahlen. Weisse und schwarze Schäfchen werden wieder da sein und grossflächig separiert. Da habe ich mich unglaublich geschämt, fremdgeschämt.                                                                             (265)

23. Juli  2023

 

"KI", das geheimnisvolle Wesen

von Peter Züllig

 

Ki, ki, ki… zwei Buchstaben bloss, unendlich oft wiederholt. „KI“, eine schlanke Dame, ein eleganter Herr oder gar ein „Es“? Jedenfalls ein geheimnisumwittertes Wesen, das analysiert, denkt und immer häufiger auch handelt, „schneller, als die Polizei erlaubt“, mit dem „Bleifuss“ auf dem Gaspedal und dem „Blinker“ zum Überholen im Dauereinsatz. Dabei benimmt sie (er, es) sich so als sei ein Nesthäkchen am Werk: devot, weltläufig und „dienstig. "Kann ich Ihnen helfen?“,  „Was ist ihr Problem? “Was kann ich für Sie tun?“

Ihre (seine) Nähe zum Computer ist augenfällig, mehr noch: sie (er, es) ist dem Computer verpflichtet, geradezu hörig. Wenn ich ihn einschalte, ist „KI“ auch da, blitzschnell, ungerufen und lässt sich nicht mehr so rasch vertreiben. Verständnisvolle, ja liebe Worte nützen nichts, da braucht es schon eher Gewalt, bis sie, er es doch verschwindet. Da nützt auch das Türschild: „Will nicht gestört werden!“, nichts, gar nichts! Im Gegenteil: jetzt wird sie, er, es meist schrecklich neugierig, rasch sogar arrogant: „Was möchten Sie tun?“,  „Formulieren sie ihr Problem mit andern Worten!“, „Nutzen sie meine Vorgaben!“. Wechsle ich das Programm, suche ich Hilfe auf anderen Computerwegen, tauchen sie (die KIs) in Scharen auf. Jede, jeder und jedes hat einen guten Rat: schriftlich, gesprochen, in Bildern und Videos. Wenn es nicht mehr weitergeht, ein letzter Hinweis: „Melden Sie sich beim Administrator (der ist immer männlich)“. Ratlos, verzweifelt und wütend tippe ich ein, rufe oder schreie ich „Scheisse!“. KI immer freundlich: „Tut mir leid, das kenne ich nicht!“

                                                                                                                    (264)     

05. Juli  2023

 

Alleingelassen

von Peter Züllig

 

Es sind knapp 50 Jahre her, da wurde der COOP, unser Quertierladen, geschlossen. Für immer. Unrentabel sei er – also auch unnötig, nach kaum hinterfragten wirtschaftlichen Prinzipen. Für meine Schwiegermutter (in spe), brach eine Welt zusammen. Ihre Welt. Sie war geh- und sehbehindert, sie schaffte es gerade noch die 100, 200 Meter bis zum Coop. Dort hat sie eingekauft, jahrelang, sich über Aktionen gefreut, verfolgt wie die Preise stiegen und vor allem in all den vielen Jahren Kontakte geknüpft, Nachbarn getroffen, für kurze Zeit die Einsamkeit des Alters vergessen. Meine Schwiegermutter ist längst gestorben. Das Problem ist geblieben, hat sich sogar erheblich vergrössert. Das Quartier ist gewachsen, um das Dreifache. Das durchschnittliche Alter ist gestiegen. Die letzten verbliebenen Geschäft haben dichtgemacht: der Metzger, der Beck, der Milchladen, jetzt auch die Post, das Restaurant… Wer nicht mehr fit ist, dem gibt die IV – bestenfalls - ein motorisiertes Gefährt. Papierkram, gute Wünsche und eine Adresse: Stiftung ProAlter. Dabei ist das Leben im Alter immer komplizierter geworden: Computer, Digitalisierung, Internet, Telefonterror, Computergenerierte Ratgeber und Hilfen, QR-Code, Formularkrieg nur online zu erledigen, Ärztemangel… Die fast täglich neu entwickelten Programme, Angebote und Werbung überfordern selbst jüngere Menschen. Jetzt, wo auch ich (und meine Freunde) alt geworden sind, begreife ich meine Schwiegermutter. Alleingelassen!                                                                                                                                  (263)       

25. Juni  2023

 

Hosenträger

von Peter Züllig

 

Hosen, einst Kleidungsstück der Buben, heute so gut wie geschlechtsneutral. Das war nicht immer so. Um Hosen, kurz, halblang oder lang, spielten sich (einst) kleine, häusliche Familiendramen ab. Bei kurzen Hosen, wenn es kalt war, mussten Strümpfe getragen werden. Die brauchten Halt. Die Folge: ein «Gstältli», eng und unbequem, verhasst wie kein anderes Stückchen Stoff. «Knickerbocker» brachten Erlösung: «Kniesocken», das ganze Jahr, kein «Gstältli» mehr. Doch auch Hosen – ob kurz oder lang – brauchten Halt: Hosenträger! Auch das war den Buben ein Gräuel. Schliesslich tragen angehende Männer immer Gürtel, lederne, mit grosser Schnalle. Die Jugendverbände haben dies rasch erkannt und lieferten handfeste Ledergürtel mit auffälligem Koppelschloss: Markenzeichen von «Pfadi», Jungwacht oder sonst eine Jugendgruppe. Damit war der Kampf um haltende Hosen für Jahrzehnte vorbei. Solange, bis die Bäuche so gewachsen waren, dass die Hosen wieder zu rutschen begannen. Den Gurt enger und enger schnallen. Eines Tages nützt auch das nicht mehr. Ältere Herren greifen wieder zum einst so verachteten Hosenträger, jetzt modisch, bunt, knallig. Inzwischen sind aber Hosenträger zum Kennzeichen von «Bünzligkeit» geworden. Max Frisch in einem Brief an seinen Verleger: «Ein Kurpark voll Hosenträgerkleinbürger, eine Summe von Langeweile, die einen einfach erschlägt…» So stehe ich also heute – siebzig Jahre nach den abgeschafften Hosenträgern - vor der entscheidenden Imagefrage: «Bünzligkeit» ertragen oder plötzlich ohne Hosen dazustehen? Ein Entscheid ist noch nicht gefallen.                       (262)  

14. Juni  2023

 

Abgetreten

von Peter Züllig

 

Schon einige Male wurde er abgewählt und ist dann doch wieder gekommen. Wieder gewählt. Jetzt ist er abgetreten. Nicht abgewählt, aus dem Verkehr gezogen. Für immer. Zwar mit irdischer Kraft, doch nicht aus irdischem Kalkül. Die Endlichkeit hat es geschafft. Ein Machtmensch musste die Macht abgeben. Es gab kein Trick, sie zu behalten.

Die Medien überschlagen sich, ein paar Tage lang, vielleicht ein paar Monate, um das Werk eines Täters zu würdigen. Unterschiedlich, je nach politischer Gesinnung. Täter war er, weil er die Macht hatte und diese für «seine» erdachte, erhoffte oder erträumte Welt skrupellos nutzte. «Er hat die Welt verändert, wenn auch nicht zum Guten», schrieb ein Kommentator und ist damit zum Kern der "politischen Macht" vorgestossen. Die Welt verändern, zum Guten, zum Schlechten, zum Bösen.

Silvio Berlusconi war nur einer von Ihnen, die gerade – dank ihrer politischen Macht – die Welt zu verändern suchen. «Nicht nur zum Guten». Wladimir Putin, Victor Orban, Alexandr Lukaschenko, Recep Tayyip Erdoğan, und natürlich die beiden politischen Gespenster, Jair Bolsonaro und Donald Trump… Sie alle (und noch einige mehr) vereint etwas, das anders geworden ist, in der Spitzenpolitik. Die offene Lüge, die offene Manipulation, die unverfrorenste Behauptung.

Es sind nicht da die Schlechten, und dort die Guten. Es ist vielmehr der Umgang mit der Macht, der nicht nur zu weltweiten Konflikten führt, zu einer belasteten Welt, und – was sich niemand vorstellen konnte und wollte – zum offenen Krieg                 (261)      

01. Juni  2023

 

Grüezi

von Peter Züllig

 

Typisch schweizerisch! Vertraut, aber «mega» bünzlig. Da ist «Hallo» – besonders das amerikanische «Həˈloʊ» (phonetische Schrift) - weit weltläufiger und chicer. Ganz allgemein tut man sich schwer mit den Grussformeln, sowohl im schriftlichen Verkehr als auch im persönlichen Umgang mit Mitmenschen. Soll man nun einer «sehr geehrter Frau» oder einem «sehr geehrten Herrn» schreiben, oder eine «liebe Frau» oder einen «lieben Herrn» ansprechen? Einen Bekannten mit «Salut» (französisch) oder «Ciao» (italienisch) begrüssen? Oder die Tageszeiten zu Hilfe nehmen: guten Tag, guten Morgen, guten Abend…? «Gute Nacht», wirkt schon leicht anzüglich, «guten Mittag» geht gar nicht. In Frankreich ist man etwas persönlicher. «Comment allez-vous?» oder «Ca va?», ist eine alltägliche Begrüssung, die – will man nicht unhöflich sein – eine Antwort verlangt. Aber bitte nur eine rituelle, etwa: «Ca va bien, merci!». Kein mentaler oder medizinischer Zustandsbericht.

Wie sehr sich Gruss und Begrüssung immer wieder verändern haben, zeigen die vielen Formeln und Rituale. Sie sind auch der Ausdruck von Vertraulichkeit, Achtung und Respekt. Handschütteln oder weit adretter «gros bisous», verbunden mit einer nächsten Unsicherheit: Zwei oder drei symbolische Küsschen auf die Wange? Begrüssungsrituale sind bei Jugendlichen schon fast eine Pflicht, um dazuzugehören. Am häufigsten ist es ein Abklatschen, begleitet von einem knappen «Hi!». Corona hat uns noch das Berühren mit den Ellbogen gebracht.

Ob all diesem rituellen Wirrwarr resignieren immer mehr Menschen beim Grüssen: Sie verzichten darauf, sooft es geht. Und grenzen sich so – bewusst oder unbewusst – von der Umgebung, von der Gesellschaft ab, in der sie leben. «Grüezi» ist vielleicht nicht mehr der richtige Ausdruck in einer multikulturellen Gesellschaft. Es könnte aber auch sein, dass es genau das sagt, was viele in einer immer anonymer werdenden Gesellschaft suchen: «willkommen zu Hause!»                            (260)          

01. Juni  2023

 

Grüezi

von Peter Züllig

 

Typisch schweizerisch! Vertraut, aber «mega» bünzlig. Da ist «Hallo» – besonders das amerikanische «Həˈloʊ» (phonetische Schrift) - weit weltläufiger und chicer. Ganz allgemein tut man sich schwer mit den Grussformeln, sowohl im schriftlichen Verkehr als auch im persönlichen Umgang mit Mitmenschen. Soll man nun einer «sehr geehrter Frau» oder einem «sehr geehrten Herrn» schreiben, oder eine «liebe Frau» oder einen «lieben Herrn» ansprechen? Einen Bekannten mit «Salut» (französisch) oder «Ciao» (italienisch) begrüssen? Oder die Tageszeiten zu Hilfe nehmen: guten Tag, guten Morgen, guten Abend…? «Gute Nacht», wirkt schon leicht anzüglich, «guten Mittag» geht gar nicht. In Frankreich ist man etwas persönlicher. «Comment allez-vous?» oder «Ca va?», ist eine alltägliche Begrüssung, die – will man nicht unhöflich sein – eine Antwort verlangt. Aber bitte nur eine rituelle, etwa: «Ca va bien, merci!». Kein mentaler oder medizinischer Zustandsbericht.

Wie sehr sich Gruss und Begrüssung immer wieder verändern haben, zeigen die vielen Formeln und Rituale. Sie sind auch der Ausdruck von Vertraulichkeit, Achtung und Respekt. Handschütteln oder weit adretter «gros bisous», verbunden mit einer nächsten Unsicherheit: Zwei oder drei symbolische Küsschen auf die Wange? Begrüssungsrituale sind bei Jugendlichen schon fast eine Pflicht, um dazuzugehören. Am häufigsten ist es ein Abklatschen, begleitet von einem knappen «Hi!». Corona hat uns noch das Berühren mit den Ellbogen gebracht.

Ob all diesem rituellen Wirrwarr resignieren immer mehr Menschen beim Grüssen: Sie verzichten darauf, sooft es geht. Und grenzen sich so – bewusst oder unbewusst – von der Umgebung, von der Gesellschaft ab, in der sie leben. «Grüezi» ist vielleicht nicht mehr der richtige Ausdruck in einer multikulturellen Gesellschaft. Es könnte aber auch sein, dass es genau das sagt, was viele in einer immer anonymer werdenden Gesellschaft suchen: «willkommen zu Hause!»                                                                   (259)             

22. Mai  2023

 

Ein Gespenst geht um

von Peter Züllig

 

Wo, wann und wie taucht es auf? Warum geistert es – fast pausenlos – durch unsere Gesellschaft? Besonders gern durch die Medien, Erklärungen, Begründungen. Durch den Alltag, genauso wie durch Überraschungen, durch Gewöhnliches und Ausser-gewöhnliches. Man nennt es meist nicht Gespenst (weil viel zu unruhig, oft angsterregend und schwer zu fassen), sondern «Geist» (der ist schon etwas nobler und dem Menschen mehr angemessen, vertraut). Nicht nur – umgangssprachlich – ein «spukender» Geist (vornehmlich in Menschengestalt), sondern auch ein Begriff in der Philosophie, Theologie, Psychologie und eben auch in der Alltagssprache, vieldeutig und unterschiedlich verwendet, in Redensarten, wie «von allen guten Geistern verlassen», bis zum «Heiligen Geist», der sich in der noch unfassbareren «Dreifaltigkeit» auflösen kann.
Der «Geist», von dem ich hier spreche, hat sich die Zeit «unter den Nagel gerissen». Sich aufgeplustert zum «Zeitgeist», der nicht besser und präziser zu fassen ist, als die vielen Gespenster, die den «Zeitgeist» einhüllen, umgarnen und zu ihren Gunsten nutzen. Trotzdem geistert er durch Kopf und Herz, durch Gefühl und Verstand, durch Schrift und Bild. Wenn etwas zu erklären, zu begründen, zu rechtfertigen ist, wird er auf den Plan gerufen. Dann ist etwas «nicht mehr zeitgemäss» oder es ist «zeitgemässer» als das, was vorher war. Johann Wolfgang von Goethe (ist zwar nicht mehr «zeitgemäss») hat den «Zeitgeist» in Faust 1 umschrieben: «Was ihr den Geist der Zeiten heisst, das ist im Grund der Herren eigner Geist, in dem die Zeiten sich bespiegeln.»  Man mag die hier formulierten Gedanken «geistreich» finden, oder argwöhnen, dass ich Gespenster sehe, total be«geistert» sein oder den umherirrenden «Zeitgeist» gespenstisch finden. In der zeitgeistigen Bibel «Wikipedia» wird die Frage gestellt: «Gespenst oder Geist – gibt es einen Unterschied? Die Antwort (echt zeitgeistig): Diese Frage bleibt offen.            (258)     

14. Mai  2023

 

Blasentee

von Peter Züllig

 

«Hausmittel bieten eine Möglichkeit, um zur Heilung beizutragen. Folgende Tipps können dabei helfen, diese positiv zu beeinflussen: Viel trinken, Wärmflasche, Sitzbäder, Cranberry-Saft, möglichst keine Zitrus-Säfte keinen Kaffee und kein Alkohol» Ob dies auch hilft bei Filterblasen? Oder müssen da weit stärkeren Mitteln eingesetzt werden? Können Filterblasen überhaupt so früh erkannt werden, dass sie ohne Biotika aufgelöst oder wenigstens erträglich zu machen sind? Ich bin kürzlich in eine dieser «Filterblasen, meist als «Bubble» bezeichnet, hineingeraten, ohne es zu merken. Es tat auch nicht weh. Im Gegenteil: ich habe mich schrecklich wohlgefühlt. Erfahrungen, neue Erfahrungen unter Gleichdenkenden, Gleichredenden, Gleichhandenden, Gleich…

Die Schicht um solche Blasen ist vorerst dünn und reisst rasch. Doch - mit  zunehmender Belastung - wird sie stark, dicht und bald einmal undurchlässig. Sie dient dann als Schutzwall zwischen aussen und innen, zwischen Eigenem und Anderem… In diesem Fall – ich habe mich mit einigem Aufwand selbst hineinmanövriert – wurde es mir zu eintönig, zu langweilig, zu harmonisch. Die Haut entpuppte sich (von aussen angegangen) als zäh, zwar nicht abweisend, aber auch nicht einladend. Die Blasenbewohner waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Das Fremde muss deshalb fremd – also draussen – bleiben. Der Filter tut seine Wirkung. Er dient der Erhaltung der Blase. Informationen werden dann zugelassen, wenn sie mit den Ansichten der (grösstenteils kleinen) Blasen-bevölkerung übereinstimmen. Das Fremde könnte einen «Sturm» auslösen (also die gegenteilige Wirkung einer Blase haben) und die selbst gewählte Ruhe stören. Es gibt immer mehr solche Klein- und Kleinstblasen: «Bubble»-Grüppchen aller Art. Nicht erst seit Corona, vielmehr seit die aufgerichteten «Filter» durch Algorithmen (künstliche Intelligenz) nahezu unbemerkt und beliebig zu manipulieren sind. Da hilft leider kein Blasentee zur Heilung, nicht mal Antibiotika.                                      (257)       

03. Mai  2023

 

Kultur im Netz

von Peter Züllig

 

Die Mehrheit der «jungen Generation» geht mit dem Netz so um, wie die älteren Menschen einst mit Feder und Papier, mit Büchern und Post, mit Telefon und Radio, mit… Dies gilt für viele Bereiche des Alltags, auch für das, was man unter kulturellem Interesse zusammenfassen kann: Öffnungszeiten, Reservationen, Billette, Einkauf im Museumsshop, Informationen, Dokumentationen… Vieles davon ist (teilweise oder ganz) ins Internet abgewandert. Und da haben ältere Menschen (im Warengeschäft nennt man sie «Kunden») immer mehr Schwierigkeiten. Denn viele Websites von kulturellen Organisationen sind kompliziert, ungenügend, oft fehlerhaft (und fehleranfällig),  mitunter auch schwer zu bedienen. Ich bin den Umgang mit dem Netz gewohnt (eigene Website), zwar nicht mehr ganz so schnelle und auch nicht mehr bereit, viele meiner persönlichen Daten preiszugeben. Ein Beispiel: Ich interessiere mich für eine Ausstellung (und ein damit verbundenes Buch) und will mich rasch orientieren und die Publikation kaufen. Zuerst geht alles mühelos und rasch, dann aber wird es umständlich, unlogisch und lückenhaft. Einfachste Informationen (wie Zugang, Öffnungszeiten, Örtlichkeiten…) müssen auf den Seiten akribisch gesucht werden. Im Online-Shop geht mir dann die Geduld aus. Nach längeren Anmeldeprozedur landet schliesslich das aktuelle Buch im «Einkaufskorb». Preis (wie offizielle vermerkt) 38.00 CHF (zusätzlich 7.00 CHF Porto). Ich will den Kauf «auslösen». Jetzt streikt der Computer: «502 Bad Gateway). Nach mehreren Versuchen und «ergoogelten» Ratschlägen gebe ich es auf. Meine Reaktion auf den Ärger: Anwahl des Online-Shops einer grossen Buchhandlung. Nach wenigen (einfachen) Manipulationen ist das Buch bestellt und bezahlt: 32.40 CHF (Heimlieferung ohne Portokosten). Ergebnis: 12.60 CHF Ersparnis und zwei verlorene Stunden auf Irrwegen der Website einer kulturellen (subventionierten) Institution.                                                                           (256)              

24. April  2023

 

Hof des Friedens

von Peter Züllig

 

Oase der Ruhe und des Friedens, der Hoffnung und der Erinnerung. Gemeint ist der Friedhof. Ein Ort, aber auch eine Institution, wo so ziemlich alles geregelt ist: der Platz, der Standort, die Grösse, die Anordnung, das Verbotene, das Erlaubte, die Kosten, die Nutzung… Kurzum: ein Abbild der Gesellschaft, die auch das regelt, was das Leben zurückgelassen hat. Das ist wenig, kann aber auch viel sein. Wenig, was den Menschen und seinen Körper betrifft. Oft mehr, sogar viel, mitunter sehr viel, was an Eigentum (zu Lebzeiten) an den Körper gebunden wurde. Meist rechtlich verbrieft oder gesetzlich geregelt durch das Erbrecht. Trotzdem wird um alles, was als materiell verwertbar ist – wie unglaublich viel gestritten, häufiger noch erst in privaten Kriegen geregelt. Bleiben noch Spuren und Werke  «des Geistes», etwas pathetisch ausgedrückt: die Seele: Sie verflüchtigt sich rasch, viel rascher als alle materiellen Werte (sofern sie nicht materiell gesichert werden konnten, zumindest auf eine bestimmte Zeit). Der Tod – man mag es wahrhaben oder nicht – zwingt eben zur Bilanz. Äusserlich erkennbar, ablesbar auf dem Friedhof. Dieser wandelt sich, passt sich dem Zeitgeist an. Die Gräber werden kleiner, ja sie verschwinden immer mehr. Auch der Tod wird noch getilgt, so schnell wie möglich ausgemerzt: Feuerbestattung, Naturbestattung, Windbestattung, Baumbestattung, Gemeinschaftsgrab… Der Hof entvölkert sich, auch vom Geist, von der Erinnerung, vom Andenken. Die Denkmäler (Grabsteine) werden zu «Oasen der Ewigkeit». Das Leben ist vorbei, also soll auch der Tod im Hof (des Friedens) nicht weiterleben.                  (255)       

06. April  2023

 

Raubritter

von Peter Züllig

 

Es soll ein Mythos sein, die Legende des hochedlen Ritters, der im späten Mittelalter durch die Lande zog, mit eiserner Faust plünderte, verroht und verarmt, im Krieg um Land, Reichtum und Ehre gebracht. Raubritter. Sie haben – zumindest im Sprachgebrauch – überlebt, bis heute. Wo gezockt und geplündert wird, Anstand und Moral verloren gehen, da sind «Raubritter» unterwegs. Zwei Begriffe werden da – fast schon zwingend - miteinander verknüpft: Raub und Ritter. Der Adel bediente sich einst der «Ritter», gepanzerten Reitern, die sich dem Kampf um Geld, Ruhm und Ehre stellten und dafür in den «Ritterstand» (niedriger Adel) erhoben wurden. Doch wenn die Siege ausblieben, die erwarte Beute fehlte, da wurde gestohlen und geraubt: eine Kombination von Diebstahl und Nötigung. Kein Wunder, dass sich das mittelalterliche Bild des Raubritters bis heute erhalten hat. Der Adel entfaltet sich nicht mehr aus dem Blut, sondern aus dem Geld. Das Schwert – die Gewalt – wird ersetzt durch «Boni», vertuschte Habgier. Was dabei vergessen wird, das ist die Kehrseite des Ritters, die Tugend, gekleidet in Begriffe wie "mâze" (Mässigung), "milte" (Freigiebigkeit), "zuht" (Anstand), "manheit" (Tapferkeit), "êre" (ritterliches Ansehen, Würde). Dem Alt- oder Mittelhochdeutsch sind Raubritter von heute kaum je begegnet, auch wenn diese in der Sprache unserer Zeit ganz anders klingen: etwa wie «moderation», «generosity» «decency». Dafür ist im modernen Raubrittertum kein Platz.                                                                                        (254)                    

