In eigener Sache....   (Kolumne) (Erster Teil bis Dezember 2017)

23. November 2017

 

In eigener Sache:

 

Shitstorm

 

Es ist elegant und zeitgemässer, wenn man den englischen Ausdruck benutzt, für ein Phänomen, das im seinem Ausmass ein Produkt der Social Media ist. Gut schweizerdeutsch würde man etwa sagen: «En Chübel Schissi über de Grind abeläre».  Medial ausgedrückt ist die «Scheisse» zwar geblieben – sprachlich etwas weltläufiger .- jetzt «Shit» - und aus dem Kübel ist ein Sturm geworden. Ein Sturm? Kürzlich habe ich mir die Augen gerieben: Die Zahl der Zugriffe - auf meine Website - ist mit einem Schlag gewaltig gestiegen, von zirka fünfzig bis hundert, auf mehr als Tausend Zugriffe im Tag.

Ich weiss, ein echter Social-Media-Sturm ist noch viel gewaltiger, auch zerstörerischer. Was ist passiert?  Eine Anmerkung zu einem Beitrag auf «Sammlerfreak» wurde in einer Facebook-Gruppe (mit rund 12'000 «Freunden») geteilt. Da ging die Empörung los! Innerhalb von wenigen Stunden rannten alle los, auf meine Webseite, auf diesen einen «geteilten» Beitrag, wie verstörte Rudel von Wild, ohne links und rechts zu schauen. Sofort drückten sie auch ihre Gefühle aus (Missbilligung, Empörung etc.) in facebookigen «Posts». Zwei Tage, dann war dieser Sturm vorüber. Grundtenor: «Ich habe überhaupt nicht verstanden, um was es geht.» Aber empörungswürdig muss es wohl sein! (089)

10. November 2017

 

In eigener Sache:

 

Modellösung

 

Jedes Modell ist nur so gut, wie es die Realität abbildet. Auch das Hausarztmodell. Es soll – so ihre Erfinder – die Kosten im Gesundheitswesen senken. Tun sie es? Die Kosten und damit die Prämien steigen und steigen. Monatlich sind es (inklusive Privatversicherung) rasch einmal tausend Franken. Auch mit Hausarztmodell. Doch wer einen Hausarzt sucht der kann seine Wunder erleben, keine Wunderheilungen.

Sind Sie schon bei uns? Nein! Ein Notfall? Nein! Wir können keine neuen Patienten mehr nehmen. Glücklich, wer einen Hausarzt hat, der nicht – alters halber – kürzertritt oder in einer Gemeinschaftspraxis untergetaucht ist, mit Teilzeitdiensten, langen Wartezeiten, wechselnden Ärzten, Konsultationen aufgrund von Computer-Einträgen oder routinierte Abwehr am Telefon. Um was geht es? Eine Entzündung, ein paar Schrammen, ein hartnäckiger Husten…? Nein, Herr, Frau Doktor ist ausgelastet (oder nicht da). Gehen Sie in die Apotheke! Dies ist nicht etwa ein ärztlicher telefonischer Rat, nein, der Entscheid einer telefonbedienenden Praxishilfe. Modell-Lösung des Hausarztmodells?  (088)

29. Oktober 2017

 

In eigener Sache:

 

Falsche Freunde

 

Was verbindet Marlene Voigt, Dominic Engel, Greta Brandt, Helena Schaefer, Nora Schulte, Leonard Ziegler, Bastian Fuchs, Til Albrecht, Oliver Friedrich, Lars Schmitt, Melina Lorenz, Johanna Wolf, Benjamin Hofmann, Antonia Thomas, Robin Schaefer, Moritz Friedrich und Milena Pohl miteinander? Ich weiss es nicht. Es sind alles «Freunde», die mich in den letzten Tagen besucht haben. Falsche Freunde, "gefakte" Freunde, alle mit der gleichen nebulösen Botschaft: «Du musst diese Chance in deinem Leben nutzen den diese kommt nicht wieder! Mach ab sofort mindestens 6000 Euro und das jeden Tag!....» Gottseidank, sie haben «nur» meinen elektronischen Briefkasten besucht, dies aber rudelweise und mit alarmierenden Botschaften, wie: «Letzte Mahnung, vielen Dank für Ihre Bestellung!, dringende Antwort benötigt!, Rechnung, Mahnung, ihre Bestellung wird bearbeitet!, Empfehlung, Zahlungsverzug (Bitte prüfen Sie dies heute), meine letzte E-Mail, habe versucht dich heute anzurufen!, Antwort auf Ihre E-Mail, Ihr Einkauf war erfolgreich!, Ihre Anfrage vom 12.10.2017, Strafe, Ihre Buchung…» Dies ist ein phantasievolles Programm und durchaus aus dem Leben gegriffen! Doch all diese «Freunde» sind eben Fakes und weder zu belehren noch zu vertreiben. Erst die Swisscom hat der Heuschrecken-Plage ein Ende gesetzt, die sie ausgerottet, gekillt. Ich bin um eine Erfahrung reicher: Spätestens seit den  Wahlen in den USA, müssen wir mit «Fakes» leben. Sie sind fast schon salonfähige Mitbewohner geworden.  Wehe, wenn sie das Internet verlassen! (087)

23. Oktober 2017

 

In eigener Sache:

 

Wirte im Jammertal

 

Nichts ist so tief in meine Ohren eingedrungen, wie das Jammern der Wirte. Mit Essen sei kein Geld mehr zu verdienen, allenfalls mit Getränken. Zu hoch seien die Fixkosten: Löhne, Mieten, Pacht oder Verzinsung, Landpreis an attraktiven Orten, und, und, und… Ich kenne die Berechnung aus meiner Behördenzeit: Tagesumsatz pro Stuhl, heisst die einfache Formel. Lokale in öffentlicher Hand, sie mögen noch so grosse soziale und kulturelle Bedeutung haben, sind chancenlos und schleunigst dem freien Wettbewerb zu überlassen. So die klassische Lehre. Die Praxis sieht anders aus. Immer weniger Wirte überleben den «freien Wettbewerb», können nicht mehr mit dem «Massenfood» mithalten. Einfachste Logik: Drehen an der Preisschraube. So kostet ein Massenmenü (frisch vom Mikroherd) in heute in der Regel zwischen 30 und 40 Franken. Dazu kommt das («rentablere») Getränk. Mit einer Rechnung von 125 Franken (plus Trinkgeld) habe ich gestern die traditionelle Dorfschenke – nach uninspiriertem Menü - verlassen. Gegessen, nicht genossen! Wer steckt da im Jammertal? Wirt oder Kunde? (086)

12. Oktober 2017

 

In eigener Sache:

 

Sprachkosmetik

 

Ein Spital ist ein Spital,.. ist ein Spital,… ist ein Spital, obwohl er jetzt auch «Gesundheitszentrum» genannt wird. Im Bus hat mich eine Nummer auf das «Gesundheitstelefon» aufmerksam gemacht und auf dem Heimweg gehe ich vorbei an der «Gesundheitspraxis», aus der  Menschen gerade vom «Gesundheitstraining» kommen. Das Wort Krankheit wird vermieden, wo immer es geht. Man ist bemüht, all jene Begriffe aus der Welt zu schaffen, die uns Mühe, Unbehagen, Angst bereiten, als wären sie diskriminierende Unworte, Beleidigungen, ja gar eine Zumutung. Friedhöfe sind «Parks der Ruhe und des Gedenkens», die Kremation ist eine «Feuerbestattung», die Abdankung eine «Erinnerungfeier», das Begräbnis ein «Abschied». All das sind sprachliche Bemühungen das Leidvolle zu tilgen. Selbst das, was einst als dankbare, ja liebevolle Zuwendung gedacht war, zum Beispiel der Begriff «Krankenschwester», wird umfunktioniert zu einer diplombezogenen «Pflegefachfrau» oder noch eine Spur unpersönlicher, zur «Fachfrau Gesundheit».  Sprachkosmetik gibt es nicht nur dort, wo Not und Leid aufscheinen. Auch dort, wo man meint, Abhängigkeit, Unterordnung oder Dienstbarkeit festzustellen. Die Sekretärin ist «Assistentin» geworden, das Putzen zum «Homeservice» aufgestiegen und der Hilfsarbeiter zur «Fachkraft im Stundenlohn». In der Sprach liegt halt die bequemste Art, Probleme zu lösen. (085)

27. September 2017

 

In eigener Sache:

 

Aufsässiger Verfolger

 

"The devil!", rief er, "Ihr träumt wohl, Sir? Wie wollt Ihr wissen, wie viele Weisse oder Indsmen es waren? Wie wollt Ihr wissen, welches Pferd braun oder schwarz gewesen ist, welcher Reiter hinkt und zu welchem Stamm die Rothäute gehören?" Der Grasboden war feucht und die Spuren waren für ein geübtes Auge recht leidlich zu erkennen….. Ein echter Westmann konnte das spielend schaffen, vor allem wenn er Old Shatterhand hiess. Heute muss man nicht mehr vom Ross steigen und durchs feuchte Gras kriechen. Spuren umschwirren uns, wann immer wir ins Internet tauchen. Sie begleiten uns, verfolgen uns, lassen nicht mehr los. Es sind digitale Schatten, die – im Gegensatz zu echten – nicht durch Lichtführung zu verbannen sind. Da lob ich mir die Westernhelden, die mit Spurenlesen jeder Gefahr entrinnen konnten. Einer dieser digitalen Schatten benimmt sich gerade besonders aufsässig. Er will, dass ich unbedingt eine kleine Funk-Wettersation kaufe – besonders günstig bei… Tatsächlich habe ich vor ein paar Wochen eine Wetterstation im Internet bestellt und gekauft. Seither verfolgt sie mich, genau diese Wetterstation, genau von dieser Firma… Aber ich habe sie längst gekauft, genau diese Wetterstation, genau von dieser Firma. Doch der Schatten lässt sich nicht beirren. Er taucht auf, wo immer er kann. Ob ich google, eine Website öffne, Eintrittskarten bestelle, das Wetter abrufe… plötzlich ist er da wieder da, glaubt wohl, ich kaufe jeden Tag eine neue Wetterstationen. Da lob ich mir Old Shatterhand, der wenigstens so schlau war, die Spuren so zu legen und lesen, das sie ihm auch von Nutzen waren.  Die mich verfolgende Spur nützt niemandem, auch dem nicht, der sie gelegt hat. Im Gegenteil: Ich werde der Spur nie, nie mehr folgen. Howgh! (084)

18. September 2017

 

In eigener Sache:

 

"Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan...."

 

Die meisten wissen, wie es weitergeht, nämlich: «…der Mohr kann gehen». Eine Redewendung, ein Sprichwort, ein Zitat, immer mal wieder verwendet. Eigentlich verständlich und unverdächtig, denn es stammt aus Friedrich Schillers Trauerspiel: «Die Verschwörung des Fiesko zu Genua» (1783). Doch das Trauerspiel um den Begriff «Mohr» hat eine neue Dimension erhalten, eine rassistische. Jetzt geht es um den «Mohrenkopf», gegen den ein «Komitee gegen rassistische Süssigkeiten» mit einer Petition anrennt. Der «Mohr» muss gehen, aber subito! In den sozialen Medien wird – wie üblich – bereits mit dem Zweihänder zugeschlagen: «…gehört abgeschafft, ihr Käseärsche!» - Darauf: «Danke für die Aufklärung, Wurstarsch!.» Jeder Versuch, die erschreckende Dimension einer Süssigkeit, die weder «dumm, diskriminierend, noch töricht oder minderwertig» ist, zu dem zurückzuführen, was sie wirklich ist: süss, lecker, beliebt, das wird postwendend mit dem Stempel: «Erbe des Kolonialismus» versehen.
Der «Mohrenkopf» ein Hort der Diskriminierung? Dann die schüchterne Frage: «Was machen wir mit einem Gebäck namens ‘Meitschibei’? Und mit «Totebeinli», mit «Berliner» und «Hamburger», was ist mit dem «Holländer», dem «Mailänderli», der «Schwedenbombe», dem «Dänischen Plunder», dem «Frauenfurz». Alles rassistisch! Mein erlösender Gedanken: «Glücklich, wer keine anderen Sorgen hat» und gegen Diskriminierungen dort anrennt, wo sie salopp mit einem Radierstift aus der Welt zu schaffen sind. Dafür aber mit «Käseärschen» andere diskriminiert. Das stösst mir so sauer auf, dass ich jetzt mit Wonne in einen süssen Mohrenkopf beisse. (083)

10. September 2017

 

In eigener Sache:

 

Nur anders!

 

Es begann schon in der Schule: Der oder die Klassenbeste, der Schnellste, das Schlusslicht… Und dann die Noten! Besser oder schlechter als mein Freund, meine Freundin, in Zahlen belegt. Sie ziehen sich  durchs Leben, die Vergleiche: besser, schlechter, gleichgut oder gleichschlecht… In einigen Bereichen macht dies auch Sinn. Dort, wo ein verbindlicher, definierender Massstab angewandt werden kann. Vielfach – ja sogar meistens – ist dies nicht der Fall. Zum Beispiel in Geschmacksfragen: in der Mode, beim Essen, beim Wein… Beim Wein ist es besonders ausgeprägt, dieses Besser und Schlechter. Von vielen Weinliebhabern wird es sogar umgemünzt in Punkte: 82,..86,..90,..95..(100 ist dann das Maximum)  Als ob es da ein Eichmass gäbe. Ein Wein hat so zu sein, nicht anders! Punkt. Dieser gigantische Unsinn – er ist nicht nur bei der Weinbewertung festzustellen – macht mir schon lange zu schaffen. Es gibt – wo nicht eine verbindliche Skala existiert – eben kein Besser, kein Schlechter. Vieles, was so bezeichnet wird, ist weder besser, noch schlechter, nur anders!  (082)

29. August 2017

 

In eigener Sache:

 

Abenteuer der Schlangenfängerei

 

Nach vielen Jahrzehnten hat mich ein kleines Stück Vergangenheit eingeholt. Mit einem Werbebrief. Aufdruck «Freu(n)de fürs Leben». Absender Blauring-Jungwacht. Natürlich mit einer schööönen Karte und zwei Einzahlungsscheinen, einen vorgedruckten für 35 Franken und einen ohne eingetragenen Betrag. Ich erinnerte mich: ich war einst Jungwächter, Jungwachtführer, Kantonalführer. Es sind mehr als fünfzig Jahre her. Von dem Verein habe ich seit jenen Zeiten nichts mehr gehört, bin ihm auch nie begegnet und er hat sich – dies ist verständlich – auch nie um mich gekümmert. Doch jetzt mit der Bitte, «unterstützen Sie diese eine Freizeitbeschäftigung». Meine guten Erinnerungen bewirkten, dass ich den Einzahlungsschein nutzte, einmal, bald einmal ein zweites Mal und ein drittes. Das vierte Mal habe ich das Kuvert nicht mehr geöffnet, mich nur noch geärgert. Alle guten Erinnerungen sind dahingeschmolzen. Unversehens bin ich in eine Melk-Datei geraten. Irgendwer hat meine Adresse da eingeschmuggelt. Muss betteln so penetrant sein? So fordernd? Mit guten Erinnerungen spielen, mit vorgedrucktem Einzahlungsschein? Natürlich unterstütze ich Abenteuer junger Menschen. Doch diese Art von Abenteuer haben wir einst als Schlangenfängerei bezeichnet. Eigentlich heute noch. (081)

17. August 2017

 

In eigener Sache:

 

Schöner, günstiger, grösser…

 

Der Komparativ beherrscht die Werbung. Alles ist schöner, grösser, günstiger, billiger…
In einem fünfminütigen Fernseh-Werbeblock – ich habe es ausgezählt – gerade mal zwölf Mal.  «Im Deutschen enden regelmäßig gesteigerte Adjektive im Komparativ auf -er und werden mit «als» zum Vergleichsobjekt verbunden». Soweit der Duden. In der Werbung ist alles anders. Das «Als» fällt weg. Produkte direkt zu vergleichen ist nicht nur verpönt, laut Wettbewerbsgesetzen sogar weitgehend verboten. Also lässt man es weg oder/und macht Vergleiche mit imaginären und selbst gesetzten Grössen: zwanzig Prozent billiger, ein gutes Stück besser, macht fröhlicher, glücklicher, jetzt besser, günstiger. Das «Als» kann sich der Konsument ja selber ausdenken. Hauptsache, es macht Eindruck, erzielt Wirkung. Ich habe versucht über den Sinn von «fünfzig Jahre günstiger» nachzudenken. Resultat: blöder geht es nicht mehr. Und hier das sonst so konsequent vermiedene aber

(080)

08. August 2017

 

In eigener Sache:

 

2LATE4U

 

Lange habe ich auf man Handy gestarrt: 2LATE4US? An das mfg habe ich mich längst gewöhnt. Es beendet ja inzwischen fast alle Arten schriftlicher Mitteilungen, und für ein 4EVER bin ich wohl zu alt, dubido, oder gar selbsterkenntlich ibido. Aber 2LATE4Us??? Ich bin schon froh, wenn ich kein genereller BM bin. Etwas einfacher zu entziffern sind (wenigstens für mich) die Smileys. Sie haben immerhin im Entferntesten mit menschlichen Regungen zu tun und heissen deshalb Emoticons. Sie sind – trotz starker amerikanischer Prägung – sprachübergreifend und einfach gestrickt wie der aktuelle amerikanische Präsident. Wurde er gewählt, weil jeder US-Bürger die Smiley-Sprache entziffern kann? BMVL! DAU ist da schon schwieriger und verlangt immerhin etwas Scharfsinn und Sprachkenntnisse. Wer kommt schon drauf, dass D und A deutsche Begriffe ersetzen und U einen englischen. fyl, ist ja j4f, t+. Wer dies alles nicht versteht, der schlage nach bei Google. Da gibt es Listen von gebräuchlichen und weniger gebräuchlichen Abkürzungen. Zur Vorsicht habe ich nur die gebräuchlichsten verwendet. Ist auch gs (8ung: eine Eigenschöpfung). gs gleich «gut so». (079)

24. Juli 2017

 

In eigener Sache:

 

Schmerzgrenze

 

Schon im kindlichen Lesealter bin ich dem Begriff begegnet. Nämlich dann, wenn wir im nahen Wald „Indianerlis“ spielten und einen Marterpfahl errichteten. Old Shatterhand und viele andern Helden landeten unweigerlich ab und zu an diesem Pfahl. Da galt es tapfer zu sein, Schmerzen auszuhalten. Richtige Schmerzen waren es nie. Nur das Spiel mit dem Begriff „Schmerzgrenzen“. Später, im Erwachsenenleben, bin ich der Schmerzgrenze immer wieder begegnet, nicht nur in der Literatur, im Film, in der Fiktion. Auch im realen Leben. Die Erfahrung: es ist eine Grenze, die verschiebbar ist, auch individuell anders verläuft, in vielen Fällen auch mit Heilmitteln zu verwischen ist.
Jetzt aber erfahre ich schmerzlose die Schmerzgrenze im Alltag. Sogar im Ferien-Alltag. Ganz nahe vom Badestrand wurden – schon vor vielen Jahren – Parkplätze errichtet. Sie waren kostenlos bis vor ein paar wenigen Jahren. Dann wurden Barrieren errichtet, die sich nur für 2 Euro öffneten. Dieses Jahr wurde der Preis erhöht: drei Franken. Offenbar wurde damit die Schmerzgrenze überschritten. Ein Euro mehr im Tag und dies für Bequemlichkeit im Urlaub. Der Parkplatz – einst hoffnungslos überfüllt – ist seither nur noch wenig belegt. Nur  jedes fünfte Auto nur passiert die Schranke. Die anderen kehren kurz vor der Barriere um und verstopfen mit ihren waghalsigen Kehrmanöver und wildparkieren die Strasse. Endlich weiss ich, was eine Schmerzgrenze ist und wo sie liegt. In diesem Fall bei einem Euro am Tag für das Abstellen des Autos. 
(078)

15. Juli 2017

 

In eigener Sache:

 

Outsourcing

 

Ein Fremdwort zwar, doch ein Lieblingsbegriff der Betriebsökonomen oder - besser noch - ein Allheilmittel, wenn es darum geht, Betriebsabläufe zu optimieren. Da wird munter outgesourct und von Synergieeffekten und Kerngeschäften geschwafelt.

In unserer Siedlung hat man den Abwart outgesourct. Der gute Mann – als er noch Mensch war und nicht  ein System  - hat 20 Jahre lang nicht nur guten Dienst geleistet, er hat die Siedlung betreut, war Ansprechpartner für alle, hat organisiert, wenn es irgendwo harzte, wenn Leitungen plötzlich versagten oder eine Garage überschwemmt war. Unvorhergesehenes gab es mehr als Geplantes, Der Abwart, der in der Siedlung lebte, wurde krank und musste seinen Dienst aufgeben. Er wurde nicht ersetzt, seine Arbeiten wurden outgesourct.

Seither kreuzen Reinigungskräfte, Gärtner, Handwerker, Heiziger, Instruktoren, Berater, Vermittler turnusgemäss auf. Nicht nach Bedürfnissen der Bewohner, sondern nach Verträgen und Stundenplänen. Eine erste ausgesourcte Arbeit war das Rasenmähen: das Gras war fünf Millimeter hoch!. Die Abfallcontainer wurden am Vortag auf die Strasse gestellt und einen Tag später wieder zurück in die Wohneinheiten. Niemand konnte zwei Tage lang den Abfall entsorgen. Laubbläser rückten mit tosendem Lärm an, frühmorgens, wenn noch viele schlafen. Grünanlagen werden berieselt, obwohl es gerade geregnet hat. Für dringende Fragen gibt es eine Telefonnummer (die führt irgendwohin, weit weg, wo örtliche Probleme schwer zu lösen sind). Die Verwaltung hat Sprechstunde (einmal in der Woche), Stundenplan aufgehängt.

