In eigener Sache:
Standpunkt
von Peter Züllig
Wenn jemand Millionen investiert, dann verspricht er sich handfeste Gewinne. So funktioniert die Wirtschaft, die uns den Wohlstand sichert. Ethik und Moral haben da nichts zu suchen, sie sind kein Shareholder-Value, es sei denn, sie versprechen Gewinnmaximierung. Knallharte Wirtschaftslogik, die letztlich an der Börse gemessen wird. Ethische Werte sind nur Luxus und Hemmschuhe im Getriebe. Die Politik hat sich diesem Denken angepasst. In Watte verpackte Ethik gibt nur noch in Parteiprogrammen, die dann bei Wahlen und Abstimmungen in harte Währung umgesetzt werden. Anerkennungs- und Mitgliederschwund ist schlimmer als ein Börsensturz. Am Abstimmungs-Wochenende, an dem der Einsatz der Wirtschaft auch honoriert wurde, hat auch die Partei mit dem "C" diesem lästigen Symbol eine Absage erteilt, diesem letzten lästigen Zeichen "christliche" (nicht zu verwechseln mit religiösen oder konfessionellen) Werten. Angeführt von Gerhard Pfister, der Shareholder-Value für "seine" Partei längst verinnerlicht hat. Schliesslich kämpfte er auch beim "Nein" zur Konzernverantwortung an vorderster Front. Ob "C* oder "E" oder "S" oder "G" im Parteinamen, ist letztlich nur ein schwaches äusserliches Zeichen, dass man sich nicht in eine neutrale Zone, in die Mitte (Definition: "von allen Enden oder Begrenzungen gleich weit entfernt") zurückzieht. Sondern sich dort bewegt, wo Ethik und Verantwortung Pole schaffen, zu denen man - je nach Anziehungskraft - hingezogen wird. (182)
30. November 2020
Standpunkt:
Der Antischweizer
(Schweizerisch: "De fremdi Fötzel)"
So hat man mich (nicht nur) einmal in einem Flugblatt beschimpft, weil ich die Frechheit habe zur "Anti-Schweizer-Initiative" ja zu sagen
(siehe: In eigener Sache).
Ich bin tief beleidigt, ob diesem rotzigen Pauschalurteil. In den bald zehn Jahren habe ich hier noch nie politisch Stellung bezogen oder gar missioniert.
Ich erlaube mir in meiner Kolumne "in eigener Sacher" Welt aus meiner Per-spektive zu kommentieren (regelmässig, so alle 10 Tage - bisher sind es rund 350 Kolumnen), Ab-und-zu gebe ich auch Freunden Gast-recht auf dieser Website, zum Beispiel dem "Philosophen", der eine fundierte Analyse zur Konzernverantwortungsinitiative - ohne Schimpfwörter und Beleidigungen - geliefert hat. Er hat mir - ausser sich vor Wut und Enttäuschung - noch gestern Abend einen Kommentar geschickt, den ich hier (meinen kulturellen Prinzipien getreu) nicht aufnehmen werde. Er war auch privat adressiert mit "Lieber Peter..." Doch meine Enttäuschung und meine "Wut" wohl nicht anders und nicht kleiner. Deshalb ausnahmsweise - stellvertretend für alle Zuschriften, die mich heute erreicht haben - eine Kolumne des be- und verurteilten Antischweizers. (181)
In eigener Sache:
Die Antischweizer
von Peter Züllig
Schon sind wir wieder im Abstimmungsmodus. Das Kampfgetöse schleppt sich nicht nur durch den öffentlichen Raum, es dringt bis ins Haus, zumindest in den Briefkasten. Heute in Form einer roten! Kampfansage: «Du triffst über 80'000 Schweizerfirmen! Das ist nicht ok!» Nein, das ist nicht «ok»! Nämlich das, was das «Wirtschaftskomitee» (alle Mitglieder finden Sie auf der Website succèsuisse.ch) 80'000 Schweizerfirmen glatt unterstellt. Sie alle missachten die Moral, sie kümmern sich nicht um soziale Verantwortung, nicht um Kinderarbeit, nicht um Luftverpestung, nicht um… Sie alle stehen am Pranger, haben zu fürchten, wenn die Konzernverantwortungsinitiative angenommen wird. Eine Meisterleistung der (Fehl)Information. Juristisch nicht zu belangen, denn im (kleineren) nachfolgenden Text wird das Betroffensein «erklärt». Es geht um «riesigen Bürokratie-Aufwand», um Ungerechtigkeit (Moralbegriff!) weil «Firmen aus dem Ausland nicht kontrolliert werden» und weil sie sich (die 80'000 Schweizerfirmen!) «aus heiklen Ländern zurückziehen und Investitionen streichen müssen». Bewusst gesetzte Fehlinformation unter dem Titel «Informationskampagne». Doch damit nicht genug. Alle Ja-Stimmenden werden als Anti-Schweizer tituliert, denn sie befürworten eine – wörtlich! – «Anti-Schweizer-Initiative», die gleich auch noch eine «Anti-KMU-Initiative» und eine «Anti-Entwicklungsländer-Initiative» ist. Danke für die Belehrung, liebe Succèsuisse! Soviel «Anti» müsste eigentlich zu einer Ausbürgerung führen, all jener, die ein Ja in die Urne legen. Dann könnten alle, die das empfohlene Nein auf den Stimmzettel schreiben, ihre eigene «Pro»-Schweiz aufbauen, nach ihrem Muster, in de es nur ihre Moral (Gewinnoptimierung?) und keine lästigen Anti-Schweizer mehr gibt. (180)
12. November 2020
In eigener Sache:
Plastik
von Peter Züllig
Zum Kunststoff – umgangssprachlich Plastik - habe ich eine wechselvolle Beziehung. Da gabs die Zeit – ich habe mich gerade von der Kindheit gelöst und in die Jugend gerettet – wo alles viel glänzender, sauberer, farbiger, formiger geworden ist. Plastik! Dann kam die Zeit der Verführung: Möbel, Mode, Schmuck, Designe, Kunst… Plastik! Mit ihr kam auch mein erster Widerstand: «Jute statt Plastik». Dies ging so weit, dass wir ein sogenanntes "Bio-Haus" bauten, in welchem Bauteile aus Kunststoff möglichst vermieden wurden: Türfallen, Wasserhähne, Isolationen, Bodenbeläge… Kein Plastik!
Nun hatten wir zwar ein plastikarmes Zuhause, doch das Umfeld wandelte sich. Die kleinen Geschäfte «um die Ecke» - die Tante-Emma-Läden - gingen ein. Es kamen die Einkaufszentren, die Grossverteiler, die Fertigwaren… und mit ihnen immer mehr Plastik. Unser Alltag in ist in Plastik verschweiss, so dass fast jedem Tun ein mühsames Ausschälen, Befreien vorangeht. Es gibt keinen Tag, an dem ich mich nicht mehrmals rot, blau und grün ärgere über hartnäckigen Widerstand der Verpackungen. So richtig sinnlich wurde mir die Plastikdominanz auf einer Reise in Armenien vor Augen geführt: Eine Landschaft mit Bäumen, Sträuchern, Kandelabern, Zäunen: überall hingen Plastikfetzen, -tüten, -schnippeln, -lumpen, kilometerweit. Seit diesem Schockerlebnis gibt es in unserem Haushalt einen weiteren neuen Müll-Trennbefehl: Plastik separieren! Und? Woche für Woche wiederholt sich die Erinnerung an die plastikübersäte Landschaft in Armenien. Der klassische Kehrichtkübel in der Küche ist fast leer, das Gefäss für Plastik aber überquillt, oft verstreut, zwar etwas gesitteter und geordneter, aber nicht weniger erschreckend. (179)
02. November 2020
In eigener Sache:
Exponentiell
von Peter Züllig
«Exponentiell» ist in aller Munde. Für die meisten bedeutet dies einfach nur gross, sehr gross, ja riesig. In Zusammenhang mit dem Corona-Virus und seiner Verbreitung geistert der Begriff fast schon inflationär durch unseren Wortschatz. Das exponentielle Wachstum, davon spricht man schon lange, wenn es um Umwelt, Natur, Wirtschaft, Gewinn… geht. Aber eine sich «exponentiell entwickelnde» Gefahr ist schwer einzuordnen. Erst wenn alles stille steht – sozusagen von einem Tag auf den andern – wird mühsam altes Schulwissen hervorgeklaubt: Das Rechnen mit «Potenzen». Für viele – trotz Unterricht in Mathematik – ein Buch mit vielen Siegeln. Erst recht, seit nicht mehr Zahlen gerechnet werden muss und schon gar nicht mit «Wurzeln», um die Potenzen zu ermitteln. Erledigt heute der Computer. Doch jetzt, wo die Quantifizierung unserer Alltagserfahrung gründlich «ausser Rand und Band» geraten, erinnert man sich vage an den mathematischen Begriff der Potenzierung. Es taucht auch rasch – zur Veranschaulichung – eine indische Legende auf. Der Erfinder des Schachspiels erbittet sich – auf eigenen Wunsch – als Belohnung Reiskörner vom König. Und zwar so viel, dass auf dem ersten Feld ein einziges Korn liegt, dann auf jedem weiteren Feld doppelt so viele Reiskörner, wie auf dem vorangehenden. Dies also 64 Mal. Die Geschichte ist eine Legende, das Resultat aber ein Faktum. Mathematisch errechnet: Die Summe der Potenzen von 20 bis 264 – 1. Eine einfache Formel. Mit einer unglaublichen Wirkung. Das Resultat (mit für uns begreiflichen Grössen): dreihundertsiebzig Millionen Züge (à je 30 Wagen) mit Reis. Keine Legende sind auch die Covid-19 Viren, die sich exponentiell ausbreiten. Und keine Legende sind auch die mehr als eine Million Menschen, die an oder mit diesem Virus bisher gestorben sind. (178)
24. Oktober 2020
In eigener Sache:
Botschaften des Leidens
von Peter Züllig
Weihnacht naht und mit ihr die Zeit jubelbegründeten Konsums, auch des delegierten Bettelns. Delegiert? Ja, delegiert an professionelle Werber, Schmusekatzen für gute Taten im Umfeld des schlechten Gewissens. Jeden Tag verstopfen Bettelbriefe die Postablage. Bettelbriefe? Wenn es nur Briefe wären, jammernde Worte begleitet von einem Einzahlungsschein. Heutzutage meist bestückt mit ungebetenen Begleitern. Von der Kunstkarte (die meist gar nicht meinen Geschmack trifft), über Kugelschreiber, Led-Lampen, Einkaufstaschen, USB-Sticks, Farbstifte, Portemonnaies, Adressaufkleber, Kuscheltierchen… bis zu «Give-aways», die mich in - mir bisher verborgene - Welten entführen möchten. Am ärgerlichsten finde ich dabei die Unformate vieler Bettelsendungen: bauchige Kuverts, unförmige Kartons, gerollte, gefaltete, genietete, geklebte «Päckli», mit und ohne «Mäscheli». Ein Entsorgungshorror. Täglich dieser Kampf um Aufmerksamkeit. Und der Einzahlungsschein: Betrag bereits aufgedruckt. Dreissig, fünfzig Franken, sonst bist du ein jämmerlicher «Knauseri», weit unter dem Durchschnitt eines grosszügigen Spenders. Danke für diese Art der Botschaft des «Leidens». (177)
14. Oktober 2020
In eigener Sache:
Kunden als Melkobjekte
von Peter Züllig
Schon wieder ein Aktivierungsbrief. Vier Seiten (A4) mit Anleitungen, Grafik und Bildchen. Es ist wieder Schluss mit der „alten“ Sicherheit. Eine „neue“ Sicherheit wird vorgegaukelt. Seit vielen Jahren immer wieder die gleiche Botschaft: „Um den hohen Sicherheitsstandards Rechnung zu tragen, lösen wir das bisherige System ab durch…“ Dann gehts zur Aktivierung: Punkt für Punkt bis acht. Dann das erlösende „Herzlichen Glückwunsch. Sie haben … aktiviert“. Jetzt ist alles besser, einfacher, sicherer… Die Bank schützt sich damit selber – nicht etwa ihre Kunden. Sie wälzt immer mehr Dienste und Arbeiten auf ihre Kunden ab. Diese haben mal für mal mehr zu tun. Nicht nur neue Apps zu laden, neue Software zu installieren (Zahlungssoftware), ein neueres Smartphone zu kaufen und einen neuen noch komplizierteren Zugang zum eigenen Konto zu erlernen. Derweil wird Bankfiliale um Bankfiliale geschlossen, der Service und Kundenkontakt in den Computer verlagert. Die Arbeit erledigt nicht mehr die Bank. Der Kunde selbst hat dies gefälligst zu tun. Zur eigenen Sicherheit! Verlogener ist wohl kaum eine andere Branche im Dienstleistungssektor. Da wird unter dem Motto «Sicherheit und Rationalisierung» gespart und gespart und ausgelagert. Wohin? Zu den Kunden natürlich: Bankabrechnung, Kontostand, Ein- und Auszahlungen, Informationen, Antworten auf Fragen… Alles einst selbstverständliche Dienstleistungen der Bank. Möglichst viel – am liebsten alles - hat inzwischen die Kundschaft zu übernehmen. Die Bank ist nur noch eine möglichst lukrative Institution für Aktionäre. Ihre Dividende ist das Mass der Dinge. Die Kunden – von den Jüngsten, die einst lernten die Sparbüchse zu fütterten bis zu den älteren Semestern, die ihre Ersparnisse zur Bank tragen – sind nur noch Melkobjekte, bestenfalls mit «Zufriedenheitsgarantie» der zackigen Werbung und der «grosszügigen» Sponsorings zur Aufpolierung des ramponierten Banken-Images. (176)
03. Oktober 2020
In eigener Sache:
Verworben
von Peter Züllig
Das Verb «verworben» gibt es – laut Duden – nicht, wohl aber seine Wirkung. «Ver…» - wie verärgert, verstimmt, verblödet. So meine Erfahrung bei der Fernsehwerbung. In den Programmen der «Öffentlich-rechtlichen» hält es sich noch in Grenzen. Vertretbar! Das Unerträgliche wird da durch Konzessionsgebühren vermieden - oder wenigstens vermindert. Das Schmerzvermeidungsgeld bezahle ich sogar gerne – um meine Gesundheit zu schonen. Doch die Privaten – die erdrückende Mehrheit der Sender – locken ab und zu mit durchaus verträglichen Programmen. Schalte ich diese ein, wird mein Spass – oder mein Interesse – schon bald jäh unterbrochen. Werbung! Nicht eine kurze Werbung – viele lange, minutenlange. Werbebotschaften, geheuchelt, gesäuselt, geflunkert – meist im Stil des Blödelns, Behauptens, Schreiens. Anfänglich habe ich sie einfach aus meiner Beachtung gewischt. Als sie sich immer häufiger wiederholten, bin ich weggezappt, ausgewichen und schliesslich wutentbrannt – mit überhöhtem Blutdruck ausgestiegen. Die Werbung hat mich «verworben». Seither gibt es – bei mir – diesen Begriff. Er besteht aus einer - inzwischen langen - Liste von Produkten, die ich nie, wirklich nie kaufen werde. Selbst wenn sie – Zitat - «vierzig Prozent günstiger sind.» (175)
16. September 2020
In eigener Sache:
Familiensilber verscherbeln
von Peter Züllig
Es war mein Vorsatz, ein mir selber gegebenes Versprechen, fast schon ein Gelübte: Nach meinem Austritt – nach gut vierzig Jahre gestalterische Arbeit - beim Schweizer Fernsehen (SRF) – nichts über meinen früheren Arbeitgeber und seine «Programmpolitik» zu schreiben, weder Gutes noch Schlechtes. Eine nächste Generation, macht es eben anders, vielleicht besser, vielleicht auch nicht. Doch jetzt, wo das «Familiensilber», das in fünfzig Jahren erarbeitet, entwickelt und angeschafft wurde, sinnlos verscherbelt wird, kann ich nicht mehr schweigen. Es war meine Aufgabe – in den letzten zehn, zwanzig Berufsjahren – zu analysieren, zu beurteilen, zu beraten. Wenn ich jetzt vom verscherbelten «Familiensilber» rede, dann meine ich das, was man - in der Wirtschaftslehre – mit «Kernkompetenz» bezeichnet. Das ist – für ein öffentlich-rechtliches Fernsehen – vor allem Glaubwürdigkeit durch gekonntes Erzählen in Bildern, mit Tönen und (schon rein zeitlich begrenztem) Text. Nur so können Inhalte, verständlich, erlebbar und glaubwürdig über ein audio-visuelles Medium gebracht werden (egal ob Fernsehen, Computer oder Smartphone – ob linear, zeitverschoben oder interaktiv). Im spannenden Erzählen – nicht im blossen Aufzählen, Berichten, Erklären, Berichten – besteht die «Kernkompetenz», das «Familiensilber» des Fernsehens. Und das kann nicht einfach im schicken, modischen Store gekauft werden. Erzählen ist ein Können von Autoren/Autorinnen, ist das Zusammenwachsen von Bild, Ton und Text (Reihenfolge beachten!) zu präzisen, erlebbaren Aussagen. Für den Film wurde dies mit unglaublich viel Aufwand (und Kosten) in den letzten hundert Jahren erarbeitet, entwickelt, und den neuen Techniken immer wieder angepasst. Auch im Alltagsmedium Fernsehen hat man (in den gut fünfzig Jahren) einen ähnlichen Prozess durchlaufen, ein Können und Wissen und Gestalten entwickelt, das Silber (eigentlich Gold) wert ist. Genau das wird aber – unter dem Trugschluss konkurrenzfähig zu bleiben – in atemloser Gehetztheit – vernachlässigt, zum Fenster hinausgeworfen und verscherbelt. Anstatt Autoren gibt es nun Producer. Sie produzieren Inhalte, anstatt dass sie diese so umsetzen, das sie erlebbar sind. (174)
05. September 2020
In eigener Sache:
Süsser unschuldiger Mohrenkopf
von Peter Züllig
Ein Satz hat mir keine Ruhe gelassen. Ein Satz aus einem Interview mit Nationalrat Alfred Heer (der fast SVP-Präsident wurde): «Die SVP ist keine rassistische Partei», sagte er, der prominenter SVP-Politiker (der es eigentlich wissen muss). Dann die Begründung: «Aber gäbe es eine relevante Partei in der Schweiz, die offensichtlich rassistisch wäre, könntest du natürlich nicht Mitglied einer solchen Partei sein. Ist ja logisch.» Ja, das ist logisch, selbst für einen SVP-Mann, der sich weit weg von jedem Rassismus Verdacht wähnt. Da bekommt die Logik aber arge Brüche. Ich erinnere mich an all die schreienden Plakate mit Messerstechern, schwarzen Schafen, grusligen Würmern, entsetzt schreienden Gesichtern, verschleierten Gestalten, die an Verbrecher erinnern; an die Slogans von Kosovaren, die Schweizer aufschlitzen, Muslime, die die Schweiz unterwandern, Parolen wie «Ausländer raus», ‘Nettikeiten’ wie «Sau Türken» und «Dreck Jugos». Bei jeder Abstimmung, in der es um Anliegen der «nichtrassistischen» SVP geht, werden die Wähler in aller Öffentlichkeit mit solchen Parolen umzingelt und umgarnt: laut, grell, pausenlos. Abgesegnet, ja lanciert von der Parteileitung, die sich so gern hinter einem «Sünneli» versteckt. Was ist das anders als Rassismus? Es gibt also doch eine «relevante Partei», die «offensichtlich rassistisch» ist. Und was sagt da die Logik des SVP-Politikers? Man kann «natürlich nicht Mitglied einer rassistischen Partei sein. Ist ja logisch.» Der «blinde Fleck» in dieser Logik ist nur die Tatsache, dass öffentlicher Rassismus eben kein Rassismus ist (wenn er von einer «relevanten» Partei serviert wird), während der kleine Mohrenkopf, versteckt in Regalen mit Süssigkeiten, ein schrecklicher Auswuchs von Rassismus darstellt. (173)
23. August 2020
In eigener Sache:
La poubelle
von Peter Züllig
«Poubelle» tönt eigentlich ganz elegant, sogar schön. Eine sprachliche Täuschung, denn das Wort bedeutet so viel wie «Abfallkübel», «Mülleimer». Mein Briefkasten hat sich zu einem öffentlichen «Poubelle» moutiert Ihn entsorge ich jeden Tag, mit wachsendem Ärger. Da scheinen ein paar Leute, Institutionen, Verkünder, Werber… etwas gründlich missverstanden zu haben. Fast täglich erhalte ich «Erweckungsliteratur». Da wird mir – meist anonym - die Welt erklärt und gesagt, was ich von der Welt zu halten habe. Zum Beispiel: Auf Glanzpapier, schneidig, gar nicht etwa schmuddelig, mit fünf QR-Codes versehen und vielen Behauptungen wie: «Es gibt keinen relevanten Anstieg der Fallzahlen und keine zweite Welle», dazu ein Link zum BAG. Die andern vier Codes sind dubioser – zum Teil wegen «Richtlinien-Verletzung» bereits gesperrt, resp. entfernt. Müll für Leichtgläubige. Der gehört in den Abfallkübel, nicht in den Briefkasten. Doch nicht nur zweifelhafte Belehrungsliteratur findet den Weg in den vermeintlich öffentlichen Poubelle. Ebenso häufig schriftliche Bettler. Sie wenden sich weniger an den Verstand, als vielmehr an das Herz: Ein Herz für die Natur, ein Herz für die Vögel, ein Herz für Menschen, ein Herz für Anliegen aller Art… Auch wenn das Herz ein lebenswichtiges Organ ist: so viel Herzen habe ich nicht! Doch ich weiss, wo es schlägt, für wen es schlägt, wie es schlägt… auch da brauche ich keine Belehrung, die sich an das «schlechte Gewissen» klammert. Am schlimmsten aber wird mein «Poubelle», pardon mein «Briefkasten», mit Werbung verstopft. Oft gebündelt zu «Gratiszeitungen», «Trendmagazinen», auf bunten Flyern (meist mit Wettbewerb!) dargeboten oder in (auf individuell getrimmte) Schreiben verpackt. Müllbelästigung, Tag für Tag. Sponsoring für die darbende Post und schlecht bezahlte private Verteiler. Alles andere als "belle". (172)
12. August 2020
In eigener Sache:
Die Kultur des Erinnerns
von Peter Züllig
Da steh ich hoch über dem Rheintal vor einem Appenzeller-Bauernhaus, einem «Hämetli», das stolz – bereits etwas schief - seine bewegte Geschichte dokumentiert. Stumm zwar, aber eindrucksvoll. Mit seinen vielen kleinen, weissen Fenstern, den Fassaden-Schindeln, die langsam wegbröckeln und einem angebauten Stall, wo nebst Hühnern und «Chüngeln», zwei, drei «Chuli» Platz hatten. Alles veraltet, aus der Zeit gefallen. Der immer-feuchte Webkeller unter der «Stobe» weckt noch ein paar Erinnerungen. Bestenfalls im Heimatmuseum dem Vergessen entrissen. Seit dem 17. Jahrhundert wurden in den Häusern und Höfen Leinen, später Baumwolle gewoben, ein lebenswichtiger, zusätzlicher Erwerb in der bäuerlichen Bevölkerung. Die Höfe waren nicht gross, der Boden karg, Wetter und Natur oft bedrohlich. Aus dieser Zeit ist auch dieses «Hämetli» übriggeblieben. Zwar oft geflickt, umgebaut, immer wieder der «neuen» Zeit leicht angepasst. Kein Kulturobjekt, eher ein altgewordenes, fast schon baufälliges Haus, zwar mit einem Hauch von Romantik, für Vergangenes. Rein materiell ist es heute aber eine Baugarantie. Hier kann - auf nicht eingezontem Land – an schönster Lage – neu gebaut werden. Zwar mit strengen Auflagen, in Bezug auf die Form, die Ästhetik und mit vielen Details, mit denen man Vergangenes, «zeitgemäss» zurechtstutzen - den heutigen Lebensformen anpassen, erhalten oder zurückholen möchte. Dagegen ist eigentlich nichts einzuwenden. Kultur – auch Lebens- und Wohnkultur – kann nur in der Erneuerung und Anpassung weiter gedeihen. Dabei wird aber rasch vergessen, dass dann mehr als nur morsche Balken, Spalten und Ritzen, zerfranste Schindeln und klemmende Fenster, defekte Läden weggehobelt, ja ersetzt werden. Mit ihnen auch historisches Bewusstsein. Hier steht ein Haus – noch begehbar, bewohnbar, beschützend – das schon zur Zeit von Friedrich II. (der die Todesstrafe abgeschafft und die Kartoffel als «Volksnahrung» eingeführt hat) dagestanden ist. Zur Zeit des Siebenjährigen Kriegs, wo auf den Schlachtfeldern um die Vorherrschaft in Europa gekämpft wurde, die Schweiz aber verschont blieb. Zur Zeit blutiger Bauernkriege in der Schweiz und der Abwanderung aus armen Berggebieten, um als Söldner fremden Mächten zu dienen. Zahlen nur? Verblasste Erinnerungen kaum mehr in Schulbüchern und Museen zu finden, auf Denkmälern und in Chroniken. Hier aber steht ein altes Haus, zwei-, dreihundert Jahre da gestanden, geliebt und geschunden, ein echter Zeuge für den nebulösen und oft vergewaltigten Begriff «Heimat». Eine kaum wahrgenommene Kulturstätte des historischen Gedächtnisses, als solche zum blossen Bauplatz entwürdigt. Allzu oft und allzu leicht wird mit einem Abriss, Um- oder Neubau auch «die Kultur der Erinnerung» ausgemistet. Nicht nur ein altes Haus «renoviert», sondern ein «Zeitzeuge» der Geschichte dem «Zeitgeist» geopfert. (171)
30. Juli 2020
In eigener Sache:
Masken statt Gesichter
von Peter Züllig
Gepresst, scherbelnd, quietschend, zischend – die Stimme, nur schwer zu verstehen. Blick in die Leere, gegen den Himmel oder zu Boden. Das Gesicht verformt, verzerrt, bedrohlich nah, verkrampft und verunsichert. So präsentieren sich immer häufiger Menschen in Informationssendungen, auf fast allen Kanälen, selbst in der hochangesehenen SF-Tagesschau. Seit Corona den Wettlauf – mitten in der Zeit des verordneten Homeoffice - um möglichst authentische Quoten angekurbelt hat und die Kommunikation per Computer - in Bild und Ton - schon zum Alltag gehört, werden Gesichter immer häutiger zu Masken, sprechend zwar und sich bewegend, doch – wenn überhaupt verständlich – nicht berührend. Die Begegnung am Bildschirm mit Menschen, welche etwas zu sagen haben (deshalb lässt man sie am Bildschirm ja zu Worte kommen) wird entmenschlicht. Zu verzerrten Robotern gewandelt, zu Lieferanten von schlechtem Ton und schlechtem Bild gemacht. Informationsträger, die oft verzweifelt um Glaubwürdigkeit ringen, weil Bild- und Ton ihnen die Glaubwürdigkeit rauben. Muss das sein? Siebzig Jahre nach Einführung des Fernsehens? Nach einer technischen Entwicklung, die Bild und Ton jederzeit in Höchstqualität in jede Stube, in den hintersten «Krachen» bringen. Zu Zeiten des Lockout mag dies – als Notlösung - gehen. Nicht aber als Sparmassnahme, indem man auf professionelle Bild- und Tongestaltung verzichtet. Ausgerechnet bei Menschen, die es Wert wären, gehört und verstanden zu werden. (170)
17. Juli 2020
In eigener Sache:
Zwei Welten
von Peter Züllig
Wir leben in einer weltweiten Gegenwart. Was auch immer irgendwo auf der Welt passiert, wird schneller als in Windeseile publik, überall in der Welt, als Nachricht, in Bild und Ton, als Information, als Geschehen… Die Technik macht es möglich. Wer will, der kann alles sofort erfahren. Alles? Sicher, auf lange Sicht! Kurzzeitlich gibt es allerdings Barrieren: politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche, rechtliche, technische…. Der Corona bedingte Lockdown hat dies wunderschön demonstriert. Während im Informations- und Nachrichtenbereich stündlich neuste Fallzahlen und weltweite Massnahmen kommuniziert werden, bleibt die Unterhaltung – vor allem in den visuellen Medien –abgeschottet von der Aktualität. In den Traum und Unterhaltungswelten – täglich millionenfach konsumiert - gibt es kein Lockdown. Während die Menschen in der Realität zuhause bleiben, Masken tragen, Abstand halten müssen, und, und, und, bewegen sich ihre Abbilder, Vorbilder, Ebenbilder in den virtuellen Konsumwelten als gäbe es keine weltweite Pandemie, als hätte es nie einen Lockdown gegeben. Wir leben also in zwei Welten, jener der allgegenwärtigen Gegenwart und jener der allgegenwärtigen Illusion. Sie liegt berührungsnahe beieinander, fühlt sich an wie eine einzige Wirklichkeit. Nicht nur in Corona-Zeiten. Sprache. (169)
03. Juli 2020
In eigener Sache:
Schon immer
von Peter Züllig
Die wohl am häufigsten gestellte Interviewfrage: „Wie sind Sie dazu gekommen…?“ Und die noch häufigere Antwort: „Ich habe (war, konnte, machte, interessierte mich…) schon immer für…!“ Ja, dieses gern und rasch zitierte „Schon immer“ scheint eine ganz knifflige Frage im Nu zu klären. Warum tut man etwas ganz Bestimmtes (vielleicht sogar Ausgefallenes),? Und – warum hat man dafür gar eine besondere Leidenschaft entwickelt hat? Vielleicht ist die Frage, wenn man ihr auf den Grund geht, schwierig, viel zu schwierig zu beantworten: Neigung, Gewohnheit, Faszination, Zufall…? Meist versteckt sich dahinter – bewusst oder unbewusst - ein ganzer Lebensentwurf. Und den kann (oder will) man nicht so gern der Öffentlichkeit preisgeben. Also, die stereotype Verlegenheits-Antwort „Schon-immer“ auf eine stereotype (aber interessante) Frage: Warum man für dies oder jenes eine besondere Begeisterung entwickelt hat. Warum man für dies oder jenes so viel Zeit (Lebenszeit!) oder Energie oder Geld oder Aufwand mobilisieren kann? Es lohnt sich, der Frage einmal nachzugehen, warum man – oft sogar verbissen, über längere oder lange Zeit – ein Interesse, eine Leidenschaft entwickelt hat, ein «Freak» geworden ist. Gedanken - in eigener Sache - eines Sammlerfreaks. (168)
18. Juni 2020
In eigener Sache:
Sprachkosmetik
von Peter Züllig
Die süssen Mohrenköpfe haben (nicht zum ersten Mal) einen bitteren Kampf ausgelöst. Den Kampf um die richtigen Worte, den richtigen Sprachgebrauch. Tatsächlich liegt in der Sprache ein gutes Stück Zeitgeist, formuliertes Denken. Nur, die Sprache ist viel träger, undifferenzierter als das Denken, aber auch viel beständiger und nachhaltiger. Elemente der Sprache stehen auch für Gefühle, für Wertvorstellungen, für vieles, was nicht gesagt wird. Nicht verwunderlich, dass so auch Sprache schnell zum Steigbügelhalter oder zum Prügelknaben mutiert. Man denkt an ein bestimmtes Verhalten, einen Zustand, eine ungerechte Sache und kämpft verbissen um Wörter. Nicht etwa um Worte, vielmehr um einzelne Wörter, losgelöst von Inhalt, Tradition und Sprachverständnis. Der Feind ist in der Sprache, nicht im eigenen Denken und Verhalten. Der Feind lauert draussen, überall. Man ist empört über Zustände, pocht auf Veränderungen, verlangt menschenwürdigeres Verhalten. Es wären Taten angebracht. Zum Beispiel anderes Verhalten in vielen alltäglichen Dingen, auch wenn es wehtut; bewusstes Mitentscheiden bei politischen Fragen, an der Urne; Handeln, auf Grund des Gemeinwohls und nicht von wirtschaftlichen Vorteilen bestimmt; umweltfreundliches Konsumieren… Da ist es doch viel bequemer, Schuldige in Wörtern zu suchen und sie zu verbannen. Kosmetik funktioniert auch in der Sprache. (167)
09. Juni 2020
In eigener Sache:
Hände waschen in Unschuld
von Peter Züllig
Die Wirtschaft ist verdammt zum Erfolg, auch auf Kosten der Menschen und der Umwelt. Es gibt tausend Gründe, die Augen zu schliessen und die Hände in Unschuld zu waschen. Umso undurchsichtiger und verzweigter internationale Konzerne operieren sind, desto leichter lasst sich Verantwortung abschieben. Dies gilt bei den Steuern (Flucht in Steuerparadiese), genauso wie bei der Produktion. In Entwicklungs- und Schwellenländern gibt es weniger gesetzliche Einschränkungen, kleinere Löhne und Unmengen von Schlupflöchern bezüglich Menschenrechte und Umweltbelastung. Seit knapp drei Jahren verlangt eine Initiative mehr Verantwortung der Konzerne. Das übliche Politspiel beginnt. Sie wird verwässert, es werden Zähne gezogen, es wird lobbyiert, bis schliesslich ein handzahmer Text – als Gegenvorschlag zur Initiative – zur Abstimmung kommen wird. Frage an den christlichen Ständerat Beat Rieder: «Sind sie der verlängerte Arm der Wirtschaft?» Antwort: «Nein, der verlängerte Arm der Vernunft.» Diese «Vernunft» heisst wohl, Millionen von der Wirtschaft in eine Werbekampagne buttern, damit sich die alleinrichtige «Vernunft» der Wirtschaft durchsetzen kann, gegen Raubbau an Menschen und Umwelt. Schon Pilatus hat vor rund 2'000 Jahren diese Taktik beherrscht und seine Hände gewaschen: «Ich bin am Blut dieses Menschen nicht schuldig. Die Verantwortung dafür tragt ihr!» (Matthäus 27,24) (166)
23. Mai 2020
In eigener Sache:
Berge versetzen
von Peter Züllig
Bekanntlich versetzt der Glaube Berge, kann er aber auch ein tödliches Virus besiegen? Glaubensfrage! Die einen vertrauen auf einen überlieferten Glauben, andere auf die Heilkraft der Natur, auf medizinische Wunder oder die Stärke kapitalistischer Ordnung. So ganz einfach ist es nicht mehr, nur «zu glauben». In jeder Glaubensbotschaft gibt es Führer, aber auch Verführer. Nichts lässt sich für Machtansprüche so gut nutzen wie der Glaube. So geschehen im christlichen Abendland, während Jahrhunderten, bis die sogenannte «Aufklärung» (18. Jahrhundert) vieles gründlich in Frage stellte. Auch den Anspruch der traditionellen christlichen Kirchen. Resultat: Kirchen entleeren sich. Es ist meist nicht der «christliche Glauben», der kritisch (oder gar ketzerisch) hinterfragt wird. Es sind eher die Traditionen, der Anspruch auf Wahrheit, das Machtgehabe und die zunehmende Orientierungslosigkeit traditioneller Kirchen, welche Menschen zu anderen Heilsbotschaften treiben. So kämpfen jetzt die Kirchen – «die Kirche muss nicht länger artig sein» - Seite an Seite mit Corona-Leugnern, Verschwörungsgläubigen, Freiheitsfetischisten, Autoritätsgestörte, politische Dauernörglern auch für die Wiedereröffnung der Kirchen. Und wenn sie offen sind, wie immer in all die Jahren zuvor, werden sie hereinströmen in Scharen und Gott danken, dass er ihnen idie Äengst genommen hat. (165)
13. Mai 2020
In eigener Sache:
Corona Refrain
von Peter Züllig
Das Lied war nicht ein «Ständchen» vor meinem Fenster. Es waren Reime, die anonym in meinem Briefkasten lagen. Knittelreime zum Thema Corona. So grob, wirr und plakativ, wie Werbung eben sein kann, nur viel dümmer: «…eingesperrt in grossen Städten, sollen wir verarmt verrecken», ist da zu lesen. Oder: «…sind gefallen unsere Bürgerrechte, erwarten uns die dunklen Mächte…» Und wer ist schuld daran? Natürlich die vereinten Bösewichte, Somaruga, Merkel, Bill Gates, die WHO… Man muss nicht einmal klug-, sondern einfach nur denken, um den Song dort zu deponieren, wo durch ähnlichen Denkmangel das WC-Papier überquellt. Läge da nicht, am gleichen Tag, in meinem elektronischen Briefkasten – nicht anonym – der verzweifelte Schrei einer Bekannten: «Meine Freundin ist, nicht vorbelastet durch Krankheiten, dreissig jährig, an Corona gestorben.» Ich erspare die nun folgende Schilderung, ziehe einfach nur Bilanz: 1’564 registrierte Corona-Tote in der Schweiz, 286'000 weltweit. Ob diese Statistik richtig ist, drüber zu Streiten ist müssig – den Kranken kann nicht mehr geholfen werden, sie sind schon tot. Ob sie ohne Corona auch gestorben wären? Sicher, irgendwann, früher oder später. Hoffentlich friedlich und nicht an Schläuchen, ruhiggestellt mit Morphium. Sterben müssen ja alle, auch die Verfasser und Verbreiter von kruden Ungereimtheiten. Vorher dürfen sie sogar – Bürgerrechte – gegen ihren eigenen Schutz und ihre eigene Sicherheit öffentlich demonstrieren. (164)
03. Mai 2020
In eigener Sache:
Tote zählen
von Peter Züllig
Es sind inzwischen 1463 Tote in der Schweiz. Weltweit sogar 250'000 Menschen, die an Covid-19 gestorben sind. Was nicht sein darf, kann auch nicht sein! Lautstark erschallt der Ruf: «Die Zahlen stimmen nicht!». Jetzt werden Erbsen gezählt, Entschuldigung: Tote. Viele dieser Toten waren alt und vorbelastet mit Krankheiten, wären also auch ohne Virus gestorben, bald. Nun wird also neu gerechnet: der Bund habe falsch orientiert, seine Bilanz stimme nicht. Die Kurve sieht anders aus, also sind Einschränkungen weit übertrieben. Zurück zu «cours normal», der Marktpreis: ein paar Tote. Dafür kann man doch die Wirtschaft nicht so beuteln, die Volkswirtschaft nicht schädigen, die Freiheit nicht so einschränken. Dass jeder Tote elend erstickt ist, bleibt Schicksal, eine böse Laune der Natur. Der Schmerz, das Elend, der Todeskampf gelindert durch Opiate, immerhin «medizinisch» betreut. Hauptsache die Kurven flachen ab, unser «Gesundheitssystem» bricht nicht zusammen, das Geschäft kann weitergehen. Das ist für mich geistige Euthanasie. Krankes, unrentables Leben hat zu verschwinden, nicht im Gasofen, viel humaner in gut ausgebauten Intensivstationen. Was mich dabei am meisten erschreckt, ist die Kaltschnäuzigkeit mit der – kaum sind die erschreckenden Zahlen bereinigt (oder frisiert) – wieder knallhart Politik betrieben wird. Immer vom so schönen Geisterwort «Solidarität» begleitet. (163)
21. April 2020
In eigener Sache:
Der freie Markt
von Peter Züllig
Das hohe Lied der freien Marktwirtschaft erklingt, vor allem in «guten Zeiten». Der Markt allein bestimmt, welche Produkte und Dienstleistungen in welcher Menge und zu welchem Preis angeboten werden. Jeder fremde Eingriff in dieses Machtgefüge ist schädlich und verwerflich, so die hohen Priester der freien Marktwirtschaft Doch der Markt, der kennt keine Moral. Eine Gesellschaft ohne Moral ist aber keine Gesellschaft, nur Horde machtgelenkter – in diesem Fall: marktgelenkter – Menschen. Bei jedem heftigeren Windstoss springt der Markt-Macht-Zug aus den Geleisen. Der Staat ist plötzlich für die Moral zuständig. Hautnah zu erleben jetzt, in der Corona-Krise. Da ergreift ein gefährlicher Virus die Macht und stört den Markt. Der erste Ruf aller Politiker: «Leben retten». Doch das ist kein Marktgesetz, vielmehr ein moralische Appell. Kaum ist der erste Scheck überwunden, dass die Moral plötzlich mitredet, beginnt auch schon die Empörung: «Es darf nicht sein, dass sich Hersteller von Schutzmaterial an der Not der Schweizer Bevölkerung bereichern», posaunt der SVP Politiker (und Unternehmer), Hans Grüter, in das von ihm und seiner Partei gebetsmühlenartig heruntergeleierten Bekenntnis zum freien Markt. Der Markt hat nichts anderes getan, als seine Maxime hochgehalten, den Markt geregelt. Die Schutzmaterialien sind jetzt dreimal so teuer, als zu Zeiten «ohne Not». Doch der freie Markt kennt eben keine Moral, weder in guten noch in schlechten Zeiten. (162)
10. April 2020
In eigener Sache:
Der Glaube kann Berge versetzen
von Peter Züllig
Aufgewachsen in einem streng katholischen Milieu bin ich mit Heilslehren, dem Missionieren und sogar mit Verschwörungstheorien gross geworden. Zugegeben, sie haben mich anfänglich beeindruckt, dann aber immer mehr bedrückt. An die Maxime: «Der Glaube kann Berge versetzen», glaubte ich schon bald nicht mehr und das «Missionieren» habe ich nach den 68ern rasch eingestellt. Seither lebe ich – obwohl in vielen Dingen durchaus «gläubig» - ohne jegliche Ambition, andere zu bekehren. Und ich hüte mich, den vielen selbsternannten Aposteln zu folgen, ihren Heilslehren zu glauben und Verstand und Vernunft auszusperren. Jetzt aber – in Zeiten von Corona – fühle ich mich zurückgesetzt, in die Jahre meiner Kindheit. Umzingelt von Heilslehren, Ignoranz und üppig wuchernden Verschwörungstheorien, werde ich immer wieder in eine mittelalterlich anmutende «Glaubenswelt» versetzt. Homeoffice und zwei Meter Abstand können auch zur Glaubensfrage werden, genau so wie das berühmte «Brett vor dem Kopf». Die Frage ist nur: was ist erfolgreicher in einer «aufgeklärten» Zeit. (161)
30. März 2020
In eigener Sache:
Flucht in die Realität
von Peter Züllig
Fluchtwege aus der Wirklichkeit sind so allgegenwärtig wie die Wirklichkeit selbst. Wohin fliehen? In eine andere Realität? In Träume? In Phantasien? In andere Welten? Ein riesiges Angebot steht den Flüchtenden zur Verfügung: Von illegalen Drogen bis zu den legalen Traumwelten der Medien. Dazu gehört auch die berühmteste Phantasiestrasse, die «Lindenstrasse». Fast 35 Jahre war sie eine Wirklichkeit, die es gibt und doch nicht gibt. Programmiert: jeden Sonntag, dreissig Minuten, dann – mit einem Cliffhanger – angehalten. Die Flüchtenden werden – für eine Woche - in ihre eigene Realität entlassen. Doch damit ist jetzt Schluss. Das Fernsehen (der WDR) spielt «Gottvater». Was in der Realität nicht geht, Realität wird abgebrochen, eingestellt. Es gibt – ab sofort - keine Mutter Beimer, kein Haus Nr. 3 und kein griechisches Restaurant «Akropolis“ mehr an der Lindenstrasse. Nach 879 Stunden der Realität – verteilt auf 1757 Tage – bleibt nur die Erinnerung und viele Bilder, die reale Geschichten dokumentieren. Abgebrochen wird nicht etwa, weil die Realität an der Lindenstrasse nicht weitergeht, sondern weil das Interesse erlahmt ist. Nur, die Lindenstrasse heisst nicht mehr Lindenstrasse, sondern hat viele andere Namen. So, wie der «Lindenstrasse» geht es allen «Strassen» der Welt. Irgendwann erlahmt das Interesse am Leben der Bewohner, an ihren Problemen, an ihrer Realität. Doch weil es eine andere Art von Realität ist, kann sie nicht durch Programmbeschluss und Knopfdruck beseitigt werden, wenn das Interesse der Öffentlichkeit erloschen ist. (160)
18. März 2020
In eigener Sache:
Vulnerabel
von Peter Züllig
Noch nie ist mir so schwergefallen meine Kolumne zu schreiben. In Zeiten des Notstands verschwinden die kleinen und grossen Probleme, der Alltag verändert sich, rückt weg, und mit ihnen viele Beobachtungen, die Fragen und Erlebnisse. All das, was sich in der Regel in meinen Kolumnen niederschlägt. Es gibt im Augenblick nur ein Thema: und das heisst Corona und seine Auswirkungen. Darüber hier zu schreiben, ist vermessen oder und kann nicht mehr bringen, als ohnehin schon gesagt, geschrieben und verordnet wurde. Doch ein Wort, das dauernd auftaucht und dauernd wiederholt wird, beschäftigt mich. Ein Wort, das ich bisher zwar kannte (vulnus = die Wunde, versuchte mir der Lateinlehrer einst beizubringen), ein Wort, das ich aber kaum je gebraucht habe. Vulnerabel gleich «verwundbar» oder «verletzbar».