24. März 2023

 

Verschwörung

von Peter Züllig

 

Corona hat sie nicht geschaffen, vielmehr hochgespült, die Erzählungen – auch Narrative genannt – rund um Ursachen und Wirkungen, um (mehr oder weniger) geheime Kräfte und Theorien, um bewusste, systematische Zerstörung und Heilslehren aller Art. Es sind Theorien, die Unfassbares fassbar machen und Schuldige präsentieren, Die auch fassbar sind, weil sie einen Namen haben, eine Adresse, meist auch mehr Geld (als andere), mehr Macht (in bestimmten Bereichen), auch viel vermeintliches Wissen (mehr als andere) und scheinbar die Durchsicht. Daraus entsteht – vorwiegend im Umfeld von Verunsicherung und Angst – ein seltsames Gebräu aus geheimen Mächten, negativen Kräften und abstrusen Behauptungen (die sich nicht beweisen lassen), aber – sofern man ihnen glaubt – plausible Erklärungen bieten. Verschwörungstheorien! Sie entstehen wie aus dem Nichts, ähneln sich aber über Jahre, Jahrzehnte, ja Jahrhunderte. Geschlachtete und verzehrte Säuglinge gehören genauso dazu, wie Absprachen (früher hinter dem Ofen, in verschlossenen Stuben), als auch (heute) implantierte Chips, unheimliche (nicht sichtbare) Strahlen und zerstörerische Wipes. Es treten Experten auf, zuhauf, welche ihre Mixt-Getränke bewirtschaften, grösstenteils rhetorisch geschickt, häufiger noch ideologisch verankert, begleitet von eher stillen, schwärmerischen Fans und lautem (Kuhglocken-) Geläut.. Ob Pandemie, Krieg oder Naturkatastrophe, das Verschwörung-Narrativ bietet immer Linderung                                                                                                           (253)      

14. März 2023

 

Abmelden

von Peter Züllig

 

In unserer Familie zirkuliert eine kleine Geschichte: In einem militärischen WK hat ein Soldat seinen Standort kurzfristig verlassen, weil sein Kamerad dringend Hilfe brauchte, um ein Geschütz zu positionieren. Als er zurückkehrte, wurde er vom Offizier angeschnauzt: «Warum haben Sie sich nicht abgemeldet?» Der Soldat: «Ich habe gedacht, es ist…» Der Offizier: «Pionier X., weniger denken, mehr abmelden!» Seither hat das «Abmelden» ein besonderes Gewicht bei unserem Verhalten. Es steht Denken oft im Weg. Tatsächlich wird «abmelden» immer häufiger zum Problem. Wie, wo und wann kann, muss man sich abmelden, sobald man nur die kleinste Verpflichtung eingegangen ist. Vielleicht nur mit einem kleinen Klick am Computer auf das Kästchen mit der Bezeichnung «einverstanden?» Dahinter lauert fast immer das berüchtigte «Kleingedruckte». Und schon hat man – rechtlich gesehen – einen Vertrag unterschrieben. Es wird viel, eigentlich alles getan, um das «Abmelden» zu erschweren. Der Zauberlehrling scheint omnipräsent zu sein. Versteckte, oder keine erkennbaren Ausstiegsmöglichkeiten sind fast schon die Regel. Nicht selten mit Verpflichtungen, die darauf abzielen, den Verstand auszuschalten und mitunter auch recht kostspielig sein können. Mit offenen Toren (und schönen Worten) wird man empfangen, aber auf holprigen, unwegsamen Pfaden entlassen. Heute leider der gängigste Geschäftstrick. Grund genug, dem Rat des Offiziers doch zu folgen: «Weniger denken, mehr abmelden!» Noch besser: «Mehr denken (sich orientieren, erkundigen) und weniger anmelden.»                                                                                            (252)            

28. Februar 2023

 

Früher

von Peter Züllig

 

Ein Begriff, der für die einen rettender Anker, für andere der wahre Horror ist. Mit dem Wort  verbindet sich – gewollt oder ungewollt – meist eine Kernbotschaft. Etwa die: «Da war alles besser!» Ab und zu auch: «es war viel schlechter». Ich ertappe mich selber, das harmlos (doch ominöse) Wort oft zu verwenden, jetzt im Alter immer häufiger. Dabei habe ich mir gelobt, es – wenn ich einmal alt sein werde – gründlich aus dem Sprachschatz zu streichen. Früher war dies kein Problem, das «Früher» noch nicht alt und das Später weit weg. Eigentlich ist «Früher» kein zeitlich undefinierter, ja zeitloser Begriff, der nur eine Richtung anzeigt: nämlich zurück. Zurück, in das, was gewesen ist oder in der Erinnerung gewesen war. Doch in der Erinnerung vermischen sich Wunschdenken und Realität, Gefühltes und Erlebtes, Erhofftes und Verdrängtes, als wäre all das (und noch viel mehr) in einem Mixer zu einem Brei zusammengeführt worden. Zu einem Mixt-Produkt, das die Etikette «Früher» trägt. Ein pauschales Urteil lässt da nicht lange auf sich warten: Es war halt damals (eben früher) besser oder schlechter. Nur eines steht fest: Gleich war es nie, das lehrt die Erfahrung. Sie hat uns beigebracht: Der Augenblick – das Jetzt – ist nie so, wie das Vorher und auch nicht wie das Nachher, das Gestern nie so wie das Morgen. Die Erinnerung schafft daraus Werte, die wir gern vergleichen, meist um das «Jetzt» erträglicher zu machen. Da das «Früher» immer tiefer in mich einzudringen scheint, rette ich mich mit dem Gedanken an ein «Früher, das anders war.»                                                                                    (252)         

17. Februar 2023

 

TV-Rennen

von Peter Züllig

 

Wer kann wen austricksen? Privatfernsehen ist anstrengend, besonders bei unendlich langen Produktionen im Hauptprogramm der Privatsender. Zum Beispiel bei «Wer wird Millionär?» (RTL), einer Erfolgssendung, die seit 12 Jahren (in der Regel am Montag) ausgestrahlt wird. In der heutigen Fassung fast drei Stunden, unterbrochen (nebst den News um 22.15 Uhr) von mindestens 6 Werbeblöcken. Das sind nicht «Blöcklein», vielmehr massige Blöcke, die gebetsmühlenmässig immer wieder die gleichen Botschaften wiederholen, mit den gleichen Bildern, den gleichen stupiden Aussagen, oft mit einem penetranten Originellseinwollen.  Das zerrt an den Nerven, an der Freude am Fern-Sehen. Es gibt ein probates Mittel, diesen mutwilligen Werbe-Störungen auszuweichen. Die Sendung zeitversetzt anzuschauen: gute halbe Stunde nach Sendebeginn wird das Programm gestartet (also zeitversetzt). Dies soll zwar in naher Zukunft unterbunden werden (und ist ohnehin nicht bei allen Anbietern möglich!) Nach etwa zwanzig Minuten startet das eigentliche Rennen. Werbung gegen Zuschauerinnen und Zuschauer. Dann legt sich nämlich der erste Werbenebel über das Programm: geschlagene 8 Minuten lang. Den Nebel überspringen, zum Wiedereinstieg ins Programm. Dieses Prozedere wiederholt sich immer wieder (etwa nach zwanzig Minuten). Nach knapp zwei Stunden ist das Rennen gelaufen. Eingeholt! Die Zuschauer sind live dabei und können nur noch wegschauen, nicht mehr wegschalten was sie nicht wünschen. Höchste Zeit, den Fernseher abzuschalten. Die Bilanz des verhinderten Zeitdiebstahls: auf knapp 90 Minuten Programm entfallen mehr als 30 Minuten abgewehrte Werbung. Also ein Verhältnis von 3 zu 1. Ein Rennen, das mehr Ärger bereitet, als Spass macht.                                                                            (251)       

05. Februar 2023

 

Sturheit

von Peter Züllig

 

Sturheit gibt es überall, auch dort, wo «Mobilität» auf der Fahne steht. Zum Beispiel auch bei «Mobility», dem löblichen Unternehmen, das seit rund 25 Jahren Carsharing anbietet und ein wichtiger und effizienter Player in Bezug auf Umweltverträglichkeit sein kann. Schon seit der Zeit der Anfänge – Ende der 90er Jahre – bin ich mit einem Abonnement mit dabei, obwohl ich die Dienste wenig nutze und es sich noch in keinem Jahr ausbezahlt hat. Auch während der Corona-Zeit, wo allein schon die Möglichkeit der Nutzung reiner Luxus war. Gut 20 Jahre Solidarität und Unterstützung eines Gedankens, den ich für fortschrittlich halte. Nun aber ist – für mich – aus Altersgründen fast Schluss mit Autofahren. Also kündige ich – nach gut zwanzig Jahren – mein Abonnement samt Zusatzversicherung für Haftungsreduktion. Leider ein paar Tage zu spät, denn wer weiss nach so vielen Jahren den Vertragstermin. Die Rechnung kommt viel schneller, als das Ausfüllen der Austrittsformalitäten: Ein Jahr weiterbezahlen (inklusive Zusatzversicherung), so steht es im Vertrag. Wo kämen wir auch hin, wenn jeder machen würde, was er will, schon gar nicht vom Vertrag abweichen. Alte Kunden sind nicht gefragt, nur neue: «Ohne monatliche Kosten stehen dir während 3 Monaten über 3'000 Autos in der ganzen Schweiz zur Verfügung. Los geht's!» So die steht es in der Werbung. Beim Austritt ist dies anders. Da wird «Mobility» mit Kunden-Ferne oder eben «Sturheit» übersetzt.  (250) 

27. Januar 2023

 

S’Buebetrickli

von Peter Züllig


Wer Eishockey schon gesehen oder gespielt hat, kennt das «Buebetrickli». Es ist ein Spielzug, mit dem man den «Goalie» (Torwart) überlistet, indem der Puck von hinten um den Torpfosten geschoben wird. Weil die Aufmerksamkeit des Goalies vor allem nach vorne, auf das Spielfeld gerichtet ist, kann so mühelos ein Tor erzielt werden. Natürlich weiss das auch der Goalie, und ist entsprechend «auf der Hut» (Er macht den kleinen Raum dicht, zwischen Torstange und Schoner). Eine vergleichbare Situation erleben wir im Alltag. Da müssen wir fast dauernd Goalie spielen, um nicht (um buchstäblichen Sinn) Tore zu kassieren. Auf dem Spielfeld des Alltags tummelt sich der Angreifer, in Form von Werbung, der versucht möglichst viele Tore zu erzielen. Die Verteidigung (in Form von Vorschriften und Gesetzen), die dem «Goalie» eigentlich beistehen sollte, wird ausgetrickst oder/und ist zu schwach. Ein Tummelfeld, das «Buebetrickli», kennen und nutzen Angreifer bestens. Beispiele: Ohne schriftliche Kündigung (bis dann und dann…) läuft das Abonnement, der Vertrag, die Lieferung… weiter. Selbst die SBB nutzt diesen Trick bei der Erneuerung des  GAs (Generalabonnement) (besonders perfid für älteren Menschen, die halt mal etwas vergessen oder übersehen). Im Internet sind die «Buebetrickli» allgegenwärtig: Der Ausstieg (meist mit einem X markiert) ist nicht zu finden oder so gelegt, dass man ihn kaum sehen kann. Das Wort «gratis», fettgedruckt, klein und ganz verschämt: "nach den ersten … Tagen oder Wochen, kostet es ...pro Monat, pro Jahr..." Websites von Anbietern, auf denen alles zu finden ist, nur nicht, wie man aus der einmal gewählten Abhängigkeit wieder aussteigen kann. Das «Buebetrickli» gehört längst zu den Spielzügen im Alltag.                                                                           (249)

18. Januar 2023

 

Wenn der Bock zum Gärtner wird

von Peter Züllig

 

Dies ist nicht nur eine geläufige Redewendung, viel öfter eine Scheinlösung für anstehende Probleme. Besonders häufig angewendet auf dem politischen Parkett. Nicht nur in der Schweiz. Da auch, immer wieder, in allen Gremien, bis in den Bundesrat. Doch für einmal ist der Bock ein Ausländer, Maire (Bürgermeister) einer grossen Gemeinde. Es ist einer dieser gewählten Mannen und Frauen, die bei öffentlichen Amtshandlungen die Trikolore-Schleife tragen, mit goldener Quaste, streng reglementiert von der rechten Schulter zur linken Seite, ein Symbol der Macht und Würde. Es geht in dieser Kolumne aber nicht um eine politische Ausrichtung: rechts, links, irgendwo dazwischen oder daneben. Es geht um die Verödung der Dorf- und Stadtzentren. Ein Phänomen, das immer mehr beunruhigt, erschreckt und längst die ganze Region erfasst hat. Als Folge einer Politik, die auf Wachstum und Grösse ausgerichtet ist. Da muss etwas geschehen, meinen jetzt auch die Politiker. Sie gründen – mithilfe des Staates – eine hochoffizielle Institution zur «Revitalisierung der Zentren in Gemeinden und Städten». Eingesetzt als Präsident ist – wohl von Amtes wegen – jener Bürgermeister, der die grösste Trikolore trägt, also am meisten Macht und Würde verkörpert und «sein» Stadtzentrum in seinen drei Amtsperioden tüchtig veröden liess. Das jüngste Vermächtnis seiner Wachstums-Politik (noch immer im Bau): gigantische Türme, Kolosse für Luxusappartements (zu kaufen ab 265`000 Euro, die bescheidensten, ohne Meersicht). Moderne Monster, die das Siedlungszentrum nicht nur überragen, sondern erdrücken und bald einmal überwuchern werden. Und der Bock steht da (zwar ohne Trikolore, im eleganten, smarten blauen Anzug). Jetzt ist er der Gärtner, der es zu richten hat.                                       (249)      

03. Januar 2023

 

Wau, wau!

von Peter Züllig

 

Ob Sonnenschein oder Regen, Wind und Wetter, Kälte und Hitze… sie sind immer mal unterwegs, meist gesittet, an kurzer Leine, am Wegrand. Dann aber – am Rand der Wiesen und Wälder – oft auf Trampelpfaden – werden sie losgelassen, damit sie das tun können, was sie eigentlich tun möchten, Hund sein. Die Autos ihrer Stiefeltern stehen – Tag für Tag – zu fast allen Zeiten – etwas abseits vom Verkehr, auf meist kleinen, unbenutzten Plätzchen, dort wo ein Fussweg abzweigt, oder die Strasse in weiser Voraussicht für späteren Ausbau, etwas breiter wird. Es sind Merkzeichen der Zivilisation – mitten in eher wenig begangenen Landschaften. Merkzeichen, die immer wieder Farbe und Form, Grösse und Statur ändern. Von der prächtigen Limousine bis zum bescheidenen Mini. Wenn es Kalt und Nass wird, die Äcker, Strässchen oder Wiesen aufgeweicht oder schmutzig sind, finden aufwändige Rituale statt, bis die Lieblinge – die wieder nach Hause gebracht werden müssen – möglichst sauber und trocken – verstaut sind, und zwar unter Berücksichtigung vorgegebenen Bestimmungen für die Verkehrssicherheit. Da auch ein Hund die Abwechslung liebt – so jedenfalls argumentieren ihre Stiefeltern – wechselt das Bild des lokalen Hundetourismus von Tag zu Tag: mal rot, mal blau, mal auffällig pink, mal in bescheiden dunklen Farben… Unregelmässig, aber in einem schlecht abzuschätzenden Rhythmus, wiederholen sich die Prozesse. Man kennt sie bald einmal, die fremden Kinder und ihre Stiefeltern. Und sei es nur am vertrauten täglichen Wau, Wau.               (248)         

17. Dezember 2022

 

Hallo Leben!

von Peter Züllig

 

Mit gedämpfter Heroldstimme vorgetragen, untermalt mit Musik, begleitet von triumphalen Bildern: «Momente für die Ewigkeit!» Keine theatralische Szene im Gottesdienst, keine Aufforderung die Augen zum Himmel zu erheben, kein Kommentar zu göttlicher Inspiration. Vielmehr finale Aussage in einem Werbespot am Fernsehen. Erst noch wiederholt, wiederholt, wiederholt in allen «kurzen Pausen» von sportlichen Leistungen. Da kann sich der nächste Spot nicht zurückhalten und empfiehlt, der Logik angepasst: «Vergiss das Schwitzen – geniesse das Leben!» Apropos Leben. Was soll man mit ihm tun? Natürlich: «Das Leben leben!» Höchste Zeit, es auch zu begrüssen: «Hallo Leben!» Nachgeschoben eine ultimative Selbsterkenntnis der Werber: «erfinden, erschaffen, um alles etwas besser zu machen». Ist das der «neue Alltag», den uns die Werbung verheisst? Da wird im nächsten Spot unverblümt verlangt; «Poste neue Flexibilität!» Aber wo soll ich sie «posten»? In den immer pathetischeren, hohleren, nichtssagenden Werbe-Slogans wohl kaum. Da geht es fast nur noch um das Grosse, das «Leben», um «Ewigkeit», um «lichte Höhen». «Hallo Inspiration!», «Hallo Verstand!               (247)           

09. Dezember 2022

 

Beamten

von Peter Züllig

 

Es gibt viele Witze zu sturen, trägen oder paragraphen-reitenden Beamten. Zu Recht, zu Unrecht? Folgendes Erlebnis gibt eine Antwort. Nicht die einzig mögliche, aber eine mit Hintergrund. Wir fahren in die Ferien, durch Frankreich, ans Mittelmeer. Nicht mit dem Auto, mit dem Zug. Dafür haben wir eine «Vorteilskarte» (zu 40 Franken pro Person), zusätzlich natürlich die Fahrkarten und Reservationen. Von Genf bis Valence (etwa halbe Strecke) werden wir nicht einmal kontrolliert. In Valence steigen wir um, auf den schnelleren TGV. Elektronische Kontrolle (QR-Code um auf den richtigen Bahnsteig zu gelangen). Da ist es passiert: Wir steigen in den falschen (ein paar Minuten früher fahrenden) Zug und landen in Avignon (statt in Montpellier). Ärgerlicher Zeitverlust. Denn auch von Avignon gibt es eine direkte Verbindung zu Zielort. Doch, jetzt brauchen wir nicht Computer, sondern einen leiblichen Beamten. Der Schalter ist – Samstagnachmittag – verweist (trotz vieler Wartenden vor verriegelter Tür). Ein Uniformierter (wohl Sicherheitsdienst) gibt uns aber Auskunft: «Aucun problème! Im Stadtbahnhof sind die Schalter geöffnet». Also nichts wie los: die eine Station vom Gare-TGV zum Hauptbahnhof (in der Tasche ein gültiges Billett ans Meer). Doch da erscheint erstmals ein Beamter (Kondukteur) und der sieht «beamtenrot». Vier Kilometer von Avignon nach Avignon mit falscher Fahrkarte! Das gibt eine Busse. 10 Euro pro Person. Und dies sei erst noch «gnädig"! In Avignon warten wir eine Stunde in der Schlange vor dem Schalter um das Problem zu regeln. «Aucun problème!». Natürlich ein neues Billett. Das kostet für die rund 350 Kilometer bis zum Zielort 12 Euro (mit Vorteilskarte!), also fast so viel wie die vier Kilometer von Avignon nach Avignon. Mit vier Stunden eigen verschuldeten Verspätung erreichen wir unser Ferienort. Was sticht mir da als Erstes ins Auge? Ein grosses Plakat: «Fünfundvierzig Prozent Rabatt auf jede Vorteilskarte. Profitieren Sie jetzt!» Ein einziger Beamter ist also fähig, eine grossangelegte Werbeaktion mit einem Schlag zunichtezumachen. Ganz einfach: indem er tüchtig beamtet.                              (246)           

16. November 2022

 

Ein Dorf verschwindet

von Peter Züllig

 

Es muss nicht alles so bleiben, wie es einmal war. Nicht weiter schlimm: Dann wird das Dorf halt eine Stadt. Denn ein Dorf «rentiert» - laut Politiker - schon lange nicht mehr. Die «Noch-nicht-Stadt» auch nicht. Das Dorf: nur ein unrentables Einwohner-Konglomerat, seine Einwohner eine Manövriermasse, vom «freien Markt» getrieben. Die gewählte Behörde denkt (zwar ungern) an Rettungs- und Abfederungsmassnahmen. Mehr nicht. Wo der Markt das Zepter schwingt, hat eine Behörde nichts zu suchen. Einzig, kurz vor den Wahlen, sieht es (zumindest auf dem Papier) anders aus. Da werden Einwohner (für ein paar Wahlkampfwochen) zu «Bürgern», mit einer Stimme. Doch der Untergang des Dorfs ist längst im Gang, markiert mit Rückzug, Schliessungen, mit «Outsourcing» (Ausgliederungen von Funktionen). Zuerst waren es die Dorfläden, der Metzger, die Bäcker, das Fachgeschäft für… Dann gingen Restaurants, eine Bankfiliale, das Café… Ein paar der entstandenen «Leerplätze» wurden zwar gefüllt und/oder in «rentablere» Betriebe umgestaltet. Jetzt ist auch die Post weg, die Kantonalbank, bald der Bahnschalter… Der Mensch, Bürger genannt, hat sich gefälligst an Automaten zu gewöhnen und an den wohl «mächtigsten» und gefügigsten Nachbarn, den Computer. Das Dorf versinkt allmählich in ihren Klicks und Klacks. Leben im Dorf braucht es nicht mehr. Sollte es noch ein paar Alte geben, ein paar Behinderte, ein paar Menschen ohne Autos, die auf Umwelt und Klima bedachte sind, ein paar Wirrköpfe, die sich sogar dem Smartphone verweigern, ein paar… Ihnen sei Trost: alle vier Jahre werden sie wahrgenommen und auch gleich wieder überstimmt, vom einzig gültigen Leitbild:
Rendite.                                                                                                           (245)         

23. Oktober 2022

 

Maske ab! Nachtrag

von Peter Züllig

 