Outsourcing nach Gutdünken der Verwaltung -  mit Unternehmen, an denen die Verwaltung beteiligt ist, also auch daran noch verdient. Und wer bezahlt das Ganze, auch den strukturiert programmierten Leerlauf? Die Bewohner der Siedlung. O wunderschöne Welt der Unternehmenoptimierer à la McKindsey!  (077)

04. Juli 2017

 

In eigener Sache:

 

Fussnote aus der globalisierten Welt

 

Die Geschichte von Katharina, der «Königin Paholo» aus der Schweiz, die im Hinterland von Kamerun in einer ärmlichen Hütte lebt, ist eine von vielen Schicksalen und Abenteuern, die das Schweizer Fernsehen in der Sendung «Reporter» - Woche für Woche – erzählt, als «kleine Sensationen des Alltags». Oft sind es Begegnungen mit Folgen. Geschichten in vielen Kapiteln, aufgereiht in Reportagen, die sich nicht selten über Jahre dahinziehen. Bereits vor neun Jahren wurden vier Folgen zur Dokumentation «Schwarzer Prinz - Weisse Königin» (DVD 100 Minuten) zusammengefasst. Es gibt sogar zwei Bücher (Weltbildverlag), die – für Schweizer-Verhältnisse – bestsellerverdächtig sind. Jetzt endete die Geschichte und zwar – wie alle «Geschichten» von Menschen – mit dem Tod. Natürlich war «Reporter» wieder dabei. Ein letztes Mal? Katharina und ihr «Prinz Paholo» haben nämlich einen Sohn, der ist jetzt zehn Jahre alt. Die Lebensgeschichte von Katharina geht weiter, mit oder ohne medialer Begleitung.  So absurd, tragisch, exotisch, bizarr oder berührend Katharinas Story auch sein mag, sie birgt – wie jede gut erzählte Geschichte - eine «Moral», oder sagen wir besser: es gibt «eine Geschichte hinter der Geschichte». Katharina (in der Schweiz) hat den Prinzen Paholo (in Kamerun) durch Social Media kennengelernt, eine Internetliebe, sozusagen. «Reporter» bringt es nach x-Folgen auf den Punkt: «Eine Fussnote aus der globalisierten Welt». So die Geschichte. Was aber ist es für die beteiligten Menschen?
 (076)

22. Juni 2017

 

In eigener Sache:

 

Schnitzeljagd

 

Die Jagd geht kreuz und quer durch den Bahnhof. Meine Schnitzel sind nicht mehr gestreut. Swisscom oder die SBB haben sie eingezogen, unrentabel. Sie wurden durch andere Schnitzel ersetzt, durch Hinweise, was und wo auf dem Bahngelände zu finden ist. Sozusagen alles, vom Arzt über die Apotheke bis zur Müll-Entsorgung. Auch zu kaufen gibt es sozusagen alles, vom Fahrkarten (schon recht schwierig) über Haushaltartikel bis zur Wohnungseinrichtung. Eine Zahnbürste ist schneller zu finden als das richtige Peron. Meine Schnitzeljagd (ohne Schnitzel) dauert mehr als eine Viertelstunde, sie führte auf richtige und auf falsche Bahnsteige, über mindestens fünf Stockwerke, begleitet von Verlockungen der Werbung, über Treppen und Rolltreppen, vorbei an zielsicheren und nach Orientierung lechzenden Menschen. Die Schnitzel sind so ungleich verteilt, meine Sorte gibt es offensichtlich nicht mehr. Das Telefonzeichen. Früher waren es Kabinen, jetzt sind es (bestenfalls) öffentliche ausgestellte Automaten, Überbleibsel einer überwundenen Zeit. Man trägt das Telefon mit sich, an sich, ins ich, immer und überall. Man erledigt das Private in aller Öffentlichkeit, öffentliche Telefone braucht man darum nicht mehr. Meine Telefon-Schnitzeljagd, um das Private in einer öffentlichen Telefonkabine zu erledigen, endete schliesslich auf einer wenig begangenen Zwischenebene des Bahnhofs, dort wo Mr. Clean für eine Brunz mindestens 1.50 Franken kassiert, und der Dauer-Kampf um Schliessfächer ausgetragen wird. Da ist die Swisscom mit ihren öffentlichen Telefonen zuhause: 16 Kabinen, aneinandergereiht, alle leer. Ohne Schnitzel ist bei einer Schnitzeljagd da Ziel nicht zu findern.   (075)

06. Juni 2017

 

In eigener Sache:

 

«Fräulein, zahle!»

 

Political incorrect, ich weiss! Eigentlich nicht opportun, als Ausruf nicht mehr möglich. Doch ich sitze in der Gartenwirtschaft, möchte bezahlen und gehen, seit mehr als einer Viertelsunde. Es ist wirblig, laut, ein Kommen und Gehen. Die Bedienung hat längst den «Serviertochterblick» eingeschaltet und übersieht geflissentlich das, was Ihre Arbeit – das Servieren – erschwert, und was auch noch etwas später genauso gut sein kann. Wie mache ich mich da bemerkbar? Wie rede ich die Bedienung korrekt und höflich an? Einfach nur mit «Hallo!» Vielleicht mit «Zahlen!» Oder einer Kombination: «Hallo, Zahlen». Vielleicht ergänzt durch «Bedienung!» Nein, das geht auch nicht, es erinnert zu sehr das «Dienstmädchen». Und wie rufe ich nach einer männlichen Bedienung?  «Herr Ober!» etwa? Geht in Deutschland, nicht aber in der Schweiz. Weitere zehn Minuten verstreichen, bis ich als Kunde beachtet werden. Da habe ich Zeit zu sinnieren, nachzudenken über das Primat politischer Korrektheit, über sprachlichen (Schein)Lösungen, die Ignoranz kultureller Wurzeln und historischer Entwicklung. Anstatt Probleme zu lösen (wie gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Chancengleichheit, Änderung in der «Chefetagenkultur» etc.) wird mit sprachlicher «Bereinigung» eine Veränderung simuliert und oft mehr Verwirrung geschaffen, meist noch begleitet von sprachlichen und kulturellen Verballhornung. Schluss damit! Ich möchte jetzt wirklich bezahlen und gehen. Aber wie?  (074)

29. Mai 2017

     

In eigener Sache

 

Plastik

 

Ein immer mal wiederkehrendes Bild auf der Fahrt durch Armenien hat (nicht nur mich) überrascht, unglaubliches Staunen ausgelöst und schockiert. Plastikwüsten, rechts und links der Strasse. Jedes Gebüsch, jeder Strauch, jeder Baum war über lange Strecken «verziert» mit bunten Abfällen, Plastik, unverrottet, vom Wind verjagt und irgendwo hängengeblieben. Kein schönes Bild, verschandelte Natur. So würde es wohl auch bei uns aussehen – noch weit schlimmer – hätten wir nicht eine Plastikentsorgung. Irgendwie bringen wir ihn noch weg, den Plastikmüll. Doch angesichts des täglichen Plastikberges wird die Entsorgung immer aufwändiger, immer teurer, zum zivilisatorischen Problem. Dort wo die Plastik-Nutzer noch die Wahl haben, werden immer neue Gebühren erhoben und Verbote erlassen. Der übliche Weg wie Zivilisationsschäden gelöst werden. Trotzdem, der Plastikberg steigt und steigt. Bei Einkäufen aller Art trägt man mehr Plastik nach Hause als Ware. Die Firmen packen munter weiter ein: alles und jedes hüllen sie in Plastik, ungehemmt, ungehindert… Jetzt soll es plastik-fressende Raupen geben. Raupen, die wir – wenn es so weitergeht und Gewinn lockt – sogar plastikverpackt kaufen und dereinst als Delikatesse sogar verspeisen können. Übliche Verlagerung eines Problems. (073)

16. Mai 2017

     

In eigener Sache

 

Die Zeit ist reif

 

Endlich tut sich etwas. Als Schweizer-Weinliebhaber ist für mich längst klar: Die Spitze der Schweizerweine können auf dem internationalen Weinparkett durchaus bestehen. Nur wagt sich (fast) keine Winzerin und kein Winzer auf die Tanzfläche. Es fehlt der Mut und die Erfahrung, darum übt man sich in einer Tugend, die dem Schweizer sonst wenig liegt, in falscher Bescheidenheit. Alle bisherigen Versuche, gesamtschweizerisch in der internationalen in der Weinszene präsent zu sein, scheiterten kläglich. Zu verschieden sind die von «Kantönligeist» geleiteten Interessen, zu dilettantisch der Aufmarsch dort, wo Weingeschichte geschrieben und Weingeschäfte gemacht werden. Das eine Mal richtete man mit (zu)grosser Kelle an und landet prompt im Bankrott, andere Male schickte man die Grössten, aber nicht die Besten ins Rennen oder der Auftritt unter der Schweizerfahne sieht sich jämmerlich an. Jetzt aber haben einige Schweizer Winzer den internationalen Weinauftritt selber in die Hand genommen und zumindest das aufgegleist, was das Schweizer-Weinpaar Martha & Daniel Gantenbein längst tut, mit Erfolg: sich auch auf den internationalen Tanzflächen des Weins bewegen. Jahr für Jahr tanzen da nämlich mehr Nationen mit, die Schweiz schaut fasziniert und neidisch zu, und übt weiterhin in ihrer warmen Stube das bald schon perfekte «Kehrli». (072)

(Zum Thema: siehe die Meinung eines Topwinzers aus der Schweiz) 

02. Mai 2017

     

In eigener Sache

 

Globalisierungserfahrung

 

Fliegen ist alltäglich. Zwar steigen die wenigsten Menschen monatlich, wöchentlich oder gar täglich ins Flugzeug. Die meisten fliegen – wenn sie nicht beruflich unterwegs sind – ein oder ein paar wenige Male im Jahr. Für viele ist fliegen noch immer ein Luxus, sei es aus Kosten-, Umwelt- oder psychischen Gründen. Die Angst, oder die Ängstlichkeit fliegen – viel häufiger als zugegeben – mit. Noch etwas fliegt immer mit: Die Globalisierung. Da lässt man sich in Armenien (der Ort ist mit jedem andern Ort der Welt auszutauschen) nachts um zwei im Hotelbett wecken und – schwups - ein paar Stunden später giesst man die Blumen auf dem eigenen Balkon. Dazwischen liegen Hunderte, ja Tausende Kilometern, dazwischen liegen Länder, Meere, Menschen, Kulturen… Dazwischen liegt Welt. Die Globalisierung ist handfester, unmittelbarer, erlebbarer präsent als jede auch noch so heftige Diskussion um das Fremde, um die nationale, regionale oder gar lokale Eigenständigkeit, um Wege, auch Handels- und Flüchtlingswege. Ich steige in ein Flugzeug in einem Land mit einem durchschnittlichen Monatslohn von 300 Franken, um ein paar Stunden später das Flugzeug zu verlassen, in einem Land mit monatlichem Durchschnittseinkommen von 6'000 Franken. Der Flug zwischen den beiden hat «Welten» hat zwei mazedonischen Monatslöhne gekostet. Gedanken zur Globalisierung. (071)

13. April 2017

     

In eigener Sache

 

Moral der Wirtschaft

 

Es steht in allen Zeitungen: die älteste Sprayerin in flagranti ertappt. 86 Jahre alt – Friedensaktivistin. Sie sprayte publikumswirksam die Botschaft «Geld für Waffen tötet» an eine Bauwand vor der Schweizer Nationalbank. «Kurz darauf wird sie von einigen Polizisten abgeführt». Spraydosen gegen Waffen. Mehr als ein Kavalierdelikt. Sachbeschädigung!  Übergriff auf fremdes Eigentum! Oder einfach «nur» ein Werbegag für eine Initiative der GSoA und der Grünen, die verlangt, dass Pensionskassen nicht mehr in Unternehmen investieren dürfen, die Waffen und Kriegsgüter herstellen. Über die Initiative kann man diskutieren, nicht aber über ihren tieferen Sinn. Nämlich mit Geldern, die in einem gewissen Sinn öffentlich sind, Gewinn zu machen (dies ist ja der Zweck von Anlage der Pensionskassen) mit Waffen, die letztlich zum Töten da sind. Das aber hält – laut Zeitung – FDP-Nationalrat und Anwalt der Wirtschaft, Beat Walti, nicht für sinnvoll: „Bei solchen Wirtschaftsfragen moralische Vorschriften zu machen, ergibt keinen Sinn.“ Vielleicht müsste die Wirtschaft (bei aller Jagd nach Gewinn) auch wieder einmal zur Kenntnis nehmen, was Moral ist: «Die Summe der Werte und Vorstellungen, die die meisten Menschen für richtig empfinden.» (070)

06. April 2017

     

In eigener Sache

 

Von der Gesellschaft akzeptiert

 

«Wer einmal aus dem Blechnapf frisst», so der Titel dieses sozialkritischen Romans von   (Fallada). Er taucht in meinem gelangweilten Sinnieren auf. Zuerst weiss ich gar nicht warum. Ich habe weder Knasterfahrung (der tragische Titelheld im Roman ist ein Knastbruder, der nicht ins normale Leben zurückfindet), noch fühle ich mich von der Gesellschaft ausgeschlossen. Ich sitzstehe vielmehr freiwillig auf einem unbequemen Hocker in einem Esstempel, namens «Markthalle» im Hauptbahnhof. Vor mir ein exquisiter asiatischer Salat. Aber so unexquisit angerichtet, dass mir das Hühnerfutter des nachbarlichen Hofs in den Sinn kommt. In der Halle wird gekocht, gerüstet, gegart, gegessen, getrunken - an Ständen, die wie Inseln im Raum stehen, umringt von dicht besetzten Theken mit unbequemen Hockern - wie der meine. Man hört keine Geschirr- und Besteckklappern. Alles, ist aus Plastik, alles plastifiziert: Teller, Löffel, Gabel, Messer, Trinkgefässe…Mein Eindruck: auch die Big-Burger, die Fritten, das Ketchup, die Würstchen, die rechts und links, vorn- und hinter mir verzehrt werden. Kein Stochern in einem miesen Frass, wollüstiges Zubeissen. Verschlingen, Mampfen. Ich mag da nicht richtig mitmampfen, ich stochere im Plastikteller und kaue am exquisiten Salat. Nur wer aus dem Plastiknapf frisst – das schiesst mir durch den Kopf – ist heute in der Gesellschaft auch integriert  (069)

20. März 2017

      

In eigener Sache

 

De manu hominis

 

Sie sind überall anzutreffen, zu jeder Tages- und Nachtzeit: auf der Strasse, im Tram, im Bus , im Zug, im Restaurant, beim Einkaufen, beim Warten, Wandern… kurzum überall und immer, selbst wenn es die Umstände nicht erlauben; unterwegs, wartend, gehend, hastend, träumend, bewegt und gelangweilt, fokussiert auf ein Ziel, das niemand kennt, im überirdischen Bereich zu liegen scheint. Der „manu hominis“. Er nimmt von der Umgebung kaum Notiz, ist aber einfach zu erkennen: am stechenden Blick, den sich unermüdlich bewegenden Daumen, den Gesichtszügen, die auf etwas reagieren, das weder zu hören, noch zu sehen, nicht einmal zu erahnen ist. Irgendwann – ob lärmend oder ruhig – brüllt er los, redet, schreit, lacht, flucht, erklärt, bekennt, verhandelt, schimpft, säuselt so vor sich hin, als stände er ein Wesen da, das nur zuhören will. Häufig hat er sogar ein Knopf im Ohr, ist mit dem Eingemachten verbunden durch ein Kabel. Es ist der Handy-Mensch, bei uns bereits die Mehrheit der Menschen, der seine Einsamkeit, Unsicherheit, Kontaktlosigkeit, Langeweile nur noch einem kleinen Ding in der Hand - mit Mikrophon und Bildschirm – anvertrauen kann, gerade mal so gross, dass mit einer Hand zu halten ist, die andere wird gebraucht um zu schieben, zu stossen, zu scrollen, zu spreizen, anzutippen. Moderne Kommunikation in Dauerangst, etwas zu verpassen. Ich vermute: Das Leben. 
(068)

08. März 2017

      

In eigener Sache

 

Ach diese Jugend!

 

Als Generationenkonflikt könnte man diesen sattsam bekannten Ausruf – oder ist es ein Seufzer? - bezeichnen. Jungsein heisst auch anders sein, aufbegehren, eine andere Welt sehen und erleben, sich eine eigene Zukunft bauen... Ich habe mehr als zwei Stunden damit verbracht – einer Diskussion im Ständerat zuzuhören. Grundthema: das Fernsehen und seine Bedeutung. Eine Diskussion in aller Öffentlichkeit, denn sie wird am Fernsehen übertragen. Dabei ist – nebst unendlich vielen Wiederholungen – auch die Jugend ein Thema. Die Jugend schaut nicht mehr fern, sie orientiert sich auf anderen Kanälen: Internet, Social Media, Gratiszeitungen, Events aller Art. Auf diese «andere Jugend» ist der freie Markt (mit einem Ausdruck dieser Generation) megageil. Schliesslich gibt es da megaviel zu verdienen. «Wir müssen supermegaschnell eine Antwort finden auf die Herausforderung der Neuen Medien: Digitalisierung, Automatisierung, Globalisierung, Modernisierung», dies sagt in etwa Frau Bundesrätin Doch von der Jugend wird nur am Rande gesprochen: Die Redner (vor allem Männer, Ständeräte) faseln von Demokratie, von Ausgleich der Sprachen, der Regionen, der Kulturen, dem Subsidiaritätsprinzip und der staatlichen Grundversorgung. Megalangweilig. Die Jugend hat – sofern am Kanal - bereits weggezappt. Sie ist unterwegs zu anderen Welten, in andere Kulturen, hat andere Interessen. Sie hat schon in alle Welt gesimst: ada – "ach diese Alten"; mig – mit lieben Grüssen.  (067)

27. Januar 2017

      

In eigener Sache

 

Ein Name, den ich nicht nennen will

 

Trotzdem, ich muss ihm jeden Tag x-fach begegnen. Er ist -wie ein Gespenst – allgegenwärtig in den Social Media, genau so, wie auf allen Newsportals im Internet und in „Presse Funk und Fernsehen“. Ich m u s s  ihm begegnen, weil ich nicht immer wegsehen kann, wenn ich etwas über die Welt – die meine Welt ist – erfahren möchte. Da nimmt er keinen Platz ein, nicht einmal den, der ihm aufgrund seines Amts gebühren würde. Er präsentiert sich aber so geschickt, mal als Machtmensch, mal als Macher, mal als Buhmann, mal als pubertierender 70Jähriger, dass kein Medium an ihm vorbeikommt. Er ist mehr Gespenst als Präsident. Und  Gespenster gehören in die Märchen- und Sagenwelt. Da sind sie gut vertreten. Zum Beispiel als Voldemort in Harry Potter, der als „Dunkler Lord“ seine Herrschaft ausübt. Um sich Voldemort zu erwehren, wird er mit einer „Verfolgungsmarke“ belegt, so dass sofort Alarm ausgelöst und der Ort gemeldet wird, wenn dieser Name irgendwo fällt. Ein probates Mittel, um dem zu entfliehen, dessen Name ich deshalb nicht mehr kann. (066)

15. Januar 2017

      

In eigener Sache

 

Arroganz der Macht

 

Nun lecken sie sich die Wunden, schieben einander den «schwarzen Peter» zu, reden von Analysen und orten da und dort Fehler in ihrer Strategie. Plötzlich ist auch «das Volk» auch zu dumm, um so komplizierte Geschäfte - wie die mit Finanzen – zu verstehen. Jenes «Volk» auf das man sich dauernd beruft («Verrat am Volk») - wenn es darum geht, eine hauchdünne Mehrheit – zum Beispiel 0,3% der Abstimmenden – als Ultima Ratio in die Waagschale zu werfen. Ja, das «dumme Volk» hat der Macht zu dienen (und nicht umgekehrt!). Und die Macht hat sich – zumindest in der Zusammensetzung des Nationalrats – deutlich verschoben, zugunsten einer Hau-Ruck-Politik, die nur den Schlachtlärm («hau den Dieb») - kennt und bei Argumentations- und Kompromissdefiziten – wenn die Diskussion nicht nach dem eigenen Gusto verläuft – das (in diesem Fall) «mündige Volk» zu Hilfe ruft: «Das Volk hat beschlossen» und wir sind die Gralshüter des «Volkswillens»! Und jetzt diese Niederlage, diese Schmach. Wieder ist das «Volk» Schuld, diesmal das «dumme Volk», das diesmal um fast 10% falsch gestimmt hat. «Arroganz» der Mehrheit, der Macht. Politik sieht anders aus! Da werden Gespräche geführt und Kompromisse ausgehandelt zwischen der Mehrheit und der meist starken Minderheit – bei umstrittenen Abstimmungen der letzten Jahre fast immer deutlich mehr als 40 Prozent des «dummen Volks». Arroganz hat eben wenig mit Politik, aber viel mit Machtgebaren  zu tun. (065)

30. Januar 2017

      

In eigener Sache

 

Service Public

 

Die Messer sind gewetzt. Natalie Ricklin (SVP) – Präsidentin der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen (KVF) – steht an vordersten Front in der Diskussion um den Service Public: «Man redet nur immer über die SRG. Die Privaten müssen sich schon fast rechtfertigen, dass es sie überhaupt gibt. Das ist doch falsch! ». Beifälliges Nicken von Peter Wanner, Verleger der Aargauer Zeitung. Falsch ist nicht, dass es die «Privaten» gibt, falsch – und zwar gründlich falsch – ist, dass eine Interessenvertreterin – unter dem Schutzmantel der SVP – als Präsidentin der «Medienkommission» des Bundes amtet. Natalie Ricklin sitzt als «Partner Relation Manager» im Stab der Geschäftsleitung von Goldbach Media. Diese Unternehmen «vermarktet und vermittelt Werbung in privaten elektronischen Medien mit Fokus TV, Radio, Digital out of Home, Online sowie Suchmaschinen- und Mobile-Marketing». Ricklin ist also nicht nur Politikerin, sie ist auch Interessensvertreterin und zwar in Reinkultur. Seit Jahren tritt sie – in allen nur denkbaren Formen -gegen den «Service Public» antritt. Das ist ihr gutes Recht. «Gaubensapostolat» darf in einem demokratischen Staat nicht behindert werden. Aber als Präsidentin einer politischen, staatlichen  Kommission, die sich mit Medien befasst, ist sie am falschen Platz. Es darf doch nicht sein, dass eine politische Schaltstelle, mit so viel privaten Interessen und wirtschaftlichen Verknüpfungen belastet wird. Dies aber wagt kein Politiker offen darzulegen. Ricklin will in allen Diskussionen immer nur Politikerin sein, die für das wohl «des mündigen Bürgers» einsteht, den Rest ihrer beruflichen Verknüpfungen streift sie geflissentlich ab. Für mich ein Skandal, wenn man weiss, wie restriktiv die SRG ist, in Bezug auf jede Art von (partei)politischem Engagement.  (064)

17. Januar 2017

 

In eigener Sache:

 

Ich will!