In der Krise stellt die Gesellschaft fest: es gibt besonders «vulnerablen Menschen». Sie werden in Bezug auf Corona definiert: alte Menschen, kranke Menschen, Menschen mit «Vorerkrankungen». Sie alle sind besonders «vulnerabel» und sollen besonders geschützt werden. Da setzt mein Kolumnen-Sinnieren ein. Ich gehöre selber zu diesen Menschen. zwangsverurteilt durch Alter und «Vorerkrankungen». Also werde ich gebeten, mich wegzusperren. Denn, wenn alle «vulnerablen» Menschen wirklich verletzt sind, bricht ein wichtiger Teil der Gesellschaft kartenhausähnlich zusammen: Das Gesundheitswesen, das eigentlich Krankenwesen heissen sollte. Die Medizin, die Pflege, die Spitäler… Ich ziehe mich zurück in meine «verordnete» Isolation und lasse meinen Gedanken freien lauf, über unsere «vulnerable» Gesellschaft, die so vieles kann und an so winzig kleinen Dingen - wie Viren - scheitert. (159)
06. März 2020
In eigener Sache:
Geisterspiele
von Peter Züllig
Ein Virus, ein Virus, ein Virus… es kann erst noch tödlich sein. Es hat es geschafft, nicht nur Teile der Wirtschaft, des Tourismus, der Börse, der Kultur lahmzulegen. Auch der Sport muss daran glauben. Geisterspiele überall – ob in der Schweiz oder im fernen Nové Měst (Tschechien) – immer mehr Sport allüberall ohne Zuschauer. Die Veranstalter sind fassungslos, die höchsten Funktionäre sprachlos, viele Verantwortlichen unentschlossen. In der Schweiz hat der Staat im Namen der Volksgesundheit entschieden: keine Veranstaltungen mehr mit mehr als Tausend Zuschauern. Messen werden abgesagt, Traditionen gebrochen… Bereits tauchen Vergleiche mit der mittelalterlichen Pest auf. Alles bekannt, publiziert und medial begleitet. Kein Thema für meine persönliche Kolumne. Und doch: Mit einem Schlag wird klar, wie sehr gerade der Sport vom Publikum abhängig ist. Nicht nur ein bisschen: total. Ohne Publikum keine Eintrittsgelder, keine Werbung, keine Medien, keine… Der Sport ist längst nicht mehr zur blossen Unterhaltung und zum Vergnügen der Menschen da. Die Menschen sind da, um das Geschäft mit dem Sport aufrechtzuerhalten – und immer höher zu treiben. Mitunter in schwindlige Höhe. Dabei ist die «Fallhöhe» so gross, wie das Virus gefährlich ist, ja sogar tödlich sein kann. (158)
23. Februar 2020
In eigener Sache:
Lachnummer
von Peter Züllig
Schadenfreude sei der «schlechteste Zug in der menschlichen Natur», meinte Arthur Schopenhauer (1788-1860), es sei «das Gelächter der Hölle“. Ist das Lachen über eine freiwillige Darbietung von unfreiwilligen Pannen, Fehlern und Tapsigkeiten bereits Schadenfreude? Um eine Antwort habe ich gerungen. Denn das was «Blick TV» jetzt eine Woche lang präsentiert, ist eine Lachnummer, in fast schon «unendlicher Schleife». Da werden Texte herunter geraspelt in einer gestelzten Sprache: schriftlich formuliertes Deutsch im kuriosen mundartlichen Kleid. «Do isch» – zum Beispiel – «nöd öpper bschisse worde», sondern natürlich «zu Schade cho». So geht es sprachlich munter weiter, unterbrochen von technischen Pannen, Schaltungen die nicht funktionieren, Tonausfällen, Fehleinschätzungen (da steht ein Reporter in Olten am Morgen früh auf der Strasse und sollte eine Umfrage machen, aber kaum jemand ist da und niemand hat etwas zusagen). Vor allem setzt man auf Personifizierung: zu jedem Thema, zu jedem Problem, zu jeder «Hundsverlochete» eine Fachperson – meist aus der Blickredaktion rekrutiert. Nun auch beim Blick sind nicht alle Journalistinnen und Journalisten «telegen», geübt vor der Kamera, gewandt im Umgang mit Bild und Ton. Dazu viel «Doppelmoderation» bei der die nicht beschäftigte Person dasteht, als sei sie hingestellt aber nicht abgeholt worden. Was da zum «das neuen Fernsehen des 21. Jahrhunderts» – zum Format für Smartphone-Nutzer - hochgejubelt wird, bleibt ein löchriger Bild- und Tonteppich: «Fernsehen der Sechzigerjahre», bei der aber die Technik (mit ihren vielfältigen Möglichkeiten) die Regie übernommen hat, begleitet von Akteuren, bei dem das Handwerk fehlt. Man möchte ihnen mit Hans Sachs aus den «Meistersingern» zurufen: «Verachtet mir die Meister nicht und ehret ihre Kunst» (Richard Wagner). (157)
13. Februar 2020
In eigener Sache:
Gesund werden
von Peter Züllig
Kranksein ist nicht schön. Krankheit bringt nach menschlichem Ermessen Leiden, Schmerz, Hoffnung… und verursacht Kosten. Dafür hat man sich ja versichert – obligatorisch – bei Krankenkassen. Was ist, wenn es meine Krankenkassen plötzlich nicht mehr gibt? Weil sie jetzt – nach ihrer eigenen Definition - meine «Gesundheitspartnerin» ist. Eine Partnerin, die ich nie gesucht, nie gewünscht habe. Einzig der menschlichen Anfälligkeit und der Gebrechlichkeit geschuldet. Ein Business, das mit dem Risiko der Krankheit gute Geschäfte macht, marktwirtschaftlich unterwegs ist. Gesund und munter – eben keine Krankenkasse, ein Gesundheitspartner, mit ausgezeichnetem Kalkül und marktwirtschaftlichem Rechnen. Das sieht so aus: Betrag von 29.40 Fr. für ein Präparat, das ich von meiner Ärztin – unter anderen – erhalten habe. Dummerweise habe ich das Kleingedruckte übersehen: «Diese Leistungen können nicht versichert werden. Deswegen übernehmen wir die Kosten nicht». Prompt flattert eine Mahnung in den Briefkasten: Rechnungsbetrag 29.40 Fr. Mahngebühr 20.00 Fr. Unser Guthaben: 49.40 Fr. begleitet vom Vermerk: Sollte Ihre Überweisung nicht bis zum Verfalldatum eintreffen, wären wir gezwungen den Rechtsweg, unter Kostenfolge (Spesen, Verzugszins, usw.) zu Ihren Lasten zu beschreiten. Ist dies das Verhalten einer Partnerin? Einer Vertrauensperson? Schon eher das Verhalten eines Zockers. So hat mich das «nichtversicherbare» Präparat gesund, die Gesundheitskasse aber krank gemacht. Also doch eine «Krankenkasse» auch wenn dies gar nicht in ihre grossmundige Werbung passt: "CSS Versicherung - gesund werden." (156)
27. Januar 2020
In eigener Sache:
Ihre Exzellenz
von Peter Züllig
Diese Kolumne – ich gebe es zerknirscht zu – ist nicht von «ausgezeichneter Exzellenz». Sie wurde ja auch nicht von «Rolex» geschrieben und enthält keine «Momente für die Ewigkeit». Sie wird nicht von schwülstig jubelnden Klängen begleitet und es erhebt sich keine tief-bewegte Stimme, welche eine «ultimative Herausforderung» beschwört. Selbst bei einem Blick zurück kann ich – der Nichtexzellente - nicht erkennen, dass in gewissen Momenten «Geschichte geschrieben wurde - erzählte Zeitgeschichte.» Wem all das zu viel ist, zu üppig, zu pompös, kann aufhören zu lesen, diese Seite wegklicken und zu einer Sprache wechseln, die irdisch ist und nicht vorgibt, mit «seinen Exzellenzen», das heisst, den höchsten Würdenträgern, auf Du und Du zu sein. Sollte «seine Exzellenz» aber nicht mehr so exzellent sein, zum Beispiel nicht mehr zeitgemäss, kann noch immer «seine Durchlaucht» reanimieren, oder Momente von «ihren Gnaden» suchen. Die Werber von «Rolex» können da sicher helfen, den sind geschult in den Werbepausen bei Grand Slam Turnieren (Tennis und Springreiten), möglichst laut, möglichst bombastisch, möglichst nichts zu sagen, sodass immer wieder Momente des Leerlaufs entstehen, die man – schwups – zu «Momenten für die Ewigkeit» erklärt. (155)
16. Januar 2020
In eigener Sache:
Die Moralkeule
von Peter Züllig
Sie wird wieder einmal tüchtig geschwungen, die Keule, verknüpft, verbunden, verpappt mit einer guten Portion Moral. Die Keule dürfte die älteste Waffe der Menschen sein, seit der Steinzeit nachgewiesen, also seit der frühesten Epoche der Menschheitsgeschichte. Und noch etwas: Ihre Verwendung kann auch bei den Schipansen nachgewiesen werden. Diesmal sind es weit entfernte, unsichtbare Ozonlöcher, die mit Moralkeulen traktiert werden, um sie möglichst rasch zum Verschwinden zu bringen. Doch die Keulen sind in der realen Welt längst durch Nuklearwaffen ersetzt worden. Nur bei der Verteidigung von Moral hat die Keule nicht ausgedient. Man glaubt, wie schon die Urmenschen, damit das Leben, die Welt, retten zu können. Doch das Ozonloch ist viel zu gefährlich, als dass es mit Keulen gestopft werden könnte. Da braucht es schon Einsicht, Veränderungen, Verzicht und vor allem der Wille, das zu tun, was unser geballtes Welt-Wissen längst fordert: Taten. Mit der Keule wird nur sein Mäntelchen, die Moral, zurechtgerückt. Das Loch – mit den verheerenden Auswirkungen – bleibt. Es verschlingt uns bald einmal, wenn wir weiterhin nur mit der Moralkeule winken. (154)
04. Januar 2020
In eigener Sache:
Mein Pöstler
von Peter Züllig
Der (die) Pöstler*in hat Post zu bringen. Mehr nicht! Längst nicht mehr ins Haus, zum Briefkasten, an der Durchgangsstrasse. Und der Kunde, die Kundin? Sie sollen selber schauen, wie sie zu ihrer Post kommen und wie sie ihre Post zu Post bringen. Alles andere ist Sozialromantik, unwirtschaftlich, , bringt keinen Gewinn und kostet nur. Man denke nur an den Steuerzahler!
Jetzt stehe ich im Weiler, wo ich gelebt habe, vor einem unscheinbaren Haus. Hier stand – so erinnere ich mich – die Post. Der Pöstler war täglich unterwegs. Seine Frau waltete hinter dem Schalter, ordnete Post, gab Auskunft, verkaufte Marken, wog Pakete, nahm Geld entgegen… Dienstleistungen. Sie machten das, was man von der «Post» erwartet. Der «Pöstler» war unterwegs, nicht einfach nur ein Beamter. Er war ein menschlicher, gesprächiger, freundlicher Bote, den man gerne erwartet hat. Er stapfte bei jeder Witterung bergauf, bergab, zu den Häusern und Höfen der Streusiedlung, meist mit praller Tasche und irgendwo kleinere Päckchen irgendwie aufgeschnallt. Er nahm sich immer Zeit für einen kurzen Schwatz, gab den Kindern ein «Sugus» und hörte sich die Sorgen «seiner Kunden» an. Er war wie eine zuverlässige Verbindung von Menschen zu Menschen, von Menschen zum Leben, von Menschen zur Welt.
Den freundlichen Pöstler und die Post gibt es nicht mehr. Wegrationalisiert, automatisiert. motorisiert. roboterisiert…
Dankbar erinnere ich mich an ihn und seine Poststube. Ich nehme mir vor, beim nächsten Gang durchs Dorf auf seinem Grab eine Rose hinzulegen. Aus Dankbarkeit für das, was er -täglich zwanzig Kilometer zu Fuss – geleistet und gebracht hat. Nicht nur Post, auch Begegnung, Vertrautheit und Menschlichkeit. (153)
23. Dezember 2019
In eigener Sache:
Frauenarbeit
von Peter Züllig
Gemütliches Mittagessen im Gemeinschaftshaus unserer Siedlung. Jahresabschluss oder so! Wir sind 13 Personen, alles Erwachsene, keine Kinder, sieben Männer und sechs Frauen. Dann, nach dem Café geht es ans Abräumen und Abwaschen. Alle Frauen stehen auf und nehmen die «Hausarbeit» auf. Die Männer bleiben sitzen, alle, und diskutieren, während die Frauen (im gleichen Raum) am Abwaschtrog stehen, weiter plaudern und diskutieren. Frauenarbeit eben! Ich ertappe mich selber bei diesem (eingefleischten) Verhalten und beobachte die Szene leicht amüsiert. Warum ich nicht aufgestanden bin? Es standen ja schon sechs Frauen um den Abwaschtrog. Beruhigend, denn wir männlichen Beteiligten kommen (selbstverständlich) dann beim Wegräumen der Tische und Stühle zum Zug. Wir verstehen uns zwar als Pioniersiedlung, durchaus mit emanzipatorischem Charakter. Doch der Alltag – ganz unauffällig – zeigt das Bild und die Macht der Gewohnheit. (152)
14. Dezember 2019
In eigener Sache:
Boulevard
von Peter Züllig
Sie standen am späten Abend in den grossen Bahnhöfen und verkauften Zeitungen: «Zürizitig, Blick Tat – Drütusig Toti, Poschtüberfall, füfhunderttusig Franke…» Laut tönte es im Eingang der Hallen. Wie oft bin ich an ihnen vorbeigegangen und habe auf die Schlagzeilen geschielt. Zeitungen vom nächsten Tag, soeben druckfrisch angeliefert. Ab und zu liess ich mich verführen, klaubte die paar Batzen aus dem Portemonnaie und vertiefte mich dann – im Abteil, auf der Heimfahrt – in die aufregenden Geschichten. Boulevard im ursprünglichen Sinn des Begriffs. Boulevard ist dort, wo ein Thema die Neugier erfasst und Emotionen auslöst: meist Angst, Schrecken, Staunen, Liebe, Hass, Freude und Leid gibt es da jeden Tag, in Hülle und Fülle.
Die Zeitungsverkäufer, die gibt es nicht mehr. Boulevard kommt jetzt direkt ins Haus: Radio, Fernsehen, Smartphon, Computer… Sie haben die schreienden Zeitungsverkäufer abgelöst. Ihre Schlagzeilen tauchen überall auf. Unangemeldet in einem kleinen Kästchen, meist rechts-unten auf dem Computer-Bildschirm oder auf einer Website, die gerade aufgeschlagen ist. Ich habe die Schlagzeilen gezählt: Während ich diese Kolumne schreibe, sind es neun Angriffe auf meine Neugier: «17-Jähriger von Straßenbahn mitgeschleift Lebensgefahr – Mann ersticht Stadt-Mitarbeiter – Jugendliche töten Feuerwehrmann, Entsetzen nach dem Fest …» Wen wunderts, wenn immer mehr Menschen glauben, das Leben bestehe nur noch aus Mord und Totschlag, aus Lug und Trug, aus Schock und Trauer. Wen wunderts, dass so viele Heilbringer – Rattenfänger – jeder Art, beste Ernte haben und ihre Scheinlösungen aus dem Boulevard ins Leben bringen. (151)
04. Dezember 2019
In eigener Sache:
Sprachlos
von Peter Züllig
«Da bin ich aber sprachlos». Wie flink rutsch dieser Satz immer über unsere Lippen. Sprachlosigkeit gehört zu uns (genau so wie Geschwätzigkeit). und kommt immer dann zum Zug, wenn Emotionen stärker sind, als das, was wir in Wort und Schrift auszudrücken vermögen. Zum Beispiel in glücklichen Momenten. Aber auch in traurigen Augenblicken, dann wenn Tränen die Worte zu ersticken drohen. Bei der Begegnung mit dem Tod, zum Beispiel. Dann, wenn der Tod nicht bloss ein unwillkommenes und unerträgliches Phänomen ist, das zu verdrängen sucht. Dann, wenn der Tod trifft, eindringt in das Leben, es raubt. Dann werden wir sprachlos – oder – fast noch häufiger - geschwätzig. Beides bedeckt Gefühle. Die Religionen – und Kirchen – bieten für diesen so häufigen Lebensfall Rituale an. Zu Recht, denn Rituale sind Handlungen mit hohem Symbolgehalt, sie ersetzen Worte und Tränen, darum gelten sie als wertvolles «Kulturgut». Was aber passiert, wenn die Rituale nicht mehr verstanden werden? Wenn das Kulturgut «Ritual» verloren gegangen ist? Dann bleiben nur noch «Sprachlosigkeit» oder – weit häufiger – Sinn-arme Geschwätzigkeit. (150)
19. November 2019
In eigener Sache:
Computer-Charme
von Peter Züllig
«Peter, wir haben Sie vermisst!» So die Botschaften in der der täglichen Mail-Flut in meinem elektronischen Briefkasten. Was tun bei so viel Empathie? Glauben schenken oder die Botschaft wegklicken, im Spam-Ordner verschwinden lassen? Nicht sehen, nicht lesen und nicht hören? Das Wort «Vermissen» ist eine saustarke Aussage, die trotz ihrer Bildschirm-Anonymität zu meinen Gefühlen vordringt. Kann das sein, ich werde «vermisst»? Wo, von wem, warum? Der Absender, XY-Shop, verrät es: Wieder eine dieser täglichen Charme-Offensiven, welche die Unverbindlichkeit des Computer-Verkehrs nutzen. Das Verb «vermissen» umschreibt das Wörterbuch so: «sich mit Bedauern bewusst sein, dass jemand (oder etwas) nicht mehr in der Nähe ist, nicht mehr zur Verfügung steht, und dies als persönlichen Mangel empfinden.» Das mag im Bereich von Liebe, Freundschaft, Verwandtschaft ab und zu der Fall sein. Aber ein Computer, ein Shop, der mich vermisst und so tut, als würde er mich kennen: «Hallo, lange nicht gesehen». Dabei habe ich ihn noch nie gesehen, kann ich auch nicht sehen, den «Vermisser», der als Person nicht existiert und der es nur auf das Geschäfte abgesehen hat. Da kommen mir (nicht ganz feine) «Geschäfte» in den Sinn: Headshops, Smartshops, Growshops, Sexshops und – immer häufiger – Onlineshops. Sie nutzen die Anonymität und verraten ihr verlogenes «Vermissen» erst, wenn das Geschäft getätigt ist und nun zu zur Gutmütigkeit mutiert: «Geben Sie beim Bezahlen den Gutscheincode ein». Gutscheincode, der neue Computer-Charme." (149)
10. November 2019
In eigener Sache:
Tüüt, tüüt - tiiit, tiiit
von Peter Züllig
Die Städte haben das Grüssen längst geschluckt, zumindest auf der Strasse. Man geht aneinander vorbei, grusslos, bestenfalls unmerklich kopfnickend, am liebsten den Blick gesenkt oder abgewandt. Wenn man sich nicht, oder nur flüchtig kennt, hat man sich nichts zu sagen, nicht einmal einen flüchtigen Gruss. Dabei ist das anonyme Grüssen nicht einfach eine Höflichkeitsfloskel, es ist vielmehr ein Zeichen der Gemeinschaft – von Mensch zu Mensch. Von Menschen, die gerade unterwegs sind, deren Wege sich kreuzen oder die kurzfristig dem gleichen Ziel zustreben. Jedes Grüssen hat den Charakter der Zusammengehörigkeit. Es ist ein Ritual, das Verbundenheit zum Ausdruck bringt oder zumindest Aufmerksamkeit für einander. Man bewegt sich ja unter Menschen – mit ihren Freuden und Nöten, Gefühlen und Zielen, und nicht unter Holzklötzen oder fremdgesteuerten Robotern. Auch wenn man sich nichts zu sagen hat (oder sagen will), man nutzt die gleiche Strasse, den gleichen Weg, die gleichen Einrichtungen, die gleiche Erde. Wie ich auf solche Gedanken komme? Gedanken eines Weltverbesserers? Nein, die Erfahrung einer kleinen Geste auf einer langen Seereise. Schiffe sind nach einem festen Fahrplan unterwegs, zwölf Tage lang, hin und zurück, jeden Tag geht ein Schiff auf Reise. Immer, wo sie sich auf See begegnen grüssen sie sich: tuut, tuut. Und die Antwort kommt sogleich zurück – in einer anderen Tonlage: tiiit, tiiit. Ob es dunkel ist, oder dichter Nebel, tuut, tuut – tiiit, tiiit. Ein Gruss auf dem gleichen Weg, auch wenn dieser seine Gefährlichkeit weitgehend verloren hat. (148)
26. Oktober 2019
In eigener Sache:
Vermeiduung und Umdeutung
von Peter Züllig
Nein, dies ist keine politische Kolumne. Abstimmungen und Wahlen bringen mich zwar an die Urne, aber längst nicht mehr «auf die Palme» (Palmen sind in unseren Breitengraden ohnehin Neophyten und gehören – nach gängiger Lehre – hierzulande ausgerottet zu werden). Was mich seit Tagen beschäftigt, das ist ein Interview – der Prototyp der «Nein, dies ist keine politische Kolumne. Abstimmungen und Wahlen bringen mich zwar an die Urne, aber längst nicht mehr «auf die Palme» (Palmen sind in unseren Breitengraden ohnehin Neophyten und gehören – nach gängiger Lehre – hierzulande ausgerottet zu werden). Was mich seit Tagen beschäftigt, das ist ein Interview – der Prototyp der «Vermeidungs-» und Umdeutungsstrategien – dem die zwei fragenden Journalisten hilflos gegenüberstehen. Es beginnt schon im Vorfeld: mit der Etikettierung – «ein exklusives Interview» und das nicht mit einem Politiker, der eine «Schlacht» verloren hat, sondern mit dem «Übervater» der Partei, die mehr als 10 Mandate verloren hat. Ein «Übervater» meistert solch brenzlige Situationen natürlich mit Leichtigkeit. Gleich zu beginn des «Steigbügelhalter-Gesprächs» signalisiert er: «Wir haben verloren, richtig. Zum Glück ist es weniger schlecht, als ich befürchtet habe.» Dann zuerst die Aufzählung, wie alle andern «Regierungsparteien» schlecht abgeschnitten haben, um dann zu verraten: «Ich prognostizierte einen Einbruch von 10 Prozent». Hallo, jetzt sind es nur vier geworden! Und schon steht der Verlierer als Sieger da und hat auch gleich schon den Grund für den leichten Rückgang gefunden: «die Massenhysterien, die im gesamten Westen grassiert». Gemeint ist natürlich die Klimadiskussion und die wird gleich eingeteilt: «Ich habe solche Hypes schon oft erlebt. Beim Waldsterben hiess es noch: Der Wald stirbt jetzt. Da konnte dann jedermann feststellen, dass das nicht geschah.» Eigene «Erfahrung» als Massstab der Welt. Was ist mit den Waldbränden, dem Abholzen, dem rasanten Verlust an Natur? Kein Wort davon. So geht es dann weiter im Interview: Vermeidung, Umdeutung, Perspektivenwechsel. Eine brillante Demonstration klassische Demagogie, die darin gipfelt: «Warum brennen bei uns keine Asylheime wie in Deutschland? Das ist der SVP zu verdanken, die den Asylmissbrauch verhindern will. Mutig, wenn auch undankbar». Und was ist mit den Hetzplakaten, den Messerstechern, schwarzen Schafen und wurmigen Äpfeln? Demagogie heisst – laut Duden – «Volksverführung». Hier im sauberen Gewand eines Übervaters, der sich als vielfacher Millionär – wenn es politisch wirksam ist – sich um das Wohl der Arbeiter sorgt:„All diese geplanten Steuern, Abgaben, Gebühren sind Programme für die Reichen. Die können es sich leisten. Aber nicht die Leute, die auf der Baustelle arbeiten, die auf das Auto und ihren Lohn angewiesen sind." (147)
16. Oktober 2019
In eigener Sache:
Ja oder nein!