Meine letzte Kolumne hat diesen Nachtrag ausgelöst. Ich erzähle vom Erlebnis meiner Nachbarn auf einer Zugfahrt von Deutschland (Bayern) in die Schweiz. In etwa die gleiche Durchsage – wie kürzlich in meinem Zug - am Lautsprecher: «Die Maskenpflicht ist aufgehoben, wir sind in der Schweiz.» Doch das scheint – zumindest der Kondukteurin - nicht zu genügen. Sie ist ganz in ihrem Berufs-Element: «Kontrolle». Nur, die Beamtin verwechselt Billette mit Masken. Eine Familie (mit zwei Kindern) im Abteil nebenan hat die Masken noch auf. Die eifrige Kontrolleurin: «Sie müssen die Maske abziehen, wir sind jetzt in der Schweiz!» Von «müssen» ist da wohl nicht die Rede, eher von «können» oder «dürfen». Beim nächsten Kontrollgang wird die übereifrige Uniformierte noch deutlicher: «Wir sind jetzt in der freien Schweiz! Ziehen Sie die Masken aus». (Ob sie «bitte» gesagt hat, weiss ich nicht). Doch die Familie behält die Maske an, «wir sind ja in der freien Schweiz». Weil im Bereich der Grenze der Zug mehrmals kurz nacheinander anhält, macht die eifrige Frau in Uniform bald darnach nochmals einen Kontrollgang. Jetzt ist ihr die (immer noch) maskentragende Familie ein echtes Ärgernis. Sie wird ausfällig: «Nun haben Sie die Masken immer noch an! Ziehen Sie diese ab! In der «freien Schweiz» brauchen wir das nicht! Die renitente Familie ist sprachlos. Ich bin es auch!         (244)

09. Oktober 2022

 

Maske ab!

von Peter Züllig

 

Wer Militärdienst geleistet hat, der kennt die unbeliebten Befehle: «Helm auf, Helm ab – Helm auf, Helm ab…!» Immer wieder geübt, weil lebenswichtig im Kriegsfall. Der Sinn ist allen klar: Es geht im Ernstfall um eine vorbeugende Schutzmassnahme, um Personenschutz. Nur, wann ist der «Notfall» auch da? Und: muss die Situation geübt werden? Bei Helmen ist die Einsicht weitgehend vorhanden, bei der Maske weit weniger, da muss auch nicht «geübt werden». Befehle seien fehl am Platz, hört man. «Individuelle Freiheit», wird angeführt, Eigenverantwortung, Zweifel an der Wirksamkeit… Auch ein Notfall kann es nicht sein. Es heulen keine Sirenen, es fällt nichts auf den Kopf, das verletzen oder gar töten könnte. Viren sind unsichtbar. Das Sich-schützen: reine Privatsache. Weil das mit der Eigenverantwortung – vor allem in Situationen, wo Menschen sich begegnen – nicht so richtig «klappen will», weil da die Meinungen auseinander gehen und eine unmittelbare Gefahr nicht sichtbar ist, wurden Bestimmungen, Gesetze, Verordnungen geschaffen, die in bestimmten Situationen und an definierten Orten das Maskentragen «befehlen». Nicht militärisch durchgesetzt und geprüft, eher der Vernunft und Einsicht überlassen. Auch der Verantwortung gegenüber dem (räumlich) Nächsten. In Deutschland – zum Beispiel – herrscht noch immer Maskenpflicht im Zug, im Bus, im Tram. In der Schweiz nicht mehr. Also tragen in Deutschland (fast) alle Reisenden eine Schutzmaske in den "Öffentlichen Verkehrsmitteln". Bei der grenzüberschreitenden Fahrt von Deutschland in die Schweiz eine Verkehrsdurchsage: «Wir sind jetzt in der Schweiz. Die Maskenpflicht ist aufgehoben.» Alle Reisenden – wirklich alle – reissen sich sofort die Maske vom Gesicht, weit schneller als Helme bei einer militärischen Übung. Es sieht so aus, als wären alle Insassen des Zugs von einer Tarantel gestochen, als hätte ein Offizier gebrüllt: «Maske ab!». Viren haben sich an bitte auch an Grenzbestimmungen zu halten!            (243)        

27. September 2022

 

Krise des Buchs

von Peter Züllig

 

Das Börsenblatt meldet: «Immer weniger Jugendliche lesen Bücher». Lehrer und Erzieher klagen: «Krise des Buchs». Das Bücherregal in der guten Stube, Visitenkarte des Bildungsbürgers, wurde längst verbannt. Bits und Bytes haben die Macht übernommen. Sie sind bequemer und verflüchtigen sich rascher. Und die, die sich professionell mit dem Buch befassen, jammern und rufen nach Subventionen für ihre Leistung als Gralshüter der Bildung. Sie tun so, als wären sie ewig jammernde Bauern. Beide, Bauern und Buchhändler sind zuständig für unsere Landesversorgung, die einen für die Bäuche, die andern für die Köpfe. Und sie sind gnadenlos. Bücher, zum Beispiel, sind im Ausland mehr als ein Drittel billiger. Warum? Das kann kaum jemand glaubwürdig begründen. Bauern und Buchhändler, sind geschützte Institutionen, quasi systemrelevant! Doch die Alltagserfahrung (und Wahrnehmung) ist eine andere: Buchhandlung im Bahnhof der grössten Stadt der Schweiz. Mein Anliegen: Kauf eines aktuellen Bestsellers von einem Schweizer Autor, herausgegeben in einem renommierten Verlag. Im Augenblick nicht auffindbar, nicht erhältlich. Immerhin werde ich von der netten Verkäuferin zur Konkurrenz geschickt. Ein anderes Beispiel: Bestellung bei einem Buchklub. Eher ein Aussenseiterbuch, aber durchaus aktuell und noch im Programm (Motto: x-Prozent günstiger!). Endlose Vertröstungen, bis – nach längerer Zeit – die Bestellung gestrichen wird. Begründung: nicht erhältlich. Also: Bestellung bei einem noch grösseren Internet-Anbieter. Zwei Tage später ist das Buch (per Post) da. Noch ein Beispiel. Situation in einer etwas kleineren – aber bekannten Buchhandlung – wo wir schon als Studenten Literatur gesucht und bezogen haben: «Der rote Diamant» von Thomas Hürlimann liegt natürlich auf. Doch die Verkäuferin ist so mürrisch und unfreundlich, dass ich daran bin, die Buchhandlung (ohne Kauf) zu verlassen. Alles nur Zufall? Oder vielleicht doch mit ein Grund für die viel zitierte «Krise des Buchs.»                                           (242)                      

13. September 2022

 

Hugh!

von Peter Züllig

 

»Uff! Uff! Uff!» -  Winnetou? Nein, SVP. Die «Jungen» der einstigen Bauernpartei, BGB (Bauern-, Gewerbe- und Bürger, gegründet 1936), blicken sehnsüchtig zum grossen «Manitou» der Schweiz, Christoph Blocher, der zwar nicht den «Apachen», sondern der serbelnden SVP (Nachfolgepartei der BGB, gegründet 1971) in den frühen 90er Jahren neues Leben eingehaucht hat. Die «Jungen» haben von ihm gelernt, wie man Kämpfe angehen und Feinde besiegt. Blocher ist zwar kein «Winnetou», der bei Karl May viel zu aufrichtig, zu edel, gar nicht hinterlistig und verschlagen ist. Schon eher Old Shatterhand, der Alleskönner, der Listige, der jede Spur richtig lesen und jeden Gegner mit der Faust besiegen kann. Heldenfiguren! Diese Verwandtschaft wird dokumentiert durch der Petition der «Jungen SVP»: «Rettet Winnetou». Eine Petition, lanciert von David Trachsel, dem Präsidenten der JSVP, geboren 1994, rund 30 Jahre nach dem Hype der Karl-May-Filme und fast 100 Jahre nach dem Höhepunkt der Bucherfolge des Schriftstellers.  Vielleicht haben die Youngster irgendwann eine Wiederholung der verstaubten Karl-May-Western gesehen, aber mit ziemlicher Sicherheit keines der Karl-May-Bücher gelesen. Doch auf die Kriegsspur sind sie rasch eingeschwenkt. Ginge es dabei um die Buch- und Filmwelt von Karl May, wären sie viel vorsichtiger, zurückhaltender und nicht so lautstark aufgetreten. Bei Karl May gibt es nämlich auch einen «Santer», einen «Rollins», einen «Oelprinzen» und Werke wie «Und Frieden auf Erden»… Da gibt es so manche Themen, die viel mehr mit der Heldenverehrung und der Politik der SVP zu tun haben. Viel mehr als der «Woke-Wahnsinn» den die JSVP gerade auf ihre Fahne geschrieben haben. Bewirtschaftung eines hochemotionalen Themas. Winnetou würde sagen: «Hugh!» ("Ich habe gesprochen»).                                                                           (241)                           

03. September 2022

 

In eigener Sache:

 

Lohnt sich nicht!

von Peter Züllig

 

Tischleuchte, Chrom, elegant, «modern style» – ein Weihnachtsgeschenk, meine Wunschleuchte, vor ein, zwei Jahren erhalten. Sie steht noch immer auf dem Tisch und wird gebraucht. Doch sie leuchtet nicht mehr. Die beiden Sparlämpchen – noch nicht LED – werden noch verkauft, sind aber schwierig einzusetzen. Es leuchtet das eine Mal rechts, das andere Mal links. Wohl ein «Wackelkontakt». Leuchte eingepackt, Fahrt zum Einkaufszentrum, wo sie – noch nicht vor allzu langer Zeit, gekauft worden ist. Früher gab es im Dorf (oder in der Nachbarschaft) noch ein Elektrogeschäft, jetzt muss man (mit dem Auto) zum Einkaufszentrum auf der einst grünen Wiese.  Im ersten Geschäft – einem bekannten Warenhaus – wo die Leuchte (gemäss der Erinnerung) erstanden wurde: «Diese Marke führen wir nicht». Immerhin – im Kundendiensts - ein Griff zum Katalog: «Die Leuchte wird im Geschäft XY angeboten. Gehen Sie dahin!» Es ist in der gleichen Einkaufsmeile. Wiederum zum Kundendienst, sofort die Frage: «Haben Sie eine Kaufquittung oder das Datum des Kaufs?» - «Nein, es war ein Geschenk» - «Wir reparieren nichts, tauschen nur aus, und das nur in der Garantiezeit.» - «Aber es handelt sich nur um einen «Wackelkontakt», sonst ist die Lampe noch vollwertig.» - «Kaufen Sie sich eine neue, sie sind ohnehin günstiger geworden und erst noch LED. Vorne links, zweites Regal rechts» Es bleibt nicht viel andere übrig, als mit einem neuen Modell heimzufahren. Das alte – viel schönere, weit teurere – bleibt zurück, zur Entsorgung. Wie lange können wir uns diese Wegwerfmentalität noch leisten? (240)                            

24. August 2022

 

In eigener Sache:

 

Smartphonie

von Peter Züllig

 

Menschen jeden Alters, die an dir vorbeigehen und sprechen, intensiv, leise, mit Betonung, ja mit Gefühl. Die selig lächeln, dich aber gar nicht sehen, die die Augen schliessen, verdrehen, den Mund verziehen, die Augen rollen, ein Wort oder eine Silbe betonen oder gar laut aussprechen, etwas rufen, aber grad wieder mäuschenstill sind, die ins Leere lauschen… Sie alle haben eine Geliebte, einen Geliebten, das Smartphone und – wenn es gut geht – einen Knopf oder gar zwei Knöpfe im Ohr. Sie gehen an dir vorbei, ohne dich wahrzunehmen, setzten sich auf einen freien Platz – vor- oder neben dich, überholen dich, überrennen dich, weil sie so konzentriert, ja fixiert auf etwa sind, das nicht zu sehen ist, was man nur erahnen, sich vorstellt kann: ein Partner, ein Geliebter, ein Kind, der Vater, die Mutter… Etwas, das unendlich viel Geduld hat, ständig in den Raum hört, dem Gesäusel, dem Flüstern lauscht, präsent ist und doch nicht da. Der, der da ist, benimmt sich, als hätte er einen Astralleib, der durchaus Platz beansprucht und Raum belegt. Es gibt auch jene, ins Gespräch getauchte, versunkene Menschen – meist älteren Jahrgangs – die kein weisses Ding im Ohr haben, etwas lauter reden, auch pausenlos den zufälligen Nachbarn signalisieren: da ist noch jemand, ein Anderer, eine Andere, eine Stimme, gedämpft zwar, aber hörbar. Sie nimmt Raum ein, immer mehr, man kann sie nicht abstellen, aussperren. Sie plätschert so dahin, ruft, schimpft, lispelt, interaktiv, mal der (oder die) eine, mal der/die andere. Unsichtbares, das da ist, aber nicht gesehen werden kann und Sichtbares, das gesehen werden kann, aber nicht da ist. Ein Leib, der sich Platz schafft, für sich und den Anderen, der nur eine Stimme hat, keinen Leib hat, nur die Form eines Smartphones!                    (239)                            

12. August 2022

 

In eigener Sache:

 

Choissisez la simplicité!

von Peter Züllig

 

Noch direkter: «Vereinfachen Sie Ihr Leben!» Wer möchte dies nicht tun? Der Slogan hat mich überzeugt und verführt. Ich setzte mich an den Computer und befolgte die Ratschläge. Meistens waren es sogenannte «apps» (Applikationen), die man herunterladen kann, ja soll: Apps von der Post, der Bank, der Bahn, der Versicherung, dem Fernsehen, der Zeitung… Kurzum, sie verbinden uns rasch und gründlich mit der Welt des Konsums. So dachte ich, als ich die ersten paar Apps auf dem Handy oder Computer hatte. Doch ganz so einfach waren sie nicht, diese lebenserleichternden Applikationen. Es wurde sogar zusehends schwieriger, ein geschicktes Navigieren zwischen all den Möglichkeiten, den erforderlichen Zustimmung, Erlaubnissen (zum Beispiel auf den Computer zuzugreifen), zulässigen Passwörtern, verführerischen Hyperlinks, sinnvollen Speicherungen und, und, und… Inzwischen haben sich bei mir etwa 50 Passwörter angesammelt. Man soll ja – gemäss Sicherheitsempfehlungen kein Passwort mehrfach verwenden (sogar öfters wechseln). Etwa gleichviel Apps belagern rasche den Speicher. Allmählich entsteht ein schreckliches Durcheinander, nicht nur im Computer, auch in meinem Kopf. Apps, wie, wo, wann, was, wofür? Immer mehr Bestätigungen, Eingaben, Verknüpfungen (angeblich für mehr Sicherheit). Ohne wenigstens ein Häkchen für das Lesen der AGBs (Allgemeine Geschäftsbedingungen) geht schon gar nichts. So viel Lesen, Mir-merken und Verstehen (in elektronischer Geschwindigkeit) ist für mich die reine Überforderung. Das Schummeln mit den Häkchen bei den AGBs lohnt sich nicht, denn da stecken auch restriktive Bedingungen und Verträge für Kosten, Zustimmung zu Abonnements und Bombardements mit Werbung etc. drin. Dinge, die das Leben nicht erleichtern, sondern komplizierter, teurer, und ganz und gar nicht einfacher machen.                                 (238)        

01. August 2022

 

In eigener Sache:

 

Wie immer

von Peter Züllig

 

Ferien sind Auszeit vom Alltag, vom gewohnten «Wie-immer», vom täglichen «Tramp». Sie beginnen mit der Ortswahl. Eine aufregende Sache, meist aufregender als der Ort, der schliesslich ausgewählt wird. Es folgen die Vorbereitungen, die Planung, die Erwartungen, die Träume. Soll Neues entdeckt oder Bekanntes wiederholt werden? Eine schwierige Entscheidung, wie immer. Dann, endlich kommt der Tag, wo es – für kurze Zeit – anders werden soll. Der aufregende Start zur Flucht vom Alltag, wie immer. Im Koffer, im Rucksack, in den Taschen, das, was mitgenommen wird in die Auszeit, das Unverzichtbare. Und das ist recht viel, wie immer. Dann, der Weg, die Reise, der Flug, die Fahrt… mit Komplikationen, Aufregung, Fehlentscheiden, wie immer. Irgendwann ist man da, am Ziel, oder auf dem Weg, der das Ziel sein kann, wie immer. Doch, so schnell lässt der Alltag nicht los, es fehlt das Vertraute. Das Gewohnte muss gesucht werden, wie immer. Klick, klick, klick, das Fremde festgehalten und mitgenommen, als Erinnerung gespeichert, wie immer. Wo es an Neuem zu viel ist, wird das Alte gesucht, das, was man mitgenommen hat, vom letzten Mal, von früher, aus den Erwartungen. Kramen in verlöschenden Träumen: vergleichen, vermissen, suchen, finden, erschrecken, wie immer. Es kommt der Abschied, das Verlassen, der Start in das Zurück. Teile der Träume sind eingelöst, werden zurechtgestutzt, verschoben auf ein nächstes Mal, wie immer. Und schon sind sie wieder da, die vertrauten Zwillinge: der Alltag und die Hoffnung auf die nächste Auszeit. Ferien sind nichts anderes, als das gewohnte
«Wie-immer».                                                                                        (237)                         

23. Juli 2022

 

In eigener Sache:

 

Vive le roi!

von Peter Züllig

 

Gäste sind Kunden und Kunden sind Könige, so ein beliebtes Mantra der Geschäftswelt. Der verlockende Spruch fällt rasch in sich zusammenfällt, sobald im Königreich die Kassen klingeln. Da werden nicht mehr Könige empfangen, sondern Kunden bedient, recht und viel häufiger noch schlecht. Besonders dort, wo Kunden schnell zu lästigen Eintagsfliegen mutieren, in touristischen Gebieten, mit ihren Saisons und Hochsaisons. Die Saisons sind – gemäss französischem Wörterbuch – immer wiederkehrende Zeitabschnitte im Jahr. Jahreszeiten.  Da heute im Tourismus nur noch Jahreszeiten vermarktet werden, hat sich eine weitere Jahreszeit entwickelt, die Hochsaison. Sie richtet sich nicht nach der Vegetation und kaum nach dem Wetter, vielmehr nach dem Bedürfnis der Menschen, in andere Welten einzutauchen, meist nur kurzzeitig und wenig orttreu. Da haben Königreiche keinen Platz, da wird der König zum «Hofnarr», der nur ernst genommen wird, wenn er seinen Beutel öffnet. Der nächste Narr – womöglich mit einem noch grösseren Beutel – ist in Sicht, die Rollen haben gewechselt, der König sitzt auf dem Thron (der Kasse). Er bestimmt Angebot und Preis und jagt die Menschen, die eben noch Könige waren, durch sein Reich. Um im Hochbetrieb nicht selbst unterzugehen, werden Verbote und Einschränkungen erlassen, die – sobald das «Hoch» weg ist – rasch verschwinden. Jetzt, wo die Kundenkönige nicht mehr da sind, werden die saisonalen Könige zu Bettlern, die um milde Almosen bitten, vom Staat und den wenigen Kundenkönigen, die noch geblieben sind.
Le roi est mort, vive le roi!                                                                           (236)                  

07. Juli 2022

 

In eigener Sache:

 

Der Zahn

von Peter Züllig

 

 Eigentlich fehlte mir nur eines: ein Zahn. Jetzt ist er wieder da. Nicht der gleiche, der ist längst entsorgt, ein neuer. Viel schöner als der alte, vor allem nicht so marode. Er glänzt unauffällig neben dem rechten Eckzahn. Es ist, als hätte man mir ein Stück Lebensfreude zurückgegeben. In der zahnfehlenden Zeit habe ich oft nachgedacht, über das was man hat, oder eben nicht hat. Vieles habe ich, wohl noch mehr möchte ich gerne haben. So ist es mit dem, was man hat oder nicht hat. Meist dreht es sich dabei um das Geld, das man nicht hat, um Wünsche zu erfüllen. Oder das Geld nicht ausgeben möchte oder nicht ausgeben kann, weil man daran denkt, was noch alles kommen könnte, für das Geld gebraucht wird.. Allein der neue Zahn kostet ein schönes Sümmchen. Allein der Gedanke, was meine 32 Zähne (oder sind es ohnehin nur noch 28) kosten würden, jagt mir ein Schrecken ein. Ein Alltagsdilemma, das die einen plagt, andere überhaupt nicht. Spätestens da tauchen – im Bewusstsein – Vermögensstatistiken auf. Zum Beispiel: «86 Prozent des Vermögens entfallen auf das reichste Fünftel der Schweizer. Die ärmsten 60 Prozent hingegen haben nur gerade 4 Prozent des gesamten Vermögens in der Schweiz». Populistische Schlagworte nur, ausgelöst durch einen verlorenen Zahn? Doch es geht weiter: Das Warten auf den neuen Zahn, die Unannehmlichkeit des Ersatzgebisses (mit nur einem Zahn), die legendäre Angst vor dem Bohrer (durch Medikamente erträglich gemacht), der kleine Rest an Schmerzen… Da schiebt sich noch etwas ins Bewusstsein: krank sein, Krankheit, Leiden. Etwas, das immer und überall auftauchen kann. Nicht erwartet, nicht gewünscht, nicht geplant. Plötzlich bin ich glücklich und dankbar: Mir hat nur ein Zahn gefehlt.                                             (236)       

26. Juni 2022

 

In eigener Sache:

 

Geschäftsmodell "Scheisse"

von Peter Züllig

 

Entschuldigung, es ist nicht mein Stil, über Fäkalienwirtschaft zu schreiben. Es ist nicht das, was ich als Journalist, als kritischer Zeitgenosse, der ab und auch sehr aufmüpfig und widerspenstig sein kann, gelebt und vertreten habe, beruflich wie privat. Es ist eine Haltung, ein Geschäftsmodell des Lebens, dass die Scheisse – auch sie ist ein Teil des Lebens – diskret, umweltverträglich und ohne Gestank entsorgt, früher, auf Wiesen und Äckern «der Natur zurückgegeben». Heute in Kläranlagen gereinigt, sodass das Leben erhaltende Wasser nicht verunreinigt wird. Der Mensch hat einen gangbaren Weg gefunden, um mit Scheisse, umzugehen, mit ihr zu leben. Es ist der Amerikaner, Steve Bannon, Journalist, politischer Berater, Führer rechtskonservativer Bewegungen, der in aller Öffentlichkeit ein neues Geschäftsmodell gepriesen hat: «Überflutet alles mit Scheisse» («Flood the zone with shit») Er meinte damit die Information, die Medien, die Kommunikation, das Narrativ. Die Scheisse ist die Lüge, heute vornehm mit «Fakenews» bezeichnet. Wahrheit und Lüge, Leben erhaltendes Wasser und Scheisse so eng vermengt, dass Klärung ohne riesigen Aufwand kaum mehr möglich ist. Ein stinkiges Geschäftsmodell, das Ethik ausschliesst, das Lüge zur Wahrheit und Wahrheit zur Lüge macht. Ich habe heute die «Weltwoche» gelesen und dann diese Kolumne geschrieben.                                                      (235)                     

09. Juni 2022

 

In eigener Sache:

 

Magie des Ortes

von Peter Züllig

 