  

Quengelnde Kinder sind eine Nervenprobe. Schon der Tonfall zerrt an den Nerven. Ob mit oder ohne Sprache, durch Schreien und mit schlecht verständlichen Lauten, mit Trotzmiene oder gar Tränen heisst es: «Ich will, ich will, ich will ….!» Dazu der Psychologe: «Wenn ein Kind quengelt, hat es etwas auf dem Herzen. Vielleicht einen besonderen Wunsch, der nicht sofort erfüllt wird. Vielleicht drückt sich darin aber auch nur das Unvermögen aus, etwas Bestimmtes auf anderem Wege nicht erreichen zu können». «Aldi», der Aggressivdiscounter, setzt jetzt auf das Verhalten quengelnder Kinder und behauptet unverfroren: ich sei eben «Ein-Aldi-Kind, das Schnäppchen möchte.» «Aldi» setzt also auf Erwachsene, die wie Kinder quengeln: «Ich will echten Schweizer Genuss, ich will Köstlichkeiten aus der Heimat, ich will eine kunterbunte Fasnacht erleben, ich will zuhause bequem relaxen, ich will den Super Deal, ich will Schutz und Pflege, ich will….» Selber etwas tun, das muss man nicht, nur zu «Aldi» gehen. Obwohl ich kein erklärtermassen Aldi-Kind-bin, hat mich diese unglaubliche Quengelei zum quengelnden Erwachsenen werden lassen: Ich will – nein nicht ich möchte – ich will, dass dieser Werbestil – diese verbale Frechheit gegenüber Kindern und Erwachsenen sofort verschwindet. Dafür muss ich gar nichts tun, nur nie zum «Aldi» gehen.  (063)

12. Januar 2017

 

In eigener Sache:

 

Der Superlativ

  

Konsultiert man Väterchen Duden, dann ist der Superlativ „die zweite Steigerungsstufe in der Komparation“, sprachwissenschaftlich gesehen. Bildungssprachlich hingegen: „etwas, was zum Besten gehört und nicht zu überbieten ist“ oder der „Ausdruck höchsten Wertes, Lobes“. Kein Wunder, sitzen die Werber auf dem Superlativ, wie die Hennen auf ihren Eiern. Doch die Geduld der Henne haben die Werber nicht, da dürfen nicht erst nach 21 Tagen die kleinen Superlative schlüpfen. Sie dürfen auch nicht klein sein, sonst wären sie ja keine Superlative. So kommt es, dass ein Superlativ den nächsten übertreffen muss, um ein Superlativ zu bleiben. Doch das dauert nicht lange, den schon rückt der nächste Superlativ an. Schwierig? Am besten helfen da Beispiele. Mein Weinhändler liefert sie in seiner „Weinparade“. „Das spanische Weinkunstwerk“, dies ist noch kein echter Superlativ, aber nahe daran. Dann: „Wein des Jahres“, immerhin das Beste des Jahres, aber nur ein Superlativ auf Zeit. Dann fallen die Schranken: „höchste Eleganz“, „reinste Frische“, „absolute Spitzenklasse“. Nach der Absolutheit muss selbst ein Werber etwas kürzertreten. „Fantastischer Genuss“, „genialer Wein aus der Spitzenlage Paradiesgarten“, „hochklassige Qualität“,  „schwindelerregend gut“. Da hat mich - ohne einen Tropfen Alkohol getrunken zu haben - der Superlativ besiegt , ist mir schwindlig geworden.  (062)

02. Januar 2017

 

In eigener Sache:

 

Vor dem Bildschirm

  

Kultursnobismus ist eine Krankheit, die alle befallen kann. Jene, die sich der Kultur (angeblich) verweigern, wie jene, die sich selber in Sache Kultur dauernd auf Trab halten. Man müsste zuerst die Begriffe Kultur und Snobismus definieren, um von den Symptomen über die Anamnese zur Diagnose und schliesslich zur Therapie vorzustossen. Da hat die heimtückische Krankheit aber auch mich befallen, beim Schreiben dieser Kolumne: Symptome, Anamnese, Diagnose, Therapie… gut klingende (Fremd)Wörter, die es auszudeuten gilt. Das geht viel schneller als früher, Wikipedia sei Dank. Wie aber bin ich auf den Krankheitsbefund gekommen? Nicht durch eigenes Denken, durch Lesen. Ich habe – aus aktuellem Anlass – rund zwanzig professionelle Besprechungen der neuen Winnetou-Filme (RTL) gelesen – fast ausschliesslich im «Kulturteil» der Medien, dazu noch  rund 300 Leserinnen- und Lesermeinungen abgerufen. Meine Diagnose: es grassiert nicht Meinungsvielfalt (das würde ja zu einer Diskussion führen), sondern purer Snobismus. Die Kulturredaktoren (die weibliche Form ist immer inbegriffen), die kaum je Karl May gelesen haben, üben sich in Wortspielen, kulturphilosophischen Gedanken, Interpretationen, die dem Kulturbegriff-Arsenal entnommen sind. Nostalgiker, mit Winnetou aufgewachsen, glauben den Apachen-Häuptling genau zu kennen (er kann natürlich nur Pierre Brice heissen). Kulturschaffende rümpfen nur  die Nase: Winnetou, was soll das? Wer sich nur unterhalten möchte, wird dauernd belehrt: nicht werkgetreu, nicht glaubhaft, kultureller Schund, zu brutal, zu langweilig, zu… Eigentlich müsste man ja nur Hinsehen und bereit sein zum Erleben, Sichfreuen oder Sichärgern. Dazu sind Filme ja da! Doch die viröse Krankheit Snobismus breitet sich unglaublich rasch aus. (061)

26. Dezember 2016

 

In eigener Sache:

 

Weihnacht

 

Rummel – Lichtermeer – teuerste Geschenke – beste Flasche – köstlichstes Essen – flackernde Kerzen – höchste Erwartungen – aber auch Kindheitserinnerungen und – wenn es der Stress zulässt – besinnliche Gedanken, selbst in den Social Media, zum Beispiel auf Facebook.  Da schreibt ein «Freund», den ich zwar nicht kenne, mit dem ich aber seit Jahren virtuell verbunden bin - um über Wein zu diskutieren: «Kein Post, kein Bild, kein Video kann das Leben wiedergeben, schon gar nicht einfangen (allein der Begriff..) wenn die Familie vor langer Zeit durch Geschichte an den Rand der Lebenskraft gedrängt, zersprengt, selten zusammen kommt, und plötzlich ist alles nichts. Alle Probleme sind firstworldproblems. Und wenn dein Opa, durch den du überhaupt existierst, von der schönsten Weihnacht, damals, "bei" den Russen, die sie einfach aufgenommen haben und die wenigen Kartoffeln mit "Fremden" Verschleppten geteilten haben, wenn man realisiert in welchem Luxus wir alle leben, dann, frühestens dann beginnen wir zu verstehen welches großartige Geschenk unser Alltag ist.»  Der «Alltag» des Autors: er kommt aus Rüdesheim am Rhein, wohnt in Berlin, hat Weinwirtschaft studiert, ist Einkaufsleiter (Direktor Procurement) bei einem Online-Wein-Shop und macht sich Gedanken im so «gefährlichen, verpönten, oberflächlichen» Social Media, auf Facebook. Hundertvierzig «Likes», 18 Kommentare, der kürzeste: «Danke!». (060)

18. Dezember 2016

 

In eigener Sache:

 

Am falschen Kandelaber stehen

 

 Da steht ein junges Pärchen an der Strasse bei einem Kandelaber. Ihr Blick und ihre Haltung sind klar, sie warten, erwarten. Verkehr hat es kaum. Da taucht ein Autobus auf, klar als öffentliches Verkehrsmittel zu erkennen. Es ist der Ersatzbus für die Zugverbindung, die für kurze Zeit wegen Bauarbeiten eingestellt ist. Der Bahnhof liegt gegenüber, eine Bushaltestelle gibt es nicht. Allerdings hängt am nächsten Kandelaber – etwa fünfzig Meter weiter vorne – eine kleine Plastiktüte mit einem kleinen Fahrplan. Mehr nicht. Der Buschauffeur fährt am wartenden Pärchen (mit Koffer) vorbei und hält am nächsten Kandelaber, dort wo das schwer erkennbare Plastiksäckchen hängt. Verdutzt schauen die beiden Wartenden dem Bus nach. Gottseidank er hält an, am nächsten Kandelaber, offensichtlich an der richtigen Stelle. Die beiden Wartenden legen einen Spurt hin (mit Koffer) und erreichen noch rechtzeitig den Bus. Der Fahrtenleiter sagt vorwurfsvoll: «Sie sind halt am falschen Kandelaber gestanden.» Andere Fahrgäste sind weder ein- noch ausgestiegen. Am falschen Kandelaber stehen – wem passiert dies nicht ab und zu im Leben. Und Menschen, die sich stur an die Ordnung, an die Paragrafen halten, fahren vorbei. Ordnung muss sein, ein- und aussteigen nur am richtigen Kandelaber. Wer sich nicht daran hält stört die Ordnung und muss erzogen werden. Die Sturheit von Menschen presst das Leben in einen Fahrplan, den es einzuhalten gilt, auch wenn man am falschen Kandelaber steht. (059)

06. Dezember 2016

 

In eigener Sache:

 

Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser

 

Nach einer unangenehmen Erfahrung habe ich mich zu meinem psychisch-funktionalen Inneren aufgemacht. Ich wollte wissen, warum habe ich mich – im Stillen - so aufgeregt, dass mein sonst stabiles Gleichgewicht wie ein Kartenhaus zusammengefallen ist. Die Sache war die: Für den Aufenthalt bei einem Anlass – organisiert von einem Weinfreund, den ich seit Jahren (virtuell) kenne – also an einer offiziellen Veranstaltung (mit Anmeldung, Adresse, Bestätigungen etc.) habe ich etwas zu spät für die Übernachtung (dafür war nicht der Veranstalter zuständig) eingezahlt. Vielleicht einen Tag zu spät, mehr nicht. Nicht im Traum habe ich dran gedacht, eine Quittung mitzunehmen, oder einen Beleg, oder einen Beweis. Doch dann kam die Kontrolle: Poing! «Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser», dachte wohl der Rechnungssteller (Wirt, Vermieter). Obwohl ich beim Veranstalter ordentlich angemeldet war und zu diesem Anlass weit, sehr weit (auf eigne Kosten) herreiste, wurde mir kein Vertrauen geschenkt. Wo sind die Belege für die Bezahlung? Es war Wochenende, einen Beweis zu organisieren, war so gut wie unmöglich. Da habe ich genervt, dem Frieden und der Eintracht zuliebe, den Vorschlag machte, nochmals – jetzt bar – zu bezahlen. Der Friede war – zumindest beim Rechnungssteller – eingekehrt. Doch jetzt war ich es, der Vertrauen brauchte:  das Vertrauen, dass der doppelt bezahlte Betrag wieder zurückfindet. Da begriff ich zum ersten Mal so richtig, dass die Umkehrung des üblichen Sinnspruchs «Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser» viel entscheidender und wichtiger ist im Leben. Denn niemand wird gerne kontrolliert, vor allem auch dann nicht, wenn er genau weiss, die Pflicht ist getan, es ist alles ist scheinbar in guter Ordnung.  Vielleicht ist Vertrauen (nicht blindes) doch eine härtere Währung als man gemeinhin annimmt. (058)

24. November 2016

 

In eigener Sache:

 

Kulturterror

 

Wir schreiben das Jahr 1793. In Frankreich wird Ludwig XVI hingerichtet. Alle feudalen Rechte sind aufgehoben. Der Nationalkonvent verabschiedet eine neue Verfassung. Nationalgüter werden verkauft, Kirchen und Klöster niedergebrannt.

Im November ziehen Herolde durch Städte und Dörfer: Es ist verboten Weihnachtskrippen aufzustellen, sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der eigenen Stube. Diktat aus dem revolutionären Paris.
Das liessen sich die Provenzalen nicht gefallen. Sie schufen kleine Figuren, zuerst aus Brotteig, später aus Ton und nannten sie „Santons“ (Kleine Heilige). Diese stellten sie rund um den Stall mit dem Jesuskind auf. Näherte sich ein Vertreter der Obrigkeit, verschwand die Heilige Familie aus der ländlichen Szene. Zurück blieb eine provenzalische Dorfidylle.

Wir schreiben das Jahr 2016. Der Terror der Dschiadisten (IS) hat die Stimmung im Land verändert. Frankreich steht vor den nächsten Präsidentschaftswahlen. Angst herrscht vor. Die politischen Kräfte haben ihre eigenen Rezepte.

Im November verkünden die Herolde des 21. Jahrhunderts, die Medien: Französische Ratshäuser dürfen Weihnachtskrippen nur noch aufstellen, wenn diese nicht den „Ausdruck einer religiösen Meinung“ darstellen“. Santons-Landschften (ohne Krippe) sind wohl noch erlaubt.

Weihnachtskrippen sind – wie das Kreuz - nicht nur religiöse, sondern auch kulturelle Symbole. Ausdruck unsere Gesellschaft und ihrer kulturellen Werte. Dazu der Schriftsteller Thomas Hürlimann: „Wo früher das Kreuz hing, hängt heute das Rauchverbot…Wir selber holen die Kreuze herunter…Zuerst sterben die Zeichen, dann sterben wir ihnen hinterher.“  (057)

12. November 2016

 

In eigener Sache:

 

Bio-vegan

 

Beat, der Sohn meines Nachbarn, wurde unter Schulkollegen «Bio» gerufen. Es war kein Kosewort, vielmehr eine Ausgrenzung, denn der etwa 13-Jährige musste mit seinen Eltern in unser neu errichtetes «Biodörfli» ziehen, in eine Pioniersiedlung auf baubiologischer Grundlage. «Bio» konnte mit seinem Rufnamen nichts anfangen, im Gegenteil, er war ihm peinlich.  Dies war vor bald 40 Jahren. Heute ist Bio «in», als Begriff, als «bessere Welt». Es sind nicht mehr Aussenseiter, die sich zu Bio bekennen, es ist ein sehr gutes Geschäft geworden, in der Produktion, im Verkauf. Wer nicht «bio-zertifiziert» ist, hat wenig Chancen. Das Gemüse, das wir früher biologisch (natürlich ohne Schneckenkörner) mit viel Aufwand (ohne Zertifikat) zur Erntereife gebracht haben, ist heute fast zum Preis der Setzlinge im Supermarkt zu kaufen. Bio ist ein Modewort und ein gutes Geschäft geworden. Kaum ausgereizt, etabliert sich ein neuer Begriff in der Konsumwelt: vegan. Im Restaurants gab es - in den letzten Jahren – zunehmend vegetarische Menüs, für all jene, die kein Fleisch essen wollen. Doch das genügt nicht mehr. Vegan muss es sein. sonst kann es nicht verkauft werden. Von bio zu vegetarisch bis vegan: Verkaufs- und Kaufs Argumente, welche die Kassen klingen lassen. Das geht soweit, dass sich ein Coiffeursalon als «vegan» bezeichnet und damit wirbt. Es bleibt mir wohl nichts andres übrig, als mir nächstens meine Haare vegan schneiden zu lasse, sonst bin ich definitiv nicht mehr «in». (056)

02. November 2016

 

In eigener Sache:

 

Gefährdung von Arbeitsplätzen

 

Lange ist es her, etwa 40 Jahre. Da wollte man in Kaiseraugst ein Atomkraftwerk bauen, das sechste in der Schweiz. Die Pläne scheiterten am Widerstand der Bevölkerung. 1975 demonstrierten 15'000 Menschen auf dem auf dem Baugelände. Dreizehn Jahre später wurde das Projekt – politisch – begraben. Als Journalist war ich an vielen Veranstaltungen und Diskussionen rund um die AKWs. Die Gegner argumentierten mit den Gefahren, dem Umweltschutz und den ungelösten Problemen (Entsorgung). Die Befürworter betonten den Mangel an Energie, sprachen vom wirtschaftlichen Schaden. Sie hatten vor allem ein Argument: «Gefährdung der Arbeitsplätze». Hundert, ja tausend Mal höre und lese ich in all den Jahren das das gleiche Argument «Gefährdung der Arbeitsplätze», immer dann, wenn um die Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen geht. Drei Worte, ein halber Satz, gebetsmühlenartig wiederholt. Damals, beim Kampf um den die Errichtung von AKW und jetzt in der Diskussion, wann sie abgeschaltet werden müssen. In der Tagesschau argumentierte  gestern ein Gegner des geordneten Rückbaus mit dem Argument: «Gefährdung der Arbeitsplätze». Heute lese ich in der Pendlerzeitung - bei einem anderen, nicht weniger brisanten Thema: «Gefährdung der Arbeitsplätze» als Hauptargument gegen eine Empfehlung von Krankenkassen, im Ausland eine Alternative zu den horrenden schweizerischen Spital-, Pflege- und Medikamenten-Kosten zu suchen. Daneben weit weniger beachtete Alltags Meldungen, wie: «Allstrom streicht 1300 Stellen in der Schweiz». Pardon, das war letztes Jahr. In diesem Jahr: «IBM soll 100 bis 150 Stellen abbauen». Dazwischen - verteilt auf das ganze Jahr - zehn, zwanzig, dreissig ähnliche Nachrichten, begleitet von Floskeln wie: «Veränderung ist eine Konstante und Transformation ist fester Bestandteil unseres Geschäftsmodells." Die Konstante und der feste Bestandteil der Wirtschaft besteht offensichtlich in der «Gefährdung der Arbeitsplätze». Leider nicht nur als Leerformel wie bei jeder Abstimmung, vielmehr als Realität der wirtschaftlichen Macht.  (055)

21. Oktober 2016

 

In eigener Sache:

 

Wie man Demokratie missbrauchen kann

 

Hundertmal habe ich ihn gewendet, gedreht und wieder beiseite gelegt. Doch er ist immer wieder hochgekommen, aufgestossen, bitter, der Gedanke an den Missbrauch der Demokratie. In meiner Nachbarschaft, in der Gemeinde, in der ich aufgewachsen bin, haben - wie alle vier Jahre -Gemeinderats-Wahlen stattgefunden.  Gewählt werden sollte die Exekutive, einschliesslich des Stadtammans, dem vollamtlichen Präsidenten des politischen Gremiums. Mit ihm sind einige nicht zufrieden. Was ihm vorgeworfen wird, weiss ich nicht so recht. Zu wenig Initiative, habe ich da gelesen, zu wenig Visionen für eine Gemeinde mit bald 30'000 Einwohner. Etwas Konkreteres konnte ich aber nicht in Erfahrung bringen, ausser «dass der Stadtpräsident in der kommenden Legislatur seine Führungsrolle innerhalb des Rates klarer und entschiedener wahrnehmen sollte» (so die NZZ). Einzig der sogenannt «parteilose» Bruno Hug, Verleger wettert in seinen «Obersee-Nachrichten» unermüdlich gegen den Stadtrat, vor allem gegen seinen «Intimfeind», den Stadtpräsidenten. Hug stellt sich selber als Stadtpräsident zur Wahl und erhält prompt im ersten Wahlgang die meisten Stimmen. Als langjähriger Präsident des Eishockeyklubs und Meinungsmacher in seiner lokalen Zeitung ist er zwar nicht unumstritten, aber populär. Er erhält mit Abstand am meisten, aber nicht die absolute Mehrheit. Also wird ein zweiter Wahlgang nötig. Was macht der Unternehmer, der wohl nie ernsthaft daran gedacht hat, seinen Job zu wechseln und in die Verwaltung das Amt des Stadtpräsidenten zu übernehmen? Natürlich tritt er nicht mehr zur Wahl an, zieht sich hinter seine «Schmähschriften» zurück, lässt andere die undankbar Öffentlichkeitsarbeit machen. Mein verdrängter Gedanke ist Realität geworden: Demokratie-Missbrauch im höchsten Mass.  (054) 

06. Oktober 2016

 

In eigener Sache:

 

Ein Schimmel, der nicht weiss ist

 