Kolumne von Peter Züllig
In fast regelmässigen Abständen stehen auch bei uns grössere und kleinere «Polit-Skandale» an: Postauto-Skandal, Bau-Skandal, Missbrauch-Skandal, Abgas-Skandal, Beschattung-Skandal… Wo immer es einen «Skandal» gibt, da wird rasch und laut nach der Verantwortung gefragt: Wer hat was gewusst oder getan? Manager werden für ihre Verantwortung bezahlt, Politiker gewählt oder abgewählt, Verurteilte bestraft... Umso komplexer die Strukturen der Verantwortlichkeit sind, desto rascher rückt eine Frage in den Mittelpunkt: «Wer hat was, wann gewusst?» Aus dem Wissen leitet sich die weit schwierigere Frage nach dem Tun oder dem Unterlassen ab, also die Frage nach der Verantwortlichkeit. Doch da mutieren selbst höchst bezahlte Manager, wortgewandte Politiker, abgebrühte Kommunikatoren in den Zustand kindlichen Nichtwissens oder galoppierender Vergesslichkeit. Eine kleine, einfache Frage nur: Gewusst? Ja oder Nein? Und schon verkriechen sich die Gefragten hinter Formulierungen wie: «Es gibt keinerlei Hinweise oder Beweise, dass dies oder jenes zum fraglichen Zeitpunkt gewusst wurde!» In dieser oder einer ähnlichen Formulierung, die weitaus häufigste Antwort, um die Suche nach Verantwortung beim Gedächtnisschwund enden zu lassen.. Juristisch kaum belangbar und jederzeit nach jeder Seite zu biegen. Wir leben – noch immer - in einer vom Christentum geprägten Kultur, die einige einfache «Grundregeln Lebens, des Zusammenlebens» während Jahrhunderten bewahrt hat. Zum Beispiel die Maxime: «Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel.» Nachzulesen in der meistgelesenen Schrift, in der Bibel - bei Matthaeus 5/37. Übrigens: Es gibt keinerlei erhärteten Beweis, dass der Evangelist Matthäus dies selber geschrieben hat. Wahr oder falsch ist sie trotzdem. (146)
03. Oktober 2019
In eigener Sache:
Vertraut und unbekannt
Kolumne von Peter Züllig
Zwei Gegensätze, die sich beim Reisen immer wiederholen: die Suche nach dem Unbekannten (dem Abenteuer), doch eingebettet im Vertrauten. So verbringt man Ferien (den Urlaub) vorwiegend dort, wo man das Vertraute zu finden glaubt: im gleichen Land, am gleichen Ort, im gleichen Hotel, im gleichen Haus, bei den gleichen Leuten. Ich weiss nicht, ob dies statistisch erhärtet ist. Doch meine Erfahrung zeigt, es muss eine grosse Sehnsucht geben, das Schöne im Vertrauten zu suchen. Die Reisebranche hat sich längst darauf eingestellt. Die Fluggesellschaft, der Name des Hotels, der Komfort, das Essen… alles ist irgendwie vertraut – und doch anders. Wer es sich leisten kann, der ersteht ein Ferienhaus, eine Ferienwohnung, vielleicht auch nur ein Gartenhäuschen oder ein Wohnmobil. Das Wohnmobil ist so etwas wie ein Idealmodell, um das Vertraute mit dem Fremden zu verbinden. Da ist man jederzeit zuhause und doch – gesteuert vom eigenen Bedürfnis nach Abwechslung – auch mitten im Unbekanntem, beim Abenteuer, geschützt – wie das kleine Kind – bei seiner Eroberung von Welt. Selbst dort, wo die Welt offensteht, keine Grenzen, Distanzen oder Immobilien den Bewegungskreis eingrenzen, reist das Vertraute mit, sei es im Koffer, in der Erinnerung, in der Art, wie man unterwegs ist oder bei der Suche nach dem «schönsten Ort», der unbekannt, aber auch vertraut sein muss. (145)
08. September 2019
In eigener Sache:
Worthülsen
Kolumne von Peter Züllig
Heute geht das Tennisturnier «US Open» zu Ende. Ich weiss nicht, wie oft ich in den letzten zwei Wochen die massierte Werbung für «Rolex» anhören musste: «…dies ist eine Geschichte von anhaltender Exzellenz…». Wie bitte? Was zum Teufel ist eine «anhaltende Exzellenz»? Der Duden belehrt mich: «…aus dem Lateinischen excellere «hervorragend» bzw. excellentia «Vortrefflichkeit», «höhere Stellung». Früher wurden Könige mit «Ihre Exzellenz» angesprochen, später auch Würdeträger, Adelige, Bischöfe… inzwischen sogar Uhren. Hauptsache es tönt gut. Heute ist das Wort – zumindest im deutschen Sprachgebrauch – so gut wie verschwunden und damit kaum mehr zu deuten. Es tönt einfach elegant, vornehm, erst recht, wenn es von einem Adjektiv begleitet wird, das im Zusammenhang mit Exzellenz unverständlich ist. Es sind Worthülsen, mit denen besonders in der Werbung um sich geworfen wird. Worthülsen, die etwas sagen, das nichts sagt, das keinen Inhalt hat. Zum Beispiel: «Bring mehr Zuhause in dein Leben!» Bitte, was soll ich tun? Zuhause in mein Leben bringen? Und erst noch mehr! Wie geht das? Die nächste Werbung will mich wohl beruhigen: «Familie ist alles, und alles kann Familie sein.» Was ist «Familie» und was kann «Familie» sein? Gut klingen und nichts sagen hat Hochkonjunktur. Nicht nur in der Produkte-Werbung, auch wenn es – jetzt vor den Wahlen - um politische Programme geht. Da sind zum Beispiel die Netten und Linken, welche einen Apfel zerfressen. Der Apfel soll wohl die Schweiz sei, wahrscheinlich gerade dem «Walterli» bei Willhelm Tell vom Kopf gefallen. Der wird jetzt von den «Netten» verfressen. Soviel zum Programm einer Partei. Getreu dem Werbeslogan: «Worte und Bilder sind alles und alles kann Unsinn sein». (144)
01. September 2019
In eigener Sache:
Jammertal
Kolumne von Peter Züllig
Wer kann noch lauter, noch inbrünstiger klagen als die Bauern?Die Wirte! Es «rechnet» sich nicht mehr, höre ich allenthalben. Wenn ich ausgehe mit meiner Frau – am Abend – ohne grossen Schnick-Schnack, gute Schweizer Küche – im «Bären», im «Leuen» oder im «Bahnhöfli» - wird mir regelmässig eine Rechnung um zweihundert Franken und mehr präsentiert, allerdings mit einer (meist) mittelmässigen Flasche Wein, aber ohne Digestiv und Dessert. Derweil vor dem Restaurant ein Schild stolz verkündet: «Mittagessen, ab 14.50 Fr.» Doch das betrifft eben eine andere Kundschaft! Es sind die «Büetzer», die auswärts ihre «Zimmerstunde» einziehen, in der Beiz, pünktlich zwischen zwölf und eins. Kurz nach eins ist aber Schluss, dann haben Wirt und Koch ihre «Zimmerstunden». «Rechnet sich eben nicht mehr!». Da war ich kürzlich wieder einmal bis mittags unterwegs. Es war Halbzwei als ich meine «bevorzugte» Wirtschaft endlich erreichte. Das Lokal, wo ich an so manchem Abend – auch mit Freunden – die stolzen «Abendpreise» ohne zu Murren bezahlte, verkündete: «Küche geschlossen!». Bestimmt unfreundlich wurde ich abgewiesen. «Wir sind ohnehin heute «überrennt» worden!» Was kann ich – als Kunde – dafür? Die fixen Essenszeiten sind halt wichtiger als die Gäste. Am Mittag nicht vor 11.30 und nur bis 13.30 Uhr, am Abend nicht vor 19.00 Uhr bis knapp um 22 Uhr, das ist unverbrieftes «Schweizerrecht». Basta! Daran hat sich auch der Kunde zu halten. «Wir sind da nicht in Frankreich oder Italien, wir sind in der Schweiz». Dafür sind die Amerikaner jetzt bei uns! Fast-Food an allen Ecken und Enden. Immer üppiger, auch in manchen «Leuen», «Bären» und «Bahnhöfli», offen den ganzen Tag.
NB. Nach der Abweisung in «meinem Lokal» habe ich halt – widerwillig – einen «Big Mac» (oder so) verschlungen. Der Hunger war grösser als das Lamentieren der Schweizer Wirte und brachte die Einsicht, Wirte fortan nicht mehr ernst zu nehmen und einfach jammern zu lassen. Dann halt ohne Gäste! (143)
13. August 2019
In eigener Sache:
Grüezi
Kolumne von Peter Züllig
«Grüezi». Ich war mal kurz auf der Bank. «Sparbank» oder «Sparkasse» sagte man früher, um die Bank fürs Geldgeschäft, von der Bank zum Sitzen zu unterscheiden. Von «Sparen» und «Kasse» ist weit und breit nichts mehr zu sehen. Dafür freundliche Begrüssung an der Theke, in Leuchtschrift, «Grüezi», sekundiert vom charmanten Lächeln einer dezent dunkel gekleideten Dame: «Was kann ich für Sie tun?» Verdutzt versuche ich mich im grossen, weiten, hellen Raum zurechtzufinden. Habe ich die Türe verwechselt? Bin ich in einem Hotel gelandet – Dreistern?, Vierstern? – oder in einer Agentur, die Wellness verkauft? Die Bank, ein Symbol, reduziert auf eine kleine, modische Sitzgruppe, Couchtisch und kleines, nicht allzu bequemes Sofa, modisch, smart, chinarot... «Was kann ich für Sie tun???» Die Frage, jetzt etwas bestimmter, erreicht mich endlich. Endlich, denk wohl auch die Empfangsdame. «Ich bin verabredet mit…». «Nehmen Sie Platz.» Im Augenblick bin ich der einzige, sichtbare Kunde, die andern sind wohl schon platziert. Nur die automatische Glastür bewegt sich, ab und zu. Ausgesperrt, draussen, die Bank im Automatenlook, elektronische Schalter, in Reih und Glied. Da geht es noch um Geld, zwar unpersönlich, nüchtern, geschäftstüchtig, rentabel eben. «Adieu!», leuchtet nicht am Ausgang, hat sich aber in meinem Kopf breit gemacht. (142)
31. Juni 2019
In eigener Sache:
Das perfekte Symbol unserer Zeit
Kolumne von Peter Züllig
Ferienzeit. Zeit zum Ausschlafen, Zeit fürs Ausruhen, Zeit um aus dem Alltag auszubrechen. Hunderttausende tun dies irgendwo am Meer, an einem Sandstrand. Meist dicht gedrängt in sogenannten «Ferienorten». Künstliche Oasen, geschaffen für ferienhungrige Touristen. Oft laut, oft bewegt, meist vollgepfercht mit unglaublich vielen anderen Urlaubern. Doch auch da gibt es eine Zeit der Ruhe. Zugegeben sie ist kurz, doch alle halten sich daran. Es sind die Morgenstunden, so zwischen fünf und zehn. Da ist es ruhig, unbewegt, leise… Auch dort wo viele Menschen auf engem Raum (temporär) zusammenleben. Doch auch da bricht brutal der Alltag ein. Die Stadt, die Ortsverwaltung, macht sauber. Mit Getöse werden ab sieben Uhr die Strassenfeger losgelassen. Sie durchkämmen jedes Strässchen, jeden Platz, jeden Winkel. Es sind längst nicht mehr Reiniger mit Besen, nein dröhnende Maschinen, die sich durch die morgendliche Stille pflügen, langsam und brutal laut. Kaum sind diese abgezogen: treten neue Störenfriede auf den Plan. Losgeschickt von den Hausverwaltungen, mit noch lauteren Maschinen – den Laubbläsern – die alles bewegen, was sich bewegen lässt, auch wenn – es ist Sommer – kein Laub gefallen ist. Das Schlafen, die Ruhe sind vorbei. Wutentbrannt balle ich die Fäuste und erinnere mich an ein Zitat, das durch die sozialen Medien wandert: «Das perfekte Symbol unserer Zeit ist der Laubbläser, er verlagert ein Problem von einem Ort zum anderen ohne es zu lösen, benötigt dafür aber wertvolle Energie und macht eine Menge Lärm». In diesem Fall raubt er auch den Schlaf. (141)
24. Juni 2019
In eigener Sache:
Platz an der Sonne
Kolumne von Peter Züllig
Nicht alle Probleme lassen sich so leicht lösen. Und nicht alle Probleme werden so gelöst, dass keine «Wunden» zurückbleiben. In diesem Fall – wie so oft – machen die Betroffenen zwar die Faust im Sack, aber lautstark wagt niemand zu protestieren. Zwei Alternativen: Entweder man bezahlt für die Bequemlichkeit oder – man ärgert sich täglich bei der Suche nach einer Parklücke irgendwo im Quartier. Offensichtlich ist Bezahlen die viel härtere «Strafe», auch wenn es nur drei Euro sind (ein Betrag, für den man in der Schweiz im Restaurant kaum einen Kaffee bekommt). Die Situation ist einfach: Als man den Sandstrand (für Touristen) erschlossen hat (vor etwa 40 Jahren), baute man auch Parkplätze – Parkrondellen für rund 200 Fahrzeuge. Doch an den Autoboom hat niemand gedacht oder geglaubt. Die Rondellen waren rasch einmal zu klein und Jahr um Jahr eroberten die Autos auf dem offiziellen Parkplatz Rabatten, Randflächen, Zugangswege. Ein heilloses Chaos. Dann die zündende Idee: Zugangsschranken, die sich nur für gutes Geld öffnen – drei Euro pro Tag. Von da an waren die Parkrondellen nicht mehr voll belegt. Man findet immer einen Platz, auch in der höchsten der Hochsaisons. Dafür ist jetzt das ganze Quartier voll Auto. Sie stehen überall: auch dort, wo sie ein Hindernis sind, wo es gefährlich wird, wo die Bewohner und Fussgänger belästigt werden. Schliesslich sind Autos die stärkeren. Warum auch drei Euro zahlen, bloss für ein bisschen Platz an der Sonne? (140)
14. Juni 2019
In eigener Sache:
Gendersternchen
Kolumne von Peter Züllig
Sternchen sind es, der Form nach, doch leuchten tun sie wahrlich nicht. Sie pflanzen sich in das deutsche Sprachbild, purzeln munter durch Texte, und tun so, als wäre jetzt alles getan - im Kampf um die Gleichstellung der Geschlechter. Man hat sie nicht vom Himmel geholt, vielmehr aus kruden Wirrungen menschlichen Denkens. Man pocht darauf, sprachlich korrekt zu sein und vergreift sich an dem, was zusammenhält, an der Sprache. Wortkosmetik: einfach, wohlfeil, jederzeit vorzeigbar, erst noch festzuschreiben im Duden und als verbindlich zu verordnen, sogar amtlich. Eine Lebensweisheit besagt: «Taten sagen mehr als tausend Worte». Man muss die beiden Substantive nur vertauschen und schon hat man – gloria, gloria – die ersehnt bessere Welt. Es ist richtig, dass Sprache Abbild einer Gesellschaft ist, sich also wandelt, entwickelt, der Kultur und den gesellschaftlichen Normen anpasst, langsam und bedächtig. Vielleicht zu langsam, mag sein. Doch Sprache lässt sich nicht verordnen, nicht konstruieren; sie formt sich aus dem Leben, dem Zusammenleben, der Verständigung der Menschen. Wer glaubt, durch gewaltsame Sprachänderung das Bewusstsein einer Gesellschaft zu verändern, macht es sich viel zu einfach. Schminke verändert nicht Substanz, sie hüllt diese nur ein, vernebelt das, was dahinter liegt. Meist gesellschafliche Probleme, die es zu lösen gilt. Nicht durch Sprache, mit Taten. Das denkt, liebe Leser*innen, ein Sammler*freak. (139)
06 Juni 2019
In eigener Sache:
Spiel mit Realitäten
Kolumne von Peter Züllig
Ein neues «Spielzeug» hat sich seit gut einer Woche in meinem Haus installiert. Nicht ganz gratis, im Gegenteil, ordentlich teuer. Aber wertvoll, nachhaltig, ökologisch… kurzum, mit all dem ausgestattet, was gesellschaftlich gerade im Fokus steht. Eigentlich ist es kein Spielzeug, vielmehr ein hochtechnisches Angebot zur Überwindung der Klimakrise. Finanziert aus Eigeninitiative – gepflastert mit Auflagen, Vorschriften, Gesuchen – begleitet von Skepsis, Zweifeln, Behauptungen und der immer wiederkehrenden Frage: «Lohnt es sich?» Damit ist gemeint: «Rechnet es sich» oder noch deutlicher «rentiert es?» Die Antwort, ebenso deutlich: «nein», zumal dabei nur die Geldwährung in Betracht gezogen wird. Es gibt aber noch ganz andere Währungen, die aber weit weniger gefragt sind. Zum Beispiel das Bewusstsein, die kaum honorierte (aber dauernd) zitierte Eigeninitiative, der Gewinn an Erkenntnis und Erfahrung… Das teure «Spielzeug» liegt auf dem Dach, auffällig zwar, aber nur noch mit sich selbst beschäftigt. Fotovoltaik heisst es und liefert Strom. Das einzige, was im Haus sichtbar wird, ist die Abrechnung (am Computer) in Währungen wie: Bezug, Verbrauch, Vergeudung, Sparen. Daraus entwickelt sich aber ein Spiel, das Bewusstsein schafft: wo, wie, wie viel, wann, warum brauche ich etwas, was längst zur Selbstverständlichkeit geworden ist: Energie. Es ist ein ernstes Spiel. Ein Spiel mit Realitäten, die viel entscheidender und wichtiger sind, als alle Aktien, mit denen das «Spielzeug» zu bezahlen ist. (138)
31. Mai 2019
In eigener Sache:
Für immer!