 Es gibt Orte, die eine magische Kraft entfalten, eine geheimnisvoll wirkende Kraft entwickeln, die wir nicht so leicht deuten, eher spüren und erleben können. Oft sind es Orte der Erinnerung; Orte, wo etwas stattfindet oder stattgefunden hat; Orte, wo sich nichts oder viel bewegt, die man bewusst sucht oder zufällig findet. Sportplätze gehören zu solchen Orten. Bewusst ausgestattet, hergerichtet, damit Menschen – Sportler, Sportlerinnen – ihr Können, ihre Leistungen, ihre «Kunst» präsentieren. Da finden sich auch Menschen ein, oft sehr, sehr viele, die mit anderen Menschen, zusammen – im selben Augenblick, am gleichen Ort – nicht nur sehen, auch erleben, erfühlen möchten – was Sportler leisten, wie sie gewinnen, wie sie verlieren. «Zuschauer», die vor Ort sind – oft sogar weit vom Geschehen weg – um zu jubeln, sich freuen, staunen, bewundern, sich ärgern sich, als hätten sie selbst die sportliche Leistung erbracht und sich im Wettbewerb messen müssen.
Das Fernsehen hat dem Ort einen guten Teil seiner magischen Kraft genommen, jedenfalls für die, welche zu Hause vor dem Bildschirm sitzen, weit weg vom Ort des Geschehens. Zwar besser sehen können: näher, präsenter, genauer – interessante Szenen werden am Bildschirm sogar wiederholt, aufgelöst, gedeutet… Kurzum, man ist viel näher dran und doch viel weiter weg; man sieht mehr und doch viel weniger; man wird dauernd orientiert und erfährt doch nicht das, was man wissen möchte.
Kommentatoren und Kommentatorinnen, die wirklich am Ort des Geschehens sind, erzählen stellvertretend von ihrem Sehen und Erleben. Sie bringen die Magie des Ortes, des Augenblicks, der Umstände, des Ablaufs zeitnah ein und vermitteln etwas von dem, was Kameras und Mikrofone nicht erfassen. Sie ergänzen die Objektivität der Wettkämpfe mit der Subjektivität des Erlebens.
All das aber fällt weg, sobald das Geschehen fernab des Ortes «aus dem Studio» kommentiert wird. Da wird aus «Spargründen» die Magie des Ortes zerschlagen, zertrümmert. Da wird nicht mehr Geschehen vermittelt, da wird nur orientiert, erklärt, informiert, bestenfalls ergänzt (ohne unmittelbare Aktualität). Vor allem ohne den Zauber, ohne die Magie des Ortes und des Dabeiseins. Resultat auf die Länge: gähnende Langweile. Soeben habe ich dies erleben bei den Tennisübertragungen des Grand-Slam-Turniers in Paris.  Da fehlte nicht nur die Magie des Ortes, auch die Magie des Mediums. Eine "Sparübung", die nicht funktioniert hat.                                              (234)                 

25. Mai 2022

 

In eigener Sache:

 

Modern Times

von Peter Züllig

 

Sobald die Saison beginnt, kurz nach Ostern, ist das Parkieren auf den grosszügig angelegten nahen Plätzen kostenpflichtig. Unerbittlich öffnet sich die Schranke erst, wenn man ein Ticket gezogen hat. Und sie öffnet sich erst wieder, wenn für die Ruhestunden des Autos bezahlt wird. Längst gibt es die Parkwächter und den Kassierer nicht mehr. Sie wurden durch Kameras und Automaten ersetzt. Technik statt Menschen, das bewährte Konzept für Kostensenkung. Allerdings geht die Rechnung nicht immer auf. In Zeiten der Touristenflaute – hier in der Winterzeit – bleiben die Barrieren offen und die Automaten stillgelegt. Einladung zum Besuch der nahen Kommerzwelt, aber auch auffällige Objekt für Wutbürger und Randalierer. So ist es gekommen, dass Jahr für Jahr die Barrieren und Automaten ersetzt wurden durch immer neuere Systeme und Techniken. Angepasst an die vielen Zahlmethoden und den schnellstmöglichen Ablauf.
Neuster Hit: Registrierung mit der Kamera. Sie hat es auf das Nummernschild abgesehen. Klick, und die Schranke ist offen. Ein Billett gibt es nicht mehr, der unsichtbare «Grosse Bruder» hat alles gesehen und notiert. Schwieriger ist das Verlassen des Platzes mit dem Auto. Zuerst: Suche der wenigen Kassier-Automaten auf dem verwinkelten Areal. Diese stehen nicht am Schatten, sondern in der prallen Sonne. Wenig Chancen, auf dem dunklen Display etwas zu lesen. Die Sprache ausschliesslich Französisch, an einem Ort, an dem sich die touristische Welt trifft. «La Grande Nation» spricht halt Französisch. Der Ablauf ist kompliziert: Eingabe der Autonummer, es geschieht nichts! Nochmals! Vertippt bei acht Zeichen? Oder etwas falsch gemacht? Nach fünf Versuchen, an drei Automaten, mithilfe von drei geduldigen Passanten, meldet der Automat «vous avez déjà payé». Ratlosigkeit! Ich konnte ja noch gar nicht bezahlen! Dem «Grossen Bruder» hat man zu glauben. Ich wage die Ausfahrt, doch die Schranke öffnet sich nicht. Hinter mir hupende Autos. Vor mir eine weiss-rote Barriere. Wo man früher Münzen einwerfen konnte, viele Knöpfe. Das Abbild eines alten Telefonhörers ist verständlich. Der «Grösse Bruder» ist zwar eine «Grosse Tante, der Stimme nach. Sie hört und kennt offensichtlich mein Leiden. Hurra, der Schlagbaum öffnet sich. Nichts wie weg! Das Zentrum mit den Geschäften, Restaurants, Promenaden und dem «modernen» Parkplatz habe ich seither nicht mehr besucht. Hätte ich da mein Einkommen, ich würde die Stadt verklagen: Schädigung durch massive Behinderung.                                                                        (233)                    

15. Mai 2022

 

In eigener Sache:

 

Wir sagen nein!

von Peter Züllig

 

Sie müssen es falsch verstanden haben. Das postulierte «Nein heisst Nein» steht zur Diskussion für ein revidiertes Sexualstrafrecht und nicht für ein Parteiprogramm. Auch nicht für das, was die Politik, das Parlament, in aufwändiger Arbeit als Kompromiss (Kleinster Gemeinsamer Nenner) erarbeitet und «dem Volk» zur Beurteilung - an der Urne – vorlegt. Die Parlamente – zum grössten Teil auch die Behörden – sind so zusammengesetzt, dass (nach Proporz) möglichst viele Meinungen, Ansichten, Denkweisen in die Vorlagen einfliessen. Erst am Schluss wird an der Urne abgestimmt. Erst dann entscheidet – das meist knappe (denn die Vorlagen sind ja bereits Kompromisse) - «Ja» oder «Nein» über Annahme oder Ablehnung. Die Parolen der Parteien spiegeln diese, mal ist es ein «Ja», mal ein «Nein». Nur die SVP hält stur an ihren notorischen «Nein» fest. Am gestrigen Abstimmungssonntag waren es - bei den drei eidgenössischen Vorlagen - zwei «Nein», bei den vier kantonalen Vorlagen (Kanton Zürich) alle vier. Die SVP – im Proporz-Denken Mehrheitspartei – Ist zur Neinsagerpartei verkommen. Ein geistiges «Nein» beherrscht diese Partei: Abwehr, Angst, Schutz, Gefahr, nein, nein, nein… Dies ist die Sprache der Opposition, des Ausscherens aus der gemeinsamen Arbeit, an der man als grösste Partei (mit zwei Bundesräten) mitverantwortlich ist. Denkfehler oder bewusste Zerstörungspolitik?                   (232)
Hier alle bisher veröffentlichten Kolumnen                           

06. Mai 2022

 

In eigener Sache:

 

Liebe Post,

von Peter Züllig

 

 So hätte ich diesen Brief begonnen, wäre da in letzten Jahren nicht so vieles schiefgelaufen, das nicht einmal mehr die förmliche Anrede «Sehr geehrte Post» erlaubt. Es ist nicht nur Enttäuschung, es ist unglaubliche Wut, auf etwas, was mich ein Leben lang begleitet und meine höchste Achtung, Anerkennung, ja Vertrautheit und Liebe erworben hat. Nicht zuletzt, weil der letzte Posthalter unseres grösser werdenden Dorfes immer eine Lösung gefunden hat, auch wenn meine berufsbedingten Anliegen ab und zu ausser der Norm lagen. Nicht zuletzt, weil an unserem Ferienort der «Pöstler» 20 Kilometer zurücklegte, um auch uns (oft mit kleineren Paketen) täglich zu erreichen. Nicht zuletzt, weil der vertraute Postbote (der jeden Briefkasten im Traum finden würde) mit fröhlichen Pfeifen und netten Worten den Tagesablauf markierte. Nicht zuletzt, weil freundliche Menschen am Schalter für mich da waren.
Alles vorbei. Jeden Tag sucht ein anderer «Pöstler» unglaublich lange nach dem «richtigen Briefkasten», nach der richtigen Adresse. Das Pfeifen ist vergangen. Es pfeift ein anderer Wind. Rationalisierung, Rationalisierung, Rationalisierung… Computer erledigen herzlos, unkorrekt, die nicht immer ganz einfache Beziehung zur Post. Und vor dem Schalter warten fünf, ja zehn Postkunden – in einer Schlange – auf Bedienung und Beratung, denn nur ein einziger Schalter ist noch offen. Öffnungszeiten so eingeschränkt, wie in keinem anderen Geschäft im Dorf. Und dies soll, in ein paar Monaten auch vorbei sein. Die Post wird in die Ecke gestellt, im Dorfladen, zur blossen Manipulation verdammt. Wehe der Kunde drückt die falschen Knöpfe oder hat Mühe mit dem technischen Ablauf. Dann muss das Ladenpersonal – für ganz anderes ausgebildet – Erste Hilfe leisten.
Ja, einst geliebte Post, ich finde (ausser unziemlichen Schmähungen), leider keine passende Anrede mehr.                                                                          (231)                       

25. April 2022

 

In eigener Sache:

 

P-Versteher

von Peter Züllig

 

Verstehen (begreifen, erfassen, deuten etc.) hat mit dem Verstand, dem Intellekt, der Analyse, leider auch – bewusst oder unbewusst - mit der Neigung, der Erziehung, dem Weltbild zu tun. Man kann verstehen, debattieren, infrage stellen, nach Antworten suchen… Da reihe ich mich gerne ein, in die Gilde der Versteher und Versteherinnen (aller Art), selbst in die Reihe der P-Versteher. Doch jedes «Verstehen» hat dort seine Grenzen, wo es um Gewalt, Leid, Tod, Zerstörung, Krieg geht. Das hat mit Verstehen (eine Tätigkeit des Geistes!) nichts, aber auch gar nichts mehr zu tun. Vielmehr mit Machtausübung, mit Zwang, der Durchsetzung (des scheinbar Verstandenen) mit vernichtenden Mitteln, mit Gewalt, Bedrohung, Zerstörung und Tod. Mit der Vernichtung des Kostbarsten, das der Mensch hat, des Lebens. Das Verstehen wird von denen, die Verstanden-sein-wollen, delegiert an «Handwerker». Kriegshandwerker, welche ausüben, wofür sie bezahlt oder gezwungen werden. Die Versteher halten sich da draussen. In sicherem Abstand «verstehen» sie im Geist, mit Worten und, wenn sie Macht haben, mit Befehlen. Befehle zum Zerstören, zum Töten, zum Vernichten. Verstehen ist ein Akt des Abwägens, des Ausgleichens, des Erfassens, des Verhandelns… nie aber der Ausübung von Gewalt, der Durchsetzung von eigenen Interessen. Da kippt jedes Verstehen meist erst in beschönigende Lügen – mit «Narrativ»                                      umschrieben – bald aber in Durchsetzung von Macht (und auch Ohnmacht). Macht gegenüber über dem Leben – auch dem Hab und Gut – anderer. Aber auch in die Ohnmacht, diesen «Anderen» (jenen mit weniger Macht) zu helfen, sie zu beschützen. Scheinbar einzige Lösung: Krieg, ein «mit Waffengewalt ausgetragener Konflikt», der brutal - mit allen Konsequenzen (Flucht, Leid, Tod, Zerstörung) – durchgezogen wird. In der Sprache der Versteher: eine «militärische Sonderoperation». In den Worten der Macht: Ausrottung. In der Realität: Unterjochung.                                   (230)                      

14. April 2022

 

In eigener Sache:

 

Macht der Erinnerung

von Peter Züllig

 

Seit den frühen 70ern gibt es für mich kein Ostern ohne Osterhas und ohne Emils Ogtern. Es ist die Macht der Erinnerung, der Gewohnheit, der Vertrautheit und der fast schon «unendlichen» Wiederholung. Der Osterhas hat immer Eier gelegt, auch als ich schon längst wusste, dass kein Hase der Welt Eier legen kann, schon gar nicht in unseren Garten, auch nicht an Ostern. Wenn schon, dann an Pfingsten, wo eher etwas Magisches mit im Spiel ist. Gottes Geist oder eben Magie, für all jene, die eher auf Mutter Erde, als in himmlischen Fantasien zugange sind. Doch, da gibt es – seit gut fünfzig Jahren - auch noch Ogtern, dass es eigentlich nicht gibt, im Moment aber so gesucht ist. Jetzt, nur jetzt, kann es die Erlösung bringen. Ogtern ist ein Fantasiegebilde, das es weder real, noch sprachlich gibt und auch kein unerforschtes Fabelwesen ist. Ein Kunstprodukt, entstanden aus der Beschränktheit von Wissen, mehr aber noch aus dem Zwang, unbedingt etwas liefern zu müssen, was man im Augenblick nicht liefern kann, eingeschnürt vom Zwang einer bestimmten Buchstabenfolge und dem, was man zuvor schon erdacht hat und gefunden hat. Es ist der Moment allergrösster Hilflosigkeit, die man weder zuvor, noch darnach begreifen kann. Unsicherheit, Versagen, Verbohrtheit… kurzum, Menschlichkeit. Darum wünsche ich mir und allen immer wieder schöne
Ogtern. (230)

03. April 2022

 

In eigener Sache:

 

Vorbei!

von Peter Züllig

 

Die Pandemie wurde als beendet erklärt.  Zuerst – vor Monaten - vom Volkstribun Blocher, jetzt - etwas zögerlicher – auch von der Politik. Die «Selbstverantwortung» muss fortan die Führung übernehmen bei der Bewältigung der noch immer hohen Ansteckungszahlen. Das mag gut gehen, wenn mit der «Eigenverantwortung» auch Ehrlichkeit verknüpft ist, die «Pflicht» für das eigene Handeln und Unterlassen sowohl Verantwortung als auch Konsequenzen zu übernehmen. Das ist der Moment, wo Leugnen und Lügen Hochkonjunktur haben. Zwei moralische (auch rechtliche) Begriffe, die verpönt, ja geächtet sind. Also werden sie, wo immer möglich, in Märchen verpackt. Märchen aber lassen sich nicht widerlegen. Märchen haben immer eine ähnliche Grundstruktur: Da gibt es die Bösen, da sind auch ihre Opfer und immer ist eine rettende Figur da, die wahre Wunder verbringen kann. Weil wir dieses Erzählmuster seit unserer Kindheit kennen, ist es vertraut, wirkt glaubwürdig und endet im Glück oder der Katastrophe, immer auch mit einem belehrenden Appell. Märchen folgen der vorgegebenen Strukturen, nicht irgendwelchen Fakten. Denn Fakten gibt es in der Fantasie der Märchen nicht, diese gehören in eine andere, in die reale Welt. Beliebte Märchen der Erwachsenen sind die vielen Varianten von Verschwörungstheorien. Sie lassen sich – wie Märchen – nicht widerlegen. Doch mit ihnen kann «Eigenverantwortung» (und die damit verknüpfte Ehrlichkeit) in eine andere Welt geschoben werden. Weg aus der Realität.   (229)

24. März 2022

 

In eigener Sache:

 

Widerlich

von Peter Züllig

 

Fliehende Menschen, durch den Krieg vertrieben – anderthalb Millionen sollen es sein. Menschen, die leiden; Kinder, die leiden; Mütter und Väter, die kämpfen; Soldaten, die sterben; als Angreifer, als Verteidiger. Die Zahl kennt man nicht. Doch es sind viele, die tot sein werden und später auf Gedenk- und Heldentafeln stehen.  Krieg. Trotz der Nähe weit weg, rund 1'700 Kilometer, Luftlinie. Doch die Fliehenden sind da, auch in der Schweiz. 12'000 sollen es bisher sein. Und es kommen noch mehr, jeden Tag, denn es ist Krieg. Darauf muss jeder Einzelne eine Antwort finden. Allein in der Schweiz. 8,7 Millionen Antworten, divergierende, von Hoffnung und Angst geprägten, auch von Ungewissheit und Zweifel, von Wut und Gleichgültigkeit… Und was machen Politik, Parteien, die Meinungsträger, die Gewählten, die Regierenden…? Nicht nichts. Sie beraten, diskutieren, unterstützen mit Geld, mit Krediten, mit markigen Worten, mit Resolutionen, mit Hilfspakten und Menschen, die man zum Helfen ermutigt und delegiert. Das ist nicht nichts. Ist es aber genug, oder gar das Falsche? Das sind die dringendsten Fragen, die sich jetzt stellen. Stattdessen werden Forderungen laut: Aufrüstung, mehr Geld fürs Militär, endlich moderne, schellen Flieger. Im ganz unschweizerisch raschen Tempo werden Postulate durch die Kommissionen gepeitscht, die vor Wochen noch kaum eine Chance hatten. Die FP, die SVP und die Mitte (die sich bis vor kurzem als christlich bezeichnete) nutzen die Angst der Bürger, nutzen den schrecklichen Krieg für ihre Politik. Nutzen die Gunst der Stunde, instrumentalisieren die Gräuel eines Krieges, um sie für ihre Parteipolitik einzusetzen; vergreifen sich verbal in Ton und Inhalt. Öffentlich und in Parlamenten. Der blutige Krieg ist zum unblutigen Krieg der Parteien und ihrer Politiker geworden. Schliesslich ist in der Schweiz nicht Krieg, sondern bald Wahlkampfzeit. Dieses Verhalten ist – ich finde kein anderes Wort – einfach nur widerlich.      (228)

15. März 2022

 

In eigener Sache:

 

Information zum Ersten...

von Peter Züllig

 

und zum Zweiten? Information ist zum heiss umstrittenen Gut geworden. In Friedenszeiten, noch mehr im Krieg. Sorge getragen wird ihr kaum. Im Gegenteil. Sie wird ausgebeutet, nach Strich und Faden, angepriesen, als wäre sie Ware des eine «billigen Jakobs» auf dem Jahrmarkt. Sie wird gebogen, gedreht, geschüttelt, als wäre sie ein Spielball. Ungeschützt. Da sie wertvoll ist, wird sie vermarktet, verkauft, dem Meistbietenden angeboten. Und verliert dadurch ihren Wert, nicht ihren Preis. Die Möglichkeit Information zu verbreiten, ist riesig geworden und unglaublich schnell, flüchtig, immer schwerer zu messen. Der Massstab kann nur die Wahrheit sein, ihre Substanz die Wirklichkeit. Information macht Leben lebbar, ermöglicht Gefahren zu bestehen. Weil sich Information und Werbung gleichen, anerkennt der Journalismus die strikte Trennung. Doch die trennende Mauer ist zerbröckelt, niedergerissen. Zu verlockend der Erlös: Geld, Macht, Sieg, Gewinn. Jetzt oft zitiert: «Im Krieg stirbt zuerst die Wahrheit». Nicht nur im Krieg. Wo immer es darum geht, Macht zu erlangen, verliert Wahrheit sein Standbein. Die Lüge übernimmt. Für ihre Macht wurde ein Begriff kreiert, der nicht so brutal verwerflich ist und weniger moralisch klingt: „Fake News“, zu deutsch: bewusst manipulierten Lügen».  (227)

26. Februar 2022

 

In eigener Sache:

 

"Chlüttere"

von Peter Züllig

 

Heute schreibe ich keinen Text, ich «chlüttere» ihn zusammen, zu einer (hoffentlich) verständlichen Kolumne. «Chlüttere», ein Verb, das nicht nur eine Tätigkeit bezeichnet, sondern ihr auch einen Charakter gibt. Chlüttere, etwa  «kleine Arbeit machen, flicken, in Ordnung bringen, hantieren, pfuschen…». Dies jedenfalls erklärt das «Schweizerische Idiotikon», das Wörterbuch der schweizerdeutschen Sprache, das schon jetzt sechzehn Bände umfasst, am siebzehnten wird gearbeitet (Buchstabe «Z»). Allein schon der Name «Idiot-ikon» ist Hinweis auf sprachliche Entwicklung. Der «Idiot», im heutigen Sprachverständnis ein Schimpfwort, bezeichnet einen dummen Menschen. Doch das «Idiotikon» ist alles andere als dumm, denn der Begriff kommt nicht vom «Idioten», sondern vom griechischen Wort «idios», was so viel bedeutet wie «abgesondert, eigen, privat». Das sind auch Eigenschaften der Mundart, die nicht einem Regelwerk verpflichtet ist, sondern sich langsam entwickelt hat aus dem Umgang mit Sprache bei der täglichen Kommunikation. Und dies zum Teil über Jahrhunderte. Doch zurück zum «Chlüttere». «Bis jetzt hani bemeid nöd klütteret», scho meh brav «verzellt», fascht «gschmörzelt» mit dem was ich eigentlich sagen wollte, nämlich: Sprache ist nicht neutral, vor allem nicht die Mundart.  Sie ist viel eigener als jede normierte Sprache, viel privater. Und da gibt es mehr Raum für Betonungen, für Wertungen, für Differenzierungen, für Privates, ohne dass man dies sagen muss, einfach indem man es so sagt, «wie der Schnabel gwachse isch». Auch wenn die Begriffe häufig überholt, und aus dem Duden gestrichen sind.    (226)

27. Februar 2022

 

In eigener Sache:

 

Angst

von Peter Züllig

 

Angst vor Krieg, Angst vor der Bombe, Angst vor Corona, Angst vor der Klimakatastrophe, Angst vor dem Fremden, Angst vor… Angst ist ein Gefühl, das uns hemmt, aber auch schützt; das immer wieder auftaucht und nicht zu vermeiden ist. Es ist nicht schlimm, nicht gefährlich, nicht entwürdigend, Angst zu haben. Schlimm, gefährlich und entwürdigend ist nur, wenn Angst bewusst und gezielt bewirtschaftet wird. Kaum taucht eine Gefahr, ein Angstvehikel auf – wenn auch erst am Horizont  – sind auch die Angstbewirtschafter da! Sie nutzen das Gefühl der Ohnmacht, des Ausgeliefertseins, um ihre eigenen Interessen aufzugleisen. Nicht um den Menschen zu helfen, vielmehr um Lösungen anzubieten, mit denen Angst an einen vermeintlichen «Erlöser» delegiert werden kann. Ein vorsätzliche, ein perfides Spiel. Die SVP hat sich als Bewirtschafterin der Angst hochgedient. Zeugnis dafür sind die immer wieder aufgelegten Angstplakate. Aber auch die Angst vor Corona wurde gründlich bewirtschaftet, von Kreisen, die den Staat und ihre Instruktionen zerstören möchten. Die Pandemie ist zwar noch nicht vorbei, doch sie lässt sich immer schlechter bewirtschaften. Da taucht neue Ängste auf und findet sofort ihre Bewirtschafter. Zum Beispiel die Energieknappheit: «Droht im Winter die ’Dunkelflaute ’?» Die Lösung ist schon da: neue AKWs auf der politischen Agenda. Eine neue Angst ist schon da: Krieg. Da kennt plötzlich niemand eine Lösung. Nur der Angsttreiber bewirtschaftet sie. Er treibt damit Menschen in Elend, Not und Tod. Berechnende Angst zeigt da ihr wahres, fratzenhaftes Gesicht.    (225)