Ein Amtsschimmel ist weiss, sonst wäre es ja kein Schimmel. Immer wenn er auftaucht, sehe ich aber rot. Soeben habe ich zum weiss-ich-wievielten-mal die Strasse überquert, mitten im Dorf, wo zwei Strassen zusammenkommen und eine dritte Strasse unser Quartier erschliesst, wo immer ein Fussgängerstreifen war - bis nach einer Strassensanierung - der Amtsschimmer aufgetaucht ist: Paragraph XY im Gesetz ZK: «Da darf kein Fussgängerstreifen sein.» Der Schimmel wiehert: «Verkehrssicherheit!» Es geht nicht um den kleinen Umweg, den man jetzt zu machen hat – vielleicht 60 Meter – es geht um die Logik des Schimmels, der noch nie etwas von einem «Trampelpfad» gehört hat. Resultat: gefühlte 70 Prozent der Quartierbewohner überqueren jetzt die Strasse ohne Fussgängerstreifen. Ein anderes Beispiel - zur Versöhnung – jetzt aus Frankreich. Wir haben eine kleine Wohnung, ein Ferien-Deux-Pièce, also Wohneigentum. Und da gibt es – wie in der Schweiz –jedes Jahr mindestens eine Mieterversammlung, bei der für bestimmte Beschlüsse – laut Gesetz: Paragraph XY – die Mehrheit der Eigentümer anwesend sein müssen. Diese Versammlung findet in den Ferien statt (was auch Sinn macht), doch die Einladung geht, laut Gesetz: Paragraph ZK, per Einschreibebrief an die Wohnadresse der Eigentümer, die in grosser Mehrheit bereits im Feriendomizil sind und so die Unterlagen meist nicht oder zu spät erhalten. Daran hat der Amtsschimmel natürlich nicht gedacht: Resultat: An der Versammlung keine Mehrheit der Eigentümer – für die wichtigsten Traktanden keine Beschlussfähigkeit. Auf Wiedersehen, in einem Jahr, in den nächsten Ferien. Der Amtsschimmel kann sich ausruhen! Ob er rot wird, weiss ich nicht.  (053)

26. September 2016

 

In eigener Sache:

 

100 Prozent verloren

 

Es war Abstimmung und wieder habe ich – zum x-ten Mal – hundert Prozent verloren. Alles wollte ich anders, und mit mir rund 40 Prozent, die zur Urne gingen. Doch die Mehrheit – auch wenn es nur ein halbes Prozent wäre – hat Recht und damit das Sagen. So sind die Regeln der direkten Demokratie. In der Abstimmung zur Masseneinwanderungs-Initiative waren es nur 0,3 Prozent, welche die Mehrheit ausmachten. Noch knapper war es vor einem Jahr, als bei der RTVG-Revision (Bundesgesetz über Radio und Fernsehen), wo eine Mehrheit von nur 0,03 Prozent zustande kam. Bei einer der beiden Ja-oder-Nein-Gruppen knallen immer die Korken. Bei mir nie, fast nie. Von den rund 450 Abstimmungen, die ich als Stimmberechtigter erlebt habe, gingen geschätzte 95 Prozent verloren, für mich. Kein Champagner, nur Frust. So etwas steckt ein guter Schweizer weg, sagt man mir. Die Mehrheit hat – in einer Demokratie – immer Recht. An die, die gehofft haben, die es anders wollten, die eine andere Schweiz wollen, denkt man spätestens nach einer Woche nicht mehr. Es sind – wie an diesem Wochenende – aber nicht nur die 40 Prozent Verlierer, es sind auch Verlierer unter den rund 60 Prozent, die nicht an die Urne gehen, nach Gesetzen der Wahrscheinlichkeit etwa im gleichen Verhältnis. Als chronischer Verlierer mache ich mir – seit Jahren – schwere Gedanken. Bin ich so anders? Ein miserabler Mehrheits-Schweizer? Bin ich ein Verlierertyp? Leider sind es keine wechselnden Mehrheiten bei meinem 95 Prozent-Verhältnis). Es muss an mir liegen, an meinen Vorstellungen von einer anderen Schweiz, einer mutigeren, einer sozialere, einer gerechteren und vor allem einer Schweiz, die nicht n Angst erstarrt.. Mein Freund hat dies wohl bemerkt und – zum Trost – einen Champagner geöffnet. Doch den 95-Prozent-schlechten-Schweizer wird damit nicht weggespült, auch nicht den Jahre dauernden Frust.  (052)

14. September 2016

 

In eigener Sache:

 

SPAM

 

Wer immer sich einem Computer nähert, dem fliegen SPAMS – nach den ersten Tastenmanipulationen – wie gebratene Tauben zu, meist direkt ins Mail-Archiv. Da buhlen sie dann um Aufmerksamkeit. «Lieber Freund», heisst es zum Beispiel, «Ich bin Martine Buma, der Leiter der Wirtschaftsprüfung und Rechnungswesen-Bereich unserer Bank Ghana in Westafrika mit Respekt und Grüsse…..» Von «Freund» kann nicht die Rede sein, selbst der minimalste Respekt ist mir – angesichts des Übersetzungsprogramms – längst abhandengekommen. Schon etwas fieser sind dann die Kontensperren, notabene von Bankkonten, die ich gar nicht besitze, von Banken, mit denen ich nicht verkehre. Und erst die vielen Darlehen, nur drei Prozent, wo mir Geld, für fast kein Geld, aufgedrängt wird. Wir alle kennen dies: SPAM, zu Deutsch Müll. «Zugemüllt», von Robotern, denen gierige Väter und Mütter Fantasien entwickeln, immer die gleichen. Etwa: «Ich bin Frau… - habe nur noch wenige Monate zu leben….» Weiter zu lesen ist schwierig, nicht nur weil die Sprache holpert, weil sie mitunter in der Unverständlichkeit stecken bleibt. Soeben ist auch noch ein Losgewinn eigetrudelt, nur den zweiten Preis. Aber auch da geht es um Millionen.

Natürlich gibt SPAM-Filter, die filtern so viel, dass auch manch wichtige Mail weggefiltert wird. Anstatt Pokémon sucht man dann verbissen das Mail. Ab und zu gibt es aber auch SPAM-Lacher. Zum Beispiel, wenn mir – nachweisbar männlichen Geschlechts – Erektionsmittel für Frauen angeboten werden. Oder wenn eine Ludmilla aus dem Osten mich als seriösen, treuen Partner auserwählt hat (hei, würde die erschrecken, wenn ich mein Alter nennen würde!). Gestern waren es Leitern, Festzelte und Werbegeschenke, die genau für mich «richtig» sind. Und schliesslich ist da noch ein Coaching, um mit dem Rauchen (endlich) aufzuhören. Ich rauche seit bald vierzig Jahren nicht mehr. Der Coaching-Erfolg ist so garantiert. Es gibt noch ein anderes (englisches) Wort für SPAM – mir eigentlich sympathischer – «Junk» (für «Abfall» oder «Plunder». Als ob wir davon nicht schon genug hätten, in der nicht-virtuellen Welt.  (051)

04. September 2016

 

In eigener Sache

 

Hassprediger

 

Nein, an allem ist er nicht Schuld, Blocher, der Neinsager der Nation, Meines Wissens hat er mit der Bewegung der «Veganer» nichts zu tun und zum Skandal von Tiertransporten hat er – der «Vollblutpolitiker» - sich kaum je geäussert. Was sind schon leidende Tiere – was sind leidende Menschen – wenn es darum geht, Hass gegen ein System, die EU, zu schüren. Spätestens seit der Schwarz-Weiss-Schäfchen-Kampagne wissen wir: Es gibt gute und schlechte – weisse und schwarze – Schweizer und – davor kann auch Blocher die Augen nicht verschliessen – eine riesige Mehrheit von gar keinen Schweizern, Ausländern. Ausländer mit fremden Vögten, die unser Recht ausser Kraft setzten, die uns beherrschen wollen, wenn wir uns nicht wehren! X-Mal – litaneiartig – gehört, von Blocher und seinem lautstärksten Adlaten, Köppel. Kämpferisch verbissen – eigentlich schon fanatisch - ruft er in den Kreis der SVP-Gefolgschaft – «nieder mit der EU». Rhethorisch leicht ausgefeilter, inhaltlich aber nicht anders. Die Gefolgschaft brüllt: «Bravo!», «So ist es!», «Sag es ihnen!». «Recht hat er!» In den Worten, in den Augen, in den Gesten – der «Volkstribune» und ihrer Gefolgschaft - ist nur Hass zu spüren. Hass gegen alles was anders läuft, als man selber will; Hass gegen alle, die anders denken (und leben). Hasspredigten eben! Da steigt der Gedanke hoch: was geschieht in diesem «Hassklima», wenn alle Andersdenkenden – zum Beispiel die «Veganer» - selber zum «Rechten sehen»? «Ein Tiertransporter ist auf der Autobahn unterwegs und wurde von einem anderen Fahrzeug ausgebremst. Das Auto war übersät mit Tierschutz-Klebern…die Täter haben auch Anhänger mit dem Schriftzug «Tiertodestransport» oder «Tiermörder pfui» besprayt und Hausfriedensbruch bei Viehhandelsfirmen begangen». Ein Glaubenskrieg – mit Betonung auf Krieg – dem Blocher und Co. den Boden geebnet hat. Und es geht auch da - wie immer - nicht um Menschen (oder um Tiere), sondern um einen alleinseligmachenden Glauben.  (050)

26. August 2016

 

In eigener Sache

 

Das Fenster zum Hof

 

 

Ich bin nicht «Jeff», obwohl auch Journalist und ab und zu Fotograf. Ich bin nicht an den Rollstuhl, gefesselt, kann aber fast nicht ohne Schmerzen gehen. Also sitze ich am Fenster und schaue, wie «Jeff», nein, nicht auf den Hof, vielmehr auf eine kleine Zugangsstrasse zur Siedlung, auf zwölf Briefkästen und auf viel Grün, das den Blick in die Weite versperrt. Es ist hier auch nicht in Greenwich Village, eine Stadt, es ist das «Bubiker-Dorf», auf dem Land. Eines haben «Jeff» und ich doch gemeinsam, eine Langeweile, die dazu verführt, Menschen und das Geschehen auf den wenigen Quadratmetern zu beobachten, zu analysieren, zu spekulieren und schliesslich… Wer hat heute wieder viel Post erhalten? Von wem, warum? Wer hat als erster das Haus verlassen? Wann und wohin des Weges? Ich bin auf dem besten Weg zum Voyeur zu werden, wie «Jeff»! Seit vier Wochen geht das nun so. Der Kleinstalltag zieht an mir vorüber. Unspektakulär, aber doch spannend. Allmählich spüre ich, dass diese «Nahsicht» der einzige Weg ist, einer Selbstbemitleidung zu entrinnen. Allerdings – ich gebe es zu – wäre mir ein «Thorwald» nicht ganz unwillkommen. Er müsste nicht seine Frau umgebracht haben. Aber etwas Pep sollte meine Ruhestellung – die Decke kommt jeden Tag etwas näher zu meinem Kopf – schon bekommen. Vielleicht brauche ich sogar Verbündete: eine sarkastische Krankenschwester, einen Detektiv oder meine Frau übernimmt die Recherchen. Der Fotoapparat liegt bereit, mit Teleobjektiv. Doch es geschieht nichts. Fast nichts! (049)

 

NB. «Jeff» und die anderen Figuren treten im Hitchcock-Thriller «Das Fenster zum Hof» (1954) auf. Sie erleben die gleiche Geschichte, aber es ist ihre Geschichte. Und die ist doch etwas spannender. 

19. August 2016

 

In eigener Sache

 

Ringe um die Augen

 

Ob es fünf Ringe sind, weiss ich nicht. Ich wage gar nicht in den Spiegel zu schauen. Spuren müsste der Sportanlass mit Sicherheit hinterlassen haben. Fernwirkung sozusagen: ein Geschehen weit weg - auf einem anderen Kontinent – und doch so nah: in den eigenen vier Wänden. Zwei, drei Meter vor der Nase turnen sie, ringen, sie, rennen sie, paddeln sie… die Gewinner und Verlierer eines weltweiten Milliardenevents. "As usual", zwar nur alle vier Jahre, aber immer grösser, gigantischer, totaler. Einzige Konstanz die Werbung: «Was für ein fulminanter Start, das müsste für eine Final-Qualifikation reichen!» Zu sehen: ein Flugzeug der Suisse startend im Halbstundentakt, immer die gleiche Aufnahme: poliert, gestylt – nichtssagend wie der begleitende Slogan. Noch bevor die Sportlerinnen und Sportler den Wettkampf beginnen, die erhellende Meldung: «Rivella, das offizielle Getränk der Olympiade.» Die ersten paar Mal habe ich ernsthaft darüber nachgedacht. Was ist ein «offizielles» Getränke, was wäre ein inoffizielles? Ich weiss es noch immer nicht, auch nach zweihundert – gefühlte tausend Mal nicht. Gehirnwäsche. Ich erinnere mich. Waffe der Despoten. Menschenschändung, geächtet als Folter. Was schert das die Werbung? Gesponserte Qual. Gut bezahlt, total vermarktet. Es müssen doch fünf Ringe sein, die mich bedrängen und pausenlos belästigen, denn die beiden Ohren bleiben nicht verschont.  (048)

12. August 2016

 

In eigener Sache

 

Terror gegen Terror

 

Werbeanrufe zu jeder erdenklichen Zeit – oder Unzeit – gehören zum Alltag. Das Telefon schrillt, läutet, tönt, singt, jammert, auch dann, wann man es nicht wünscht, vorwiegend zu Essenszeiten, da ist man schliesslich zu Hause (und vielleicht sogar am Apparat). Telefonterror! «Sind Sie Herr Z.» - «Ja» (mürrisch). - «Ist gut, dass ich Sie erreiche!» -  «Warum» (mürrischer) – «Wie geht es Ihnen?» - «Danke für die Nachfrage!» (leicht aufgebracht) – «Es ist doch gut, wenn Sie sich erholen können und nicht gestört werden» - «Ich bin gestört!» (bestimmt) – «Weil ich am Essen bin!» (erbost) – «Sehen Sie, da haben wir…. ». Mir schwant noch böseres, zumindest Ungemach: eine Rheumadecke, ein Bioprodukt, die günstigste Krankenkasse, ein Appetitanreger oder gar eine Wasserentkalkungsanlage. Eigentlich möchte ich abbrechen, den Hörer weglegen, etwas von Missachtung des «Sterns» im Telefonbuch sagen… Doch ich komme gar nicht zu Wort und schon gar nicht zum Handeln: «Wir machen, dass Sie nicht mehr am Telefon gestört werden!» Solche Unverfrorenheit ist mir neu. Da werde ich am Telefon massiv gestört, nur um nicht mehr gestört zu werden! Wird da der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben? Oder der Terror mit Terror? Oder Dummheit mit Blödheit? Oder… Wenn es um ein vermeintliches Geschäft geht, brechen alle Dämme: «Wir haben für Sie eine sichere Sperre, gegen Werbeanrufe. Sie werden für zehn Jahre…» - «Erlöst!» (schreie ich ins Telefon und drücke auf die rote Taste). «Erlöst!» Vom Terror gegen den Terror mit pseudofreundlichem Terror. Ich mag nicht mehr weiter essen. Vielleicht brauch ich jetzt doch einen Appetitanreger.  (047)

29. Juli 2016

 

In eiegner Sache

 

Notfall

 

«Wenn Touristen in eine medizinische Notlage gelangen, haben sie Anspruch auf Hilfeleistung», so steht es in Verordnungen, wobei sogleich auch über die «Kostensicherung» gesprochen wird. Ich war so ein Tourist und brauchte Hilfe. Plötzlich konnte ich nicht mehr stehen und gehen. Nach ersten medikamentösen Einsätzen vor Ort – es half alles nichts – landete ich in der Notfallstation des Spitals einer Stadt mit rund 75'000 Einwohner. Da kamen Menschen mit Brüchen, Kinder mit zerschundenen Gesichtern, verschleierte Frauen mit Kindswehen, Schlägertypen mit Schnittwunden, Erbrechende, halb Ertrunkene. Ein Privatauto fährt vor: eine Frau – kaum bei Bewusstsein – wird von einem Herrn auf den Armen hereingetragen, die Rettungswagen bringen in Abständen neue «Fälle». Es ist kein «Wartezimmer»,vielmehr eine Vorhalle mit ein paar Bänken und Stühlen. Da sitzen die, welche noch halbwegs sitzen können und warten. In einem Verschlag sitzt eine überforderte Dame: Aufnahme/Anmeldung. Vor dem einzigen Schalter stauen sich Begleitpersonen: Ausweis und Formularkrieg. Ab und zu geht die Schiebetüre auf: Einlass des nächsten Patienten. Schwierige Fälle erhalten eine Infusion, noch im Gang. Da gibt es kein Wartezimmer, da gibt es nur den Gang. Die einen liegen in den Betten, andere wurden auf Rollstühle gesetzt und warten: stundenlang. Nach vier Stunden kommt «mein Fall» an die Reihe. Einschub in eine der Notfallpraxen, die sich wie Zellen aneinanderreihen. Warten. Dann endlich – der wie vielte «Fall bin ich wohl» ? - hat ein Notfallarzt Zeit: Abklärungen, Anamnese, dazwischen immer wieder warten. Hinaus auf dem engen Gang. Eine lange Bettenschlange bildet sich. Warten. Wieder hinein, in ein Sprechzimmer. Was man als Ursache vür meine Schmerzen vermutet hat, erhärtet sich nicht. Neue stärkere Medikamente, nur «verschrieben», sie sind in den Stadtapotheken zu beschaffen. Nach sieben Stunden habe ich das Austrittformular in der Hand. Ich muss vom Bett. Kann immer noch nicht gehen. Doch entlassen bin ich. Ich schleiche den Wänden entlang zur automatischen Ein/Ausgangstür, wo mich meine Partnerin – nach Stunden des Wartens – in Empfang nimmt. Gehen kann ich noch immer nicht. Aber ich weiss jetzt, was ein «Notfall» ist.(046)

16. Juli 2016

 

In eiegner Sache

 

Der unsichtbare Gast

 

Man isst, was man gerne hat. Zumindest, wo kein Mangel an Nahrung herrscht, wo Essen als Kult zelebriert wird, wo meist Genuss über Appetit und Hunger steht. Man isst gern gut! Doch was ist gut? Spätestes jetzt taucht die Erkenntnis auf, dass man beim Essen nie allein ist, auch wenn man allein isst. Der unsichtbare Gast heisst «Erinnerung». Es ist kein Mitesser, der leicht zu befriedigen es. Er verlangt, gebietet, bestimmt, urteilt und verurteilt, ganz ungeniert, als wäre er nicht Gast, sondern Gastgeber, der nicht argumentiert, sondern – eigentlich immer – diktiert. Das Diktat der Erinnerung! Mit dem Essen verbinden sich (fast immer) Erinnerungen, die aus Speisen Wohlfühl-, Sehnsuchtsorte macht oder auch das Gegenteil: Horror- oder Fluchtszenen. Armeebiscuits oder Armeeschokolade, als Beispiel, das viele kennen. Aus meiner Studentenzeit: Spargeln konserviert im Glas (oder Dose) mit Käse über schmolzen, natürlich Spiegeleier oder «Hörnli» mit Apfelmus. Damit wartete meine besorgte Tante auf, die eine gute Buchhalterin, aber keine gute Köchin war, wenn ich spät abends nach Hause kam. Kürzlich hat meine Tochter, die längst einen eigenen Haushalt führt, mit glänzenden Augen nach «Müslichüechli» gefragt und ich träumte dann von «Herdöpfelchüechli», wie sie einst meine Mutter machte. Fazit: man isst besonders gerne, was man in der Erinnerung verklären kann. (045)

04. Juli 2016

 

In eigener Sache:

 

David gegen Goliath

 

Nach dem vierten Tor habe ich den Fernseher ausgeschaltet und mich ins Bett verkrochen. Enttäuscht! Enttäuscht? Ja, weil die Grossen die Kleinen wieder einmal überrannt haben. 24 Beine, jedes einige Millionen wert, zeigten, wer der wahre Meister ist. David gegen Goliath, so im biblischen Mythos; Island gegen France auf dem Fussballplatz der Europa-Meisterschaft. Seit biblischen Zeiten freut man sich, wenn der Kleine gegen den Grossen gewinnt und ist enttäuscht, wenn die Übermacht den Kleinen zermalmt. Auch wenn es nur ein Spiel ist, so ist es trotzdem Abbild des Lebens. Der Kampf des Erstklassigen gegen den Unterklassigen, der Arme gegen den Reichen, der Bescheidene gegen den Protz. «Sommermärchen», sagt man auch; ein Märchen, in dem es um viel Geld geht und um ebenso viel Prestige. Zum Träumen ist da wenig Platz. Zu viele Fouls – auch strategische – zu viele Unsportlichkeiten, zu viele Penaltys als letztentscheidende Instanz. Derweil – während gespielt wird – versinkt die eigentliche höchste Fussballerische Instanz im Korruptionssumpf. Dann plötzlich doch das Märchen: Ein kleines Land – um die 300'000 Einwohner nur, muss gegen den Fussballgrossen (mit Prunkstadien und Klubs, die nur so mit den Millionen spielen) antreten. David gegen Goliath. Plötzlich hat die weltweite Fernseh-Arena mehr Zuschauer, die nur erleben möchten, wie der Kleine den Grossen besiegt. Umsonst. Fussball ist eben kein Mythos und kein Märchen, vielmehr ein brutales Millionen-Geschäft. (044)

25. Juni 2016 

 

In eigener Sache:

 

Aktualität auf Reisen

 

Alles redet vom «Brexit», von den Briten, die nicht mehr EU-Bürger sein wollen. Wer nicht vom Brexit redet, der redet vom «König Fussball». Und werden Ball nicht im Visier hat, der redet vom Wetter. Wem das zögerliche Sommerwetter auf die Nerven geht, der beginnt Erbsen zu zählen: was wird, was wäre, was könnte jetzt kommen? Der Zusammenbruch der EU, das Ausscheiden an der Europameisterschaft in Frankreich, das ultimative Sommerwetter… Propheten gibt es viele, wohl so viele, wie es Menschen auf Erden gibt. Für die letzte Frage – für das Sommerwetter – gibt es wenigstens eine Wettervorhersage. Die kalkuliert immerhin mit ein paar «harten» Fakten, ist längst nicht mehr angewiesen auf den Gockel auf dem Mist. Und wir? Wir machen tüchtig mit im Gerangel der Aktualität. Gestern war es der Börsensturz, vorgestern waren es die Tore von Cristiano Ronaldo, fast vergessen schon die Milchkuhinitiative oder das «bedingungslose Grundeinkommen». Bleiben wir bei den «schicksalsschweren» Abstimmungen. Der Brexit gehört wohl dazu, die Milchkuh oder das Minarett weniger. Rund 300 Mal wurden die Schweizerbürger seit 1848 zur Urne gebeten. Zum ersten Mal zur Totalrevision der Bundesverfassung. Sie wurde mit 72,8 Prozent der Stimmenden angenommen. Aktualität aus einem anderen Jahrhundert. Schicksalsschwer? Der Kaffeesatz hat sich gesetzt. Die Aktualität ist in Grossbritannien angekommen. Doch – da bin ich sicher – sie wird bald wieder weiterreisen.  (043)