Kolumne von Peter Züllig
In warmen Zeiten zeigen Menschen mehr Haut und zeigen dabei immer mehr von ihren sonst meist verdeckten Wünschen, Träumen, Bekenntnissen, eingeritzt in ihre Haut, für immer. Ich denke da an die Tattoos, die immer häufiger und üppiger die menschlichen Körper zieren und ein Stück bildliche Identität darstellen. Ein Zeitphänomen bloss oder die uralte Sehnsucht, durch Körperschmuck seine Zugehörigkeit – zu wem und zu was auch immer – zu bezeugen? Ein kulturgeschichtliches Phänomen also, denn es gibt (laut Wikipedia) Hinweise, "dass sich die Sitte des Tätowierens bei verschiedenen Völker der Erde unabhängig voneinander entwickelt hat.» Tätowierungen – oder eben Tattoos – sind nebst Zeichen der Zugehörigkeit, aber auch Ausdruck der Einmaligkeit, der Selbstdarstellung und Abgrenzung. Was mich mehr beschäftigt, das sind weder ästhetische, symbolische noch kulturelle Fragen. Vielmehr ist es der kleine Zusatz «für immer». (Die Möglichkeit des Entfernens gibt es zwar, doch sie ist beschränkt, aufwändig, teuer und schmerzhaft). Dieses «Immer» widerspricht diametral dem, was ich im Leben so erfahren und gelernt habe, in mühsamen, kleinen Schritten. Der Wandel ist der wichtigste Prozess im Leben, der feste Bestandteil einer jeden Existenz. Anschauungen, Ästhetik, Zugehörigkeit, Bekenntnisse, Gefühle wandeln sich, auch wenn die Person den gleichen Namen trägt und gleiche Identität bezeugt. Zu dieser dauernden Veränderung gehört auch der Körper, gehört unsere Vergangenheit. Ob man will oder nicht,: beides muss mitgetragen werden, für immer. Doch dies auch zur Schau zu stellen - mir selbst und anderen - das kann ich mir schlicht nicht vorstellen, das will ich mir auch nicht antun. (137)
18. Mai 2019
In eigener Sache:
Elefanten unterwegs
Kolumne von Peter Züllig
Der Elefant ist der Bauch, das Gefühl, die Emotion und der kleine Mensch auf dem Elefanten ist der Verstand, die Logik, das Wissen. Dieses Bild hat der amerikanische Moralpsychologe Jonathan Haidt in seinem Buch „The Righteous Mind“ (deutsch: „Der gerechte Verstand“) verwendet, um seine drei Thesen zu veranschaulichen: Erstens, der Bauch entscheidet, nicht der Kopf. Zweitens, der Verstand ist wie eine Zunge mit sechs Geschmacksrichtungen (Fürsorge, Fairness, Loyalität, Autorität, Heiligkeit und Freiheit). Drittens, durch die Moral verbünden sich Menschen zu Gruppen, die sich von anderen Gruppen abgrenzen. Gleichzeitig verhindert die Moral, dass man Andersdenkende ernst nimmt. Sein Buch, in welchem er seine Gedanken entwickelt, ist in den USA längst ein Bestseller geworden. Ich habe es noch nicht gelesen (aus Bequemlichkeit, weil es nur auf Englisch erschienen ist). Doch Besprechungen, Erklärungen und Buch-Ausschnitte (und sogar ein Interview mit dem Autor) haben mir seine Gedanken näher gebracht. Gruppenbildungen (Sekten, Parteien, Glaubensgemeinschaften, Ideologien) führen zu Glaubenskriegen, so die historische Erkenntnis, und weder zu einem «besserem Leben», noch zu einer «besseren Gesellschaft». Da kommen mir all die Elefanten in den Sinn, die kriegerisch daher galoppieren. Ihre Botschaften auf dem Rücken: Flüchtlinge, Tierschutz, Vegetarisch, Vegan, Energie und ihre Strahlen, 5G-Technik, Umwelt und ihr Schutz… Die vielen «Glaubenskrieger» von heute machen es so, wie alle Krieger in den vergangenen Jahrhunderten und Jahrtausenden. Sie schlagen zu (moralisch sanktioniert) und würden Ketzer am liebsten auf dem Scheiterhaufen entsorgen. Ihre wichtigsten Verbündeten: all die Gutachter, die irgendwann, irgendwo, irgendwie Fakten gefunden oder erschaffen haben - angeblich um Probleme zu lösen. (136)
08. Mai 2018
In eigener Sache:
Loslassen
Kolumne von Peter Züllig
Behalten ist viel einfacher als loszulassen, festhalten einfacher als zu verlieren. Und doch üben wir uns ein Leben lang in beidem, im Loslassen wie im Behalten, im Festhalten wie im Verlieren. Aufgezwungen wird uns das Verlieren durch das Sterben. Durch das Sterben der Natur, das Sterben der Kräfte, der Hoffnungen, am schmerzlichsten durch den Tod. Und so lernen wir halt zu flüchten, bewusst und unbewusst, erfolgreich und vergeblich. Auch das Reisen ist so eine Flucht, eine Flucht aus dem Alltag, aus dem Gewöhnlichen, dem längst Bekannten, der Eintönigkeit, dem Umgebensein von lauter Muss, Soll, Darf oder Darf-nicht. Zudem ist das Reisen zeitlich begrenzt, ein Abbild unserer Lebensreise, doch mit beschränkter Garantie der Rückkehr. Befreit auch vom Behalten, dem Gegenstück zum Loslassen, an das wir uns immer wieder klammern, um nicht loslassen zu müssen. Auch das Behalten ist mühsam, mitunter kostspielig und immer verknüpft mit dem Loslassen. Die vielen Souvenirstände, denen wir auf Reisen überall begegnen, schlagen daraus Gewinn. Sie können die Angst vor dem Loslassen nicht aufheben, nur mildern, nur durch in der Zeit verblassen lassen. Und so ist eine Reise - nebst neuen Erfahrungen, neuen Erkenntnissen, anderem Erleben – auch eine Generalprobe im Loslassen, die spätestens dann abgeschlossen wird, wenn auch die Souvenirs weggegeben, meist aber weggeworfen werden. (135)
29. April 2019
In eigener Sache:
Mein Onkel, der Missionar
Ja, mein Onkel war Missionar. Seit ich mich überhaupt erinnern kann, weit unten im Süden Afrikas. Mit grosser Überzeugung und aufopfernder Gesinnung: Priester, Lehrer, Schulleiter mitten im schwarzen Südrhodesien, Robert Mugabe, der spätere Diktator, einer seiner Schüler. In meiner Familie die höchste Respektperson, respektiert, geehrt und verehrt. Er hat den Negerlein nur das gute gebracht: Bildung, sozialen Aufstieg und Glauben. Davon war er beseelt, bis zu seinem Tod (in den 90er Jahren.) Daher kommt meine Bewunderung aber auch meine Skepsis für alles, was mit Mission zu tun hat. Hochlöbliche Gesinnung, Eifer, ja Übereifer, für das, was einmal als Gut und Wahr und Richtig erkannt wurde. Das Alleinseligmachende, das in die Welt gebracht werden muss. Und da beginnt mein Widerwille: nicht gegenüber der Gesinnung, dem persönlichen Glauben. Gegenüber dem, was daraus fast immer resultiert: Eine Überzeugungswelle, die nur das eine gelten lässt und die Welt in gut und schlecht unterteilt. Christliche Missionen haben – weitgehend – aus ihrer Geschichte gelehrt. Andere Missionare sind eingesprungen: Missionare der vielfältigsten …ismen, Missionare einer politischen Gesinnung, Missionare der Gesundheit und der biologischen Reinheit. Nach vegetarisch, biologisch ist nun vegan «en vogue». Missionswellen, welche das Denken und Handeln auch im Alltag Überspülen. Die Lehre aus der Missionsgeschichte: auch daraus kann ein Mugabe, ein Diktator erwachsen. (134)
18. April 2019
In eigener Sache:
Wie Ärger zu Wut wird
Ärger gehört zum Leben, zur Befindlichkeit, genauso wie die kleinen und grossen Freuden des Alltags. In den Jahren von «Sturm und Drang» greifen meist junge Menschen zum Tagebuch und notieren, was sich so an Ärger und Freuden so aneinanderreiht. Wenn man älter ist, nimmt man es meistens gelassener: «So What!» Nun hat sich aber eine Dauerärgerquelle etabliert, die gefühlte 90 Prozent des Alltags beherrscht, zumindest jener, welche täglich im Netz unterwegs sind, beruflich oder privat. Da möchte ich ein Küchengerät evaluieren – und schwupps – am andern Tag strotzt der Bildschirm von Küchengeräten. Oder ich buche ein Hotel – wo ich halt gerade übernachten muss – und fortan trudeln dauernd «Best-Price-Angebote» von Hotels ein, an Orten ein, wo ich wohl nie mehr hinkommen werde. Noch viel schlimmer: ich reise oft und gern, aber fast immer mit dem Zug. Nichtsdestotrotz: Billigflug-gesellschaften bombardiert mich mit «Flugtickets». Hoppla! Was habe ich da wieder angestellt (oder angeklickt)? «Want to Date Russian and Ukrainian Beauties?» Noch dreister: «Du scheinst ein toller Verführer zu sein!». Ärgerlich langweilig schon all die Millionen, die ich gewonnen (und nicht abgeholt) habe und die ultimativen Aufforderungen: «Investieren Sie noch heute und profitieren Sie vom nächsten Bitcoin-Boom!» Ich gehöre zu den Netzbenutzern, die weder investieren, noch auf russische Dates warten, weder wöchentlich ein Küchengerät kaufen, noch «Pest-Price-Hotels» suchen, kaum mit dem Flugzeug reisen und auch nicht «mehr Power für Ihre Publikationen brauchen». Was ich aber dringend brauchen würde: mehr Power um diesen Unsinn, diese gigantische Belästigung, erfolgversprechend zu unterbinden. (133)
03. April 2019
In eigener Sache:
Rückruf
«Rückruf für…» Eine Meldung, die immer häufiger auftaucht. Soeben, während ich an meiner Website arbeite, – kling, kling - da taucht (rechts unten) in einem kleinen Fenster die Meldung auf: «Achtung: gefährliches Material in diesem Brot – viele Geschäfte in Bayern betroffen!» Warum erhalte ich diese Meldung? Wohl, weil ich letzte Woche im Bereich der Bayrischen Kulturszene recherchiert habe, und weil ich übers letzte Wochenende nach Bayern gefahren bin. Da habe ich natürlich auch Brot gegessen. Hoffentlich nicht vom «zurückgerufenen». Oder vielleicht doch? Mein Magen zeigt eigenartige Symptome. «Kommt vom Bier,» beruhigt mich ein Bayer. Doch ich habe keine Bier, nur Wein getrunken. Die Meldung hat mich trotzdem erschreckt. Es ist der fünfte «Rückruf» in den letzten Tagen. Da war es der Lachs, dann eine Butter, kürzlich ein Gemüse, dann eine Konserve… Fast immer Lebensmittel. Mein Magen und ich, wir fragen uns: «Was ist nur los?» Lange Zeit wurden nur Fahrzeuge, Maschinen oder elektrische Geräte zurückgerufen, weil plötzlich festgestellt wurde, dass sie «gefährlich» sein könnten. Aber Lebensmittel? Sie sind wohl kaum «rückbringbar». Der Magen hat sie längst verdaut, oder eben nicht. Leben wir in einer so gefährlichen Zeit? Oder ist es Hysterie? Wohl beides! Die Versicherungen zahlen nicht, wenn nicht rechtzeitig zurückgerufen wird (siehe Kleingedrucktes). Rückrufe sind inzwischen Medienhypes geworden. Schlagzeilen! Damit wird Geld gemacht. Eigentlich sollte man die Versicherungen zurückrufen, die uns das eingebrockt haben. Um Geld zu machen – oder (aus ihrer Sicht) um zu sparen.
Aktuell: 04.04.2019 - Neuste Meldung um 10.26 Uhr: "Rückruf: Gefährliche Bakterien in Tiefkühlprodukt von bekanntem Hersteller" Kommentar: Selbst Kolumnen können ab und zu aktuell sein! (132)
25. März 2019
In eigener Sache:
Kreide fressen
Vor und meist auch nach Wahlen wird tüchtig «Kreide gefressen». So auch im Kanton Zürich, wo jetzt alle Parteien noch ein Stückchen von der «grünen Welle» erschnappen möchten. Konrad Langhart, der Kantonalratspräsident der SVP, behauptet keck: «Wir sind eigentlich eine grüne Partei, haben dies aber nicht an die grosse Glocke gehängt.» (Tagesschau von SRF am SVP-Wahlschlappenabend). Die SVP eine grüne Partei? Da kann der Wolf nicht einmal mehr die «sieben Geisslein» täuschen. Zu präsent sind die SVP-Voten im Nationalrat, zu präsent die geschlossene Nein-Front der SVP, wenn es um Öko-Themen geht. Da hilft alle Kreide nicht. Aber auch die FDP hat ihr Fett abbekommen. Rechtzeitig vor den Zürcher-Wahlen hat FDP-Parteipräsidentin Petra Gössi in die Kreideschachtel gegriffen und kann sich eine «Flugticketabgabe» nun plötzlich vorstellen. Doch der FDP-Betonklotz, Vizepräsident Christian Wasserfallen, will davon nichts wissen. In der nächsten Nationalratssitzung wurden dann auch prompt acht von acht Abstimmungen zur Stärkung des Klimaschutzes abgelehnt. In der Diskussion ersetzte man kurzerhand den kreidefressende Wolf durch den vielzitierten Papiertiger. Das hilft (fast) immer. Aber nur «fast». In der freitäglichen SRF-Arena - zur Jugendbewegung in "Sachen Umweltschutz" - dominierten einmal mehr die alt-verstockten Herren: «Hans-Ulrich Bigler deponierte gleich nach dem Lob (an die Jugend) sein `Nein zu Verboten und Auflagen`, Andreas Burgener erklärte: `Was es braucht, ist Innovation`, Jean-Philippe Kohl warnte: `Es macht für die Schweiz keinen Sinn, für die Welt den Musterknaben zu spielen, und Zanetti deklarierte voll auf der Linie der SVP: `Es besteht bezüglich Klima kein Grund zur Panik’. Denn, so bis heute die offizielle SVP-Position: `Es gab ja immer schon Klimaschwankungen`.» (Zitat: Infosperber). In sieben Monaten sind Nationalratswahlen. Ich wette, die Kreide wird in der nächsten Zeit in der Schweiz knapp werden. (131)
11. März 2019
In eigener Sache:
Vandalen Akte
Da hängen sie wieder, an Bäumen, Pfählen, Kandelabern – in den grünenden Wiesen, winterharten Gärten - an lottrigen Scheunen und – weit gepflegter – auf kostenpflichtigen Plakatwänden, an Häusern, in Bahnhöfen und auf öffentlichen Plätzen… und sie lächeln verkrampft, starren in die Welt, blecken die Zähne, bemühen sich um Ausdruck und Gesten der Entschlossenheit. Hauptprobe für den gesamtschweizerischen Wahlherbst, zumindest im Kanton Zürich. Ob Frau oder Mann oder gar kleine Rudel Konterfeis: sie ähneln im gespielten Lächeln-Ernst. Die Bedeutung ihres Plakatdaseins ist mit Händen zu greifen. Wen überrascht, dass immer öfter mit Händen gegriffen wird, um die Säulenheiligen unbotmässig zu verzieren – andere sagen: beschmutzt – oder gar von den Brettern und Wänden zu holen? Vandalen Akt, schreien vor allem jene, welche den provokativsten Stil in die Partei- und Wahl-Propaganda eingeschleppt haben. Verunglimpfung, Ausgrenzung, Schlagworte, Kriegsrufe und Einteilung der Welt in Schwarz und Weiss, in Gut und Bös… Kein Wunder, dass die zu «Gutmenschen» erklärten Bösen, die selbsternannten Guten - das eine oder andere Mal - vom Sockel holen. Gewalt erzeugt Gewalt. Es gibt eben auch geistige Vandalen Akte und die sind leider polizeilich nicht zu ahnden. (130)
01. März 2019
In eigener Sache:
Betrunken?
Bücher seien ein wertvolles Kulturgut, sagt man. Seit der Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert wird dies – schon in der Schule – gesagt und gelehrt. Es gab zwar immer wieder Umwälzungen, sogenannte «Medienrevolutionen», welche das Buch verdrängten, ihm stark zusetzen. Totzukriegen war es nicht. Es lebt weiter, mit oder neben all den «Neuen Medien», die sich inzwischen lawinenartig verbreiten. Allerdings, wer eine eigene Büchersammlung, zuhause sogar eine kleine Bibliothek hat, und diese «entrümpeln» oder gar entsorgen möchte (oder muss), dem wird bewusst und klipp und klar gesagt: «Wertlos», zumindest als Handels- und Verkaufsobjekt Weder Brockenstuben noch Antiquariate wollen sie (mit Ausnahme ganz alten, ganz speziellen oder raren «Schunken»). Meist endet alles Bemühen in der Papier- oder Müllabfuhr. Gestern nun eine neue Erfahrung; in einer Online-Wein-Auktion wurden, eigentlich überraschend, zwei Positionen (Lots) Weinbücher angeboten, 12 Stück zu 10 Franken. Was ist passiert? Es wurde geboten, der Hammer fiel ist erst bei 190, respektiv 195 Franken gefallen. Auch wenn «Weinbücher» etwas teurer und vielleicht auch seltener sind (kleine Auflage, meist mit vielen Bildern), aber auch schnell, sehr schnell inhaltlich überholt sind, mein Glaube an die Kultur des Buchs wurde gestärkt. Oder waren die Bieter schon betrunken? (129)
16. Februar 2019
In eigener Sache:
Achtung Gefahr!
