Vorpremiere
Fernsehen ist nicht Kino, Kino ist nicht Fernsehen. Eine Binsenwahrheit, die nicht oft genug ins Bewusstsein vordringen sollte.
Sie sind zwar verwandt, die beiden, Kino und Fernsehen. Mitunter sind es auch die gleichen Inhalte, die gleichen Filme, die gleichen Produktionen. Doch unterschied-licher könnte ihre Rezeption nicht sein.
Im Kino: Grossleinwand, austarierter Tonrausch, das gemeinsames Erlebnis eines bunt zusammengewürfelten Publikums, hohe Erwartungen (man hat sich ja bemüht, den Film ausgewählt, eigens dafür bezahlt), Dunkelheit: Ausschliesslicher Fixpunkt: die Leinwand… Am Fernsehen: Nähe zum Bild, alltägliche Umgebung (Stube), Kommunikation (mit sich selber, dem Bild und anderen Zuschauern, die man kennt, mit denen man vertraut ist), Ablenkung (sogar Flucht) ist möglich, auch dauernd da…
Was aber geschieht, wenn Fernsehen ins Kino kommt.
Das ist relativ selten, die Umkehrung hingegen die Regel.
In diesem Fall ist Fernsehen zuerst ins Kino gekommen, zur sogenannten «Vorpremiere» in einem wunderschönen «klassischen» Kinosaal, der trotz aller Moderne (Ton, Bildqualität, Ausstattung) das Flair der Fünfzigerjahre hat, als die Bilder längst «laufen gelernt haben» und zur grossen Unterhaltung wurden, in plüschigen Sälen, ohne Bühne. Leise Erinnerung an die Pionierzeit des Kinos.
Auf der Leinwand: Homage an eine Pionierin des Fernsehens. An einen Star, der schon «Star» war, als das Fernsehen in der Schweiz noch ein «Aschenputtel-Dasein» fristete:
1952 Erster Versuchsbetrieb in der Schweiz. Wo? Natürlich in Basel (Muba).
Ein Jahr später: Premiere der Schweizer Tagesschau.
Wieder ein Jahr später – 1954: Heidi Abel wurde Ansagerin und von der Ansagerin bald einmal Moderatorin, und bald einmal ein (oder das) «Gesicht» des noch jungen Schweizer Fernsehens. Sie war nicht nur Gesicht: sie war Herz, eroberte Herzen (am und) für das neue Medium, das Fernsehen.
Zweiunddreissig Jahre später – nach vielen «Auf-und-Abs» bei dem sich unglaublich rasch entwickelnden neuen Medium – hörte das "Herz" auf zu schlagen. Es geschah etwas (im Programm des Schweizer Fernsehens) Einmaliges: eine Minute Schweigen – statt eines Bildes nur Schwärze und Schweigen, eine Minute lang – im Gedenken an Heidi Abel. Ein Sender und sein Publikum in Solidarität.
Wiederum Zweiunddreissig Jahre später – 2019 – die Erinnerung. Erinnerung in Form eines Films, der berührt, der informiert, der berührt, der lobt, der berührt, der Licht und Schatten aufzeigt, der berührt…
Ein Film, der eigentlich der Gefahr der Rührseligkeit ausgesetzt ist, durch die Bilder, den Ton, die Sprache von einst, durch das Wiederaufleben
einer «Ikone».
Wenn die Erinnerung unser «zweites Leben» ist (das andere wäre das «reale Leben»), so ist die Wiedererscheinung in den Medien, so etwas wie ein «drittes Leben», das der Film, das Fernsehen uns geben kann. Vor allem, wenn das "Wiedersehen" das gleiche «Stück Leben» ist, das Millionen von Zuschauern einst erlebt und gespeichert haben.
Der reale Mensch muss heute am Bildschirm besonders hervorgehoben werden mit dem Wörtchen «live»: Was beweisen soll: Menschen seien wirklich da, jetzt und hier.
«Filmhelden» sind Konserve, die durch ihr Rollenspiel die Realität von Zeit und den Ort überwinden können. «Fernsehhelden» hingegen sind viel stärker an Zeit und Ort gebunden. Nicht die Kulisse, nicht das Spiel, nicht die Inszenierung sind Träger des
des Erlebens, der Begegnung, der Berührung. Es sind die Menschen selber, die in ihrer Funktionen "Vermittler" via Bildschirm überall hinkommen, in die Stuben, ja in die persönlichsten und intimsten Ecken der Welt. Lange Zeit - zur Zeit von Heidi Abel - nur im begrenzten Raum eines Senders, heute nahezu global.
So kann auch eine scheinbar "vergessene" Fernseh-ikone». wieder auferstehen, nicht nur im Dokument, im Bild, als Abbild einer Epoche. Auch als als Mensch, in diesem Fall als Ansagerin, als Moderatorin, als "Fernsehstar" in der öffentlichen "Rolle"
der Vermittlerin. Entscheidend ist immer Echtheit. Das heisst: bei allem Können, bei aller Professionalität, mitten im Gewirr der Technik, vor der Kamera, so zu sein (und zu bleiben) wie man auch dann ist, wenn man keine Funktion ausübt, keine «Rolle» spielen muss. Diese «Echtheit» ist letztlich der Prüfstein für eine "Aufer-stehung" im filmischen Porträt, für das Wiedereleben eines Menschen, der während Jahren am Bildschirm aufgetreten ist, der einst - vor vor fünfzig Jahren - das "Gesicht des Mediums" war und die Zuschauer immer wieder begleitet hat -
anonym und doch intim – virtuell und doch real. Echtheit ist das entscheidenden Kriterium für die Gestaltung eines eines Porträts. Es sind nicht die Fakten – sie mögen noch so erstaunlich sein –, auch nicht die Bilder, die Virtuosität in der «Neugestaltung eines Lebensbildes» - nicht einmal einzelne Szenen und Aussagen. Es sind vielmehr die besonderen "Werte", die aufzuzeigen sind. "Werte", die in der Porträtierten selber liegen, mal offen, mal verborgen oder zugedeckt vom hektischen Alltags einer populären Medienschaffenden.
Genau das ist Felice Zenoni in seinem Film «Heidi Abel, einer TV-Pionierin» gelungen. Die im Titel (unnötiger-weise) angesprochenen "Lichter und Schatten" haben den Film durchzogen, in den Aussagen, in den gewählten Auftritten, dem «Archiv-material», den Erinnerungen und – was eher selten ist – auch in den Worten jener, welche Heidi Abel persönlich oder beruflich nahe standen. Schlicht, unkompliziert und echt.
Ich überlasse die Beschreibung, selbst die Analyse, die filmische Würdigung all den Medien, die bereits – einen Tag nach er Vorpremiere - das Thema aufgegriffen haben, von der Lokalzeitung bis zum Boulevardblatt. Für mich, der Heidi Abel sowohl beruflich als auch privat immer erlebt hat, ist das Einzige was am und im Film zählt, die Echtheit. Dieses «dritte Leben» in der Wahrnehmung einer filmischen "Auferstehung", im «Stuck Leben», das Erinnerungen mit dem verbindet, was längst vorbei ist, Darin liegt die Qualität des Films.
Links zu den ersten Medienberichten: