Auf dem Mekong

09. März 2013

 

Auf dem Mekong


Der Mekong hat viele Namen: Dza Chu (Tibet), Láncāng Jiāng „Turbulenter Fluss“ (China), Mè ´kaun Myit (Burma), mɛː nâːm kʰɔ̌ːŋ (Laos), Mae Nam Khong (Thailand), Tibke Thom „grosser Fluss“ (Kambodscha), Sông Cu’ru Long „Neun Drachen Fluss“ (Vietnam)… Auf seiner fast fünftausend Kilometer langen Reise durchquert er ja auch viele Länder bis er in der Gegend von Saigon das Südchinesische Meer erreicht.

Von den vielen Gesichtern, die der Mekong auf der langen Fahrt durch die unterschiedlichen Landschaften zeigen kann, haben wir nur eines erlebt: ein träges, trübes, braunes Wasser, das an einer grünen Landschaft vorbeizieht, die beiden Ufer fast einen Kilometer weit entfernt. Wir fahren stromaufwärts, Richtung Kambodscha, Richtung Angkor. Soweit wird unser Schiff allerdings nicht kommen, zu wenig tief ist da der Fluss, zuvor steigen wir in Busse um – Fahrt übers Land.

Eigentlich habe ich mir das weltberühmte Mekong-Delta romantischer vorgestellt. Doch der Alltag ist nur selten romantisch, auch hier nicht, eher ein eintöniger Kampf um wichtige Dinge des Lebens, Nahrung, Essen, Arbeit, Einkommen, Behausung, Familie, Kinder… Uns Touristen mag dies exotisch vorkommen, vielleicht sogar ärmlich oder gefährlich oder ungesund. Wir haben halt unsere Vorstellungen, unsere Vergleiche, unseren eigenen Alltag als Ideal, dem wir für kurze Zeit entronnen sind.

Die meisten Menschen, denen wir begegnen haben etwas, was wir – auch jetzt als Touristen – nicht haben: Zeit. Wir jagen gerade durch eine Welt, in der es scheint, als sei die Zeit stillgestanden. Stillgestanden ist sie nicht, auch hier nicht, sie hat nur einen andern Rhythmus inne, wir hingegen haben unseren Rhythmus mitgenommen.

Besonders deutlich wird dies auf den Märkten. Wir besuchen viele Märkte, glauben bald einmal alle Märkte Vietnams und Kambodschas gesehen zu haben. Überall ein ähnliches Bild: Verkäuferinnen und Verkäufer warten, am Boden kauernd oder sitzend, schon fast stoisch auf Käufer. Das braucht Zeit, viel Zeit. Soll man da oder dort kaufen, due Angebote gleichen sich, westliche Hygiene ist hier noch wenig bekannt. Plastikverpackte Ware gibt es nur für Industriegüter. Selbst Importe, wie Trauben aus Australien, liegen offen da, als seien sie eben, hinter dem Haus gepflückt worden.

Sieben Tage sind wir auf dem Schiff, ein Eindruck herrscht vor, immer etwa am gleichen Ort zu sein.. Tatsächlich sind es keine grossen Strecken, die das – man kann schon sagen – Luxusschiff zurücklegt, die längste ist, glaube ich, 70 Kilometer, zum grössten Teil nachts. Eigentlich sind wir nicht auf einem Schiff, vielmehr in einem schwimmenden Hotel. Luxusgäste, verwöhnt und dauernd unterhalten, vom Morgentee auf dem Sonnendeck bis zum Abendcocktail in der Saigon Lounge. Ausgehen am Abend kann man nicht, rundum braunes Wasser, dafür bietet die Crew eine Extrashow. Unsere Serviererinnen verwandeln sich zu charmanten Tänzerinnen in farbenfrohen Kleidern, der Barmann zur Ulknudel mit dick aufgetragener Ironie.

Zwei Mal täglich müssen die grellen Schwimmwesten angeschnallt werden, es geht auf Fahrt ans Ufer, dort wo der andere Teil des Mekong-Delta-Lebens stattfindet. Die Häuser sind alle auf Stelzen gebaut, denn die Grenze des Ufers schwimmt dauernd davon, unter den Häusern weg, bis weit ins Landesinnere oder zurück zum breiten Fluss. Nur auf den Schiffen ist man immer „ebenland“, man steigt und sinkt je nach Regen oder Trockenheit.

Trotz Sonnendeck, die Sonne haben wir nicht allzu oft gesehen, jedenfalls nie sehr lange. Der Fluss, die Landschaft tauchen immer wieder in einen Nebel, der kein Nebel ist, sondern tropische Feuchtigkeit, die sich je nach Sonneneinstrahlung in ein braunes oder graues Meer verwandelt, das sich mit dem braunen Wasser zu vermählen scheint. Dem Fotografen tauchen die Sujets weg, ins graue-braune Meer. Geradezu aufregend sind die farbenfrohen Fahnen, die dekorierten Schiffe, die bunt leuchtenden Früchte auf den Kähnen. Auch die Menschen, die hier leben, tragen vorwiegend bunt.

Vieles erfahren wir nur aus den Erzählungen, weil das Schiff da nicht hin kommt oder nicht hin will oder weil wir zur falschen Zeit auf dem Schiff sind. Zum Beispiel die Eigenheit des Tonle-Sap-Flusses, der eigentlich in den Mekong fließt; doch er wechselt während der Regenzeit die Richtung, dann schiebt er sich zum Tonle-Sap-See. Der Tonle-Sap-Fluss dient als Verbindung vom Mekong zur größten Tempelanlage der Welt: zu Angkor Wat.

Doch so weit sind wir noch nicht. Wir sind im Mekong-Delta, das sich über 70‘000 Quadratkilometer erstreckt. Hier bewegt man sich langsam, gemächlich; wir haben Zeit, uns vorzustellen wie dahinter, hinter dem Horizont – rechts und links – Reis und Gemüse und Früchte angebaut werden. Vietnam und Kambodscha sind eben noch (fast) reine Agrarländer.