Ein Eierkocher - einfach und bescheiden - macht mir so richtig bewusst, wie kompliziert und gefährlich das Leben geworden ist. Das kleine Gerät kann nur zwei Dinge: Eier kochen und – leicht aufwändiger – Eier pochieren. Das hat meine Mutter noch am Herd gemacht, problemlos, so nebenbei – nicht der Rede wert. Ich hingegen habe jetzt ein spezielles Gerät dafür und - um es zu bedienen - eine «Original-Bedienungsanleitung» im A5-Format, mit 84 Seiten. Ein erster Schreck? Soviel ist zu Lesen um Eier zu kochen. Doch Fehlanzeige, nur 12 Seiten davon sind Instruktionen, der Rest Wiederholungen in sechs Sprachen. Doch bereits auf den ersten Seiten ein neuer Schreck! Dick und fett prangt da in Signalfarben: «Gefahr – Warnung – Vorsicht – Hinweis», 22 mal, auf nur elf Seiten. Unter den vielen Warnungen die Feststellung: «Lebensgefahr durch elektrischen Strom!» Lebensgefahr beim Eier kochen? Wirklich? Oder steht das alles nur da, weil wir verlernt haben, reale Gefahren zu sehen, mit ihnen im Alltag zu leben, andere dafür verantwortlich machen. wenn etwas passiert und nicht unsere eigene Dummheit und unser angebliches Nichtwissen. In diesem Fall wehrt sich - in weiser Voraussicht - der Hersteller des Eierkochers, gegen den Vorwurf, nicht rechtzeitig gewarnt zu haben. Nicht nur Bomben, Kugeln, Messer etc. sind lebensgefährlich. Auch Eierkocher! (128)
02. Februar 2019
In eigener Sache:
Selfies
Eine Inflation von Bildern schwappt über uns. Es gibt nicht mehr nur die Wirklichkeit, es gibt auch unendlich viele Abbilder der Wirklichkeit, Interpretationen, weit häufiger bloss Abklatsch, technisch meist auf ansprechendem Niveau, inhaltlich hingegen unglaublich eintönig. Am häufigsten taucht die Aussage auf: I c h und die Welt, i c h und die Berühmtheit, i c h und mein Freund, meine Freundin, i c h an einem bestimmten Schauplatz, i c h bin da, i c h bin dort; das Zauberwort: Selfies, «alle Augen auf mich!». Und dann, ab ins Internet. Bitte, möglichst viele Betätigungen, «likes» genannt. Bereits befassen sich Psychologen mit dem Phänomen der «Selfie-Manie». Da nehme ich es weit gelassener, cooler. Nicht der «Schaden» ist entscheidend, der (laut Psychologen) die Selfie-Jugend nehmen kann. Es ist der vielmehr der «Schaden», der das Bild nimmt (und schon genommen hat). Ein Bild, reduziert auf einen fotografischen Augenblick, kann und soll (gerade durch die riesige Verbreitung des Smartphons) mehr enthalten, als die simple Orientierung: «ich bin, wann und wo und mit wem da. Im Bild beweist sich nämlich das Hinschauen-Können, das Sehen, die Wahrnehmung. Es kann Welt erklärbar machen, viel besser als alle Worte. Das «Ich», welches in jedem Bild steckt, ist nicht das Gesicht des Knipsenden, sondern das, was der Linse anvertraut wird, an Sicht und Einsicht, an Gefühl und Interpretation, an Standort und Standpunkt. Das sind nicht Gesichter, sondern Aussagen und Botschaften «in und zum Leben». (127)
23. Januar 2019
In eigener Sache:
Influencer
Bin ich jetzt auch ein «Influencer»? Die Frage beschäftigt mich. Nachdem nicht nur der Markt, sondern ganze Nationen immer mehr von Influencer gesteuert – oder sagen wir: beeinflusst - werden, ist es höchste Zeit, dass ich mir die Frage stelle. Ich erinnere mich noch an die ersten Englisch-Lektionen in der Schule. Da gab es noch kein «Frühenglisch». Doch Französisch stand schon ein paar Jahre im Schulprogramm. Influence, das klingt doch so elegant und weich, verlockend im Französischen. «InflooƏns» aber, englisch ausgesprochen, ist für mich bis heute: hart, männlich, befehlend, beherrschend. So liess ich es bei der französischen Eleganz bewenden. Nun, viele Jahrzehnte später, hat mich die Wirklichkeit eingeholt. Man hat dem männlichen englischen Influence ein noch männlicheres «er» angehängt und glaubt, damit die Welt zu bewegen. Schleichwerbung, haben wir gesagt, und wussten, dass sie verpönt, ja in öffentlich-rechtlichen Medien verboten war. Nun ist sie also zurückgekehrt, die «Schleichwerbung», in männlicher, harter Form. Durch Social Media, Blogs epidemienhaft verbreitet, durchs Internet in alle Länder getragen. Ihr Keim wird immer gemeiner und hält längst jeder Vernunft (Aufklärung!) stand. Bin ich nun auch ein Influencer, nur weil ich eine Website betreibe und mich – zurückhaltend zwar – in Social Media bewege. Nein, hat man mir versichert: «du hast ja keine hundert «Followers». Um wirklich ein «Influencer» zu sein, braucht es schon Tausende, ja Millionen von diesen gefährlichen Viren. (126)
14. Januar 2018
In eigener Sache:
Schlachthof der Träume
Träume, ein Star zu werden, oder gar ein Superstar, werden brutal geschlachtet. Während sich die «Grossen» der Schlagerwelt vor 12'000 Fans im Velodrom zu Berlin, von Lichtorgeln umzingelt, feiern lassen, müssen Möchtegern-Stars zuerst einmal vor eine unbarmherzige Jury treten (Castings der Sendung «Deutschland sucht den Superstar) und werden da wie Schlachtvieh behandelt. Sie müssen antraben vor einer vierköpfigen Jury – beherrscht von einer einzigen hochnäsigen, selbstgerechten Person – und kämpfen wie einst die Gladiatoren, bewaffnet nur mit Ihrer Stimme, mit ihrem Talent, mit ihrem Auftreten. Die Juroren, die eigentlich sachlich eine Leistung zu beurteilen hätte, werden – unter Anfeuerung ihres selbsternannten, widerlichen Herrschers – zu Schlächtern, die nicht nur Träume schlachten, sondern gleich die Kandidaten mit, und zwar mit Sarkasmus, Zynismus und Menschenverachtung. Im Gegensatz zu Tieren, die in den Schlachthof getrieben werden, kommen die Kandidaten ja freiwillig, weil sie davon träumen, ein «Superstar» zu werden. Und dereinst auch im Velodrom vor Tausenden von Menschen im Strahl der Scheinwerfer zu stehen. Gibt das der Jury und ihrem Anführer ein unkontrolliertes Verfügungsrecht? Zumal das, was hier unter Ausschluss der Öffentlichkeit, im intimen Schlachthof passiert ist, dem Fernsehzuschauer später zum Frass – zur Ergötzung, Schadenfreude und zum Spott – hingeworfen wird. Wer überlebt hat eine winzige Chance, zum Superstar gekrönt zu werden und vielleicht sogar einmal im Velodrom einzuziehen. Doch die Träume sind längst geschlachtet und die Schlächter sind wieder mit dabei. (125)
06. Januar 2018
In eigener Sache:
Modern
Modern, moderner, diese Begriffe werden mir – ich gebe es zu – immer häufiger um die Ohren geschlagen. Dabei glaubte ich – bis ins Alter – immer so etwas, wie «modern» gewesen zu sein. Jedenfalls offen für Trendiges, für das, was man gern als «Zeitgeist» deklariert. Eine Nachbarin meinte aber kürzlich: Eine gemeinschaftliche Einrichtung, die wir gemeinsam nutzen, müsse jetzt dringend verändert, moderner werden. Sie sei «in die Jahre gekommen» und nicht mehr «zeitgemäss». Und heute lese ich: Eine TV-Sendung, die ich wegen ihres Inhalts schon immer antiquiert fand, werde «renoviert», werde «moderner» gemacht, aber mit dem gleichen Inhalt. Schliesslich steht im Theaterfoyer zufällig eine Gruppe junger Menschen vor mir. Chic gekleidet, Kleider mit Label, Hosen «Destroyed Jeans» und «Slim Fit» oder so ähnlich. «An dieser Mode kommt keiner vorbei», werde ich belehrt. Ich nehme all die Botschaften auf, um nicht «ummodern» zu sein, um «zeitgemäss» zu bleiben. Irgendwann aber wackeln meine Ohren so stark, dass ich nicht mehr hinhören mag, flüchten möchte. Offensichtlich gibt es Regeln, gewisse Dinge zu tun, zu tragen, zu konsumieren, zu bauen, zu schmücken…, die nur für einen gewissen Zeitraum gelten. Dieser Zeitraum wird aber immer kürzer. Wir brauchen immer mehr Zeit, um all den Regeln der Zeit hinterher zu jagen. Und wir haben immer weniger Zeit, Inhalte zeitgemäss zu machen. (124)
30. Dezember 2018
In eigener Sache:
Stille Nacht
So still war sie nicht, die Nacht vom 24. Zum 25. Dezember, «Heiliger Abend» genannt. Still ist es in der Stube, versammelt um den geschmückten Baum. Was heisst versammelt? Wir waren zu zweit, begleitet vom Lieblingsessen und einer guten Flasche: friedlich, besinnlich, still und schön. Bis kurz vor Mitternacht. Die Kerzen sind erloschen. Meine Partnerin ist müde – von der Stille? – und (wie sagt man elegant?) «zieht sich zurück». Nun bin ich allein in der Stube. Mit dem Baum, den Geschenken, mit der Stille. Da komme ich auf die unselige Idee, mich vom Fernseher in die stille Nacht hinein begleiten zu lassen. Ich denke an besinnliche Musik, fremde Weihnachtsrituale, an ein passendes (nicht kitschiges, nicht zu salbungsvolles) Wort oder an stimmige Bilder. Beim Angebot von 356 Sendern sollte etwas Passendes zu finden sein. Also beginne ich zu zappen: Was mir da an «Heiliger Nacht» präsentiert wird ist laut, schrill, grell, dröhnend oder dann triefend von Kitsch, Gefühlen, Weltschmerz und fragwürdigen Botschaften. Das Absitzen in der Fernsehkirche ist vorbei. Es starten die Filme: Parade der alten «Klassiker» entweder christkindsüss oder hart im Schiessen, Kämpfen, Bomben, Knallen und Töten… in Fiktion: auf Erden und bis weit ins Al. Immer mehr Geknall, auf immer mehr Sendern- Kontrastprogramm? Auch die vielen Verkauf- und Ratgebersender haben Hochbetrieb. Da wird alles zur einmaligen Chance gemacht, alles was man kaufen und glauben muss. Es gilt, die Stille der Nacht zu nutzen, um gehört zu werden. In diesem Sumpf der Geschmacklosigkeit endet endet meine stillnächtliche Zappeskapade. Ein vollbusige Vamp mit Silikonbusen und prall gespritzten Lippen wirft theatralisch den BH weg und verspricht: «Mehr Titten zu sehen auf www……» Da ist meine «Stille Nacht» endgültig gestillt. Ich krieche unter die Decke: da ist es wirklich still. (123)
15. Dezember 2018
In eigener Sache:
Unbeweglichkeit
«Der menschliche Körper ist für ein Leben mit Bewegung programmiert». Soweit ein zentrales Axiom der Anatomie. Die Gesellschaft unternimmt viel, um diesem Grundsatz gerecht zu werden: Angebote für Fitness, Sport, Spiel, Aktivitäten… Anreiz und Belohnung für Leistungen… Auch Arbeiten im Haushalt, auf Reisen und in der Freizeit: Heben, Tragen, Gehen, Radfahren, Treppensteigen, Einkaufen, Tanzen… Inzwischen kann fast alles durch die Technik erledigt werden: das Heben vom Kran, das Tragen vom Rolli, das Gehen und Fahren vom Auto, das Treppensteigen vom Lift, das Einkaufen von Internet… Der Mensch ist zwar dauernd in Bewegung: aber immer mehr ohne – oder mit stark reduzierter – körperlichen Bewegung. Was geschieht, wenn die körperliche Bewegung ganz eingestellt wird: durch Verletzung, Behinderung, Krankheit, Trägheit, durch…? Die Bewegung wird zur Unbeweglichkeit, nicht nur des Körpers, auch des Geistes. Trotz Fernsehen, Netflix, WhatsApp, Twitter, Facebook… Der Geist – oder gar die Seele – verströmt sich in die Welt. Sie hat kein festes Zuhause mehr. Die viel gerühmten eigenen vier Wände, sie sind löcherig, aber aus Beton. Durch die Löcher schlüpft nur die Illusion. Man hat mir – auf Zeit - die Bewegung genommen, damit ich mich nachher wieder besser bewegen kann. Man hat mir Krücken gegeben, damit die Beine gesunden. Man hat mich ins Bett beordert, damit ich wieder stehen und gehen kann. Ohne Krücken. Tröstlich, denn alles ist nur auf Zeit. Was aber passiert mit den geistigen Krücken, die in unserer Gesellschaft immer mehr alle Bewegung lähmen? Gibt es Ärzte, die – krankenkassenversichert - die zunehmende geistige Unbeweglichkeiten beseitigen können? Es gibt immer mehr Menschen, welche meinen, geistige Krücken zu brauchen und aus lauter Angst, diese nicht wegzuwerfen, um sich ja nicht bewegen zu müssen. Nicht die Technik nimmt ihnen die Bewegung, es sind all die gesellschaftlichen und politischen Heilslehren, die als Arznei und Wundermittel angeboten werden. Doch diese lassen weder Körper noch Geist gesunden. (122)
03. Dezember 2018
In eigener Sache:
Fake-Days
Rabatt ist ein Zauberwort, das – möglichst knallig angewandt – Kaufrausch auslösen und Massen in Bewegung setzen kann. «Schnäppchen» heissen die Trophäen, die es mit möglichst vielen Rabatten zu hamstern gilt. Schnäppchen, die meist eigens für Schnäppchentage hergestellt wurden, natürlich zu Schnäppchenpreisen. Tagtäglich prasselt es auf uns nieder: Rabatte, Rabatte, Rabatte… Direkt aus Amerika wurde auch der «Black Friday» importiert, der Tag nach «Thanksgiving», dem amerikanischen «Erntedanktag». Zuerst der «Dank», dann aber gleich die Jagd, der Start zum grossen Weihnachtsgeschäft. Doch das genügt schon lange nicht mehr. Der «Schwarze Freitag» wurde verlängert zum Cyber-Mondy und schliesslich zur «Cyber-Week»: «Krachende Angebote auch noch nach Black Friday!» Mit dem amerikanischen Import wurde auch der «Fake» übernommen, zu gut Schweizerdeutsch «de Bschiss». Den gab es zwar schon vor dem «Fake», doch eher verschämt, fast schon bescheiden, und nannte sich «Ausverkauf» oder «Lagerräumung». nach dem gossen Weihnachtsgeschäft. Daraus wurde der etwas knalligere «Sale», dann der «Super Sale», der «Black Friday»… und schliesslich die «Cyber-Wochen», immer beliebiger verteilt auf das ganze Jahr. Und der «Fake» ist ein braver Begleiter. Notabene: «Fake», heisst so viel wie «Fälschung». (121)
20 November 2018
In eigener Sache:
Alle Jahre wieder...
Alle Jahre wieder kommt nicht nur das Christuskind. Alle Jahre wieder kommt auch die Flut institutioneller Bettelei. Es ist eben die Zeit von «hoch eure Herzen in heiliger Liebe». Und da kann niemand abseitsstehen: die Bettlergilde nicht, genau so wenig wie die, bei denen die Nächstenliebe in der Hektik des alltäglichen Lebenskampfs zu kurz gekommen ist. Jetzt kann nachgeholt werden, auf einen «Chlapf». Ein, zwei, drei Einzahlungsscheine, Grosszügigkeit in den Zahlen (zweistellig muss es schon sein, lieber dreistellig) und schwupp, ein allfällig schlechtes Gewissen ist beruhigt, der gute Zweck zumindest dokumentiert. Das wissen auch die professionellen Bettler, sie tun es ja nicht für sich, einzig für den «guten Zweck», dem sie dienen. Angestellt, ausgebildet und professionalisiert von Institutionen, die zum Ziel haben, jährlich so viel Geld wie möglich einzubringen. Für Leidende, Unschuldige, Arme, Kranke, Vertriebene…, für Menschen, Tiere, Landschaften, Pflanzen…, für Gerechtigkeit, Rettung, Ertüchtigung, Erlösung… Tag für Tag ein paar mehr der Ermahnungen zur Nächstenliebe, Hilfe, Solidarität, zum Verständnis und Mitgefühle. Rasch zu erledigen auf Konto xx, quittiert von seriellen «herzlichen Dank» und der Bestätigung, ein guter Mensch zu sein. Die Bettelei hat sich industrialisiert und kämpft mit allen Tricks um Aufmerksamkeit und schwingt den Vorschlaghammer auf dem Schlachtfeld des schlechten Gewissen. Die Bettlerbranche hat sich längst aus der «direkten Hilfe» verabschiedet. Mutiert zur anonymen Erledigung der Nächstenliebe, des Mitgefühls und der angemahnten moralischen Schuld. (120)
18,. Oktober 2018
In eigener Sache:
Spesen- und Zinswucher
Es ist soweit: der Kleinsparer legt sein Geld am besten in oder unter die Matratze. Da ist es vielleicht nicht ganz so sicher, doch es löst sich auch nicht einfach auf. Ohne Zutun, nur weil es da ist. Zinsen gibt es längst nicht mehr. Dafür umso mehr Spesen. Inzwischen für alles und jedes, für den kleinsten Dienst, der längst von Computern und Robotern geleistet und/oder dem Kunden erbracht wird . Die Banken und die Post sind Musterbeispiele für legitimierten Wucher. Da habe ich doch für zwei Bücher und eine Farbschachtel – Warenwert zweihundert Franken – Sammlerutensilien aus Österreich - glatte 100 Franken Gebühren und Spesen bezahlt. Die Bücher: Sammelkataloge in Kleinstauflage nicht durch den Buchhandel zu beziehen. Die alten Farbstifte – ein Sammlerobjekt nur für Liebhaber. Zuerst waren da die Postspesen. Das Paket (2 Kg) – Österreich-Schweiz 37 Euro – dann meine Geld-Überweisung – Giro International – sogenannt spesenfrei. Die Bank des Empfängers verlangte aber für die Verbuchung 10 Euro. Also nochmals Giro nach Österreich zur Deckung der Spesen des Empfängers. Jetzt ist es da, das Paket! Zoll und Abwicklungsgebühren: 42.45 Fr. Die Arbeit aber – ausser dem Warentransport - habe ich am Computer erledigt. Es war kein Büro und keine Amtsstelle beschäftigt. Nicht einmal ein Zollbeamter. NB 1: die Bank UBS hat im Sommerquartal einen Gewinn von 1,2 Milliarden Franken gemacht und ist auf gutem Weg, das Jahr mit einem Ergebnis um 5 Milliarden Gewinn abzuschliessen. NB 2: Die UBS war in diesem Beispiel nicht involviert. Aber die Post, eine ausländische Bank und der Staat, die möchten halt so viel Gewinn verbuchen. Wo immer möglich mit minimaler Leistung! (119)
18,. Oktober 2018
In eigener Sache:
Dienstverweigerung
«Hallo», hat er gesagt, «ich kann Sie nicht erkennen». Dann wird - nach ein paar Sekunden – der Bildschirm schwarz. Wieder ein paar Sekunden später werde ich ultimativ aufgefordert, einen Code einzugeben, meine Legitimation, dass ich auf diesem Computer diese Kolumne schreiben darf. Und das auf meinem Computer, den ich kürzlich gekauft und - ich schwöre – auch bezahlt habe. «Nicht erkannt», hat er gesagt und mir die Gefolgschaft verweigert. Zuerst vermutete ich, dass ich zu wenig gelächelt oder eine zu griesgrämige Miene gemacht habe. Oder hat ihm gar mein Kragen nicht gefallen? War der oberste Knopf nicht zu? (Eine Erinnerung an den Militärdienst, da wurden wir für dieses Vergehen angeschnauzt). Zuerst habe ich mich gewundert, dann empört. Dienstverweigerung aus Gewissensgründen? Oder hat er geahnt, dass ich hier – in eigener Sache – über ihn schreiben wollte? Über sein mangelndes Können, seine beschränkte Intelligenz und seine notorische Ungeduld. Dies alles veröffentlicht auf der Homepage, vielleicht sogar in den sozialen Medien! Nein das darf nicht sein. Ich, Dein Computer, weigere mich Dich zu erkennen. Den Zugriffscode hast Du ohnehin längst vergessen oder er ist auf dem für dich jetzt unzugänglichen Computer gespeichert. (118)
03,. Oktober 2018
In eigener Sache:
Mobilisierung der Angst
«Ägstliche Meschen leben länger», sagt eine medizinische Studie, die sich auf Herzkranke bezieht «Ängstliche Menschen leben aber auch schlechter», sie leben mit der Angst. Und dies ist nicht eine Frage der Medizin, sondern der Lebensqualität. Mit Angst lässt sich schlecht leben. Die Angst überlagert alles Tun, die Entscheide, die Hoffnungen, die Freuden, die Vernunft… Mit Angst lässt sich auch gut Politik machen. Undifferenzierte Politik, Schlagwortpolitik. Politik der Einschüchterung, der Verbote. Warum? Weil Angst rationale Argumente, ja sogar hieb- und stichfeste Beweise im Nu aushebeln kann. Nicht nur diese: auch einen guten Teil der Vernunft. Die Angstplakate der SVP haben es ausdrücklich demonstriert. Es wird weiterhin auf Angst gemacht, weil Angstpolitik so erfolgreich ist. Angst führt zu bizarren Entscheiden, bis hinein in die Bundesverfassung: Jesuitenverbot im 19. Jahrhundert, Minarett-Bau-Verbot vor zehn Jahren, aktuell ein «Verhüllungsverbot» im Kanton St. Gallen. Die Angst wird immer häufiger politisch bewirtschaftet, weil sie schnurgerade von der vernunftbezogenen Vorsicht, zur Angst führt. Angst, die alles ausmerzt, was an Vernunft übrig geblieben ist. (117)
23. September 2018
In eigener Sache:
Prokrastination
«Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen». Das Sprichwort hat halt doch seine Richtigkeit. Auch wenn das «Morgen» - im Zeitalter der weltweiten Vernetzung, blitzschnellen Kommunikation und des Dauerdrucks sofortiger Erledigung – längst nicht mehr die Bedeutung von von einst hat. Heute und morgen vermischen sich – andere Begriffe für Zeitabschnitte haben das Szepter übernommen: sogleich, sofort, rasch, unverzüglich… Dabei geht es weniger um Zeiteinheiten, um heute und morgen, vielmehr um das chronische Aufschieben und Vertagen. «Prokrastination» heisst der Fachbegriff – so habe ich gelesen – und ist eine Störung, die besonders Studenten, Anwälte, Journalisten und Lehrer befallen soll. Betroffene leiden dauerhaft darunter. Ich bin Journalist, offensichtlich auch befallen und ab und zu auch leidend. Ob ich deshalb Journalist geworden bin, weiss ich nicht. Ich konnte ja nicht ewig Student bleiben. Lebenslang aber von Prokrastination geplagt. Und heute ganz besonders leidend. Ich habe ich vom Tod eines Freundes erfahren. Er war seit langem kränklich, dann krank, dann sehr krank. Ich habe immer wieder versprochen, ihm und mir, einmal einen Besuch zu machen. Doch die grosse Distanz zwischen unseren Wohnorten, das Getriebensein im Alltag, die Dringlichkeit von tausend Dingen, und, und, und.. haben das Versprechen auf die berühmte «lange Bank» geschoben. Bis die lange Bank heute zusammenkracht ist. Versäumt, vorbei, endgültig, für immer! Ob Sprichwort oder Fachbegriff – es hilft halt nur das Tun. (116)
15. September 2018
In eigener Sache:
Ausser Rand und Band
Was nicht alles „ausser Rand und Band“ geraten kann. Kinder, die herumtollen, Fussballfans nach verlorenem Spiel, Börsenkurse die fallen, das Publikum in Festlaune… Dieses Jahr, habe ich das Gefühl, sind sogar Obstbäume ausser Rand und Band. Jedenfalls meine beiden Bäume im Wieschen vor dem Haus. Und die Bäume meiner Nachbarn auch. Alles in Überfluss: Äpfel, Birnen, Zwetschgen, Pflaumen… Wohin mit dem Früchtesegen? Apfelmuss, Apfelstrudel, Apfelwähe, Apfel im Schlafrock, Apfelkuchen… Das selbe mit den Birnen, Pflaumen, Aprikosen… Nur die Kirschen sind vorbei, sie waren noch nicht ganz so wild, wie die Früchte des Herbsts. Letztes Jahr gab es überhaupt keine Ernte, dieses Jahr weiss man nicht wohin mit dem Ertrag. Wie immer, wenn etwas ausser Rand und Band gerät, wird nach den Ursachen gefragt. Wer oder was hat da reingepfuscht in die Natur? Und weil man nicht gleich einen Schuldigen findet, taucht die Frage auf: Wie lässt es sich steuern, dass nicht das eine Jahr Überfluss, das andere Jahr Mangel herrscht? Der alte Bauernkalender aus dem Jahr 1841 hält fest: «Auf ein bis drei fruchtbare Obstjahre folgt wenigstens ein unfruchtbares und ein mageres Obstjahr». Das wissen heute nicht einmal mehr die Bauern. Sie haben längst gelernt, die Natur zu steuern. So, wie man heute so ziemlich alles steuern kann oder steuern möchte. Wenn möglich auf Knopfdruck, natürlich elektronisch. Handarbeit wird den Maschinen überlassen. Und wir Konsumenten? Uns steht – Welthandel sei Dank – jederzeit alles zur Verfügung. Auch Birnen und Äpfel, Bananen und Orangen egal wo und wie sie wachsen und reifen. Wenn die gefallenen Früchte massenweise am Boden verfaulen – weil sie sich nicht auf Knopfdruck auflesen und bearbeiten lassen – kommt der Verdacht auf, dass sich die Natur doch nicht elektronisch steuern lässt. (115)
09. September 2018
In eigener Sache:
Sportmuffel
Fast bin ich ein Sportmuffel. Aber nur fast. Das Wenige hat man mir jetzt weggenommen. Eishockey. Nicht jeden Match möchte ich sehen. Den von meinem Lieblingsklub. Ab und zu. Vielleicht auch mal ein anderes Eisduell. Nicht mehr möglich. Die Rechte wurden für Millionen verkauft. An eine Firma, der ich vor Jahren den Rücken gekehrt habe. Weil der Service miserabel war. Weil die Leistung nicht befriedigte. Weil periodisch Ärger anstand, mit Rechnungen, nicht erbrachten Leistungen, technischen Störungen… Also wechselte ich – nach vielen Ärgerjahren - den Anbieter, liess den Anschluss plombieren. Ausgerechnet diese Firma hat nun einen guten Anteil an Sportrechten gekauft. Exklusiv. Darunter «mein» Eishockey. Empfang nur noch möglich bei diesem Anbieter. Und auch da ist es ein «Zusatz-programm» zu 25 Franken pro Monat, 9 Franken als Tagesangebot. Was tun? Zurück zum ungeliebten Anbieter? Auf den TV-Empfang verzichten und auf den Computer «umsteigen»? Da ist ein Empfang möglich, ohne Kabelanschluss, das Sportangebot etwa zum gleichen Preis. Zwangsherrschaft der Sportvermarktung. So bin ich – ohne es zu wollen – auch ein Eishockeymuffel geworden. Aber ganz! (114)
28. August 2018
In eigener Sache:
Nie mehr!