14. Juni 2016 

 

In eigener Sache:

 

Weinfieber

 

Um diese Zeit – vor den Sommerferien – ist bei mir über viele Jahre das «Weinfieber» ausgebrochen. Der Virus hiess «Subskription» und betraf mich und alle meine Freunde, die zu «bezahlbaren» Preisen ein paar Flaschen Bordeaux kaufen und in den Keller zu legen wollten. Trinken konnte man die Weine noch nicht, denn erst in ein paar Jahren wurden sie «trinkreif» Das Fieber hat vor allem mich – als Sammler – erfasst. Meine Freunde nahmen es wesentlich lockerer, denn sie konnten ja auf meine «Dienste» zählen: beste Weine, zum besten Preis! Das Fieber ist besiegt, wie die Pocken längst ausgerottet, kaum mehr eine ernsthafte Gefahr. Dazu haben die Weingüter (und ihre Gier) wesentlich beigetragen. Die Preise der sogenannt «Grossen Bordeaux» stiegen ins Unermessliche. Ein Spitzenwein des hochgelobten Jahrgangs 2009 kostete fünfhundert Franken und weit mehr. Weine, die während meiner vieljährigen Fieberperiode zu 30 bis maximal 100 Franken zu haben waren. Alles ist anders geworden. Bordeaux – ich meine die berühmten Namen – ist nur noch für Superreiche und Spekulanten interessant. Das ist auch gut so! Es gibt genau so gute Weine – (fast) überall in der Welt. Die fieberhafte Suche nach den besten Schnäppchen in Bordeaux ist nicht mehr nötig. Das Internet ermöglicht einen umfassenden Preis und Qualitätsvergleich. Auch Papst Parker geht nicht mehr nach Bordeaux, er schickt seinen Adlaten. Ob der so «ansteckend» ist, wie sein Herr, wage ich zu bezweifeln. Als Genesener hole ich mir jetzt eine Flasche aus dem Keller und freue mich diebisch. Das Fieber von einst hat sich gelohnt. Ich trinke jetzt einen 300-Franken Wein, weil er einst noch zu dreissig Franken zu kaufen war.  (042)

03. Juni 2016 

 

In eigener Sache:

 

Kinder können grausam sein

 

Erinnerungen an die Schulzeit. Sie bleiben, meist ein Leben lang. Verbunden mit Emotionen, guten und schlechten. Erinnerungen an die Lehrerinnen und Lehrer, an den Lehrstoff, an die einstigen Klassenkameraden. Was ist geblieben, was ist vergessen? Klassentreffen - in späteren Jahren – bringen es an den Tag. Kleinigkeiten tauchen auf, Episoden, an die man sich noch erinnert. Man lacht darüber, man schmunzelt, weinen tut man kaum mehr, auch wenn es weh getan hat. Doch etwas scheint geblieben zu sein. Bei jedem Klassentreffen verweigert sich einige. Auch nach vielen, vielen Jahren sind die Gefühle von einst noch so präsent, dass man ihnen ausweichen, nicht einmal in der Erinnerung daran erinnert werden möchte. Meist sind es nicht die einstigen Lehrpersonen, denen man aus dem Weg geht. Diese sind inzwischen alt, vielleicht sogar gestorben, kommen kaum noch an ein Klassentreffen. Es sind vielmehr die einstigen Schulkameraden, das Biotop in und um eine Klasse. Kinder können unter Kindern grausam sein: der Stärkere gegen den Schwächeren, der Streber gegen den Faulen, der Selbstbewusste gegen den Schüchternen… Eine Grausamkeit, die von Erwachsenen kaum wahrgenommen wird, auch wenn sie Jahre über Jahre dauert. Grausamkeit wurde nicht in Noten festgehalten. Aber in der Erinnerung, auch noch nach Jahren, nach vielen Jahren. Immer wenn sich eine Schulklasse von einst trifft, sind sie auch wieder da, die Gefühle der Angst, der Kränkung, des Leidens, über die man als Kind nicht sprechen kann. Und jetzt, erwachsen, sogar alt geworden, will man nicht mehr darüber sprechen. Darum fehlen sie konsequent an jedem Klassentreffen. (041)

16. Mai 2016 

 

In eigener Sache:

 

Höhepunkt einer Weinreise

  

Allzu viele Höhepunkte auf einer Bordeaux-Reise gibt es (zumindest für mich) nicht mehr. Zwar hat das eine oder andere Château architektonisch aufgerüstet und ist allein schon als Baukunstwerk bestaunens- und beachtenswert. Da liessen Stararchitekten wie  Christian de Portzamparc (Cheval Blanc), Jean Nouvel (Dominique), Mario Botta (Faugères), Ricardo Bofill (Lafite Rothschild) und viele andere ihren Weinfantasien freien Lauf. Im Inneren macht sich Hightech breit, modernste Technik, kameragesteuerte Traubensortiermaschinen und ausgefeilte Pumpsysteme. Und ein neu errichteter Weintempel (Eröffnung 1. Juni), die «Cité du Vin» in Bordeaux, eine Mischung aus Museum und Themenpark, soll die Stadt zur Weltkapitale des Weins machen. Bereits wird mit einer halben Million Besuchern pro Jahr gerechnet.

Für mich war der Höhepunkt der Bordeaux-Reise – es war etwa die zwölfte – ein kleines Weingut in Saint-Emilion; ganz ohne Hightech, ohne architektonischen Firlefanz, ohne Stararchitekten und künstlerischen Veredelungen. Ein stattlicher Hof zwar, wunderschön gelegen in einer hintersten Ecken der Appellation, eher ein traditionelles Bauerngut. Es ist das Gut von François Mitjavile, einem unglaublich begabten Weinmacher, eigenwillig, aber charmant und herzlich. Es ist schwer, ja fast unmöglich einen Besuchs-Termin zu bekommen. Wenn es aber einmal klappt, führt François Mitjavile persönlich – oder seine Tochter – durch sein Château «Tertre Rôteboeuf». «Un grand homme» hat uns der Händler im Städtchen ehrfurchtsvoll gesagt und der Winzer selber meint – als wir das Weingut länger suchen mussten: «Ich bin da, um Weine zu machen und nicht um Leute zu empfangen». Umso herzlicher aber war dann der Empfang. So persönlich und überzeugend, wie sein Weine es sind.  (040)

Bericht über Begegnungen und Châteaux-Besuche folgen

27. April 2016

 

In eigener Sache:

 

Das Rückgrat gebrochen

 

Zuerst höre ich ein leises Klopfen. Dann wird es lauter. Ich habe das Gefühl, da bewegt sich was. Es pocht an die Wand. Da sehe ich deutlich einen Sarg. Darin liegt mein Vater, der vor vierzig Jahren gestorben ist. Er kann keine Ruhe finden, möchte etwas sagen, schreien, protestieren… Doch dies ist nicht möglich, nicht einmal im Traum, denn jetzt erwache ich, die Szene ist unterbrochen, der Spuck vorbei. Ich ahne:  es geht um meinen Vater um seine Überzeugung, für die er gekämpft hat – ein Leben lang. «Christlich-sozial» würde man diese Überzeugung nennen, wenn man sie in ein Parteiprogramm presst. Man hat sie gepresst, immer wieder, in einzelnen Kantonen, in verschiedenen Formen, mit wechselndem Erfolg. Die «Christlichsozialen» bleiben nur ein «Flügel» der mächtigeren «Konservativen Volkspartei». In den 50er Jahren – der Blütezeit der Partei – ist es sogar ein tragender Flügel geworden, gestärkt in der katholischen Arbeiterbewegung und den christlichen Gewerkschaften. Da mutieren selbst die Bürgerliche-Konservativen zur «Konservativ-christlichsozialen Volkspartei», denn jetzt braucht man die "Christlichsozialen", zumindest ihre Stimmen bei den Wahlen.

Dreizehn Jahre später, die Arbeiterbewegung (nicht nur die christliche) schrumpft. Nun kann man das wenig geliebte "Soziale" getrost aus dem Namen entfernen, es entsteht die «Christlichdemokratische Volkspartei» (CVP), die sich nicht mehr dem "Sozialen", vielmehr der «Mitte» (was immer das auch ist!) verpflichtet fühlt. Mein Vater hat dies noch erlebt, ist kurze Zeit darnach gestorben, in der festen Überzeugung, dass sein lebenslanger Kampf einmal Früchte tragen wird, wenigstens in «seiner» Partei, der CVP. Dass der Geist der  Bergpredigt stärker sein wird,als der des Kapitalismus, . Am letzten Wochenende ist nun Gerhard Pfister zum Parteipräsidenten «gewählt» worden (eine «Wahl» mit einem einzigen Kandidaten), ein Mann, der als sein Leitspruch Margaret Thatcher zitiert: «Das Rückgrat ist bei manchen Politikern unterentwickelt. Vielleicht weil es so wenig benutzt wird». Pfister meint – dies hat er in mit seiner bisherigen Politik deutlich gemacht - das Rückgrat des Kapitalismus, getreu der sozial gescheiterten Thatcher-Politik. Die CVP hat auch ihn verraten. Hat ihm, dem Christlichsozialen, noch im Grab das Rückgrat gebrochen. Vierzig Jahre später. Dies hat er nicht verdient, dagegen hat er sich - in meinem Traum - zu recht gewehrt. (039)

20. April 2016

 

In eigener Sache:

 

Von der Selbsthilfe zum Moloch

      

Irgendwann – in den 60er Jahren – hiess unser Dorfladen nicht mehr «Konsum», sondern COOP. Und er wurde grösser: ausgebaut, Selbstbedienung, Erweiterung des Sortiments, und, und... und er wurde grösser und grösser. Er verdrängte das «Volksmagazin», die dörfliche Konkurrenz, und lieferte sich «Verkaufsschlachten» mit den rollenden Einkaufsläden der Migros. Meine Schwiegermutter – gehbehindert – war froh, dass es noch einen COOP im Quartier gab. Für sie – und viele andere, vor allem ältere Menschen – war es die einzige Möglichkeit für den täglichen Einkauf; ein Quartiertreff, gut frequentiert, aber nicht der grosse Wurf, den COOP – in der nahen Stadt – realisieren wollte uns realisiert hat. Alle Quartierläden wurden geschlossen, sie passten nicht mehr ins Konzept eines Molochs.

Zwanzig Jahre später – ich zügelte in ein anderes Dorf (in der Nähe). Hier treffe ich das gleiche Problem: kaum noch Einkaufsmöglichkeiten. Die traditionellen Läden (Drogerie, Metzg, Bäcker etc.) gingen ein. Nur der VOLG hielt die Stellung, baute aus, verlängerte die Ladenöffnungszeiten, passte das Sortiment an und wurde zum beliebten modernen Dorf-Laden. Das gefiel dem Moloch COOP nicht. Als der Bahnhofplatz saniert wurde, ergab sich die Möglichkeit (gedacht für kleinere, bahnhofspezifische Anbieter), der noch längeren Öffnungszeiten und des Sonntagsverkaufs. Ein Moloch lässt sich nicht lange bitten. Schwups war er da, - zwar etwa  200 Meter vom Bahnhof entfernt – aber gerade noch berechtigt für exzessivere Ladenöffnungszeiten. Der bahnhofnähere, typische Kleinladen (für Passanten) musste nach knapp einem Jahr wieder schliessen. Ausgehungert. Der Grössere ist der halt doch der Stärkere, Und das Dorf hat einen neuen Laden, den es einst dringend gebraucht hätte, heute aber nicht (mehr) braucht.  (038)

12. April 2016

 

In eigener Sache:

 

Tod in Fiktion und Realität

 

Der Tod ist etwas, was das Leben nicht begreifen kann, aber begreifen muss. Spätestens im ultimativen Beweis, beim Erlöschen des eigenen Lebens. Ist es dieses Unbegreifliche oder das schwer Akzeptierbare, welches in der Fiktion so fasziniert? Schon im Märchen tritt der Tod auf, kann sich aber hinter dem Leben verstecken, bleibt meist besiegbar. Religionen haben ein ähnliches Prinzip geschaffen: im Weiterleben in anderen Welt oder durch Wiederauferstehung. Im Kino wird – sozusagen -  immer gestorben: brutal, tröstend, anonym, reihenweise, blutig, schockierend, erlösend, heldisch… Und erst recht beim Krimi, er lebt vom Tod, verbunden mit dem Verbrechen und seiner Bestrafung. Literatur, Kunst, Theater… sie sind undenkbar ohne Tod und Sterben. Wie immer man es auch dreht – der Tod bleibt da fiktional. Real wird der Tod erst, wenn er in die eigene, reale Welt eintritt. Die Reaktion: Trauer, Entsetzen, Wut, Ratlosigkeit, Traurigkeit… Es ist selten, dass der fiktionale Tod auch dem realen Tod unmittelbar begegnet. Eigentlich nur in fiktionalen Welten, in Geschichten, die versuchen reales Leben abzubilden, wenn da real gestorben wird. Wenn nicht nur die fiktionale Figur stirbt, sondern der Mensch, der sie verkörpert, real werden liess. Die Reaktion, wird dann real: Trauer, Entsetzen, Wut, Ratlosigkeit, Traurigkeit…  (037)

06. April 2016

 

In eigener Sache:

 

Epuisé - erschöpft!

 

Mit dieser, meiner neuen Kolumne möchte ich 

Plötzlich ist er schwarz, der Bildschirm. Verdutzt schaue ich zur Konsole. Das blaue Licht erloschen. Klick. Die Schreibtischlampe bleibt dunkel. Aha, ein Kurzschluss! Ich tappe zum Sicherungskasten. Eine kleine Taschenlampe liegt bereit. Doch nichts Aussergewöhnliches. Alles ok! Gut, dann mach ich halt mal eine Pause! Ein paar Schritte zur Kaffee-Maschine. Nichts zu machen, kein Kaffee, kein Strom. Gut, nun habe ich endlich Zeit, die herumstehenden Flaschen in den Keller zu tragen. Dunkel. Hoffnungslos mich im Weinkeller zu orientieren. Zurück ans Pult. Ein paar Telefone sind noch zu erledigen. Die Leitung bleibt stumm. Das Handy funktioniert, doch es meldet rasch: Batterie erschöpft. Zurück zur Handarbeit: den Geschirrspüler ausräumen. Braucht ja keinen Strom. Geschirr noch nicht sauber, Reinigung gestoppt. Irgendwann, vor einer Stunde. In mir Langeweile und Beklemmung. Radio einschalten, Musik hebt die Stimmung! Kein Ton, der Strom fehlt. Ich gehe zum Nachbar, läute… keine Antwort. Die Klingel, sie geht nicht. Inzwischen sind schon zwei Stunden vorbei. Ich greife zum eBook, froh endlich Muse zu haben, um das neue Buch zu lesen. Nach einer guten Stunde der Ruhe und Entspannung: die Meldung «épuisé», erschöpft! Nun bin auch ich erschöpft und beginne (endlich) zu überlegen: Wie viel Strom braucht der Mensch um nicht so schnell erschöpft zu sein?   (036)

28. März 2016

 

In eigener Sache:

 

Hüter der «reinen Lehre»

 

Die Auseinandersetzung mit der Marke «Winnetou», die inzwischen sogar den Europäischen Gerichtshof erreicht hat, ist ein schönes Beispiel für falsch verstandene Gralshütung. Der «heilige Gral»  ist genau so wenig real wie die Gestalt Winnetous; der Gral hat sich im späten zwölften Jahrhundert aus der Artussage entwickelt, als «wundertätiges Gefäss in Form einer Schale, eines Kelchs oder eines Steines. Zusammen mit einer blutenden Lanze wird er in einer unzugänglichen Burg von Gralskönig und Gralsrittern bewacht. Er soll Glückseligkeit, ewige Jugend und Speisen in unendlicher Fülle bieten». Winnetou ist zwar kein Gral, aber ein «Gefäss», das genauso Projektionen in sich vereinigt, wie der Gral, nämlich die Sehnsucht nach dem «edlen Menschen und wahren Freund». Das sich mit dieser Verkörperung auch gutes Geld verdienen lässt – wenigstens so lange das Bewusstsein für die Bedeutung der «Marke» vorhanden ist – ist eine längst bekannte Tatsache. Darum versucht der Karl-May-Verlag die «Marke» Winnetou rechtlich zu schützen (was vom kommerziellen Standpunkt verständlich ist). Die «Gralshüter» der Marke «Winnetou» tun sich aber einen schlechten Gefallen. Sie versenken ihre «Marke» in alte, überholte und immer weniger verständliche Begriffe, Symbole und Bilder. Jede Generation braucht ihren eigenen Winnetou. Nur so bleibt das «Gefäss» Winnetou über Generationen erhalten und lebendig, oft in ganz neuen Formen, aber mit gleichen (oder vergleichbaren) Inhalten. Wo Gralshüter bewahren möchten, verhindern sie.  (035)

23. März 2016

 

In eigener Sache:

 

Vergesslichkeit und Vergessen

 

In der Sprache christlicher Religionen sin dies eine lässliche und die schwere Sünde. Was – ausser bei religiösen Fundamentalisten – längst in der Rumpelkammer religiöser Vorstellungen verschwunden ist, wird wieder topaktuell: das Vergessen. Während die Vergesslichkeit einer menschlichen Unzulänglichkeit entspringt und in der Regel ohne grössere Konsequenzen bleibt, ist das Vergessen (fast immer) eine schwere Verfehlung, das bewusste  Ausklammern einer Realität, die man nicht wahrhaben möchte. Davon besonders betroffen ist die Geschichte und damit das «historische Bewusstsein»: Woher kommen wir, was sind wir, wohin gehen wir? Ohne historisches Vergessen wären auch populistische Gruppierungen (und Parteien) ohne Widerhall; ein «Wahlsieg» der AfD (Alternative für Deutschland) undenkbar, ein «Front National» in Frankreich ohne Bedeutung, «Pegida» ohne Massenaufmarsch, selbst die SVP (die sich ja so «staatstragend» gibt) könnte nicht so viele Angstbürger um sich scharen. Nur das Vergessen macht es möglich. Es entstammt einem alten Grundmuster (in allen Variationen): Mit einfachen Erklärungsmustern komplexe Lebensprobleme lösen, die Schuld immer andern zuschieben, andere Menschen als ungleich wertig ansehen und sich daraus das Recht ableiten, ihnen die Menschenrechte abzusprechen. Historisches Vergessen ist – trotz überholter Begrifflichkeit - eine «Todsünde» oder – wie die Geschichte zeigt - tödlich.  (034)

05. März 2016

 

In eigener Sache:

 

Wie Verlierer zu Helden werden

 

Ohne rhetorische Grundausbildung geht längst nichts mehr, weder in der Bildung, noch in der Wirtschaft und schon gar nicht in der Politik. Die Abstimmung über die «Ausschaffungsinitiative» und ihre begleitende Rhetorik lieferte wieder einmal besten Anschauungsunterricht. Vor allem die Verlierer bemühen in ihrem «Elend» das, was sie in Kursen als «Schnellbleiche» gelernt haben: Bedeutungsvolle Worte in attraktive Kleider zu packen, ohne verbindliche Aussage, mit wenig Inhalt. Zu den beliebtesten rhetorischen «Tricks» gehört in solchen Augenblicken die Umdeutung von Werten. Aus einer simplen Niederlage wird rasch eine «echte Chance», aus dem Verlust von Macht eine «willkommene Verschnaufpause», aus der Verweigerung der Mehrheit, der verbindliche Auftrag einer «qualifizierten Minderheit», aus den verpufften Kräften und Geldern «lohnende Investitionen», aus der Enttäuschung eine «tiefe Dankbarkeit», dass so viele Bürger an die Urnen gingen, aus Argumenten der Gegner «infame Behauptungen», aus….

