Ingeborg Bachmann-Max Frisch
"Wir haben es nicht gut gemacht"
2022, Piper Verlag, München
Suhrkamp Verlag, Berlin, Seiten 1038,
ISBN 978-3-518-43069-9
Es ist der Briefwechsel einer grossen Liebe. Einer verhängnisvollen Liebe, die nun in 300 erhaltenen Dokumenten vorliegt, öffentlich einsehbar auf 580 Seiten, begleitet von 300 Seiten Kommentaren, Erklärungen, zeitlicher, örtlicher und inhaltlicher Fixierung (Textkritischer Apparat). Ergänzt durch Bild- und Schriftdokumente (26 Seiten), einer präzisen Zeittafel (36 Seiten) und einigen Essays zur Edition. Kurzum: Die Intimität von knapp fünf Jahren Fühlen, Denken, Leben, Lieben zweier Menschen. Klatsch umrankt die Beziehung. Frisch in der Schlussphase der Beziehung: "Wir sind halt ein berühmtes Paar gewesen, leider." Liebesbezeugungen und Anklagen wechseln sich ab. Dann die Einsicht und Frage: "Warum zerstören wir einander". Die Leserinnen und Leser in einem tragischen Schauspiel von hoher literarischer Qualität. Die Deutung liegt allein bei ihnen.
Der Briefwechsel verlangt von den Lesern ein gutes Stück Arbeit. Es sind nicht immer Rede und Gegenrede, Fragen und Antworten, Aussagen und Interpretationen. Zwar zeitlich geordnet, aber mit vielen Leerstellen (weil kein Dokument vorhanden ist) und Erklärungen, Zuordnungen, die weiter hinten im Buch als Stellenkommentar nachzulesen sind, auf einer Seite oft fünf und mehr Nummern zum Nachschlagen. Das ist so ziemlich das Gegenteil eines flotten Ablaufs in einer flotten Dramaturgie. Wiederholungen und Brüche, Umstände und Bezüge sind weitgehend von den Lesern zusammenzubringen und einzuordnen. Es herrscht kein Erzähldiktat.
Der Briefwechsel hat Lücken. Zweifellos! Aus dem Geschriebenen ist viel Gesagtes - nicht zu lesen - nur zu erahnen. Und das Geschriebene ist unbestritten auch ein Stück Literatur. Nicht nur geschrieben, um zu erzählen, zu fragen, zu antworten... Geschrieben, wohl auch um zu zeigen (beweisen), dass man formulieren kann. Ein Stück Koketterie ist zweifellos mit dabei. Zum Beispiel die Selbstzweifel. Ingeborg schreibt: "...Ich war immer ausserhalb, uneingeordnet, ich habe in der Liebe und durch die Liebe immer den Boden verloren und daher nie einen gehabt..." Das war nach dem ersten gescheiterten Versuch (1959) gemeinsam in einer Wohnung zu leben. Antwort von Max Frisch: das Gefühl des Ungenügens: "Ein immer wiederkehrender Gedanke, den ich für mich notiert habe.., ist dieser: ich liebe immer da, wo ich das Gefühl habe, inferior zu sein... Manchmal scheint mir, dass alle Not mit mir vor allem daraus entsteht, dass ich ein eingeborenes und durch keinen "Erfolg" tilgbares Gefühl des Ungenügens mitbringe..." Das sind Töne - sie erstrecken sich über Seiten und Briefe - die ganz anders klingen, als das sinnlose Geklapper auf der Schreibmaschine, der fordernde Auftritt von Frisch in Rom oder das sinnlose Telefonieren im Film.
Der Briefwechsel zeugt seit dieser Zeit an von einer zunehmenden Belastung und Entfremdung im Umgang des illustren Paars miteinander, bis zum endgültigen Bruch (1964). Ingeborg: "Lieber Max,
ich will alle meine Briefe zurück haben, nicht nur die Zettel und Briefe, die mir versprochen wurden und die bis heute nie eingetroffen sind, nach monatelangem Warten..." Unterschrift I.
Antwort von Max Frisch: "... Was ist denn neuerdings geschehen, dass Du so schreibst? ... Auch ich bin nicht unverletzbar. Ist alles, was ich tue oder lasse, beschimpfens-wert? ... Wenn Du
immer wieder verletzt sein willst, kann ich´s nicht hindern, auch damit nicht, dass ich auf diesen feindseligen Ton mit Ruhe antworte. Ingeborg! Das ist nicht gut, ich beschwöre Dich. Dein alter
Max"
Da sind zwei, die an Ihrer Liebe zerbrochen sind. Das verhängnisvolle ist, dass sich Ingeborg von diesem Bruch nie erholt hat, auch in ihrer literarischen Arbeit nicht,
und schliesslich durch einen Unfall (schwer pillenabhängig) neun Jahre später ums Leben kam. Während Max Frisch noch 27 Jahre - mit der ihm immer wieder zugewiesenen Schuld an Bachmanns Tod -
arbeiten, publizieren und leben konnte.