14. Februar 2022

 

In eigener Sache:

 

Das häufigste Wort

von Peter Züllig

 

Eine interessante Frage: Welches Wort ist bei den Übertragungen der Olympischen Spiele am häufigsten gefallen? «Sieg», «Niederlage», «Freude», «Tränen», «Überraschung», «Enttäuschung»? Weit gefehlt! Es ist ein Wort, das bei jeder Kommunikation, in jedem Gespräch, in jeder Unterhaltung wichtig, ja entscheidend ist. Es ist ein Wort, das nicht einen Inhalt, sondern eine Form, ein System umschreibt. Das System Leben. Da gibt es ein Früher, ein Jetzt (immer wieder einen Augenblick) und ein Nachher. Es gibt wenig planbare Momente im Leben, wo das «Jetzt» so entscheidend ist, wie der Augenblick des Siegs oder der Niederlage im sportlichen Wettbewerb. Es ist die hundertstel Sekunde, es sind die paar Millimeter oder Zentimeter, die das «Jetzt» prägen und zum Ereignis machen. Ein Ereignis, von dem man spricht, noch über lange Zeit: Monate, Jahre, Jahrzehnte. Warum? Weil sich im geplanten und geglückten «Jetzt», das «Vorher» und das «Nachher» zusammenfügt, Zu was? Zu einer Geschichte. Einer Geschichte, die verstanden, miterlebt, erhofft, auch erträumt werden kann. Es ist ein Abbild des Lebens, wie wir es in tausend Varianten immer wieder durchleben. Ein Abbild von dem Augenblick, wo Gefühle dominieren und das «Jetzt» beherrschen. Und zwar, weil es immer von einem «Vorher» und «Nachher» um rahmt wird. Kein Wunder, taucht in der Berichterstattung von sportlichen Anlässen das Wort «Geschichte» immer und immer wieder auf. «Welch eine Geschichte? Eine grossartige Geschichte, eine sensationelle Geschichte, eine einmalige Geschichte…» Da purzeln sie nur so durcheinander, die Geschichten. Es sind nicht Fakten, die jede Erzählung nachvollziehbar, menschlich, spannend und erlebbar machen. Es sind dies die «Geschichten».                                                                             (224)

05. Februar 2022

 

In eigener Sache:


«Soldes»

von Peter Züllig

 

«Solde» oder «Sale» tönt viel besser als «Saisonschluss-verkauf». Die beiden Fremdwörter sind chicer, als der leicht schmuddelige deutsche Begriff «Ausverkauf», der an den «billigen Jakob» erinnert. Um diese Jahreszeit buhlen sie alle mit den berühmten Prozenten «Billiger», mit denen die Kunden in die Läden gelockt werden. «Billiger!», kaum jemand stellt die Frage: «billiger als was?» Als Fantasiepreise, als überhöhte Marktpreise, als Preisempfehlungen, die längst nicht mehr eingehalten werden? Hauptsache: etwas ist billiger. Minus 30% war es früher, minus 50% heute üblich, bereits finden wir Angebote zu minus 70% billiger. Doch kein «kaufmännisch» rechnender Verkäufer gibt seine Ware unter dem Einstandspreis ab. Da stellt sich die Frage, was wird in nicht «Solde»-Zeiten im Warengeschäft verdient? Ich weiss, es gibt da recht komplizierte Mischrechnungen mit Lagerkosten, flauen Zeiten, Abschreibungen, Löhnen, Mieten, Werbung, Rabatten etc. Dies wird alles nebst dem Gewinn - anteilmässig - auf die Ware geschlagen. Für kurze Zeit kann der Verkäufer – teilweise oder ganz – darauf verzichten. Doch all das macht keine 50 und schon gar keine 70 Prozent aus. Es gibt nur drei plausible Antworten, wie «Soldes», «Sale» oder «Ausverkauf» zu finanzieren ist. Reduktion oder gar Verzicht auf den Gewinn. Dies macht – kaufmännisch gesehen – wenig oder keinen Sinn. Schon zielstrebiger ist da der Einkauf spezieller Ware, nur für den «Ausverkauf», mit deutlicher Qualitäts- oder Komforteinbusse. Dann ist das so verlockende «billiger» eine Irreführung der Kunden. Oder drittens: Der Lieferant wird unter Druck gesetzt, die Ware billiger abzugeben. Da niemand in einer Verkaufskette auf möglichst grossen Gewinn verzichten will, trägt das schwächste Glied den Verlust. Und dies sind die Lohnempfänger, fast ausschliesslich in den Billiglohnländern. Deshalb wuchert «Solde», «Sale», «Ausverkauf» besonders stark in der Kleider- und Modebranche. Wie wäre es sonst möglich, dass ein Hemd, eine Hose oder eine Jacke zum Preis von einem Pack Zigaretten zu kaufen ist?    (223)

24. Januar 2022

 

In eigener Sache:


«Covid ist vorbei!»

von Peter Züllig

 

Über Covid ist schon längst viel mehr als alles gesagt, geschrieben und behauptet worden. Kein Grund also, das Thema hier noch einmal aufzugreifen. Die Meinungen sind gemacht, die Positionen bezogen, gelitten, genesen, aber auch gestorben wird weiterhin. In Häusern, auch in Krankenhäusern, nicht auf der Strasse wo sich die Lauten bemerkbar machen. Zuletzt wieder in Bern, wo etwa 2000 Menschen einem kleinen Trupp von Rechtsextremen, Neonazis, «Jungen Tätern» – mehr oder weniger ahnungslos – folgten, überzeugt für eine «gute Sache» - mehr Freiheit - zu marschieren. Aber schön brav maskierten Schreihälsen nach trotteten. Maskiert, nicht zum Schutz vor Corona, vielmehr zum Eigenschutz, um nicht als Gesinnungstäter erkannt zu werden. Ein «schwarzer Block» (wie oft am 1. Mai in Zürich), doch nicht links, vielmehr ganz rechts beheimatet. Die kleinen mitgeführten Kantons- und Schweizerfahnen wirken da wie blanker Hohn. Vorne träumt man von Idolen, die einst für Krieg und Not verantwortlich waren, hinten hat man es bereits gehört: «Covid ist vorbei». Ausgerufen nicht etwa von einem kompetenten Virologen, vielmehr von einem Politiker, der glaubt alles zu beherrschen, alles zu bestimmen, alles für seine politischen Ideen zu nutzen. Selbst eine tödliche Pandemie (weltweit 5,6 Millionen Tote, 12`500 in der Schweiz). Die Bibel warnte - schon vor rund 2000 Jahren - von «falschen Propheten». Das Zitat kennt ein Pfarrerssohn bestimmt. Vielleicht auch eine Studie Leo Löwenthal mit dem Titel: «Falsche Propheten». Darin geht es nicht um christliche Propheten, sondern um politische Agitation. In Blütezeiten von Verschwörungstheorien sehr zu empfehlen.            (222)

15. Januar 2022

 

In eigener Sache:


«Muesch nöd öppe meine!»

von Peter Züllig

 

 «Chrutzli» ist adrett, klein, «tifig», leuchtend rot und gar nicht etwa langsam. Aber auch nicht so schnell, wie seine «grossen» Geschwister. «Chrutzli» ist ein Auto, unser Auto, ein «Smart», gedacht für den Nahverkehr. Ab und zu darf es länger unterwegs sein, grössere Strecken fahren, sogar auf der Autobahn. Da kann es zeigen, was es kann! Bei seinen «grossen» Brüdern und Schwestern wird es gar nicht ernst genommen. Es erregt eher Mitleid, mitunter Trotz und das Gefühl: «dem wollen wir es zeigen». Es erweckt bei vielen, fast allen Fahrenden in grösseren Autos einen Instinkt, der den Fuss – ob kräftig oder zierlich – auf das Gaspedal drücken lässt. Ein Vorgang, der in der Natur der Dinge zu liegen scheint. Fast schon dramatisch wird es, wenn sich der kleine Verkehrsteilnehmer erdreistet, einen grösseren zu überholen. Da bricht schon eine Welt zusammen im nun zurückliegenden Fahrzeug. Nach dem ersten Schreck, bei der nächstbesten erspähten Gelegenheit, verkrampft sich der rechte Fuss der Fahrenden, das Pedal biegt sich und schon ist der Image-Schaden repariert. Ganz schwierig wird es für ein kleines «Chrutzli» bei der Eingliederung in den Verkehrsfluss. Da hat es zu warten, bis man ihm den Weg frei gibt. Verkehrsregeln hin oder her, im Zweifelsfall liegt die Macht halt doch beim Stärkeren. Da heisst es hintenanstehen. Nur beim Parkieren kann es seinen Vorteil ausspielen und beim Wenden, sonst aber löst allein schon der Anblick das Gefühl aus: «Muesch nöd öppe meine!»       (221)

08. Januar 2022

 

In eigener Sache:


Digitaler Enkeltrick

von Peter Züllig

 

Telefonanruf eines unbekannten Verwandten: höchste Alarmstufe oder müdes Lächeln. Der Enkeltrick! Er funktioniert immer mal wieder, obwohl er so alt, einfältig und banal ist wie die Blondinenwitze. Nur viel gefährlicher. Einmal eingeschnappt, die Falle schnappt zu. Inzwischen hat sich der «Enkeltrick» ins Internet verzogen. Bedeutend weniger aufwändig für die "Enkel". Sie betteln nicht um grössere Summen, sondern versuchen Code- und Passwörter zu erhaschen. Das sieht dann etwa so aus: «Sehr geehrter Kunde, Die Post inormert Sie über ihre Zustellung: CHF/9049537876 wartet noch auf Ihre Answeivsungen.» Nach dem Datum und der Angabe einer geschuldeten kleinen Gebühr von 2.99, die ultimative Aufforderung (auf leuchtend gelbem Hintergrund) zum Anklicken: «Schicken sie mein Paket». Ist die Post wirklich so schlecht in Orthografie oder ist es nur ein missbrauchter Computer, der hier stottert? Leicht raffinierter dann die Swisscom (mit Signet und allem Drum-und-dran): «…am heutigen Tage wrden wir Sie gerne darber informieren, dass Ihre letzte Rechnung fr den Monat November doppelt bezahlt wurde. Um eine Rckerstattung zu beantragen, fllen Sie bitte das verlinkte Formular aus.» Diese «Swisscom» beherrscht offensichtlich die deutschen Umlaute nicht. Dafür hat sie es eilig: "Hinweis: Rückerstattungen  können nur bis zum ... (zwei Tage nach dieser Aufforderung) beantragt werden". Der Dank aber ist mir gewiss: "Vielen Dank für Ihre Mitarbeit in dieser Angelegenheit". (Die fehlerhafte Schreibweise hat inzwischen meine "Fehlerprogramm" korrigiert),

Ein weiterer "Enkel" droht sogar, meine Bestellung zu vernichten, wenn ich die geschuldeten Versandkosten bis … (einen Tag später) nicht bezahle. Es wimmelt nur so  von falschen «Enkeln» im Internet, die sich als hilfreiche Engel ausgeben, in Wirklichkeit aber widerliche - weil betrügerischen - Teufel sind.                                                 (220)

28. Dezember 2021

 

In eigener Sache:


Ausgewählt

von Peter Züllig

 

«Herzlichen Glückwunsch, Sie wurden ausgewählt», so steht es seit Tagen, als Botschaft in einer meiner Mails. «Ausgewählt», etwas Besonderes zu sein, eine Ehre, die nicht jedem zufällt. Eine Auswahl ist ein bewusster Entscheid. Es wird etwas anderem vorgezogen. Aufgrund bestimmter Auswahlkriterien. Bei Menschen ist dies meist Können, Wissen, Schönheit, Klugheit… Warum bin gerade ich es, der das Privileg hat, ausgewählt zu sein. Der Absender macht mich stutzig. «Kundendienst» Welcher Kundendienst hat mich auserkoren? Dahinter verbirgt sich eine Adresse. Tatsächlich, mit dem Plus hinter dem "Kundendienst" verrät sich der Absender: «johogo8641
@hagendes.com». Doch damit kann ich nichts anfangen, den «johogo8641» kenne ich nicht. Aber er vielleicht mich? Es bleibt mir nichts anderes übrig, als die Mail zu öffnen, um zu wissen, wer mich da beglückwünscht und vor allem wofür. Der zweite Teil der Betreffzeile lässt mir keine Zeit. «Sie haben 24 Stunden Zeit, um Ihre Teilnahme zu bestätigen». Teilnahme? Wo, wann und wie soll ich teilnehmen? In der geöffneten Mail lese ich: «An einer 30-Sekunden-Marketingumfrage über Ihre Lidl-Erfahrung.» Lidl-Erfahrung? Die habe ich nur in der aggressiven Dauerwerbung, die mich nahezu bei jedem TV-Konsum anspringt. «Lidl lohnt sich!» Eine Behauptung – ohne Beweis – die mich schon bisher zum Zusatz «…nicht!» angeregt hat. Da will sich jemand anbiedern, bei mir einschmeicheln. Dazu passt auch dieses «Glückwunschmail», das mir sogar ein «exklusive Belohnung» verspricht. Woher haben die meine private Mail-Adresse? Irgendwo gekauft, denn ich war noch nie in einem Lidl-Tempel und habe meine Koordinaten niemandem von Lidl gegeben. Und werde es auch nach dieser billigen Anbiederung nicht tun. Dafür ergänze ich weiterhin den ultimativen Werbespruch, jetzt aber noch lauter, viel lauter.»    (219)

21. Dezember 2021

 

In eigener Sache:


Die Logik des Konsums

von Peter Züllig

 

Vieles in unserer von Geld und Konsum geprägten Gesellschaft widerspricht scheinbar jeglicher Logik. Scheinbar? Nicht alles was im Gewand der Logik daher kommt, gehorcht auch den Gesetzen der Logik. Ein Beispiel: Mein elektronischer Autoschlüssel funktioniert nicht mehr. Ich suche meinen Autohändler auf: «Teure Sache, die Reparatur kostet etwa 180 Franken. Ist halt Elektronik und die ist aufwändig und teuer.» Ich rechne kurz: kostet fast ein Hundertstel des Autos. Doch, was sein muss, muss sein. Ich lasse den Schlüssel reparieren. Anderntags ruft die Garage an: «Ich habe einen neuen Schlüssel bestellt. Die Reparatur würde 240 Franken kosten, ein neuer Schlüssel hingegen nur 150 Franken.» Auf Umwegen – über Stolpersteine – kehrt eine gewisse Logik zurück. An einer Reparatur ist ein Mensch (mit Aufwand und Können) beteiligt. Ein neuer Schlüssel hingegen wird in Serie – von einer Maschine – hergestellt. Wahrscheinlich in China oder sonst wo im Fernen Osten. Die Produktion, das Material, die Reise in die Schweiz, die Automatik einer Maschine ist billiger als die Arbeit eines ausgebildeten Menschen, der den kleinen Fehler, am kleinen Gegenstand, zu reparieren hat. Da lohnt sich, das Alte gleich zu entsorgen (zahlt zudem weitgehend die Öffentlichkeit). Aus dem Billiglohnland wird schwups ein neuer Schlüssel geordert. Ist gut erklärbar – scheinbar sogar logisch – zumindest im Kontext von Geld und Konsum. Ist es aber auch sinnvoll? Werden da nicht an einem winzigen Ding Ressourcen «verschleudert», die sich in unseren Umgang mit Material, mit Wissen, mit Können und mit Konsum eingeschlichen haben. Irgendwann geht dann die Logik (schon rein rechnerisch) nicht mehr auf. Irgendwann muss auch diese Rechnung bezahlt werden. Da reichen ein paar «Fränkli» nicht mehr. Die Summe macht daraus grosse globalen Welt- und Existenzproblemen, die schon jetzt fast unlösbar erscheinen. (218) 

09. Dezember 2021

 

In eigener Sache:

 
Gespaltene Gesellschaft

von Peter Züllig

 

In Marthens Garten fragt Margarete, auch Gretchen genannt, den Gelehrten Dr. Heinrich Faust: «Versprich mir, Heinrich!» Faust: «Was ich kann!» Margarete: «Nun sag, wie hast du’s mit der Religion? Du bist ein herzlich guter Mann, allein ich glaub, du hältst nicht viel davon.» Faust: «Lass das, mein Kind! Du fühlst, ich bin dir gut; für meine Lieben liess‘ ich Leib und Blut, will niemand sein Gefühl und seine Kirche rauben.» Margarete: «Das ist nicht recht, man muss dran glauben.» Faust: «Muss man?» Eine Szene, die 1788 im Kopf eines gewissen Johann Wolfgang von Goethe diese Form gefunden hat und sich seither auf der Bühne, in Büchern, in der Schule, in den Medien, aber auch im Alltag… tausend-, ja millionenfach wiederholt. Ein kleiner aber happiger Brocken, gut verankert - nicht nur im Bildungsbürgertum. Es ist die Gretchenfrage. Sie konnte sich durch alle Schichten schlängeln, durch alle Bereichen, zu allen Zeiten, und kann zu einem Störenfried werden, in besonders feierlichen Momenten. Zum Beispiel bei der Vereidigung derer, die ein öffentliches Amt antreten. Sie legen in einer öffentlichen Zeremonie das Versprechen ab, alles zum Wohl einer Gemeinschaft zu tun und deren Verfassung (zentrales Rechtsdokument) zu achten. Dieser Eid ist bis in die Wortwahl mit bestimmen Ritualen verknüpft, welche die Aussage bekräftigen sollen. Dazu gehört die alte Eidesformel «…so wahr mir Gott helfe». Schon taucht sie wieder auf, die Gretchenfrage. Nicht so direkt, naiv wie sie Gretchen gestellt hat. Aber nicht minder schwerverdaulich: bloss Floskel oder Inhalt eines Eids?  Bei der eben vollzogenen Vereidigung der deutschen Regierung, kaum vorüber, zog der Reporter Bilanz: neun Ministerinnen und Minister haben sich (formell) auf Gott berufen, sieben liessen den Satz weg, den schon der so gelehrte Faust nicht beantworten wollte. Gespaltene Gesellschaft?  (217)

28. November 2021

 

In eigener Sache:

 
Natürlich

von Peter Züllig

 

 

Eine Episode, die ich nicht selbst erlebt habe, die mir erzählt wurde: authentisch, glaubwürdig und fast logisch. Ein erfahrener Winzer, bekannt und anerkannt in der ganzen Region, hat im Rebberg den Winzer einer Nachbarparzelle getroffen.  Seine Reben hat er längst abgeerntet, im Gegensatz zu den Parzellen, wo die Lese gerade begonnen hat. Eine Frage drängt sich sofort auf: sind denn die Trauben des Nachbarn so viel früher reif? Der Nachbarwinzer ist überzeugt, er mache halt alles viel richtig, besser: dünge den Boden reichlich, setze verschiedene Pflanzenschutzmittel ein und spritze früh und immer wieder, zehn bis fünfzehn Mal im Jahr, jedenfalls bevor die ersten Schädlinge auftreten. Das sei aufwändig und koste einiges. Deshalb seien die Trauben schon früh reif und auch gesund. Notfalls helfe er eben im Keller mit Schwefel nach. Damit ist das Gespräch und die Angelegenheit erledigt.  Zwei Winzer, zwei Meinungen, zwei Philosophien. Nach ein paar weiteren freundlichen Worten über die Arbeit, das Wetter, den Ertrag und – wie könnte es anders sein – über Covid, die Pandemie und all die Einschränkungen, das Zertifikat, das Impfen. Da bricht es – wie ein Wasserfall – aus dem Nachbarwinzer heraus. Ungefiltert! Impfen? «Ich lasse mir doch nicht Gift in meinen Körper spritzen!  Man weiss ohnehin nicht, was da alles drin ist! Und welche Folgen es haben kann! Eine verdammte «Zwängerei» sei das. Er setze auf das Natürliche in der Natur und auf seine Freiheit. Da endete das Gespräch. Die beiden Winzer wünschten sich einen schönen Abend. (216)   (216)

15. November 2021

 

In eigener Sache:

 
Geile Dorfbeiz

von Peter Züllig

 

Ein kleiner Saal in der «Dorfbeiz», etwas abseits vom Stammtisch, in der Regel von Gästen besucht, die in Ruhe essen möchten. Während in der traditionellen Wirtsstube meist überlaut geredet und diskutiert wird, herrscht im Säli gedämpfte Ruhe. Schliesslich wird da gegessen. Diesmal nicht (oder nicht mehr). Drei Männer mit ihren Frauen (oder umgekehrt) unterhalten sich über ihre Alltagserfahrungen. Sie reden über das, was so im Alltag geschieht und was ihre Meinung dazu ist. Die männlichen Stimmen dominieren und schrauben den Lärmpegel höher und höher. Als ich nicht mehr «weghören» kann, schnappe ich Wortfetzen, dann Meinungen, immer mehr Behauptungen und schliesslich Geschichten auf. Zuerst geht es um die Grünen und das «Saupack», diese Linken. Dann wird mit überlauter Überzeugung das fehlende Verständnis bekundet. Eine der Frauen wagt schliesslich ein neues Thema einzubringen: die Richter, die parteiisch sind. Die Männer haben da rasch Tritt gefunden und klären auf: es geht darum, dass bessere Richter ans Bundesgericht kommen, nur die besten… Widerspruch, es geht um die Parteien, das Los, die Qualifikation und überhaupt… Etwas Gutes kommt da nie raus, die sind ja alle korrupt, ha, ha, ha... Das Thema ist rasch erschöpft, so genau weiss man es nicht, will es gar nicht wissen… Endlich ist man aber dort, wo man (Mann) eigentlich hin will. Bei den geilen, geilen Brasilianerinnen. Jeder der drei Männer hat eine Geschichte dazu. Die von X, der jeden Monat mit «einer Neuen» aufkreuzt, die von Y, der eine Villa in Brasilien besitzt, die von Z, der mit seinem Lamborghini die geilsten Frauen spazieren führt… Schnell  ist Mann dann bei den Ausländern, die sich nicht integrieren wollen… bei den jungen Frauen, die sich vollschmieren und so kleiden, dass man beim blossen Hingucken schon ein «geiler Bock» oder gar ein Vergewaltiger ist… Fortan ist der häufigste  Begriff: «geil». Und die drei Frauen? Sie schweigen, haben nicht den Mut, ihre geilen Männer in Senkel zu stellen. Oder; sie haben ganz einfach diese Szenerie schon zu oft erlebt.  (215)  

02. November 2021

 

In eigener Sache:

 
Glauben

von Peter Züllig

 