Die Beispiele lassen sich beliebig vermehren. Für einmal habe ich – wie einst in meinem Beruf als Ausbildner – die Voten von den Hauptakteuren Brunner, Köppel, Blocher und Co. nach der Abstimmung genauer angeschaut und analysiert: eine Lawine rhetorischer Tricks rollt auf uns zu. Dabei machen sie sich selber zu «sich für das Volk aufopfernde Helden».  (033)

04. Februar 2016

 

In eigener Sache:

 

Unwertes Haus

 

Alles auf unserer Erde ist irgendwann einmal zu Ende ist, daran müssen wir uns gewöhnen – spätestens im Moment des eigenen Todes. Vergänglichkeit! Das schwermütige Lied mag daran erinnern: „Die alten Strassen noch...die alten Häuser noch...die alten Freunde aber sind nicht mehr...“. Inzwischen sind auch die alten Strassen und die alten Häuser nicht mehr. Was nicht denkmalgeschützt ist, muss rasch einmal weichen: Unpraktisch, unrentabel, unhygienisch, unmodern, unzeitgemäss… Massstab dafür sind (immer ausschliesslicher) Wertvorstellungen, wie Preis, Rendite, Gewinn, Prestige. Das Holzhaus auf der (unrentablen) „grünen“ Wiese steht seit 300 Jahren (fast unverändert), das Nachbarhaus aus den Vierzigern (aus Backstein und Zement, sogar isoliert) hat kaum fünfzig Jahre überlebt. Es steht am falschen Ort. Dort wo sich Millionen erwirtschaften lassen. Und alle profitieren: das Baugewerbe, die Gemeinde (Steuereinnahmen), die Wohnungssuchenden (endlich eine Wohnung), die Umwelt (modernste Technik – energiesparend), das Prestige (Wohnen mit mehr Natur – Balkon - und Aussicht auf Berge). Daran haben wir uns längst gewöhnt. Doch wenn die Bagger aufkreuzen und mit brachialer Gewalt zerstören, was gestern noch gut, ein Zuhause, ein gepflegter und geliebter Lebensraum war, dann wird die Brutalität der „neuen Wertvorstellungen“ brutal deutlich sichtbar. Dann wird zerstört und zermalmt, weggeschafft und restverwertet, was nicht mehr „genügend wertvoll“ ist. Es ist nicht die Vergänglichkeit, die nachdenklich stimmt, sondern die Gewalt und die Brutalität mit der Vergänglichkeit herbeigeführt wird. Vom unwerten Haus zum unwerten Leben ist ein verdammt kleiner Schritt.  In drei Wochen wird wieder darüber abgestimmt.  (032)

28. Januar 2016

 

In eigener Sache:

 

Sieben, eine magische Zahl 

 

Der  Spam-Filter hat die Meldung durchgelassen, ich habe sie sogleich gelöscht. Wahrscheinlich wollte ich – unbewusst - nicht wahrhaben, dass ich schon seit sieben Jahren auf Facebook bin. Dazu hat mir jetzt Facbook gratuliert. Erst jetzt – ein paar Wochen später – wurde mir so richtig bewusst: Es war damals mein Einstieg in die sozialen Netzwerke. Natürlich war ich schon lange zuvor im Internet unterwegs: per eMail, in Foren, bei Google, auf Websites. Die Fastfood-Kommunikation, das Schnell- und Kurzfutter  von Sozial Media liegt mir eigentlich nicht, dachte ich. Unter dem Begriff „Freunde“ verstehe ich noch immer etwas anderes und vieles kam mir fremd und seltsam vor. Zum Beispiel „teilen“  - mitteilen, verteilen, einteilen… Inzwischen gehört dies alles – und noch einiges mehr -  zum Alltag, zum Facebook-Twitter-Google-Instagram-Linkedit-Pinterest-Alltag. Und es sind neue Social Media dazu gekommen und immer raffiniertere technische Mittel: die Apps, Share Buttons, Blogrolls… Jede, auch noch so kleine Firma verkündet stolz: „Wir sind jetzt auch auf Facebook“. Es scheint, als ob der Alltag nicht mehr funktionieren würde, ohne „Buttons“, „Likes per seconds“, „Hyperlinks“. Mein siebenter Facebook-Geburtstag könnte Anlass sein, zum Anhalten, zum Nachdenken. Sieben ist eine magische Zahl - in vielen Kulturen: „Da ist die Rede von den sieben Weltwundern, eine Woche hat sieben Tage, Verliebte schweben im siebten Himmel, und wenn man dem Sprichwort glaubt, hat eine Katze sieben Leben. James Bond heißt nicht 006 oder 009, sondern 007. Und Joanne Rowling hat ihre Harry-Potter-Serie genau mit dem siebten Band beendet. Das kann doch kein Zufall sein!“ So, wie es kein Zufall ist, dass ich sieben Jahre Social Media überstanden haben. Und noch immer zu meiner Website mit längeren Beiträgen und vielen Bildern stehe. (031)

16. Januar 2016

 

In eigener Sache:

 

Geiler Stoff

 

Die weitaus häufigste Eigenschaft – als Kurzformel – zur Beschreibung eines Weins in den Social Media heisst „geil“. Es sind nicht Banausen, die einem eindrücklichen Wein dieses Wort so oft und gern zuteilen; es sind Weinkenner und –freaks, die finden, es sei ein „geiler Stoff!“ Ich zucke jedes Mal zusammen, wenn ich dies lese oder höre. Vielleicht ist es nur ein Generationenproblem. Ich vermute aber es ist etwas anderes, denn wer über Wein redet (und im Internet schreibt) gehört nicht mehr zur „Generation Geil“. Es sind gestandene Männer und Frauen, die sich das Hobby „Wein“ erlauben und sogar darüber schreiben. Es müssen andere Gründe sein. Vielleicht die Angst, in Weinkreisen nicht mehr ernst genommen zu werden, wenn man den umgangssprachlich geläufigeren Begriff „lecker“ verwendet. Im Gegensatz zu „geil“ ist lecker in Weinkreisen nämlich verpönt. Ein Banause ist, wer einen Wein „lecker“ findet, aber „geil“, das ist „in“ und darf in der Weinsprache sein. Für meine Generation hat „geil“ mit Sexualität zu tun, mit Trieb, Triebhaftigkeit, auch mit Verruchtheit. Im Slang der Jugend kommen Begriffe wie „geil“, affengeil“ aber auch  „mega“, „cool“ geradezu inflationär vor. Sie haben meist auch eine andere Bedeutung, einen anderen sprachlichen Hintergrund. Doch wenn sich Weinliebhaber bei der Jugendsprache bedienen, ist dies ganz einfach nur beschränkt: sprachlich, sensorisch, kommunikativ. Es ist – um in der Szene zu bleiben – schlicht und enfach „affrös“!  (030)

09. Januar 2016

 

In eigener Sache:

 

Gefährliche Bäume

 

Irgendwann – es war schon in der Primarschule – hat man mir beigebracht: Bäume seien die Lungen der Natur. Und die Förster, welche diese Lungen hegen und pflegen, seien ihre „Krankenmänner“ (Schwestern gab es in diesem Bereich damals noch kaum!) Das glaubte ich, bis eines Tages die wunderschönen alten Bäume vor dem Bahnhof unserer Kleinstadt – ratzebutz – gefällt wurden (mitsamt einer grünen Pergola, ein paar Schritte weit entfernt, am See). Sie mussten dem Verkehr und dem neuen Betondenken weichen. Ich habe mich damals schrecklich aufgeregt – zum ersten Mal in dieser Sache. Am meisten aber brachte mich die Begründung der Politiker und des Försters in Rage: „Gefährdung der Menschen, des Verkehrs, nicht Standort gerecht, krankheitsanfällig… „ Man hat – um die Bevölkerung zu beruhigen – kleiner Bäumchen hingesetzt und die sind längst verschwunden. Heute, fast fünfzig Jahre später, sind andere Politiker, andere Waldbesitzer, Förster am Werk, mit einer weit grösseren Radikalität aber den gleichen Begründungen. Nicht nur einzelne Bäume müssen verschwinden, ganze Waldstück, grüne Lungen, vor allem in der Nähe wo Menschen leben. Zwar wird irgendwo wieder aufgeforstet – aufgrund des Gesetzes – aber dort, wo sie möglichst nicht stören, weder den Verkehr, die Aussicht, noch die Waldbesitzer (in ihrer Angst vor Pflegekosten). Bäume, Wald als unwertes Leben? Nicht mehr Holzfäller treten auf den Plan. Ein Maschinenpark erledigt die Arbeit, laut, gründlich und radikal. Förster, Politiker und Waldbesitzer machen Sicherheitsaspekte Gründe geltend: “Es gab Kronenbrüche“, man wollte verhindern, „dass Fussgänger oder Reiter von runterfallenden Ästen getroffen werden.“  Wenn es nicht der Verkehr ist, dann sind es eben die Horden von Waldspaziergängern und Reitern, die gefährdet sein könnten.  (029)

31. Dezember 2015

 

In eigener Sache:

 

Welt der Zitate

 

Meine Mutter – wer erinnert sich nicht am Tag der „guten Wünsche“ auch an seine Kindheit und die erste Begegnung mit der Welt? - also, meine Mutter hat oft, viel und gern zitiert. Leider waren es immer die gleichen paar Sätze, gleichsam ihre Lebensweisheiten, die mir als moralische Imperative tüchtig auf den Wecker gingen.  Etwas davon ist aber geblieben – nicht die Zitate (die mag ich heute noch immer nicht), sondern das Hören, Zuhören, wenn andere Menschen etwas zu sagen haben, wenn sie formulieren – kurz und knapp – was sie denken, fühlen und wie sie handeln (möchten). Ja, die Welt der Zitate ist eine eigene Welt: für einen Sammler eine Fundgrube, für Hörende und Lesende eine Darstellung (der Welt), die materiell keinen Raum beansprucht, dafür umso mehr geistigen. Zitate als Sammelobjekt gab es schon immer, jetzt sind sie leichter zugänglich, gebüschelt und den Autoren zugeordnet, im Internet, aufseiten wie „gut zitiert“ oder „zitate.eu“. Es kostet kaum mehr Mühe, das hervorzukramen, was man eigentlich sagen möchte, aber andere schon – meist besser – gesagt haben. Deshalb greife ich – jetzt, wo so viele Worte und Wünsche durch die Welt fliegen – zum Zitat eines Zitatensammlers: Hans Böck, Journalist und Herausgeber von www.zitate.eu, der ausgerechnet heute - am „Tag der guten Wünsche“ - Geburtstag feiert: „Wahrheit? Werte? Worte? Wünsche? Zukunft? ICH, DU, WIR, SIE gestalten sie. Morgen. Heute. Oder noch besser: GLEICH JETZT“.

Herzlich

Peter Züllig   (028)

25. Dezember 2015

 

In eigener Sache:

 

Weihnacht 2015

 

Ein Bundesrat hat es formuliert: „Kä Luscht!“. Tatsächlich habe ich dieses Jahr keine Lust, weihnächtliche Gedanken zu formulieren. Eine militärische Übung hat mir die Lust genommen. Die Parteisoldaten der SVP haben im neuen Parlament zwar erst geübt, doch ihren Treueschwur zur Partei abgelegt. Es ging „nur“ um Motionen zur schweizerischen Flüchtlingspolitik, ohne verbindliche Entscheide, ohne finanzielle oder gesetzliche Konsequenzen. Es ging nur um das Prinzip Flüchtlingspolitik. Nein, nein, nein haben sie gesagt, ohne eine einzige Gegenstimme. Einheitsfront! Und wie immer keine Alternative präsentiert, nur immer wieder: nein, nein, nein…

Ich habe wirklich keine „Luscht“ dieses Schmierentheater anzusehen. Es zur Kenntnis nehmen, das muss ich. Die erschreckende Realität einer Schar (mitunter schlecht erzogener Parteisoldaten), die das eigene Denken delegieren. Fraktionszwang nennt sich das. Es schadet dem Land weit mehr als die fanatisch bekämpften „linken Utopien“.

Nein, nein, nein – Angst, Angst, Angst – Chaos, Chaos, Chaos, so die Denkmuster, die Einzug halten, auch in der Schweiz. Als Sammlerfreak habe ich auch dieses Jahr gesammelt: auch Zitate.

„Behalte Deine Ängste für Dich, aber teile Deinen Mut mit anderen.“ (Robert Louis Balfour Stevenson, Autor von „Die Schatzinsel“)

„Kä Luscht!“ (Ueli Maurer, Bundesrat)

 „Die höchste Form der Kommunikation ist der Dialog.“ (Prof. August Everding, einst Generalintendant der Bayerischen Staatstheaters)

„Kä Luscht!“ (Ueli Maurer, Bundesrat)

 „Das Agitieren mit Halbwahrheiten wird immer mehr zur Methode.“ (Dr. Hermann Josef Abs, Bankier)

„Kä Luscht!“ (Ueli Maurer, Bundesrat)

Weniger Angst, mehr Dialog, weniger Halbwahrheiten wünsche ich mir im kommenden Jahr. Und vor allem mehr Lust. Und: lustvolle Weihnachten.  (027)

15. Dezember 2015

 

In eigener Sache:

 

Vernichtet Neophyten

 

Nicht alle Früchte sind geniessbar: es gibt auch schlechte, ungeniessbare, faule, verdorbene… Die faulen Früchte haben zudem ein riesiges Ansteckungspotential. Eine einzige faule Kartoffel hat im Nu einen ganzen Sack infiziert. Da hat eine Partei seit Jahren gesät: Misstrauen, Vorurteile, Ausgrenzung, Eigennutz. Lautstark und plakativ, reisserisch und selbstgerecht, aber auch schwammig und verschwommen. Verderbliches Saatgut, sozusagen! Die Früchte werden jetzt geerntet, doch sie sind faul und stinkig, unappetitlich, und mit hohem Ansteckungspotential. Da erzählt eine Frau, die zufällig im Restaurant an unserem Tisch sitzt, was ihr soeben passiert ist. Sie hat unabsichtlich mit ihrem Einkaufswagen einer anderen Kundin den Weg versperrt. Als sie sich höflich entschuldigte, wurde sie angepflaumt: „Natürlich Ausländerin, immer dieses rücksichtslose Pack…!“ Die Frau ist Schweizerin, ihre Familie wohnt – seit Generationen – im Tessin. Sie spricht bestes Deutsch, mit Tessiner-Akzent: Ausländerin! Pfui! Dies also ist die Frucht einer Saat, vor der die Säenden genau wissen und wussten, wie verdorben sie ist; dass sie nur faule Früchte bringen kann. Doch wenn die verdorbenen Früchte einmal reif sind, dann will niemand mehr die Verantwortung tragen. Schützt die Heimat, vernichtet Neophyten!  (026)

05. Dezember 2015

 

In eigener Sache:

 

"Um unsere Welt steht es nicht gut“

 

Luftverschmutzung, Klimawandel, Flüchtlingsströme, Attentate, Krieg, Terror… In Paris sitzen die Vertreter von mehr als 150 Ländern zusammen, um das Klima zu retten. Frankreich ruft den Notstand aus. Die Deutsche Bundeswehr zieht mit Aufklärungstornados in den Krieg. Dammbruch in Brasilien: eine Schlamm-braune Brühe zieht sich 500 Kilometer durch das Land. Eine Viertelmillion Tote seit Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien. Russland verdoppelt seine Luftangriffe in Syrien. Die Feinstaubbelastung in Peking hat das 35-Fache des Grenzwertes erreicht…
Szenenwechsel.

Ich bin auf einem kleinen Wochenmarkt in Südfrankreich. Zwar am Meer, doch es ist längst nicht mehr Saison. Also ein Markt für Einheimische und einige wenig Fremde, die hier (zum Teil) den Winter verbringen. Gemüse, Fleisch, Käse etc. zum einen, Kleider, Schuhe, Decken zum anderen. Ich kaufe mir vier Unterhosen zu 10 Euro, 2.50 das Stück. Das letzte Mal war es ein warmes Hemd für 10 Euro. Ein paar Schuhe für 15 Euro. Ich bleibe stehen: gestrickte, modische Pullover für 10 Euro. Kommentar: sie sehen nicht einmal wie 10 Euro-Kleider aus. Irgendwie wird es mir unwohl beim Anblick der Schleuderpreise. Ich weiss, ich weiss: Billiglohnländer! Da ist halt auch das Leben nicht so teuer. Ich kenne die Diskussion: da haben wenigstens Menschen ein minimales Ein- und Auskommen. Wir kaufen – weit unter dem Materialwert – damit andere überhaupt leben können. Nein, „um unsere steht es nicht gut!“   (025)

27. November 2015

 

In eigener Sache:

 

"Ich fahre nach Frankreich."

 

„Aber doch nicht nach Paris“ – „Nein, in den Süden“ – „Hast Du keine Angst?“. So oder ähnlich verlief in den letzten Tagen mancher Smalltalk, sobald ich meine Abwesenheit ankündigte. Was soll ich da sagen? Den Mutigen, den Tapferen, den Unbekümmerten herauskehren, in ängstliches Grübeln verfallen oder gar zu Hause bleiben? Die Angst ist zur fast alles beherrschenden Maxime geworden: Angst vor Flüchtlingen, Angst vor fremden Kulturen, Angst vor anderen Religionen, Angst vor „fremden Richtern“, Angst nicht mehr frei zu sein; Angst etwas zu verlieren. Was zu verlieren? Die Angst etwa? Beileibe nicht! Die Angst ist längst vom gesunden zum zerstörerischen Lebensgefühl geworden. Ständig geschürt durch raffinierte Rattenfänger oft im Scheinheilig-Look. Denn mit der Angst lässt sich gut Geschäfte zu machen, Wahlen gewinnen, Reformen verhindern, Eigeninteressen durchsetzten. Die einen schüren die Angst mit Parolen, Schlagzeilen, Schreckensbildern. Die andern mit tödlicher Gewalt, mit Mord und Terror. Resultat: Angst, Angst, Angst! Unser Leben – Zusammenleben – wird von der Angst geprägt, gelenkt, beherrscht. Wann und wo auch immer, ob es eine herbeigeredete Angst oder eine echte Bedrohung ist, es geht ums Herrschen, Beherrschen. „Tausend Ängste aber, sie können die Hoffnung nicht zerstören“. (Papst Johannes XXXIII)        (024)

17. November 2015

 

In eigener Sache:

 

Die SRG, eine verhasste Institution?

 

Das Kesseltreiben geht weiter. Angerichtet von Leuten, deren persönliche, wirtschaftliche und ideologische Interessen direkt nachzuweisen sind. Geführt mit meist undifferenzierten und pauschalen Argumenten wie: „Die Bilag-Gebühren sind viel zu hoch, sie könnten gut um die Hälfte gesenkt werden!“, vorgetragen in der Monstersendung „Hallo SRF“, von einer Dame, die das Votum gut eingeübt und sich trotzdem vor Aufregung verhaspelte hat. Vorher und nachher Fragen zur Pünktlichkeit, Tonqualität, Mundart-Hochdeutsch, Werbung, Quizshows und, und, und... Nachher das Urteil in der Medienkritik: „Langweilig, da ging es ja nur um Bagatellen“, wo es doch um das eine grosse Ziel geht: Zertrümmerung der SRG. Dem Publikum – das hat die Sendung gezeigt - geht es aber um „Bagatellen, um persönliche Vorlieben, Gewohnheiten, um Störfaktoren und Gewichtungen, um Quantität und Qualität. Vor mir liegt eine Univox-Studie, die schon vor 15 Jahren gemacht wurde: „Wer sich unterhalten lassen will, schaltet den Fernseher ein. Wer informiert sein will ebenfalls.“ An dieser Haltung hat sich wenig geändert. Geändert haben sich Verfügbarkeit, Angebote, die Loslösung von festen Zeitrastern, Präferenzen und die Möglichkeit des direkten Feedbacks. Die Einwegkommunikation ist aufgelöst, Dialoge sind jetzt möglich, vielfältig, mitunter heftig. Doch es sind noch immer die gleichen „Bagatellen“, die „am Fernsehschuh“ drücken. Doch jetzt werden sie vereinnahmt, von denen, die ein direktes wirtschaftliches Interesse haben; zusammengepfercht in einen einzigen Topf, mit dem man eine verhasste Institution zerschlagen will. All die „drückenden Schuhe“ werden wohl bei der nächsten Abstimmung – so hofft man - mit ihren kleinen Ärgern zum grossen Ziel beitragen. Eine Taktik, die so durchschaubar und widerlich ist. 
(023)

12. November 2015

 

In eigener Sache:

 

Schnäppchenjagd

 

„Manch Irrtum ist so unwiderstehlich, dass man ihn heiraten muss.“ (Manfred Hinrich) Dies weiss ich und trotzdem lass ich mich ab und zu verführen. Da steht im Prospekt von „Conforama“, dem Einkaufsparadies „zu unschlagbaren Preisen“:

„1 Tag Preis, Aktion nur 1 Tag gültig, am Donnerstag. 5. November, Tablet MPDC 99 zu 69.90 Fr. statt 249 Fr., -70%,"  Morgen ist Donnerstag und ich brauche ein neues Tablet. Also nichts wie hin, in den Paradiesgarten, rund 30 Kilometer entfernt. Ich schaffe es erst gegen Mittag, so um 11.00 Uhr. In der Elektronikabteilung herrscht reger Betrieb. Da begegne ich Menschen, die mit dem gleichen Prospekt, aufgeschlagen auf der gleichen Seite, auch umherirren. Endlich taucht ein Verkäufer auf: „Ausverkauft!“. Ich höre einen der Irrläufer fluchen: „Dies war schon kurz nach neun Uhr (Öffnungszeit des Geschäfts) so!“ Natürlich kaufe ich ein anderes Gerät – denn ich bin ja extra hergefahren. Auch als Aktion angepriesen, etwas teurer, weniger Leistung, und „nur“ 30% Rabatt. Und weil ich gerade bei einer Verführerin bin, kaufe ich noch ein Gerät, weit teurer, für 300 Franken immerhin 40% billiger als der "imaginäre Normalpreis". Zu Hause dann erinnere ich mich wieder: Vor einiger Zeit – Aldi war gerade neu in der Schweiz – wollte ich in einer „Superaktion“ einen Computer (solange Vorrat) kaufen, etwa zum Drittel des Normalpreises. Ich stand schon Punkt neuen Uhr (der nächste Aldi war damals auch etwa 30 Kilometer entfernt) auf der Matte vor der Tür. Bis ich mich zum Verkaufsregal durchgekämpft hatte, waren sie alle weg, die billigen Computer. Seither habe ich nie mehr in einem „Aldi“ betreten. Frage: „Wann werde ich das nächste Mal im „Conforama“ sein?“ (022)

04. November 2015

 

In eigener Sache:

 

Ein Zeichen setzen


Auf facebook von einem meiner Freunde
Auf facebook von einem meiner Freunde

Ja, ich setze ein Zeichen! Nämlich: dass dies zu den primitivsten und manipulativsten politischen Agitationen gehört. Ich bin unheimlich enttäuscht, dass auf diesem Niveau auf Facebook verkehrt und argumentiert wird. Es geht nicht um das „Anderer-Meinungsein“, ob mit oder ohne Mehrheiten. Es geht um den primitivsten Anstand gegenüber Menschen, deren Schicksal wir nicht wirklich kennen; weder das Schicksal der beiden Hungernden und Dürstenden, noch jenes der Gruppe, die vielleicht gut ernährt aussieht, aber ihre Heimat verlassen mussten, weil Bomben auf ihre Häuser fallen, weil der Reichtum des Landes (zum Beispiel Öl) von ein paar wenigen abgeschöpft – und von uns als Wohlstand – gepflegt und gehütet wird. Unsere Hilfe brauchen Menschen - und die sehen nicht so, oder so aus, - die unsere Hilfe dringend brauchen. Betrüger gibt es überall, vermutlich bei uns weit mehr, als bei jenen, die ihr Haus, ihre Arbeitsstätte, ihr Land, ihre Kultur verlassen (müssen), weil andere mit Krieg und Macht entscheiden, wer gut und bös ist, wer bleiben darf und wer gehen muss. Nicht freiwillig, aus Not, seelischer, körperlicher, ideologischer, materieller. Das mitleiderregende Bild übrigens, ist ein weltbekanntes Kultbild, mit dem der Fotograf viel Geld verdient hat, während „seine Opfer“ weiter hungern. Wer meint, man sehe im Bild die Not, der ist entweder strohdumm oder noch nicht angekommen, in der Welt – in der wir leben! Weit schlimmer: wer damit Agitation betreibt, der hat viel seiner eigenen menschlichen Würde verloren.  (021)

23. Oktober 2015

 

In eigener Sache:

 

Schlagzeilen im Kopf!