Es ist vor allem die Tragik einer Begegnung und Liebe, die in den Briefen zum Ausdruck kommt. Die Suche nach einem Umgang von zwei Menschen miteinander, die aus ihrem Ego schöpfen, arbeiten und dabei ihre Erfolge (und Misserfolge) buchen. Berühmte Menschen also, die sich der Öffentlichkeit nicht so einfach entziehen können. Die Briefe sind Zeugnisse einer Ambivalenz zwischen Enge und Weite, zwischen Offenheit und Korsett, zwischen Nähe und Distanz. Letztlich scheitert das Paar an ihren eigenen Ansprüchen. Nicht zuletzt auch am sogenannten "Venedig-Vertrag", der auf eine offene Beziehung angelegt ist, mit sexuellen Freiheiten (aber keiner anderen festen Bindung). Ingeborg Bachmann ist mit Paolo Chiarini (Literaturwissenschafter und Übersetzer) eine Beziehung eingegangen und kurze Zeit später Max Frisch (mit der Studentin Marianne Oellers, von 1968 bis 1979 zweite Ehefrau von Max Frisch).
Der Film
Vollständig gegensätzlich funktioniert der Film. Da gibt es kein Entrinnen. Schon vor den Titeln: Traumszenen, schrillendes Telefon und höhnendes Gelächter; ein
Hund, der Max heisst, ein Psychiater, der heilen muss... Da ist die Antwort vorgegeben, da sind die Figuren charakterisiert. Die Frau, das leidende Wesen, das nach Erlösung (in der Wüste) sucht
und der dominierende Mann, der herrisch auftritt, alles überwacht und notiert, gebieterisch nach Küche und Herd verlangt. Kommt dazu, dass auch die Wahl und das Spiel der Darstellerin und der des
Darstellers ziemlich missglückt ist. Ingeborg, dem leidenden Wesen, fehlt das, was sie - nebst ihrem literarischen Werk - berühmt gemacht hat: Charme und Charisma. Hier weitgehend reduziert auf
eine leidende Maus, die in einer Sexorgie Erlösung sucht. Max, ein herrschsüchtiger Tollpatsch, der nach Heim und Herd schreit.
Drehbuch und Regie: Margarethe von Trotta - Kamera: Martin Gschlacht
Darsteller: Vicky Krieps, Ronald Zehrfeld, Tobias Resch, Basil Eidenbenz. Luna Wedler - Filmlänge: 110 min.
Der falsche Film, zu falschen Zeit, mit viel falschem Inhalt. Margarethe von Trotta ist ihren frauenrechtlichen Klischees zum Opfer gefallen. Sie hat Mythen, Legenden und Anekdoten
aneinandergereiht, bis das Bild entstanden ist, das ihr filmisch vorschwebte und das sich in den fünfzig Jahren seit Ingeborg Bachmanns Tod (vor 50 Jahren) in allen möglichen Varianten (bis zur
Mordspekulation) verbreitet hat. Das ist ärgerlich und eigentlich nicht zu rechtfertigen, da gleichzeitig mit der Ver-öffentlichung des (noch erhaltenen) Brief-wechsels, ein viel
differenzierteres, authentischeres Bild einer schwierigen Beziehung offengelegt wurde.
Von und über die Geschehnisse nach Frischs Trennung von Ingeborg Bachmann erzählt der Film nichts. Muss er auch nicht, denn eine Filmgeschichte (als Spielfilm konzipiert) ist keine Dokumentation, sondern eine konstruierte Erzählung. Sie hat eine eigene Dramaturgie, Gesetzmässigkeit und eine eigene Sprache. Im Mittelpunkt steht - im Gegensatz zur Dokumentation - eine Wertung, eine Interpretation, eine Botschaft. Daran ist der Film gescheitert.
Natürlich ist in einem Buch von über 1000 Seiten mehr Raum und es sind mehr Möglichkeiten leisere, feinere Töne anzuschlagen. Bilder zu finden, die nicht schreien, sondern erklären, beleuchten, nach der Wahrheit suchen. Doch es ist nicht das, was zwei Realitäten - Buch und Film - voneinander unterscheidet. Im Buch gibt es keine Urteile, auch keine vorgeprägten Meinungen, zum Geschehen, zum Ablauf der Dinge, zur Dramaturgie der Handlungen. Die beiden Protagonisten reden miteinander (zueinander), eigentlich abgeschirmt durch das Briefgeheimnis, das jetzt, nach mehr als fünfzig Jahren, aufgehoben wurde. Die Leserinnen und Leser urteilen, allein aufgrund der sichtbaren und erahnbaren Fakten. Da ist kein Erzähler, keine Erzählerin, welche die Interpretation durch Bilder, Dramaturgie, Töne und Spiel vorgeben und übernehmen: So war es, so ist es gewesen... nicht einmal ein Zweifel bleibt offen, in der Art: "So könnte es gewesen sein"
Der Zeitpunkt, die Umstände und all das, was seit Bachmanns Tod bekannt wurde und als Fakten in die Öffentlichkeit gelangt ist, belastet den Film so sehr, dass er
als unredlich, ja stellenweise als langweilig oder gar unappetitlich wahrgenommen werden kann. Ein Tod, der lange Zeit viele Fragen aufgeworfen und die Literaturszene beschäftigt hat, findet nun
endlich - durch die Veröffentlichung der Briefe - Antworten (nicht alle, aber einige entscheidende), die zu akzeptieren sind. Eine verhängnisvolle Liebe ist - in diesem Fall - nicht nur reales
Geschehen, sondern auch Literatur. "Briefe als Kunstwerk", so wird die Edition im Buch selber umschrieben. "Manchmal spricht Frisch mit Worten aus ihrem Werk, und Bachmann übernimmt Wendungen
aus dem seinen."
Dem gegenüber wirkt der Film von Margarethe von Trotta wie ein irregeleiteter Schnellzug "auf einer Reise in die Wüste".