So viel Glauben habe ich in kurzer Zeit kaum je erlebt. Dabei spreche ich nicht von  d e m  Glauben, vielmehr von  d e n  Glauben. Es sind ihrer viele geworden, sehr viele. Was heisst schon glauben? Laut Definition: «Ein Fürwahrhalten aufgrund der Autorität anderer.» Es ist nicht Wissen, das den Glauben zu Hilfe ruft, auch nicht eine eigene Erfahrung. Es ist vielmehr das Nichtwissen und fehlende Erfahrung. Dies zeigt sich besonders deutlich in ungewohnt schlechten Zeiten, so auch in der Zeit einer Pandemie. Es fehlt Wissen und Erfahrung. Da springen schnell «Autoritäten» jeder Gattung in die Lücken. Sie behaupten zu wissen und versuchen mit «Fakten» zu belegen, was sie behaupten. «Fakes» werden aber so rasch zu «Fakten», das Halbwissen oder Nichtwissen zu Wahrheiten. Bei Unsicherheit und Angst scharen sich schnell Gläubige um «Autoritäten». Gläubige, die dann lautstark – mit Fahnen, Kuhglocken und Transparenten – ihren neuerworbenen Glauben verkünden und überzeugt sind: nur sie hätten den «wahren Glauben» gefunden, den es nun zu verteidigen gilt. Sie werden rasch zu Kämpfern für… wofür eigentlich? Natürlich, für ihre eigene Freiheit, das zu glauben, was sie verkünden. Glaubensfreiheit wird das genannt. Tatsächlich, zwei wichtige soziale Begriffe, die miteinander verbunden sind und sich durchaus miteinander vertragen. Sofern man sie für das einsetzt, für das sie stehen. «Glauben», kein Wissen, sondern ein «Fürwahrhalten» aufgrund von «Autoritäten». Und «Freiheit», die es nur gibt, wenn auch die Freiheit der Andern (der Nächsten) gewahrt und geschützt wird. Nur so führt Glaubensfreiheit nicht zum verheerenden Glaubenskrieg.      (214)  

20. Oktober 2021

 

In eigener Sache:

 
Unser Dorf

von Peter Züllig

 

Das erste Buch, in das ich als ABC-Schütze meine Nase steckte – daran erinnere ich mich noch gut – hiess «Unser Dorf». Darin waren Bilder und die dazu gehörende Buchstaben aufgereiht: Strasse, Kirche, Bach, Bäcker, Post… Kurzum, mit diesem Werk lernte ich lesen und mit dem Lesen unser Dorf kennen. Vor allem lernte ich, was zum Dorf alles gehört. Strasse, Kirche… Post. Dinge, die man heute noch (möglichst in der Nähe) zum Leben braucht, um wirklich daheim zu sein. Natürlich ist inzwischen vieles anders geworden, moderner, sagt man. Die «Nähe» ist nicht mehr ein Umkreis von ein paar hundert Metern, das Unerreichbare nicht mehr Amerika. Da denkt man schon eher an Kilometer, an das Weltall, an den Mond. Auch die Technik ist anders und ein paar Grundbedürfnisse haben sich gewandelt, der Zeit angepasst. Das Telefon braucht kein Kabel mehr, sondern ist allgegenwärtig. Kinder gehen nicht mehr stundenlang zu Fuss zur Schule, sie werden gebracht, mit dem Auto. Der Metzger, der Bäcker, der Doktor… sie haben ihre Geschäfte, ihre Praxen geschlossen. Zu wenig rentabel, zu aufwändig, für die Kunden zu teuer, zu wenig Auswahl… Und so ist das Dorf nicht mehr ein Dorf, sondern ein stramm verwalteter Wohnort geworden , wo man schläft, zur Toilette geht und bestenfalls die Blumen auf dem Balkon oder im Kleingarten pflegt, den Vorplatz sauber hält und den Schmutz möglichst dem «öffentlichen Bereich»" zuschiebt. Jetzt geht auch die Post, nachdem die «Briefträger» (oder sagt man jetzt «Brieftragende»?) durch stets wechselnde, anonyme Verteilernetze vertauscht hat. Die Post, als Dienstleister, als sozialer Anker im Dorf, wird durch elektronisch gesteuerte Wäge-, Frankier- und Versandsysteme ersetzt. Selbstbedienung spart kosten. Da haben ein paar Planer und Gestalter nie ihre Nase in das Gewährbuch «Unser Dorf» gesteckt und kurzerhand den Begriff «Dienstleistung» durch wirtschaftliche Leistungsnormen und Zwänge ersetzt. Es lebe der Gewinn!    (213)  

04. Oktober 2021

 

In eigener Sache:

 
Das hör ich gar nicht gern

von Peter Züllig

 

 Das grösste Problem der Menschheit – so macht es den Eindruck – ist das «schlechte Hören». Die Hörgerät-Mobilisation ist gewaltig und gefühlt allgegenwärtig. Kaum ist das Internet offen, beginnt der Werbetanz: «Hörgeräte zum Jungfühlen, die kleinsten, die fast unsichtbaren, die eleganten, die mit dem Wow-Element…"  Ein Sturm braust nicht nur durch die Ohren, auch durch die Augen, die Sinne, den Kopf, den Verstand. Ohne das «kleinste Kind im Ohr» geht es nicht und das erst noch «zum Nulltarif». Was heisst da Nulltarif? «Zudem wissen viele Menschen gar nicht, dass sie beim Hörgeräte-Kauf jede Menge Geld sparen können» (Zitat aus der Hörgerätewerbung). Das «Sparkässeli» hat also ausgedient, jetzt wird mit Hörgeräten gespart. Und wer es immer noch nicht begriffen hat, dem wird ein alternder, blondlockiger Fernsehstar via Bildschirm ins Haus geschickt. Er bringt spot(t)end auf den Punkt: «Das hör ich gern!» Zuerst dachte ich, irregeleitete Algorithmen hätten mich ins Visier genommen, algorithmen-automatisierte Werbung hätte aus (irgendwann und irgendwo) gespeicherten Daten mein Hörmanko errechnet und besorgt festgestellt, dass ich nicht mehr gut (zu)hören kann (oder will). Die Erlösung vom eingebildeten Verfolgungswahl kam, als ich auf einem Fremdcomputer (mit dem ich überhaupt nicht auf «Du» bin) lese: «Folgendes könnte dich interessieren». Und dann das Interessante: eingeklemmt zwischen zwei Bildern mit den Schlagzeilen ("die mich interessieren müssten"): (links) «Jetzt soll es älteren Wölfen ans Fell gehen», (rechts) «Österreich kündigt Entlastungen durch ökosoziale Steuerreform an» und in der Mitte die erlösende Botschaft: «Das Hörgerät, über das 2021 jeder sprechen wird». Ich werde sicher nicht darüber reden, denn da habe ich das Hörgerät aus dem Ohr genommen und den Bildschirm ausgemacht: Ich will "es" nicht mehr hören (und nicht mehr sehen), das Kleinste, das fast Unsichtbare, das Elegante, das mit dem Wow-Effekt.     (212) 

26. September 2021

 

In eigener Sache:

 
Eigenverantwortung

von Peter Züllig

 

Ein immer wieder zitierter Begriff, sozusagen das «Wort der Pandemie», heisst «Eigen- oder Selbstverantwortung». Der erste Teil des Doppelbegriffs  - «eigen» oder «selbst» - wird freudig aufgenommen, denn er bezieht sich auf zentrale Werte im Leben, wie Freiheit, Selbstbestimmung, Eigenständigkeit · Mündigkeit · Selbständigkeit und überstrahlt den zweiten Teil des Doppelbegriffs, die «Verantwortung», die – wenn überhaupt - als Einengung, Grenze, Gebot, Pflicht wahrgenommen wird. Kein Wunder, hausieren Menschen in einer «gespaltenen» Gesellschaft, mit dem einprägsamen gleichen Begriff, der sich nur darin unterscheidet, wo die Betonung liegt und wie die beiden Teile des Worts interpretiert werden. Die Pandemie und unser Umgang mit ihr hat vieles freigelegt und vor allem auch zugespitzt, was vorher kaum jemand ernsthaft gedacht, geschweige denn gesagt oder gar geschrien hat. Zum Beispiel das Wort «Diktatur». Die Schweiz eine Diktatur? Jetzt wird der Begriff auf Strassen und Plätzen skandiert, auf Plakaten mitgetragen und in anonyme – im Namen der Freiheit – zusammengetrommelte Menschenmassen geworfen. Doch damit nicht genug: Parteigrössen und gewählte Volksvertreter übernehmen die seltsame Begriffswandlung, Verantwortung wird Diktatur, unversehens in ihr Programm. Und das «Selbst», das «Eigen» wird zur absoluten Freiheit, die jedes andere «Selbst» und «Eigen» in Ketten legt. Aus der «Eigenverantwortung» wird «Selbstliebe», aus «Verantwortung» eine «andere Meinung», aus lauten Meinungs-machern «ehrsame Bürger wie zum Beispiel die Freiheitstrychler, die verdammt werden, weil sie eine andere Meinung haben» (Originalzitat Blocher). Begriffswandler im (Partei-)politischen Dienst.      (211)

12. September 2021

 

In eigener Sache:

 
Wer bin ich?

von Peter Züllig

 

Sie ist legendär, die Frage, mit der Roger Schawinski seine Talksendung immer begonnen hat: «Wer sind Sie?» Schon nach kurzer Zeit war dies keine Überraschung mehr. Die Gäste konnten sich vorbereiten und bei der ersten Frage bereits ihre Originalität unter Beweis stellen. Im Alltag stellt sich die Frage – viel nüchterner – auf Schritt und Tritt. Und zwar erbarmungslos. Ich bin 836.4844.6596.13, jedenfalls immer dann, wenn ich es mit dem Staat, den Ämtern, den Steuern zu tun habe. Ich bin aber auch 386493 wenn ich mit der Kreditkarte bezahlen oder einem Automaten Geld entlocken will. Und ich bin 69004297177438936, sobald ich ärztlich versorgt werden muss. Ohne die richtige Nummer, die richtige Karte, auf der die richtige Nummer steht, geht gar nichts mehr. Wahrscheinlich wird man nicht einmal mehr beerdigt. Es sind die Nummern und Codeworte, elektronisch geladenen Karten, QR-Codes, Finger- und Gesichtserkennung, welche Persönlichkeit schaffen, die zwar einen Namen haben, mit dem sie aber in der Öffentlichkeit nicht mehr bestehen können. Vieles von dem was man ist, was man tut, was man getan hat, ist längst auf Computern registriert und als informelle Persönlichkeit ausgelagert und gespeichert. Zugang – wenn überhaupt – nur noch mit Nummern, Karten und Codes. Anstatt «Willkommen!», die Begrüssung: «Haben Sie das Kärtchen dabei?»                                                                                                                          (210)

04. September 2021

 

In eigener Sache:

 
Palmströms Erbe

von Peter Züllig

 

Noch nie – in all den Lebensjahren – bekam ich so viele Schlagworte um die Ohren gehauen, wie jetzt in den Tagen, Monaten und Jahren der Pandemie: Es müssen neue Menschen geworden sein, die lautstark durch Medien und Strassen ziehen: Selbstverantwortung, Freiheit, Diktatur, Zweiklassengesellschaft, Zwang, Verschwörung, Bevormundung… Schlagworte, die gebraucht und missbraucht werden. Missbraucht für etwas, das uns bedroht, das uns Angst macht, verunsichert, nicht so recht ins eigene Weltbild passen will. Dafür gibt es ein seit Jahrhunderten, ja Jahrtausenden, genutztes «Heilmittel», der Glaube. Eine rettende Kraft, die «Berge versetzen kann» (in der christlichen Tradition nach Kor. 13.2) Früher waren es die Götter, der Aberglaube, die Natur, Heilslehren… Spätestens nach der Aufklärung wollte das aber nicht mehr so recht funktionieren. Wo der eigene Glaube schwindet, tauchen neue Missionare auf; neue Pläne, nach der der Mensch oder gar die Menschheit «gerettet» werden kann. «Ismen» im Multipack, wohlfeile und einfache, aber auch verschlungene und komplizierte, rettende und zerstörende… Und alle haben ihre eigenen Verkünder, ihre eigenen Missionare. In Krisenzeiten, wie Krieg, Katastrophen, Seuchen etc. treten sie besonders häufig und lautstark auf. Jede erlebte Verunsicherung wirkt wie ein Brandbeschleuniger. Scheinbar unvereinbare «Ismen» vereinigen sich zum schlagkräftigen Glauben, mit der der Gefahr zu trotzen ist. Anstatt die Ratio zu Hilfe zu rufen (wie in der Aufklärung) wird ein guter Teil des Verstands ersetzt. Zum Beispiel mit der Kunstfigur «Palmström» von Christian Morgenstern (1871-1914), und der «kommt zum Ergebnis, nur ein Traum war das Erlebnis. Weil, so schließt er messerscharf, nicht sein kann, was nicht sein darf." Nur, es gibt einen entscheidenden Unterschied bei dieser lapidaren Erkenntnis. Morgensterns «Palmström» macht nur sich selbst etwas vor, schadet aber anderen damit nicht.  (209)  

30. August 2021

 

In eigener Sache:

 
Magie der Vergangenheit

von Peter Züllig

 

«Chasch di no erinnere?» Eine Frage, die immer wieder auftaucht, wenn man von «Früher» spricht. Erinnerung als geistige Leistung also, als bewundernswertes Können, als Talent in die Vergangenheit zurückzukehren. Auch eine Fähigkeit, Wissen zu speichern und immer wieder abzurufen. Ein gutes Gedächtnis wird sogar benotet und belohnt, ist meist ein Garant für Erfolg. Doch diese Art von Erinnerung meint der eingangs zitierte Spruch nicht. Es ist vielmehr die Frage nach einer «episodischen» Erinnerung, die mehr vom Gefühl als vom Verstand gelenkt wird. Vom Gefühl das an bestimmten Orten, bei bestimmten Taten, Ereignissen und Erlebnisse… aufgetaucht ist. Es ist eine subjektive Erinnerung an das, was gewesen ist, was erlebt wurde. Dafür gibt es weder Noten, noch ein «Richtig» oder «Falsch».  Es ist ein Stück Vergangenheit in der Gegenwart, ein Stück Weiterleben von dem, was die Zeit zurückgelassen und vielleicht sogar begraben hat. Sind diese Erinnerungen also weniger real als die Realität. Weniger Wert, als das was uns gerade jetzt erfreut, ärgert, bedroht, rettet, traurig oder glücklich macht? Erinnerungen sind nicht bloss eine – oft störende – Alterserscheinung, sondern ein Geschenk des Lebens. Die Magie der Vergangenheit in der Gegenwart, die sogar in die Zukunft mitgenommen werden kann.   (208)

18. August 2021

 

In eigener Sache:

 
Der Zahnwurm

von Peter Züllig

 

Der «Zahnwurm» hat ausgedient, der Zahnbrecher Doktor Eisenbart auch, nicht aber die Angst vor dem Zahnarzt. Mulmig – ich gebe es zu – wird auch mir, wenn ich den Gang zur Zahnarztpraxis antreten muss. Also lass ich dies – wenn immer möglich – bleiben. Doch irgendwann ist der Zahnschmerz da. Der Gang zum Zahnarzt, zur Zahnärztin unausweichlich. Doch Angst ist der schlechteste Ratgeber, im Leben ganz allgemein, und in der Zahnarztpraxis ganz besonders. Also packte ich – kurzentschlossen – den Teufel bei den nichtexistierenden Hörnern. Schon beim Eintritt in die Zahnpraxis, keine Spur vom gefürchteten Doktor Eisenbart. Helle, moderne Räume, ein freundlich-herzlicher Empfang. Dann auf der angst-belegten Liege: Die charmante Dame, eine Zahnärztin, hat dann – nach einem Vorgeplänkel in meinem weit aufgesperrte Maul – doch den Bohrer angesetzt und ist entschlossen dem «Zahnwurm» (es waren – der imaginären Angst geschuldet – viele Würmer) entgegengetreten. Blöd, sagte ich mir, noch immer mit aufgerissenem Mund. Das Mittelalter ist längst vorbei. Die Neuzeit, mit all dem technischen Glanz, hat Einzug gehalten, auch in der Zahnpraxis. Nicht aber bei der Angst. Da herrscht meist noch grimmiges Mittelalter. Das darf nicht sein! Mutig schaue ich in den kleinen Spiegel, der die Sicht freigibt, auf das, was die imaginäre Angst auslöst, die zu behandelnden Zähne. Ich sehe weder einen «Zahnwurm», noch einen Zahnbrecher, vielmehr ein sauberes, geschicktes, kunstvolles, faszinierendes Arbeiten an und zwischen den Zähnen. Das unangenehme Gefühl – Schmerz ist es nicht, dafür hat die Ärztin gesorgt – ist weg. Weggeblasen von der Neugier, was da in meinem Mund – quasi in meinem Intimbereich – so alles geschieht. Weggeblasen von der Faszination, was sich da alles reparieren, erneuern, verschönern lässt. Die Behandlung wurde zur interessanten Lektion, von der ich mich trennte, mit der Bemerkung: «Ich komme gerne wieder!» Doktor Eisenbart und der Zahnwurm sind – so hoffe ich – für immer ins Mittelalter zurückgedrängt.  (207)

Zur Kolumne "Der Zahnwurm" eine Illustration, die ich zufällig gefunden habe. "Im Saloon von LfC. ... mal keine Schiesserei... .aber Schmerzen kann hier jeder haben...." Aufgeschnappt im Forum "Figurenreport" vom 27. August 2021.

08. August 2021

 

In eigener Sache:

 
Ringe um die Augen

von Peter Züllig

 

Nun sind sie vorbei, die Nachtschichten der Sportfreundinnen und -freunde. Es waren eher Frühmorgenschichten, denn die Live-Übertragungen der (verschobenen) Sommerolympiade 2020 in Tokio, begannen bei uns (aufgrund der Zeitverschiebung) morgens um zwei Uhr, also noch fast mitten in der Nacht.  So sind aus den fünf farbigen olympischen Ringen für viele Sportinteressierte, nach gut zwei Wochen, zwei dunkle Augenringe geworden. Nichts ist – nicht nur beim Sport - für Zuschauende wichtiger, als direkt (unmittelbar) dabei zu sein. In diesem Fall dann, wenn die Hundertstelsekunden, Millimeter, Punkte, Tore… gewonnen oder verloren werden. Der entscheidende Antrieb ist: Dabeisein, wenn etwas geschieht, auch wenn dies 10´000 Kilometer entfernt passiert. Selten wurde dies so anschaulich demonstriert, wie in den 300 Stunden Olympia-Programm des Fernsehens («Totalprogramm» von SRF). Dabei ist der Ablauf entscheidend: Warten auf den Augenblick, den Augenblick erleben und dann den Augenblick geniessen oder bedauern, betrauern. So die emotionale Dramaturgie des Erlebens. Es ist die Grunddramaturgie der Wahrnehmung, ja des menschlichen Lebens überhaupt. Die einzelnen Abschnitte mögen (je nach Situation) unterschiedliche Länge haben, doch dieser emotionale Bogen spannt sich nicht nur über Ereignisse, auch über jede Kommunikation von Ereignissen, ob übermittelt oder im direkten Kontakt vor Ort. Deshalb hat sich der Wandel der olympischen Ringe in «Ringe um die Augen» gelohnt.

(206)

01. August 2021

 

In eigener Sache:

 
Magie des Ortes
von Peter Züllig

 

Christeli sitzt neben uns. Christeli? Er geht zum Klavier. Bescheiden, etwas gehemmt, doch strahlend. Wir rufen ihm zu: «Play it again, Christeli». Alle stimmen ein: «Play it again!». Wir wissen: Christeli spielt keine Schlager, keinen Heimatkistch. Er spielt Melodien aus Filmen, die wir alle kennen, denn er spielt sie immer wieder. «As Time Goes Bay» (Casblanca), «Moonriver» (Breakfast at Tiffany), «True Love» (High Society), «Goldfinger» (James Bond), «Que Sera » (Der Mann, der zu viel wusste)… Dazwischen einmal einen Walzer oder eine Mazurka von Chopin… oder ganz gewagt: Glen Millers «Chattangooga Choo Choo»… Wir höre zu, wie vor 60 Jahren, als Christeli noch Wirt im «Steinbock» war. Gewirtet hat eher seine Frau; er ist – wann immer wir ihn baten – erst zögernd, dann aber doch gern zum Klavier entwischt, um eine andere Welt in den «Beiz» zu bringen, eine grössere, eine weitere, eine erträumte.  
Christeli ist seit vielen Jahren tot. Den «Steinbock» gibt es noch, das Klavier nicht mehr. Es ist alles schicker, moderner, zweckdienlicher geworden, längst keine Beiz mehr, ein Restaurant mit exklusiver Speisekarte, mit viel weniger Bier und viel mehr Wein, zwar sportlich, aber schwarz gekleideten Kellnerinnen und Kellnern. Musik, wenn überhaupt - dezent aus Lautsprechern. Hintergrundmusik, einlullend, jedenfalls nicht störend. Der gleiche Ort wie einst, aber eine andere Welt. Doch Christeli ist noch da. In meinem Kopf, in meiner Erinnerung, im Gefühl. Dafür gibt es einen Begriff, der nicht weniger real ist als die vermeintliche Realität: Es ist die Magie des Ortes.. (205)

19. Juli 2021

 

In eigener Sache:

 
Zurück ins Mittelalter
von Peter Züllig

 

«Innerhalb von drei Wochen haben die Gegner und Gegnerinnen der Corona-Massnahmen 180’000 Unterschriften für ein zweites Referendum gesammelt. Ein Rekord.» So die Meldung quer durch die Tagespresse. Ein Rekord der Dummheit, der Rücksichtslosigkeit, der fehlenden Verantwortung… Das meinen die einen; ein Akt der Selbstbestimmung, der Freiheit, der Grundrechte in einer liberalen Gesellschaftsordnung, die anderen. Und viele meinen gar nichts – zumindest nicht öffentlich – oder plappern das nach, was die einen oder die andern sagen. Die Massnahmen werden zur Glaubensfrage, wobei die Ewigkeit – die sonst bei Glaubensfragen meist im Zentrum steht – ausgeklammert wird (jedenfalls so lange, bis der Tod in Sichtweite rückt). Natürlich gehöre auch ich – mit meinen Erfahrungen, meinem Wissen, meinem Glauben («für Wahr-halten, auf die Autorität eines anderen hin») zu den einen oder den andern. Zu wem, bekunde ich auch jederzeit, wenn ich gefragt werde, wenn ich zur Urne gehe, in jeder sachlich geführten Diskussion, beim Abwägen von Rechten und Pflichten. Ich rebelliere auch mal, wenn ich dafür «gute Gründe» habe. Aber zum selbsternannten Missionar werde ich nicht. Dafür garantiert allein schon die Einsicht, was fanatische Mission an Leid, Unfreiheit, ja Unterjochung (geschichtlich betrachtet) gebracht hat. Es gab zu viele Scheiterhaufen der Inquisition), auf die niemand stolz sein kann. Die Scheiterhaufen sind längst nicht mehr aus Holz, und Feuer, schicken Andersdenkende auch nicht mehr (augenfällig) in den Tod. Sie haben sich in die Social Media verkrochen, in die Leserbrief-Spalten und Foren. So richtig bewusst wurde mir dies (wieder einmal) beim Lesen der «Kommentare» zu der eingangs zitierter Meldung. 221 sind es (Stand beim Scheiben dieser Kolumne). Ich habe sie alle gelesen, eine mühsame Arbeit. Ein Hüpfen von Scheiterhaufen zu Scheiterhaufen. Mal zynisch, mal absolut, rechthaberisch, oft auch grob und menschenverachtend. Dies gut 300 Jahre, nachdem die «Aufklärung» dem Mittelalter ein Ende gesetzt hat.  (204)