Es ist ein Spiel der Verführung. Seit dem Apfel der Eva bekannt, doch immer wieder ärgerlich. Da steht man im Laden eines Discounters und sucht das Produkt, dessen Werbung man soeben als Banner – gross und fett – auf einer Website gesehen hat. Ein Produkt, das – Algorithmen sein Dank – ausgerechnet mich als potentiellen Interessenten gefunden hat. So quasi als Beigabe im Netz, wo ich gerade für ganz andere Informationen unterwegs bin. In diesem Fall sind die Verführerinnen ein Wein und eine Firma, die ich im Netz noch nie und in den Filialen so gut wie nie aufgesucht habe. Doch der Discounter weiss, dass man mich mit Wein locken, ja verführen kann. Prompt bin ich reingeplumst in die Falle. Nicht zum ersten Mal. Doch zum ersten Mal bei dieser Firma. Da quäle ich mich mühsam durch das Produktewirrwarr einer Filialen dieses Discounters, natürlich auf der Suche nach dem verlockenden Wein. Nicht zu finden! Nach längerem Warten und Aufstöbern einer zuständigen Person, dann die Auskunft: «Der Wein ist nur im Internet erhältlich!» Dies stand nirgends auf dem Banner. Ähnlichen Lockvögeln bin schon ich bei anderen Discountern begegnet. Meine Reaktion: die Produkte, die ich so beiläufig auf der Weinsuche in den Korb gelegt habe, gehen wieder zurück in die Regale. Und ich verlasse die Filiale in der festen Überzeugung, nie mehr wiederzukommen. (113)
21. August 2018
In eigener Sache:
Fast Food oder Non Food
Fast Food ist Ansichts- und Geschmacksache. Offensichtlich der Geschmack vieler, wenn man das wuchernde Angebot sieht. «Essen auf die Schnelle» entspricht unserem Lebensgefühl. Das erträgt viel, alles… nur eines nicht. Non Food. Schauplatz Südfrankreich: am Weg zum Strand. Ein paar Fast-Food-Buden buhlen um die Gunst der hungrig Schwitzenden. Wir sind hungrig, möchten die Stadt vermeiden, in der Nähe des Strands essen. Essen, nicht fooden. Also studieren wir die ausgehängten «Karten» und wählen das Angebot mit mediterraner Küche. Bouillabaisse, Salade Niçoise, Gambas, Risotto mit Sepia, Tapas… Es ist halbsieben. Der Strand leert sich. Apéro-Time! Wir setzen uns an einen der acht Tische, im kleinsten der Terrassen-Restaurants, die dicht aneinandergereiht, zum Essen einladen. Wir sind die einzigen Gäste, alle anderen Terrassen sind schon gut besetzt. Wir machen es uns gemütlich. Da kommt der «Wirt»: «Wir öffnen erst um sieben!» Mürrisch, unfreundlich, ohne einen Apéro anzubieten weist er uns weg. Er sei eben keine Fast-Food-Bude, sondern ein Restaurant. «Eben», sagen wir, deswegen sind wir hier abgesessen. Nichts zu machen. Wir essen dann auf der Terrasse nebenan. Zwar fastfoodig, doch gut. Zwei Stunden später fahren wir nach Hause. Ein Blick zum unhöflichen Nachbar-Wirt. Er und die Servierdame sind noch allein, ohne einen Gast. «La République en marche!». (112)
08. August 2018
In eigener Sache:
Objektivität beim Genuss
Meine Weinkenntnisse haben ein Erdbeben erlitten. Acht oder gar neun Richter-Magnituden sind es schon. Mit Worten: gross oder gar ganz gross. Seit dreissig Jahren befasse ich mich ernsthaft mit Wein, seit mehr als zwanzig schreib ich darüber, zehn Jahre lang verfasste ich alle 14-Tage eine Kolumne. Ich lese mindestens eine Weinzeitschrift pro Woche, besuche täglich Weinforen, habe nicht nur viele Flaschen im Keller, ebenso viele schon getrunken. Kurzum: ich fühle mich fast als Experte, zumindest sattelfest. Und jetzt dies! Ahnungslos öffnete ich einen Wein, den ich bisher noch nie getrunken habe. Kopfschütteln: untrinkbar! Meine Partnerin bestätigt: untrinkbar, Weinfehler! Kann es geben, weg in den Ausguss. Eine zweite Flasche wird nach ein paar Wochen geöffnet. Untrinkbar! Weinfehler! Ich schütte sie diesmal nicht aus, stelle sie neben mein Pult. Da steht sie, seit Monaten. Ich wollte mich nämlich erkundigen, was es mit diesem Wein auf sich hat. Jetzt die Antwort eines Weinfreundes, eines Kenners dieses Weins: «Es ist ein Amphoren-Wein!» Das wusste ich nicht. Ich erkannte es auch nicht, obwohl ich schon manchen Amphoren-Wein getrunken und auch beschrieben habe. Hätte ich es gewusst (oder erkannt), wäre er dann auch im Ausguss gelandet? Höchstwahrscheinlich nicht. Seither zweifele ich – auch dort wo ich mich sattelfest fühle – an meiner sensorischen Objektivität. Für einen Weinschreiber ein verheerende Zustand! (111)
30. Juli 2018
In eigener Sache:
Was für schöne Schuhe!
Zu den „verbotenen“ Helden meiner Jugend (50er Jahre) gehörten Rolf Torrin, Jerry Cotton, Nick Carter, Bill Jenkins, die unverwüstlichen Figuren der Trivialliteratur. Dazu auch Eddie Constantine, alias Lemmy Caution, der FBI-Agent. Als sein erster Film, „Im Banne des blonden Satans“ - 1953 erschien - da war ich gerade mal 14 Jahre alt, noch nicht „kinotauglich“, für mich also unerreichbar. Anders die Männer, die sich durch die „Schundheftchen“ kämpften. Sie zirkulierten – unter der Hand natürlich – im Freundeskreis. Es gab Väter (und Mütter), die tolerierten die Gestalten in den meist zerfledderten Heftchen: „Die Hauptsache, unser Bub liest!“. Andere, wie meine Eltern, wachten streng über meinen Lektüre. „Winnetou“ war das Äusserste, was noch in unser Haus kommen durfte. Schliesslich standen die Bände auch in der Pfarrbibliothek. 1955 – da war ich endlich 16 – schlich ich in die „Revolverküche“ unserer Nachbarstadt: „Rote Lippen, blaue Bohnen“ mit Eddie Constantine. Doch schon zwei Jahre später war es fertig mit den „blauen Bohnen“. „Giganten“, mit James Dean, „Vertigo“ von Hitchcock oder „Das siebente Siegel“ von Bergmann, dies war nun die „wahre“ Kinokultur. Eddi Constantine hingegen mit Verachtung bestraft.
Jetzt habe ich – nach so vielen Jahren – Lemmy Caution wieder getroffen. Er ist noch immer ein Held – ein Kinoheld. Inzwischen aber noch viel mehr: nämlich ein Kulturspiegel der frühen 50er. Whyskey in der Hand, die Zigarette im Mundwinkel, Blick ins Dekolleté einer Blondine „Oh, was für schöne Schuhe Sie tragen !“ (110)
17. Juli 2018
In eigener Sache:
Die Like-Kultur
Der Daumen nach unten bedeutete – in der Arena des antiken Roms – den Tod, der Daumen hoch, das Leben. So wird es überliefert. Historiker meinen zwar, es könnte genauso gut umgekehrt gewesen sein. In den Arenen unseres Jahrhunderts ist die Definition aber klar: Daumen hoch gleich: „I like“. In den Social Media – den Arenen unserer Zeit – wird „geliked“, bis „die Schwarte kracht“. Die Schwarte? Noch so ein Begriff, der die ursprüngliche Bedeutung verloren hat. Worthülsen, zuhauf, inzwischen reduziert auf möglichst simple Zeichen. Der berühmte Daumen nach oben, als Schlüssel zur Welt, zum Leben. Die lebenserhaltenden „Likes“ werden inzwischen begleitet von den „Emojions“, jenen Einfachstgesichter, die lachen, weinen, strahlen, zürnen, den Mund verziehen, die Nase rümpfend und, und, und… auch „Smilies“ genannt. Inzwischen gibt es auch ein Lexikon (mit weit mehr als 600 Einträgen), wo die Bedeutung der Bedeutungsleere gedeutet wird. Damit in Zukunft der denkende vom zornigen, der kreischende vom schnarchenden „Emotion“ auch unterschieden werden kann. Zu den Standard-Smilies – so lass ich mich belehren - gehört auch dieser Kopf, der mir sagen will:„darüber kann ich nicht lachen“ (109)
01. Juli 2018
In eigener Sache:
Die Ämtchenordnung
In unserer Siedlung gibt es keinen Abwart, keine bezahlte Kraft, die für Ordnung im Gemeinschaftsbereich sorgt: wischen, jäten, putzen, heizen, schaufeln, überwachen, reparieren… Kurzum für alles, was es zu tun gibt in jenen Bereichen, für die sich niemand direkt verantwortlich fühlt. Die ersten Jahre – es waren mehr als zehn – ging alles gut. Man war beschäftigt, die gewählte neue Wohnform auszuloten, sich wohnlich in einer nicht ganz gewöhnlichen Siedlung einzurichten. Irgendwann aber wurde etwas zum Problem, was auch in der Politik immer wieder beschworen wird (wenn man keine einschränkenden Gesetze erlassen will): Die Selbstverantwortung. Ein wabbeliger Begriff, der von jedem anders verstanden und ausgelegt wird. Die einen möchten viel, andere möglichst wenig, die einen dies, die andern das; die einen orientieren sich an einer «streng bürgerlichen» Ordnung, andere lieben eher das «kreative Chaos»… Kurzum: in diesem freien Spiel der undefinierten «Selbstverantwortung» gibt es Gewinner und Verlierer. Was tun? Man erstellt – was man in solchen Fällen immer tut - einen Plan: wer hat was, wann, wo zu tun. Das Was und das Wo sind definiert, nur das Wann bleibt – als Spielraum – halbwegs offen. «Ämtli» nennt man es, wortkosmetisch. Jedes «Amt» aber verpflichtet. Inzwischen umfasst die Liste der Ämtchen 54 Positionen. Schön zugeteilt, in grosse und kleine Ämtchen. So wird Selbstverantwortung umgehend zur Verpflichtung, wird das Zusammenleben unversehens zur Ämtchenordnung. (108)
20. Juni 2018
In eigener Sache:
Über den Wolken muss die Freiheit wohl Grenzenlos sein
Ein Foto aus meiner Jugend erinnert an meinen ersten Flug. Das war 1952, ich war gerade mal 13 und hatte genügend Punkte gesammelt (Ich weiss nicht mehr wovon. Ovomaltine?). Jedenfalls konnte ich damit einen Alpenrundflug machen. Weder meine Mutter, noch mein Vater waren je in einem Flugzeug gesessen. Ich war nicht nur stolz, ich fühlte mich – zusammen mit den beiden Kollegen, die es ebenfalls geschafft haben – als König. König der Lüfte. Heute, 66 Jahre später, sitze ich mit 250 anderen Passagiere neun Stunden eingepfercht in einem Riesenvogel, Flugzeug genannt. Eng, stickig, angeschnallt, eingeklemmt in eine Viererreihe. Vor mir ein Bildschirm mit dauernd wechselnden Flugangaben und eine Wand. Die kleine Lucke nach aussen ist weit weg. Es werden zwei Mahlzeiten serviert. Schlechtester Fastfood. Hygienisch verpackt, doch ungeniessbar. Zu trinken gibt es auch: vom Wasser, über Cola bis schlechtem Wein. Ich kann mich kaum bewegen beim Essen, zum Nachdenken reicht es gerade noch: Distanzfressen, Zeit gewinnen und verlieren. Eine Stunde Autofahrt zum Flughafen, Sicherheitskontrollen, Check-in, muffige Beamte, Rolltreppen, Weg-Labyrinthe bepflastert mit Reklame. Vorbei das Königsgefühl, ein Gefangener bin ich geworden. Leidensstunden als Preis an die globalisierte Welt. (107)
27. Mai 2018
In eigener Sache:
Ehrfurcht vor dem Leben
Ein Zirkus ohne Tiere ist wie ein Fussballspiel ohne Ball. Ich weiss, der Vergleich hinkt, denn ein Ball ist kein Lebewesen. Zirkustiere sind es aber. Da hat der Mensch – das ist unbestritten – eine Verantwortung. «Ehrfurcht vor dem Leben», formulierte Albert Schweitzer seine Ethik, angesichts des Massenmordens im ersten Weltkrieg. Die Ehrfurcht vor dem Leben hat - zumindest unter den Menschen – nicht zugenommen. Im Gegenteil. Kriege, Gewaltherrschaft, religiöser Wahn, Terror sind näher gerückt. Wir kämpfen auch mit ihren Folgen: Flüchtlingselend, Armut, Leiden Tod. Eine zivilisierte Welt steht all dem machtlos gegenüber. Mir scheint, als habe man Schweitzers Ethik deshalb auf Tiere begrenzt: Tierschutz. Gut so! Auch Tiere dürfen durch Menschen nicht leiden. Aber müssen wir sie auch klassifizieren? Brave und böse Tiere, nützliche und lebensunwerte, Schosstiere, Geliebte, Freunde und Feinde? Gerade so, wie wir es unter Menschen tun. Dürfen wir die einen töten, müssen wir andere schützen? Ist das Staunen, das Erleben, das Bewundern, das Lernen von Tieren, das Spielen mit Tieren ehrfurchtslos? Militante Tierschützer delegieren so gern den Lebenskampf auf Tiere und vergessen dabei die Menschen. (106)
19. Mai 2018
In eigener Sache:
Wohin mein Auto entschwunden ist
Mein Auto war alt, es hat viele Jahre seinen Dienst getan. Die Kosten, um es immer wieder „verkehrstauglich“ zu machen, werden immer grösser. Die Abgase sind – im Verhältnis zur den heutigen technischen Möglichkeiten – horrend, zwar altershalber gerade noch toleriert, aber kaum mehr zu verantworten. Also muss das Auto weg. Aber wohin? Ab und zu – sehr regelmässig – finde ich kleine Kärtchen (Visitenkartengrösse) im Briefkasten. Etwa mit folgendem Text: „Ankauf von Gebrauchtwagen… auch Unfall – oder Motorschaden, ohne TÜV/Kat. – viele KM – ein Anruf lohnt sich“ Eine Adresse oder einen Firmennamen gibt es nicht. Nur eine Handy-Nummer. „Kauf Occasionen ab Platz, alle Autos… Unfall oder Zustand sind egal…“ Was geschieht mit diesen „alten Karren?“ Auf einer anderen dieser Karten steht es unverblümt: „kaufe Autos für den Export nach Afrika“. Anstatt auf die Schrotthalde also Recycling. Lobenswert? Wenn ich daran denke, dass mein ausgedientes Auto, das ich vor allem wegen seiner Umweltbelastung aus dem Verkehr ziehen will, nun weitere x-Jahre in Betrieb sein wird, ohne TÜF, ohne Abgaskontrolle, immer mehr Schmutz ausstossend, nur eben weit weg, an einem anderen Ort, wo man sich den „Luxus“ umweltschonender Fahrzeuge nicht leisten kann, da packt mich die Wut. Leben wir nicht unter dem gleichen Himmel? Rettet uns nicht die gleiche Ozonschicht, die immer dünner und löchriger wird? „Après nous le déluge“. Die Hauptsache: Gewinn. (105)
10. Mai 2018
In eigener Sache:
Sprüche klopfen
«Es gibt nicht den Bauch. Es gibt nicht den Kunden, deshalb ist die CSS keine Krankenversicherung für Kunden. Sondern für Menschen». Ich gehöre – seit mehr als 75 Jahren – zu den Personen, die – gemäss der CSS (Christlichsoziale Krankenkasse der Schweiz) nicht Kunden, sondern Menschen sind. «Ganz persönlich», dieses Sprücheklopfen habe ich satt. Ich bin indirekt «Kunde» von drei Krankenkassen; zumindest habe ich Erfahrung mit drei unterschiedlichen Versicherungen, da meine Tochter und meine Partnerin «Kunden» anderer Kassen sind. Ich habe nicht nur das Gefühl – sondern auch viele Belege – dass ich nicht nur der «beste Kunde» bin (mit den höchsten Prämien für etwa die gleichen Leistungen), sondern auch der «schlechteste Mensch». Denn das, was ich mit der CSS erfahre, ist - im Vergleich zu den anderen Kassen - weder kunden- noch menschenfreundlich. Und dies über viele Jahre und viele Beispiele. Jüngstes Müsterchen: Zurückführungskosten bei Krankheit (oder Unfall) im Ausland. Als Journalist (mit «menschlichem» Beruf) erfahre ich erst jetzt – längst nach meiner Pensionierung – dass ich dafür nicht versichert bin, nie versichert war. Zusatzversicherung – jetzt für 16 Tage Russland - 30 Franken. Während dies, bei meiner Partnerin – mit der ich reise – selbstverständlich in ihrer Versicherung eingeschlossen ist. Sprüche klopfen, satt Leistung (und individuelle) Beratung. «Ganz persönlich», ich empfinde dies – weil es nicht ein, sondern einer von vielen Fällen ist - als Skandal. (104)
03. Mai 2018
In eigener Sache:
Kartensalat
Das Sammeln ist des Sammlers Lust. Allerdings nicht immer, nicht überall. Und nicht alles, was man sammeln sollte, macht auch wirklich Freude. Es bereitet genauso oft auch Ärger, Unlust und sogar Wut. Zum Beispiel, die x-Duzend Plastikkärtchen, die man sammeln und mit sich tragen sollte. Immer und überall, sonst hat man sie nicht zur Hand, wenn man sie zur Hand haben müsste. Automaten lieben sie heiss, von Bargeld wollen sie meist nichts mehr wissen. Automaten sind eben Automaten, keine Menschen. Wer zum Beispiel nur eine Bankkarte hat, ist sicher schon morgen «aufgeschmissen». Irgendein Automat verweigert die Annahme – warum auch immer. Ist ihm völlig egal, ob man Geld, zu Essen, eine Fahrkarte oder was immer braucht oder gar dringend auf die Toilette muss. Eine gültige Karte muss her. Doch seine häufigste Reaktion: «Diese Karte ist ungültig» Wenn es nur das wäre! Da sind auch die amtlichen «Papiere», der Führerschein, die Identitätskarte, die Krankenkassenkarte, die Versicherungskarte, die Fahrkarte und, und, und… Ohne sie - im Einheitsformat, 4,5x8.5, vollgestopft mit Codes und Sicherheitscodes – lässt sich nicht mehr gut leben. Wehe, wenn man aber eine der Karten verliert oder sie gestohlen wird, dann ist der Teufel los. Sperren, Erklären, Begründen, Neubestellen, Warten, Warten… Ein ordentliches Stück Arbeit und viel Ärger. Auch wenn man sie nur – im Wirrnis des Codes-Salates – in die falsche Tasche gesteckt hat. Sind Peinlichkeit und Ärger programmiert. Karten dienen auch der Kundenregistrierung und Lockvogel für Rabatte. Für jede Firma eine andere Karte. Die neueste (sicher nicht letzte) Kartenidee sind die «Geschenkkarten». Genauso unhandlich und zerbrechlich wie die anderen Karten, genauso so ungebraucht wie an den meisten Tagen im Jahr. Nur konzipiert für den Tag und den Fall, wo man sie unbedingt braucht und garantiert nicht bei sich hat. (103)
20. April 2018
In eigener Sache:
Wortbeschönigung