 

In den Wiesen auf dem Weg nach Winterthur ist mir ein Plakat immer wieder begegnet: „Jetzt handeln: Kein Asylchaos à la Deutschland! Hans-Ueli Vogt in den Ständerat“, verziert mit einem roten Schweif mit weissem Kreuz. Zuerst habe ich es gar nicht beachtet, denn es ist Wahlkampfzeit, schon seit Wochen, ja Monaten… und es geht weiter… bis zum 22. November (im Kanton Zürich)… Namen und Schlagworte, in die Welt hinaus posaunt… lest, lest, hört, hört, wählt, wählt, mich, mich, mich! Die Botschaft ist an mir vorbeigerauscht, vorbeigerauscht, vorbeigerauscht…
Irgendwann habe ich dann doch ein paar Gedanken angestellt. Ich kam ins Sinnieren: Was hat ein Ständerat mit einem Asylchaos zu tun? Gibt es in Deutschland überhaupt ein Asylchaos? Bemüht man sich nicht vielmehr dort, eine menschliche Tragödie menschlich zu meistern? Was muss, soll und kann ein Ständerat tun, der für die Wahrung der Interessen eines Kantons nach Bern geschickt wird? Sich Gedanken machen über ein mögliches, gar nicht vorhandenes Chaos?...
Ich überlege mir weiter ganz nüchtern: Hans-Ueli Vogt ist Rechtsprofessor, ein gescheiter Mann also, der wohl auch denken kann. Und er identifiziert sich mit solchen Schlagzeilen, die nichts, aber auch gar nichts sagen. Die so unsinnig sind, so hohl, leer, plakativ, höchstens Angst auslösend bei jenen, die von und mit Schlagzeilen leben. Ist dies das politische Credo eines Rechtsprofessors? Sein Profil? Sein Niveau im Denken?

Da habe ich mich ausgeklinkt aus dem Denken. Ich werde mich wieder einklinken, wenn ich zur Urne gehe! Ignoranz und politische Dummheit sind nicht wählbar.  (020)

23. Oktober 2015

 

In eigener Sache:

 

Sehnsuchtsort Quinten

 

Es gibt in der Schweiz nur noch wenige, so traumhaft schöne Orte wie Quinten am Walensee. Und doch ist es ein „vergessenes“ Dorf, das gerade noch knapp fünfzig Einwohner zählt. Besucht wird es nur von Erholungsuchenden, von Wanderern und Romantikern, denn es gibt nichts Ausserordentliches, was man in Quinten sehen und erleben könnte, ausser Natur, Zeugen der Geschichte, idyllische Ecken und gepflegte Orte um zu Essen, Trinken, ja sogar zum Schlafen. Ein Einheimischer sagt mir, dass gar mancher interessierte Mieter einer der (wenigen) Ferienwohnungen zurückschreckt: „Was, nicht mit dem Auto zu erreichen, nicht einmal mit der Bahn! Nein Danke!“ Es gibt kein Lebensmittelgeschäft im kleinen Dorf, keinen Laden (ausser für Souvenirs). Quinten ist einer der wenigen Sehnsuchtsorte, der wohl immer ein Sehnsuchtsort bleiben wird, weil er – nach heutigem Massstab – so mühsam zu erreichen ist. Mühsamer als die Karibik, die Riviera oder Hawaii. Eben nur zu Fuss oder mit dem Schiff. Und weil auf der kleinen Landzunge - am Fusse der steilen Felswände - eine Erschliessung kaum möglich ist oder zumindest nicht rentabel.  (019)

Bildspaziergang zu Quinten

19. Oktober 2015

 

In eigener Sache:

 

Entscheidung für die Angst

 

Knapp die Hälfte der Schweizer Stimmbürger hat entschieden. Ich habe schlecht geschlafen, sehr schlecht. Nicht weil ich anders entschieden hätte; nicht weil die Entscheidung mich unmittelbar betrifft, mich gar einschränkt; nicht weil ich Niederlagen nicht verkraften kann (drin habe ich nach all den überlebten Abstimmungen Übung); nicht weil ich mir nicht vorstellen kann, dass Andere vieles ganz anders machen, als ich es gemacht hätte; sondern weil ich mir eine andere Schweiz wünschte. Eine Schweiz, in der nicht die Angst (wie ein Buschgespenst) umgeht. Die Angst vor dem Fremden, dem Andern; die Angst, etwas von unserem Wohlstand zu verlieren; die Angst, nicht mehr frei entscheiden zu können, nicht mehr frei zu sein. Diese Angst – die sich im Wahlresultat ausdrückt – hat mich schlecht schlafen lassen. Ich habe keine Angst, nicht vor anderen Meinungen, nicht vor anderen Entscheidungen. Ich bin nur aufgeregt, wütend, empört, weil – kaum ist die Entscheidung gefallen – in aller Öffentlichkeit ein Aussortieren von richtig und falsch, von Gut und Bös, von Akzeptanz und Ablehnung beginnt, von Dürfen und Nicht-Dürfen „Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen“. Die Guten, das sind Dinge und Menschen, welche wir brauchen, weil die Schweiz es ohne sie nicht mehr machen kann. Die Schlechten, das sind die Schmarotzer, das sind „fremde Vögte“, das sind Menschen, die anders leben (müssen), die anders denken. Angst ist keine Lebensphilosophie, ist kein Mittel für politische Entscheidungen. Es ist das wohlfeilste und korrupteste Mittel zur Ausübung von Macht. Deshalb schlafe ich nicht mehr gut! 
(018)

12. Oktober 2015

 

In eigener Sache:

 

Mir langets!

 

Sie sind bald vorüber, die "Flatterwochen" am Briefkasten vor den Wahlen. Es gibt Tage, an denen ich wutentbrannt ein Flugblatt in kleine Stücke zerreisse, sobald ich das Signet einer "armen reichen" Parteien sehe, noch bevor ich es ins Haus getragen habe. Es gibt Tage, an denen ich gnädiger gestimmt bin. Dann kommen die fliegenden Blätter, Broschürchen, Slogan-Sammlungen bis zum Küchentisch. Ich werfe einen Blick darauf, zu lesen brauche ich nicht, ich kenne die hohlen Sprüche und Versprechungen. Jetzt im "Schlussspurt" sind sie besonders dreist. Man erklärt mir, dass ich, und wie ich abstimmen soll, und indirekt (das Signet der Partei und die Farbe sind unübersehbar) welche Partei ich zu wählen habe. Nach den Wahlen sind es die gleichen wacker lächelnden Politiker - mehrheitlich zieren Männer die Flugblätter und Plakate auf den grünen Wiesen -  und sprechen dann wieder vom "mündigen Bürger". Dieser "mündige Bürger" ist mündig geworden und sagt: "Mir langets!". Am Mittwoch wird auf der Titelseite der Pendlerzeitung "20 Minuten" ein (Ausrufe)Zeichen gesetzt, mit all den Namen jener 12’278 Menschen, die ihre Unterschrift und Geld (meist 5 Franken) gegeben haben, für diese Manifestation "gegen einen inhaltslosen und intransparenten Schweizer Wahlkampf". Wer eine Lupe nimmt, wird auch meinen Namen unter den 12'278 Namen finden. Mir langets!  (017)

Die Pendlerzeitung "20 Minuten" mit der Aktion "Mir langets!" hier herunterzuladen
Da Zeitungskasten mit der Pendlerzeitung am Aktionstag meist schnell leer waren, ist hier die Ausgabe (mit den ersten beiden Aktionsseiten) als PDF herunterzuladen.
ZH_20151014.pdf
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20. September 2015

 

In eigener Sache:

 

Öffentliche Gespräche

 

Andreas Bürgel, Musiker, Weinliebhaber, Kolumnist (seine Kolumnen habe ich hier ein gutes halbes Jahr lang veröffentlicht) bringt es auf den Punkt: „"Mein Goooot!", kreischt das Mädchen vom Balkon gegenüber in ihr Handy. "Echt, du hast ihn abgeschleppt. Ich will alles darüber wissen!"
Ich eigentlich nicht, aber mir bleibt wohl nichts anderes übrig. Nenn mich eine atavistische Trübträne, aber ich vermisse die Zeit, in der ein Telefonat zwei Leute betraf.
Nur zwei Leute.“
Sind wir Sklaven der Handys geworden? Da sitze ich im Zug. Im Abteil neben mir haben vier Leute Platz genommen, jüngere und ältere. Kaum gesessen: Schwupp! Jeder und jede hat ein Handy oder Smartphone in der Hand. Sie stieren auf das Display, rasen mit dem Daumen hin und her. Der erste beginnt zu reden, Lautstärke 80 db: „Hallo, ich bin im Zug….“ Ich auch! Eine Unterhaltung ist nicht mehr möglich, denn schon schreit im nächsten Abteil eine schneidend scharfe Stimme: Ja ću biti u četvrt sata poslije kući. Je li lijepo u gradu ... Oder so ähnlich. Gott sei Dank, ich muss aussteigen, kann dem Stimmenwirrwarr entfliehen. In der Unterführung aber holt mich die kreischende Stimme ein. Sie spricht immer noch, in der gleichen Lautstärke, im gleichen Ton, begleitet mich bis zum Bus. Dann - oh Glück - trennen sich unsere Wege. Doch es macht sich schon das nächste Händy bemerkbar. „Wonderful world“. Louis Amstrong lässt grüssen! Das Private ist längst öffentlich geworden - und das Öffentliche privat.  (016)

28. September 2015

 

In eigener Sache:

 

„Wer Angst sät, will Macht ausüben“

 

Das Zitat ist mir in die Augen gestochen, jetzt, wo der Wahlkampf im der Schweiz seinem Höhepunkt zutreibt. Umso näher die „Entscheidung“, desto tiefer wird auch in die rhetorische Trickkiste gegriffen. Es braucht keine teuren Wahlplakate mit schwarzen Schafen mehr, die Flüchtlingsströme sind unübersehbar und erst noch real. Die Angst zieht mit! Die Wahlen in Oberösterreich („Daham statt Islam“ oder "Mehr Mut für unser 'Wiener Blut' - Zu viel Fremdes tut niemandem gut") haben es am Wochenende deutlich gemacht: Mit Angst gewinnt man Macht. Oberösterreichischen Angstmacher der FPÖ haben tüchtig zugelegt; 15,1 Prozent mehr Stimmen, doppelt so viele Sitze im Landtag (9 + 9 =18) wie zuvor. Das Rezept, eine einfache Analyse, die Angst: „Die Stimmung im Land ist schlecht, nicht zuletzt wegen des anhaltenden Flüchtlingszustromes, der Finanzkrise in Griechenland“. Das probate Mittel: Temporäre Grenzkontrollen, Aufstockung der Polizei, Abrechnung mit der Bundes- und EU-Politik (die sozusagen an allem Schuld ist)…

Das kennen wir doch alles. Wer den Wahlkampf verfolgt findet schrecklich viele Parallelen. Die SVP-Saat ist längst ausgeworfen. Die Pflänzchen – es sind mittlerweile schon Pflanzen – wuchern. Die Angst wächst mit. Genau zur richtigen Zeit, am richtigen Ort lässt sich SVP-Bundesrat zitieren: „Die Gefahr für die Schweiz hat sich erhöht“ und spricht über unkontrollierte Flüchtlingsströme, Terrorismus, den Ost-West-Konflikt – und wie die Schweiz davon betroffen ist. Probates Mittel (diesmal vom FDP Präsidenten): „Wir müssen unsere Grenzen kontrollieren“ und er fordert bis zu 300 zusätzliche Grenzwächter…

Tatsächlich müssen wir „unsere Grenzen“ kontrollieren, nicht die Landesgrenzen, vielmehr die Denkgrenzen, das heisst unsere „Begrenztheit im Denken“. Dafür braucht es keine Polizisten und Grenzwächter, auch keine Wahlslogans. Es genügt einmal gründlich nachzudenken, wann, wo, wie und von wem Angst geschürt wird.

Vor allem auch: warum?  (015)

06. September 2015

 

In eigener Sache:

 

Gedanken einer Karteileiche

 

Vieles von dem, was Unternehmensberater verkünden, ist längst in moderne Betriebe eingeflossen: Struktur, Effizienz, Optimierung, Kernkompetenz und wie all die erfolgversprechenden Massnahmen heissen. Das weiss auch der Kleinunternehmer, der Detaillist vor Ort, sogar der Laden um die Ecke und der Handwerker im Dorf. Früher nannte man Kundennähe, Freundlichkeit, Dienstigkeit, Flexibilität etc. Heute nennt man es „Management der Kunden“. Zum Beispiel beim Optiker in unserer Kleinstadt. Aus dem kleinen "dienstigen" Handwerksbetrieb ist ein stattliches Geschäft geworden, schon in der dritten oder vierten Generation. Verkauf und Beratung für Kunden aller Art, einfachen und anspruchsvollen, modebewussten und jenen, die einfach nur besser sehen wollen. Da kaufte ich einst meine erste Brille. Warum gerade hier? Weil ich den Geschäftsgründer kannte, weil Familienmitgliedern mit mir zur Schule gingen, kurzum weil mir das Kleinunternehmen vertraut war. Diese Vertrautheit wurde – schon vor Computerzeiten – vom Geschäft mit einer Karte zum Geburtstag unterstrichen, Jahr für Jahr. Ich wusste natürlich von Anfang an: Dies ist nichts Persönliches, eine Werbemassnahme, eine sympathische erst noch.

Inzwischen – im Zeitalter des Computers – sind diese scheinbar persönlichen Wünsche zum Standard im „Kundenmanagement“ geworden, selbst bei Grossunternehmen. Doch für mich gab es nie einen Zweifel: Die nächste Brille kaufe ich wieder in gleichen Geschäft, sozusagen – ohne dass mir dies bewusst war– als Gegenleistung für Aufmerksamkeit und Freundlichkeit. Es ergab sich aber, dass ich während vielen Jahren keine Brille mehr trug. Die Geburtstagswünsche kamen aber weiterhin, Jahr für Jahr. Dann aber blieben eines Jahres aus. Vorerst bemerkte ich es gar nicht. Inzwischen war es aber so weit, dass ich wieder eine Brille tragen musste. Diagnose: weit- und kurzsichtig, also eine ordentlich teure Brille. Da erst registrierte – was ich natürlich schon immer wusste – dass die gedruckten standardisierten Geburtstagsblümchen nur Geschäfts-fördernde Massnahmen waren, Kundenmanagement nach strikten Regeln: Karteiauswertung während fünf oder zehn Jahren, dann Rauswurf, Degradierung zur Person „Unbekannt“. Für meine neue Brille ging ich zu einem andern Optiker. Mit der Leistung bin ich zufrieden, auch wenn ich von ihm fortan wohl keine Geburtstagswünsche erhalte. Vielleicht Prospekte oder elektronische Post, aber nicht verpackt in das falsche Kleid von Freundlichkeit, Anteilnahme und Kundennähe. Einfach nur Werbung, die ich – ohne schlechtes Gewissen - entsorgen kann. Da überlegte ich mir, was eine Geburtstagsaufmerksamkeit das Unternehmen kostet: Massendruck, Porto, Verpackung maximal drei Franken. Während zehn Jahren sind dies dreissig Franken, während zwanzig Jahren sechzig Franken. Im Vergleich zum üblichen Werbeaufwand: billig, gut angelegtes Geld. Soweit führt das Regelbuch „Kundenmanagements“ aber nicht. Es kann sich auch nicht ausmalen, dass Karteileichen – wenn sie als solche gestempelt werden – nie mehr etwas kaufen, jedenfalls nicht dort, wo sie – obwohl noch quicklebendig – frühzeitig zu Leichen gemacht wurden.  (014)

29. August 2015

 

In eigener Sache:

 

Wenn alle Brillen tragen

 

Die Situation erinnert mich an Dürrenmatts Tragikomödie „Der Besuch der alten Dame“.  Alle tragen – nicht gelbe Schuhe, nein Brillen, die Verkäufer und Verkäuferinnen, die Angestellten (auch jene an der Kasse) und die Kunden. Eigentlich ist dies keine Überraschung, denn ich stehe in einem Optikergeschäft - um eine neue Brille zu kaufen. Das tun alle anderen Kunden auch. Es geht zu und her wie in einem Bienenhaus, ein Kommen und Gehen, Probieren und in den Spiegel-Schauen. Die Wände voll Brillen, nur Brillen. Allmählich dämmert es mir, gibt es denn da nur Brillenträger? Unter den Kunden sind es fast alle. Unter den Verkäufern aber wirklich alle. Wirklich alle? Ich schaue mich verstohlen um: nur Brillenträgerinnen und Brillenträger, ausgestattet mit Top-Modellen, top ausgewählt für das entsprechende Gesicht. Die Frage in mir wird immer penetranter: Kann man nur als Brillenträger Brillenverkäufer sein? Ich erinnere mich irgendwo gelesen zu haben, dass rund 60 Prozent der Bevölkerung kurz oder weitsichtig ist. Zählt man die Kontaktlinsen-Träger ab (die ja keine Brille tragen) und berücksichtigt, dass die Verkäuferinnen und Verkäufer eher jung sind, dann müssten – von etwa 12 Angestellten – mindestens vier oder fünf ohne Brille sein. Jedenfalls statistisch gesehen. Es wird mir langsam unheimlich: Hier sind es keine gelben Schuhe, sondern schicke Brillen. Die Situation ist nicht tragisch, schon eher komisch. Ist die wichtigste Voraussetzung für die Anstellung Brillenträger zu sein? Mein sympathischer Verkäufer liefert (ungewollt) die Antwort. Er zieht seine Brille ab, als er die Bestellung aufnimmt, die Formulare ausfüllt, Messungen vornimmt. Alles ohne Brille. Fortan vergisst er sie, lässt sie auf dem Tresen liegen und schliesst – erfolgreich – das Geschäft ab. Einheitslook! Die Brille als Corporate identity! Wenn jetzt nur nicht die alte Dame, Claire Zachanassian, auftaucht. Ich verlasse das Geschäft mit gemischten Gefühlen. (013)

23. August 2015

 

In eigener Sache:

 

Zwischen Aufbruch und Rückkehr

 

Irgendwann tauch immer die Frage auf: „Gehst Du gern wieder nach Hause?“ Reisen bedeutet nicht nur Abenteuer erleben, Erfahrungen sammeln, unbekanntem begegnen. Reisen ist auch Flucht: Ausbruch aus dem Gewohnten, der Routine entrinnen, die Unkosten des Alltags schuldig bleiben. Wenigstens für kurze Zeit, solange eben eine Reise dauert. Spätestens am Vorabend der Rückkehr wird Rechenschaft verlangt .Und? Da geht da nicht um die Frage, ob es sich gelohnt hat, so quasi um eine Bilanz: Aufwand und Ertrag. Es geht vielmehr um die Rückkehr in den Alltag, zum Gewohnten, zum Bekannten. Das Unbekannte kann auch mühsam sein, ja bedrohlich. Davor schützt man sich so gern mit dem Trost: Morgen (in ein paar Tagen, in einer Woche etc.) sind wir ja wieder zuhause, da haben wir wieder (fast) alles im Griff! Reisen ist nicht nur beschwerlich, es erfordert auch Aufmerksamkeit, ein dauerndes Sich-Hineinbegeben in andere Kulturen, in andere Welten, zu anderen Menschen, zu anderen Gewohnheiten. Reisen ist dauernde Begegnung. Irgendwann hat man genug davon, die einen früher, die andern später. Niemand kann sich dem entziehen.
Wer zugibt, gern wieder zurückzukehren, wird verdächtigt, lieber Pantoffeln als Wanderschuhe zu tragen. Der Begriff Heimweh taucht auf, meist unausgesprochen. Wer behauptet, nur ungern in den Alltag zurückzukehren, der hat wohl kein schönes, kein glückliches Zuhause, der weiss nicht was Heimat ist. Vielleicht ist es doch nicht so einfach, vielleicht tun wir uns immer schwer, Abschied zu nehmen, vom Unbekannten und vom Bekannten. Es sind die gleichen Gefühle, die jede Reise begleiten, sowohl beim Aufbruch und als auch bei der Rückkehr. 
(012)

15. August 2015

 

In eigener Sache:

 

„Zum Tanzen brauche ich den Rollstuhl nicht“

 

Ein Schiff unterwegs auf der Donau, seit sieben Tagen. Menschen auf Reisen, vorwiegend ältere Menschen, die zum Teil „nicht mehr gut zu Fuss sind“. Das Programm: Welt entdecken: Landschaften, Städte, Geschichte, Menschen, Tiere, Sitten, Sprachen… Fast jeden Tag ein Ausflug aufs Land, gut organisiert und geführt, doch - bei mehr als dreissig Grad - anstrengend, nicht selten bis (fast) ans Ende der Kräfte, für alle, nicht nur für die Älteren und Gebrechlicheren, für die, die sich noch gut oder weniger gut bewegen. Am Abend dann Programm, Unterhaltung, auf dem nächtlichen Sonnendeck oder im „Salon“. Viele ziehen sich zurück in ihre Kabine, andere sind noch dabei, mit und ohne Partner, aktiv und passiv. Ein Pianist spielt „schöne Melodien“ und zum Tanz auf. Wer Lust hat bewegt sich im Takt, graziös und gekonnt, aber auch mal tapsig und aus der Übung geraten. Dann – alle die sitzen gebliebene sind, sich unterhalten und vergnügt zuschauen – verstummen: Ein älterer Herr, der sich zuvor nur mühsam mithilfe seiner Frau und einem Stock zittrig in einen Sessel „gekämpft“ hat, wird von seiner Frau zum Tanz gebeten. Er legt am Rand der Tanzfläche den Stock ab und dreht sich im Tanz. Als die beiden an ihren Platz zurückkehren, rundum anerkennendes Nicken und verhaltenes Klatschen. Sein trockener Kommentar: „Zum Tanzen brauche ich den Rollstuhl nicht!“

Eine beschwingte Lektion, was Leben ist und sein kann.  (011)

16. Juli 2015

 

In eigener Sache


Die Fahne (The Flag)

 

Da überlegt man sich, - als Journalist und Betreiber einer Website - wie man auf Feier- und Festtage reagieren soll. Gar nicht? Negieren? Alltag? As usual? Oft hilft ein Bild: "ohne Worte". Ab und zu kratzt man sich eigene Gedanken zusammen und schreibt, was man schon x-mal geschrieben hat, wenn es gut geht neu formuliert, wenn nicht, dann merkt dies ohnehin niemand. Es ist ja nur einemal im Jahr 1. August, Weihnacht, Pfingsten oder.... Da ist man sogar versucht - jedenfalls geht es mir so -, die Predigt-Rhetorik zu bemühen, die man sonst verabscheut: "Als ich kürzlich in einem Jugend-, Alters- oder Krankenheim eine Begegnung hatte, da..." Es folgt meist ein erbärmlicher Rest pseudophilosophischer Betrachtung. Diesmal hat mich ein Kollege von früher "gerettet", Er ist ein belesener Mensch, einst Dokumentarist ind Bibliothekar am Fernsehen. Längst treffe ich ihn nicht mehr im Büro - nur noch ab und zu auf Facebook. Da hat er heute Ernst Jandls "The Flag" ausgegraben". Danke, Romain, für den Hinweis und die Erinnerungshilfe!