14. Juli 2021

 

In eigener Sache:

 
Emotionen
von Peter Züllg

 

Fehlentscheid“, „falscher Schütze“, „haltbar“… Wörter und Worte, die nachklingen, nicht nur in Social Media, auch im Alltag, auf der Strasse, Tage - wohl auch Wochen - nach den Ereignissen, die sie ausgelöst haben. „Italien im Freudentaumel!“ oder „Warum Fussball glücklich macht?», Schlagzeilen, Dokumente emotionaler Erregung, landes-, europa-, welweit! Italien-Fans lagen sich in den Armen, rissen sich Trikots vom Leib und vergossen Freudentränen, nachdem ihre Azzurri den EM-Titel nach Italien holten. Diesmal war es Italien, das nächste Mal England, Frankreich, vielleicht sogar die Schweiz. Wünsche, Hoffnungen, Erwartungen, Enttäuschungen, verpackt (und versteckt) in einem ledernen Ball von 70 cm. Umfang und vielen Regeln (Spielregeln), die natürlich jeder kennt, besser als alle Schiedsrichter der Welt. Das bewegende Zauberwort heisst: Emotionen. Diese werden immer mehr aus dem gesitteten Alltag verbannt, abgeschoben in die Leserbriefspalten und ins Internet, wo sie sich dann – vorwiegend – in Hasstiraden Luft verschaffen, wo die Schranken des Gesittetseins» einbrechen und Worte und Wörter zu Waffen werden. Sowohl Macht, als auch Wert der Gefühle werden unterschätzt und/oder denen überlassen, die daraus Profit erwirtschaften. Die sogenannte Boulevard-Presse ist ein Beispiel dafür, aber auch die Werbung, die Politik, der Sport… Angst, Wut, Liebe, Hass, Neid, Schmerz, Freude, Trauer… Gefühle, die zurückgestutzt werden ins Private, aber immer dann ausbrechen, wenn mit ihrer Macht Ziele zu erreichen sind. Ziele, die nicht so harmlos und folgenlos sind, wie bei der schönsten Nebensächlichkeit der Welt, dem Sport.    (203)

04. Juli 2021

 

In eigener Sache:

 
Den Gebetsmühlen abgeguckt
von Peter Züllig

 

Es gibt eine bekannte, eigentlich schon alte rhetorische Regel, die viele Wortführer - zum Beispiel Herr Blocher - längst verinnerlicht haben: Immer wieder die gleiche Behauptung wiederholen, ob sie richtig ist oder falsch, ob es Beweise dafür gibt oder nicht, ob sie populär ist oder abwegig, ob sie verstanden wird oder nicht, ob sie… Eine Behauptung, die sich so zum «Perpetuum mobile» entwickelt und immer weniger hinterfragt wird. Wozu auch? Die Antwort ist ja bekannt. In der Wiederholung wird vieles anders wahrgenommen, scheinbar richtiger, wahrer, unbestrittener, glaubwürdiger… Je prominenter die Behauptenden sind, je öfters und lauter sie das gleiche wiederholen, desto schneller und radikaler entsteht eine «neue Wahrheit». Auch Donald Trump, der abgewählte amerikanische Präsident, hat dieses System meisterlich beherrscht, so gut, dass er sogar seine Abwahl zum grossen Wahlsieg umfunktionieren wollte. Nur die Fakten, die Beweise, wollten da nicht mitmachen. Doch das stört Trump wenig, er bleibt dabei: «ich bin der grosse Sieger» und spricht unbeirrt weiter von einem «politischen Jahrhundertbetrug». Und seine Partei vermag ihm nicht zu widersprechen und das in Gang gesetzte «Perpetuum mobile» zu stoppen. Damit wird der rhetorische Trick, der in den Gebetsmühlen sogar hohe Weihen erhalten hat, zu einem immer häufiger angewandten Modell. Vor allem dann, wenn es um Emotionen geht. So sollte – zum Beispiel - der Match Schweiz-Frankreich bei der Europameisterschaft – gemäss einer Petition – wiederholt werden, weil angeblich eine Regel verletzt wurde. Innerhalb weniger Stunden unterschrieb eine Viertelmillion Menschen die Petition und behaupteten, sie hätten es auch so gesehen. In diesem Fall war der Fotobeweis doch stärker. (202)

27. Juni 2021

 

In eigener Sache:

 
Schwarz
von Peter Züllig

 

 Nichts ist so „farbig“, wie das Fehlen der Farben: schwarz. Da hat die Fantasie viel Platz. Schwarzer Mensch – Rassismus; schwarze Katze – Aberglaube; Kaminfeger – Glück; schwarzes Kleid -Trauer; schwarzer Tag - Pechsträhne. So einen schwarzen Tag hatte ich. Er beginnt mit einem kleinen funktionsmüden, schwarzen Kästchen, der Schaltzentrale für Kommunikation. Sie funktioniert nicht und mit ihr weder Telefon, noch Computer, Radio oder Fernsehen. Wie soll ich da den Zuständigen suchen, finden oder gar motivieren, sich dem Problem anzunehmen? Die ersten Versuche scheitern: nicht zuständig, mit dem Handy (angemeldet in der Schweiz) im Ausland nicht erreichbar, falsche Adresse… schliesslich lande ich in Paris (etwa 800 Kilometer von meinem Standort entfernt). Nach vielen Schaltungen, aufgelockert durch Musik, die ultimative Auskunft: Kein Techniker da: „Rufen Sie morgen wieder an. Nach neun Uhr!“ Da ist der Tag noch grau, gespickt mit viel Hoffnung. Also mache ich mich anderntags auf den Weg zum Shop, wo man für dieses Problem zuständig sei, rund dreissig Kilometer entfernt, nur eine Bahnstation. Das Geschäft liegt unmittelbar neben dem Bahnhof. Warum nicht den Zug nehmen? Nach längerer Wartezeit (der erste Zug kommt gar nicht, der nächste hat Verspätung) steh ich vor dem Shop. Geschlossen: „en Grève“, im Streik. Kurz entschlossen: zurück zum Bahnhof, Taxi, Fahrt zum zweiten zuständigen Ort in der Stadt. Warten, warten, warten. Dann die strahlende Bedienung, mit einem neuen Gerät in der Hand. Wie aber zurück zum Bahnhof? Taxizentrale; „wir kommen!“. Warten, eine halbe, eine ganz Stunde. Nach mehreren Anrufen ist er endlich da und bald am Bahnhof. Der nächster Zug fährt in einer Viertelstunde. Ob er an der nächsten Station auch hält? „Ja“, die Auskunft der Billetverkäuferin. Doch er hält nicht. Noch rechtzeitig bemerke ich dies, auf Grund eines Faltplans, der im Shop aufliegt. Also eine weitere halbe Stunde Wartezeit. Dann kommt ein eleganter Zug, mit einer elegant uniformierten Dame, die wie der Argus den Einstieg bewacht. Kein Zutritt! Falsches Ticket, zwar richtig ausgestellt, an den richtigen Ort, zum richtigen Preis. Aber mit der anderen Bahngesellschaft, der weniger schnellen, der weniger noblen. Ich bleibe draussen (eine Station vom Zielort entfernt) und warte, warte… bis der „richtige“ Zug kommt. Spätestens da ist der Tag nicht mehr grau, sondern schwarz geworden. (201)

17. Juni 2021

 

In eigener Sache:

 
Ein winziges kleines Blatt
von Peter Züllig

 

Ein winziges kleines Blatt signalisiert Leben. Leben an kleinen scheinbar dürren Strauchresten im Topf auf der Veranda. Der Mönchspfeffer – eine Heilpflanze übrigens – hat den Winter nicht überlebt. Zwar ragen noch zwei, drei nackte, verholzte Stiele aus der Erde, seit Monaten, seit den Wintertagen. Die Pflanzen in den anderen Töpfen (mit Blumen und Gewürzen) spriessen längst, auch wenn sie – weil einjährig – nach den kalten Tagen neu eingepflanzt wurden. Hundertmal habe ich mir – und haben mir auch andere – gesagt: Reiss sie aus, da wächst nichts mehr. Irgendwie konnte ich es nicht, ich weiss auch nicht warum, vielleicht taten mir die abgestorbenen «Ästchen» leid, sie wirkten auf mich, wie eine zerstörte, öde Welt. Im Kleinen ein Mahnmal für das, was übrigbleibt, wenn wir die Natur weiterhin ausbeuten, plagen, vergewaltigen. Wenn wir ihr keinen Schutz, keinen Raum geben. So blieb der Topf inmitten der spriessenden, grünen, blühenden, wachsenden Sommerpracht allein, etwas abseits gestellt, von den Vorbeigehenden wohl auch verachtet, nicht einmal mehr unwertes Leben, abgestorben, bereits tot, ausgemustert. Und jetzt dies: Gestern war es erst ein winzig kleines Blatt, das sich aus dem dürren braunen Ästchen löste. Heute sind es schon zwei, drei Blättchen, bereits etwas grösser. In ein paar Tagen werden es Blätter sein, bald einmal Knospen und Blüten. Eine Pflanze, die lebt. Das kleine Blatt hat mich gelernt, demütiger zu sein, wenn es um Leben und seine Kraft geht. (200)

13. Juni 2021

 

In eigener Sache:

 
Vom Erzählen und Aufzählen

von Peter Züllig

 

Haben wir das Erzählen verlernt? Wir? Ja, wir alle, vor allem die Generation, welche mit Zippen und Zappen, Klicken und Klacken aufgewachsen ist, und dies immer und überall einsetzt, auch dort wo Folgen, Abfolgen, Wege, Abläufe gefragt wären, wo es ein Vorher, ein Nachher, ein Miteinander gibt, immer eingebettet in die Zeit und geprägt von Ursache und Wirkung. Sprachlich definiert sich dies als: Erzählen. Nicht umsonst ist Erzählen die Grundform jeder Kommunikation. Eine Form, die dem Leben entspricht, das Werden, Sein und Vergehen abbildet und auch allen Kommunizierenden (aus eigener Erfahrung) vertraut ist. Erzählen mit Worten, aber auch Erzählen in Bildern, mit Tönen, ja sogar mit Zeichen. Immer entscheidet dabei die Abfolge. Sie gibt der Kommunikation einen Sinn, vermittelt und erklärt Inhalte, transportiert Botschaften, weckt Interesse, schafft Spannung und macht letztlich ein geordnetes (Zusammen-)Leben erst möglich. Institutionelle «Erzähler» sind die Medien: Sie leiten und prägen unseren Alltag. Erzählen mit Worten lernt schon das Kleinkind, das Erzählen mit der Schrift spätestes in der Schule. Wo aber wird das Erzählen in und mit Bildern gelernt? Fotografie, Film, Fernsehen und das fast immer und überall zugängliche Internet haben dem «Erzählen in Bilden» fast uneingeschränkte Macht gegeben, jedenfalls eine Dominanz in fast jeder Kommunikation. Die Werbung hat diese Macht als rasch erkannt (und eingesetzt), dann auch das Fernsehen, als es noch Leitmedium war. Heute, so scheint mir, schüttet es nur noch Bilder aus, als Aufzählung, als Dokument, als Attraktion, als Vehikel zur Aufmerksamkeit. Verlorengegangen ist das Erzählen in Bildern. Ein Beweis dafür liefert – sozusagen jeden Tag – die Tagesschau von SRF. Da sind mehrheitlich "Aufzähler" am Werk, im besten Fall noch Erklärer, meist nur Bildlieferanten, kaum noch Erzähler. Dabei ist das Fernsehen – aufgrund seiner Struktur und Technik – das grösste und wichtigste «Bilderzählungs-Medium».  (299)

22. Mai 2021

 

In eigener Sache:

 
Trolle unterwegs

von Peter Züllig

 

Spätestens seit Ihre Digitale Hoheit – Internet – den Takt bestimmt, nachdem wir unser Leben zu richten haben, sind auch Trolle unterwegs. «Trolle» sind – gemäss Lexikon – «unberechenbare Fabelwesen der nordischen Mythologie, welche Naturkräfte verkörpern». Im Reich des Internets wurden sie aus der Mythologie und dem Hohen Norden in die Welt entsandt, um möglichst viele «Naturkräfte» zu wecken und am Leben zu erhalten. Zu diesen «Naturkräften» gehören auch List und Betrug, neudeutsch: Fakes. Sie kommen daher im Gewand des Wohltäters oder guten Freunds, dankbar und selbstlos. Etwa so: «Vielen Dank, dass Sie Swisscom verwenden.» Am Anfang steht, werbegewohnt der Dank, plakativ, in übergrosser Schrift. Es folgt die Meldung, etwas kleiner zwar, in Grossbuchstaben und fett: «WICHTIGE INFORMATIONEN». Jetzt die Anrede: «Sehr Geehrter Liebe,» Ich reibe mir die Augen, überprüfe den Absender «Swisscom (Schweiz) AG, Alte Tiefenaustrasse 6, CH-3050 Bern». Haben die – in Bern – jetzt Sprachidioten an der Strippe? Oder ist es ein Computer mit einem unbeholfenen Übersetzungsprogramm? Jetzt kommt die entscheidende «wichtige Information»: «Wir teilen Ihnen schriftlich mit, dass die letzte Abrechnung Ihrer Rechnung für May 2021 zweimal bezahlt wurde». Ich sehe Mays Helden daher galoppieren. Winnetou macht solche Fehler nicht und fühle mich wie Old Shatterhand: klug, listig, auf falscher Fährte. Die wichtige Meldung weiter: «Wir laden Sie ein, eine Rückerstattung zu beantragen, indem Sie auf den folgenden Link klicken». Anstelle des offerierten Links nutze ich das Kundenportal der Swissecom (mit Sicherheitscheck) und erfahre: Die Mai-Rechnung wurde noch gar nicht ausgestellt. Also «Trolle» unterwegs Doch die echten, nordischen «Trolle» sind nicht so betrügerisch, erst noch viel schlauer vor allem nicht falsch und gefährlich.   (298)

11. Mai 2021

 

In eigener Sache:

 
Von Kälbern und Metzgern

von Peter Züllig

 

Nur die dümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber(Bertold Brecht). Bei diesem Spruch müssten sich die Bauern ja auskennen. Der Umgang mit Kälbern und Metzgern gehört zu ihrem Beruf. Was, wenn die Kälber gescheiter sind als die Bauern, die den Metzger freiwillig und mutwillig ins Haus bitten, auch wenn es keine Kälber zu schlachten gibt? Dann geschieht das, was jetzt passiert. Geschlachtet wird der Ruf des Bauern, geschlachtet wird das Vertrauen in eine gesunde und umweltverträgliche Landwirtschaft, geschlachtet wird die Illusion, Bauern seien eigenständige Unternehmer, die alles tun, um die Natur, die Grundlage ihrer Arbeit und ihres Einkommens, zu pflegen und schützen. Geschlachtet wird vor allem der Mythos der schweizerischen Eigenständigkeit und Eigenverantwortung in der Landwirtschaft, der seit der «Anbauschlacht» (vor rund achtzig Jahren!) mit Milliarden von Steuergeldern im Umlauf gehalten wird.
Da gibt es Menschen – und es immer mehr – die kaufen «regionale Produkte», auf dem Markt, bei den Produzenten, an Ständen an der Strasse, in den Dorfläden. Sie meiden die in Plastik geschweissten Gemüse, Früchte, Beeren… der Grossisten. Sie gehen lieber direkt zu den Produzenten, «aus Liebe zum Dorf, wo der Bauer nicht allein den Acker pflügt.» Ein böses Erwachen, wer jetzt auf und durch das Land geht, auf Schritt und Tritt beworfen, belästigt, bedrängt mit Parolen, die den Untergang der schweizerischen Landwirtschaft beschwören, sollten die beiden Umwelt-Initiativen (13. Juni) angenommen werden. Und ich «Kalb» gehe direkt zum Produzenten (wo der Metzger lauert), um meine Kartoffeln, meinen Salat, mein Gemüse, mein Brot, mein Fleisch, dort zu kaufen, wo ich bisher glaubte, am nächsten bei der Natur und der gesunden Ernährung zu sein. Doch da werden Parolen verkauft und die Trommel gerührt – angeführt von den Bauern-Verbänden und Agrarfirmen (Fenaco) – für ihr «ultimatives Nein» zu mehr Verantwortung gegenüber Natur und Leben. Und «hinter der Trommel trotten die Kälber. Das Fell für die Trommel liefern sie selber.“    (197)

30. April 2021

 

In eigener Sache:

 
Fotoalben

von Peter Züllig

 

Erinnerungen werden festgehalten: die schönen und die schlechten. Bisher auf Fotopapier, meist fantasievoll eingeklebt in Alben. Heute fast nur noch digital gespeichert, routinemässig im Handy oder auf einer «Wolke». Wer seine Bilder noch immer auf Facebook zeigt, kann sich ein Album vom Computer zusammenschustern lassen. Kommentar: «Du hast viele tolle Erinnerungen… wir haben 351 grossartige Momente gefunden…Dein Album wird grossartig.» Erinnerungen als industrielle Bildprodukte. Zusammengestellt nach einem empathielosen Algorithmus, «Kraut und Rüebli» beieinander, nur einer Form gehorchend, nicht einem Inhalt. Kein Wunder, dass einstigen Bild-Erinnerungen wertlos geworden sind, altmodisch, verstaubt… Ein Relikt aus vergangenen Tagen. Leben lebt sich nur in der Gegenwart. In der Vergangenheit ist Gelebtes vorbei. Schnell ausgeschlossen aus der Erinnerung, und dem Wissen um das Werden und Sich-Entwickeln. Rückbesinnung bedeutet: Gestrig-Sein, bestenfalls gefragt bei nostalgischen Alten, zur Verklärung des Gewesenen. Der Begriff «historisches Bewusstsein» hat sich in das Lexikon verkrochen und wird ab und zu – fast schon verzweifelt – in Parolen erinnert: «Nie vergessen!». Doch da muss es schon um etwas ganz Grosses gehen, um den «Holocaust» zum Beispiel, den «Mauerfall» oder «Nine-Eleven». Sollte die Erinnerung aber nicht angenehm sein, lässt sie sich immer noch verdrängen oder gar leugnen. «Erinnerungs-Alben» gehören deshalb in die Mülltonne, auch wenn sie nicht nur «Privates» aufleben lassen, sondern gesellschaftliche, technische, politische Entwicklungen dokumentieren. Könnte ja sein, dass Bilder nicht nur in Nostalgie schwelgen, sondern auch «historisches Bewusstsein» wecken. Etwas, das immer mehr aus dem Leben verbannt wird.    (196)

19. April 2021

 

In eigener Sache:

 
Vorauseilende Gefühle

von Peter Züllig

 

Vorauseilender Gehorsam, den kennen wir – besonders in Wirtschaft und Politik - als willfährige Geste, verpönt und meist verachtet. Aber was sind vorauseilende Gefühle? Gefühle der Zukunft? Wer kann diese schon kennen? Vorausahnen, bestenfalls? Reporter des ZDF (Zweites Deutsches Fernsehen) sind aber – glaubt man der Trailer-Redaktion – mit einer prophetischen Gabe ausgestattet. Seit Tagen wird in einer – immer mal wiederholten Vorschau - verkündet: zwei Kommentatoren «berichten live über die bewegende Trauerfeier in London.» Von einer Feier, die erst in ein paar Tagen stattfindet. Eine Reportage – so die Definition – enthält «subjektive Eindrücke von professionellen Beobachterinnen oder Beobachtern» – die meist auch vor Ort sind (oder im Studio ein Geschehen verfolgen). Sie berichten, was sie gerade sehen und erleben, besonders wenn es sich um eine «Live»-Übertragung handelt. Wie kann da ein Reporter- oder Kommentatoren-Team bereits Tage zuvor wissen, dass es sich um eine «bewegende Trauerfeier» handelt, dass sie – bei der Kommentierung – bewegt sind? Ich habe sie dann – die Trauerfeier – am Bildschirm erlebt und mich dauernd überprüft: bin ich jetzt bewegt oder berührt oder: wie konnte der Sender voraussehen, ob ich bewegt sein werde oder eben nicht? «Bewegende Trauerfeier», ein falscher Ausdruck nur, in einer Vorschau wo er nichts zu suchen hat? Vorauseilende – anders ausgedrückt: erwartete Gefühle – die zu Werbezwecken suggeriert werden. Grosse Worte – auf Wunschwolken - ohne Verankerung in der Realität. Vielleicht zutreffend, vielleicht auch nicht. Nicht informierend, fabulierend, nicht erzählend, sondern erdacht. Das ist in der TV-Werbung heute üblich, über weite Strecken. Geradezu eine Maxime. Doch achten Sie selber einmal darauf, wenn Sie das nächste Mal von Werbebotschaften überschüttet werden.  (195)

05. April 2021

 

In eigener Sache:

 
Plääästic

von Peter Züllig

 

 Eine Plastikhülle, noch eine Plastikhülle, und noch eine, und noch eine, noch eine… Ich bin am Kochen, gerade daran die Zutaten zu bereit. Das grösste Problem zuerst: Plastik. Auf dem Tisch ein Haufen von Plastik. Weit grösser als das, was ich zum Kochen brauche. Plastikmüll, der zu entsorgen ist. Aber wie? Weg in den Kehricht? Da und dort – leider nur in wenigen Gemeinden – wird auch Plastik getrennt und getrennt entsorgt. Seit meine Gemeinde – zwar widerwillig  und aufwändig – auch spezielle Entsorgungssäcke für Plastik anbietet, trenne ich im Haushalt nicht nur Grünzeug, Glas, Papier und Karton, sondern auch Plastik. Die Erfahrung: umwerfend. Während sich der Kehrichtsack kaum füllt, überquillt der Plastiksack unglaublich schnell. Verhältnis: bald einmal eins zu zehn. In der Zeit von Corona exponentiell steigend (Hygiene!). Warum wird nicht mehr getrennt entsorgt? Die Antwort (wie aus der Maschine geschossen): rentiert nicht, zu aufwändig, zu wenig wirtschaftlich. Sogar die Greenpeace Krieger ketten sich lieber effekthaschend und publikumswirksam irgendwo an, als dass sie ein alltägliches Problem, das uns alle betrifft (Mensch und Tier), ernsthaft angehen. Im Gegenteil: sie weisen darauf hin, «dass Plastikrecycling erstaunlich ineffizient sei und in der CO2 Bilanz kaum zu Buche schlage.» Wo nur noch Bilanzen und Rentabilität massgebende Kriterien sind, um für die Umwelt zu sorgen, verlieren Mensch und Tier immer mehr Lebensraum und bezahlen mit ihrer Gesundheit und dem Wohlsein. Wo Welt zu einem berechenbaren Produkt degeneriert und Schäden an Leben einer errechenbaren Grössen, da wird nur noch nach wirtschaftlichen Kriterien gehandelt.  Das Reduzieren von Schäden muss sich lohnen, rechnen oder – noch weit häufiger – politisch ausbezahlen. (194)

