13. März 2013
One Dollar, one Dollar, one Dollar…
Die eidringliche Bitte: «one Dollar, one Dollar…» liegt mir in den Ohren. Eigentlich tönt es nicht nach dem Angebot eines Verkäufers – meist sind es Kinder – es klingt vielmehr wie ein Bettelruf. Was da nicht alles für einen Dollar verramscht wird. Farbige Stadtführer, Schmuck, Kunstkataloge, zwar billiger Machart, doch sie würden in jeder Buchhandlung ein Vielfaches kosten.
Dort, wo die Touristenkarawane vorbeizieht, klammern sich die Verkäufer und Verkäuferinnen fest. Sie haben in etwa das gleiche anzubieten: Tücher, Souvenirs, Kunsthandwerk, ab und zu auch Früchte oder Getränke. Vietnamesen und die Kambodschaner nutzen die Situation. Irgendeiner oder eine wird schon zugreifen, für einen Dollar, vielleicht sogar für ein paar. Ein Pappenstiel für uns, die wir gewohnt sind, mit ganz andern Beträgen zu rechnen. Allein für diese, unsere Reise haben wir das Mehrtausendfache ausgegeben.
Gebettelt wird so gut wie nie, dafür ist man zu stolz in Kambodscha und Vietnam, aber verkauft wird alles, Dienstleistung angeboten, etwas abgegeben, auch wenn es nur eine Frucht oder eine Blume ist, soeben am Wegrand aufgelesen.
In einer Kautschukplantage in der Nähe von Cu Chi taucht wie aus dem Nichts ein Mädchen auf – etwa vier Jahre alt – behängt mit einfachen Hals- und Armketten aus den nussförmigen Früchten der Bäume. Es sagt nichts, steht nur da, mit grossen, fragenden Augen, Eltern oder Geschwister sind nicht in Sicht. Der Reiseleiter entlockt ihr – mit einiger Mühe – „đô la“ (two Dollar) egal ob grosse oder kleine Kette. Sie lächelt nicht, steckt die zwei Dollar ein, gibt mir die Kette und wartet weiter mit grossen, fragenden Augen.
In Siem Reap, auf dem Gelände des Banteay Srei Tempels, dort wo vor allem Menschen mit Kameras vorbei gehen, sitzt ein Mädchen – wohl auch etwa vier Jahre alt – auf den Steinblöcken der Umrandung. Die Sonne scheint im richtigen Winkel und bestrahlt den Tempel im Hintergrund. Kameras werden gezückt, das Kind im Vordergrund, der Kern der Tempelanlage dahinter. Das Mädchen sagt nichts, bewegt sich nicht, nur die grossen Augen leuchten. Natürlich ein Dollar, ein Kugelschreiber, ein Lollipop – so viel ist das Bild sicher wert. Sobald die Kamera verschwunden ist, klettert das Mädchen vom Steinkoloss, holt ein versteckter Plastiksack hervor und verstaut sorgfältig die Beute.
Nein – gebettelt wird nicht. Die Menschen sind (in den beiden Ländern) arm, doch nicht überall. Dort wo der Touristenstrom vorbei zieht, gibt es überall etwas zu verdienen, im Innern des Landes kaum. Korruption, Arbeitslosigkeit, das Fehlen von Sozialversicherungen, Inflation, Mangel an Infrastrukturen… Die Menschen klagen nicht, jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit.
Die Armut trifft vor allem auch die ethnischen Minderheiten, sowohl in Vietnam wie in Kambodscha. Sie haben meist noch 5-7 Kinder, heiraten früh, auch innerhalb der Familie und leben sehr traditionell, vor allem auf dem Land. In Vietnam gibt es ein starkes soziales Gefälle zwischen Stadt und Land, zwischen Norden und Süden. Das durchschnittliche pro Kopf Einkommen liegt bereits über 1‘000 Dollar im Jahr. Man spricht vom wirtschaftlichen Aufschwung, denn die Vietnamesen sind fleissig und zuverlässig. Allerdings profitieren vom Wirtschaftswachstum nur Einige. Deshalb ziehen auch immer mehr Menschen vom Land in die Stadt oder dorthin, wo der Tourismus blüht.
Anders in Kambodscha. Mit einem jährlichen Pro-Kopf-Einkommen von unter 300 Dollar gehört es zu den ärmsten Nationen der Welt. Die Bevölkerung leidet noch immer unter den Folgen des Bürgerkrieges, die Wirtschaft ist wenig entwickelt, über fünfzig Prozent der Bevölkerung sind Analphabeten und 115 von tausend Babys sterben im ersten Lebensjahr. Es gibt zwar – im Gegensatz zu Vietnam – in Kambodscha ein demokratisches System, doch die Opposition hat wenig Chancen. Viele Khmer (so heissen die Kambodschaner) lassen sich kaum politisieren, sie leben von der Hand in den Mund. In den Städten – vor allem in Phnom Phen – entwickeln sich Slums. Die städtischen Preise sind für die meisten einfach nicht mehr zu bezahlen. Menschen flüchten auf das Land um nicht in der städtischen Armut zu versinken. Im Agrarstaat Kambodscha gibt es zumindest genügend zu Essen.
„One Dollar, one Dollar“ – es ist der unschuldige Aufschrei von jungen Menschen, meist noch Kindern, die nach bewährtem kapitalistischen Muster versuchen, der Armut zu entrinnen. Und wir? Wir haben nicht so viele „one Dollars“, dass wir der Nation damit helfen könnten. Es genügt, wenn wir ein oder ein paar der Mädchen mit grossen Augen glücklich machen.
Machen wir sie glücklich? Den Eindruck habe ich nicht. Sie stehen am Rand des Touristenstroms, meist hingestellt, um den Erwerbszweig Tourismus zu nutzen. Und – wohlverstanden – in Kambodscha herrscht beispiellose Korruption, auch dort, wo die Touristen vorbeiziehen.