 

a fleck
on the flag
let’s putzen


a riss
in the flag
let’s nähen
where’s the nadel

now
that’s getan
let’s throw it
werfen

 

into a dreck

that‘s


a zweck


Mit Ernst Jandl für einen Ersten August ohne Hurra-Patrioten und Fahnenfetischisten.
Herute wäre übrigens Jandls Geburtstag (1. August 1925)  (010)

16. Juli 2015

 

In eigener Sache

 

Anstatt Gastfreundschaft:

Reglemente, Kassen und Schranken

 

Lokalmeldung in Zürich: „5 Franken für die Liegewiese. Was bisher gratis war, kostet neu.“ Die Umstände sind etwas kompliziert, der Pächter des Areals windet sich, die Benützer sind empört. Fast 1‘000 Kilometer weiter südlich: Am langen Strand des Badeorts Cap d’Agde: Da wurden einst bei allen Zugängen Gratis-Parkplätze angelegt. Man wollte die Quartiere von wild abgestellten Autos entlasten und einen geordneten Badebetrieb ermöglichen. Jetzt aber: „2 Euro, für den Parkplatz bei einem kurze Badevergnügen“. Was bisher gratis war, kostet neu.“ Die Benützer sind empört, in Zürich wie am Mittelmeer.

Es sind nicht die fünf Franken oder die zwei Euro, welche Empörung auslösen. Es ist die Art, wie mit allem – auch mit öffentlichem Gut – Geld gemacht wird. Cap d’Agde, ein Touristen- und Ferienort melkt seine Gäste, Jahr für Jahr mehr. Als die „Sparer“ und Ordnungsverkünder die politische Macht übernahmen (zu Sarkozys Zeiten) wurde zuallererst das Budget für die weltweit beachteten Kunstausstellungen im örtlichen Museum gestrichen. Seither übt sich der berühmte griechische Torso Ephèbe in den Ausstellungshallen in Langeweile. Dann kam die Parole Sicherheit:
nicht dass die Stadt für mehr Sicherheit sorgte. Im Gegenteil: Jedes Gebäude wurde eingezäunt, bisherige „Trampelpfade“ unbegehbar, der Weg am Quai stellenweise so schmal, dass sich Kinderwagen durchzwängen müssen. Dann wurde die Fussgänger Hauptverkehrsader nachts ganz gekappt. Begründung: die Sicherheit der Boote an den neu errichteten Stegen. Sogar der Platz der Jouteurs (traditioneller Kampfsport mit geschmückten Booten) wurde mit Anlegestegen (die zu mieten sind) übersät. Dafür sorgt man jetzt für Sauberkeit. Am Morgen früh (ab 6 Uhr) zirkulieren die Reinigungsmaschinen und Laubbläser mit ohrenbetäubendem Lärm durch die Strassen und prügeln mit ihrer Reinlichkeit die Feriengäste aus den Betten. Alles wird dem Motto unterstellt: Geld, Ertrag, Rendite möglichst eingefordert von den „lieben Gästen“.

Es geht nicht um die fünf oder zwei Franken oder Euro. Die gibt man in den Ferien leicht auch für ganz anderes aus. Es geht um den Geist – die Seele – eines Orts, der von seinen Gästen lebt. Dieser Geist – oder diese Seele – wird immer mehr erstickt, nicht nur in Zürich oder Cap d’Agde. Überall, wo an Stelle der Gastfreundschaft Reglemente, Kassen und Schranken aufgestellt werde.  (009)

02. Juli 2015

 

In eigener Sache:

Wohltat des freien Wettbewerbs

 

„Nur der freie Markt ermöglicht das friedliche gemeinsame Streben nach dem besseren Leben, ohne dem Individuum eine Vorstellung davon aufzuzwingen“. So verkündet es die Heilsbotschaft des Liberalismus. Fast hätte ich es geglaubt. Eine kleine Alltagserfahrung hat mich aus den Träumen in die Realität zurückgeholt. Da gab es in unserem Dorf – das schon längst kein Dorf mehr ist – keinen Bancomaten, dafür eine kleine Ablage „meiner“ Bank, ohne Infrastruktur und mit winzigen Öffnungszeiten. Als „meine“ Bank damit begann, eine happige „Abwicklungsgebühr“ für Geldbezüge bei Fremdbancomaten einzuführen, trug ich im „friedlichen gemeinsamen Streben nach dem besseren Leben“, den Gedanken eines Geldautomaten zu meiner „persönlichen“ Kundenbetreuerin in der Bank. Antwort: Entweder unser kleines Bank-Office oder ein Automat, zwei Angebote seien unnötig und unrentabel! Kurz darauf eröffnete auch eine Regionalbank in unserem Dorf eine Filiale mit Bankautomat. Das bequemere Leben „ohne dem Individuum eine Vorstellung davon aufzuzwingen“ brachte mich dazu, die Bank zu wechseln, dorthin wo es eine voll ausgebaute Filiale gibt, mit der Möglichkeit des Geldbezugs. Es ging nicht sehr lange (das „Dorf“ hat zwar inzwischen ein paar Hundert Einwohner mehr), da eröffnete meine frühere Bank eine voll ausgebaute Filiale mit einem Bancomaten. Und es dauerte wiederum nur eine kleine Weile, da begannen sich die dörflichen Bankereignisse zu überstürzen. Die Post richtete einen Postomaten ein. Dies liess sich meine frühere Bank  nicht gefallen! Postwendend stellte sie am Bahnhof einen weiteren Geldautomaten auf. Resultat: Jetzt habe ich – im Umkreis von 300 Metern – zwei Bankfilialen und vier Geldautomaten. Die Kosten für diesen Luxus (und ihren Unterhalt) werden unter „freier Marktwirtschaft“ abgebucht und vom Kunden bezahlt, immer „im Streben nach einem besseren Leben“. (008)

21. Juni 2015

 

In eigener Sache:

 

Geschichten und Geschichte

Theater im Hof

 

Der Hof ist in diesem Fall die Kulisse, das Ritterhaus das Thema, das Spiel ein Vergnügen. Zwar harte Arbeit für die Spieler, die keine Schauspieler sind, sondern Menschen aus der Gemeinde, der Nachbarschaft, Jung und Alt, mehr oder weniger gewohnt im Rampenlicht zu stehen. Das Publikum: interessiert an der Historie, verbunden mit der Gemeinde, den Spielenden oder einfach nur bereit, Kultur nicht nur auf Hochglanz poliert zu geniessen, sondern dort wo Kultur letztlich zu Hause ist; dort, wo gelebt und gewohnt wird. Das Laientheater ist ein Angebot, eine Tradition, die es schwer hat, weiterzuleben. Man hat Kultur längst delegiert, an die Professionals, die in hochsubventionierten Häusern ihr Können und ihre Kunst zeigen; oder an den Film, das Fernsehen, an Mammutveranstaltungen, die sich in der Regel vor einem imposanten Panorama zum Ohren- und Augenschmaus entwickeln; an Ausstellungen, wo Werke zu bewundern sind, die heute Millionenwert haben. Allein schon das Erhalten, Versammeln und Versichern von Kulturgütern kostet mitunter Millionen. Ja, Kultur gibt es noch immer, fast überall und immer leichter zugänglich, auch gelobt und gefördert. Das ist gut so. Die Gefahr aber besteht, dass sich der Kulturbegriff verselbstständigt, loslöst vom Alltag der Menschen, von ihrer Umgebung, von ihren Interessen, aber auch von ihren Träumen und ihrem Leben. Das Laientheater ist eine Möglichkeit, Kultur dorthin zu bringen, wo die Menschen zu Hause sind. Die Spieler selber werden zur Kultur, indem sie sich zu Botschaftern und Trägern von Geschichte und Geschichten machen. Geschichten, die nicht nur gut zu verstehen sind, sondern ihren Platz, ihre Wurzeln dort haben, wo das Publikum wohnt, lebt und arbeitet, doch mit einem denkbar knappen Ausgang. Die direkt Interessierten (Medienhäuser, Gewerbeverband, Populisten) ziehen nun vielleicht etwas anständigere Kleider an, doch die Kleider sind unappetitlich – voll Schlamm – geblieben. Für die Austarierung der Interessen, die sich letztlich hinter dieser Auseinandersetzung verbergen, sind die Schlammschleuderer aber nicht nur unappetitlich, auch völlig unglaubwürdig geworden.  (007)

21. Mai 2015

 

In eigener Sache:

 

Schlammschleuderer ohne Scham

 

 

Vor 51 Jahren – um Ostern 1965 – wurde mein allererster Beitrag im Schweizer Fernsehen gesendet. Es ging um den Ingmar Bergman-Film „Das Schweigen“. Ich war Werkstudent und versuchte als Journalist/Reporter im damals neuen Medium Fuss zu fassen, mit einem ordentlichen Schulsack zwar, aber ohne Kenntnisse von Fernsehmachen, einzig getrieben von der Leidenschaft für bewegte Bilder. Die Anstellung war auf Zusehen hin, der Lohn miserabel. Trotzdem ich bin beim Fernsehen geblieben – vierzig Jahre lang, bis zu meiner Pensionierung. Das Handwerk habe ich gelernt, der Lohn wurde den Funktionen angepasst: Journalist, Redaktor, Leiter eines Sendung, Ausbildner, Lehrer an der Universität. Ich habe gelernt mit der Verantwortung umzugehen, gelernt einen Auftrag zu erfüllen (festgelegt in der sich immer wieder wandelnden „Konzession“); gelernt fair zu sein, mit Menschen umzugehen, auch wenn sie vor der Kamera (vor der sogenannten „Macht der Medien“) gezittert haben oder handkehrum glaubten, irgend eine Mission erfüllen zu müssen; ich habe gelernt den Lobbying-Versuchen standzuhalten; zu unterscheiden zwischen privaten und öffentlichen Interessen, zwischen Sensation und Information, zwischen dem legitimen Bedürfnis nach Unterhaltung und Bildung.

Ja ich habe sogar gelernt, Erfolg und Misserfolg – gemessen in Marktanteilen – einzuordnen. Die Anstellung, der Lohn, die Betriebsstruktur, die Technik, die Anforderungen haben sich immer wieder gewandelten, sie bündelten sich schliesslich zu einem hochprofessionellen Unternehmen. Nur eines ist in all den Jahren geblieben: die Attacken auf das „gebührenfinanzierte“ Medium, auf eine Institution, die das Leben der meisten Menschen in den vergangenen 50 Jahren mitgeprägt hat. Eine Institution, die durch ihre Struktur (mit Trägerschaften in allen Regionen) ein Maximum an Mitgestaltung und durch die Teilfinanzierung mit Gebühren – ein eine grosse inhaltliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit (im Rahmen eines engen Korsetts an Pflichten und Verantwortung) bewahren konnte. Ich habe in den Analen geblättert und bin verblüfft, nein erschüttert: es sind vom ersten Tag bis heute die gleichen – gezielt platzierten Schlagworte, mit denen um sich geworfen wird. Bis in die Wortwahl hinein manifestiert sich der gleiche Geist aus Angst, Misstrauen, Konkurrenz, Anschuldigung, Verdächtigung, Besserwissen – vor allem aber aus handfesten finanziellen Interessen. Eine Schlammschlacht ist wiedereinmal inszeniert worden, nicht die erste und nicht die letzte, doch mit einem denkbar knappen Ausgang. Die direkt Interessierten (Medienhäuser, Gewebeverband, Populisten) ziehen nun vielleicht etwas anständigere Kleider an, doch die Kleider sind unappetitlich – voll Schlamm – geblieben. Für die Austarierung der Interessen, die sich letztlich hinter dieser Auseinandersetzung verbergen, sind die Schlammschleuderer aber nicht nur unappetitlich, auch völlig unglaubwürdig geworden. (006)

29. Mai 2015

 

In eigener Sache:

 

Die Kraft der Erinnerung

 

Auch notorische Sammler müssen mitunter loslassen, wegwerfen, was sie gesammelt haben. Vieles von dem, was einst interessant, wertvoll, erhellend erschien, ist überholt. Geschriebenes ist Makulatur geworden. Warum soll dies bei mir anders sein. Ich habe ganze Stösse von Vergilbtem, Veraltetem, Wertlosem aufbewahrt. Zum Beispiel: 10‘000 gesammelte und geordnete Filmkritiken - , die (fast) wertlos sind, mich nur belasten mit ihren prall gefüllten Archivschubladen.

Nicht anders ergeht es mir mit Artikeln, die einst neu, spannend, aufregend waren. Zeitungsartikel, meine ich, die ich als Journalist abgelegt, archiviert habe. Darunter viel Kultur, viel Bilder, viel Dokumente, viel Meinungen von Menschen, die man heute kaum oder nicht mehr kennt. Wegwerfen? Ja, der grösste Teil wird „entsorgt“; vergilbtes Altpapier, das sich zurückdatieren lässt, bis in die Dreissiger-Jahre (mein Vater hat schon Artikel gesammelt).

Um der Erinnerung – meiner und einer neuen Generation – doch ab und zu einen Schub, etwas Kraft zu geben, werde ich die vor einiger Zeit begonnene Reihe „Zeitdokumente“ auf dieser Webseite intensiver bewirtschaften, das eine oder andere „Zeitdokument“ herausgreifen, vielleicht auch (aus heutiger Sicht) kommentieren oder schlicht und einfach dem „Ganz-Vergessen“ für einige Augenblicke entreissen (und es wieder archivieren, diesmal elektronisch im weltweiten Netz).  (005)

21. Mai 2015

 

In eigener Sache:

 

Der Traum vom Sehen...

 

Ab und zu plagt mich die Vorstellung, ich sei blind, ich könne die Welt nicht sehen. Wenn ich Blinde sehe, die sich unglaublich geschickt durch die Welt bewegen, stellt sich in mir immer die Frage: Wie mag die Welt des Blinden aussehen? Aussehen? Schon stecke ich in der Falle - oder doch nicht? Gibt es nicht auch innere Bilder, so etwas wie Traumbilder, die nicht Traum, sondern real sind, die betastet, begangen, befühlt, gerochen, geschmeckt… werden können, auch von Blinden. Es kommt der Wunsch vom „Fern Sehen“, sehen was war, was andernorts ist oder gewesen ist. Es bewegen sich die Bilder: Film, Fernsehen, Video…. Eine Bilderflut bricht ist über uns herein. Sehen wir nun mehr, sehen wir besser? Ich war 40 Jahre – beruflich – mit Bildern zugange; ich arbeitete und lebte in der Bilderwelt des Fernsehens, an der Schnittstelle, wo Bild und Abbild sich treffen. Trotzdem ist das Sehen (m)ein Traum geblieben. Jeden Tag wenigstens ein Bild, das Bild des Tages. An so manchem Tag stehe ich da und sehe nichts.  (004)

Galerie der "Bilder des Tages"

A propos Blindheit: Hier eine rührende Geschichte

21. Mai 2015

   

Weingeschichten

 

Der nächste Wein-Event (lies: Wein-Präsentation, Verkostung, Seminar) steht schon an: Barolo & Friends in Zürich. Es ist eine der vielen Einladungen, die dem Weinfreund in diesen Tagen und Wochen zufliegen. Weingebiete aus aller Welt buhlen um Aufmerksamkeit und Gunst. Die Weinwelt ist gross, global geworden. Als Anbieter muss man sich etwas einfallen lassen im harten Gunst- und Verdrängungskampf. „Vinum“ - die Weinzeitung - dient in vielen Fällen als Plattform. Doch ein Event gleicht dem andern. Nur die Winzer, ihre Weine und Signete werden ausgewechselt. Das Ritual bleibt dasselbe. Gestern war es Bordeaux, morgen wird es Barolo sein. Übermorgen? Um der damit verbundene Unverbindlichkeit zu entgehen, werden „Seminare“ angeboten mit Verkostungen. Sie ersticken meist in Routine, im allgemeinen Weingeschwätz. Der letzte Event war eine Ausnahme. Rolf Bichsel hat (an der „exklusiven Weinverkostung Big Bordeaux“) nicht Bordeaux erklärt, sondern Bordeaux erzählt. Alles andere war Zugabe. Zumindest für den Weinliebhaber. So müsste ein Weinevent sein, eine Weingeschichte.  (003)

Hier die Bilder zum Event „Big Bordeaux“

14. Mai 2015

 

In eigener Sache:

 

Endlichkeit

 

Wir schieben ihn immer vor uns her, ein Leben lang. Dann ist er plötzlich da, unerwartet, sagt man, obwohl man ihn ein Leben lang erwartet hat, erwarten musste. Der Tod. Man spricht ungern von ihm, denn er ist schweigsam, stumm. Nicht nur für den, der gestorben ist, auch für all die, welche im Lärm der Welt zurückgeblieben sind. Die sonst so laute Welt wird schweigsam, erstickt in Erinnerungen, in Worten, in hilflosen Gesten. Es ist die Zeit, in der man von einer andern Welt spricht. Wie man sich diese Welt vorstellt, ist nicht wichtig: existent oder nichtexistent, geistig oder materiell, besser als unsere Welt, oder schlechter. Diese andere Welt heisst Trost. Der Tod braucht keinen Trost. Getröstet werden müssen die, die hier geblieben sind.

Mein Nachbar ist gestern gestorben. Unerwartet - wie man sagt. 37 Jahre haben wir nebeneinander gelebt, Tür an Tür. Durch eine Mauer getrennt, in unseren eigenen Welten und doch so nahe beieinander: reduziert auf Begegnungen, flüchtige und nachhaltige, alltägliche und einmalige. Stumm bin ich gestern in den Garten gegangen, an den Ort, der sein Lieblingsplatz war. Es entstand das „Bild des Tages“, alltäglich und einmalig zugleich. Aus dem Alltag entrückt durch Endlichkeit. (002)

04. Mai 2015

 

In eigener Sache:

 

Luftbuchungen im Kunstbetrieb

 

Kürzlich wurde „Nafea Faaipoipo/Quand te maries-tu“ aus der Sammlung Rudolf Staechelin verkauft. „Gerüchten zufolge für rund 300 Millionen Dollar. Damit wäre es das teuerste Bild aller Zeiten“, so „Die Welt“. Jetzt hängt das Bild (noch) in der Ausstellung „Paul Gaugin“ in der Fondation Beyeler in Riehen neben 50 anderen Gaugin-Bildern, zusammengetragen aus Sammlungen und Museen der ganzen Welt. Zweifellos eine phantastische, einmalige Ausstellung. Allein das Zusammenführen der Werke, das Versichern, Bewachen, Präsentieren hat Millionen gekostet. Es hat sich gelohnt!

Aber! Ist da im Kunstbetrieb nicht etwas schief gelaufen? Paul Gaugin war viele Jahre seines Lebens bettelarm. In der Ausstellung lesen wir immer und immer wieder: „kein Bild verkauft“ oder „1903 stirbt er in tiefer Armut“ oder „von der Ausstellung bleiben nach Abzug aller Kosten nur 464.80 Franc übrig.“ Künstlerschicksal? Wir haben uns längst daran gewöhnt, wir glauben, es müsse halt so sein.

Der Artikel in „Die Welt“ wurde von Lesern kommentiert, zum Beispiel so: „Und was genau ist an dem Bild jetzt toll? Ich würde es nicht mal für 20 Euro wollen. Was für Luftbuchungen.“ Luftbuchungen? Ich höre die Kommentare im „Audio-Gide“ zu einzelnen Werken: Nebst sachlicher Information viel Geschwätz: Werweissen, Spekulieren, Interpretieren, Fragenstellen und nicht Beantworten, Schwärmen… Luftbuchungen des Kunstbetriebs?  (001)

Zum Artikel in "Die Welt"