26. März 2021

 

In eigener Sache:

 
Warten auf Swisscom

von Peter Züllig

 

Absurdes Theater: «Warten auf Godot», damit wurde Samuel Beckett weltberühmt. «Estragon» - in diesem Fall heisst er Peter – wartet. Wartet auf Swisscom. Zuerst einmal in der Warteschlange. Ist auch nicht verwunderlich, schliesslich nennt sie sich Warteschlange und erweist ihrem Namen alle Ehre. Als dann das Warten vorüber ist, meldet sich nicht Godot, vielmehr eine Stimme: «Was kann ich für sie tun?» Vor lauter Schreck habe ich fast vergessen, was ich eigentlich wollte. «Mein Telefon geht nicht mehr», staggele ich, «das heisst, es geht schon, aber ich höre nichts.» Irgendwie – nach einiger wartebedingten Verwirrung – haben wir uns dann geeinigt. «Da muss ein Spezialist her, warten sie!» Und ich wartete wieder, auf Godot, pardon auf Swisscom. Eigentlich müsste jetzt Waldimir auftauchen, damit wir gemeinsam auf Godot – pardon Swisscom – warten können. In dieser langen Wartezeit – sie dauert inzwischen schon 24 Stunden – taucht Swisscom – zeitgemäss verkleidet in eine Botschaft namens «eMail» - zweimal auf. «Volle Kontrolle behalten, auf ein Abo wechseln!». Es geht mir wie Becketts Estragon. Ich weiss nicht mehr wo und warum und wie ich auf Godot zu warten habe. Was geht mich dieser Godot an? Die Swisscom brauch ich, die Swisscom. Oder vielleicht doch Godot? Kann der mir helfen? Dann, eine neue Botschaft von Swisscom: «…wir arbeiten an der Behebung der Störung… Grüsse Swisscom.» Immerhin – seit dem ersten Warten auf Godot hat sich etwas verändert. Der ersten Meldung ist nun ein Link beigefügt. «Verfolgen Sie den aktuellen Stand unter…» Seither verfolge ich, doch da tut sich nichts. Die von der Swisscom warten offensichtlich auch auf Godot. Gott sei Dank kenne ich den zweiten Akt von Becketts Theater. Er ist fast deckungsgleich mit dem ersten. Das wird wohl beim Warten auf Swisscom nicht anders sein.   (193)

15. März 2021

 

In eigener Sache:

 
Aufregung ohne Aufregung

von Peter Züllig

 

Nein, ein «Aufreger» war er nicht. Auch kein guter Krimi. Aber ein guter Film. Ja, ich spreche vom Tatort «Schoggiläbe», der trotz diagnostizierter Langweile, noch immer mit viel Aufregung nachhallt, in Leserbriefen, den Social Media, in der Presse. Im «TagesAnzeiger» – zum Beispiel – und den mit ihm gekoppelten Blättern. Da wird der Hauptverantwortliche zur Brust genommen. Er soll die Entstehung der Zürcher Episoden des Tatorts «vom Konzept bis zum Dreh», Punkt für Punkt, erklären. Und es wird das zelebriert, was man dem Zürcher Tatort anlastet: Kopflastigkeit. Punkt für Punkt, wie vor einem Gericht. «Warum kann dies nur schiefgehen?» so die aufgeregte Frage. Der Film war tatsächlich auch ein Aufreger, aber kein kriminalistischer. Ein ästhetischer, ein filmsprachlicher, ein gestalterischer. Es war kein Krimi, es war ein filmisches Kunstwerk, dem die Erwartungen, die Sehgewohnheiten und die ultimative Forderung nach Spannung in die Quere gekommen sind. Ein Krimi darf nämlich auch schön sein, in den Bildern (faszinierende Gemälde waren es), im Licht, in der Stimmung (die immer und immer wieder aufgebaut wurde), in der filmischen Umsetzung (die sich der Clip-Sprache bediente), in der schauspielerischen Leistung, die sich ganz in die Form und Ästhetik der Geschichte einfügte. Davon sollte die Kritik einer visuell und akustisch am Bildschirm dargebotenen Geschichte – zumindest - auch sprechen. Schliesslich geht es am Fernsehen vorab um das Sehen und Hören, und nicht allein um Aufregung, die sich aber – siehe TagesAnzeiger – viel, viel besser verkaufen lässt.   (192)

05. März 2021

 

In eigener Sache:

 

Clowns im Bundeshaus

von Peter Züllig

 

Es ist erwiesen: Alain Berset hat Covid-19 weder erfunden noch ins Land gebracht. Genauso wenig wie seine Bundesratskolleginnen und -kollegen. Er, respektive sie, sind – in Funktion ihrer Ämter – dazu verpflichtet, für die Schweiz Lösungen zu suchen, wie sie jetzt auf der ganzen Welt gesucht, erprobt und immer wieder neu beurteilt werden. Keine politische Frage; eine Frage der Menschlichkeit, des Zusammenlebens, des Lebens schlechthin. Derweil treten unter der Kuppel des Bundeshauses Politclowns auf, verwechseln den Ratssaal mit einer Zirkusarena und beschliessen (mit sieben Stimmen Mehrheit): am 20. März ist Corona verschwunden, alles ist wieder normal. Es ist wie die Überzeugung von Sekten, die prophezeien: «Am 30. Mai ist Weltuntergang». Variationen waren schon immer möglich, auch Dauer-Verschiebungen und Themenwechsel. Diesmal geht es nicht um Untergang, sondern um Errettung. Selbst bis zum 30. Mai mögen sie nicht warten, es muss viel schneller gehen.  Ein neues Datum wird festgesetzt und mit einfacher Mehrheit beschlossen. Eine der Wortführerinnen, die Pfarrers-Enkelin, lebt ihren Glauben vor, den sie so gern zur Schau trägt. Vor einem Jahr, als die Pandemie eben erst die Schweiz erreicht hat, zeigte sie sich als einzige im Ratssaal mit Maske. Jetzt wo es die Maske braucht, reisst sie sich diese vom Gesicht. Während sich die Glaubensbrüder und -schwestern als Clowns outen, reisst sie die Maske vom Gesicht und stürzt sich mutig in den Kampf: "Ich bin die Tellin und kämpfe gegen die Tyrannei des Bundesrats."    (191)

24. Februar 2021

 

In eigener Sache:

 

Eine unglaubliche Wut

von Peter Züllig

 

 «Zaff» - ein Fingerdruck auf die Fernbedienung – es ist still im Raum. Vor gut einer Stunde habe ich es mir gemütlich gemacht vor der Flimmerkiste. Abschlaffen bei der wohl bekanntesten Quizsendung «Wer wird Millionär?», die seit zwanzig Jahren im gleichen Privatsender, am gleichen Sendeplatz, in der gleichen Manier, mit dem gleichen Moderator abgespult wird. Die Spannung liegt einzig in den Fragen und bei den Menschen, die sie beantworten müssen. Es winkt immerhin eine Million, für die, die es ins Ziel schaffen. Die Unterhaltung besteht aus einem Gemisch an Gefühlen: Bewunderung, Schadenfreude, Genugtuung, Neid, Erkenntnissen, Staunen, Anerkennung… zwei Stunden lang eingebettet in das eigene Denk-Vermögen und -Unvermögen, das eigene Wissen und Nichtwissen. Eigentlich ein sympathischer Ansatz für sanftes Zurückfinden zu sich selbst, für sinnvolles Abdriften (in eine meist nicht erinnerbare) Selbstdefinition im Traum. Doch das alles hat einen Haken, eine Fallmasche oder es bauscht sich gar zu einem brutalen Ärgernis auf. Periodisch – so jede halbe Stunde – wird das Publikum aus der Quizwelt ausgeschlossen, schlägt ihm Produkt um Produkt ins Gesicht, gaukelt vor, die Welt sei gut und schön, man müsse sie nur kaufen. Eine Flut an Behauptungen, Schmeicheltönen, geschönten Bildern, «alternativen Fakten» ergiesst sich in den Raum. Publikumsbeschimpfung im Werbekleid. Drei der brutalen Eingriffe – sie dauern immerhin an die 10 Minuten – habe ich überstanden (Herumgehen im Raum, Toilette, Getränkeholen, Umschalten auf einen anderen Sender etc.). Doch die vierte Attacke – kurz vor Schluss - war dann doch zu viel. «Zaff». ein Fingerdruck, es ist still im Raum. Geblieben ist eine unglaubliche Wut auf den Sender, auf die Sendung, auf all die Produkte, die mir soeben - pausenlos, in Wiederholung - an den Kopf geschmissen wurden. Die Wut ist inzwischen so gross, dass ich all das meide, was an geschöntem Unrat beim Fernsehschauern, mitgeliefert wird     (190)

09. Februar 2021

 

In eigener Sache:

 

Das Wunderding im Sack

von Peter Züllig

 

Eidesstattliche Erklärung: Mit meinem Handy kann man auch telefonieren. Ist ja auch logisch, man hat ja einen Verbindungs-Vertrag im Sack und eine raffinierte Technik in der Hand. In der Hand? Ganz so einfach ist das nicht, es ist ja auch kein Handy mehr, sondern ein Smartphone, ein «schlaues» Telefon, so unhandlich und schwer, dass ich mir den alten «Knochen» herbeiwünsche. Da wusste man noch, wohin man sprechen und wo man hören musste beim Telefonieren. Ach ja, das Telefonieren! Das geht ja noch, da kann man sich vorbereiten, Nerven tanken und notfalls Aktionen wiederholen, wenn man einmal zu flüchtig oder zu fest den grünen «Knochen» auf dem Display streichelt. Für mich, trotz vielen Annäherungsversuchen, noch keine innige Liebe, eher eine flüchtige Zwangsbegegnung mit einer kalten Berührung am Ohr. Nicht etwa so, dass es mit süsser Stimme säuselt würde. Vielmehr ächzt und krächzt es, weil es partout nicht dort spricht, wo mein Gehör seinen Eingang hat. Viel schwieriger noch ist die Ankunft eines Anrufs. Es läutet oder klingelt nicht mehr, wenn er sich ankündigt. Das gibt es nur noch in älteren Filmen. Jetzt werde ich bezirzt durch meine individuelle Musik. Erschrocken greife ich erschrocken in Hosentasche (eine Weste oder eine zusätzlich Tasche trage ich nur ganz selten). Das Ding aber liegt quer im Sacke, will nicht herauskommen, zu eng ist der Ein- und Ausgang, dimensioniert für Zigaretten oder   Sackmesser, nicht für Telefonmonster. Endlich befreit! Da ist es zuerst einmal gesperrt, damit es «nicht unbeabsichtigt in Funktion tritt». Schon fast verzweifelt greife ich ins Display. Daneben! Es verkündet stolz: «Wollen sie die App laden». Ja, ich will telefonieren. Zu spät! Ich werde zwar verbunden, nicht aber mit dem Anrufenden.  Vielmehr mit Denner, Aldi, Coop oder sonst einer Adresse mit intensiver, Werbung. Das geht dann auch rasch und mühelos, ein Tor zu einem Wunderland. Fortan ist das Wunderland auch fest verankert auf meinem Handy. Doch der Anrufer hat längst «aufgehängt» oder besser, den richtigen Knopf gedrückt, den roten Knochen.     (189)

30. Januar  2021

 

In eigener Sache:

 

Traktat-Mission

von Peter Züllig

 

Das musste ja kommen! Inzwischen lässt kaum mehr an Corona, als "eine harmlose kleine Grippe", festhalten - angesichts der an und mit der Seuche gestorbenen Menschen (in der Schweiz mehr als 2'000 Tote, weltweit über 2,2 Millionen). Gebetsmühlenartig werden immer wieder die gleichen Argumente wiederholt. Zum Beispiel: "Es sind ja nur die «Alten und Kranken», die gefährdet sind und wegsterben". Euthanasie (Vernichtung unwerten Lebens) bezeichnet man diese Haltung, auch heute noch. Obwohl die einst zur Vernichtung eingesetzten Gasöfen jetzt nur noch Winzlinge sind, unsichtbar, nur unter dem Elektronenmikroskop zu erkennen. Die Leid- und Todgeweihten müssen nicht mehr von Schergen deportiert werden, nur angesteckt, irgendwo, irgendwann, von irgendwem, irgendwie. Begleitet von gut klingenden Worten, wie «Selbstverantwortung». Und all die, welch durch die Missachtung ihres Verstandes mitverantwortlich sind, errichten jetzt eine neue Front mit ihrer Initiative für «Freiheit und körperliche Unversehrtheit». Es sind die missionarischen Impfgegner, die verlangen, dass «jeder Mensch selbst bestimmen soll, ob etwas und was in seinen Körper gespritzt wird». Fast schon epidemisch breiten sich neue Schlagworte aus, festgehalten und illustriert auf Traktätchen, die in viele Briefkästen flattern. Traktätchen waren schon immer das dominierende Kampfmittel für Missionierung und Bekehrung, meist durch religiöse Sekten. Jetzt sind es vor allem Corona-Leugner und Impfgegner, die ihre Botschaften so verbreiten. Die «eigene Freiheit und Unversehrtheit» hat sich brutal in ihre Mission eingenistet und vor jede Verantwortung gestellt, auch vor die inflationär zitierte Selbstbestimmung und Selbstverantwortung.   (188)

20. Januar  2021

 

In eigener Sache:

 

Ein gehöriges Problem

von Peter Züllig

 

Wer im Internet unterwegs ist, stösst seit Wochen - ja Monaten - auf ein gehöriges Problem. Der ultimative Appell: «besser hören, dank…» Und schon prasseln Werbesprüche daher: «mit Jungfühl-Garantie», «das Hörgerät zum Jungfühlen», «das Kind im Ohr», «Kontaktlinse im Ohr», «das neue Wow-Gefühl», «ganz Ohr»… Eine unglaubliche Armada – eine Flottenstreitmacht – dringt auf uns ein und will gehört werden. Höroffensive! Das Perfide daran: die kleinen, meist sehr teuren Dinger verstecken sich meist verschämt hinter redaktionellen Texten: «Endlich ist es auch hier in der Schweiz erhältlich» oder «innovative Neuheit» oder «aktuelle Erfindung» oder «vom Hörrohr zum Mikro-Chip» oder «So hätte auch Beethoven seine Kompositionen hören können.» Nur ich kann sie nicht mehr hören, die aktuelle Höroffensive. Zu laut, zu schrill, ohrenbetäubend, in der Regel aber ohne einen Laut von sich zu geben. Auch Schlagworte können laut sein, auch wenn sie stumm sind und wie wild umsichballern. Mit einer Aufzählung an Worthülsen, die inhaltlich nichts (oder wenig) sagen. Nicht nur bei Hörgeräten, überall dort, wo alle das Gleiche sagen, zum Beispiel in der Fernsehwerbeflut. Wo jeder hofft, nur er werde gehört und immer mehr im Lärm untergeht.   (187)

611. Januar  2021

 

In eigener Sache:

 

Was er sagen wollte

von Peter Züllig

 

Wer? Er? Mein Vater. Er ist vor bald fünfzig Jahren gestorben. Plötzlich, ohne Adieu zu sagen. Er war ein Sammler. Sammler von Zeitungsartikeln. Alles akribisch unterstrichen, was ihn bewegt hat, gerade diesem Ausschnitt aufzubewahren und in die Sammlung einzuordnen. Ordnung zu schaffen war gar nicht so einfach, denn da gab es noch keine Computer und seine selbst gebastelten Ordnungs-Systeme wurden immer wieder vom aktuellen Geschehen überrollt. Seine Interessen waren weit gesteckt, vieles änderte sich immer wieder, fundamental: Vorkriegszeit, Krieg, weltpolitische und familiäre Veränderungen, neue Medien… All das spiegelt sich in seiner Dokumentensammlung. Subjektiv ausgewählt, subjektiv mit Lob und Tadel versehen, subjektiv gewichtet. Als Hobbysammler war er niemandem verpflichtet. Nur seinen Interessen, seinen Kenntnissen, seinen Ansichten… Als er starb, wusste eigentlich niemand so genau, was er alles gesammelt hat. Die Pietät und – ich gebe dies zu – meine eigene Sammelleidenschaft führten dazu, dass ich die Schachteln und Stapeln, die Zeitungen und Zeitschriften nicht entsorgte, sondern im Estrich bis heute aufbewahrte. Fünfzig Jahre lang, immer wieder begleitet von der festen Absicht, einmal doch hineinzuschauen, zu analysieren und zu erfahren, was der Sammler, mein Vater, dachte und nie - oder kaum je - gesagt hat. Und das war viel, unglaublich viel. So mein Eindruck und eine Erkenntnis bereits nach den ersten Dossiers. Viele der Dokumente – vielleicht sogar die meisten – waren mit einem Zeichen markiert. Das Zeichen, wem er eigentlich was sagen wollte. Ich bin sicher, er hat das allermeiste nie gesagt. Aber gedacht, vertreten, gefühlt. Eine Sammlung, ein «Seelenbild» meines Vaters. Darunter die Zuordnung zu «P». Das bin ich. Zum ersten Mal – im fortgeschrittenen Alter – erfahre ich, was er sagen wollte.   (186)

20. Dezember  2020

 

In eigener Sache:

 

Risikobasiertes Abwägen

von Peter Züllig

 

Es wird viel geredet. Zuviel. Es wird wenig getan. Zuwenig. Corona hat uns fest im Griff. Da können schon mal Worte fallen, die eigentlich nicht fallen dürften. Bundesrat Maurer sagte im Parlament: «Wir können uns keinen zweiten Lockdown leistenDabei meine er: «Wir wollen uns keinen zweiten Lockdown leisten.» So spricht eben ein Finanzdirektor. Beim Verb liegt der Unterschied. Wollen und Können. Beides ist in Schieflage geraten. Schief gedrückt von der Politik. Da verraten sich plötzlich Dimensionen der Wertordnung. So richtig aufdecken mag es niemand. Bestenfalls aufrechnen: Leiden gegen Wohlstand, Krankheit gegen Geld, Leben gegen Tod. Die Rechnung geht nie auf. Doch sie wird gemacht. Der Wohlstand – nicht der Mensch – ist in Gefahr. Die Spitäler – totgespart und dem politischen Willen unterworfen - erreichen ihre Grenzen. Sie zeigen schonungslos auf, wo die Verantwortung liegt. Bei den Sparern und Rationalisierern, die längst der Solidarität entschlüpft sind. Der Wohlstand wird es schon richten! Erst wenn der Wohlstand in Gefahr gerät, wird gehandelt und - wo immer möglich - mit Geld abgesichert. Dies, - nicht etwa die Toten - können wir uns nicht mehr leisten. «Wir haben das Geld nicht!», so Ueli Maurer. Seuche, Krankheit, Tod wird zu m blossen Bestandteil des «Gesundheitssystem» erklärt. Und das muss sich rechnen. Ein System lässt sich mit gezielten Massnahmen verändern. Man kann – das liegt marktwirtschaftlich nahe – zum Beispiel eine «Triage» vornehmen. Wertes Leben da, unwertes Leben dort. Früher nahm man solches als «Gottesurteil» hin, heute ist es «als risikobasiertes Abwägen», ein geläufiger marktorientierter Vorgang.   (185)

20. Dezember  2020

 

In eigener Sache:

 

Verhältnismässig tot

von Peter Züllig

 

Im Augenblick zirkulieren Schlagworte «en masse» - fast schon exponentiell – sozusagen pandemisch – durch die Coronakrise. Die «Selbstverantwortung» hat sich früh breitgemacht, als Alternative zum Lockdown. Sie wurde schnell aufgenommen und verinnerlicht. Jeder ist für sich selbst verantwortlich, aber ja nicht – auf keinen Fall – für andere. Man ist sogar bereit, für sich selbst zu protestieren und dabei alle andern zu gefährden. «Nicht mehr als eine Grippe» hält sich ebenso tapfer im Schlagwortgefecht und erschlägt damit 5000 Corona-Tote (allein in der Schweiz) und das Leid ihrer Angehörigen gleich ein zweites Mal, diesmal mit statistischen Zahlen über Sterblichkeit. Etwas vulgärer formulieren es andere, selbsternannte Corona-Experten: die verordneten Massnahmen «seien ein Witz». Besonders häufig wird nach «Freiheit» gerufen und jede «Zwangsmassnahme» abgelehnt. Das alles erinnert an eine schlecht gezimmerte Steinschleuder, die es mit modernen Repetionsgewehren – so die Schlagkraft einer Pandemie – aufnehmen möchte. «Verhältnismässigkeit» ist das aktuellste dieser schön klingendes Worte. Massnahmen müssen «angemessen» und «verhältnismässig» sein, fordert nicht nur - aber besonders lautstark – Hans-Ulrich Bigler, der Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbandes. Ich überlege mir ernsthaft, ob ich verhältnismässig tot oder verhältnismässig lebend bin. Eigentlich halte ich es doch lieber mit den Bremer Stadtmusikanten, die lakonisch festgestellt haben: «etwas Besseres als den Tod finden wir überall».   (184)

18. November  2020

 

In eigener Sache:

 

Schlangenfänger

von Peter Züllig

 

Das Internet bringt nicht nur Glück und Segen, da sind auch schwarze Tage mit dabei. Schwarze Tage? In unserer Tradition, in unserem Sprachgebrauch sind "schwarze Tage" Unglückstage, Tage voll Pech und Pannen. Kurzum: etwas, das man sich nicht und nie wünscht. Unsere globalisierte Umgangssprache zaubert häufig - schwups - ein Gegenteil hervor. Aus dem schwarzen Hut krabbelt plötzlich ein weisses Kaninchen. Als Kinder haben wir da gestaunt, später gelernt: dahinter versteckt sich immer ein Trick. Der Trick der Zauberer, meist geschickt gemacht, hundertfach geübt, verblüffend für die, die zusehen und sich der Illusion hingeben. Auch bei uns verfängt seit ein paar Jahren ein einfacher Trick: aus schwarz wird black. Absolut korrekt - kein Übersetzungsfehler. Nur der Inhalt hat sich gewandelt: ins pure Gegenteil. Aus Unglück wird Glück, aus Verlust Gewinn. Damit alles auch wirklich gut wirkt, hat man die Schimäre auf einen einzigen Tag gelegt, den Black Friday, zu Deutsch: den Schwarzen Freitag. Da purzeln Angebote zu Sensationspreisen in grosser Menge, in schwarzen Massen nur so aus dem Zylinder. "Satte Rabatte", "magische Rabatte", "Rabattschlacht"... Wer sich da nicht sogleich ins Kampfgetümmel stürzt, der ist ein Depp. Weil es so viele Deppen gibt, wird der Schwarze Freitag hurtig noch erweitert, zur Black Week, zur schwarzen Woche. Eine mehr oder weniger konzentrierte Schnäppchenjagd. Sie ergiesst sich über das Internet und die gebeutelte Fernsehwerbung. "Dreissig Prozent billiger", "zum halben Preis", "zwanzig Prozent günstiger"...  Es sind nicht die Tricks der Zauberer, es sind die der Schlangenfänger. Sie spielen mit der Angst der Menschen etwas zu verpassen. Und seien es nur ein paar Prozente.   (183)