Man möchte den Alltag hinter sich lassen, verreisen, die Welt erleben… Ferienträume, der Gang zum Reisebüro. Da können die Flüge gebucht, das Auto gemietet, die Hotels reserviert, die Insel gewählt werden. Ein freundlicher Empfang, ein Herr, eine nette Dame hinter bequemen Tischen. Vor sich eine Tastatur, einen grossen Bildschirm, etwas abgerückt, damit er nichts verdeckt, ein schnittiges Flugzeugmodell, ein, zwei farbige Wimpel, unübersehbar ein Namensschild. Träume sollen in Erfüllung gehen. Das ist viel angenehmer, als am Bildschirm zu surfen, den besten Preis zu eruieren, den schönsten Ort zu finden…und sich durch die Fallstricke von Computerprogrammen zu quälen. Das überlässt man gerne dem freundlichen Herrn, der netten Dame, auf der anderen Seite des Tischs. Ihr Beruf – hochoffiziell, gelernt und geprüft – Reiseverkehrskaufman oder –frau. Eine Berufsbezeichnung, die mit einem Schlag alle Träume zerstören kann: Kaufen, Verkehr... Das geht doch nicht! Flugs wird aus dem Reiseverkehrskaufmann ein Reisedesigner oder eine Reisedesignerin. Ein Designer, das ist doch ein Gestalter, ein Entwerfer, ein Künstler – kreativ und nur um das Schöne bemüht. Nein, ein Designer ist den Träumen und Wünschen von Kunden viel näher. Euphemismus heisst das griechische Fremdwort für diesen Wortwandel, zu deutsch Wortbeschönigung. Der Duden gibt dafür gleich ein Beispiel: das Bordell wird zum Freudenhaus. Und alles ist viel schöner, eben designt. (102)
09. April 2018
In eigener Sache:
Lehrstück der Marktwirtschaft
Mächtig geärgert habe ich mich, als ich das sportliche Ereignis – wollte ich dabeisen - lesen musste. Häppchenweise lesen, so alle Minute eine Meldung, bis zum Schlusspfiff: S i e g! Live-Stream nennt sich das, ein Bildersatz für Sportereignisse, die «exklusiv» verkauft wurden und bis zum Geht-nicht-mehr gesponsert werden. Direkt und indirekt auch von der Öffentlichkeit. Das Dabeisein kostet, Eintritt natürlich, auch nicht gerade wenig. Inzwischen hat sich das Dabeisein erweitert zum Pseudodabeisein am Bildschirm. Die Angst der Veranstalter, die Leute würden nicht mehr kommen, hat sich nicht bewahrheitet. Das Gegenteil ist der Fall. Viele Sportstätten füllen sich nur, weil das Fernsehen dabei ist. Für das Fernsehen ist «Dabeisein» auch Werbung für den Medienauftritt. Dieser wird jährliche durch Gebühren bezahlt, politisch ausgehandelt, staatlich abgesegnet. Das haben private Anbieter recht gut verstanden. Mit verlockenden Angeboten haben sie Exklusivrechte erworben. Das Dabeisein ist zum Bezahlfernsehen mutiert. Nicht nur das: Auch zum Zwang ein privates Unternehmen zu nutzen, das die Vorleistung von Gemeinden und öffentlichen Institutionen zur Verkabelung der Schweiz schamlos verhökert hat, mit miserablen Leistungen und einem noch miserableren Service. So sehr verärgert, dass ich – nach mehr als 20 Jahren - den Kabelanschluss plombieren liess und den Anbieter gewechselt habe. Jetzt tritt dieses Unternehmen «neu aufgestellt» mit exklusiven Angeboten – Mark tauschliessend – auf den Plan. Ihr einziges Bekenntnis. Bezahlen oder Verzichten (was bisher ein Teil der Leistung des öffentlichen TV-Angebot war). Lehrstück des sogenannt «freien Marktes»! (101)
29. März 2018
In eigener Sache:
Sprachirrungen und -verwirrungenn
Unter den Gaben, die Gott den Menschen geschenkt hat, ist auch die Sprache. Indem er Adam mit göttlichem Geist ausstattete, übertrug er ihm auch die Sprachfähigkeit (1. Mose 2,7). Auch wer mit dem christlichen Gott und der Bibel Mühe hat und Sprache eher einer Kulturleistung als der Gottesgabe zuordnet, versteht die Geschichte der Babylonischen Sprachverwirrung und das Bild des Turmbaus zu Babel (Gen 11,1–9). Babel hat sich nämlich bis heute erhalten. Ein babylonischer Turm wird immer auch dann gebaut, wenn Wahlen anstehen. Da ist Sprachverwirrung und -irrung gewünscht. Man soll aus den viele Versprechungen möglichst viel – alles (oder auch nichts) – verstehen können. Leerformeln statt Verbindlichkeit. Es ist die Sprache der plakativen Werbung, der wir eigentlich skeptische gegenüberstehen, weil wir alle schon unsere schlechten Erfahrungen gemacht haben. Eine kaum zu überbietende Leerformel prangt zum Beispiel auf der Werbung der SVP: «Mehr Schweiz». Dafür müssen natürlich zwei - auf Glanzfolie abgebildeten - Köpfe in den Gemeinderat. Die sich als liberal-sozial bezeichnende CVP möchte hingegen «mehr Bubikon». Dies erinnert mich an zwängende Kinder, die schreien, wenn ihnen etwas gefällt: «No meh!» Doch sie sind entschuldigt, sie müssen das Denken halt noch lernen. (100)
19. März 2018
In eigener Sache:
Sporttabelle
Meine Sportbegeisterung ist einseitig. Ein «echter» Sportfan würde sogar sagen: gar nicht vorhanden! Da gibt es zwar - seit ich als Jugendlicher selber auf Schlittschuhen stand - einen Eishockeyklub, der meine «bevorzugte» Mannschaft bezahlt. Eigentlich nur interessant, wenn man dafür jubeln und leiden kann. Ich hasse beides, das Jubeln und das Leiden. Also gehe ich eher auf sportfernen Pfaden. Da gibt es aber noch die Tennisbälle – obwohl ich nie im Leben einen in der Hand gehalten habe – denen ich fasziniert nachschaue, auch wenn sie nicht von Göttern geschlagen werden. Der Winter bringt Schnee und Eis, auf denen verbissen um Ränge und Punkte gerast, gefahren und geschossen wird. Schliesslich sind – alle vier Jahre - olympische Spiele, an denen Nationen zu Gold, Silber und Bronze schmilzen. Ab und zu treten auch Nationen mit elf Männern oder Frauen zum 90-Minuten-Kampf an, als wäre es ein Krieg der Nationen. Gegenüber all dem – und noch ein paar Sachen mehr - stehe ich gelasssen gegenüber. Doch ich kann ich mich nicht (ganz) entziehen. Am Bildschirm juble und leide ich mit. Jedenfalls so lange, bis mir wieder bewusst wird: Da treten zehn, fünfzig oder gar hundert Menschen zum «friedlichen» Kampf an, um auf einer Rangliste ganz oben zu stehen. Diese leuchtet – am Bildschirm – kurz auf, wird staunend, lobend, anerkennend oder fluchend zur Kenntnis genommen. Die Namen, die zuoberst stehen, werden bejubelt, gelobt, andere vermisst. Über die ersten auf der Sporttabelle wird gesprochen. Und die anderen 9, 49 oder 99.? Sie verschwinden blitzschnell aus der Tabelle und rasch aus unserem Gedächtnis. (099)
13. März 2018
In eigener Sache:
Den Stecker ziehen
«Bleiben Sie mit Ihren Freunden in Kontakt. Immer. Überall.» Das Bild einer strahlenden jungen Frau. Darauf der Stempel: «-50%». So die Werbebotschaft eines Netzanbieters. Minus fünfzig Prozent! Worauf bezieht sich dies? Ich bin der festen Überzeugung: Auf die Lebensqualität! Immer erreichbar, überall! Muss das sein? Will ich das überhaupt? Der «Segen» der immer dichteren Netze hat sich längst in einen «Fluch» verwandelt: Handy-Netz, Internet-Netz, Video-Netz, eMail-Netz, Social-Media-Netz… Sie alle umgarnen uns. Immer und Überall! Es sind nicht nur die Freunde, welche sich darin tummeln. Es sind Werbende, Verlangende, Ungeduldige, Fragende, Schmeichelnde, Behauptende… Darunter viele «falsche Freunde»! Sie alle rennen durch die Netze. Kommunikation ist nur ein Klack. Ohne Gesicht. Ohne Stimme. Ohne Empathie. Ohne unterschied für das was wichtig ist, was unwichtig, was Anmassung, Belästigung. Nicht nur das. Alle verlangen Beachtung, eine Reaktion, eine Antwort. Sofort, immer, überall! Jedes Netz ist ein Flächengebilde mit Öffnungen. Auch wenn es immer engmaschiger wird, versuche ich immer häufiger durchzuschlüpfen. Wenn dies nicht mehr geht, zerreisse ich es. Oder ziehe einfach den Stecker. (098)
04. März 2018
In eigener Sache:
Nur ein Satz
Eigentlich wollte ich den Ausspruch unkommentiert, dem Vergessen anheimfallen lassen. Der Anlass – der Abstimmungskampf um die No-Billag –Initiative – ist morgen vorbei. Durch eine Mehrheit entschieden. Doch der Satz – so fürchte ich – wird weiterleben, sich durch die Köpfe robben und recht bald wieder auftauchen, wo und wann er nützlich ist. Es ist der Satz, oder besser das Bekenntnis, einer unglaublich kulturlosen Geisteshaltung. Ein Satz, der nur die eigene Person umkreist, und den eigenen Vorteil, die eigene Welt in sich birgt. Es ist der Satz einer bankrotten Gesellschaft, die glaubt am Bankschalter das Leben – auch das Zusammenleben – kaufen zu können. Und dabei nur so viel zu bezahlen bereit ist, wie er für sich selber braucht. Unten und oben, rechts und links, da sind nur die anderen, die - so wird vorausgesetzt gleich denken und handeln. Jede Kultur, jede Solidarität, jede Gemeinschaft, jede Humanität wird dem eigenen Ego unterworfen. Eigentlich ist der Satz: „Ich bezahle nur das, was ich auch brauche“, strohdumm. Eigentlich! Aber er ist auch brandgefährlich, weil er Gemeinschaft leugnet und jede Gesellschaft vernichtet. (097)
23. Februar 2018
In eigener Sache:
Freundlichkeit statt Arroganz
Behinderte wollen nicht Mitleid, vielmehr Akzeptanz. Sie setzen auf eine Welt voll Rücksicht und jenen Erleichterungen, die ihnen das Dabeisein erst möglich macht. Diese Einsicht ist nicht neu, doch sie wird immer mehr institutionalisiert, delegiert an Vorschriften, Forderungen, Gesetze, und damit dem entzogen, was eine Gesellschaft ausgezeichnet. Das Miteinander, das Verständnis, das Füreinanderdasein. Dazu gehören auch Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft. Zum Beispiel das Anbieten eines Platzes in öffentlichen Verkehrsmitteln, wenn ein älterer Mensch oder ein Behinderter keinen Sitzplatz findet. Die Hilfe beim Überqueren einer Strasse. Das Mit-Tragen einer Tasche oder eines Koffers, wenn die Kräfte nicht mehr reichen. Selbstverständlichkeiten, würde man meinen. Weit gefehlt! Alles muss reglementiert werden. Sitzgelegenheit für Behinderte im Zug. Da haben Behinderte das Recht, den Platz in Anspruch zu nehmen, andere Menschen wegzuweisen. Ein Recht, das oft erstritten wird mit Pochen auf das Recht, mit Einforderung auf Rücksicht. Dies aber funktioniert nur schlecht und wirkt rasch einmal arrogant. Gefragt wäre Freundlichkeit statt Arroganz. Alles ginge viel leichter, auch ohne Reglementierung. Eigentlich ganz einfach. (096)
07. Februar (090) 2018
In eigener Sache:
Umdefinitionen
Rhetorik, die Kunst der Rede, ist ein wichtiges Instrument der Macht. Schon dort, wo der Begriff geprägt wurde, in der griechischen Antike, spielte sie eine entscheidende Rolle, wenn es um politische Meinungsbildung ging. Das ist noch immer so. Menschen, welche die Rhetorik beherrschen und gezielt anwenden, beeinflussen das Verhalten der Menschen. Nicht nur ihre Meinung, auch ihre Befindlichkeit. «Wir sind Papst», in tausendfacher Abwandlung, ist ein Beispiel für den Kult der Schlagzeilen. Zur Rhetorik gehören aber nicht nur Schlagworte; es gibt ein ganzes Arsenal von Methoden, Tricks und Kniffs, die bei Bedarf eingesetzt werden können. Die «Umdefinition» ist so ein Trick. Nach Abstimmungen, aber auch im Sport, im Beruf, im Alltag, wird das Verlieren zur «echten Chance», die Trauer zur «grossen Hoffnung», der Krieg zur «Befriedung». Oder - aktuell - werden Gebühren zu «Zwangsabgaben». Rhetorik kann – sie muss aber nicht – Demagogie sein. Umdefiniert heisst dies: sie wird sie zur «Klärung», zur «Aufklärung», oder zur "Selbstbestimmung". (095)
29 Januar 2018
In eigener Sache:
Macht und Unsterblichkeit
Alle reden über ihn. Seit Tagen, seit Wochen. Die Berufsschreiber schreiben, die Schreibfaulen twittern. Meist nicht sehr freundlich, eher ordinär; so ordinär, wie er sich gibt. Eine Schleimspur zieht sich durch die Schweiz. Er ist der Mann, «dessen Namen man nicht nennen darf», oder nicht sollte, oder nicht möchte. Selbst wenn seine Anhänger ehrfurchtsvoll von ihm reden, wenn er eine Unterschrift auf ein Machtdokument setzt, wird sein Name umschrieben. Alle zucken zusammen, wenn er im Klartext ausgesprochen wird. Natürlich rede ich von Lord Voldemort, dem «Dunklen Lord» (im Originaltext: «Dark Lord»), dem Widersacher von Harry Potter, dem machtbewussten Zauberer der sieben Büchern von Joanne Kathleen Rowling. Zehn Jahre lang geistert er durch die Phantasien von Jung und Alt. Immer wieder mit neuen schrecklichen Taten und düsteren Plänen. Dann aber muss auch er - mit letzten Potter-Band - das Geisterreich verlassen. Sein Zauberwort hat keine Kraft mehr, nur sein Erbe lebt weiter. Kurze Zeit in den Köpfen, dann nur noch in sieben Büchern, die allmählich verstauben und in Vergessenheit geraten. Vorbei das Zittern, vorbei der Spuck. Niemand redet mehr über ihn.. (094)
19 Januar 2017
In eigener Sache:
Ein bequemes Leben
Es wäre doch so einfach, würde ich all den Aufforderungen folgen, die jeden Tag in meinem elektronischen Briefkasten landen. Oder doch nicht? Zum Beispiel: «Reite auf der Bitcoin Bitcoin Welle und verdiene garantiert €13.000 in genau 24 Stunden.» Kann ich das glauben? Das, mit dem Glauben, ist so eine Sache. Leichtgläubig – so glaube ich – bin ich nicht. Aber wenn es um 13'000 Euro geht – und zwar in genau 24 Stunden – könnte man doch all die Lebenserfahrungen (für einmal) beiseiteschieben… Aber halt! Reiten kann ich nicht. Wie soll ich da mit Reiten Geld verdienen? Für solche Überlegungen bleibt keine Zeit. Der nächste elektronische Wurf ist schon da: «Nach unserem Besuch Ihrer Homepage möchten wir Ihnen ein Angebot von Produkten vorstellen, das Ihnen ermöglichen wird, den Verkauf Ihrer Produkte deutlich zu erhöhen». Welche Produkte? Ich verkaufe keine Produkte auf meiner Homepage. Nicht einmal Dienstleistungen. Hat das der «Besucher» denn nicht bemerkt. Ein Roboter hat nur einen beschränkten Verstand. Er kennt nämlich nur den Gewinn (seinen) und den Verlust (meinen). Gottseidank brauche keine teure Armee, um ihn mir vom Leibe zu halten. Nur ein guter Spam-Filter. (093)
09 Januar 2017
In eigener Sache:
Mühe mit Traditionen
Traditionen sind ein Stück Kultur. Darin verpackt – oft kaum zu erkennen oder gar einzuordnen: vergangener Zeitgeist, Brauchtum, Geschichte, Lebensumstände und nicht zuletzt auch Glaube und Aberglaube. Rund um Weihnachten und Neujahr häufen sich – weltweit – die Rituale, Bräuche und Traditionen. Dazu gehört der Brauch des Dreikönigkuchens und die damit verbundene Königswürde für einen Tag. Schon in vorchristlicher Zeit wurde zu Ehren des „Gottes der Aussaat“ (Saturnus) an einem Festmahl im Januar um eine zeitlich begrenzte Königswürde gewürfelt. Im nordischen Brauchtum erfüllten spezielle Kuchen mit eingebackenen Bohnen die Wünsche von Menschen. Im Christentum tauchten dann die drei Könige aus dem Morgenland auf. Die Vermischung heidnischer Bräuche und christlicher Deutung führte schliesslich zum Dreikönigskult. Der Kuchen und die Krone sind bis heute geblieben. Doch mit den Königen – gar mit den Heiligen Dreikönigen – hat man heute Mühe. So ist aus meinem Dreikönigskuchen nicht etwa ein König, schon gar kein heiliger, gestiegen, sondern „Peppa Pig“ eine britische Comic-Figur. Was hat die hier zu suchen? Etwas Aberglaube (ein vermenschlichtes Säuli), viel Zeitgeist (Comic-Figur) und das Unverständnis für Brauchtum, haben das ersetzt, was an kulturellen Werten verloren gegangen, ideologisch missbraucht und tüchtig kommerzialisiert worden ist (092)
16 Dezember 2017
In eigener Sache:
Nachhilfeunterricht
Auch das Bundeshaus in Bern – mit den beiden nationalen Parlamenten – wird nicht verschont von weltweiten Grabsch-Enthüllungs-Welle. Zuerst war es ein Parlamentarier, der Frauen zu nahegekommen sein soll. Dann ging sie los, die nationale Empörung. Ob Hinterbänklerinnen oder Vorderbänklerinnen, viele hatten etwas dazu beizutragen. Statt sich zu empören - zum Beispiel über die Verweigerung, freigewordene Millionen der kränkelnden AHV zuzuschieben oder anderen Entscheiden, die das Wohl der Schweiz betreffen – empört man sich lieber über Grabscher im Bundeshaus. Habe ich richtig verstanden: erwachsene Frauen, Politikerinnen, die gewählt wurden, für Lösung nationaler Probleme zu kämpfen, sind nicht in der Lage – an Ort und Stelle, wo auch immer im Bundeshaus – allfällige Grabscher direkt in den Senkel zu stellen? Da herrscht kein Abhängigkeits- oder Arbeitsverhältnis, das geschützt werden muss. Da begegnen sich selbstbewusste Menschen, die über das Wohl der Schweiz bestimmen, nicht anonym, gut vernetzt in Partei und Fraktion. Im Bundehaus – so wird berichtet – sorgte während Tagen ein Thema für grosse Unruhe: ein Merkblatt der «Verwaltungsdelegation» des Rates , das den Parlamentariern und Parlamentarierinnen den Unterschied zwischen Flirten und Grapschen erklärt. Nachhilfeunterricht für Schwererziehbare? (091)
02 Dezember 2017
In eigener Sache:
Rites de Passage
Sind wir ganz befreit vom Aberglauben? Diese Frage stellt sich bei allen Übergängen im Leben, vom Einen zum Anderen, vom Alten zum Neuen, vom Vertrauten zum Unbekannten. Solche Situationen – so der Soziologe – werden auch in modernen
Gesellschaften als potentielle Gefahr erlebt. Sie seien am besten rituell zu bewältigen, in sogenannten „Rites de Passage“, Übergangsriten. Sie entspringen weniger einem Aberglauben als der
Dokumentation und Absicherung eines Übergangs von einer bekannten zu einer unbekannten, von einer gesicherten in eine ungesicherte Lebenssituation. So beginnt bei mir – seit bald fünfzig Jahren –
jedes Jahr mit 12 Traubenbeeren, die ich um Mitternacht bei jedem der 12 Glockenschläge zu mir nehme, jede Beere von einem Wunsch begleitet. Dies sei ein spanisches Ritual, habe ich mir sagen
lassen. Doch in diesem Jahr hat das Ritual bei mir nicht stattgefunden. Ich habe schlicht und einfach vergessen, Trauben zu kaufen. Ein paar Minuten vor Mitternacht kam es mir in den Sinn. Zu
spät! In all den vielen Jahren – wo immer in der Welt ich gerade war – ist mir dies kaum je passiert. Ein schlechtes Omen? Aberglaube? Nein, daran glaube ich nicht, aber an die Tatsache, den
ersten vertrauten Schritt im neuen Jahr verpasst zu haben. (090)